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Vom Schtetl zum Hiphop 

 

In ihrem Roman Lipshitz erzŠhlt die US-Autorin
T Cooper von ihrer jŸdischen Familie, dem antisemitischen Flieger Charles Lindbergh und dem blonden Rapper Eminem

 

Von REINHARD HELLING

 

30 Jahre nach seinem Tod erlebt Charles A. Lindbergh eine seltsame Renaissance Ð zumindest in der amerikanischen Literatur. In seinem Roman Verschwšrung gegen Amerika hatte Philip Roth den Fliegerheld zum faschistischen PrŠsidenten der USA gemacht Ð rein fiktiv, versteht sich. Auch Kathleen Hughes nimmt sich in ihrem (bisher nicht Ÿbersetzten) DebŸt Dear Mrs. Lindbergh viele Freiheiten und lŠsst Anne Morrow, der spŠteren Fliegergattin, erfundene Briefe zu den Themen Familie und Fliegen zukommen. Als historische Figur in Reinform dagegen tritt der ãverrŸckte FliegerÒ Ð inklusive Atlantikflug mit der ãSpirit of St. LouisÒ, Konfettiparade auf der Fifth Avenue und EntfŸhrung des 20 Monate alten Sohnes Ð in T Coopers Roman Lipshitz auf, den die in New York lebende Autorin Anfang September im Mare-Buchverlag vorstellte.

 

Gerade mal 33 Jahre alt ist T Cooper, die in ihrem zweiten Roman eine bewegende jŸdische Familiengeschichte aus der ersten HŠlfte des vergangenen Jahrhunderts erzŠhlt Ð und vielleicht ein bisschen ihre eigene. ãWer wei§ schon, was wahr ist und was erfunden, wenn es um die Familie gehtÒ, antwortet die junge Frau mit dem jungenhaften Aussehen, die ihren eigentlichen Namen Teresa auf den Buchstaben T reduziert hat, verschmitzt. Jedenfalls vertritt Cooper ihr Buch konsequent: Auf den rechten Oberarm hat sie das einmotorigen Flugzeug tŠtowiert, mit dem Oberst Lindbergh 1927 in knapp 34 Stunden allein Ÿber den gro§en Teich flog.

 

In ihrem Roman wird Lindbergh fŸr die JŸdin Esther Lipshitz, die es aus Russland ins texanische Amarillo verschlagen hat, geradezu zum Lebensinhalt. Auf ihn projiziert sie all ihre Liebe und all ihre Sorgen, nachdem sie einen ihrer Sšhne verloren hat. Wie das passieren konnte, wird in dem furiosen Prolog zu einem seltsam bewegenden Roman erzŠhlt, der hundert Jahre, zwei LŠnder und vier Generationen umspannt und von der Alten in die Neue Welt fŸhrt, vom Schtetl zum Hiphop.

 

Es beginnt damit, dass Esther mit ihrem Mann Hersch im Dezember 1907 in New York an Land geht. Sie sind mit ihren vier Kindern Ben, Schmuel, Ruben und Miriam an Bord der ãNew AmsterdamÒ vor den Pogromen im zaristischen Russland geflohen und hoffen auf einen Neuanfang. Esthers geliebter Bruder Avi ist schon Jahre vorher aus Kischinjow geflohen und mithilfe  der Galveston-Bewegung nach Texas ausgewandert, wohin auch die Familie Lipshitz mšchte.

 

Doch im GedrŠnge von Ellis Island geht Ruben, der jŸngste Sohn, verloren. ãEin kleines blondes Kind in einer langen Wolljacke, auf deren linkem Ellbogen ein doppelt aufgenŠhter Flicken sitzt.Ò Esther klammert sich an die Hoffnung, dass die jŸdische Einwandererhilfe HIAS ihr den verlorenen Sohn zurŸckbringt Ð vergeblich. Die beengten VerhŠltnisse, in denen sie bei Verwandten auf der East Side hausen, erleichtern ihren schweren Entschluss, nach Texas aufzubrechen Ð und Ruben aufzugeben.

 

Auf den ersten 360 Seiten schildert Cooper warmherzig die langsame Einwurzelung der Lipshits in Amarillo. Da Ruben verschwunden ist, Ben in New York sein Coming-out als Schwuler erlebt und Schmuel mit 21 Jahren stirbt, ist Tochter Miriam die Einzige, die fŸr den Fortbestand der Familie sorgt. Sie heiratet Sam Lazarus, der sich als wahrer Goldesel erweist und die Familie durch die schwierigen Zeiten der Wirtschaftskrise bringt. Mit diesem Teil der Geschichte wŸrde die Autorin auch meine Mutter fesseln, die Ÿber 80 ist und damals aus Ostpreu§en geflohen ist. Doch bei den letzten 130 Seiten wŸrde sie das Buch kopfschŸttelnd weglegen, weil sie weder Eminem kennt noch SŠtze wie ãIch hasse solchen Schei§Ò mag.

 

T Cooper, die in Los Angeles aufwuchs und einige Jahre als T-Rok in der Boygroup-Imitation The Backdoor Boys auftrat, liebt das Spiel mit der Geschlechterrolle ebenso wie das mit literarischen Mitteln. Am Ende des ersten, mit Dokumenten aller Art durchsetzten Teils, der 1942 mit Esthers Tod endet, bringt sich die Autorin im zweiten Teil, der 60 Jahre spŠter einsetzt und dabei zwei Generationen Ÿberspringt, selbst als Romanfigur ein: T Cooper, der ãletzte lebende LipshitzÒ ist jetzt ein Schriftsteller, der die Artikel aus der ãAmarillo Daily SunÒ in die Finger kriegt, die seine Vorfahrin in einer Hutschachtel aufbewahrt hat.

 

Durch den Unfalltod seiner Eltern Morris und Anna-Rose Cooper, geborene Lipshitz, 2002 ins verhasste Texas zurŸckgerufen, wird Cooper mit der Geschichte seiner Vorfahren konfrontiert. Vor Jahren hatte er sich nach New York abgesetzt, wo Hiphop sein Leben bestimmt: ãIch wollte der coolste jŸdische MC der Erde sein.Ò Und tatsŠchlich hat Cooper mit seiner Eminem-Show fŸr Bar-Mizwas riesigen Erfolg. Die MŠdchen sind verrŸckt nach seinen zornigen FlŸchen.

Den mit dem Faschismus liebŠugelnden Flieger mit dem Gewalt gegenŸber nicht abgeneigten Rapper in Verbindung zu bringen Ð das ist schon gewagt. Und es bleibt ein wenig das GefŸhl, dass die Ÿberraschenden Parallelen zwischen Lindbergh und Eminem der Autorin mehr bedeuten, als sie dem Leser zu vermitteln vermag. ãEs liegt in meiner Familie, dass wir von Blonden besessen sindÒ, sagt T Cooper am Ende lakonisch. Und sichtlich genie§t sie die Tatsache, dass sie einen Tag vor Eminem geboren wurde, am 16. Oktober 1972. Aber dass Lipshitz ein au§ergewšhnlicher Roman ist Ð daran besteht kein Zweifel.     Reinhard Helling

 

T Cooper: Lipshitz, aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit, Marebuchverlag, 492 Seiten, 24,90 Euro

 

 

 © 2006 Reinhard Helling

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