Tschernobyl Journal (Band 1)
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Steine und Bomben

Ich verfolgte den letzten tragischen Bombenanschlag in London. Es tut weh zu sehen, wie wenig doch ein Menschenleben wert ist und wie wir uns taglich mit dem Zahlen der Toten beschaftigen mussen. Ob sich jemals jemand gefragt hat, was passieren wurde, wenn Terroristen Zugang zu Atomkraftwerken erhalten wurden? Wenn man auf meine Tschernobyl-Seiten schaut, sieht man was passiert, wenn nur 10% Strahlung in die Atmosphare gelangt, der Rest befindet sich unter dem Sarkopharg. Wenn die Olpreise weiter steigen, werden Atomkraftwerke wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schie?en. Wir bauen heutzutage alle unsere Hauser aus Glas. Ich denke, wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Bomben werfen ....

August, 2005.

UN Report

2006 ist der 20. Jahrestag der Tschernobyl- Katastrophe. Viele Pro- Nukleare Kraftegruppen sind bemuht positive " Neuigkeiten" und " Reports" zu veroffentlichen, um die negativen Auswirkungen der Katastrophe in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Nachfolgend ein Ausschnitt eines solchen neuveroffentlichten offiziellen Berichtes des Tschernobyl Forums, welches im September 2005 in Wien tagte:

"Die Anzahl der Personen die in Folge der radioaktiven Strahlung aufgrund des Tschenobyl- Unglucks gestorben sind, betragt 56.... sagten die UN am Montag"

Vor nicht langer Zeit gaben offizielle Stellen ca. 4000 Tote als Folge der Tschernobyl Katastrophe zu. Mit dem immer weiteren Ansteigen der Olpreise wurden, die Stimmen, die mehr von der so "gunstigen" Atom- Energie fordern, so einflussreich, dass die Opferzahlen nach unten korrigiert werden mussten.

Nun, wir sehen hier die Hilflosigkeit und zugleich die Schlauheit der Pro-Atom Lobby. Sie erhohten die Opferzahlen von den "offiziellen" 31 auf die 56 Tote. Sie konnen sich gegenuber ihren Kritikern brusten, dass ihr neuer Report die offiziellen Angaben der Tschernobyl Opfer fast verdoppelt hat. Aber diese Angaben sind nichts als Tricks und eine Unverschamtheit gegenuber uns allen.

Jeder Versuch, die Zahl der Toten zu ermitteln ist reine Spekulation. Niemand von uns wei?, wieviele es waren bzw. wieviele es am Ende sein werden - noch nicht mal ungefahr.

Mein Nachbar der in Tschernobyl gearbeitet hat, starb im Alter von 56 Jahren an Krebs. Wie sollen wir wissen, ob er diesen Krebs wegen seiner Arbeit in Tschernobyl bekommen hat und ob wir ihn in die Liste der Opfer aufnehmen sollen... Wie auch immer, es gibt einige Personen, die wir auf jeden Fall in die Liste aufnehmen sollten: Aufraum-Trupps, Feuerwehrleute, Hubschrauberpiloten, Soldaten... Was ist mit ihnen ? Warum gibt es keine offizielle Angabe, die diesen Personenkreis in die Opferliste aufnimmt ?

Hier sind zwei weitere offizielle Verlautbarungen, die genausoweit von der Wahrheit entfernt sind, wie die offiziellen Opferzahlen:

Viele evakuierte Gebiete sind jetzt sicher und die Gebiete die als contaminiert klassifiziert wurden waren zu gro?. Abgesehen von der immer noch geschlossenen und stark verstrahlten 30 km (19 Meilen) - Zone, die den Reaktor und einige umgebende Seen und Walder beinhaltet, ist die Starke der Strahlung auf einen akzeptablen Wert gesunken.

Es ist unmoglich fur uns, die Opfer zu zahlen, aber wir konnen bei einer Fahrt die hunderte Meilen von nuklear verstrahltem Odland sehen, wenn wir vorbeifahren. Sie sprechen nur uber die 30 km - Zone rund um den Reaktor, aber das ist nur ca 1/8 des gesamten Gebiets, welches mit Radioaktivitat verseucht wurde. Ich habe eine Karte auf meiner Webseite, welche das gesamte Gebiet im Verhaltnis zu Europa zeigt. Es gibt keine Informationen uber Wei?russland, keine Informationen uber den russischen Teil von Tschenobyl. Diese Gebiete sind fur Besucher geschlossen.

Die Level der Radioaktivitat sind wieder auf einen akzeptablen Wert gefallen. Aber das ist nur die Folge aus der Tatsache, da? sich die Radioaktivitat 1986 noch auf der Oberflache befand, wahrend 1989, also drei Jahre nach der Katastrophe, 90% der Radioaktivitat sich in 2 cm Tiefe befunden haben. Aktuell ist die Radioaktiviat in einer Tiefe von 20 cm unter der Erde vorhanden. Das macht weitere Dekontaminations-Prozesse unmoglich. Manchmal bricht der Boden auf und die Werte steigen wieder auf das ursprungliche Niveau, ahnlich wie bei Americium

Nach dem UN-Report beginnt die Bevolkerung wieder, sich in dem Teil des Landes niederzulassen, der die lt. UN sicheren Level der Radioaktivitat erreicht hat. Lassen Sie mich versichern, dass dem nicht so ist. In jedem Jahr, in dem ich durch das Land reise, sehe ich mehr und mehr verlassene und verwustete Dorfer und Stadte. Das gesamte Areal stirbt. Einer der Grunde warum die Bevolkerung nicht wieder zuruckkehren will ist der schnell errichtete Sarkopharg, bei dem immer noch Einsturzgefahr besteht.

Fast 20 Jahre sind seit dem Unfall vergangen und man hat noch immer nicht damit begonnen einen geeigneten Sarkophag fur den Reaktor zu bauen. Wie kann es sein, das dieser reichste Industriezweig nicht das notige Geld aufbringen kann um einen neuen Sarkophag zu bauen? Sie haben genugend Mittel um neue Reaktoren zu bauen, um Politiker und Nachrichtenorgane rund um die Welt zu bestechen, sie haben genug Einfluss um die veroffentlichten Opferzahlen so lange Zeit derart niedrig zu halten, aber sie haben weder die Mittel noch den politischen Willen um die Bevolkerung Europas vor den Folgen einer Nuklearen Kernschmelze zu schutzen.

Im weiteren sagt der UN-Report:

Die noch unter der Sowjet - Union begonnenen Umsiedlungs- und Sanierungs- Programme waren nach 1991 nicht mehr durchfuhrbar. Die finanzielle Unterstutzung der Projekte blieb aus. Viele Projekte wurden vernachlassigt und blieben unvollendet da viele der versprochenen Beihilfen nicht finanziell abgedeckt waren. Ferner wurden weitreichende Vergunstigungen fur die gro?e Kategorie an " Tschernobyl Opfern " angeboten, deren Zahl sich bis auf 7 Millionen erweiterte, die anspruchsberechtigt sind fur Pensionzahlungen, spezielle Zuwendungen und Gesundheits Zuzahlungen, bezahlten Urlaub und Familien- Zuschusse. Diese Tschernobyl Zuwendungen verhindern, dass fur andere offentliche Bereiche Gelder vorhanden sind, aber Zuwendungen zu verringern, oder nur den Hoch- Risiko Gruppen zu gewahren, ist unpopular und fuhrt zu politischen Problemen.

Bedingt durch die deutliche Verringerung der Strahlung in den letzten 20 Jahren, muss die Regierung die Klassifizierung der kontaminierten Gebiete uberarbeiten. Viele Gebiete die fruher als riskant eingeschatzt wurden sind tatsachlich sichere Wohngebiete und konnten kultiviert werden. Die gegenwartigen Richtlinien sind bei weitem zu restriktiv und mit den gemessenen Radioaktivitatswerte nicht zu rechtfertigen.

Diese Zuwendungen sind es fast nicht wert erwahnt zu werden, wir alle hier wissen wie "gro?zugig" die postsowjetischen Beamten mit speziellen Zuwendungen und Gesundheitsvorzugen umgehen. Die Zuwendungen sind praktisch nicht mal der Stra?enbahnfahrkarte wert um hinzufahren und sie abzuholen.

Den Opfern von Tschernobyl hatte es sicher besser getan, wenn sie das Geld erhalten hatten, welches fur irgendwelche der Seminare und Foren ausgegeben wurde, die man sicher nicht benotigt.

