Kaputtlachen
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Über den Late-Night-Show-Talker und Brachial-Comedian Harald Schmidt gibt es gewöhnlich zwei Auffassungen: Variante 1: Harald Schmidt ist schnell, schlagfertig, witzig, unverschämt, dreist und tabulos. Harald Schmidt ist einer der besten und wortgewandtesten Entertainer, ein Lichtblick im drögen deutschen Fernsehen. Einer, der für einen guten Joke noch seine Großmutter verkaufen würde, wenn die nicht schon längst beim Pfandleiher wäre. Einer, der sich nicht um Konventionen und vermeintliche Sprechverbote kümmert. Ein virtuoser Spötter und Schänder aller TV-Formate. Kurzum: Harald Schmidt ist ein amüsantes Arschloch. Variante 2: Harald Schmidt ist arrogant, aalglatt, an seinen Gästen meist desinteressiert, überprofessionell, abgelutscht. Harald Schmidt ist durch seine beinahe täglichen TV-Auftritte zur lästigen Nervensäge verkommen, seine einstigen Qualitäten sind längst abgenutzt. Harald Schmidt reisst dämliche Witze auf Kosten von Minderheiten und schreibt Kolumnen für den Rechtsausleger Focus. Und da gehört er auch hin. Denn: Harald Schmidt ist ein politisch unkorrektes Arschloch. Egal, welches der beiden Urteile stimmt, Deutschland lacht. Lacht über den Paten der gar nicht mehr so neuen deutschen Spaßkultur, lacht über seine Witze auf Kosten von Schauspielern, Moderatoren, Frauen, Ausländern, Behinderten, Schwulen, Modells, Studenten, Kleriker, Politiker, kurz: über alles, was ins Visier von Schmidt und seinen Gagschreibern kommt. Schmidt und sein Team sortieren und kommentieren den Medienmüll und wenn das deutsche Fernsehen, ja das gesamte öffentliche Leben der Republik ein riesiger, täglich wachsender Müllhaufen ist, ist Schmidt unbestritten Chef der Recyclingbörse. "Auch ein Behinderter hat das Recht auf Verarschung" Vor rund 15 Jahren, als Schmidt noch ein unbekannter, scharfzüngiger Kabarettist in Düsseldorf war und seine ersten TV-Auftritte hatte, waren seine Witze über das Waldsterben, bärtige Liedermacher und die Hermann-van-Veen-Kultur des gehobenen Mittelstands noch subversiv und zuweilen saukomisch. Seine Cineasten-Verarschung in "Schmidteinander" unter dem Titel "Das Scheißhaus" beispielsweise (zusammen mit Herbert Feuerstein, der einen depperten Kulturjournalisten spielt und Schmidt als dandyesker russischer Avantgarde-Regisseur), war ein köstlicher Höhepunkt angriffslustiger Medien-Satire, getragen von einer cleveren Distanz zum gestelzten Tonfall des Aspekte-Feuilletons. Der öffentlich-rechtliche Humor zu den Anfangszeiten von Schmidt war nachhaltig geprägt von Leuten wie Hans-Dieter Hüsch, Dieter Hildebrandt und anderen Verwaltern sozialdemokratischer Zwerchfellverkümmerung. Das da jemand die friedensbewegt-umweltschützende Moral nicht bitterernst nahm, sondern den omnipräsenten Betroffenheitsjargon verulkte, war befreiend. Denn dieser Jargon förderte kaum die Analyse, sondern verhinderte sie vielmehr. Theoretische Analyse und praktische Kritik wurde im öffentlichen Raum durch die Zurschaustellung persönlicher Betroffenheit abgelöst, das Kabarett gefiel sich im runterleiern von Strauß-Parodien und Kohl-Witzen. Zur Überwindung der Kirchentagsmoral des Kabaretts blieben auch >Minoritäten< von Humor-Attacken nicht verschont. Namentlich Behinderte sollten nicht nur Gegenstand unseres Mitleids bleiben, aus den Sorgenkindern sollte ein selbstverständlicher Teil der Öffentlichkeit werden, der somit dem Spott der Mehrheit ausgesetzt ist. Auch ein Behinderter hat das Recht auf Verarschung, sagt Herbert Feuerstein. Wie in dem alten Cartoon, in dem neben anderen ein Afrikaner, ein Schwuler und ein Türke an der Theke stehen, sich Witze erzählen und ein gerade reinkommender Behinderter im Rollstuhl ruft "Der nächste geht auf meine Rechnung". Das Problem aber ist: Ohne Rassismus könnte es >ironisierte< Ausländerwitze gar nicht geben und solange der Zustand der Nichtdiskriminierung, der