Les premières nuits à Paris
(c) 1995 by Shavana & Stayka
Kapitel 4: 4. Januar 1982
Montag, der 4. Januar 1982, ca. 17:35 Uhr.
Jean wachte wie üblich nach Sonnenuntergang auf und streckte
sich genüßlich, wobei er überlegte, was sie heute wohl
machen könnten. Eigentlich hatte er ja Lust auf ein richtiges
Souper, nicht schon wieder diese Flaschenkost.
Da er bei seinen Streckmanövern versehentlich Anshara in die
Seite boxte, erwachte diese eher unsanft mit einem "Umpf!"
"Das ist ein Grund, warum ich lieber alleine schlafe",
kommentierte Jean vergnügt und rollte sich aus dem Bett.
"Du mußt dich nur daran gewöhnen", seufzte
Anshara und rieb die getroffene Stelle.
"Ich denke eher, du mußt dich daran
gewöhnen." Jean betrachtete sich im Spiegel.
"Daß ich morgens immer von dir geknufft werde?"
"Genau."
"Hm."
Jean begann, in den herumliegenden Klamotten zu stöbern, um
etwas zum Anziehen zu finden, und Anshara nutzte die Zeit, um in ihr
Zimmer zu gehen und es ihm gleich zu tun. Sie wählte eine
strahlend weiße Kombination und kehrte alsbald zu ihm zurück.
Jean, mittlerweile wie üblich in Schwarz, stand vor dem Spiegel und
striegelte seine Mähne, als Anshara sich neben ihn plazierte.
Kritisch zupfte er an seiner Frisur herum, da er mit dem Ergebnis noch
nicht ganz zufrieden war, und Anshara schlang einen Arm um seine Mitte.
"Ich möchte so gerne längere Haare haben",
seufzte sie.
"Stimmt, das wäre hübsch", fand er und vergrub
seine Finger in ihrer seidigen, blauschwarzen Mähne.
"Eben. Ich will wieder richtig lange Haare haben, bis
hier hin!" Sie deutete auf ihren Po.
"So richtig schön zum Spielen", kommentierte er.
"Gibt es denn gar keine Möglichkeit, die Haare
wachsen zu lassen, wenn man untot ist?" Sie seufzte tragisch. Das
war das, was sie am meisten am Vampirsein bedauerte.
"Ich weiß es nicht", erwiderte er. "Ich habe
noch nie davon gehört. Aber du könntest ja vielleicht einmal
Simon fragen, vielleicht hat der eine Ahnung."
"Bei Gelegenheit. Erst muß ich genug Französisch
lernen, damit ich sein Buch lesen kann. Vielleicht steht ja etwas
darüber drin."
"Hm, ich habe nichts derartiges gesehen."
"Schade. Weißt du, was Simon eigentlich alles
aufgeschrieben hat?"
"Mehr als ich mir merken kann."
"Kannst du es mir bei Gelegenheit übersetzen?"
"Sicher. Aber nicht jetzt. - Was sollen wir denn heute mal
unternehmen?" fragte Jean, ohne den Blick vom Spiegel zu nehmen.
"Chic ausgehen?" Da Jean nur kurz aufbrummte, fuhr sie
fort: "Oder hast du etwas anderes vor?"
"Eigentlich nichts besonderes. Ich finde nur, es wird langsam
Zeit, daß ich meine alten Gewohnheiten wieder aufnehme."
"Und die wären?"
"Raubzüge aller Art und jede Menge Spaß haben."
"Das klingt lustig. Kann ich mitmachen?"
"Ich weiß nicht - kannst du das denn?"
"Noch nicht - außer dem Spaß haben natürlich.
Aber du hast es doch auch einmal gelernt."
"Hm." Er musterte sie prüfend. "Wo fangen wir
an... Sollte ich dir nicht zuerst Taschendiebstahl beibringen?"
"Was immer du als sinnvoll betrachtest."
"Dann fang gleich mal an", wies er sie vergnügt an.
"Versuch mal, mir etwas aus der Tasche zu ziehen." Prompt
kuschelte sie sich an ihn und setzte ihr Vorhaben in die Tat um. Jean
erwischte ihre Hand, als sie gerade in der Tasche war. "Netter
Versuch. Aber ich habe auch einige Jahre gebraucht, es zu lernen."
Sie startete einen erneuten Versuch mit ebensowenig Erfolg.
"Das bedarf noch einiger Übung. Zugegebenermaßen
ist es bei einer engen Jeans besonders schwierig."
"Gibt es denn eine leichtere Variante?"
"Sicher. Aber ich finde deine Versuche ganz nett."
"Soso." Sie steckte ihre Hände in seine hinteren
Hosentaschen und zog ihn zu sich heran.
"Na", machte er belustigt. "Was suchst du denn
da?"
"Deine entzückende Rückfront."
"Ach?" Er beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen
Kuß, während er versuchte, ihr die Halskette zu entwenden.
Anshara erwiderte den Kuß hingebungsvoll und attackierte ein
drittes Mal seine Brieftasche. Jean bemerkte dies zwar, ließ sie
aber gewähren, da er mittlerweile ihre Halskette in der Hand hielt.
"Das hat aber lange gedauert", kommentierte er die
Tatsache, daß sie endlich seine Brieftasche erobert hatte.
"Ich übe ja noch. In einem Jahrhundert habe ich es
vielleicht gemeistert..."
"Ich denke eher, besonders bei deinem Ablenkungsmanöver.
Auch wenn du es nicht immer einsetzen kannst, ist es doch ein guter
Ansatzpunkt." Er reichte ihr die goldene Kette.
"Wie hast du das denn gemacht?"
"Das war leicht, so sehr wie du dich auf meine Tasche
konzentriert hattest. Weißt du, wir haben früher mit Puppen
geübt, die überall Glöckchen hängen hatten."
"Das sollte ich auch mal ausprobieren."
"Du darfst auch gerne an mir üben."
"Gerne..." Sie legte den Kopf an seine Brust und schmiegte
sich an ihn. Jean legte ihr die Kette wieder um. "Danke."
Jean behielt präventiv den Spiegel im Auge, der ihm zeigte, was
hinter seinem Rücken vorging. Für eine blutige
Anfängerin war Anshara wirklich nicht schlecht, vor allem ihre
Ablenkungsmanöver wirkten bei ihm ziemlich gut.
"Und an was für Raubzüge hattest du gedacht?"
Sie sah neugierig zu ihm hoch.
"Ich weiß noch nicht. Meist überkommt es mich
einfach so, wenn ich irgendetwas sehe. Zum Beispiel, wenn etwas
verlockend glitzert..."
"Aha. Dann solltest du wohl besser einen Bogen um
Lampengeschäfte machen."
Jean grinste sie an. "Manchmal bin ich nicht zu bremsen.
Naja, jeder hat so seine Probleme."
"Stimmt." Sie sah ihn hungrig an.
"Appetit?" fragte er und malte mit dem Finger die Konturen
ihrer Lippen nach.
"Ja." Sie küßte ihn auf die Fingerspitzen.
"Was ziehst du vor?"