Aber egal, ich will nur erreichen, dass jeder wei? wie die Dinge sich tatsachlich darstellen am 20. Jahrestag der Katastrophe. Tschernobyl ist nicht einfach ein Stuck Vergangenheit. Was die Staatsvertreter verbergen, konnte die Zukunft unseres ganzen Planeten werden, wenn wir eines Tages fur die ganzen Lugen, Heucheleien und die Habgier unseres Systems bezahlen mussen.

September, 2005

Die ohrenbetaubende Stille

Ich wuchs in der Sowjetunion auf und auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung war erinnere ich mich noch an die unentrinnbare Unterdruckung einer totalitaren Gesellschaft. Dies ist vergleichbar mit dem Versuch mit einem gut gestimmten Klavier zu spielen und dabei von einem Orchester begleitet zu werden, dem einige Tone fehlen, da der Staat entschieden hat, dass es einfach uber zu viele Tone verfugt und deshalb aus der Tonleiter des Orchesters einige gestrichen wurden.

Funf Jahre nach dem Nuklear Unfall brach die Wirtschaft der Sowjetunion zusammen. Das war eine gute Sache, es schien fur einen Moment der Weltfrieden am Horizont aufzutauchen. Aber diese Hoffnung ist bereits wieder ausser Sichtweite geraten und alles um uns herum geriet wieder ausser Kontrolle und stimmte in den alten Gesang ein, dessen disharmonischen Obertone die Kriege und den atomaren Wahnsinn wiederhallen lassen. Das Metronom unseres unvermeidlichen Ruins schlagt nun jeden Tag lauter und lauter.

All dies macht es wichtiger denn je uns der gro?en Aufgabe zu widmen uns darauf zu konzentrieren die leisen Tone derer wahrzunehmen, die wie wir denken. Uns darauf einzustimmen, umgeben von ungeheurem Larm, die feinen Harmonien wahrzunehmen die sich am Ende uber diese larmende Wand erheben mussen, wollen wir nicht alle am Ende durch nichts als von ohrenbetaubender Stille umgeben sein, nachdem die letzten Gelegenheit entschwunden sein wird.

December, 2005

Tschernobyl Selbstmorde

In den ersten paar Jahren nach der Katastrophe wurde eine sehr hohe Selbstmordrate gemeldet. Der Gedanke an Selbstmord kommt schleichend, wenn der Terror des Lebens versucht den Terror des Todes zu verdrangen. Wer zweifelte daran, da? Tschernobyl die gesamte Menschheit mit seinem Terror ubersat ?

Man hat jetzt die Schuld auf jene gelegt, die sich selbst das leben nahmen: Valery Legasov oder der erste Sekretar der kommunistischen Partei Sherbitsky. Ich glaube wirklich an die schlechten Seelen. Wer nach der Katastrophe Selbstmord beging, war kein echter Bastard. Warum nicht? Echte Bastarde sind Morder, keine Selbstmorder.

Dezember, 2005

Uber die Politik der UN (Auszug eines Interviews im Bikenet Onlinemagazin)

Frage: Denken sie wirklich, da? Menschen uberall auf der Welt ihre Berichte glauben werden ? Nehmen sie an, dass die Durchschnittsbevolkerung dumm und einfach denken ? Was konnen Menschen tun um sicherzustellen, da? die Tschernobyl-Katastrophe nicht unter den Teppich gekehrt und vergessen wird ?

Antwort: Jeder den ich kenne war vom Bericht der Vereinten Nationen im September 2005 erschuttert. Auch wenn wir ahnten, da? sie uns fur Dummkopfe hielten, konnte niemand erwarten das sie mit ihren Lugen so offensichtlich und offensiv waren. Aber seht, was im Irak passiert. Dieser Krieg ist das Ergebnis der ganzen Politik der Vereinten Nationen und sie sehen die gesamte arabische Welt als eine gro?e, stumme Tankstelle, mit ihren gefalschten Berichten daruber, da? der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt. Jetzt wo klar ist, da? sie keine besitzen, wird jeder Iraker versuchen an solche zu gelangen, sobald die internationalen Schutztruppen das Land verlassen.. Sie hatten nichts mit Al Kaida zu tun, jetzt ist Al Kaida im Land. Im Iran wollten versuchten sie das Plutonium fur eine Atomwaffe zu bekommen. Viel schlimmer ist, da? Osama bin Laden jetzt ein Held fur viele Millionen geworden ist. Bin Laden ist nicht mehr der Chef einer Bande von Kriminellen und Mordern, sondern der Anfuhrer einer gro?en politischen Splittergruppe in der Arabischen Welt. 60% der arabischen Bevolkerung befindet sich in einem Alter von unter 20 Jahren. Das sind 840 Mio. Teenager ! Viele von ihnen wollen wie Osama sein. Er ist ihr 'Elvis', der ein AK-47 statt einer Gitarre tragt. Sie wollen nicht lernen, wie man Gitarre spielt oder ein Auto volltankt um damit zum Highscool-Ball zu fahren. Sie wollen lernen, ein Auto mit Dynamit zu fullen und jeden toten der die Worte des Korans nicht rezitiert. Jetzt hasen sie uns. Es gibt taglich Menschen, die grundlos sterben und das ist das Ergebnis der Berichte der Vereinten Nationen. Jeder sollte die Tschernobyl-Geschichte aktiv in seiner Erinnerung behalten.

Januar 2006

Neue Reaktoren

Die Ukraine wird neue Reaktoren bauen. Dies war eine der ersten Entscheidungen des neuen Parlaments, sie nennen es 'Energie-Unabhangigkeit’. Wir produzieren bereits mehr Elektrizitat als wir benotigen und unterstutzen schon jetzt unsere Nachbarlander mit Strom aus unseren Kernkraftwerken, sie wollen einfach nur noch mehr verkaufen. Geld wird auf Kosten der Gesundheit unserer Burger, und ohne dass die Burger etwas dagegen tun koennen, gemacht. Dass ist so, weil in meinem Teil der Welt Kernenergie im Parlament immer Unterstutzung findet, gleichgultig welche Partei die Wahlen gewonnen hat. Lassen Sie mich das etwas besser erklaren:

Wenn Sie das Parlament der Ukraine unter die Lupe nehmen, haben sie zunachst den Eindruck, dass das politische Leben am Kochen ist. Mehr als 50 Parteien zerfallen und bilden andauernd neue Koalitionen. Es wird viel Aufheben gemacht und man geht in alle moglichen politischen Richtungen. Bei weiterer Betrachtung, werden sie feststellen, dass diese Unzahl von Abgeordneten keinerlei politische Veranderungen herbeifuhrt. Das hangt damit zusammen, da? wir die gleichen Leute in der Politik haben, die auch schon zu Sowjet-Zeiten dort aktiv waren, nun aber noch verstarkt mit Verwandten und Proteges. Egal, wie sich eine neue Regierung gebildet hat, es sind immer die gleichen Personen anwesend. Wie in einem Kaleidoskop erscheint standig ein neues Bild im Auge des Betrachters. Sie konnten jetzt annehmen, da? sich etwas geandert hat, aber in Wirklichkeit sehen sie nur eine neue Kombination der alten Bilder wie sie auch ein neues Glasbild im Kaleidoskop sehen wurden. Deshalb ist unser Parlament noch immer dasselbe und die Mitglieder, die vor Jahren bereits den Ausstieg aus der Kernenergie unterstutzten, sind nun wieder dafur.

Wir haben versagt, wir sollten neue Abgeordnete wahlen und nicht auf die Versprechen derselben alten Halunken horen. Wenn diese namlich versprechen aus Friedens- oder Sozialharmoniegrunden zuruckzutreten, ist ihr Rucktritt immer durch eine Notwendigkeit begrundet. Sobald ihnen eine Chance zur Ruckkehr in die alten Position geboten wird, kehren sie ihrem Frieden und der Sozialharmonie den Rucken und greifen nach dem Gewohnten mit derselben Leidenschaft wie Feuer olgetranktes Holz verzehrt.

April, 2006

Grunes Kap

Heute ging ich in den Buchladen, um nachzusehen, was momentan uber Tschernobyl lieferbar ist. Ich fand zwar ganze Bucherregale voll bunter Magazine uber Sex+Crime, Rock and Roll und Mode, aber nicht ein einziges Buch uber das Odland ein paar Hundert Kilometer nordlich von Kiev.

