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Les premières nuits à Paris

(c) 1995 by Shavana & Stayka

Kapitel 2: 2. Januar 1982

Samstag, der 2. Januar 1982, ca. 17:00 Uhr.

Anshara erwachte und schaute sich verdutzt um. Wo war sie denn nun schon wieder gelandet? Langsam kam die Erinnerung zurück. Jetzt war sie in Frankreich und logierte bei Jean. Sie wusch sich und kleidete sich an. Als sie fertig war, ging sie auf die Suche nach ihm. Sie öffnete eine Zimmertür nach der anderen und guckte nach.

Jean schlief noch in seinem Raum, der La Chambre de la Nuit, also Nachtzimmer hieß. Jetzt, wo er nach Hause zurückgekehrt war, konnte er mal wieder so richtig faulenzen, hatte er beschlossen.

Endlich hatte sie ihn gefunden und betrachtete fasziniert, wie seine helle Haut von der schwarzen Bettwäsche abstach. Sie schwebte zu ihm hin und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Jean sah sie verträumt an; er war definitiv noch nicht ganz wach. Prompt bekam er einen weiteren Kuß, da Anshara das absolut süß fand.

"Seufz", machte er.

"Guten Abend. Die Sonne ist gerade untergegangen."

"Est-ce qu'il y a déjà si tard?" Jean streckte sich. "Ist es schon so spät?"

"Ist es. Wir müssen doch einkaufen gehen. Ach ja, und ich vermute, ich muß mich wohl hier auch erst beim Prinzen vorstellen."

"Ja. Hier ist es allerdings etwas komplizierter als in Frankfurt - hier mußt du dem Prinzen eine künstlerische Vorführung darbieten."

"Ich muß was?" Anshara guckte ihn entsetzt an.

"Der Prinz ist eben etwas eigen", erklärte er. "Du hast dafür eine Woche Vorbereitungszeit."

"Was kann ich denn machen?"

"Laß dir etwas einfallen."

"Meinst du, ein ägyptischer Tempeltanz qualifiziert in den Augen des Prinzen als Kunst?"

"Je ne sais pas. Keine Ahnung. Er wechselt seine Meinung ziemlich oft."

"Was passiert denn, wenn ihm eine Darbietung nicht gefällt?"

"Dann kann es unter Umständen sogar eine Blutjagd geben..."

"Nur weil etwas nicht den künstlerischen Ansprüchen dieses Prinzen genügt? Was machen denn die Leute, die überhaupt keine künstlerische Ader haben?"

"Nun, der Prinz ist auch an geistreichen Vorträgen interessiert, oder zum Beispiel bei Angehörigen des Clans Tremere an Vorführungen magischer Tricks."

"Hm-hm... Kannst du mir nicht vielleicht ein paar Tips geben?" Sie sah ihn hoffnungsvoll an.

"Mal sehen. Zunächst mußt du dich ohnehin erst einmal beim Prinzen sehen lassen. Er befindet sich meist im Louvre, da dieser ihm gehört."

"Und wo finde ich den Louvre?"

"Er liegt auf der anderen Seite der Seine. Für Kainskinder gibt es natürlich auch dort einen speziellen Eingang; ich werde dich am besten dort hinbringen."

"Du bist lieb! - Sag mal, was trägt man denn hier bei der Vorstellung beim Prinzen?"

"Am besten etwas Schönes."

"Laß mich überlegen... - Ah! Ich bin gleich wieder da." Sie trabte davon und schlüpfte in ein goldbraun und ockerfarbenes, langes Abendgewand von ungewöhnlichem Schnitt; es sah aus wie eine Mischung aus mittelalterlich und modern. Als sie zurückkehrte, betrachtete Jean sie anerkennend.

"Meinst du, ich kann mich so vor dem Prinzen sehen lassen?"

"Je le crois. - Ich denke schon. Du siehst wie immer bewundernswert aus."

"Danke", lächelte sie. "Ziehst du dich dann auch an, damit wir losgehen können?"

"Dann muß ich wohl aufstehen. Tu es cruelle", seufzte er. "Du bist grausam."

"Nur ein bißchen." Anshara setzte sich auf die Tischkante und betrachtete ihn.

Jean kletterte ächzend aus dem Bett, ehe er wie üblich ratlos vor seinem Schrank stand und seine Sachen musterte. Er nahm einige Kleidungsstücke, sah sie kurz an und warf sie dann zurück.

"Mir fällt die Entscheidung immer so schwer", meinte er und zog weiter Klamotten aus den Fächern.

"Dabei hast du doch nur schwarze Stücke! Was soll ich denn sagen - ich muß mich zunächst für eine Farbe entscheiden, ehe ich mich zu der rechten Form durchzuringen habe."

Jean seufzte und entschied sich dann doch für eine seiner üblichen Kombinationen, nur diesmal in der eleganten Variante.

"Was war daran jetzt so schwer?" wollte Anshara wissen.

"C'était un acte de pur désespoir." Er begann, seine Mähne zu striegeln. "Das war eine Verzweiflungstat."

"Soso. Sollen wir noch rasch einen Snack einnehmen oder sofort gehen? Ich halte es für sinnvoll, zunächst noch etwas zu futtern."

"Gut, dann laß uns in den Keller gehen. Ah, einen Augenblick..." Er ging zum Telefon und rief ein Taxi, damit sie anschließend gleich aufbrechen konnten, dann stiegen sie die Treppen hinab und leerten eine weitere Flasche Lundi im Kellergewölbe.

"So. Es-tu finie?" erkundigte er sich. "Bist du fertig?"

"Ja. - Ist mein Make-Up noch in Ordnung?"

"Ich finde, du siehst wie stets perfekt aus."

"Gut." Sie legte sich noch rasch einen dunkelbraunen Umhang um, ehe sie zum Taxi hinausgingen. In wenigen Minuten waren sie am Louvre, wo Jean Anshara zum Nebeneingang führte.

"Wow!" bewunderte sie das gewaltige Bauwerk. Sie betraten das Gebäude, und Anshara sah sich fasziniert um.

"Jetzt müssen wir nur noch den Prinzen finden", sagte Jean.

"Du weißt doch hoffentlich, wie er aussieht?"

"Was dachtest du?"

"Gut. Ich verlasse mich ganz auf deine Expertise."

"Solltest du nicht tun. Ich bin nicht gerade der Meister in so etwas."

"Aber du weißt mehr als ich."

"Das schon."

"Also..." Sie bewunderte einige Ausstellungsstücke in ihrer Reichweite.

"Dann laß uns mal suchen."

"Moment!" Sie hatte gerade ein besonders interessantes Bild entdeckt, das sie verzückt betrachtete.

"Viens", drängte Jean, "Komm schon." Er packte sie beim Arm und zog sie durch die Gänge. Anshara schmollte und sah immer wieder zu den Kunstwerken herüber. "Du kannst nachher gucken."

"Na gut." Widerstrebend folgte sie ihm, wobei sie natürlich ständig weitere interessante Dinge fand, die zu bewundern sie nun doch nicht verschieben konnte.

"Du bist ganz schön stressig", beschwerte Jean sich.

"Der Louvre ist ganz schön schön", verteidigte sie sich.

"Stimmt", gab er zu. Inzwischen hatten sie einen größeren Raum erreicht, in dem sich einige Kainskinder aufhielten. Anshara sah sich neugierig um.

"Und hier residiert also der Prinz von Paris? - Wo ist er denn nun?"

Jean sah sich suchend um.

"Le voilà." Er wies auf einen elegant gekleideten Enddreißiger mit pechschwarzem Haar, der von zwei Leibwächtern flankiert wurde. "Da vorne."

"Meinst du, ich darf mich ihm einfach so nähern und ihn fragen?" Sie guckte zweifelnd. In Frankfurt hatte sie den Prinzen schließlich auch nicht selbst zu Gesicht bekommen; Chris, ein Vertrauter des Prinzen, hatte diesen für sie gefragt.

"Nein, wende dich erst einmal an den Mann da drüben." Jean deutete auf einen Mann mittleren Alters, der irgendwie unscheinbar wirkte. "Das ist Yves Rodé, ein Sekretär des Prinzen."

"Gut." Anshara schwebte elegant zu ihm hinüber und machte einen Knicks; im Fernsehen sah das immer sehr wirkungsvoll aus. "Mister Rodé?"

"Oui?" erwiderte dieser fragend. Anshara fuhr auf Englisch fort; mit zwei französischen Worten konnte sie nicht ganz eine Konversation führen.

"Ich bin neu in Paris und möchte mich bei dem Herrn Prinzen vorstellen, wie es sich geziemt."

"So? Wie ist denn Euer Name?"

"Ich bin Anshara vom Clan Toreador."

"Bien", meinte er. "Ich hoffe, Ihr habt schon die Bedingungen zur Kenntnis genommen?"

"Was für Bedingungen?" Sie fragte lieber noch einmal bei der Quelle nach.

"Eine künstlerische Vorführung in Le Club des Vampires innerhalb von einer Woche. Der Club befindet sich auf einem Schiff auf der Seine und ist nicht zu übersehen."

"Ah. Welcher Art soll die Vorführung sein? Würde zum Beispiel ein Tanz aus meiner Heimat als adäquat angesehen werden?"

"Durchaus."

"Sehr gut. Darf ich während der Vorbereitungszeit notfalls hier jagen?"

"Ja. Die Jagdreviere der Toreador befinden sich auf der Ile St-Louis, in den Tuileries, in St-Germain-Des-Prés, auf dem Champs-Elysées und in Chaillot. Beaubourg und Les Halles sind offen für alle Clans, dort dürft Ihr also auch speisen. Denkt jedoch daran, Ihr habt Euch am 9. Januar um Mitternacht in Le Club des Vampires einzufinden, wo über Euren weiteren Verbleib entschieden wird."

Anshara guckte verdutzt. Das waren aber nur sechs Tage! Hm. Aber wenn der Prinz von Paris befahl, mußte man vermutlich springen.

"Ich werde da sein", erklärte sie also.

"Gut. Ich werde dem Prinzen melden, daß er Euch um diese Zeit erwarten darf." Er gab ihr noch allerlei Verhaltensmaßregeln für die Zwischenzeit.

Anshara bedankte sich artig, machte noch einen Knicks und ging zu Jean zurück.

"Nun?" fragte dieser.