"Etwas Süßes."
"Ein Fläschchen?"
"Ja, erst einmal ein Fläschchen, und dann vielleicht ein
Hälschen..."
"Wie das hier?" Jeahr fuhr ganz sanft mit den Zähnen
über ihren Hals, und sie erschauerte wohlig.
"Genau."
"Aber jetzt sollte ich doch erst einmal in den Keller gehen und
deine Vorspeise holen." Aber bis er sich dazu überwand,
widmete er sich weiter ihrem Hals. Sie schlang die Arme um ihn und
ließ ihn gewähren. "Wenn du mich nun für einen
Augenblick entschuldigst..."
"Gut."
Jean lief nach unten und brachte eine Kollektion verkorkter Flaschen
mit. Anshara sah ihm sehnsüchtig entgegen und ließ den Blick
nicht von ihm, als er das erste Behältnis öffnete und ihr
unter die Nase hielt.
"Ist das genehm?"
"AB positiv. Oh ja, das ist okay." Sie setzte die Flasche
an und leerte sie in wenigen Zügen. "Obwohl - da war ziemlich
viel Heparin drin", stellte sie stirnrunzelnd fest. "Das
solltest du reklamieren." Nichtsdestotrotz leerte sie eine weitere
Flasche, damit sie nun vollends gesättigt war. "So, jetzt
darfst du." Sie bot ihm ihren Hals dar.
"Wer weiß, wie das jetzt schmeckt", überlegte
Jean. "Obwohl, die Versuchung ist groß..." Er nahm sie
in die Arme und sah sie an, woraufhin Anshara sich prompt auf die
Zehenspitzen stellte und ihn küßte. "Du bist
ausgesprochen süß." Er biß ihr vorsichtig ins
Ohrläppchen, und sie quietschte auf. Jean sah auf und grinste sie
an. "Und du quietschst so schön."
"Wenn du mich erschreckst... Daß du mich in den Hals
beißt, das erwarte ich ja - aber ins Ohr?"
"Ich fand, es verlangte geradezu danach, gebissen zu
werden."
"Es hat nichts dergleichen geäußert",
widersprach sie.
"Es hat ein Schild hochgehalten."
"Hm. Ich wußte gar nicht, daß es schreiben
kann."
"Siehst du, du verkennst es total." Anshara prustete los,
das war zu albern. Jean grinste zurück. "Aber wenn es dir
lieber ist, kann ich auch deinen Hals nehmen."
"Aber nickt kleckern!" forderte sie. "Ich habe
weiße Sachen an."
"Ich kleckere nicht.", meinte Jean. "Ich bin doch
kein Ferkel."
"Beruhigend."
"Ich glaube, du bist immer noch nicht von der Vorstellung der
Fernsehvampire geheilt."
"Naja, ich lege halt viel Wert auf Sauberkeit."
"Ich weiß. Letztlich habe ich einen Vampirfilm gesehen,
da haben die das ganze Blut total verschwendet."
"Das ist Dummheit", stimmte Anshara zu.
"Eben", meinte Jean. "Genau wie dieses ganze andere
Gehabe - das Fauchen, die Bißtechnik..."
"Fauchen finde ich aber lustig." Sie führte ihm ihre
Variante davon vor.
"Normalerweise finde ich Fauchen beängstigend, aber bei
dir ist es einfach süß", kommentierte er. Anshara zog
eine Schnute.
"Sollten Vamp- äh, Kainskinder ihre Gegner nicht allein
durch ihre Anwesenheit einschüchtern?"
"Viele schon."
"Ich fürchte, bei mir würden sie sich nur
kaputtlachen", seufzte sie.
"Bei mir klappt das auch nie", beruhigte er sie.
"Vielleicht sollte ich auch fauchen lernen."
"Hm." Sie musterte ihn. "Fauch mal!"
"Ich bin sicher, du lachst." Um sie von der Idee
abzubringen, hob er Anshara hoch und stellte sie auf dem Bett ab, ehe er
sie küßte. So brauchte er sich wenigstens nicht zu
bücken, und er nutzte die Gelegenheit, um spielerisch nach ihr zu
schnappen.
"Du bist bei weitem der beste Spielpartner, den ich je
hatte."
Sie betrachtete ihn mißtrauisch.
"Wie viele ...Spielpartner hattest du denn schon?"
"Einige", erklärte er vergnügt. Er sah sie
intensiv an. "Haps!" machte er und ließ seine
Zähne vor ihrer Nase zuschnappen. Anshara hüpfte erschreckt
einen Schritt zurück.
"Nicht meine Nase!"
"Ich glaube nicht, daß ich sie dir abbeißen
würde. Normalerweise beiße ich höchstens in
etwas und nicht etwas ab."
"Das beruhigt mich ungemein. Meine Nase ist mir nämlich
heilig."
"So?" Er betrachtete diese aufmerksam, wobei Anshara
darauf achtete, ihm ihre Schokoloadenseite zuzuwenden. Es war jedoch
mehr ihr Hals, der Jeans Aufmerksamkeit beanspruchte, und er schob ihre
dichten, seidigen Haare beiseite, um sich die optimale Bißstelle
auszusuchen.
"Was hast du vor?"
"Frühstücken."
"Ah." Sie stellte sich in Pose, woraufhin Jean sich
über ihren Hals beugte und sich ein paar Schlucke genehmigte. Er
fand es aufregend, Ansharas Blut zu trinken, es war so ganz anders als
das der Sterblichen. Sie schlang die Arme um ihn und genoß das
erregende Gefühl dieses Kusses. Daran konnte sie sich wirklich
gewöhnen, dachte sie wohlig.
Jean hob sie wieder vom Bett herunter, damit er nun sein Gesicht in
ihren Haaren vergraben konnte. Anshara ließ ihn dabei keine
Sekunde los.
"Daran könnte ich mich gewöhnen", bemerkte er
und leckte die Wunden an ihrem Hals zu.
"Ich habe jedenfalls nicht vor, dich so bald wieder gehen zu
lassen", entgegnete sie.
"Ich will ja gar nicht gehen." Als er das mit solcher
Überzeugung sagte, war Jean über sich selbst erstaunt. Oder
lag dies jetzt daran, daß er zum dritten Mal von ihrer
Vitæ getrunken hatte? "Was sollen wir nun
unternehmen?" wollte er wissen und sah sie verliebt an.
"Du wolltest doch auf einen Raubzug gehen."
"Ich will dich aber nicht verlassen, und ich fürchte, du
bist mir unterwegs keine zu große Hilfe."
"Und wenn ich dich als dein Lehrling begleite?"
"Gut, aber nur, wenn du etwas anderes anziehst. Weiß ist
für Raubzüge die ungeeignetste Farbe - außer
selbstleuchtenden Neonfarben."
"Ginge mein schwarzes Kleid?"
"Etwas Praktisches wäre sinnvoller."
"Was hältst du davon, wenn wir demnächst ein paar
schwarze Sachen für mich mitbestellen?"
"In Kindergrößen", meinte Jean amüsiert.
