Leere Träume von der Revolution
Zur Wiederentdeckung des US-Autors Richard Yates
Sicher war auch Eigennutz im Spiel, als US-Autor Stewart O’Nan in einem Aufsatz für die „Boston Review“ an einen fast vergessenen Kollegen erinnerte: „Uns Autoren bleibt nur, die Romane und Geschichten von Richard Yates lebendig zu halten, indem wir sie aus den Antiquariaten retten und sie den Studenten und jungen Autoren geben. Wir müssen es nicht tun, aber wir tun es gern. Vielleicht, wenn wir Glück haben, tut jemand dasselbe für uns“, schrieb der Autor von Das Glück der anderen. Das war 1999.
Inzwischen hat man sowohl in den USA als auch in England damit begonnen, das sieben Romane und zwei Bände mit Erzählungen umfassende Werk des aus New York stammenden Autors, den Raymond Carver und André Dubus als ihr Vorbild bezeichneten und der das Drehbuch zu dem Film „Die Brücke von Remagen“ lieferte, neu aufzulegen. Anders als die spät wiederentdeckten Romanciers William Gaddis, James Salter oder Paula Fox, die von den Neuauflagen ihres Werks noch profitieren konnten, kommt die Renaissance für Yates zu spät: Er starb 1992 im Alter von 66 Jahren.
Gleich mit seinem Debüt Revolutionary Road, das jetzt unter dem Titel Zeiten des Aufruhrs (Deutsche Verlags-Anstalt, 374 Seiten, 19,90 Euro) in der glänzenden Übersetzung von Hans Wolf auf Deutsch erscheint, konnte Yates 1961 eine Nominierung für den National Book Award erringen. Er bekam ihm nur deshalb nicht, weil zwei weitere erstklassige Bücher im Rennen um den begehrten Preis waren: Joseph Hellers Catch-22 und Walker Perceys Kinogeher.
Den Originaltitel bezieht der Roman von der Vorstadtsiedlung Revolutionary Hill in West-Connecticut, in der Frank und April Wheeler mit ihren beiden kleinen Kindern ein Haus beziehen. Dem Anschein nach ist es eine Bilderbuchehe: Frank verdient sein Geld mit der Vermarktung von gerade in Mode kommenden Computern, seine bildhübsche Frau genießt erste, kleine Erfolge als Schauspielerin. Doch unaufhaltsam verlieren sie ihr Ziel aus den Augen, in ihrem Leben ein Höchstmaß von Individualität zu realisieren: Frank leistet sich im Büro eine Affäre, April würde der Vorstadtspießigkeit am liebsten in Richtung Europa, genauer nach Paris, entfliehen.
In die Figur von Frank hat der Autor Züge seines eigenen Lebens eingearbeitet: die Teilnahme bei der Landung von US-Truppen Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, die Tätigkeit als Werbetexter für die Remington Rand Corporation sowie seine Neigung, sich mit Hochprozentigem die Welt schön zu trinken.
Für die DDR hatte Volk und Welt den Roman schon 1975 unter dem bezeichnenden Titel Das Jahr der leeren Träume auf Deutsch verlegt und im Klappentext die sozialistische Lesart nahegelegt: In seinem Roman zeichne Yates „das Bild einer modernen Ehe, die dem wachsenden Kommunikationsverlust in einer nur auf Äußerlichkeiten orientierten Gesellschaft nichts mehr entgegenzustellen weiß.“ Das ist schon wahr. Viel beeindruckender aber ist das Zustandsbild der fünfziger Jahre, das Yates mit „offensichtlicher Leichtigkeit, bedingungsloser Zugänglichkeit, glasklarer Genauigkeit und tiefem Ernst gegenüber den Menschen“ liefert, wie es Richard Ford im Nachwort formuliert.
Auch wenn man sich wieder einmal fragt, wie es geschehen konnte, dass Yates’ Bücher – wie damals die von Gaddis, Salter und Fox – für so viele Jahre aus den Buchregalen verschwinden konnten, ist die Wiederentdeckung dieses großen Autors nur zu begrüßen. In den USA ist sie in vollem Gange – mit Neueditionen, einem Richard-Yates-Kurzgeschichtenwettbewerb des Magazins „Night Train“ und einer Yates-Biografie, die Blake Bailey im Frühjahr 2003 vorlegen will.
© 2002 Reinhard Helling
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