"Ich soll am 9. Januar um Mitternacht in einem Le Club des Vampires auf der Seine etwas präsentieren. Der Sekretär hat gesagt, man kann den Club nicht übersehen. Weißt du, wo der ist?"

"Auf der Seine halt. Es gibt nur zwei oder drei Stellen, wo das Schiff immer liegt."

"Gut. - Aber jetzt muß ich gucken, damit ich ein Kleid für meine Vorführung finde."

"Stimmt, du solltest gut aussehen."

"Ich dachte da an ein langes, weißes Gewand, wie es die Tänzerinnen zu Hause immer trugen."

"Du könntest dir ja etwas machen lassen", empfahl er.

"Das ist eine gute Idee. Dann habe ich ja gleich zwei Kunstwerke vorzuführen. Das von mir entworfene Kleid und den Tanz, eines davon müßte ja wohl akzeptiert werden."

"Hoffentlich. Ich würde nur ungerne auf dich verzichten."

"Ich werde mich anstrengen. Wo kann ich mir denn so ein Kleid anfertigen lassen?"

"Bestell dir doch einen Schneider ins Haus. Es gibt hier einige gute", schlug Jean vor.

"Such du mir einen aus. Am besten einen, der auch Englisch kann."

"Ich werde mich darum kümmern."

"Prima." Sie strahlte ihn an. "Und ich bräuchte noch passende Musik. Dieses ganze neumodische Zeug paßt nämlich nicht zu unseren alten Tänzen."

"Die werden wir auch bekommen."

"Sehr gut. Meine Vorführung soll nämlich auf jeden Fall außergewöhnlich sein."

"Das wäre mal was", fand er. "Das meiste ist nämlich ziemlich öde."

"Oh, dann muß es hier ja wohl häufiger Blutjagden geben..."

"Manchmal." Er lächelte sie an, Anshara würde der Prinz bestimmt nicht jagen lassen, dachte er. "Und was machen wir nun?"

"Einen Schneider und passende Musik suchen."

"Bien."

Sie machten sich auf den Rückweg, wobei Anshara wieder bei den diversen Kunstwerken hängen blieb. Jean wartete geduldig auf sie, er kannte den Louvre ja schon zur Genüge.

"Hier könnte ich ein Zelt aufschlagen", seufzte sie.

"Soll ich dir mal etwas Schönes zeigen?" fragte er. Er zog sie in die ägyptische Ausstellung.

"Ooooh", machte Anshara hingerissen und bewunderte die Stücke. "Wie zu Hause."

"Ich finde die Sachen auch sehr hübsch", stimmte er zu.

"Verstehst du jetzt, warum ich so traurig darüber bin, wie Ägypten jetzt aussieht?" seufzte sie.

"Ja." Jean nahm sie in den Arm. Anshara schmiegte sich an ihn und blickte tragisch drein. Er fand es gar nicht gut, wenn sie so traurig guckte und strich ihr tröstend durch das Haar. Sie sah zu ihm hoch.

"Komm, gehen wir einen Schneider suchen", sagte sie.

"Ich brauche nur ein Telefon."

"Gut. Ich schlage vor, daß wir zu dir zurückgehen, dann kann er ja direkt bei dir vorbeikommen."

Jean hieß ihren Vorschlag gut, und so kehrten sie zu ihm nach Hause zurück.

* * *

"Monsieur Caradouc, der Schneider, wird in einer Stunde hier eintreffen. Du kannst ja schon mal überlegen, was du willst."

"Oh, ich weiß es schon ziemlich genau." Sie suchte sich einen Stift und einen Notizblock und begann, das zu skizzieren, was ihr vorschwebte. Jean sah ihr neugierig über die Schulter, als sie ein wehendes Gewand aus mehreren Lagen malte, das bis zu den Knöcheln reichte und von goldenem Schmuck ergänzt wurde. Amüsanterweise wirkte die Zeichnung genauso wie die ägyptischen Reliefs in den Museen: Die Figur war gnadenlos zweidimensional halb frontal und halb von der Seite dargestellt.

"Kannst du mit dem ganzen Zeug überhaupt tanzen?"

"Sicher. Unsere Tänze sind schließlich langsam und elegant." Sie stieg aus ihren Schuhen und demonstrierte ihm ein Stück. "Meinst du, das wird den Prinzen beeindrucken?"

"Das kann ich schwer abschätzen, aber ich finde es hübsch."

"Ich werde auf jeden Fall mein bestes geben, damit ich hier anerkannt werde", versprach Anshara.

"Dann gib dir Mühe. Ich werde dich auf jeden Fall bewundern." Er himmelte sie an, als sie eine alte, ägyptische Melodie summte und sich zu den Klängen wiegte. Er betrachtete sie, bis es klingelte.

Monsieur Caradouc war ein älterer Mann, nur wenig größer als Anshara, der unaufhörlich auf Französisch herumplapperte, kaum daß er den Raum betreten hatte.

"Ah, bonsoir, mademoiselle et monsieur", sprudelte er los. "Oh la la, vous êtes une très jolie jeune fille. Commençons! Qu'est-ce que vous voulez? Quoi est-ce que vous diriez d'une robe de velours rose?"

"Guten Abend", sagte Anshara auf Englisch. Der Schneider sah sie an wie ein ungewöhnliches Insekt.

"Mademoiselle?"

"Oui?" Das Wort konnte sie ja.

Schon plapperte der Mann wieder los. "Oh, je vous peux voir en une longue robe merveillieuse, d'une couleur très aimable... J'ai un tissu magnifique pour vous..."

Anshara sah hilfesuchend zu Jean herüber, doch der grinste sie nur an. Kurzerhand zog sie ihre Skizze hervor und hielt sie M. Caradouc hin. Der rümpfte die Nase und ließ einen weiteren Schwall französischer Worte auf sie los.

"Jean, was sagt der Typ?"

"Hm", machte Jean. "Er will wissen, warum du ihm ein ägyptisches Wandbild zeigst."

"Weil er mir das schneidern soll, natürlich."

"Er möchte dich aber lieber in rosa Samt sehen."

"Sag ihm bitte, daß ich einen ägyptischen Tanz am besten in einem ägyptischen Tanzkleid vorführen kann."

Jean tat dieses, und der Schneider quittierte dies mit gestenreichen Protesten, immerhin war das doch in keinster Weise in. Auch dieses wurde prompt übersetzt.

"Sag ihm bitte, das ist mir egal", soufflierte Anshara. "Ich will etwas Außergewöhnliches tragen."

"Extraordinaire! Ha!" rief M. Caradouc. "Je dis que vous fairiez la meilleur figure dans ce velour!"

"Er läßt sich den rosa Samt nicht ausreden", meinte Jean nach einiger Diskussion.

"Dabei paßt das doch überhaupt nicht zu mir."

"Ich weiß. Ich vermute, er hat sich verkauft und will das Zeug loswerden."

"Aber nicht bei mir", erklärte sie kategorisch. "Ich brauche etwas halbdurchsichtiges Weißes."

Jean redete weiter auf den Schneider ein, bis er einige Musterbücher aus seinem Koffer holte. Anshara deutete auf ein Stück weißen Chiffons. Ihr "Das da!" brauchte Jean nicht einmal zu übersetzen, und der Mann nickte mürrisch.

"Was hat er jetzt für ein Problem?" wollte sie wissen.

"Er mag es nicht. Er findet, so etwas ist unter seiner Würde - vermutlich, weil es nicht sein Design ist."

"Sag ihm, ich bin eine Künstlerin, und er soll sich geschmeichelt fühlen, daß ich ihn erwählt habe, meinen Entwurf umzusetzen", erklärte sie, was Jean unmittelbar übersetzte.

M. Caradouc bedachte sie mit einem tödlichen Blick, woraufhin Anshara ihn betont hoheitsvoll ansah und sich gar nicht bewußt war, wie sie auf einmal ihre vampirische Präsenz einsetzte, um ihn auf seinen Platz zu verweisen. Sogleich wurde er ein paar Zentimeter kleiner. Jean guckte sie überrascht an.

"Weißt du, was du gerade getan hast?"

Sie schaute mit großen Augen zurück. "Was denn?"

"Du hast gerade einen Teil deiner besonderen Kräfte eingesetzt - und zwar die Eigenschaft der Präsenz, vermute ich."

"Ah. Solange er dann tut, was ich sage, bin ich beruhigt. - Also?" Anshara deutete vehement auf ihre Skizze, woraufhin der Schneider nickte und ein Maßband zückte. Sie stellte sich in Pose und wurde millimetergenau vermessen, wobei Jean interessiert zusah, während er in Französisch auf den Mann einredete. Anshara fragte sich, worüber die beiden sich wohl unterhielten; es sah jedenfalls sehr angeregt aus. M. Caradouc nickte heftig, während Jean in den Musterbüchern blätterte.

"Worüber redet ihr?" wollte sie wissen.

"Über Mode", entgegnete Jean. "Ich war immerhin drei Monate nicht in Paris. Er meint, ich brauche definitiv neue Sachen."

"Ich könnte auch etwas Aktuelles gebrauchen", fand Anshara. "Nur keinen rosa Samt."

"Zur Zeit ist angeblich gerade Millefleur in allen Farben total in. Du weißt doch, diese furchtbaren winzigen Blümchen, die über den ganzen Stoff verteilt sind."

"Oh. Ich glaube, dann bleibe ich erstmal noch ein Weilchen out." Sie zog eine Grimasse. Blümchen! "Was ist denn in der nächsten Saison in?"

Jean und der Schneider wechselten ein paar Sätze. "Rot und Schwarz, sagt er."

"Meinst du, das könnte mir stehen?"

"Bestimmt."

"Dann teile ihm mit, er mag mir noch zwei Kleider entwerfen, wie sie in der nächsten Saison in sind."

Jean sprach mit ihm. Allerdings sagte er M. Caradouc nicht das, was Anshara ihm aufgetragen hatte, sondern gab ihm ganz spezifische Anweisungen. Er wußte, was er gerne an ihr sehen wollte...

"Nun? Was sagt der Mann?" hakte sie nach.

"Er ist einverstanden. Brauchst du sonst noch etwas?"

"Hm. Ah! Ich glaube, ein schwarzer Kapuzenumhang wäre noch eine gute Idee."

"Bien." Jean gab die Anweisungen weiter.