"Solange sie passen... Aber dann kann ich mit auf
Raubzüge gehen." Sie strahlte ihn an. "Wenn du mich
einen Augenblick entschuldigst, damit ich mich umziehen kann?" Sie
wartete keine Antwort ab, sondern stürmte in ihr Zimmer. Jean sah
ihr hinterher, ehe er einen Blick in den Spiegel warf, um seine
Kleidungsstück und Haare wieder in Ordnung zu bringen.
Bald darauf kehrte Anshara zurück, nun in einem mittelbraunen
Rollkragenpullover über einer dunkelbraunen Samthose, die in
halbhohen Stiefeln steckte.
"Ein ungewohnter Anblick", kommentierte Jean ihr
Auftreten. "Jetzt bist du jedenfalls nicht sofort zu sehen."
Er nahm seinen Werkzeuggürtel und legte ihn um die Hüften,
bevor er eine schwarze Jacke überzog.
"Hast du auch eine Jacke für mich?" fragte Anshara.
Ihr Mantel war weiß, und das lange schwarze Cape war bestimmt
nicht für heimliches Verschwinden geeignet. Jean durchsuchte
seinen Schrank und förderte ein Jäckchen zu Tage, das ihm
gerade bis zur Taille reichte. Als Anshara es überzog, wirkte es
wie ein normal langes Oberbekleidungsstück, nur die Ärmel
waren ein gutes Stück überdimensioniert. Jean half ihr, diese
aufzukrempeln, und sie himmelte ihn an.
"So, fertig", verkündete er schließlich.
"Hast du Handschuhe?"
"Ja." Sie zeigte ihm ein paar braune Fingerhandschuhe, die
sie anschließend wieder in ihre Umhängetasche packte.
"Dann laß uns gehen."
Jean lief erst einmal ein Stück durch die Stadt, um zu sehen,
ob er etwas fand, das seinen Vorstellungen entsprach. Zunächst war
ihm allerdings noch nichts genehm.
"Wenn ich zu schnell gehe, sagst du Bescheid?" fragte er,
da Anshara einen ziemlich forschen Schritt halten mußte, um auf
gleicher Höhe mit ihm zu bleiben.
"Bis jetzt geht es. Mit den Stiefeln kann ich erheblich besser
laufen als mit meinen Sandalen."
Neugierig betrachtete Jean die diversen Schaufenster, die sie
passierten. Anshara bewunderte die Auslagen eines Juweliers.
"Das ist hübsch", fand sie.
"Glitzersteinchen", stimmte Jean zu.
"Genau. Und Gold."
"Gold ist nicht so ganz mein Fall. Zu dir paßt es, aber
zu mir?"
"Nicht ganz", lächelte Anshara.
"Dann wird es darüber wohl auch keinen Streit geben."
"Bestimmt nicht. Obwohl ich natürlich auch Glitzersteine
mag. Am schönsten ist aber immer noch Lapislazuli, der ist
nämlich der Stein des Himmels der Ägypter."
"Stimmt, das ist ein schöner Stein. Mir sind jedoch
Diamanten und Smaragde am liebsten, aber schließlich bin ich auch
nicht aus Ägypten..."
Anshara lächelte und betrachtete einen dunkelblauen Saphir,
dessen Farbe so tief war wie der atlantische Ozean. "Der ist aber
auch wunderschön. Meinst du, ich könnte mir den
zulegen?"
"Warum nicht?"
"Nun, der Preis ist doch ziemlich gewaltig, und fast mein
ganzes Vermögen liegt noch in Karnak." Sie himmelte Jean an.
"Würdest du mir den schenken?"
"Vielleicht."
Sie schlang die Arme um seinen Hals, zog ihn zu sich herunter und
küßte ihn ausgiebig. Jean gefiel das natürlich.
"So könntest du mich fast überzeugen", stellte
er fest. Anshara wiederholte die Aktion. "Das kannst du ruhig
nochmal machen." Natürlich wurde sie dessen nicht müde,
was dazu führte, daß Jean schon wieder vergaß, was er
eigentlich hier wollte.
"Also - bekomme ich den Stein?" fragte sie
schließlich nach.
"Welchen Stein?" entgegnete Jean zerstreut. Anshara
deutete auf den Saphir, woraufhin ihr Gegenüber das Schaufenster
musterte. "Das ist aber nicht so leicht. Der Laden hat mir
Sicherheit eine Alarmanlage."
"Kannst du die nicht ausschalten?"
"Von hier aus?"
"Wie wäre es, wenn wir das Geschäft erst
ausspionieren? Wir könnten das morgen am frühen Abend in
Angriff nehmen."
"Mal gucken", meinte Jean und verschwand in der schmalen
Gasse zwischen den Häusern. Anshara schlich hinter ihm her und
beobachtete, wie er sich umsah. Sicherheitshalber verhielt sie sich
ganz ruhig, um ihn nicht bei der Arbeit zu stören.
Jean suchte nach einer Möglichkeit, unbemerkt in das Haus zu
kommen, doch im Erdgeschoß waren alle Eingänge mit Gittern
verschlossen, von denen er vermutete, daß sie alarmgesichert
waren. Endlich entdeckte er eine Feuerleiter, die nach oben zum Dach
führte. Der einzige Haken war, daß sie erst ein ganzes
Stück über seinem Kopf begann.
"Meinst du, wir kommen von oben hinein?" fragte Anshara im
Flüsterton.
"Möglich."
"Prima. Nur, wie können wir da hochkommen?" Sie
folgte Jeans Blick, als dieser die Entfernung abschätzte.
"Ich glaube, ich komme da hinauf", kommentierte er.
"Ich schaffe das nur, wenn du mich hochziehst."
"Versuchen wir es." Er sprang nach der Leiter, erwischte
sie sogar im ersten Anlauf und zog sich in die Höhe. Als er auf
der untersten Sprosse saß, hielt Anshara ihm auffordernd die Arme
entgegen. "Hey, ich bin doch kein Artist", machte er sie
aufmerksam und überlegte, wie es ihm am besten gelingen
könnte, sie in die Höhe zu hieven, ohne daß er das
Gleichgewicht verlor.
"Leider ist es mir nicht möglich, mich in eine Fledermaus
zu verwandeln", erklärte sie mit einem schiefen Grinsen.
"Mir auch nicht. - Ich klettere erst einmal zur Plattform, und
von da kann ich dich dann hoffentlich hochziehen."
Anshara wartete, während Jean die restlichen Sprossen der
Leiter erklomm. Dort wickelte er das Seil ab, das er um die Taille
trug. Er band es am Geländer fest und warf ihr das andere Ende zu.
Sie band es sich um und sah zu ihm hoch.
"Du kannst mich raufziehen!"
"Du könntest auch mal klettern", maulte Jean,
streifte sich seine Handschuhe über und hievte sie mühsam nach
oben. "Du bist ganz schön schwer."
"45 Kilo und kein Gramm mehr", verteidigte sie sich. Jean
seufzte nur und rollte sein Seil wieder auf, ehe er die immer noch
angeleinte Anshara hinter sich her die Treppen hinaufzog. Als sie am
Dach angekommen waren, verharrte Jean und wandte sich an sie.
