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    Nicht Himmel, nicht Hölle

            Junge Erzähler aus Israel beschäftigen sich mit dem dem Leben im Hier und Jetzt
 
 
 
 
Nach Gaza Blues, seinem ersten ins Deutsche übersetzten Band mit Erzählungen, die einige Kritiker an die Geschichten von J. D. Salinger erinnert hatten, war klar, dass Etgar Keret auf der Kurzstrecke zu Hause ist. Das zeigte er auch als Verfasser von Comics und Zeitungskolumnen sowie als Urheber von Drehbüchern für Filme und TV-Comedys. Auch Pizzeria Kamikaze (Luchterhand, 81 Seiten, 19,80 Mark), das neue Buch des in Israel mit traumhaften Auflagen belohnten 33-Jährigen, ist äußerst knapp ausgefallen.

In 26 Kapiteln erzählt Keret darin von Chaim und dessen seltsamen Erlebnissen an einem Ort, der nicht Himmel und nicht Hölle heißt, aber von beidem etwas hat. Viel anders ist es dort, wo der Ich-Erzähler nach seinem Selbstmord landet, aber auch nicht, „bloß eine Spur gräßlicher“: Es gibt Autos, Supermärkte und Kneipen, man kann sich im Fernsehen Talkshows ansehen und Cola light trinken. Der einzige wirkliche Unterschied zu der Gegend in Süd Tel Aviv, wo Chaim vorher gelebt hatte, besteht darin, dass es hier keine Menschen gibt, die vorhaben, sich umzubringen.
Das haben alle schon hinter sich: Die mit Narben haben sich entweder erschossen oder sind von einem Haus gesprungen. Oder sie haben sich die Adern aufgeritzt. Den Pillenschluckern und Gifttrinkern dagegen kann man äußerlich nichts ansehen. Deshalb werden sie hier die „Unverdorbenen“ genannt. Wie auch  Chaim, den der Ort anfangs ganz schön gestresst hat: „Lauter so positive Leute aus aller Welt, die, nachdem sie Schluss gemacht hatten, die andere Seite vom Schönen Leben entdeckten.“


Die kurzen Kapitel dieses kurzen Romans erinnern an die Bildtafeln eines Comics: Das erste Bild erzählt von der titelgebenden „Pizzeria Kamikaze“, in der Chaim schnell Arbeit findet. Im zweiten lernt er Uzi Galfand kennen, einen wahren Freund, mit dem er durch die drei Pubs vor Ort zieht. Im dritten Bild sehen wir die beiden Freunde im „Kadaver“ – die Lokalitäten haben alle so merkwürdige Namen –, und mit von der Partie ist Kurt Cobain, der Sänger von Nirvana, der in Chaims Augen ein „ganz schöner Tiefflieger“ ist.

Und so geht es munter weiter,  bis der Held am Ende sogar Orga wiedertrifft, seine Ex-Freundin, wegen der er Gift geschluckt hatte. Für ein Happy-End reicht es allerdings nicht, denn Orga ist inzwischen Gido verfallen, einem Mann, der sie mit merkwürdigen Zaubereien beeindruckt hat.
Keret gehört einer neuen Generation von Autoren an, die vom Alltag in einem Land erzählen, das die Vertreter der älteren Generation mit existenziellem Ernst beschrieben haben. Anstatt sich mit dem Holocaust oder der Politik auseinanderzusetzen, gilt ihr Augenmerk den Problemen Heranwachsender: der Liebe im Hier und Heute ­ Ausflüge in ein Leben nach dem Selbstmord eingeschlossen.

Auch Yael Hedaya gehört dieser Generation an. Sie wurde 1964 in Jerusalem geboren, studierte dort Philosophie und Anglistik und in New York Kreatives Schreiben. Ihr Debüt Liebe pur (Diogenes, 210 Seiten, 29,80 Mark) erzählt von zwei (leider bis zum Ende namenlos bleibenden) Menschen – einem Mann und einer Frau –, die sich bei einem blind date treffen. Schon über 30 und ihres Single-Daseins überdrüssig, beschließen sie, ihr Glück als Paar zu versuchen.
Von Anfang an dabei und eigentlich sogar Initiator dieses Versuchs ist ein kleiner Hund, ein Straßenköter – auch er hat keinen Namen –, der den beiden nach ihrem ersten Treffen hinterherläuft. Da er wundersamerweise denken kann, erfahren wir von ihm, wie aus ersten stürmischen Eroberungen Vertrautheit entsteht, wie diese langsam Risse bekommt und bald schon heftiger Streit an der Tagesordnung ist.

Je auf ihre Art verstehen beide Autoren ihr Handwerk. Während Keret auch Slapstick und Ironie bemüht, ist Yael Hedaya eher die traditionelle Erzählerin. Ihr Roman zeigt, dass die Ausbildung in Amerika nicht schadet. Und Kerets Buch, dass man sie nicht unbedingt braucht, wenn man etwas zu sagen hat.

© 2000 Reinhard Helling