gleichen Rechte für >Minoritäten< nicht existiert, ist der öffentliche Witz auf deren Kosten Teil der Diskriminierung, funktioniert der unkorrekte Humor bestenfalls im kleinen, aufgeklärten Rahmen. Momentan machen nur Schwule die besten Schwulenwitze. Schmidt bedient dagegen die Normalos und Heteros. Zudem: Heute, mit Comedy-Scheiß auf allen Kanälen, muß sich niemand mehr gegen Dieter Hildebrandt, Konstantin Wecker oder die Münchner Lach- und Schießgesellschaft durchsetzen. Die Friedensbewegung ist trotz Jugoslawien-Krieg am Boden, die jugendliche Protestkultur ausdifferenziert und zum Teil von kahlgeschorenen Halbalphabeten bestimmt. Engagement ist ein Kreuzworträtselbegriff mit zehn Buchstaben. Und in dieser Konstellation verkehrt sich der Schmidtsche Ansatz ins Gegenteil. Moral, Empörung, Inhalte, Agitation sind hoffnungslos von gestern, >>Kritik<< ist heute längst Teil des ironischen Spiels mit den Zeichen und Formen. Verbindlichkeiten sind verdächtig und bestenfalls Gegenstand der großen Spassverwertungsmaschine im Privatfernsehen. Alles ist hier vermeintlich zweckfreies Spiel, Meta-Humor: die gestelzte Ironie, das dreckige Lachen, das verlogene Röcheln, der Zynismus, die absichtliche Kameraeinstellung auf die Applaus-Tafeln. Die Form wird zum Inhalt. Wollt Ihr den totalen Witz? Was aber ist der Stil von Harald Schmidt und vor allem - wer sind seine Gegner? Im Bewußtsein von Harald Schmidt und den seinen ist Deutschland vermutlich in der Hand von feministischen Frauenbeauftragten und Ausländervertretern, über die Grenzen des Humors wachen nicht die Einschaltquote und das Werbeaufkommen, sondern katholische Medienwächter und die ewigen Bedenkenträger aus den Antidiskriminierungsbüros. >>Tabubruch<< also ist die Passion des Harald Schmidt. >>Tabus<< im TV, das sind für ihn Witze über Ausländer und frauenfeindliche Zoten wie die Ausfälle gegen die WDR-Moderatorin Bettina Böttinger. Auch über das Dritte Reich darf endlich mal entgegen aller Konvention gelacht werden, da freut sich auch der Opa aus Dresden. Wenn da nur diese humorlosen Spaßbremsen vom Zentralrat mit ihren ständigen Vorhaltungen und Mahnungen nicht wären. In Deutschland darf ja nicht über alles gelacht werden. Schmidt aber amüsiert sich diebisch wie ein Kind, wenn das Publikum verstohlen über seine Anzüglichkeiten raunt. Doch die Masche ist seit einigen Jahren schon überholt, ja reaktionär! Ein Entertainer des Privatfernsehens macht seine Gags nicht im risikofreien Raum, seine Scherze bedienen vor allem die niederen Instinkte des Mainstream-Publikums. Und Schmidt ist nicht dumm genug, um nicht zu wissen, was er da tut. Wenn er sich beispielsweise über die Empörung der Medienwächter freut, wenn wieder mal die angeblich unter Artenschutz gestellten Minderheiten dran glauben mußten, verrät Schmidt nur seinen eigenen billigen Konformismus. Es ist der Humor der Leute, die Afrikaner endlich wieder Neger nennen wollen, ohne dafür Mahngebüren entrichten zu müssen. Ebenso wie Walser, dessen morsche Knochen vor "Kühnheit zitterten" als er in der Frankfurter Paulskirche vor dem bundesdeutschen Establishment das Preisgeld abkassierte und sich dafür mit ein paar volkshnahen, eifelvereinkompatiblen Kommentaren zum Holocaust-Denkmal bedankte, bedient Schmidt jene Landsleute, die endlich mal die Sau raulassen wollen, ohne dafür von linksliberalen Sittenwächtern und Meinungsmachern Prügel zu kassieren. Und Schmidt, für den by the way Lea Rosh tatsächlich eine Haßfigur darstellt, ist der mutige Spaßvogel, ein postmoderner Eulenspiegel der den Leuten endlich wieder Luft verschafft. Vermutlich fühlt er sich seinen Kritikern überlegen, wenn er >Tabus< durchbricht, Polenwitze reißt und sich dabei nicht um Mahnungen und Selbstbeschränkungen schert. Schmidt ist der unerschrockene Humor-Avantgardist, der Rebell auf SAT-1. Einer, den die alten, neidzerfressenen Kollegen nicht mehr grüßen. Wie schön. Hol schon mal den