"Du bleibst hier stehen."
"Gut, ich passe auf, daß uns niemand folgt",
erwiderte sie fatalistisch.
"Fein." Jean kletterte auf das Dach und balancierte auf
den Dachpfannen entlang zu einer der Luken, bevor er sich daranmachte,
diese aufzubrechen. Er fluchte leise auf Französisch vor sich hin,
da das Teil ziemlich verrostet war. Anshara verrenkte sich fast den
Hals beim Versuch, sich nichts entgehen zu lassen. Auf einmal gab die
Arretierung des Fensters krachend nach, und Jean verharrte stocksteif.
Auch Anshara erstarrte. Hoffentlich hatte das keiner gehört.
Als nach fünf Minuten immer noch nichts passierte, schob er die
widerspenstige Luke ganz auf und spähte auf den Dachboden, ehe er
Anshara mit einem Wink bedeutete, sich zu ihm zu gesellen. Lautlos
schlich sie zu ihm herüber, und er wies auf die Öffnung. Das
Seil hatte er bereits an einem stabil aussehenden Träger befestigt.
"Da unten ist die Luft rein. Geh du zuerst, ich halte dich
fest."
"Gut." Sie ließ sich vorsichtig herunter, bis sie
auf dem staubigen Holzboden stand. "Okay, ich bin unten",
flüsterte sie. "Du kannst nachkommen." Sie löste
das Seil von ihrer Taille, und Jean folgte ihr auf dem Fuß. Sie
stiegen durch eine Bodenluke nach unten und hinterließen einige
staubige Fußabdrücke, bis Anshara eine Packung
Papiertaschentücher zückte und sie verwischte, ehe sie die
Sohlen ihrer Stiefel säuberte. Um die Spuren auf dem Dachboden
mußten sie sich auf dem Rückweg kümmern.
Endlich sah sie sich um. Jean war schon auf der Suche nach der
Treppe. Offenbar befanden sie sich in einer Wohnetage, und
möglicherweise wohnte hier sogar der Juwelier, den sie um seine
Juwelen erleichtern wollten.
Schließlich hatte Jean das Treppenhaus entdeckt und bedeutete
Anshara zu warten, bis er alles abgesichert hatte. Er schlich lautlos
hinunter, und als er befand, daß die Luft rein war, gab er Anshara
ein Zeichen, ihm zu folgen. Er war positiv überrascht, daß
sie sich recht geschickt anstellte und kaum ein Geräusch
produzierte.
Unten angekommen, öffnete er die Tür und sah in den Flur
des Erdgeschosses. Es war alles verlassen. Vorsichtig sicherte er
dennoch nach allen Seiten, bis er vor der Tür des Ladens stand,
neben dem sich ein Kasten befand, der eine Schalttafel verbarg.
"Meinst du, die ist von der Alarmanlage?" wollte Anshara
leise wissen.
"Ich denke, es ist eher der Sicherungskasten."
"Oh."
Jean seufzte und sah sich weiter in der Nähe nach etwas
Interessantem um.
"Es scheint ja doch ziemlich schwierig zu sein, irgendwo
einzubrachen", stellte Anshara fest.
"Was dachtest du?" fragte Jean und spähte hinter
einen Vorhang.
"Naja, ich habe so etwas noch nie gemacht."
"Tse." Er guckte hinter ein Bild. Dafür, daß
das hier nur eine Eingangshalle war, sah es ziemlich wohnlich aus. Es
fehlte nur noch ein Teppich auf dem Boden und
Einrichtungsgegenstände.
"Was suchst du eigentlich genau?"
"Den Schalter der Alarmanlage."
"Meinst du, der ist draußen?"
"Natürlich. Wie soll man den denn von ihnen einschalten
und dann herauskommen, ohne den Alarm auszulösen?"
"Zum Beispiel mit einer Zeitschaltuhr."
"Nicht in so einem alten Laden."
"Ah." Anshara hob die Fußmatte hoch, um Jean zu
unterstützen, aber selbst mit ihren geschärften Sinnen nahm
sie nichts von Bedeutung wahr. "Sag mal, hat es etwas zu bedeuten,
daß diese Tür drei Schlösser hat?"
"Sie ist schwerer zu knacken als eine Tür mit einem
Schloß."
"Hm. Und davon kann keins der Schalter der Alarmanlage
sein?"
"Möglich wäre das schon, aber dann kommen wir ohne
Schlüssel nicht hinein."
"Hast du für sowas keinen Dietrich oder so?"
"Schon", gab Jean zu. "Aber wenn ich damit in dem
Schloß herumfummele, löst das garantiert den Alarm aus."
"Kann man denn nicht feststellen, was davon ein echtes
Schloß ist? Zum Beispiel mit einem Stethoskop?" Anshara
hatte entschieden zu viele Krimis gesehen.
"Willst du den Herzschlag überprüfen?"
"In den Filmen hören die doch auch immer alles ab."
"Safes mit Zahlenschlössern vielleicht..."
"Aber irgendetwas muß es doch geben!"
"Ja, einen versteckten Schalter, hoffe ich." Sie
spähten weiter herum.
"Hast du schon den Türrahmen überprüft",
wollte Anshara wissen.
"Ja. Ich habe nichts gefunden." Jean fluchte leise vor
sich hin und begann noch einmal von vorne. Nach einiger Zeit hielt er
inne. "Hey, ich glaube, hier ist was." Er hatte einen Schrank
geöffnet und sah hinein.
"Der Schalter?"
"Hier läßt sich ein Teil verschieben", meinte
er und drückte dagegen. Als er die kleine Platte beiseitegeschoben
hatte, konnte er ein Zahlenschloß erkennen, und er seufzte schwer.
Die Dinger haßte er wie die Pest.
"Und?" fragte Anshara.
"Ich kriege sowas nie auf..."
"Was? Den Knopf?"
Jean spähte ärgerlich hinter der Tür hervor.
"Mach dich nur über mich lustig!"
"Laß mich doch endlich mal gucken!"
"Bitte." Er trat zur Seite, und Anshara betrachtete sein
Problem.
"Ah! Ein Zahlenrätsel", kommentierte sie und begann
herumzuprobieren, nachdem sie ihre Handschuhe ausgezogen hatte. Jean
setzte sich auf die Kommode und wartete. Er fragte sich, wann sie wohl
entnervt aufgeben würde, als sie aufsah.
"Oh, das war aber einfach", stellte sie fast ein wenig
enttäuscht fest. "Da hat gerade etwas geklackt."
"Zeig mal." Sie ließ ihn wieder an den Schrank, wo
er sah, daß eine grüne Lampe die rote ersetzt hatte.
"Stimmt, es ist aus."
"Wir können also endlich hinein?" Sie zog die
Handschuhe wieder an.
"Wenn wir die Türschlösser aufkriegen."
"Das ist dein Metier."
Jean schob die kleine Klappe wieder zu, nachdem er sorgsam alle
etwaigen Fingerabdrücke Ansharas abgewischt hatte. Nachdem er den
Schrank wieder geschlossen hatte, bearbeitete er die Schlösser der
Tür, wobei ihn Anshara neugierig beobachtete. Eines der drei bekam
Jean rasch auf, die anderen beiden waren jedoch komplizierter.
