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Ankünfte


Ankunft Eins
Die Insel


Ankunft Zwei
Das Schiff


Ankunft Drei
Der Hafen


Ankunft Eins - Die Insel

Ich wurde weit entfernt von zu Hause geboren. Ich wußte nicht, wie fern, ich wußte nur, daß ich Zeit meines Leben weg von dem Ort wollte, den alle anderen Heimat nannten. Und sobald ich alt genug war, verschwand ich. Die nächsten zwei Jahrzehnte war ich auf der Suche. Auf der Suche nach Heimat, auf der Suche nach mir, auf der Suche nach meiner Seele. Ruhelos, immer vorwärts, nie zurückblickend. Ich sah viele Orte die ich mochte, aber keiner fühlte sich wie zu Hause an.

Zwanzig Jahre und achtzig Länder später änderte sich das schlagartig. Es war der Tag, an dem ich Kalifornien betrat. Ich kam aus Nevada, durch die Wüste, und bewegte mich langsam auf die Küste zu. Und dort, am Fuße der Sierra Nevada hatte ich plötzlich das Gefühl als ob jeder Fluß, jeder Berg und jeder Baum zu mir sprach. Und je mehr ich mich dem Ozean näherte, umso stärker wurde dieses Gefühl. Als ich schließlich in Big Sur ankam, sagten die Berge, die Wälder und das Meer nur einen Satz: "Willkommen zu Hause!"

Ich war bestimmt nicht der erste Neuankömmling, den Kalifornien so begrüßte. Ich bin sicher, daß vor tausenden von Jahren die ersten Menschen, die dieses Land erreichten, die selben Worte hörten. Die Geschichte dieser Leute, ihre Mythen und Rituale interessierten mich unwahrscheinlich und der indianische Glaube an Mutter Erde und Vater Himmel war das erste religiöse Konzept das sich mir erschloß - und es machte mich ein wenig toleranter für andere Religionen, die ich bisher rundweg abgelehnt hatte. Würde mich heute jemand auffordern, ein Bild von "Gott" zu malen, wäre das Ergebnis ein Puzzel mit Teilen aus allen vier Himmelsrichtungen. Im Laufe der Jahre wurde dieses Puzzle immer größer, aber bis vor kurzem fehlte ein wichtiger Stein in der Mitte: Die indianischen Religionen mit denen ich mich befasste sprachen viel von Mutter Erde, aber nirgendwo schien Raum für das Meer zu sein - für mich die Krone der Schöpfung.

An einem Wochenende im letzten Frühling fur ich zu einem Festival in Ventura und am Montag darauf besuchte ich Santa Cruz, die größte der Kananlinseln. Auf der Fähre nach Santa Cruz hörte ich das erste mal von den Ureinwohnern der Inseln, den Chumash. Eines Tages sagte Mutter Erde den Chumash, daß es an der Zeit wäre, die Inseln zu verlassen und das Festland zu besiedeln. Sie verband die Inseln und das Festland mit einem Regenbogen und forderte die Chumash auf, über diese Brücke zu gehen. Die Chumash taten, was ihre Mutter von ihnen verlange, aber einige vertrugen die Höhe nicht und fielen ins Meer. Um sie zu retten, verwandelte Mutter Erde sie in Delphine. Und bis zum heutigen Tag sind die Delphine die Brüder und Schwestern der Chumash.

Da war er, der fehlende Puzzlestein: Bruder Ozean! Den Rest des Tages verbrachte ich auf der Insel, von der einst die Wanderung der Chumash über den Regenbogen begann. Ich hatte gefunden, wonach ich so viele Jahre suchte. Manche Leute sagen, zu Hause ist, wo du deinen Gott findest. Für einen Augenblick im Frühling war ich zu Hause.


Ankunft Zwei - Das Schiff

Während meiner Reisejahre waren Schiffe mein zu Hause. Nur Kalifornien konnte mich dazu überreden, das Seemannsleben aufzugeben. Ich habe den Schritt an Land nie bereut, aber Schiffe fehlen mir auch heute noch. Die "Islander," die mich von Ventura nach Santa Cruz Island brachte war mein erstes Schiff nach mehr als zehn Jahren Landleben. Natürlich war es nicht das Gleiche, ich war ja hier nur Pasagier. Irgendwie muß die Besatzung meine sehnsüchtigen Blicke bemerkt haben, denn bald schon luden sie mich auf die Kommandobrücke ein. Ich bekam die neuesten Navigationsgeräte vorgeführt und konnte mein eingerostetes Wissen über Kompaß, GPS, Echolot und Seekarten auffrischen. Und dann, auf der Rückfahrt, übergab mir der Kapitän plötzlich das Ruder und sagte, "Mal sehen ob du es noch kannst. Bring das Schiff in den Hafen." Für einen Augenblick im Frühling war ich zu Hause.


Ankunft Drei - Der Hafen

Mein ganzes Leben lang war ich in Bewegung. Immer gab es etwas neues. Etwas neues zu entdecken, etwas neues zu erfahren, etwas neues zu verderben. Es schien unmöglich, mich je zu stoppen.

Nach meiner Rückkehr von Santa Cruz Island hatte ich eine fünfstündige Autofahrt vor mir und hatte es dementsprechend eilig, aber irgendwie konnte ich mich noch nicht vom Hafen losreißen. Ich wurde langsamer, und dann hielt ich an. Die nächste Stunde verbrachte ich nur damit, den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. Immerhin hatte mich dieser Tag meinem zu Hause näher gebracht als je ein Tag zuvor. Und dann, zum Sonnenuntergang setzte ich mich an den Strand und ich wußte plötzlich, ganz egal, wohin ich von hier aus gehen würde - dort würde ich sein. Und ganz egal, wie spät es dann wäre, es wäre immer Jetzt. Für einen Augenblick im Frühling war ich zu Hause.


Volker Moerbitz, 2005

Hier sind ein paar Bilder von dieser Reise.


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