Wagen, Üzgür! Der Komiker unterliegt hier freilich einem Irrtum. Die wirklichen >>Tabus<< im deutschen Fernsehen sind z.B. die Eigentumsfrage und die Lügen der Medien im Jugoslawien-Krieg. Kabarettisten wie der biedere Kommunist Dietrich Kittner bezahlen deswegen ihre konsequente politische Opposition mit der Verbannung vom Bildschirm. Schmidts "Tabubruch" aber ist der Protest gegen den Maßregelkatalog sozialliberaler Oberlehrer, der eh immer nur Absichtserklärung geblieben ist und sich nie ernsthaft außerhalb des liberalen Kulturmilieus festsetzen konnte. Im Kern protestiert Schmidt gegen Fossile der Vergangenheit, gegen die frommen evangelischen Deutschpauker der frühen Achtziger und ihre idealistischen Schüler. Der Late-Night-Talker provoziert sie aus alter Feindschaft mit Negerwitzen. Und wenn in deutschen Städten in aller Öffentlichkeit Nazis gedeckt vom völkischen Mob hemmungslos Flüchtlinge, Punks, Behinderte, Schwule und andere Normabweichler verprügelt, gejagt und ermordet werden, warum sollte man da nicht befreit auflachen können, wenn einer wie Schmidt unverkrampft und gar nicht bös gemeint Witze macht? Das Ressentiment, die Aufladung, das Unwohlsein gegenüber dem Fremden ist schließlich da. Bei SAT-1 können wir endlich befreit auflachen. Was gibts denn da zu lachen? Die Rollenverteilung ist folgende: Schmidt sortiert mit seinen Gagschreibern den Medienmüll, den er selber durch seine zwangslustigen Product-Placement-Interviews mitproduziert. Er ist so kritisch wie eine Helmuth-"Rossini"-Dietl-Filmproduktion. Seine Late-Night-Show auf SAT1 ist die ständige Reaktion auf das eigene Programm vom Vortag und die Bild-Zeitung der Frühstückspause, die Kommentare gleichen den Klatschspalten der Bunten - nur in witzisch. Der Schmidt von heute ist geistig stehengeblieben, kämpft immer noch gegen die strickenden Alternativpauker wie der junge Hildebrandt einst gegen die Kommißköppe. Schmidt-Show, Vorhang! Schmidt hat jedoch keine Herausforderung mehr, er hat schon beinahe sämtliche Fernseh-Genres bedient, ist fester Bestandteil des Mainstream-TV und freut sich über seine vermeintliche politische Unkorrektheit, dem Kennzeichen der Opportunisten aller Stände. Wir lassen uns doch unseren schönen deutschen Humor nicht von Feministinnen, Antifas und Moralisten verbieten! Schmidt steht dabei mit seiner Geisteshaltung dem organisierten Mainzer Sitzungskarneval näher als der deutschen Kabarettradition. Wenn er z.B. darüber scherzt, das die Wiederkehr der Tuberkolose mit der "demokratischen Öffnung" zusammenhänge und dann das verhohlen lachende Publikum darüber "aufklärt", das durch die Einwanderung von armen Schluckern aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion auch längst vergessen geglaubte Krankheiten nach Kerneuropa kämen, so hat er in der Tat Recht - jedoch in einem umgekehrten, vom Gag-Schreiber nicht intendierten Sinne. Denn die ehemalige Sowjetunion kannte in der Tat viele Häßlichkeiten: Repression, Personenkult, Schließfachwohnungen und Mangelwirtschaft. Die >>Nebenwirkungen<< der demokratisch-marktwirtschaftlichen Öffnung - Armut, Obdachlosigkeit, Prostitution, Drogenhandel, Wegfall der staatlichen Mindestversorgung und die Rückkehr längst vergessen geglaubter Krankeiten eben nicht. Aber Aufklärung ist nicht die Sache des Herrn Schmidt. Sein Hauptverdienst besteht darin, Kurt Felix, Paola und Karl Dall in den Ruhestand geschickt zu haben. Die alte Größe blitzt nur noch dann auf, wenn er das FAZ-Feuilleton oder den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb persifliert, für den Rest gibt´s höchsten im der Neuen Revue noch 20 Mark: Die Schamhaaranalyse des Dieter Baumann! Geile Weiber in der Werbung! Erich Ribbeck! Früher nannte man das Lückenfüller, heute bestreitet Schmidt damit die "Late-Night-Show" genannte Pause zwischen zwei Werbeblöcken. Der Brachial-Humor ist abgenutzt, der Charme der Anfangszeit wurde kaputt gelacht. rg |