Ein Eremit wird verfolgt
Zum 80. Geburtstag von Jerome David
Salinger
am 1. Januar 1999
Von
REINHARD HELLING
Wenn hier Jerome
David Salinger zum 80. Geburtstag am Neujahrstag 1999 gratuliert werden soll,
dann muss sich der Verfasser des Glckwunschs entscheiden: Ist er ein Fan des
amerikanischen Schriftstellers, respektiert er dessen Wunsch, einfach nur in
Ruhe gelassen zu werden. Ist er dagegen Journalist, versucht er, etwas Neues
ber den weltberhmten Eremiten in Erfahrung zu bringen, der 1951 The Catcher in the
Rye schrieb, sich an seinem 34. Geburtstag in ein
einsames Waldhaus in Cornish, New Hampshire,
zurckzog, seinem einzigen Roman drei Bnde mit Erzhlungen hinzufgte, 1955
Allison Claire Douglas heiratete, zwei Kinder bekam, 1965 mit der im New
Yorker abgedruckten Novelle Hapworth 16, 1924
einen Schlussstrich unter seine kurze Karriere zog und sich 1967 scheiden lie.
Ist der Verfasser allerdings beides Fan und Journalist wird er
einen faulen Kompromiss eingehen: Er wird versuchen, Salinger-Fans mit
Neuigkeiten zu versorgen, ohne den Einsiedler selbst zu involvieren.
Die Indiskretionen
berlsst er gern anderen. Dem Paparazzo Paul Adao
etwa, der dem fotoscheuen Autor mehrfach auflauerte, um ihn abzulichten. Oder
Paul Alexander, einem amerikanischen Journalisten, der Doubleday jngst eine
Biografie anbot, die der US-Verlag aber ablehnte, weil sie ihm als nicht
gengend belegt erschien. Oder Joyce Maynard, einer
Geliebten Salingers, die jetzt in At Home in the World (dt. Tanzstunden)
ihre Beziehung zu dem Autor 1972 aufarbeitet und dabei verrt, dass Salinger
damals Rohkost liebte, TV-Soaps und alte Filme. Auf ihrer Homepage hlt die Autorin,
die mit der New York Times Magazine-Titelgeschichte An Eighteen Year Old Looks Back on Life ihr Debt gab,
in einer Mischung aus psychologischer Selbsthilfetherapie und kommerziellem Narzismus (Tagesanzeiger) zudem Intimes aus ihrem
Privatleben feil. Ein echter Fan,
was die Weitergabe von Fakten ber Salinger betrifft, ist Stephen Foskett. Seit 1993 hat er seine Bananafish-Homepage
zu einer umfangreichen Materialsammlung zum Werk des Vier-Buch-Autors
aufgebaut. Nichts ber Salingers Privatleben zu verbreiten und bei Zitaten dem
US Copyright Act zu gengen, das das
Zitieren nur begrenzt erlaubt, brachte dem amerikanischen Computerfreak sogar
die Anerkennung von Harold Ober Associates ein. Und das ist gleichbedeutend mit
Salingers Segen.
Die New Yorker
Literaturagentur war fr den Einsiedler seit den 40er-Jahren, mehr noch aber in
den Jahren seit seinem Verstummen das, was Holden Caulfield,
der 16-jhrige Held aus dem Fnger im
Roggen fr Kinder sein mchte: ein Beschtzer. Als Dorothy Olding, Salingers langjhrigen Agentin, 1986 zu Ohren kam,
dass Ian Hamilton fr seine geplante Biografie J.D. Salinger: A Writing Life Briefe des Dichters plndern wollte,
die der Brite in Archiven aufgetan hatte, strengte Olding
einen Prozess an, der vor dem Obersten US-Gericht endete und ihrem Schtzling
Recht gab. Auf der Suche nach J.D.
Salinger hie dann die abgespeckte Fassung von Hamiltons Ermittlungen.
Seit Oldings Tod im Mai 1997 kmmert sich bei Harold Ober Chris
Byrne um die Unberhrtheit Salingers. Vor einem Jahr erwirkte er bei
Harvard-Studenten die Entfernung der von Salinger nie zum Nachdruck
freigegebenen frhen Stories, die diese ins Internet gestellt hatten. Als die
22 Geschichten 1974 schon einmal als Raubdruck im Umlauf waren, zahlte, wer die
beiden Bnde in Deutschland besitzen wollte, dafr gut und gerne 200 Mark.