Im Herbst 2005 kehrte ich zu der Stadt am „Grunen Kap“ zuruck, wo ich vor Jahren mit dem Motorrad oft unterwegs war. Aber die Stadt ist nicht mehr auffindbar und ich mu?te schlie?lich akzeptieren, da? sie zerstort wurde. Nach der Explosion des Reaktors wurde das nur 50 Kilometer sudlich davon gelegene „Grune Kap“ ein weiteres Kapitel in der Nuklearstatistik. Heute ist kein einziges Gebaude davon ubrig geblieben, kein Denkmal, nichts erinnert daran, da? hier einmal eine Stadt stand. Es wurde vom Erdboden ausradiert – genauso wie die Bucher uber Tschernobyl im Handel sich in Luft aufgelost haben.

Im Fruhjahr 2006 fallen mir weitere Dorfer und Stadte auf, die ausradiert wurden – alles Kollateralschaden von Tschernobyl. Ich vermute, da? die Regierung der Ukraine in den nachsten Jahren alle verbliebenen Ortschaften niederrei?en und den strahlenden Bauschutt, der dabei entsteht, auf eine Halde als Endlager in der Nahe des Reaktors transportieren la?t.

Der Tourismus in Tschernobyl wird keine Zukunft haben, weil alles durch die Natur so uberwuchert ist und die noch verbliebenen Gebaude beginnen, baufallig zu werden. Die Idee, aus der Region eine touristische Attraktion zu machen, wird kaum Unterstutzung bei der hohen Politik haben, weil die Einnahmen der Reiseveranstalter den Einbruch bei den Profiten der Nuklearindustrie nicht annahernd wett machen konnen. Deshalb werden die unubersehbaren Geisterstadte rund um Tschernobyl wohl noch innerhalb dieser Generation entsorgt werden. Vielleicht wollen sie ja sogar eines Tages Pripjat beerdigen, die weithin gro?te Geisterstadt.

Wer wird wohl derjenige sein, der die beruhmten letzten Worte uber die Ruinen sagen wird –und welche Worte sollen das sein ? „Staub zu Staub, Asche zu Asche, Isotop zu Isotop.....?“

Marz 2006

Die Trauer der Beamten

Staatstrauerfeiern und offizielle Zeremonien verkorpern meist eine ausgezeichnete Dramatik. Die uberzeugendste Darbietung sollte wirklich pramiert werden. Vielleicht konnte man dafur aber auch einen Russischen oder Ukrainischen Akademiepreis vergeben.

Wie in einem Hollywood-Film sind sie peinlich genau inszenierte Illusionen. Das sogenannte „Tschernobyl-Requiem“ an jedem 26. April scheint die allerbeste dieser Inszenierungen zu sein.

Kurz nach Mitternacht versammelt sich eine gro?e Menge traurig dreinschauender Politiker am Denkmal fur die Tschernobyl-Opfer in Kiew. Sie stehen da in langen Reihen. Jeder halt eine Kerze in der Hand, und alle miteinander versuchen ihr angebliches Mitleid mit den Toten und den ungeboren Opfern von Tschernobyl zu demonstrieren.

Mit leicht geneigten Kopfen ziehen sie langsam voruber, um dort ihre einstudierte Mimik von instandiger Trauer abzuwickeln. Mit dieser erbarmlichen Szenerie schandlich hohler Heuchelei prasentieren sich in der Hauptrolle immer die gleichen Leute, diejenigen namlich, die fur die Tschernobyl-Tragodie unmittelbar verantwortlich sind, genau diejenigen, die still gehalten und die Wahrheit daruber verheimlicht haben. Und sie fullen sich noch immer ihre Taschen, als Unterstutzer und Finanzmakler fur weitere neue Kernreaktoren.

Zum letzten Crescendo marschiert dann die geordnete Horde der Oligarchen und Minister in eine Kirche voller sorgfaltig aufgestellter Kameras – aber nicht, um dort fur ihre Schandtaten um Vergebung zu bitten, sondern allein um ihrer verabscheuungswurdigen Prozession einen Hauch von feierlicher Wurde zu geben. Vor Jahren haben sie die Christen in psychiatrische Anstalten und Arbeitslager eingewiesen, aber nach neuen staatlichen Spielregeln wird verlangt, den Glauben an eine Religion vorzutauschen.

So stehen sie dort – demutigen Blicks, mit Kerzen in der Hand, und dem Gebaren einer vorlaufig ubernommenen Frommigkeit. Sie nannten sich fruher Kommunisten, Marxisten und Atheisten, und heute bekreuzigen sie sich alle – von links nach rechts, von rechts nach links – und der Kirchenpatriarch, ein fruherer KGB-Spion, scheint ihnen dabei den letzten Segen zu geben. Diese vorgeblichen "Christen" bringen uns dazu, wirklich zu wunschen, da? Jesus zuruckkommen wurde.

April, 2006

Aus dem Interview mit Dagens Nyheter, einen Tag bevor mein Buch veroffentlicht wurde:

Warum widmest Du so viel deines Lebens dieser Katastrophe ?

Einige dieser Stadte und Dorfer werden mit der Zeit vollig zerstort sein und ich mochte nicht, da? die Erinnerung daran mitstirbt. Ich mochte in Bildern, Videos und Kurzgeschichten dokumentieren, wie ich Tschernobyl sah. Ich bin mir sicher, da? kunftige Generationen meinen Aufwand zu wurdigen wissen.

Wie wurdest du die Lebensumstande in dieser Region beschreiben, aus der Zeit, als Du noch ein Kind warst ?

Ich habe mein ganzes Leben in Kiev, das 130 km sudlich von Tschernobyl liegt, verbracht. Ich war nicht unmittelbar in der Region Tschernobyl, als die Katastrophe sich abspielte. Meine erste Reise fuhrte mich 1992 in den wei?russischen Teil der betroffenen Region. Erst spater fuhr ich durch den russischen Teil und ich war beeindruckt von der ungeheuren Gro?e der radioaktiv verseuchten Flache.

Wie wird dieses Thema, die Tschernoyl-Katastrophe, in Deinem Land heute diskutiert ?

Unglucklicherweise werden die menschlichen Konsequenzen dieser Katastrophe nicht mehr oft thematisiert. Sie aus unserem Gedachtnis zu streichen, das war die Politik unserer Regierungen die gesamte Zeit seither. Man findet kein Buch uber die Geschichte von Tschernobyl im Handel. Jetzt, aktuell, sehen wir zwar die Filme und Dokumentationen uber die Katastrophe vom 26. April. Aber selbst diese zeigen lediglich die technologische Seite der Kernreaktion und der fehlerhaften Ingenieurkonstruktion.

Auch die ‚Revolution in Orange’ von 2004 brachte uns keinen Fortschritt. Die offiziellen Zahlenangabe der durch die Katastrophe Getoteten wurde lediglich von 31 auf 56 angehoben. Die Ukraine will sich nicht von russischem Ol abhangig machen und plant deshalb den Neubau weiterer Reaktoren. Unser Prasident erklart stolz, da? wir Elektrizitat nach Moldawien und Wei?russland exportieren.

Wie wird Deiner Meinung nach Tschernobyl kunftige Gererationen beeinflussen ? Physisch und psychisch?

In diesem Fruhjahr habe ich verschiedene Bereiche der Tschernobyl-Region wieder bereist. Ich sah neue tote Siedlungen 60 bis 90km westlich des Reaktors. Man finden menschenleere Bereiche bis 250 km nordlich des Reaktors. Die Menschen verlassen diese Orte. Es scheint, als ob die Flachen, die radioaktiv verseucht wurden, keine Chance zum Uberleben lassen. Uber kurz oder lang verlassen alle Menschen den Ort. Das ist die traurigste Folge: Orte mit teilweise jahrtausendealter Geschichte stehen nun als Ruinen da. Das ist jedoch nur das, was wir unmittelbar sehen konnen. Wir konnen nicht wahrnehmen, welche Folgen Tschernobyl auf die Gesundheit des Menschen nach sich zieht. Alle Statistiken zu dieser Frage werden sehr kontrovers diskutiert. Ich bin davon uberzeugt, da? Tschernobyl bei jenen Menschen, die heute noch in der Region leben, sowohl korperliche als auch psychische Konsequenzen hat. Menschen, die in anderen Regionen der Ukraine leben, passiert dies nicht. Die Entscheidung, neue Reaktoren zu bauen, erfolgte ohne offentliche Debatte oder Proteste. Die Bewohner der Orte, in denen die neuen Kraftwerke entstehen, interessieren sich mehr fur die neuesten Klingeltone ihres Handies –offenbar sind sie zielstrebig dabei, ihre kunftigen Erbanlagen zu Gunsten von ein paar Jobs und fur schnelles Geld zu verkaufen. Katzengold –meine ich. Ich bin keine Anti-Kernkraft-Aktivistin. Ich bin einfach nur der Meinung, wir sollten aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und deshalb keine weiteren Kernreaktoren in der Nahe von Siedlungen bauen.