"Das wäre dann alles. Wann ist denn mein Tanzkleid fertig?"

"Er sagt in zwei bis drei Tagen."

"Gut. Das reicht."

Der Hausherr begleitete den Schneider hinaus und kehrte anschließend zu Anshara zurück.

"Ich bin ja schon soooo gespannt", seufzte sie. "Jetzt brauche ich nur noch die passende Musik."

"Darum können wir uns morgen kümmern." Er betrachtete sie nachdenklich und fragte sich, ob seine Auswahl an Kleidern ihr wohl stehen würde. "Bis du zufrieden?"

"Oh ja!" Sie strahlte ihn an und summte wieder eine der alten Melodien. "Nur die Idee mit dem rosa Samt oder den Blümchen..."

"Mag ich auch nicht."

"Ich fasse es nicht, daß man so etwas heutzutage trägt." Plötzlich kicherte sie los. "Ich versuche gerade, mir vorzustellen, wie du im Blümchenlook aussehen würdest."

"Ich finde die Vorstellung nicht gerade toll", maulte er.

"Und was können wir jetzt noch unternehmen? Es ist doch noch nicht einmal Mitternacht."

"Wozu hättest du denn Lust?"

"Irgendwohin auszugehen. - Weißt du was? Ich ziehe mich jetzt um, und du führst mich in ein Etablissement, das zu meinem Outfit passt."

"Gut", stimmte er zu. Anshara rauschte nach oben und kehrte bald darauf mit einem rasanten knallroten Kleid zurück. Auch ihr Make-Up war diesmal nicht golden.

"Cela me plaît." Jean umrundete sie bewundernd. "Das gefällt mir."

"Prima. Ich wollte das ausprobieren, weil der Schneider doch etwas von Rot und Schwarz erzählt hatte. Also, wo gehen wir hin?"

"Ins La Lune Brillante. Warte bitte kurz hier, ich muß mich auch noch passend kleiden."

"Oui", lächelte sie.

Erstaunlicherweise war er schon nach fünf Minuten wieder zurück und trug nun etwas sportlichere schwarze Sachen. Anshara hatte schon ein Taxi gerufen und war froh gewesen, daß die Leute der Taxi-Zentrale offenbar keine Probleme hatten, Englisch zu verstehen. Aber sie mußte langsam wirklich Französisch lernen. Als sie dies Jean gegenüber erwähnte, nickte er zustimmend.

"Du hast recht. Aber so kann ich dir alles sagen, was ich möchte." Er ließ einen Schwall französischer Worte folgen, die sich hauptsächlich mit Ansharas Aussehen beschäftigen.

"Und was hast du nun gesagt?"

"Das sage ich dir bestimmt nicht. Das wäre mir zu peinlich."

"Oooch Jean", schmollte sie, doch der schüttelte energisch den Kopf. Sie schlang die Arme um seine Mitte, und er sah nachdenklich auf sie herunter.

"Ich mag dich", erklärte er. Sie schmiegte sich zur Antwort an ihn. Sie mochte ihn ebenfalls, auch wenn er ziemlich lang war.

Schließlich klingelte es an der Tür.

"Das wird das Taxi sein", stellte Jean fest. Anshara wickelte sich in ihren weißen Mantel, und sie machten sich auf den Weg zum La Lune Brillante.

* * *

"Oh! Das sieht interessant aus", meinte Anshara, als sie eintraten. Alles war in Mitternachtsblau eingerichtet, und in der Decke funkelten unzählige Glühlampen wie Sterne.

"Finde ich auch. Hier gibt es übrigens keinen separaten Bereich für uns, hier sind die Gäste gemischt."

"Das heißt, hier müssen wir in unseren Äußerungen etwas diskreter sein, hm?"

"Genau."

"Kriegen wir hier denn etwas Gutes zu trinken?"

"Ja, aber die Auswahl ist wesentlich geringer als zum Beispiel im Dark Mirror in Frankfurt." Er sah sich um.

"Was suchst du?"

"Interessante Leute. - Ah, da ist einiges, was sich lohnen würde..." Er seufzte. "Ich hatte schon länger nichts richtiges mehr zum Futtern. Flaschenkost ist eben doch nicht dasselbe."

"Allerdings", stimmte Anshara zu. "Ich habe in meinem ganzen Leben nicht soviel 'Flaschenkost' gehabt wie in der letzten Woche."

"Das hat einfach nicht den richtigen Biß", meinte Jean und reckte sich neugierig, um die Gäste zu begutachten. Anshara kicherte. "Dafür gibt es hier eine ganze Menge Auswahl an frischem Fleisch. Deshalb komme ich auch häufiger her, wenn ich in Paris bin." Er durchmusterte die Anwesenden. "Ich hätte Lust auf eine kleine Jagd in den hübschen dunklen Ecken, die es hier gibt."

"Ah, und das darf man hier?"

"Ich habe nie danach gefragt. Außerdem bin ich sehr diskret und hinterlasse keine Spuren."

"Daß heißt, du nimmst dir immer nur ein bißchen?"

"Naturellement. Alles andere wäre hier ein Problem. Auf jeden Fall ist es relativ einfach - wer sollte denen schon glauben? Immerhin gibt es keine Beweise, und falls sie etwas sagen, wird angenommen, sie hätten Drogen genommen oder wären betrunken."

"Hm. Ich weiß nicht, ob man das als 'Jagd' bezeichnen kann."

"Für mich ist so etwas immer eine Jagd, denn meist zieren sich die Damen ja etwas."

"Die Herren scheinen da weniger Probleme zu machen."

"Naja, die sind für mich nicht so sehr von Interesse."

"Dann kommen wir uns wenigstens nicht so leicht ins Gehege", fand Anshara.

"C'est vrai. Hast du schon jemanden im Auge?"

"Ja, da vorne. Guck mal, der schnuckelige Blonde, der da so traurig alleine herumsitzt."

"Der ist süß", stimmte Jean zu.

"Eben. Könnte mir direkt gefallen - aber leider ist er ja nur ein Snack."

"Tse", machte Jean vergnügt.

"Ich lasse ihn auch ganz", versprach sie. "Dann kann ich immer mal wieder von ihm trinken, falls er mir erneut über den Weg läuft."

"Ich habe Hunger", äußerte Jean. Die Diskussion machte es nur noch schlimmer.

"Ich dachte, du wolltest eine Dame?"

"Naja, ich bin nicht immer ganz prinzipientreu."

"Aber den will ich", schmollte sie.

"Très bien, du bist die Schwächere von uns beiden - ich suche mir ein anderes Opfer."

"Das ist lieb." Sie himmelte ihn an, ehe sie zu dem einsamen Blondschopf herüberschwebte.

Roland Lataille saß trübsinnig über seinem dritten Glas Bordeaux. Gestern war ihm seine Freundin weggelaufen, und nun fühlte er sich zutiefst deprimiert. Als sich unerwartet eine atemberaubende, schwarzhaarige junge Frau in einem feuerroten Kleid zu ihm setzt, stellte er fest, daß es auf der Welt ja nicht nur ein Mädchen gab, das zu erobern sich lohnte.

Von dieser Situation begünstigt (und der Tatsache, daß Roland als Anglistik-Student der englischen Sprache mächtig war, was die Konversation stark vereinfachte), gelang es Anshara in kürzester Zeit, sich eine labende Dosis frischen, warmen Blutes abzuzweigen. Erstaunlicherweise wehrte sich Roland in keinster Weise, im Gegenteil, er fand das alles überaus anregend. Er lächelte verzückt, als Anshara ihn in seiner Ecke zurückließ und gab sich ganz der Schwäche hin, die auf einmal in so köstlicher Weise von ihm Besitz ergriffen hatte.

Jean sah sich suchend um und entdeckte eine aufregende, dunkelhaarige Schönheit, die erstaunlicherweise noch alleine an der Bar stand. Ohne größere Probleme gelang es ihm, sie in eine unbesetzte Nische zu entführen, wo er begann, mit ihr herumzuschmusen. Als sie sich entspannte, nutzte er die Gelegenheit, ganz vorsichtig seinen Hunger zu stillen.

Als sie erschöpft in seinen Armen zusammensackte, hielt er sie fest, damit sie nicht umfiel. Er ließ sie einschlafen, und während er noch überlegte, wie er sein Opfer am geschicktesten ablegen könnte, erschien Anshara auf der Bildfläche. Sie trat zu Jean hin.

"Nun? Satt?"

Er warf ihr einen übermütigen Blick zu. Anshara guckte zu ihrem Opfer herüber, das ganz von sich aus eingeschlummert war und sich offenbar süßen Träumen hingab; zumindest hatte Roland ein ziemlich seliges Grinsen auf den Lippen.

"Und was ist mit dir?" erkundigte sich Jean.

"Njam", machte sie.

"Du siehst aus wie eine Katze, die Sahne genascht hat."

"Es war auch erste Sahne", seufzte sie. "Den sollten wir in deinen Vorratskeller packen."

"Kommt nicht in Frage. Ich will keine Sterblichen in meinem Haus."

"Hm. Und von Ghoulen trinkt man nicht?" Sie warf einen nachdenklichen Blick in die Nische mit Roland.

"Ich tue es jedenfalls nicht."

Anshara seufzte. "Leider sagtest du ja, daß das mit den Ghoulen ohnehin nicht so einfach war."

"Stimmt."

"Aber früher oder später möchte ich schon einen hübschen Ghoul!"

"Tse", machte Jean. "Wünsche hast du..."

"Du hast immerhin auch einen."

"Dafür habe ich mich auch ganz schön anstrengen müssen. Der Prinz hat eine Performance von mir verlangt, um zu sehen, ob ich der Ehre würdig wäre, mir einen zulegen zu dürfen."

"Und was hast du dafür gemacht?"

"Erzähle ich dir später mal."

"Na gut. Aber nachher. Versprochen?" Sie sah ihn intensiv an.

"Ich verspreche generell nichts", meinte Jean belustigt. Anshara seufzte abermals und wirkte wieder wie Tragik personifiziert. Er lachte.

Sein Opfer rührte sich inzwischen wieder, und er ließ sie los, stand auf und legte Anshara den Arm um die Schultern. Diese schmiegte sich prompt an ihn.

"Ich könnte dich jetzt auf der Stelle anknabbern", flüsterte Jean ihr ins Ohr.