Der neben Thomas
Pynchon berhmteste Eremit der amerikanischen Literatur wird weder um Tantiemen
betrogen, noch drfte er sich in seinem Ruhebedrfnis gestrt fhlen, wenn die
sprlichen Informationen ber seine Herkunft an dieser Stelle erstmals ergnzt
werden. Das einzige, was Biografen bisher an David-Copperfield-Zeug ber den
als Sonderling apostrophierten Autor aufspren konnten, war die Tatsache, dass
Jerome David Salinger am 1. Januar 1919 in New York seinem jdischen Vater Sol
Salinger und seiner schottisch-irischen Mutter (Maria) Miriam Jillich als zweites Kind geboren wurde.
Genealogische
Nachforschungen des Verfassers dieser Zeilen ergaben, dass J.D. Salinger
inzwischen drei Enkelkinder hat: von seiner 1955 geborenen Tochter Margaret Ann
aus unbekannter Verbindung Max (*1993); von seinem 1960 geborenen Sohn, dem mit
Betsy Jane Becker verheirateten Schauspieler Matthew Salinger, den Gannon (*1990) und Avery (*1994). Weit interessanter
freilich sind die Details, die der vterliche Stammbaum kroneabwrts
enthlt: Demnach liegen die Wurzel der Salingers in dem Stdtchen Sudargas im heutigen Litauen, etwa 200 Kilometer
nordstlich des alten Knigsbergs. 1827 lebten hier 373 Menschen, 1901 waren es
etwa 3000.
Hier kam gegen Ende
des 18. Jahrhunderts Solomon Salinger zur Welt, der mit einer gewissen Bertha
den Sohn Sidney zeugte. Diesem Sydney Salinger schenkte Sarah Cohen 1828 Hyman
Joseph Salinger, J.D.s Urgrovater. Dieser heiratete Dora Shereshevsky,
und sie bekamen in Tauroggen (heute: Taurag) –
der Stadt, die der am 30. Dezember 1812 zwischen dem preuischen General Graf Yorck von Wartenburg und dem
russischen General Graf Diebitsch geschlossen
Konvention ihren Namen gab –, drei Kinder: ein Mdchen namens Ada (*1869)
sowie die Brder Simon (*1860) und Barney Israel (*1874). Die Letztgenannten
waren es, die um 1900 nach Amerika auswanderten und dort eine reiche
Kinderschar zeugten. Aus Simons Ehe mit Fannie Copland gingen fnf Kinder
hervor: darunter J.D.s Vater Solomon, der am 16. Mrz1887 in Cleveland, Ohio,
geboren wurde und 1974 in New York starb.
Diverse Aussagen,
darunter die von J.D. Salinger selbst im Hamilton-Prozess, belegen, dass der
Autor auch nach seinem Rckzug aus der ffentlichkeit weiter schreibt.
Allerdings nur zu seinem eigenen Vergngen", wie er 1974 einem Reporter
der New York Times" mitteilte, den er angerufen hatte, um seinen rger
ber die Raubkopien seiner frhen Stories loszuwerden. Zu bezweifeln ist aber, dass wir noch zu
seinen Lebzeiten etwas von den neuen Arbeiten zu lesen bekommen, nachdem die
angekndigte Verffentlichung von Hapworth 16, 1924
als Buch, 1997 weltweit als Sensation gefeiert, noch immer auf sich warten lsst.
So bleibt uns,
seinen Fans, nicht weiter brig, als die Geschichten der Glass-Familie und die
Odyssee von Holden Caulfield durchs weihnachtliche
New York wieder und wieder zu lesen. Am besten im amerikanischen Original. Denn
nur dort finden wir den ganzen Catcher in
the Rye. Und nun, verehrter J. D. Salinger,
wnschen wir Ihnen alles Gute, einen ruhigen Geburtstag und beste Gesundheit,
auf dass Sie weiter einfach zu Ihren eigenen Vergngen schreiben und das Alter
ihres Grovater Simon Salinger erreichen. Der wurde vielleicht wissen Sie
das gar nicht 99 Jahre alt.
(zuerst
erschienen in: Rheinischer Merkur, 1. Januar 1999)
2014 Reinhard Helling
Zurck zur Salinger-bersichtsseite