"Das mußt du mir unbedingt beibringen",
fand sie.
"Bei Gelegenheit", meinte Jean und seufzte zufrieden, als
das zweite Schloß nachgab. Für das dritte brauchte er
allerdings weitere zehn Minuten, was ihm gar nicht gefiel. Er war wohl
etwas aus der Übung gekommen, fürchtete er, also sollte er
besser wieder häufiger Raubzüge unternehmen.
"Du hast es geschafft", flüsterte Anshara erfreut und
gab ihm einen Kuß.
"Hast du etwas anderes erwartet?" fragte er vergnügt.
"Bislang hatte ich dich noch nicht auf einem Raubzug begleitet,
daher konnte ich mir vorab kein Urteil erlauben."
"Tse." Er machte langsam die Tür auf, bevor er sich
wieder aufrichtete. Anshara wartete ab und sah zu, wie Jean den Raum
von der Tür aus aufmerksam mit Blicken und seinen vampirisch
scharfen Sinnen absuchte. "Ich sehe nichts gefährliches, wir
können hinein", konstatierte er schließlich. Er ging
voran, und nichts passierte. Anshara folgte ihm lautlos, wobei sie sich
neugierig umschaute.
Jean suchte vorsichtig alle Auslagen nach Berührungssensoren
oder anderen zusätzlichen Alarmanlagen ab, doch der Inhaber des
Geschäfts hatte offenbar nicht allzuviel Geld in die Sicherheit
investiert.
"Ich würde sagen, wir können", erklärte er
schließlich.
"Prima!" Anshara schwebte zum Fenster und begann, alles
goldene und alle blauen Steine einzupacken. Jean lachte leise, als er
sie beobachtete.
"Du bist mir ein kleiner Geier!"
"Nimmst du etwa nichts mit?" fragte sie unschuldig
zurück.
"Ich habe noch nichts ansprechendes gefunden." Er
spähte routiniert in die verschiedenen Vitrinen und Auslagen.
"Aha. - Oh, hier sind ja noch andere hübsche
Sachen", stellte sie entzückt fest und deutete auf ein
goldenes Collier, das mit extravant geschliffenem Imperial-Topas
verziert war.
"So eins hast du doch schon", kommentierte Jean.
"Aber deshalb ist es trotzdem schön." Es verschwand
in ihrer Tasche. "Oder diese Steine hier..." Sie deutete auf
einen Regenbogen aus ungefaßten Turmalinen.
"Die sind wirklich hübsch", stimmte Jean zu, und
Anshara seufzte. Am liebsten würde sie ja alles mitnehmen, aber
soviel konnte sie nicht tragen. Ihr Gefährte spielte mit einigen
Silberschmuckstücken herum, aber bislang war nichts dabei, was ihn
richtig fasziniert hätte.
"Oh, guck mal!" begeisterte Anshara sich und nahm
einen goldenen Torque aus einer Vitrine, um ihn sich anzuhalten.
"Das wäre eines Pharao würdig!" Sie setzte ein
selbstzufriedenens Lächeln aus. "Das will ich auch",
erklärte sie, und das Schmuckstück verschwand ebenfalls in der
Tasche.
"Gut, daß deine Tasche so groß ist",
kommentierte Jean belustigt.
"Stimmt."
Jean grinste und ließ den Schmuck auf den schwarzen Samt
zurückfallen, um in einige der Schränke zu spähen. Er
mußte dazu noch weitere Schlösser aufbrechen, aber diese
waren einfacher zu knacken als die drei an der Tür. Vorsichtig zog
er eine der Schubladen heraus und spähte darauf.
"Hast du schon was gefunden?"
"Nur langweiliges Zeug", winkte er ab. Das hier waren
maximal 0.25-Karäter, also alles Spielzeug. Er wandte sich dem
nächsten Schrank zu, der etwas besser gesichert war, und hier wurde
er fündig. "Oh, Glitzersteinchen!"
"Zeig mal!"
Jean hielt ihr eine Schublade mit vielleicht zwei Dutzend
lupenreinen, einkarätigen Diamanten entgegen.
"Schööön!"
"Die nehmen wir mit." Er leerte die Schublade in einen
seiner Beutel, bevor er weiter stöberte.
"Gibt es davon noch mehr?"
"Ja, einiges. Hier sind ganz viele blaue und grüne
Steine. Saphire und Smaragde, würde ich sagen."
"Die blauen sind für mich", erklärte Anshara.
"Dann nehme ich die grünen."
Nachdem diese ebenfalls verstaut waren, öffnete er die
nächste Schublade, die einige Etuis enthielt. Neugierig
öffnete er sie.
"Das sind ein paar aufwendig gearbeitete Colliers",
kommentierte er.
"Ist auch etwas für mich dabei?"
"Was hättest du denn gerne?"
"Etwas schönes natürlich."
"Laß mal sehen... Wie wäre es denn mit dem?"
Er hielt ihr eine Schatulle mit einen in Gold gefaßten
Saphir-Collier entgegen.
"Toll", hauchte sie und packte es zu ihrer Sammlung dazu.
Jean tat es ihr gleich und steckte sich die vier nach seinem Geschmack
schönsten Schmuckstücke ein. Anshara hatte sich derweil
über eine weitere Schublade hergemacht und eine Handvoll tiefroter
Steine auf schwarzem Samt entdeckt.
"Lauter Rubine!" erklärte sie und bewunderte die edel
geschliffenen Kostbarkeiten.
"Hübsch. Wie Blutstropfen."
Sie beschlossen, diese Errungenschaft gleichmäßig unter
sich aufzuteilen, und so verschwand die eine Hälfte in Jeans
Beutel, während der Rest in Ansharas Tasche wanderte.
"Findest du noch etwas?" wollte Jean nun wissen, und
Anshara schüttelte den Kopf. Sie wollte jetzt schnell nach Hause,
um all die hübschen Sachen ausgiebig zu bewundern. Jean gab ihr
ein Zeichen und verschloß erst einmal wieder die Schränke und
Vitrinen, damit alles auf den ersten Blick noch normal aussah, dann
schlichen sie den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren,
wobei sie ihre Fußabdrücke im Staub und sonstige Spuren
sorgfältig verwischten.
"Und jetzt schnell nach Hause", sagte Jean, als sie die
Feuerleiter herabgestiegen waren. Sie legten einen kleinen Spurt ein,
und Jean fühlte sich nach dem gelungenen Raubzug vollends
zufrieden. Anshara trabte fröhlich neben ihm her.
* * *
Im Haus angekommen, warf Jean sich auf sein Bett und schüttete
den Beutel mit der Beute auf der schwarzen Satindecke aus. Anshara
stand daneben und war von den funkelnden Kleinoden völlig
fasziniert. Jean brummte zufrieden und entledigte sich seiner
Handschuhe und Jacke, die in der nächsten Ecke landeten, ehe er
sich seinen Steinchen widmete - die glitzerten so schön.
