Der Ruhm und die Fälschung
"Der Autogrammhändler" ist der zweite Roman des literarischen Wunderkindes Zadie SmithSchon der Name ihres neuen Helden ist typisch für Zadie Smiths originellen Stil: Alex-Li Tandem. Als Kind war der heute Endzwanziger der Zankapfel zwischen seiner jüdischen Mutter und seinem chinesischen Vater: „Bist du sicher, dass du an der Bar-Mizwa teilnehmen willst? Oder ist es vielleicht eher, weil deine Mutter es will?“, wird Alex-Li von seinem Vater gefragt. Und während der Junge seine Zeit gern im Wartezimmer der Praxis seines Vaters im Londoner Vorort Mountjoy vertrödelt und sich Krankengeschichten für die Wartenden ausdenkt, wäre es seiner Mutter lieber, wenn er „sich die Welt erschließt, in sie hineingeht und, äh, sie sozusagen ergreift, dieses lebendige Zusammenspiel erfährt...“
Für Der Autogrammhändler (Droemer Knaur, 480 Seiten, 22,90 Euro), ishren zweiten Roman, dessen Thema im weitesten Sinn der Starkult ist, dürfte Zadie Smith von Erfahrungen profitiert haben, die sie ungewollt machte, als vor drei Jahren ihr Debüt „Zähne zeigen“ zum umjubelten Welterfolg wurde: Bei ungezählten Lesungen gab sie Autogramme ohne Unterlass, eingefordert von Fans, die ein Stück Ruhm mit nach Hause nehmen wollen. Und hier kommt Alex-Li ins Spiel, der seinen Job so erklärt: „Ein Autogrammhändler bearbeitet drei Gebiete. Sammeln. Handeln. Verifizieren.“ Um an rare Signaturen wie die des zurückgezogenen lebenden 50er-Jahre-Musical-Starlets Kitty Alexander zu kommen, lässt er nichts unversucht.
Im Schlepptau hat Alex stets seine drei Jugendfreunde: den Videoverleiher Adam Jacobs, Rabbi Rubinfine und den Versicherungsmakler Joseph. Sie verbindet die Leidenschaft für handgekritzelte Signaturen – und der Streit über das Buch, in dem Alex-Li seit Jahren Begriffe den Kategorien jüdisch und goj zuordnet. Zadie Smiths neuer Roman hebt viel versprechend an, ist aber längst nicht so komplex angelegt wie das ein halbes Jahrhundert umfassende London-Porträt des Erstlings. Was aber die Spannweite der angerissenen Themen (Religion, Ruhm, Rasse; Autogramme, Authentizität, Aura), vor allem aber ihren Sprachwitz angeht, hat Zadie Smith in keinster Weise nachgelassen.
Zwar wurde The Autograph Man in England im Herbst 2002 werbewirksam zum Start des BBC-Fernseh-Vierteilers White Teeth ausgeliefert, der nach ihrem Debüt entstand, doch die Kritik hielt sich mit Begeisterung zurück. War die Autorin beleidigt, als sie wenig später verkündete, keine Romane mehr schreiben zu wollen? Oder hatte die Kritik sie bloß auf ein zu hohes Niveau gehoben? Unter dem halben Dutzend Preisen, die der bildhübschen Tochter einer Jamaikanerin und eines Engländers für Zähne zeigen in den Schoß gefallen waren, befanden sich immerhin der Whitbread First Novel Award, der Commonwealth Writer’s First Book Award und der Guardian First Book Award.
Um so weit zu kommen, hat die heute 27-Jährige hart gearbeitet: Von einer Londoner Gesamtschule schaffte sie es zum King’s College in Cambridge, wo sie englische Literatur studierte. Aber den Schritt zur Schriftstellerin hat sie dann in den eigenen vier Wänden vollzogen. „Lesen ist die einzige Ausbildung für einen Autor“, sagt Smith. Und sie hat viel gelesen, vor allem Shakespeare, Nabokov, Kafka, Salinger und Carver. Und nicht zu vergessen die Bücher der Frau, deren Vorname sie einmal ihrer eigenen Tochter geben würde: Zora Neale Hurston.
Obwohl die Literaturzeitschrift Granta Zadie Smith gerade auf der Liste der 20 besten britischen Literaten unter 40 Jahren positionierte, hat Smith es vorgezogen, sich zunächst von der literarischen Bühne zu verabschieden und Zuflucht im überschaubaren universitären Leben auf der anderen Seite des Atlantiks zu suchen: Als Radcliffe-Stipendiatin an der Harvard University arbeitet sie an einem Master-Abschluss und an einem Band mit Essays über den Moralbegriff bei Autoren des 20. Jahrhunderts.
© 2001 Reinhard Helling
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