"Tu's doch..." Sie nahm seine freie Hand, führte sie an den Mund und kitzelte die Innenseite seines Handgelenks mit der Zunge.

"Pense-tu?" Jean sah sie an und zog sicherheitshalber seinen Arm weg. "Meinst du?"

"Was immer dir beliebt." Sie sah der Hand sehnsüchtig nach. Jean verschränkt seine Hände hinter dem Rücken. Von solchen Spielereien bekam er weiche Knie, und das war ihm hier zu gefährlich. Anshara strahlte ihn an.

"Sollen wir uns wieder setzen, oder sollen wir gehen?"

"Eigentlich habe ich noch keine Lust zu gehen", überlegte er. "Ich suche uns lieber eine schöne dunkle Ecke."

Er zog Anshara in eine freie Nische. Sein Opfer würde sich an nichts erinnern und vermutlich glauben, sie hätte ein oder zwei Gläschen Wein zuviel getrunken.

Jean zog Anshara neben sich. Da er etwas zu heftig war, landete sie auf seinem Schoß und gluckste auf.

"Tse", machte er. "Das war wohl etwas zu fest."

"Also, ich finde, ich sitze hier gut." Sie kuschelte sich an ihn.

"So schmusig heute?"

"Gutes Essen macht mich auch hungrig auf andere Dinge. Abgesehen davon muß ich dich doch von all den anderen Frauen ablenken, schließlich bin ich doch jetzt hier."

"Ist das ein Grund?"

"Natürlich."

Jean warf ihr einen Blick zu.

"Du willst mich wohl am Jagen hindern?"

"Hast du etwa immer noch Hunger?"

"J'ai toujours faim", erklärte er. "Ich habe immer Hunger, wenn auch nicht unbedingt auf Blut."

"Für das andere stelle ich mich gerne für dich zur Verfügung."

"Meinst du, das reicht?" Er guckte sie amüsiert an.

"Was fehlt denn?"

"Die freie Auswahl."

"Hast du doch. Mich, mich oder mich."

"Ziemlich abwechslungsreich", kommentierte er ironisch. "Da hätte ich ja auch zu Hause bleiben können." Er durchmusterte den Raum nach weiteren interessanten Damen. Er war ziemlich aufgekratzt und schäumte förmlich vor Energie über.

"Was hast du nur?" fragte Anshara, da er unruhig herumzappelte.

"Nichts weiter." Sie hinderte ihn ja daran aufzustehen und auf die Pirsch zu gehen.

"Ah." Anshara begann, an seinem Hals herumzuknabbern, und er gab einen überraschten Laut von sich.

"Was hast du vor?" fragte er.

"Spielen."

Jean bemühte sich, ihr zu entkommen, doch sie folgte seinen Bewegungen. Langsam fühlte er sich ziemlich in die Ecke gedrängt, und das machte sein Gesichtsausdruck recht deutlich.

"Jean?" machte sie fragend.

"Ich will endlich aus dieser Ecke hier raus!"

"Oh." Sie beschloß, ihm den Gefallen zu tun und von ihm herunter zu rutschen. Im nächsten Augenblick war Jean auf den Beinen und seufzte zufrieden. Er haßte es, sich so gefangen zu fühlen. Anshara sah ihm tragisch hinterher, als er durch den Raum wanderte und mit allerlei Ladies flirtete und schüttelte leicht schmollend den Kopf. Sie mußte ihn unbedingt noch ein wenig erziehen. Aber was er durfte, durfte sie ja wohl auch, und so streifte sie nun ebenfalls herum und warf diversen Herren kokette Blicke zu.

Jean war momentan in seinem Element. Endlich war er wieder zu Hause und konnte in seinem angestammten Revier jagen. Er hatte keine Lust sich zurückzuhalten und wollte sich ausgiebig vergnügen. Natürlich biß er niemanden mehr, denn das wäre zu auffällig, abgesehen davon war er gut gesättigt. Nun stand er an der Bar, in jedem Arm eine hübsche junge Frau und spielte ein wenig mit diesen herum.

Roland war nun auch wieder zu sich gekommen, aber im Gegensatz zu Jeans Opfer erinnerte er sich ziemlich genau an die umwerfende Frau in Rot. Er wußte zwar nicht mehr genau, was passiert war, nur daß sie ihn völlig umgehauen hatte. Und da er festgestellt hatte, daß sie ihn nicht ausgeraubt hatte, konnte es sich nicht um k.o.-Tropfen gehandelt haben. Sehnsüchtig sah er sich nach ihr um, denn solch einen Kick mußte er unbedingt noch einmal erleben. Endlich hatte er sie erspäht und erhob sich, um unsicheren Schrittes (das mußte ein Kuß gewesen sein, wenn es ihm derart die Sinne geraubt hatte!) auf sie zuzugehen.

"Ich will mehr!" forderte er. Anshara sah den Blondschopf verdattert an. "Ich bin ganz dein", erklärte er weiter, und sie wußte nicht so recht, was sie davon zu halten hatte.

Jean, der zufällig in Ansharas Richtung geschaut hatte, bemerkte ihren leicht verschreckten Gesichtsausdruck und guckte nun genauer hin. Was wollte der Typ von ihr? War das nicht ihr Abendessen gewesen?

Roland sank vor seiner Traumfrau auf die Knie. 'Wenn er jetzt sagt Ich bete dich an!, dann schreie ich', dachte Anshara. Dieses Aktion kam Jean nun doch langsam komisch vor. Er gab seinen beiden Eroberungen einen Kuß und schob sie beiseite, um Anshara zu Hilfe zu kommen.

"Tu mit mir, was du willst", flehte Roland.

"As-tu un problème?" wollte Jean wissen. "Hast du ein Problem?"

"Ja", sagte Anshara, da ihr Verehrer mittlerweile ihre Hand ergriffen hatte und hingebungsvoll tätschelte.

"Bitte, tu noch einmal mit mir, was du gerade gemacht hast", bat er.

"Was hat sie denn gemacht?" fragte Jean und guckte besorgt. Sie mußten doch die Maskerade aufrecht erhalten!

"Das weiß ich nicht genau, aber es war himmlisch", seufzte Roland. "Ich will für immer dir gehören, bis in die Ewigkeit."

Jean sah Anshara fragend an.

"Ich habe gar nichts besonderes getan", verteidigte sie sich. "Ich habe nur ein wenig - na, du weißt doch..." Roland verstand immerhin Englisch, also mußte sie mit ihren Äußerungen vorsichtig sein.

"Bist du dir sicher?" wollte Jean von ihr wissen. Sie nickte heftig. "Hm", machte er. "Und was machen wir nun?"

"Weiß nicht", jammerte sie.

"Was machst du auch immer", sagte er kopfschüttelnd und zog Roland erst einmal am Kragen in die Höhe.

"Ich? Nichts?" behauptete sie.

"Ein einziger Kuß dieser Frau, und ich hatte so weiche Knie wie nie zuvor", seufzte Roland verzückt und warf Anshara leidenschaftliche Blicke zu. Diese versteckte sich sicherheitshalber hinter Jean.

Jean zog die Augenbrauen zusammen und warf ihm einen ungehaltenen Blick zu. "Nun reiß dich zusammen!" Da Roland nun offenbar in der Lage war, alleine zu stehen, konnte er ihn endlich loslassen. "Und du brauchst dich gar nicht hinter mir zu verstecken!" Er zog Anshara wieder nach vorne, und sie guckte treuherzig zu ihm hinauf.

"Ooooch Jean!"

"Meine wunderschöne Herrin, sprich wieder zu mir", flehte Roland.

"Mh-mh", machte sie entschieden. Plötzlich erhellte sich ihre Miene. "Ich habe eine Idee! Ich bin gleich wieder da." Sie stürmte aus dem Lokal, und Jean hielt ihren Verehrer sicherheitshalber mit einer Hand fest, während er dessen Drinks bezahlte. Sie hatten genug Aufsehen erregt, und eine etwaige Zechprellerei würde nur auf sie zurückfallen.

"Okay, jetzt können wir gehen", erklärte Anshara, als sie kurz darauf zurückkehrte.

"Bien", gab Jean von sich und schob Roland zur Tür hinaus. Anshara ging zu einen Taxi und öffnete die Tür.

"Steig ein!" befahl sie, und Roland tat prompt, wie ihm geheißen. Kaum daß er auf dem Rücksitz saß, warf sie die Tür zu, und der Wagen startete durch.

"Meinst du, so wirst du ihn dauerhaft los?" fragte Jean.

"Naja, falls er wieder auftaucht, fällt mir hoffentlich ein, was ich mit ihm anstellen kann. Ich habe dem Taxifahrer 150 Franc in die Hand gedrückt und ihm gesagt, er soll ihn zu einem Domina-Studio fahren, weil er seine Herrin sucht."

"Tiens", machte Jean amüsiert.

"Ich frage mich nur, warum der so reagiert hat", überlegte sie irritiert.

"Je ne sais pas", seufzte er. "Ich weiß es nicht."

"Und wenn das noch einmal passiert?"

"Dann solltest du vermutlich auf Flaschenkost umsteigen." Sie sah ihn tragisch an, und er lachte. "Es sei denn, du willst eine ganze Herde solcher Typen haben."

"Äh, ich glaube, das wäre mir zu stressig." Sie dachte nach. "Also, in Ägypten und in den Vereinigten Staaten ist mir das nicht passiert."

"Bist du dir sicher? Oder warst du einfach zu schnell weg?"

"Also, ich bin nie da geblieben, da hast du recht."

"Dann kannst du es auch nicht genau wissen." Jean streckte sich. "Was machen wir jetzt? In den Club sollten wir heute besser nicht noch einmal zurückgehen. - Wie wäre es, gehen wir noch was spazieren?"

"Gerne."

Jean steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte die Straße entlang, während Anshara eilig hinter ihm hertrippelte. Er seufzte und betrachtete die Gegend. Anscheinend war Anshara doch eine größere Last als er erwartet hatte.

"Du gehst ziemlich schnell", fand sie. Jean blieb stehen und sah sich zu ihr um. Sie schloß zu ihm auf.

"Das war mir gar nicht bewußt."

"Du hast riesig lange Beine und machst große Schritte", erklärte sie.

"So? Ich finde mich eher normal. Du bist winzig."