Kannst du mir erzahlen, was du genau an jenem 26. April gemacht hast ?

Am 26. April wu?ten wir noch gar nichts uber einen Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl. Ich war noch sehr jung und spielte mit anderen Kindern auf der Stra?e. fur den nachsten Tag, einem Sonntag, hatten meine Eltern vor, unser Wochenendhauschen zu besuchen, aber es gab weit und breit keine Omnibusse. 1200 Busse wurden nach Pripjat gesandt, um die Bevolkerung dort zu evakuieren. Mehrere Hundert Busse daruberhinaus fur die Menschen in den anderen Orten in der Nahe des Reaktors. Erst an diesem Abend kam die erste offizielle Nachricht uber die Katastrophe im Fernsehen. Sie dauerte ganze 14 Sekunden. Mein Vater ist von Beruf Nuklearphysiker. Am nachsten Tag brachte er ein Strahlungs-Me?gerat von der Arbeit mit nach Hause. Es war ein gro?er Koffer. An den beiden nachsten Tagen blieben die Strahlungspegel normal. In diesen Tagen zog die Wolke Richtung Schweden und Kiev blieb verschont. Der Sudwind schutzte uns. Am 1. Mai anderte der Wind seine Richtung und wir konnten bei uns daheim eine Strahlung von 1 Millirontgen pro Stunde ablesen. Das ist 100 mal hoher als normal. Ich werde nie das Gesicht meine Vaters in diesem Augenblick vergessen – er packte meine Schwester und mich, setzte uns in den Zug und sandte uns zu unserer Gro?mutter aufs Land, weit genug weg von der Strahlung.

April, 2006

Der Wucherzins der Zeit

Wenn eine bestimmte Region oder eine Zivilisation auf Dauer uberleben will, so muss das dem Interesse der Natur und nicht nur dem Profit dienlich sein. Okologen sagen, dass seit der Entstehung der Menschheit bis 1980 vom Menschen nur soviel Energie verbraucht wurde, wie sich gleichzeitig in der Natur regenerieren konnte. Erst mit Beginn der 80er Jahre haben wir jenen Punkt uberschritten, an dem wir anfingen unser Kapital auszugeben - 1980 verbrauchten wir erstmals 100 Prozent der vorhandenen "Jahresenergie" der Erde. Im Jahre 2005 waren wir dann schon bei 130 Prozent, die Erde braucht nun 16 Monate um das zu erzeugen was wir in 12 Monaten an Energie verbrauchen. Es kann sein, dass solche Zahlen unprazise sind, aber sie zeigen auch eindeutig wie wir auf dem Weg sind bankrott zu gehen.

Mit dem neuen Programm der industriellen Entwicklung will die Ukraine in den nachsten 15 Jahren 15 neue Kernkraftwerke bauen. Diese Daten belegen, da? wir nun eine Epoche der "Renaissance der Kernkraft" erleben - und das nicht nur hier, sondern uberall auf der Welt. Die atomare Energie wird uns als Allheilmittelfur alle okonomischen Probleme prasentiert und hinsichtlich der Umwelt als "saubere Energie" vorgefuhrt, die uns vor dem Bankrott rettet. Leider unterschlagt man uns nur, da? wir gerade eine neue Hypothek aufnehmen, und wir nun Opfer der schlimmsten Art von Wucher werden, des Wuchers mit der Zeit. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir die Zinsen zu zahlen haben, und das zu einem Zinssatz, der ruinoser ist, als jeder andere Glaubiger fordern wurde...

29. Mai 2006

Mehr uber den Zinssatz der Zeit

Ich mochte mit ein paar Beispielen klarmachen, was der Wucherzins der Zeit bedeutet. Sie sind nicht schwer zu finden. So zum Beispiel der Athlet, der Anabolika nimmt. Er nimmt eine Anleihe bei der Zeit, um seine korperliche Hochstform in der Gegenwart zu finanzieren. Aber diese Anleihe ist hoch verzinst – und wird spater eingefordert, in Form einer tragischen Schwache oder chronischen Krankheit.

Wer sein Motorrad aufbohrt, kann schneller fahren, aber nicht sehr lange. Aufgebohrte Maschinen halten nicht.

Man kann zum Beispiel einen Baum innerhalb weniger Tage dazu bringen, Fruchte zu tragen, aber das wird auch die einzige Ernte sein, die dieser Baum tragt. Danach wird er verdorren.

Man hat geglaubt, man konnte mit Hybrid-Saatgut und Chemie-Wirtschaft die Nahrungsmittelkrise auf dem Planeten verzogern. Ein halbes Jahrhundert schon manipulieren Regierungen und Konzerne die Nahrungsmittel der Menschen – mit relativ geringem Erfolg, gemessen am Schaden, den der Erdboden erleidet, und um den Preis der genetischen Vielfalt. Die Langzeitauswirkungen fur die menschliche Gesundheit sind noch nicht bekannt, aber Ubergewicht ist bereits zu einer internationalen Volkskrankheit geworden – Ubergewicht als grafische Illustration des sich aufblahenden Zinssatzes, den die Menschheit dafur zahlen muss, dass sie Pflanzen in unnaturliche Wachstumsmuster zwingt.

Jeder, der Nahrung oder Medizin kauft oder uber neue Energiequellen entscheiden will, sollte sein Sicherheitsrisiko kalkulieren. Jeder sollte eine universal anwendbare Maxime im Auge behalten, die Kaiser Napoleon zugeschrieben wird: "Alles, was nicht naturlich ist, ist unvollkommen." Vergessen wir nicht diese alte napoleonische Regel. Aber nicht nur ist alles Unnaturliche unvollkommen und sein Konsum nachteilig, es ist auch sehr profitabel fur den, der es produziert.

Im Augenblick erzeugt der blinde Glaube an den Fortschritt und all seine scheinbaren Wunder eine Art der Arroganz. Fur die meisten dieser Wunder, fur die Verletzung von naturlichen Prinzipien zugunsten eines kurzfristigen Gewinns, werden wir in der Zukunft einen sehr hohen Preis zahlen mussen.

Mai 2006

Uber die Schuld gegenuber der Natur und die Natur von Schulden

Charles Dickens hat etwas sehr Einfaches und Wahres uber Schulden gesagt: Wenn ein Mann zwanzig Pfund im Jahr verdient, und er verbraucht neunzehn Pfund, neunzehn Schillinge und Sixpence, so ist er ein glucklicher Mensch, aber wenn er ein einziges Pfund mehr ausgibt als die zwanzig, die er hat, so ist er bedauernswert.

Das gilt, sehr einfach, fur die Schulden einzelner Menschen. Fur Schulden bei der Natur ist es nicht so einfach, denn es gibt keine Skala, auf der wir ablesen konnten, wo wir mit unseren Anleihen stehen – das durfte der Grund dafur sein, warum die Menschheit von ihrer „okologischen Kreditkarte“ lebt und die Natur auf Dauer mi?braucht. Es gibt jedoch schon Symptome, wie Kriege um Ol oder die Eile, mit der neue Kernkraftwerke geplant werden, die erkennen lassen, da? die leicht zuganglichen Energiequellen allmahlich versiegen. Diese Symptome sind noch nicht katastrophal, aber der Trend ist offensichtlich – sie markieren den Weg in den Mangel.

In den 90ern haben Experten auf unterschiedlichen Gebieten angefangen zu verstehen, da? die Chance eines selbsterhaltenden Energiesystems, das nicht alle kommenden Generationen dem Wucherzins der Zeit ausliefert, gerade verstreicht.

Die Halfte der Nobelpreistrager der Welt warnt, da? dies die letzten, wenigen Jahre sind, in denen die zivilisierte Welt noch Zeit und Mittel hat, positive Veranderungen einzuleiten und die Grenzen der Wirtschaft mit denen der Natur abzustimmen.