Anshara suchte sich einen freien Fleck auf dem Bett, auf dem sie
ihre Tasche entleerte. Es kam ein Berg unterschiedlicher Dinge zum
Vorschein - von Werkzeug über Make-Up bis hin zu einem Etui mit
allerlei Schreib- und Zeichenutensilien - und dazwischen lagen die
ungefaßten Edelsteine und die Schmuckstücke, die ihr
Augenmerk auf sich gezogen hatten.
Nachdem sie alle Kostbarkeiten aus allen Ecken der Tasche entfernt
hatte, räumte sie die Dinge wieder zurück, die
hineingehörten. Als alles wieder eingepackt war, begann sie, ihre
Steine nach Farbe und anderen Kriterien zu sortieren, damit sie sie
anschließend gebührend bewundern konnte.
"Ich finde es nur bedauerlich, daß ich so etwas nicht
tragen kann", seufzte Jean schließlich, als er sich von dem
funkelnden Farbenspiel losgerissen hatte.
"Warum denn nicht?" wollte Anshara wissen. Sie hatte die
Rubine auf der Handfläche verteilt und drohte schon wieder, in dem
herrlichen, tiefroten Schimmer zu versinken.
"Das sieht doch ziemlich merkwürdig aus, oder etwa
nicht?"
"Kommt drauf an - als Krawattennadel ginge es auf jeden
Fall..."
Jean verzog das Gesicht. "Ich trage keine Krawatte."
"Dann vielleicht eine Brosche?"
"Hm."
"Es sollte natürlich etwas Geschmackvolles und doch
Extravagantes sein."
Er guckte zweifelnd.
"Weißt du, ich werde ein paar Stücke für dich
entwerfen", beschloß sie.
"Da bin ich drauf gespannt", meinte er lächelnd und
rollte sich auf den Rücken, um an die Decke zu gucken. Mit einer
Hand fischte er nach einem der Colliers, hielt es hoch und betrachtete
es gegen das Licht.
"Wie wäre es mit einer Rose?"
"Dir würde das bestimmt stehen."
"Dir auch."
Jean schüttelte den Kopf. "Ich glaube, ich bleibe lieber
ganz bei Schwarz."
"Schade", seufzte sie. Jean schob die ganzen Steine vom
Bett auf den Boden. Anshara guckte besorgt. "Vorsicht, da sind
ein paar unter das Bett gerollt."
"Macht doch nichts." Jean zuckte mit den Schultern.
"Und wenn man nun drauftritt?"
"Wir können ja staubsaugen."
"Die armen, hübschen Glitzersteinchen..."
"Ich kann sie auch aufheben."
"Das fände ich besser." Anshara suchte ein paar
Taschentücher aus dem Chaos und wickelte ihre Beute sortiert
hinein, während Jean sich ächzend aus dem Bett rollte, um
seine Sachen in einen Beutel zu stopfen, den er auf dem Nachttisch
ablegte.
"Ich glaube, ich muß mir unbedingt ein paar Etuis
für all diese Kleinodien holen", überlegte Anshara.
"Zeigst Du mir, was du noch alles erbeutet hast?"
"Oh je, die Sachen von meinen frühren Raubzügen
liegen überall hier im Haus herum. Du brauchst nur in
irgendwelchen Schränken, Schubladen und Truhen nachsehen. Ich habe
den Kram überall dort verstaut, wo Platz war."
"Aber da kann man die Steine doch gar nicht gebührend
bewundern."
"Ich habe so viel davon", erklärte Jean und sah zu,
wie sie anfing, wahllos einige Schubladen aufzuziehen. Bei jeder neuen
Entdeckung stieß sie einen Ruf des Entzückens aus, was ihn zu
einem Lächeln verleitete. "Ich weiß schon gar nicht
mehr, daß ich so etwas hatte", sinnierte er bei einem Blick
auf einige ungefaßte tropfenförmige Brillanten.
"Ich sollte das alles mal sortieren und katalogisieren",
befand Anshara.
"Das muß nicht sein", entgegnete Jean und dachte an
die Berge von Karteikarten und Ordnern.
"Warum nicht? Es gibt doch jetzt diese neumodischen
Computer", erzählte Anshara. "Damit soll so etwas ganz
leicht gehen. Und man kann alles auf normalen Musikcassetten speichern
- das habe ich im Fernsehen gesehen. Man spart sich eine Menge Papier
damit."
"Das ist mir viel zu anstrengend."
"Wieso? Wenn sich dann etwas am Bestand ändert, lädt
man einfach alles von der Cassette zurück, korrigiert es und
sichert es wieder. Ganz einfach."
"Du verlangst doch wohl nicht von mir, daß ich so etwas
verstehe?"
"Es ist doch gar nocht so schwierig. Weißt du, ich finde
diesen ganzen neumodischen Kram total genial. Genau wie Autos und
Flugzeuge. Und U-Bahnen!"
"Also, ich finde diese neuen Sachen ja ganz nett, aber nur,
solange ich mich nicht zu sehr damit abplagen muß."
"Es heißt überall, daß Computer die Arbeiten
total vereinfachen werden..."
"Ich arbeite eh nicht."
"Aber auch das Vergnügen. Ich habe im Fernsehen so ein
Computerspiel gesehen, wo man selber auf dem Mond landen sollte. So
richtig mit Treibstoffverbrauch und Aufsetzgeschwindigkeit. Echt toll,
das Ganze."
"Ich finde das langweilig", erklärte Jean gnadenlos.
"Aber alle sagen, das wäre die Technologie der
Zukunft", machte Anshara ihn aufmerksam.
"Werden wir ja sehen. Wenn es relevant wird, kann ich mich
immer noch damit beschäftigen."
"Also, ich werde mir auf jeden Fall so ein Teil besorgen."
"Tu was du willst."
"Das mache ich sowieso", strahlte sie ihn an.
"Ich weiß", seufzte er.
Anshara beschloß, erst einmal ihre Errungenschaften in ihrem
Zimmer zu verstauen, ehe sie zu Jean zurückkehrte. Sie wollte
gerade nachfragen, was sie nun unternehmen sollten, als ihr der
nachdenkliche Blick Jeans zur Decke des Zimmers Gewahr wurde,
während er abwesend mit den Troddeln der Kissen herumspielte.
"Worüber denkst du nach?" wollte sie wissen.
"Nichts besonderes", erwiderte er und lächelte sie
an. Anshara strahlte zurück.
"Ich hoffe es gibt keinen allzu großen Ärger mit dem
Juwelier."
"Ich habe alles überprüft, wir haben keine Spuren
hinterlassen."
"Prima. Aber sollten wir den ganzen Kram nicht trotzdem
sicherheithalber irgendwo verstecken, wo man ihn nicht finden
kann?"
"Ich lasse niemanden in mein Haus", erklärte er
kategorisch, ehe er das Thema wechselte. "Was machen wir
nun?"
"Hm", überlegte Anshara. "Was hältst du
von einem Besuch in einem der hiesigen Museen oder Nachtclubs?"
"Was immer du möchtest."