"Dabei war ich zu Hause bei uns im Tempel eine der längsten."

"Ts", fand Jean. "Eine Gartenzwergkolonie."

"Püh", machte Anshara. Sie wußte zwar nicht genau was das war, aber es hörte sich nach einer Beleidigung an.

"Es fehlen nur diese roten Zipfelmützen."

Sie guckte ihn verständnislos an.

"Weißt du, ich habe diese Dinger in Frankfurt gesehen, in den Vorgärten", erklärte er.

"Da stehen Zwerge herum?" fragte sie ungläubig.

"Genau. Mit Schubkarren, Schaufeln, Harken und so weiter."

"Ach so, die erledigen dann die Gartenarbeit", erkannte sie.

"Nein, die sind so etwas wie Skulpturen."

"Ah! Kunst! Jetzt verstehe ich es, glaube ich."

"Ich zeige dir zu Hause an besten ein paar Bilder davon. Aber wenigstens weiß ich jetzt, wo die wirklichen Gartenzwerge geblieben sind."

"Oh. Aber ich kann dir versichern, in den Tempeln hat niemand rote Zipfelmützen oder Gartenwerkzeuge getragen", stellte sie klar. Jean grinste sie an und stürmte weiter die Straße entlang.

"Jean, nicht so schnell", bat Anshara. Er verlangsamte seine Schritte. "Danke." Sie mußte dennoch hinter ihm herrennen.

"Und der Abend hatte so schön angefangen", seufzte er.

"Kann ich etwas dafür, daß der Typ so ausflippt?"

"Ja. Du hast ihn gebissen."

"Du hast die Frau doch auch gebissen."

"Aber da ist nichts passiert."

"Wenn ich nur wüßte, warum..."

"Keine Ahnung. Vielleicht lag es auch einfach nur an diesem Typ." Jean seufzte tief.

"Hoffentlich. Sag mal, kannst du mir beibringen, wie man jemanden hypnotisiert?"

"Vielleicht. Ich weiß leider nicht, ob man es einfach so lernen kann."

"Wie fängt man es denn an?"

"Ich gucke einfach nur."

"Ist das auch wieder diese Sache mit der Präsenz?"

"Hm, möglich." Jean begutachtete sie.

"Dann müßte ich es eigentlich auch können."

"Wir können es ja ausprobieren."

"An wem?"

"Keine Ahnung."

"Wie wäre es mit deinem Ghoul? Oder kann man den Ghoul eines anderen nicht hypnotisieren?"

"Weiß ich nicht. Wir können es ja mal probieren."

"Gut. wenn es nicht klappt, müßte ich es zwar sicherheitshalber noch einmal mit einen Sterblichen versuchen, aber im Prinzip müßte es dann klar sein."

"Stimmt."

"Sag mal, wo ist dieser Marc eigentlich? Versteckst du ihn immer im Schrank, wenn du ihn nicht brauchst?" Bislang hatte Anshara den Ghoul noch nicht zu Gesicht bekommen.

"Nein", meinte Jean amüsiert. "Ich habe ihm lediglich befohlen, dir aus dem Weg zu gehen."

"Und warum?"

"Weil ich es so will." Er klang nicht so, als wolle er sich weiter dazu äußern, also fragte sie erst einmal nicht nach. "Also, was machen wir nun?" fuhr Jean fort. "Besuchen wir noch eine Bar oder eine Disco? Wir könnten auch noch in den Park..."

"Der Park wäre eine gute Idee.", fand Anshara.

"Bien. Hier geht es weiter." Sie hakte sich bei Jean ein, und gemeinsam wanderten sie zum Parc Monceau. Als sie dort angekommen waren, führte er sie durch ein vergoldetes Schmiedeeisentor in die kunstvoll gestaltete Anlage.

Andächtig flanierten sie durch den Park, der ob dieser Jahreszeit zwar recht kahl an Pflanzen, aber dafür mit erlesenen Kunstwerken versehen war. Im Licht des zunehmendem Halbmondes schimmerten sie wie Skulpturen aus einer anderen Welt.

Verzückt betrachteten die beiden die unwirkliche Landschaft an dem von eleganten korinthischen Säulen flankierten 'Naumachia'-Bassin und gaben sich deren magischem Zauber hin. Erst gut zwei Stunden später gelang es ihnen, sich aus der Trance zu befreien.

"Wunderschön", seufzte Anshara. Sie wußte gar nicht so recht, wo sie anfangen sollte, die ganzen Wunder von Paris in sich aufzunehmen. "Sag mal, Jean, gibt es hier in der Nähe eine Galerie oder ein Museum, von dem du meinst, daß ich es unbedingt sehen müßte?"

"Hier in der Nähe weniger. Die beiden im Park sind nicht so interessant. Das Musée Nissim de Camondo gibt das Innere eines Stadthauses wieder, wie es Aristokraten zur Zeit von Louis XV und Louis XVI bevorzugten, und das Musée Cernuschi enthält lediglich eine Privatsammlung asiatischer Kunst."

"Schade." Sie sah sich um und seufzte, als sie die Pflanzen im Park betrachtete. "Im Winter sieht die Natur irgendwie trostlos aus. Aber es ist dann leichter, die Sehnsucht zu unterdrücken, die Pflanzenpracht noch einmal im Sonnenlicht zu erblicken", sinnierte sie.

"Ich mag Pflanzen auch bei Nacht", entgegnete Jean.

"Aber es ist doch ein Unterschied, ob man saftige, grüne Felder wie in den Tälern des Nils im strahlenden Sonnenschein oder im milden Silberschein des Mondes betrachtet. Auch so manche Blüte wird sich erst öffnen, wenn sie Ras Antlitz in voller Pracht erblickt."

"Ich weiß. Aber wozu gibt es Gewächshäuser?"

"Im künstlichen Licht sind die Farben anders. Es ist zwar schon weit über dreitausendachthundert Jahre her, aber ich erinnere mich noch. Es waren lebendigere Schattierungen, kraftvollere Farben..."

"Durchaus. Aber dafür haben wir hier das Schweigen der Nacht."

"Das ist wahr. Und im Winter ist alles noch einmal so ruhig - als ob die Natur den Atem anhält."

"Ich ziehe den Winter dem Sommer vor", sagte Jean.

"Ich stamme aus einem Land der Sonne", erinnerte sie ihn.

"Ich nicht", kam es trocken von ihm.

"Vermißt du denn nicht manchmal die Wärme Ras auf deiner Haut? Den Duft eines Sommerabends, bevor Aker dem Sonnenwagen die Tore zur Unterwelt öffnet?"

"Ich habe schon immer die Nacht bevorzugt."

"Oh." Anshara musterte ihn nachdenklich. "Offenbar stimmt es wirklich, was du sagtest - daß ich für ein Kainskind ungewöhnlich strahle."

"Stimmt."

"Bin ich tatsächlich derart untypisch?"

"Eigentlich nicht. Alle Kainskinder sind verschieden"

"Komisch, in den Filmen werden sie fast alle immer gleich dargestellt."

"Tse, das sind eben Filme." Jean schaute amüsiert drein.

"Chris wirkte auf jeden Fall nicht sonderlich düster", reflektierte Anshara.

"Der ist eben auch so ein typischer Sonnenschein."

"Und du bist ein echtes Kind der Nacht", deklamierte sie, eine Anleihe bei Bram Stoker nehmend.

"Man hat mich jedenfalls schon immer so bezeichnet", erklärte er belustigt.

"Hm. Ich wäre von alleine nicht darauf gekommen", überlegte sie.

"Jetzt kann ich ja auch nicht mehr tagsüber herumlaufen. Außerdem bezog sich das wohl eher auf meine Herkunft." Jean lehnte sich an einen Baum, um den Himmel zu betrachten. Es waren einige Wolken unterwegs, die hin und wieder den Mond verdeckten.

"Woher stammst du denn eigentlich?"

"Aus Paris."

"Das war nicht, was ich meinte - woher stammst du?"

"Was willst du denn wissen?"

"Alles."

"Kommt nicht in Frage", sagte er kategorisch.

"Ooooch, Jean..." Sie sah ihn herzzerreißend an, und er erwiderte ihren Blick.

"Du willst aber auch immer gleich alles wissen."

"Na gut, dann nur ein bißchen. Wer waren deine Mutter und dein Vater?"

"Meine Mutter hieß Soleil, aber was meinen Vater betrifft - keine Ahnung."

"Oh. Das klingt aber traurig."

"Pourquoi? Wenn ich es wüßte, würde das doch auch nichts ändern. Es hätte ihn eh nicht interessiert."

"Das tut mir leid."

"Das macht mir nichts mehr. Es ist ohnehin schon alles Vergangenheit - über dreihundert Jahre."

"Oh. Wann hast du eigentlich Geburtstag?"

"Am 1. Mai."

"Hm. Schenken sich Vamp... - äh, Kainskinder - eigentlich etwas zum Geburtstag? Oder eher zum Tag des Kusses?"

"Das ist unterschiedlich. Die Ventrue begehen große Parties zur 'Todesnacht', wie sie es nennen. Bei den anderen ist es reine Geschmackssache."

"Ah, und wozu hättest du lieber ein Geschenk?"

"Eigentlich mag ich Geschenke jederzeit, aber ich würde meinen Geburtstag vorziehen."

"Den wievielten feierst du denn dieses Jahr?"

"Hm. Dreihundertvierundvierzig", rechnete er. "Aber wehe, du schenkst mir einen Kuchen mit so vielen Kerzen, sonst räche ich mich."

"Das würde ich gerne sehen! Ein Kuchen mit - Moment! Ich war siebzehn, als ich den Kuß empfing, dann habe 3809 Jahre geschlafen, und jetzt bin ich seit 1965 wieder wach... Das heißt, ich werde dieses Jahr 3843."

"Ganz schön alt", kommentierte Jean.

"Na! Wenn man meinen Schlaf abzieht, bin ich nur vierunddreißig. Und da ich erst seit gerade mal siebzehn Jahren ein Kaiskind bin, brauche ich auch nur siebzehn Kerzen." Sie nickte erfreut. "Ja, das hört sich definitiv nicht mehr so peinlich an."

"Durchaus."

"Wenigstens bekomme ich keine Falten oder graues Haar, und zunehmen werde ich auch nicht", stellte sie fest. "Bin ich froh, daß ich schön schlank war, als ich gebissen wurde und ich meine Fingernägel gerade an dem Morgen manikürt hatte."