Kluge Menschen sind ubereinstimmend der Meinung, dass es besser sei, ein Leben mit geringerem Lebensstandard und Energieverbrauch zu fuhren als gar kein Leben. Sie warnen dass das heutige Fehlen von Vorsorgemassnahmen das Risiko des Niedergangs unserer Zivilisation bedingt. Wenn wir jetzt, im Uberfluss lebend, nicht handeln, werden wir die Dinge spater nicht mehr in den Griff bekommen, wenn sie einmal aus dem Ruder gelaufen ist. Wir haben die Wahl nur, wenn wir Erfolg haben, ein Niedergang des Wachstums reduziert unsere Moglichkeiten – Bettler haben keine Wahl.

Heute wie in fruheren Zeiten warnen uns weise Menschen vor zukunftigen Katastrophen. Die UN wurde vermutlich ebenfalls weisen Menschen gegrundet. Sie sollte auch die Instanz sein, die den sich verschlechternden Zustand der Welt umkehrt. Stattdessen bedient sie heute selbstsuchtig die Interessen des nuklearen Monsters und seiner Lobby aus Konzernen.

Mai 2006

Nachbemerkungen zum 20.Jahrestag der Reaktorunglucks

Der 20. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe brachte uns keine dauerhaften Losungen fur den Umgang mit dem Kernmonster. Es gab viel Larm im Fernsehen und in anderen Nachrichtenmedien und viel Geschrei in der Presse, aber das meiste davon waren nichts weiter als Lippenbekenntnisse, gesponsert von zahlreichen Organisationen und lokalen Nuklearbaronen mit keinem anderen Interesse als die Offentlichkeit Irre zu fuhren.

Inzwischen schreiben wir Mitte Juni 2006 – nur wenige Monate danach. Und das einzige, was noch an diese Jahrtausend- Tragodie erinnert, sind ein paar Bildbande und einige Filme. Gleichzeitig findet die Fu?ballweltmeisterschaft in der Offentlichkeit tausendmal mehr Aufmerksamkeit als der 20. Jahrestag von Tschernobyl.

Die einzigen Tage, an denen solche Themen, wie die Katastrophe von Tschernobyl an die Offentlichkeit rucken, sind die Jahrestage. Dann werden die Themen aufgewuhlt und verfalscht, so dass es fur die Offentlichkeit keinen Weg gibt um den Dingen auf den Grund zu gehen.

Fur einen Staat ist es unmoglich die Wahrheit uber einen Storfall vor dem Rest der Welt zu verbergen. Der UN-Report des Jahres 2005 beweist, dass alle Regierungsmitglieder die Luge von sicherer Kernenergie unterstutzen und fordern. Das wirkliche Problem an Tschernobyl ist, dass die Menschen der Realitat nicht ins Gesicht schauen konnen und diese Luge brauchen um weiterleben zu konnen. Nicht in der Ukraine, nicht in Russland, nicht in Amerika und auch nicht in Europa. Wir haben verschiedene wirtschaftliche und politische Systeme, aber die Habgier in den hoheren Positionen ist uberall die gleiche und ihr Vermachtnis hat die Macht uber uns alle.

Wir haben allerdings auch in Zukunft fur die Wahrheit keinen Durchbruch zu erwarten. Uberdies vermag uns auch die Zeit kein guter Verbundeter zu sein, da sie uns unseres Gedachtnisses beraubt. Jahr fur Jahr verbla?t in uns die Erinnerung. Und es scheint so, als ob die einzige Art, wie man dieses Ungluck von Tschernobyl fur spatere Generationen in lebendiger Erinnerung behalten kann, darin bestunde, es mit Musik, mit Kunst und Literatur thematisch zu verbinden. So als ob allenfalls in der Sphare kunstlerischer Kreativitat einige der boswilligen Kernelemente von Tschernobyl uberleben konnten. Doch eigentlich sollte Musik den Menschen gefallen. Offenbar scheint alle moderne Kunst und Literatur nur dafur geschaffen zu sein, dem Publikum einige Dollars aus der Tasche zu ziehen.

Wie sollen wir denn dieses Wissen fur die kommenden Generationen bewahren, wenn es uns nicht einmal gelingt, das Interesse der gegenwartigen daran aufrechtzuerhalten?

Die meisten Autoren ziehen es heute vor, das Thema Tschernobyl und seine tragischen Nachwirkungen zu meiden, weil sie begreifen, da? es ein langer Weg ist, bevor uberhaupt einige, wenn auch sparliche Veranderungen eintreten. Dazu kommt, wie auch C.G.Lichtenberg schon sagte: „Vom Wahrsagen la?t sich's wohl leben in der Welt, aber nicht vom Wahrheitsagen.“

Jeder der fur Geld schreibt, muss in den gro?en Zeitschriften veroffentlichen, die alle politisch " korrekt" und von Profitgier bestimmt sind. Die gro?en Nachrichtenagenturen und Zeitungen wollen keine Artikel publizieren die sich mit Tschernobyl beschaftigen. Ausgenommen davon sind nur die Beitrage, die ihren oportunistischen Interessen dienlich sind, doch diese sind selten objektiv.

Die nachste Chance, die Leute an Tschernobyl zu erinnern, wird erst in 5 Jahren sein, zum 25. Jahrestag der Reaktorkatastrophe. Doch dann werden vermutlich noch weniger Erinnerungen daran ubrig bleiben. Es werden um so weniger sein, je gro?er die Nachfrage nach billiger Kernenergie ist – wenn es dann nicht gerade wieder mal eine Fu?ballweltmeisterschaft gibt...

June, 2006

Der Song vom schwarzen Land

Der einzige Zeitraum in dem unserer Fernsehsender genaue und interessante Reportagen und Filme uber Tschernobyl zeigen, sind jene Tage vor dem Jahrestag der Katastrophe, und dann nur zu den seltsamsten Tageszeiten. So war es zum Beispiel mit dem zehnten und dem zwanzigsten Jahrestag, als alle Reportagen zwischen zwei und funf Uhr morgens liefen. Genau zu dieser Zeit schlaft die traditionell denkende Mehrheit.

Aus diesem Grund muss ich zu jedem Jahrestag in diesen fruhen Morgenstunden schon wach sein, um die neuen und moglicherweise ehrlichen Sendungen zu sehen.

Am 20. Jahrestag habe ich eine tolle Sendung uber Kunstwerke von Menschen, die in den kontaminierten Gebieten leben, gesehen. Geschichten, Gedichte, Bilder und Lieder von denen, die in der Nahe von Tschernobyl wohnen.

Diese Sendung hinterlie? bei mir einen starken metallischen Nachgeschmack von Radioaktivitat und Verbitterung – kein Wunder, dass die Sendung mitten in der Nacht gezeigt wurde. Das Bemerkenswerteste war das unvergessliche Lied eines autistischen Madchens, das so um die zwolf Jahre alt gewesen sein durfte. Sie nannte das Lied " schwarzes Land ".

Sie sang es in wei?russisch, einem Dialekt, der meiner Meinung nach schwer zu verstehen ist. Das Gefuhl, welches dieses Lied in mir ausloste, war nicht nur auf die Melodie und die Worte zuruckzufuhren, sondern, ich wurde sagen, es hatte die Aura heidnischer Liturgie, voll von Mystik, in der du das Echo von verlassenen Orten horen kannst, etwas von geflusterten Tonen und einem verstohlenen Blick von Einsamkeit. Es war eine Hymne des Verlassens; ein Gesang um den Fluch des Morgengrauens in den Dorfern der schwarzen Walder zu zerstreuen. In den Noten des Gesangs vibrierte eine neue und gefahrlicher Art der Stille – so als ob etwas in der Stille begraben wurde. Dieses Lied war absolut unmenschlich und konnte nur das Werk einer Seele sein, die in den Ruinen von Tschernobyl geboren wurde und dort aufgewachsen ist.