"Dann ein Museum mit schönen Bildern", bestimmte sie.
"Gut", meinte Jean und schwang sich aus dem Bett.
"Ich schlage das Musée de l'Orangerie vor, das liegt sogar
halbwegs in der Nähe. Aber ein Taxi sollten wir dennoch in
Anspruch nehmen..." Er ging zum Telefon und verhandelte kurz mit
der Zentrale eines Taxiunternehmens.
"Hm. Wir sollten uns vielleicht doch ein Auto zulegen",
fand Anshara. "Dann müßten wir nicht unentwegt ein Taxi
rufen."
"Man gewöhnt sich daran." Jean begann sich
umzuziehen, und auch Anshara war flugs in ein festliches Gewand in
Hellbraun und Gold gehüllt. Sie bewunderte Jeans elegante
Garderobe, die natürlich wie jedes andere seiner
Kleidungsstücke von Kopf bis Fuß schwarz war, und er
lächelte sie gewinnend an. Logischerweise führte dies wieder
einmal dazu, daß sie sich auf ihn stürzte und
übermütig die Arme um ihn schlang. "He, du zerknautschst
meine Garderobe", mahnte er belustigt, schob sie sachte von sich
und strich seine Sachen glatt.
"Tut mir leid, aber du bist zu sehr Versuchung für
mich", seufzte sie und die beiden betrachteten ihren Anblick im
Spiegel. Anshara sann darüber nach, wie gut es war, daß sie
im Gegensatz zu einigen anderen Vampirgestalten in der Literatur
über ein Spiegelbild verfügte. Wie könnte sie sonst ihr
Make-Up auftragen und ihre Frisur ordnen? Ganz abgesehen davon,
daß sie sich zu gerne in einem Spiegel bewunderte...
Nun fiel ihr Blick wieder auf Jean, der seine zerzauste nachtfarbene
Mähne striegelte. Bei Isis, war der hübsch, fand sie
andächtig. Sie würde ihn bestimmt nicht mehr entkommen
lassen. Als er mit dem Bürsten fertig war, wandte er sich an sie.
"Meinst du, so kann ich mich sehen lassen?"
"Auf jeden Fall", erklärte sie. "Und was ist
mit mir?" Sie drehte sich probeweise einmal um ihre Achse.
"Du bist immer süß", kommentierte er, und
gerade, als er nach ihren Haaren angelte, klingelte der Taxifahrer. Da
sie im Augenblick zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren,
hörten sie es erst, als der Fahrer begann, ärgerlich Sturm zu
klingeln.
Unwillig ging Jean zur Tür und bat den Mann, noch ein wenig zu
warten, was er ihm mit einem nicht zu kleinen Geldschein
versüßte.
Anshara war gerade dabei, sich zu überlegen, ob sie das eine
oder andere Schmuckstück aus Jeans Sammlung anlegen sollte. Sie
hatte sich alsbald für ein goldenes Ensemble entschieden, das mit
honigfarbenen Topasen besetzt war, und von dem Jean meinte, daß
der Raub lange genug in der Vergangenheit lag, um es ungefährlich
erscheinen zu lassen.
Als sie nach einer Viertelstunde endlich im Taxi saßen, wies
Jean den Fahrer an, sie zum Place de la Concorde zu fahren. Nachdem der
Mann sie abgesetzt und ein angemessenes Trinkgeld empfangen hatte,
gingen die beiden zum Jardin des Tuileries, nicht ohne daß Anshara
den Obelisken aus Luxor ausgiebig bewunderte, der den
geschichtsträchtigen Platz zierte.
Schließlich betraten sie das Museum durch einen der
Eingänge, die den Kainskindern vorbehalten waren und gelangten bald
in die ovalen Räume im Erdgeschoß, die von Claude Monets
berühmten Seerosenbildern beherrscht wurden.
Anshara sah sich um und war begeistert. Sie hatte Zeit ihres Lebens
und Unlebens schon einiges gesehen, aber eine solche schwimmende
Blütenpracht war ihr bislang noch nicht untergekommen. Jean
beobachtete lieber ausgiebig Anshara, die durch die Räume schwebte
und alles in sich aufzunehmen versuchte, denn er kannte das Museum schon
in und auswendig.
"Gefällt es dir hier?" fragte er.
"Oh ja!" Sie verweilte vor einem Bild, das eine Szene aus
dem höfischen Leben zeigte. "Das ist hübsch. Diese
Kostüme sind einfach ...edel."
"Teilweise sind die aber ziemlich unpraktisch. Mir sind die
aktuellen Sachen lieber."
"Die mögen ja praktisch sein, aber sie wirken nicht so
majestätisch wie die antiken Sachen."
"Die sehen aber auch nur auf den Bildern wirklich gut
aus", bemerkte Jean amüsiert. "Die Leute damals waren
nicht halb so 'majestätisch'..."
"Oh."
"Die Maler haben natürlich den wohlhabenden Kunden sehr
geschmeichelt, sonst hätten sie keine neuen Aufträge
bekommen."
"Tja, damals gab es eben noch keine Fotoapparate", stellte
Anshara fest. "Wenigstens sind die Bilder durch die
Schönzeichnerei ästhetisch ansprechend geworden."
"Das stimmt", gab Jean zu und betrachtete ein besonders
elaborates Kleid in himmelblau mit ungezählten Perlen. "Die
Roben der Damen haben mir damals allerdings auch gefallen",
sinnierte er.
"Warum kann man sowas eigentlich heute nicht mehr anziehen?
Ich dachte eigentlich, daß heutzutage in der Mode alles erlaubt
sei..."
"Ich glaube, alles ist doch nicht erlaubt."
"Dann müßte man sie wieder einführen",
fand Anshara mit einem leicht schmolligen Blick. Sie wollte unbedingt
so ein Kleid haben und auch anziehen.
"Ich bezweifle, daß die Damen der Gesellschaft
darüber sehr begeistert wären. Die Kleider waren nämlich
überaus unbequem."
"Ich will aber eins!" sagte sie.
"Naja, wenigstens kannst du nicht darin ersticken",
grinste er und dachte daran, wie die feinen Damen bei der geringsten
Aufregung oder Anstrengung reihenweise in Ohnmacht gefallen waren, weil
sie einfach nicht genug Luft bekamen, so sehr wie sie sich zu eleganten
Paketen verschnüren hatten lassen.
"Ich werde mir auf jeden Fall für irgendeinen Ball so ein
Gewand anfertigen lassen", erklärte Anshara bestimmt.
"Ich hoffe, Monsieur Caradouc bekommt so etwas hin."
"Bestimmt."
"Prima." Sie schwebte zum nächsten Bild, Dans le
Parc du Château Noir von Paul Cézanne, während
Jean sich kurz absetzte, um nachzusehen, ob sich noch andere Kainskinder
hier befanden. Und wirklich traf er in dem Raum, der mit Chaim Soutines
Werken prunkte, drei weitere Mitglieder des Toreador-Clans, von denen er
einen, Julien Clarice, kannte.
