
Bertolt Brecht (Buckower Elegien, 1953)


INTERMEZZO 12: DER LETZTE COWBOY KOMMT AUS GÜTERSLOH
Herr Schmidt kann das Fremdeln nicht lassen. In Gütersloh
verdiente er sich ein Zubrot bei Bertelsmann, in dessen Forum er
gemeinsam mit Günter Jauch über Kultfernsehen mit Jauch und Schmidt
plauderte, unter der Moderation des Ex-stern-Chefredakteurs und
Grass-Biographen Michael Jürgs (anstelle des ausgefallenen Bertelsmann-Vorstands
Rolf Schmidt-Holtz), im Untertitel als Michael Jörgs vorgestellt. Schlampige Maske bei allen Teilnehmern und ätzendes Licht waren weitere Defizite. Asche-TV Phoenix übertrug am 25./ 26. November die
Veranstaltung.
Da Herr Schmidt und Freund Jauch auf verschiedenen Baustellen unterwegs sind, blieb Platzhirschgerangel aus. Günter Jauch ist ein prima Quiz-Onkel, braver Verwalter von stern-tv und sympathischer Pausenfüller beim Skispringen oder Fußball- alles Tätigkeiten, bei denen man sich Herrn Schmidt kaum vorstellen kann, wie umgekehrt auch nicht Jauch als Late-Night-Talker, denn er hat wenig zu vermelden. So stand er auch diesmal –nicht klug geworden aus dem gemeinsamen Auftritt beim Sat1-Wahlspecial mit Erich Böhme- im Schatten von Herrn Schmidt, der das tat, was er am liebsten tut: über sich selbst reden.
Ein paar O-Töne: Kult heißt wenig Zuschauer...es im
Grunde eine Sendung, die keiner sieht, aber man findet dann irgendwie die freche
Kultsendung, meistens moderiert von einem unbequemen Querdenker... ist aber
immer kurz davor, aus Renditegründen verabschiedet zu werden ...der Begriff
Kult ist absolut inflationär...
Wir versuchen den Geburtstagskaffee von Omas 8o. ins Fernsehen zu transportieren... worüber unterhält man sich? Über Krankheiten, Scheidungen und daß früher alles besser war... genau der Meinung sind wir auch, mittlerweile, in der Show...
Alle Provokation nutzt sich ab...Wenn ich eines Tages
die Selbstenthauptung vorführen würde, würde man sagen: Heute hat er sich den
Kopf abgeschlagen, war nicht schlecht, aber er war auch schon besser... alles läßt
nach, ich bin gespannt, wie lange sich der Bauer Verlag das noch anschaut...
Manchmal hat man sich gefragt, was aus der Kirch-Gruppe geworden wäre, hätte sie ihren Unternehmenssitz in Gütersloh gehabt. In München kostet die Nacht in der Parkgarage schon mal 15 Euro, in Gütersloh selten mehr als drei. Aber ganz sicher gibt es noch andere Gründe, warum die Bertelsmann AG, fünftgrößter Medienkonzern der Welt, nie aus Gütersloh heraus wollte.
Wenn es dort zum Beispiel Nacht wird, tanzen die Lichter der Bertelsmann-Zentrale im Bertelsmann-See, und hinter den vielen Fenstern denken fleißige Bertelsmänner über die Probleme der Zeit nach. Das Musikgeschäft ist verdorben und der Buch-Club ein Zuzahlverein, ausgenommen die Standardwerke Menschlichkeit gewinnt und Liebe öffnet Herzen. Autoren sind Reinhard und Liz Mohn, die Besitzerfamilie, womit deutlich wird, dass eine weltumspannende Firma Manager braucht mit Sinn fürs Soziale.
Am Montag traten Harald Schmidt und Günther Jauch im Bertelsmann-Forum auf. Das ist eine Veranstaltungsreihe der Bertelsmann AG und dient dem Zweck, Mitarbeiter sowie Multiplikatoren der Stadt Gütersloh bei Laune zu halten. Paul Spiegel und Edmund Stoiber waren schon da, Schmidt und Jauch haben noch gefehlt. Seit 30 Jahren gibt es das Forum, noch nie hatten wir so starken Andrang, behauptete Bernd Bauer und sagte dann: Ich bin der neue Chef der Unternehmenskommunikation.
600 Mitarbeiter und Multiplikatoren kamen in die Betriebskantine. Das Treffen wurde in Nebensäle übertragen. Phoenix zeichnete auf, sendete noch in der Nacht zum Dienstag und seither unentwegt. Wer einen Bertelsmann-PC mit Bertelsmann-Software besitzt, konnte Schmidt und Jauch im Intranet verfolgen. Gütersloh ist eine voll integrierte Medienwelt.
Eine Stunde sprachen Schmidt und Jauch über sich, moderiert vom Journalisten Michael Jürgs. Sie haben das oft getan: In Schmidts Show, bei Erich Böhme nach der Bundestagswahl oder als Kollege Gottschalk 50 wurde. Jürgs fragte Schmidt, ob er die Menschen mag (Na klar) und Jauch, ob er sich nicht wichtig genug nehme (Machen Sie sich keine Sorgen). Schmidt erklärte, wie Jauch funktioniert (Herr Jauch ist ein Phänomen, weil er jede Sendung mit einer geglaubten Fachkenntnis präsentiert, was außer ihm niemand kann), und Jauch erklärte Schmidt (Der ist schmerzfrei, dem ist alles egal). Zusammen haben sie die Begriffe Kult und Unterhaltung beerdigt und damit das Thema des Abends: Beste Unterhaltung für Deutschland: Kultfernsehen mit Jauch und Schmidt. Großartig.
Es blieb allerdings unklar, ob Schmidts Definition von Zynismus (Wenn die Suppe aus dem Bentley fliegt und man sagt, dass man leider nicht aussteigen kann, weil man zur Party von der Ohoven muss) in Gütersloh reine Freude auslöste. Klar wurde, dass er nichts anderes als seine Late-Night bei Sat1 machen will (Zu schlagen sind die 35 Jahre von Johnny Carson. Der Trend geht zum Urlaub in der Firma) und Jauch anderes sucht, ohne ein Format zu wissen, das seinen Millionär ersetzen könnte (Die Tagesthemen zu machen, ist auch keine überragende Kunst).
Vielleicht plaudert er demnächst regelmäßig mit Schmidt, vielleicht für RTL-Publikum. Aus Hamburg ist zu hören, dass der mögliche Sat-1- Gesellschafter Heinrich Bauer nicht gerne spät lacht.
CHRISTOPHER KEIL
Süddeutsche Zeitung, München, 27.11.2002
