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Hunger im Südsudan
Todesfalle Freiheit

Aus Südsudan berichtet Horand Knaup

Die Unabhängigkeit des Südsudan entpuppt sich für Zigtausende als Falle: Wenige Wochen nach Ausrufung der Autonomie verhungern Tausende Heimkehrer aus dem Norden - weil sie im Krieg verlernt haben, wie man sich selbst versorgt. Die Regierung in Juba ignoriert das Elend.

Chol Akol Deng konnte nicht ahnen, dass es der Fehler seines Lebens war, als er in Khartum den Bus bestieg. Der sollte ihn zurück in den Süden bringen, zurück in die Heimat. Vor 26 Jahren war er in die sudanesische Hauptstadt geflohen - wegen des Krieges im Südteil des Landes. Es war für Deng kein üppiges Leben in Khartum, aber er hatte als Ölarbeiter ein Auskommen für sich und die Familie gefunden.

Dann, vor einem Jahr, waren Sendboten aus Juba, der Hauptstadt des Südens, nach Khartum gekommen und hatten ihm vorgeschwärmt. Von dem neuen eigenen Staat, von einem besseren Leben, von Aufbruch und Wohlstand.
Deng ahnte auch noch nichts von seinem fatalen Irrtum, als er nach dreitägiger holpriger Fahrt in Nyamlell, einem Städtchen im Südteil des Landes, den Bus wieder verließ. Die Stimmung war euphorisch. Es war Dezember, kurz vor dem Referendum, in dem der Südsudan über seine Unabhängigkeit entscheiden wollte. Jede Stimme wurde gebraucht, ein Volk war im Rausch, und Chol Akol Deng war mittendrin.

Globale Hilfsbegeisterung für Hungeropfer ist erschöpft

Inzwischen ist die Stimmung nicht mehr euphorisch. Deng sitzt auf einem Plastikstuhl in einem Flüchtlingslager am Rande von Nyamlell. Der Südsudan ist seit dem 9. Juli selbständig, hat eine eigene Regierung, eine eigene Flagge, eine eigene Währung. Nur der Ölarbeiter Deng hat nichts. Er hat 20 Kilo abgenommen, das Shirt hängt schlaff über dem Bauch, die Hosenbeine flattern, Deng hat keinen Job und keine Zukunft, vor allem aber hat er Hunger.

Dengs Pech: Die globale Hilfsbegeisterung für Hungeropfer ist erschöpft. Monatelang konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf Somalia und das kenianische Lager Dadaab, wo 450.000 somalische Flüchtlinge ein halbwegs geregeltes Lagerleben führen und täglich Dutzende von Lastwagen die Versorgung sicherstellen.

Nun findet quasi nebenan eine Tragödie statt, ohne dass die Welt noch hinschaut. Das Interesse ist nach jahrzehntelangem Krieg und pompöser Unabhängigkeitsfeier des Südens erst einmal aufgebraucht. Der endlose Streit zwischen Nord und Süd über Grenzverläufe, Ethnien und Pipeline-Gebühren weckt keine Neugier mehr.

Massensterben in der vermeintlichen Freiheit

Aber zwischen alle Fronten sind Millionen von Rückkehrern geraten. Rückkehrer wie Chol Deng, die vom Süden angelockt und vom Norden abgeschoben wurden. Sie leben in Zelten, in Lagern, sie sterben an Hunger und Erschöpfung, an Malaria und Lungenentzündung. Tausende haben die ersten Wochen des neuen Staates Südsudan nicht überlebt. Sie zahlen den Preis für die Neugründung eines Staates, der noch nicht lebensfähig ist. Es ist ein Massensterben für die vermeintliche Freiheit.

Jetzt, vor wenigen Wochen, haben auch die Vereinten Nationen Alarm geschlagen. "Die Situation ist extrem besorgniserregend", sagt Lisa Grande, die Uno-Hilfskoordinatorin im Südsudan. Seit Donnerstag droht die Gewalt wieder zu eskalieren: Sudanesische Kampfflugzeuge bombardierten ein Flüchtlingslager im Südsudan, Präsident Salva Kiir warnt vor einer Invasion der Nord-Armee.
Dabei hatte es für Deng durchaus verheißungsvoll begonnen. Er bekam wie alle Rückkehrer ein Dreimonats-Set mit Öl, Bohnen und Saatgut, mit Moskitonetzen, Töpfen und Geschirr. Und er begann sich die Hütte zu bauen, einen kleinen Garten anzulegen. Doch dann kam - nichts mehr. Nicht der Job, der versprochen war, nicht die Schule, nicht die Krankenstation. Erst begann Deng sein Hab und Gut zu verkaufen, dann am Mittagessen zu sparen und seine Kinder zum Betteln in die Stadt zu schicken. Oder in den Wald, um Blätter und Beeren zu sammeln.

Die Regierung in Juba interessiert sich nicht mehr für die Menschen, denen sie vor kurzem noch eine goldene Zukunft versprochen hat. Sie kämpft an anderen Fronten. Mit dem Norden, mit dem schleppenden Aufbau der Infrastruktur, mit blutigen Stammesfehden im eigenen Land.

2. Teil: "Bevor wir ernten können, sind wir tot"

15 Kilometer westlich von Nyamlell liegt Marial-Baai. Auch Maria-Baai hat eine Trabantensiedlung. Die weißen Plastikplanen schimmern in der Sonne. Im Camp Khartum haben sich über 3000 Rückkehrer niedergelassen.