"Das ist wahr", meinte Jean belustigt und nahm ihre Hand, um sie zu betrachten. Anshara lächelte ihn an.

"Zum Glück warst du ja wohl auch in sehr guter Verfassung." Sie umrundete ihn soweit es ging, da er immer noch an dem Baum lehnte.

"Ich kann mich mit meinem Aussehen abfinden."

"Ich auch." Sie fuhr mit den Händen über seine Vorderfront, und Jean blickte lächelnd auf sie herab. Besitzergreifend schlang sie die Arme um seine Mitte und schloß die Augen. Hier konnte sie noch eine Weile bleiben. Jean sah nach oben und betrachtete den Himmel. Er liebte die Nacht mit all ihren Schatten und träumte vor sich hin. Anshara begann, wieder eines der alten ägyptischen Lieder zu summen.

"Was summst du da?"

"Eins von den Liedern, die im Tempel gesungen wurden."

"Das klingt hübsch."

"Finde ich auch. Leider bezweifle ich, daß man so etwas hier auf Schallplatte oder Cassette findet."

"Wahrscheinlich nicht. Und ich fürchte, es gibt auch keine Live-Musiker, die dich mit passenden Instrumenten unterstützen könnten. Vermutlich mußt du dich selbst begleiten."

Sie seufzte. "Sag mal, was ist denn dein besonderes künstlerisches Talent?"

"Ich habe eigentlich keins."

"Und was hast du dann dem Prinzen vorgeführt?"

"Mich", verkündete Jean amüsiert.

"Oh." Anshara musterte ihn ausgiebig. "Du bist also zu ihm hingegangen und hast gesagt 'Hi! Hier bin ich!'?"

"So ungefähr."

"Und das hat er akzeptiert?"

"Sonst wäre ich nicht hier."

"Du hattest es gut", seufzte sie und kuschelte sich an ihn.

"Willst du schmusen?" fragte er vergnügt.

"Wenn du nichts dagegen hast?" Sie sah belustigt zu ihm hoch.

"Du hast mich ganz in deiner Gewalt."

"Das gefällt mir." Sie vergrub ihre Hände in seinem dichten, schwarzen Haar.

"Wozu kämme ich mich eigentlich?" erkundigte Jean sich fatalistisch.

"Damit ich dich besser zerzausen kann."

Er ließ gespielt geschafft den Kopf hängen, was Anshara nur zu neuerlichen Wuschelaktionen verführte.

"Man sollte dir ein Haustier schenken", fand er.

"Ich wuschele doch nicht alles", entrüstete sie sich. "Es muß sich auch lohnen." Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich herab.

"Eh, willst du mir das Genick brechen?"

"Nein, ich will dich nur auf eine passende Höhe mit mir bringen."

"Tse, die meisten mögen es, daß ich so groß bin."

"Es sieht ja auch gut aus, ist aber reichlich unpraktisch."

"Dann mußt du dir halt einen Hocker mitnehmen." Er lachte sie an. "Aber vielleicht tut es das ja auch." Er hob sie hoch und stellte sie auf einem Baumstumpf ab.

"Oui", jauchzte sie und küßte ihn ausgiebig, was sich Jean nur zu gerne gefallen ließ. Er fand, wenn Anshara ihn schon bei den Spielchen in der Bar gestört hatte, durfte sie auch gerne Ersatz dafür liefern. Sie hingegen hatte hauptsächlich beschlossen, ihm alle anderen Frauen austreiben zu wollen. Jean brummte zufrieden.

"Du bist knuffig", sagte er.

"Ich dachte, das ist eher eine Bezeichnung für männliche Wesen?"

"So?" machte er belustigt. "Wie soll ich dich denn sonst nennen?"

"Niedlich", schlug sie vor. "Süß bist ja du."

"Bin ich das?" fragte er. Natürlich liebte er es, bewundert zu werden.

"Oh ja." Sie schleckte an seinem Hals herum, und Jean gab sich ganz dem aufregenden Gefühl hin. "Sehr süß", ergänzte sie.

"Du machst mich total fertig", stellte er fest, als sie begann, ihn mit der Zunge zu kitzeln. "Das ist gemein, ich habe schon ganz weiche Knie."

"Dann laß uns nach Hause gehen, so lange du noch dazu in der Lage bist", kicherte sie. "Wo finden wir hier ein Taxi?"

"Am besten am Boulevard de Courcelles, der ist ganz in der Nähe." Jean führte sie zu der großen Straße, wo sie tatsächlich innerhalb weniger Minuten ein freies Taxi anhalten konnten.

* * *

Wieder daheim schloß Jean die Haustüre auf, und Anshara zog ihn hinter sich her nach oben.

"Warum hast du es auf einmal so eilig?" erkundigte er sich belustigt.

"Ich will nur da weitermachen, wo wir gerade aufgehört haben." Sie schon ihn in ihr Zimmer und schubste ihn sanft auf ihr Bett, wo sie sich wieder seinem Hals widmete. Alles in ihr sehnte sich danach, zuzubeißen und sein Blut zu kosten, und es gelang ihr nur unter größter Willensanstrengung, ihn nur zu necken. Jean sah sie verträumt an. Bei einer solchen Behandlung schweiften seine Gedanken sofort ab. Er bekam es gar richtig nicht mit, wie Anshara ihn von seinen Kleidungsstücken befreite.

"Ich frage mich langsam, ob es gut oder schlecht war, daß ich dich getroffen habe", sinnierte er. "Du kannst mich total um den Finger wickeln."

Sie streichelte ihn ausgiebig, und er räkelte sich wohlig.

"Das ist nicht richtig", erklärte er. "Ich bin doch nicht dein Ghoul, mit dem du machen kannst, was du willst."

"Dabei habe ich dir doch nicht einmal mein Blut zu trinken gegeben."

"Aber ich habe dennoch das Gefühl, daß du mich wie einen Menschen beeinflussen kannst."

"Dabei tue ich doch gar nichts."

"Doch", widersprach er. "Du machst mich total schwach."

"Dabei bist du doch so stark." Sie fuhr hingebungsvoll mit den Fingern über seine kühle, bleiche Haut. Jean hielt ihre Hände fest.

"Nur, solange ich dich daran hindere, mich anzufassen."

Sie sah ihn eindringlich aus ihren Bernsteinaugen an. Jean erwiderte ihren Blick und versank ihn ihnen, woraufhin er ihre Hände losließ. Natürlich begann sie erneut, ihn zu liebkosen.

"Ich hasse es, so schwach zu sein", seufzte er.

"Ich hab dich lieb", erklärte sie und knabberte ihn vorsichtig an.

"Wenn du noch lange so weitermachst, verliere ich die Kontrolle", warnte er.

"Sei einfach nur schön und kuschelig, dann bin ich mit dir zufrieden."

"Das erwartet man meist von mir." Jean stieß einen Seufzer aus. "Viel mehr habe ich nicht zu bieten - ich bin halt bloß hübsch", meinte er melancholisch.

"Nicht 'bloß' - ausgesprochen hübsch."

"Aber nichts weiter."

"Hm. Dann müssen wir dir ein paar Sachen beibringen."

"Ich bin viel zu dumm, um etwas zu lernen", behauptete er. Was nicht so ganz stimmt, er war eher viel zu faul...

"Das ist bestimmt nicht wahr. Naja, wir werden sehen." Sie gab ihm einen Kuß. "Du wirst mir dein Französisch beibringen, und ich kann dich in Altägyptisch, Arabisch oder Medizin unterweisen. Apropos Medizin - ich bin praktisch fertig mit meinem Fernstudium, aber weißt du, wie ich das mit dem Examen hinkriegen soll? Vor allem, wo ich doch jetzt nicht mehr in den Vereinigten Staaten bin. Hm. Ich muß einmal darüber nachdenken. Aber das mit dem Französisch ist ein Muß. Abgemacht?"

Jean sah sie an. "Wenn du willst." Er angelte nach ihren Händen und hielt sie fest.

"Was hast du jetzt mit mir vor?" wollte sie wissen. Sie legte den Kopf schief und erwiderte seinen Blick.

"Ich weiß noch nicht. Erst einmal muß ich meine Gedanken sortieren." Es fiel ihm sichtlich schwer, sich überhaupt auf etwas zu konzentrieren, geschweige denn irgendwelche Entscheidungen zu treffen.

"So?"

"Das kann noch etwas dauern, du verwirrst mich."

"Oooch!" Sie gab ihm einen weiteren Kuß, der von Jean hingebungsvoll erwidert wurde.

"Ich weiß nicht, was mit mir los ist", meinte er schließlich. "Du bringst mich total durcheinander."

"Dabei bist du doch im Prinzip älter und weiser als ich."

"Die drei Jahre!"

"Hm. Wo hast du eigentlich die fehlenden Jahre verbracht? Wenn du sagst, daß du 19 Jahre ein Kainskind, aber 334 Jahre alt bist, dann gibt es da knapp dreihundert überzählige Jahre."

"Hm", machte Jean zögernd. Er sprach nicht gerne darüber. "Die Jahre zählen nicht, weil ich mich in der Starre befand."

"Und wie ist das passiert?"

"Es ist eben passiert. Ich möchte lieber nicht darüber reden." Er wandte sich ab; er war tief in Gedanken versunken. Die Zeit in dem Verlies war grausam gewesen - zumindest zu Beginn. Als er dann endlich aus Nahrungsmangel das Bewußtsein verlor, war ihm alles so ziemlich egal gewesen.

Anshara bemerkte seinen Stimmungsumschwung und begann, ihn tröstend zu streicheln, doch er war momentan so deprimiert, daß er sie beiseite schob.

"Jean? Was ist?" Sie guckte ihn besorgt an.

"Ich bin nur traurig. - Es ist die Erinnerung..."

"Laß mich dich trösten."

Sie nahm ihn in die Arme, und er schmiegte sich trostsuchend an sie.

"Du bist so lieb", bemerkte er.

"Ich habe dich eben lieb."

"Ich mag dich auch." Jean strich ihr durch die Haare und betrachtete ihren schlanken Hals und die Verlockung ihres süßen Blutes. "Es fällt mir immer schwerer, nicht zu weit zu gehen."

"So lange du mich nicht ganz austrinkst und mir dann auch etwas von dir abgibst..."