Kinder sind wie Wein, sie absorbieren den Geschmack ihrer Umwelt. Wenn ein Junge oder ein Madchen, mit einem Missklang in der Seele, allein gelassen wurde, Jahr fur Jahr, Tag fur Tag, ohne jemals eine Hoffnung auf Besserung zu haben, dann beginnen diese Kinder eine neue Harmonie zu suchen, eine Harmonie die total anders ist als jene die normalerweise im Vordergrund des Lebens steht. Sie beginnen verwirrende Wege tief in ihr Selbst zu graben und schlussendlich eignen sich ihre Gedanken, die zwielichtigen Farben von Katakomben an. Es konnte auch so etwas, wie eine Kohlenmiene oder eine Goldmiene sein, in der man entweder ein Hohlenbar oder ein Schatzgraber sein kann. Vergleichsweise auch ein Monster oder ein Monsterjager, wir wissen es nie....

Sie strahlen einen Duft aus, wie ein Taucher, der gerade aus der Tiefe zuruckgekommen ist. Sie sind ehrlich, ihre Meinungen sind nicht ausgedacht, ihre Worte sind keine Maske und ihre Kunst ist nicht gedacht um zu trugen.

Unsere Gesellschaft sollte ihnen eine Moglichkeit geben, sich frei auszudrucken. Jetzt, wo ihre Arbeiten gezeigt werden, schlaft der gro?te Teil der Gesellschaft. Auf diese Weise kann jeder, wahrend des Tages und in guter Verfassung, von der Regierung gesponserte Sendungen und Filme sehen, die von der Atomindustrie bezahlt werden.

Meine Veroffentlichungen im Fruhjahr

Im April 2006 plante ich mein Tschernobyl Material moglichst vielen Menschen verfugbar zu machen, auch denen, die nicht uber das Internet verfugen. Meine Veroffentlichungen erschienen daraufhin in mehr als 20 Landern in Zeitschriften, Magazinen, Buchern und TV Dokumentationen. Allerdings war ich mit dem Ergebnis unzufrieden, hauptsachlich weil mein Material in den meisten Fallen zerstuckelt wurde und meine Gedanken in den meisten dieser Publikationen nicht dargestellt, sondern herausgenommen wurden.

Der Schwerpunkt jeder Arbeit, egal ob es sich um ein Buch, einen Film oder eine Internet Webseite handelt, ist einen tieferen Einblick in etwas zu vermitteln. Es sieht so aus als ob viele nur Interesse an kostenlosen Fotos, Videos und etwas Informationsmaterial hatten, aber nicht daran einen tieferen Einblick zu vermitteln. Die Informationsmaterialien sind blo? die Mittel um Einsicht zu ermoglichen und sie konnen leicht verzerrt oder verandert werden um politischen und finanziellen Interessen oder dem Bedarf der Medien zu dienen. Einsicht in etwas ist dagegen eine Art intellektuelles Endergebnis, sie kann nicht verandert oder missbraucht werden. Nur Einsicht kann der Wahrheit dienen und das ist nicht gefragt.

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Tschernobyl ist so leicht vergessen worden, weil es nur uns richtig bekannt ist. Die ersten Jahre nach dem Unfall wollten wir unsere Geschichte nicht mit der Welt teilen, nun koennen wir sie nicht mehr teilen, weil wir uns selbst kaum noch daran erinnern. Alles was von diesem tragischen Maerchen uebrigbleibt ist eine Erinnerung, schwach und mit der Zeit verblassend. In der Zukunft wird die Gleichgueltigkeit der Menschen die letzten gluehenden Kohlen bedecken, bis diese dann am Ende auch erloeschen. Danach wird Tschernobyl nur noch in dem Wissen einiger aussergewoehnlicher Menschen verbleiben und das Eigentum der Natur sein.

Post-Sowjetisches Konsumverhalten

Aufgrund der gesellschaftlichen Veranderungen der letzten zwei Jahrzehnte, wurde in unserem Teil der Welt ein neues Energieprogramm moglich.

Als im Jahre 1991 die UdSSR zusammenbrach, uberfluteten die Leute die Stra?en mit allen moglichen religiosen und Umweltprotesten. Sie suchten eifrig nach der Wahrheit. Das offentliche Interesse an Philosophie und Geschichte belebte sich, und ein Gefuhl von "Freiheit" lag in der Luft. Das Volk war zwar immer noch arm, und die Wunde von Tschernobyl war noch ziemlich frisch, doch die Preise fur nicht-atomare Energieressourcen waren billig. Nun ist diese Ara voruber.

Jene zarten Keime wirklicher Freiheit und Demokratie wurden beseitigt, und die Dinge haben sich ungeheuer verandert. Unter den Verhaltnissen der Diktatur hat die Regierung die Informationen vor den Burgern zuruckgehalten, nun in einem "freien" Staat scheinen die Burger die Informationen vor sich selber zuruckzuhalten. Alle scheinen glucklicher, besser genahrt, gekleidet und besser nach au?en geschutzt zu sein. Die Proteste sind alles andere als politisch, und am Ende wird jeder von der einen oder anderen Partei hereingelegt.

Die wirklichen Herrscher uber das Land sind finanzielle Gruppen, die ihre Interesse mit denselben psychologischen Techniken vermarkten die in der Werbung entwickelt wurden um Waren zu verkaufen. Ihre ausgewahlten politische Kandidaten zeigen sich, wie Bucklige, stets von ihrer besten Seite , wahrend die ihre Schalthebel bedienen, um an die Schwachen der Massen zu appellieren. Wie es scheint tun sie alles dafur die Menschen unwissend zu halten und nutzen ihre Moglichkeiten permanent um jede Art von Gemeinschaftsgefuhl in der Bevolkerung aufzulosen, sobald es auch immer aufzukeimen scheint.

Beinahe jede Zeitschrift, jeder Nachrichten-, Radio- und Fernseh- Sender gehort heute zu einem gleichgeschalteten Establishment, das von sich behauptet die Redefreiheit habe ihre Heimat bei ihr. Doch die freie Sprache muss geschutzt sein vor der Kontrolle durch die Regierenden, wenn sie wirklich frei sein will. Diese Tage kann man das noch am verlasslichsten im Internet finden. Ich wurde sagen dass heutzutage uberhaupt nur noch durch das Internet eine aufgeklarte und frei denkende Offentlichkeit existiert. Die alteingefuhrten Medien wurden sich dagegen freuen, konnten sie die dicken Marionettenschnure verbergen, die sie mit dem Establishment verbinden. Sie versuchen alle Internet- Informationsquellen als irrelevant darzustellen. Glucklicherweise wissen sie nicht wie sie das machen sollen.

Das Ergebnis dieser Politik wird schon deutlich sichtbar: Das Studium der Geschichte ist in steilem Ruckgang begriffen, die beliebteste aller Philosophien ist diejenige, welche uns dabei hilft, ausschlie?lich zu materiellem Reichtum zu gelangen. George Orwell wusste bereits, dass es durch das Fernsehen gemacht werden wird. Die meisten Leute haben sich damit abgefunden nur von Brot und von TV-Programmen zu leben ..... Unseren "fuhrenden Politikern" passt eine Gesellschaft am besten, in der ein Beschluss neue Kernkraftwerke zu bauen ohne irgendwelche Debatten gefallt werden kann. Adolf Hitler rief einmal aus: "Was fur ein Gluck fur die Herrscher, dass Menschen nicht denken!" Der auf Tschernobyl folgende Wahnsinn veranschaulicht sehr gut, dass nicht denkende Menschen den Herrschenden sehr willkommen sind, deren Macht von der andauernden offentlichen Gedankenlosigkeit abhangt.

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Alle Diktaturen brechen schlie?lich zusammen, wenn ihre Ideologie auf Ha? und Neid beruht. Diese sekundaren menschlichen Laster konnen zwar uberwunden werden, wohingegen das Konsumverhalten, welches auf Habgier, Stolz und Begierde basiert, tief in der menschlichem Natur verwurzelt ist, aus der es kein Entrinnen gibt.

Es ist bemerkenswert zu sehen, in welch au?ergewohnlichem Ma?e das Leben uberall ubereinstimmt: Es ist die Unfahigkeit, den globalen Interessen von Unternehmen zu widerstehen, sei es in Asien, Europa oder Amerika. Es ist, als befanden wir uns alle im selben Gebaude – der einzige Unterschied zwischen uns sind lediglich die verschiedenen Eingange, durch die wir zu verschiedenen Zeiten eingetreten sind.

June, 2006

Zwei Arten von Autoren

Es gibt im Grunde zwei Arten von Autoren, die uber Tschernobyl berichten. Sie unterscheiden sich nach ihrer Motivation. Einige schreiben um die Erinnerung an das Reaktorungluck von Tschernobyl lebendig zu halten, aber viel zu viele schreiben um ihren Lebensunterhalt damit zu bestreiten.