Dan Dut Lual ist Lehrer und einer der Sprecher des Lagers. Seine älteste Tochter, 15 Jahre alt, sei vor wenigen Tagen gestorben. "Sie war schon schwach, und dann wurde sie auch noch krank." Allein in den vergangenen drei Wochen hätten sie acht Bewohner des Camps beerdigt. "Wenn wir Glück haben, haben wir ein Essen am Tag", sagt Lual. "Die meisten haben Durchfall wegen der Beeren und Blätter."

Am Rande des Camps stehen Maisstauden. In vier Wochen sollten sie erntereif sein. "Bevor wir ernten können, sind wir tot", sagt Lual. "Und wenn wir bis dahin nicht tot sind, rettet uns der Mais auch nur für drei bis vier weitere Wochen." Die Aussicht ist alarmierend, denn die nächste Ernte steht dann erst wieder im Oktober 2012 an.

Im Hintergrund zieht eine Herde Rinder vorbei. Gut hundert Rinder, alle wohlgenährt. Sie gehören einem Geschäftsmann, heißt es. Aber auch der hat nichts zu verschenken, denn die Zahl der Rinder und Kamele definiert hier die soziale Stellung und das Prestige des Besitzers. Es gibt Zehntausende von Rindern in der Region, und es macht alles noch paradoxer: Es gibt genug Fleisch, der nahe Fluss führt reichlich Wasser, es regnet fast täglich - und dennoch sterben die Menschen an Hunger und Unterernährung.

Die Menschen haben keine Überlebensstrategien

Denn sie haben keine Überlebensstrategien. Es sind einerseits Großstadtbewohner, die noch nie eine Hacke in der Hand gehalten haben. Oder es sind Kleinbauern, die während 30 Jahren Krieg immer von der Hand in den Mund gelebt haben. Die nie gelernt haben, zu planen und die Zukunft zu gestalten. Die schon froh waren, wenn sie überhaupt etwas aussäen und einfahren konnten, ohne die nächste Flucht vorzubereiten oder Soldaten mitfüttern zu müssen. Es sind in jedem Fall Migranten, die alle Reserven aufgebraucht haben. Und die besonders betroffen sind von den Lebensmittelpreisen, die auch im Südsudan drastisch gestiegen sind.

Auch in Gok Machar sind die Rückkehrer überwiegend aus Darfur gekommen. Die Grenze ist nicht weit. Auch sie haben Hunger, auch sie warten auf Hilfe. Rund 50 Campbewohner haben sich versammelt. Entlarvend ist die Antwort auf die Frage, wer in den letzten Jahren in Darfur vom Welternährungsprogramm unterstützt wurde. 50 Arme schießen in die Höhe. "In Darfur haben wir alles bekommen", sagen sie, "sogar Seife".

Eine ganze Generation hat verlernt, sich selbst zu ernähren

Und es wird deutlich, dass eine ganze Generation nicht nur verlernt hat, sich selbst zu ernähren, sondern - schlimmer noch - auch jeden Anspruch aufgegeben hat, für sich selbst aufzukommen. Die Flüchtlinge sind abhängig geworden von den Hilfslieferungen, und sie haben sich eingerichtet in ihrem Fatalismus. 30 Jahre Krieg und Flucht haben sie ausgezehrt, selbst gegen das langsame Sterben leisten sie kaum noch Widerstand.

Es gibt viel unbebautes Land in der Umgebung - warum sie nicht mehr anpflanzen?

"Weil es Regierungsland ist, und weil wir nichts im Bauch haben. Auch ein Auto fährt nicht ohne Benzin."

Warum sie sich nicht Rinder halten?

"Dann müssten wir erst mal lernen, Rinder zu halten."

Warum sie nicht wenigstens Hühner züchten?

"Dazu muss man einige kaufen, und das ist teuer."

Und natürlich wollen sie auch fürs Wasser nichts bezahlen. In Darfur kostete jeder Kanister Geld, in Gok Machar wollen sie nichts davon wissen: "Den Brunnen haben uns doch die Hilfsorganisationen geschenkt! Und jetzt sollen wir euch dafür bezahlen?"

Dass die Pumpe irgendwann repariert werden muss, dass es dafür Rücklagen braucht, dass die Wassermenge begrenzt ist und die ersten Brunnen bereits trocken liegen - es kümmert die Heimkehrer nicht.

"Es ist alles ziemlich enttäuschend gelaufen"

Frust, wohin man schaut, nur reden sollen sie nicht über ihre Verzweiflung. Sagt die Regierung. Kritik gilt als Defätismus. Genauso wie die Rückkehr in den Norden. Und doch würden viele am liebsten sofort gehen. Je schneller, desto lieber. Auch wenn sie da, wo sie herkamen, von den Arabern gehänselt und gepiesackt werden. Auch der Ölarbeiter Deng redet nicht über den Fehler, den er begangen hat, als er in Khartum den Bus bestieg. Er sagt nur: "Es ist alles ziemlich enttäuschend gelaufen."

In Juba weiß man um die Not im eigenen Land. Nur benennen darf man sie nicht. Im Bundesstaat Warrap, nicht weit entfernt von Nyamlell, gab es bereits Anfang September 360 Hungertote. Der Distriktchef hatte sie namentlich aufgelistet und den Report nach Juba geschickt. Die Regierung bedankte sich auf ihre Weise: Sie ließ den Distriktchef ins Gefängnis werfen.