"Es macht mir aber auch Angst. Das Blutsband, daß ich zu meinem Erzeuger hatte, ist mittlerweile erloschen, und ich bräuchte nur dreimal von dir zu trinken, um neuerlich gebunden zu sein." Und wenn sie dreimal sein Blut tränke, dann wäre sie ebenso ihm ergeben. Die Idee war ebenso verlockend wie beängstigend, fand er.

Anshara runzelte die Stirn. Das mit dem Blutsband hatte sie immer noch nicht so ganz verstanden. Wie mochte sich so etwas anfühlen? Sie fuhr sanft über Jeans Rücken. Er kuschelte sich an sie und seufzte.

"Ich glaube, ich bin schrecklich verliebt", erklärte er.

"In mich?" Sie guckte ihn entzückt an.

"Nein, in dieses dekorative Kopfkissen", meinte er seufzend, und Anshara prustete los.

"Du bist süß!"

"Ich bin ein Trottel."

"Warum?"

"Weil ich mich so benehme."

"Ich finde dich eher schön knuddelig. Weißt du, ich habe dich auch unheimlich lieb." Sie schlang die Arme um ihn und hielt ihn fest.

"Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll", meinte Jean. "Ich bin nicht auf so etwas vorbereitet."

Anshara sagte gar nichts und guckte ihn an, und er erwiderte ihren schimmernd braungoldenen Blick. Als er begann, mit einer Haarsträhne von ihr herumzuspielen, fing sie seine Hand ein und küßte die Innenseite seines Handgelenks. Jean erschauerte, zog diesmal aber den Arm nicht weg, was Anshara weidlich ausnutzte, indem sie sich an diesem entlang vorarbeitete.

"Du bist einfach süß", gab Jean zum wiederholten Male von sich und grinste. "Ich frage mich, wie oft wir uns das noch erzählen werden."

"Vielleicht sollten wir versuchen, es in etwas poetischere Worte zu kleiden", kommentierte Anshara trocken. "Oder wir könnten nach weiteren zutreffenden Aussagen suchen, die wir noch nicht so strapaziert haben. Meines Erachtens bist du nämlich auch noch knuffig, knuddelig, niedlich und insgesamt ziemlich unwiderstehlich. Irgendwelche Einwände?"

"Nein."

"Prima." Sie widmete sich erneut ihrer Eroberung, bevor er nun seinerseits begann, sie anzuknabbern.

"Du bist faszinierend", fand Jean eine neue Vokabel und beschloß, wieder einmal einen Tauchgang in ihre Bernsteinaugen zu unternehmen. "Diese Farbe ist höchst ungewöhnlich", bemerkte er. "Ich dachte eigentlich, daß die meisten Ägypter dunkle Augen hätten.

"Stimmt. Aber vielleicht war ich ja ein Seitensprung?"

"Wer hat denn solch eine Augenfarbe?"

"Vielleicht einer unserer Götter. Die sehen so aus, wie sie wollen." Sie musterte seine Augen. "Dieses geniale dunkle Blautürkis scheint aber auch nicht gewöhnlich zu sein", meinte sie. "Ich habe es jedenfalls bislang noch nirgendwo gesehen. - Ist das von deiner Mutter?"

"Oui. Elle était vraiment magnifique", erwiderte Jean in Gedanken. "Sie war wunderschön."

"Praktisch, das du das geerbt hast", fand Anshara. "Männer gefallen mir nun einmal am besten, wenn sie auch noch toll aussehen."

"Wie nett", kommentierte er.

"Bin ich immer." Sie betrachtete schon wieder seinen Hals, und amüsiert bemerkte Jean ihren Blick. "Du siehst einfach zum Anbeißen aus."

"So?" Er stützte sich auf den Ellenbogen auf.

"Oh ja." Sie seufzte. "Und irgendwann werde ich vermutlich auch anbeißen."

"Ich wehre mich nicht."

"Und dann bist du auch noch ein williges Opfer", stellte sie entzückt fest.

"Ich bin eben in jeder Beziehung perfekt." Er grinste sie an, und sie knabberte spielerisch an ihm herum, was er sich nur zu gerne gefallen ließ. Er fand das Spiel sehr aufregend und betrachtete Anshara mit einem ziemlich merkwürdigen Blick, während sie sich fragte, was wohl geschähe, wenn sie wirklich richtig zubeißen würde.

"Ich hoffe, du weißt genau, was du tust", sagte Jean schließlich.

"Nein. Dazu verwirrst du mich zu sehr."

Jean richtete sich auf, um sie zu betrachten. "Mir geht es ähnlich", gab er zu.

"Passiert so etwas unter Kainskindern eigentlich häufiger?"

"Ich habe noch nie davon gehört. Jedenfalls hat mir noch keiner etwas gesagt."

"Hm", machte sie. Jean stand auf und lehnte sich mit der Stirn gegen die Wand. Anshara sah ihm hinterher. "Was hast du?"

"Mir schwirrt der Kopf." Er schaute über die Schulter. "Ich komme mir vor wie ein Kind, das von nichts eine Ahnung hat. - Und du weißt ja auch nicht im geringsten, was du eigentlich tust..."

"Woher auch? Bei Anubis, wenn ich den Typen in die Finger kriegen würde, der mir den Kuß gab, dann würde ich ihm ordentlich die Meinung sagen, weil er mich einfach so zurückließ."

Jean seufzte schwer. "Ich glaube, ich gehe besser in mein Zimmer."

"Warum?"

"Ich bin müde." Eigentlich wollte er eher aus Ansharas Nähe verschwinden, um richtig nachdenken zu können.

"Aber es sind bestimmt drei oder vier Stunden bis zum Sonnenaufgang, und du mußt mir all das beibringen, was ich noch nicht weiß!"

"Ich weiß doch auch nichts", protestierte er.

"Können wir denn nicht jemanden suchen, der uns all das beibringt, was wir wissen müssen?"

"Meinst du wirklich, ein älteres Kainskind würde sich mit uns abgeben? In deren Augen sind wir doch nichts."

"Wie bitte? Ich bin Anch-Ra, Priesterin der Ma'at und deren Vertreterin auf Erden."

"Das warst du vielleicht mal, aber jetzt bist du nur eins von den ganzen Küken und Neugeborenen, die hier herumlaufen."

"Humpf", machte sie. "Ich bin doch kein Vogel! - Ist denn nicht dein Erzeuger dafür zuständig, dir alles Wichtige beizubringen? Warum fragen wir den nicht? Meiner ist ja verschollen..."

"Er hat gesagt, ich könne für mich selbst sorgen."

"Aber du sagtest, du weißt nichts. Ergo kannst du auch nicht richtig für dich selber sorgen."

Jean machte ein Gesicht, als ob sich ein Kelch Blut als Himbeersirup entpuppt hätte. "Na gut, wir können Simon ja fragen. Aber erwarte nicht zuviel von ihm." Simon war definitiv kein guter Lehrer; er war in jeder Beziehung viel zu ungeduldig, um irgendjemandem etwas beizubringen. Außerdem war er ein Sadist und Egoist, und überhaupt wollte er ihn nicht so bald wiedersehen.

Anshara musterte ihn intensiv. "Du hast immer noch Angst vor ihm?"

"Ja."

"Hm. Was meinst du, wie wird er auf mich reagieren?"

"Vielleicht will er dich ja behalten." Simon sammelte ohnehin alles mögliche, besonders wenn es eine Zierde für sein Haus war.

"Kommt gar nicht in die Tüte", erklärte Anshara kategorisch.

"Ich wäre auch nicht dafür, aber er ist sehr stark."

"Der soll es wagen!" Aus ihren Augen sprühten goldene Blitze. Jean guckte eher ängstlich drein; seine Furcht vor Simon war einfach zu groß, als daß er sie einfach überwinden könnte. Anshara stand auf und nahm ihn tröstend in die Arme, und er schmiegte sich an sie.

"Zusammen müßten wir uns doch eigentlich gegen ihn durchsetzen können", meinte sie. Jean guckte ziemlich zweifelnd drein.

"Vor Simon habe ich wirklich Angst." Er seufzte und ließ den Kopf hängen. Anshara hielt ihn ganz fest und küßte ihn. "Ich glaube, an deine Nähe könnte ich mich echt gewöhnen", sagte er schließlich. "Du bist süß. Aber du verhinderst auch, daß ich einen einzigen klaren Gedanken fassen kann."

"Und was schlägst du zur Abhilfe vor?"

"Ich lasse das Denken besser ganz."

"Dann muß ich ja für uns beide denken."

"Tust du das nicht ohnehin? Ich eigne mich eben am besten zur Dekoration." Zumindest hatte ihm das Simon des öfteren vorgeworfen.

"Das müssen wir noch ändern", fand sie. "Mir fällt schon noch etwas ein. - Wo wohnt denn dein Erzeuger?" wechselte sie das Thema.

"Hier in Paris."

"Praktisch. Dann solltest du ihn anrufen und ihm mitteilen, daß wir morgen abend bei ihm vorbeikommen", bestimmte sie.

"Bien", entgegnete Jean. Er war zwar immer noch nicht begeistert davon, aber vermutlich war es wirklich die beste Idee.

"Prima. Hoffentlich erfahren wir durch ihn etwas mehr." Sie löste sich von Jean und setzte sich auf den Rand ihrer Liegestatt. "So, dann sollten wir jetzt doch am besten ins Bett gehen und uns ausruhen. Kommst du mit in meins?" Sie legte den Kopf schief und warf ihm einen auffordernden Blick zu.

"Würdest du mich gehen lassen?" wollte er wissen.

"Nein, ich würde dich verfolgen."

"So?" Jean entfernte sich ein Stück, und Anshara sprang auf, um ihm hinterher zu traben. Auch als er in sein Zimmer ging, blieb sie ihm dicht auf den Fersen. Schließlich blieb er stehen. "Und nun?"

"Ich könnte dich als meine Beute betrachten und zur Strecke bringen", überlegte sie.

"Fang mich doch!"

Sie sprang auf ihn zu, wobei sie unbewußt ihre volle Geschwindigkeit einsetzte. Da er nicht damit gerechnet hatte, gelang es Jean nur knapp, ihr zu entwischen.

"Eh, du bist ja genauso schnell wie ich, das ist ja unfair", schmollte sie.