Die eine Art ist gekennzeichnet durch die kontinuierliche, ruhige und leise Art einer permanenten Berichterstattung. Und die andere jagt im vollen Galopp nach Sensationen, ein Autor versucht lauter als der andere zu schreien, da der Larm, den er verursacht proportional zu dem Geldbetrag ist, den er an einer nationalen Tragodie verdienen kann. Die Autoren verfassen ihre Machwerke aus sicherer Entfernung und sie sind nirgends anzutreffen, weil sie schon wieder zu einer neuen Sensation hetzen, die sie dann in einen netten, fetten Gehaltsscheck umwandeln konnen.

So werden diese Elaborate sorgfaltig abgefa?t, wobei man Angriffe auf das System vermeidet, um dem Kernmonster nicht auf irgendwelche Zehen zu treten, und die Medien trompeten die Dinge flei?ig hinaus. Ganz egal, ob sie nun pro- oder antinuklear daherkommen – sie sind nicht gefahrlich, denn ihre Absicht beruht stets auf den gleichen Motiven, weshalb sie auch fragmentarisch und fluchtig bleiben.

Autoren, die ohne pekuniare Grunde an einer grundlichen und methodischen Untersuchung der Hintergrunde von Tschernobyl mitwirken, finden kaum Erwahnung. Das liegt unter anderem auch daran, da? ihre Ausdauer bei der Aufklarung der Katastrophe jene machtigen Manner, die sie verursachten, in Bedrangnis bringt. Ein deutliches Beispiel dafur ist der Dokumentarfilm „Der selbstmorderische Auftrag von Tschernobyl" – ein Film, nach dem seit 1991 schon viele Leute gesucht haben. Niemand wei?, warum und wohin er verschwand.

Ich halte auch die Veroffentlichungen der Tschernobyl-Autorin Irene Zabytko und die Photographien von Igor Kostin fur sehr wertvoll. Es gibt wahrscheinlich auch noch weitere. Man kann das nicht mit Sicherheit sagen, da alle wirklich wichtigen Beitrage der Offentlichkeit vorenthalten werden. An ihrer Stelle zeigt man nur lacherliche und populare Ablenkungen wie den Film „Da Vinci Code".

Juni 2006

P.S.

Ich werde meine Gedanken uber die "zwei Arten von Autoren" naher ausfuhren, um zu erklaren warum Tschernobyl den meisten dieser kreativen Leute einen Schrecken einjagt.

Jegliche Arbeiten uber das Thema Tschernobyl konnen nur ein humanitarer Akt sein, wo der Autor kaum erwarten kann, wenn uberhaupt, belohnt zu werden. Bei diesem Thema wird es keine Anerkennung geben und er wird im Dunkeln bleiben bis zu der Zeit, wo ein Drittel der Welt zu Wermut wird.

Die meisten Autoren arbeiten aus einem von zwei Grunden: entweder sie werden gut bezahlt oder sie bekommen Anerkennung (Ruhm). Es gibt ein unvergleichlich gutes Sprichwort von Seneca, da? Ruhm (Anerkennung) der Leistung so zuverlassig folgt, wie der Schatten einem Korper; und da? er manchmal auf die Vorderseite und manchmal auf das Hinterteil fallt.

Die meisten Autoren arbeiten nur, wenn sie gute Dinge vor sich sehen. Aber Tschernobyl stellt einen Fall dar, wo sich - ganz gleich wie gro? die literarische oder investigative Leistung ist - immer im Voraus Schwierigkeiten abzeichnen, wahrend der Schatten des Ruhms im Nachhinein folgt, auf einem langen Weg hinterher.

Wohltatigkeit heute

Im April 2006 erschien in Schweden mein Buch "Tjernobyl", und ich entschied mich, etwa 50-60 Bucher bei eBay zu verkaufen, mit der Absicht, den Erlos an das Waisenhaus N1 in Charkow (Ukraine) zu ubergeben. Am zweiten Tag wurde meine Wohltatigkeitsauktion von eBay verboten. Der Grund war ein rein politischer. Somit hat eBay durch das Verbot der Auktion meines Buches jene Waisen um die Apfelsinen, Fu?balle und Fahrrader gebracht, die man fur dieses Geld hatte kaufen konnen.

Da ist es ist kein Wunder, da? so viele Leute verhungern und Kinder aus Mulleimern essen, wenn jeder aufrichtiger Versuch, ihnen zu helfen, aus schandlichen politischen Grunden sabotiert wird.

Juni 2006

Atomexporte

Zur Zeit boomt der Export an nuklearer Technik in die Lander der Dritten Welt und hier insbesondere in den Mittleren Osten. Es gibt einen heftige Wettbewerb darum, wer die Kernkraftwerke im Iran, in Pakistan, in Indien, der Turkei und in Agypten bauen wird.

Allerdings haben die Lander, die diese Technologien exportieren, seit vielen Jahren Erfahrung im Betrieb von Atomanlagen, sie haben nach und nach verschiedene Reaktortypen entwickelt, sowie hoch qualifizierte und ausgebildete Hochschulen, Wissenschaftler und Techniker. Dies macht den Reaktorbetrieb in diesen Landern relativ sicher. Auch haben die meisten dieser Exportlander eine demokratische Gesellschaft, die das ganze Thema transparent halt. Doch zu oft leben die Lander, in welche die Kerntechnik exportiert wird, am Rande eines Krieges. Diese Lander werden durch den Import von Kerntechnik auf ein Hightech- Level katapultiert, ohne dass sie vorher Schritt fur Schritt die notwendigen Erfahrungen dafur sammeln konnten. Dadurch ist es ihnen nicht moglich, die erforderlichen hohen Sicherheits- Standards einzuhalten. Viele Lander konnen Technologien exportieren, aber keines von ihnen exportiert Erfahrungen.

Wenn die Technik vor der Erfahrung kommt, ist ein Unfall nahezu vorprogrammiert. So ist es auch bei Verkehrsunfallen: die Statistiken sagen aus, da? die Mehrheit der Fahrer, die todlich verungluckten, unerfahren waren und schnelle Autos oder Motorrader fuhren. Ich sage immer: „Wenn Sie jemanden umbringen wollen, dann kaufen Sie ihm ein schnelles Motorrad. Aber wenn Sie wollen, da? alle umkommen, dann bauen Sie einen Atomreaktor."

June, 2006

Zuruck zum UN Report..

Die Konferenz selbst brachte nichts Neues. Sie wurde nach altbekannter Tradition von den Regierungen der Ukraine, Ru?lands und Wei?ru?land im Stile offizieller sowjetischer Verlautbarungen organisiert und gefordert von der Internationalen Atomenergiebehorde (IAEA). Neu daran ist lediglich, da? die post-sowjetischen Regimes und westliche Regierungen von nun an eine gemeinsame Sprache sprechen, wobei sie danach trachten, der Offentlichkeit die Wahrheit uber die Katastrophe von Tschernobyl zu verheimlichen. Die Vertreter westlicher Staaten verkunden jetzt genau das, was ihnen ihre osteuropaischen Kollegen bieten. Wie ein Papagei plappern sie dieselben Lugen nach, nur um keine offene Konfrontation mit den Geberlandern der Ex-Sowjetunion zu provozieren. Der Westen bekommt schon eine ganze Menge, und er kann sich heute keine Feinde mehr leisten. Denn jeder wird verstehen, da? die normalen Rohstofflieferungen durch die Geberlander unterbrochen werden, sobald die westlichen Lander den neu entstandenen Diktaturen feindlich gegenuber stehen, und da? sich die westlichen Lander dann tatsachlich in einer sehr schlechten Lage befanden. Ihr industrielles System wurde zusammenbrechen. Naturlich konnen die Politiker unter solchen Bedingungen wie unter dem "bestehenden Krafteverhaltnis" jetzt sehr leicht ein Ubereinkommen treffen und auch im Westen neue Kernkraftwerke bauen. Ihr Hauptargument ist, da? die „friedliche Nutzung der Atomkraft“ ihnen hilft, einer neuen okonomischen Abhangigkeit zu entgehen und gegen eine Verschworung der OPEC-Lander immun zu machen. Doch die Wahrheit ist, da? sie schon manipuliert worden sind und inzwischen mit Lukaschenko und Putin im Chor singen. Es ist der gleiche Chor von Lugnern wie dereinst unter Stalin und Chrustschow.