Nachdem sie ihre Runde beendet hatte, stieß Anshara zu dem
Quartett. Jean stand mit dem Rücken zu ihr und sah sie nicht
sogleich, bemerkte ihre Ankunft aber aufgrund von Juliens interessiertem
Blick, der an ihm vorbei und ein Stück nach unten gerichtet war.
"Hallo Jean", sagte sie strahlend, ehe sie dem
hochgewachsenen kupferrothaarigen Mann gegenüber von Jean ein
huldvolles Lächeln schenkte. "Bonsoir,
Monsieur..."
"Mademoiselle", erwiderte Julien mit einem
leichten Neigen des Kopfes, und auch die beiden anderen Herren
grüßten sie. Jean stellte sie einander vor. Juliens
Begleiter waren Rodrigo de Santos y Gonzales aus Barcelona und Erik
Torbjørnson aus Stockholm.
Der Spanier begann sofort, mit Anshara zu flirten, was Jean gar
nicht gefiel. Sie tat betont schüchtern. Rodrigo war irgendwie
niedlich, fand sie, insbesondere, da er nur vielleicht zehn Zentimeter
größer war als sie. Die drei anderen waren im Vergleich dazu
Riesen - Jean sowieso, und Julien und Erik mußten bestimmt auch um
die 1.90m sein.
Anshara ließ sich von Rodrigo über die Kunstschätze
seiner Heimatstadt erzählen, während Jean sie nicht aus den
Augen ließ. Auch der Schwede betrachtete Anshara fasziniert, nur
Julien bemühte sich, sie nicht so auffällig anzustarren. Da
sie derart zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit erkoren wurde, fühlte
sie sich ein wenig unsicher, vor allem, wo alle der Herren wirklich
hübsch waren. Aber der niedlichste war immer noch Jean, befand
sie.
Während Erik und Rodrigo eifrig um Ansharas Gunst buhlten,
unterhielten sich Jean und Julien auf französisch über den
neusten Klatsch der Gesellschaft. Die Ägypterin war froh,
daß ihre beiden Gesprächspartner Englisch konnten, da sie
weder Ahnung von Schwedisch noch von Spanisch hatte. Mittlerweile
hatten sowohl Erik als auch Rodrigo je eine ihrer Hände ergriffen
und hielten sie fest, wobei Anshara ihnen abwechselnd schüchtern
zulächelte und hoffte, daß Jean sie bald rettete.
Julien warf den beiden Männern neidische Blicke zu,
während Jean eher ärgerlich guckte. Anshara fühlte sich
allmählich ein wenig unbehaglich, konnte aber auch nicht einfach
flüchten, da dieses reichlich unhöflich gewesen wäre.
Sie warf Jean möglichst unauffällig einen hilfesuchenden Blick
zu, und sofort ging dieser zu ihr herüber und legte ihr
besitzergreifend die Hand auf die Schulter.
"Jean", sagte sie erleichtert, eroberte ihre Hände
zurück und lehnte sich an ihn. Rodrigo und Erik ließen dies
bedauernd geschehen, aber sie hatten keine Lust, sich um offensichtlich
schon geklärte Besitzansprüche zu streiten.
"Ich glaube, wir müssen uns jetzt verabschieden. Wir
werden erwartet", behauptete Jean den drei anderen gegenüber.
Diese drückten ihr Bedauern darüber aus, daß Anshara
schon gehen mußte und hofften, sie bald wieder zu sehen.
"Bestimmt", erwiderte sie mit einem unverbindlichen
Lächeln. Jean verabschiedete sich rasch und schob Anshara zur
Tür. Als sie wieder draußen waren und durch den Park
zurück in Richtung Place de la Concorde gingen, beschloß sie,
Jean ein wenig über die drei auszufragen. Daß es sich um
Kainskinder gehandelt haben mußte, war aus der unüblichen
Stunde des Museumsbesuches klar ersichtlich.
"Waren die auch alle vom Toreador-Clan?" wollte sie
neugierig wissen. Sie hatte nicht nachgefragt, um ihre relative
Unkenntnis nicht zu verraten.
"Ja."
"Und alle Künstler?"
"Ja", antwortete er einsilbig.
"Und welche Art von Kunst machen sie denn?" Irgendwie
hatte sie sich mit Rodrigo nur über die Schönheiten Barcelonas
unterhalten, und Erik hatte hauptsächlich sie ausgefragt. Jean
hatte von Julien auch einige Stichworte über dessen Begleiter in
Erfahrung gebracht.
"Julien ist Maler, der Spanier Bildhauer und der Schwede macht
Filme."
"Oh, ich liebe Filme! Was für welche macht er denn?
Krimis oder Dokumentarfilme?"
"Weiß ich nicht."
Anshara legte den Kopf an seinen Arm.
"Was sollen wir den Rest der Nacht unternehmen?"
"Gibt es hier noch ein Museum mit Skulpturen?"
"Hm, in dem Falle sollten wir noch einmal zum Louvre
gehen", überlegte Jean, denn dort waren
Ausstellungsstücke der europäischen Bildhauerei von 1100 bis
1900 zu bewundern. "Wir sind natürlich genau in die falsche
Richtung gewandert", meinte er. "Am besten, wir gehen durch
den Park zurück, dann kommen wir direkt zum Louvre."
"Gut."
Nicht lange darauf waren sie wieder in dem gewaltigen Bau, der eine
der wichtigsten Kunstsammlungen der Welt beherbergte. Diesmal begaben
sie sich unter Jeans Führung direkt zu der Skulpturensammlung, die
sie beim letzten Besuch nur kurz gestreift hatten. Auch hier trafen sie
einige Kainskinder, die die Exponate betrachteten, aber diesmal
ließ Jean Anshara nicht allein. Die Zeit verging wie im Flug, und
bald war es nur noch eine kurze Weile bis zum Sonnenaufgang.
"Wir sollten langsam gehen", empfahl Jean. "Wir
können ja wiederkommen; der Louvre läuft uns nicht weg."
"Gut." Sie gingen nach draußen, und Jean hielt ein
spät durch die Nacht fahrendes Taxi an. Anshara seufzte. "Du
solltest Marc unbedingt fragen, ob er uns ein Auto besorgen kann."
"Sollte ich."
"Und ich werde mal sehen, wie ich an einen Ghoul komme..."
"Erst einmal brauchst du die Aufenthaltserlaubnis",
erinnerte er sie.
Schließlich waren sie wieder bei Jean zu Hause, und Anshara
ging zu ihrem Zimmer, wo sie sich ihrer Gewandung entledigte, da sie
noch baden wollte.
Jean hatte sich voll angezogen auf das Bett geworfen, und Anshara
trat zu ihm hin. "Willst du nicht noch ein bißchen mit mir
plantschen kommen?"
"Ich bin doch gar nicht schmutzig." Er guckte
schläfrig. "Außerdem bin ich müde."
"Hm." Sie krabbelte zu ihm aus Bett, knabberte an seinem
Hals herum und zerwühlte seine Haare. Jean betrachtete sie nur,
ehe er sie ausgiebig küßte, was dazu führte, daß
sie an diesem Morgen doch nicht mehr in die Badewanne kamen.
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