"Dann mußt du dich eben etwas anstrengen." Er beobachtete sie genau und bemühte sich, ständig einen ausreichenden Abstand zu ihr zu wahren. Anshara fand das gar nicht gut. Sie hatte etwas gegen Opfer, die sich ihr entziehen wollten.

"Na, gibst du auf?" fragte er mit einem herausfordernden Blick und tänzelte vor ihr hin und her.

"Bestimmt nicht." Sie versuchte einen Hechtsprung über das Bett zu machen, blieb jedoch hängen und plumpste unelegant auf den Bauch. "Graaa!"

"Ich dachte, du wolltest mich fangen", neckte er sie, "und nicht wie eine Bleiente auf das Bett klatschen..."

"Pah!" Sie rappelte sich auf und warf ihm einen vernichtenden Blick zu, ehe sie einen neuerlichen Versuch machte, sich auf ihn zu stürzen. Dummerweise war Jean wieder schneller und wich hinter einen Stuhl zurück. "Jetzt gib endlich auf, du hast ja doch keine Chance!" forderte sie.

"Davon mußt du mich erst überzeugen", entgegnete Jean belustigt. Sie musterte ihn und kam zu dem Schluß, daß sie im direkten Nahkampf wohl wenig ausrichten konnte. Vor allem wurde sie langsam hungrig, da der häufige Einsatz ihrer Geschwindigkeit an ihren Reserven zehrte. Jean hatte ein ähnliches Problem, versuchte aber, dies zu unterdrücken.

Nun beschloß Anshara, sich auf eine andere Taktik zu verlegen. Sie täuschte einen neuerlichen Sprung an, während sie einige der auf dem Boden liegenden Kleidungsstücke in seine Ausweichrichtung kickte. Prompt verfingt sich Jean darin und landete unelegant auf dem Hinterteil. Mit einem begeisterten Aufschrei stürzte sich Anshara nun auf ihn und stand plötzlich vor einem gewaltigen Problem.

Sein überaus appetitlicher Hals befand sich in lockender Reichweite, und sie verspürte auf einmal einen unwiderstehlichen Drang, ihren Hunger an ihm zu sättigen. Ohne noch länger darüber nachzudenken biß sie zu und labte sich an seiner kostbaren Vitæ. Die Ekstase, die sie dabei verspürte, war unbeschreiblich, und es gelang ihr nur unter Aufbietung aller Willenskraft, von ihm abzulassen, bevor sie ihn ganz ausgesaugt hatte.

"Du bist wirklich süß", seufzte sie verzückt und betrachtete ihn liebevoll. Jean sah sie ziemlich verwirrt an, und sie strich sanft durch seine Haare. "Ich habe dir doch hoffentlich nicht weh getan?"

"Non..." Er fühlte sich nur ziemlich schwach. Anshara beugte sich zu ihm herab und küßte ihn. Jean versuchte sich aufzurichten, doch irgendwie wollte es ihm nicht gelingen, bis sie ihm aufhalf. Er hielt sich an ihr fest, und sie schlang die Arme um ihn.

"Darf ich dir auch etwas anbieten?" fragte sie besorgt.

"Schon gut, danke", erwiderte er. "Ich bin nur etwas wacklig auf den Beinen." Wenn er ihr Angebot annehmen würde, könnte er mit Sicherheit nicht mehr rechtzeitig aufhören.

Sie sah ihn ein wenig schuldbewußt an. "Tut mir leid..."

"Aber es war schon ein einmaliges Gefühl", sinnierte er.

"Stimmt." Anshara sah ihn hingebungsvoll an. Sie wußte nicht, was in sie gefahren war, aber es war höchst erregend gewesen.

"Aber jetzt brauche ich unbedingt etwas zu trinken."

"Das kann ich verstehen." Sie legte den Kopf an seine Brust. "Hier, willst du?" Sie hielt ihm ihr Handgelenk hin. Immerhin war es allein ihre Schuld, daß er so fertig aussah, und daher sollte sie ihm lieber etwas von sich anbieten, damit er nicht total zusammenklappte. Jean schüttelte nachdrücklich den Kopf.

"Hol mir lieber etwas aus dem Keller." Das war auf jeden Fall die sicherste Methode.

"Gut." Sie joggte nach unten und kam mit einem ganzen Korb voller Flaschen zurück. Jean saß auf dem Bett, da er momentan seinen Beinen nicht traute, ihn zuverlässig zu tragen. Viel hätte wirklich nicht gefehlt, und Anshara hätte ihn allen Blutes beraubt. Sie füllte einen Kelch mit seiner Lieblingssorte und hielt ihn Jean hin. Er trank gierig; der Hunger in ihm brannte fürchterlich, und es brauchte schon ein paar Flaschen Lundi, bis er gesättigt war.

Anshara sah ihn derweil verlegen an, das war nicht geplant gewesen, aber diese Herumjagerei hatte sie hungrig gemacht, und er war gerade so schön greifbar gewesen. Sie trank die beiden restlichen Flaschen aus, sicher war sicher.

Jean lag auf dem Bett und sah sie an, während sie sich setzte und begann, ihn zu streicheln. Er seufzte, als sie seinen Blick erwiderte.

"Wie fühlst du dich?" fragte er neugierig.

"Seltsam. Weißt du, du bist viel schmackhafter als ein Mensch." Sie himmelte ihn an.

"Was ist denn anders?"

"Nun, es gab einen unbeschreiblichen Kick. Es ist schwer zu erklären, es fühlte sich einfach himmlisch an."

Jean angelte nach ihr. "Ich fand es auch nicht schlecht." Um genau zu sein, war es ziemlich aufregend gewesen.

"Ich fand es einfach unvergleichlich." Sie schleckte über seinen Hals, wo man schon nichts mehr von den Bißwunden sah.

"Aber ich glaube, auf eine Wiederholung kann ich heute verzichten", sagte er. "Du bist ganz schön anstrengend."

"Oh." Sie streichelte ihn.

"Aber ich lasse mich natürlich gerne von dir verwöhnen." Er schnappte spielerisch nach ihren Händen, und sie ließ sich einfangen. Er küßte ihre Fingerspitzen und himmelte sie nun seinerseits an. Genüßlich arbeitete er jeden Finger ab, was prompt dazu führte, daß Anshara zu schnurren begann.

Amüsiert rollte er sich herum und hauchte ihr einen Kuß auf die Hand, um sich dann weiter nach oben vor zu arbeiten. Sie quietschte begeistert auf, das machte Spaß.

Inzwischen war Jean bei ihrer Schulter angekommen, und sie gab wieder leise Schnurrlaute von sich.

"Du bist bestimmt in deinem vorigen Leben eine Katze gewesen", bemerkte er und küßte sie auf den Hals, ehe er ihr aus kürzester Entfernung in die Augen sah.

"Siebenundzwanzig", sagte er nach einer Weile. "Du hast siebenundzwanzig goldene Punkte in der Iris."

"Oh." Sie gab ihm einen Kuß. Jean war absolut süß.

"Ich könnte dich auf der Stelle auffuttern", seufzte er.

"Ts, du hast doch schon gegessen." Sie strich sanft mit der Hand über seine Wange. "Na gut, so lange du ausreichende Stücke übrig läßt, darfst du gerne an mir herumknabbern."

"Fein." Er machte sich über ihre Schulter her. Da sie wieder zu schnurren begann, kicherte er. "Miau?" fragte er belustigt.

"Maunz", kam die Antwort.

"Ich finde dich einfach toll." Er widmete sich wieder ihrer Hand. "Wahrscheinlich werde ich dich unentwegt schrecklich verwöhnen."

"Ich erhebe keine Einwände."

"Habe ich fast erwartet." Übermütig kniff er sie, was sie mit einem Aufquietschen quittierte. "Du bist wirklich zum Anbeißen."

"Du auch."

"Du hast das aber ziemlich wörtlich genommen."

Anshara schaute verlegen drein.

"Ich könnte mich ja rächen." Jean verharrte nachdenklich über ihrem Hals. Er hielt ihre Kehle ganz vorsichtig mit den Zähnen umfangen, jedoch ohne zuzubeißen, da er immer noch überlegte. Anshara guckte ihn aus großen Augen an.

Jean gab sie wieder frei, um sie anzusehen. "Was ist?"

"Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlen würde..."

"Wahnsinnig."

"Darunter kann ich mir viel vorstellen", meinte sie amüsiert. Jean zwickte sie sanft mit den Zähnen in die zarte Haut des Halses. Da er keinen Hunger hatte, waren solche Spielchen lustig. "Ts, du bist ein Kneifer", kommentierte sie.

"Besser als bissig, oder?"

"Kommt darauf an. Solange du von mir noch etwas übrig läßt, hätte ich nichts dagegen."

"Keine Sorge, ich wollte noch länger etwas von dir haben", sagte er. "Also spiele ich lieber."

Sie schmiegte sich an ihn. "Du kannst gerne weitermachen."

"Daran wirst du mich auch nicht hindern können."

"Um so besser." Sie drapierte sich malerisch zurecht, und Jean betrachtete sie ausgiebig. "Und was hast du nun mit mir vor?"

"Dich ansehen", erklärte er andächtig. Diese vollendeten Formen waren eine Augenweide und sollten unbedingt in irgendeinem Kunstwerk verewigt werden, fand er. "Du gäbst bestimmt eine wunderschöne Skulptur ab."

"Verstehst du dich denn auf Bildhauerei?"

"Leider nicht besonders gut."

"Ich habe bislang nur ab und zu Hieroglyphen und Bilder in Tempelwände gemeißelt, ansonsten habe ich keine Erfahrung in Sachen Plastiken."

"Ich glaube, du würdest dich hervorragend in einer Vitrine machen."

"Aber Jean! Denk daran, mit mir in einer Vitrine ist nicht gut kuscheln."

"Tse", machte er und fuhr sanft mit den Fingern über ihre Wange. Sie lächelte ihn an. "Du bist entschieden kuschelsüchtig."

"Stört dich das?"

"Nein, eher im Gegenteil."

Anshara strahlte ihn an und küßte ihn.

"Dann können wir ja jetzt schlafen", meinte Jean und schlang den Arm um sie. "Bonjour, ma belle." Er zog die Decke über sie beide.

"Guten Morgen." Sie schmiegte sich an ihn und schlummerte alsbaldig ein.

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