Wer auch immer behauptet, dass „westliche Demokratien“ verantwortungsbewusster handeln als deren post-sowjetische Pendants, der braucht nur einen Blick auf die Unterschriften unter diesen UN-Bericht zu werfen. Wir alle werden hier auf denselben "kleinsten gemeinsamen Nenner" reduziert, da das der Sache der Kernenergielobbyisten dient. Wenn wir die UN mit dieser oder mit anderen Lugen unwidersprochen davonkommen lassen, dann wird die Globalisierung am Ende nur ein Prozess der gegenseitigen Ubernahme der Mangel sein, ein einpegeln nach unten, ein universelles "downgrade" auf das Niveau von Staaten der Dritten Welt.

July, 2006

Journalisten

Vom Zeitpunnkt der eigentlichen Katastrophe bis zum heutigen Tage ist Tschernobyl au?erhalb der Reichweite ernsthafter Wissenschaftler. Journalisten wird der Zugang zur 'Zone' niemals versagt - dies verfuhrt sie zu der falschlichen Annahme, die Region sei ebenfalls fur Wissenschaftler zuganglich.

Das Problem der meisten Journalisten ist, dass sie nicht uber den Tellerrand sehen konnen. Normalerweise glauben sie das, was sie schreiben, auch wenn es durch Ihnen von den Behodren vorgekaut wird. Ihnen wird der Zutritt zu Tschernobyl gewahrt aus demselben Grund, aus dem Eunuchen das Harem besuchen durfen: ihre journalistische Arbeit ist ebenso fruchtlos und stellt keine echte Gefahr fur das System dar.

Da ihre Artikel die Lebenserwartung einer Eintagsfliege haben sind Journalisten vollig unfahig etwas wirklich gehaltvolles zu schreiben. Ihre Sichtweise ist kurzsichtig. Jeder versteht, dass Schlagzeilen und Headlines dramatische, aktuelle Geschehnisse widerspiegeln mussen. Jeder Reporter versucht, um seiner selbst Willen, moglichst alarmierend und laut aufzutreten. Ubertreibung ist in jeder Hinsicht ein essentieller Bestandteil von Berichterstattung, genau wie das beim Erstellen von Drehbuchern fur Soap- Operas ist. Jedes Ereignis wird so weit wie moglich aufgeblasen, so dass inzwischen niemand mehr dem standigen Gebrull zuhort. Das Ziel ist es lauter als alle andere zu schreien. Die Leserschaft ist deshalb taub und unempfanglich geworden gegenuber echten Warnungen, sogar wenn sie moglicherweise auch veroffentlicht werden.

Der grund fur die 'Niederlage um den Kampf um Tschernobyl' ist, dass Journalisten und Fernsehreporter diejenigen mit der besten Moglichkeit den Menschen die Wahrheit naher zu bringen sind, wahrend Artikel in Zeitungen und Zeitschriften keinerlei langzeitwirkung mitbringen. Es ist wie das Schreiben in den Sand, wo jede neue Welle der Veroffentlichungen alle vorausgegangenen Erkenntnisse fortspult.

Die meisten Moglichkeiten, eine gute Reportage uber die Katastrophe zu finden, gibt es bei Lokalzeitungen und kleineren Fernsehanstalten, da sie meist einer harten Konkurrenz ausgesetzt sind. Daher werden sie bei jeder Gelegenheit um eine gute Berichterstattung bemuht sein, ohne jedoch den Einschrankungen des Mainstreams unterworfen zu sein.

Die Mainstram-medien hingegen agieren eher zuruckhaltend und behaupten, sie seien professionell. Der Wahre Grund fur ihre scheinbare Zuruckhaltung ist aber die Tatsache, dass sie sich nicht gegen andere behaupten mussen. Sie werden zudem meist finanziell durch den Staat unterstutzt, und so ist ihr primares Ziel nicht das Geldverdienen.

Wenn uberhaupt brauchen sie nur einige wenige Reklamen auf den wichtigsten Fernsehprogrammen und konnen ihre Zeitungen fast umsonst verkaufen. Was sie produzieren muss letzendlich nicht profitabel sein, sondern soll lediglich staatliche Ziele an ein unfreies Publikum vermitteln. Man kann sagen, dass wir lediglich das sind, was wir konsumieren. Wir sind Opfer und gleichzeitig Produkt dieser 'verdorbenen Speise' einer falschen Illusion, erzeugt durch die Medien.

Millionen - vielleicht sogar milliarden von fur dumm verkauften Menschen konnten jederzeit einer atomaren Kataostrophe zum Opfer fallen.

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In der Zone von Tschernobyl, haben die Menschen, die im einen Teil der Zone leben und arbeiten, keine Ahnung, was in den anderen Gebieten der Zone geschieht. Die Beamten in Pripjat wissen nicht, was in Wei?russland passiert und die wei?russischen Beamten wissen nicht, wie es um die Dinge in Russland steht. So prasentiert sich Tschernobyl als eine dunkle, unerkundete Hohle, die nur Journalisten besuchen konnen. In den Berichten der Journalisten finden wir dann meistens nur dass, was sie uns zeigen wollen. Als Gegenteil, zeigt uns die Arbeit des systematischen Denkers, der mit seinem Geist alles ergreift, eine ausgedehnte Landschaft. Wir sehen alles ganzheitlich und wie es zusammenhangt. Der Journalist sucht und findet ihre Nadel mithilfe des Lichtchens einer Taschenlampe. Er findet nur Teile mit dem schwachen Licht der Taschenlampe, wahrend der Geist des gro?en Denkers Tausende von Taschenlampe einschaltet und die ganze Hohle mit Licht flutet. Fur die ernsthaften Wissenschafter ist Tschernobyl verschlossen, weil niemand wirklich das Licht in dieser Hohle sehen will.

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Es gibt Geister, welche nachts wie die Augen des Luchses Leuchten und leuchten dort am hellsten wo die gro?te Dunkelheit herrscht. (Balthasar Gracian)

August, 2006

Kapitane, Ratten und Passagiere der 1. Klasse

Der Reaktor von Tschernobyl explodierte um 1.23 Uhr. Die ersten Evakuierten waren Familienangehorige der Parteifuhrer und Minister. Deren Flugzeuge starteten um 6 Uhr, nur wenige Stunden nach der Explosion. Wir anderen erfuhren erst Tage spater von dem Ungluck.

Einem alten Spruch zufolge verlassen die Ratten als erste ein sinkendes Schiff. Tschernobyl hat gezeigt, dass das nicht wahr ist. Wie schon beim Untergang der Titanic waren die Passagiere der 1. Klasse auch diesmal schneller.

August, 2006

Eine letzte Anmerkung

Die Tschernobyl-Politik ist der perfekte Spiegel unseres gesellschaftlichen Lebens: sie enthullt die ganze Scheinheiligkeit der Welt, ihre Falschheit, ihren Geiz und die allgemeine Oberflachlichkeit menschlicher Interessen.

Schauen sie einmal auf eine UN-Konferenz, deren Mitglieder ja so intelligent und kultiviert erscheinen. Schauen sie auf all die gelehrten Wissenschaftler und die medizinischen Experten. Sehen sie wie die Regierungsvertreter jeden neuen Bericht begeistert aufnehmen und heftig beklatschen... Aber tatsachlich schlafen alle von ihnen und klatschen erst, wenn ein oder zwei in ihrer Nahe damit anfangen – eine Kettenreaktion eingeschlafener Gehirne. Nur ein oder zwei Personen folgen einer Konferenz und wie ein Wecker sind sie dafur da um die anderen zu wecken und dafur zu sorgen dass der schlechteste Bericht den gro?ten Applaus bekommt.

Und beim Requiem fur Tschernobyl marschieren die Offiziellen langsam auf, Kerzen in den Handen – wie bewegend das aussieht! Eine endlose Reihe teurer Autos! Aber ihre Augen sind samt und sonders leer, sie sind nichts als Anzuge, die zum Andenken an ihre eigenen Opfer paradieren.

Was fur ein beredtes Bild der Scheinheiligkeit und Leere unseres Lebens! Ein wirklich perfektes Beispiel fur das Erbe von Tschernobyl ist die Trostlosigkeit in den Seelen der Menschen, die vollige Verwustung der Gesellschaft. Der Triumph der Idiotie.

August, 2006

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