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Paris à Nuit

(c) 1995/96 by Shavana & Stayka

Kapitel 7: Der zweite Streich

Man schrieb Sonntag, den 22. Dezember 1985, etwa 17:30 Uhr.

Jean war an diesem Abend sogar freiwillig früh aufgestanden, schließlich hatte Gereint heute Geburtstag. Er grübelte darüber nach, der wievielte es wohl war, während er nach dem Geschenk suchte, das er wieder viel zu gut versteckt hatte.

Anshara schlief noch wie tot, Branwyn hingegen hatte die Zwischenzeit dazu genutzt, mit ihrem Teleportgürtel nach Hause zu springen und die Bücher wegzuräumen, damit sie Platz für die nächste Ladung bekam. Außerdem mußte sie noch das Geschenk für Gereint holen. Da dieses relativ umfangreich war und die Kapazität des Gürtels beschränkt, mußte sie einige Male hin und herspringen, ehe sie sich ziemlich k.o. im Chambre de l'Automne hinlegte, um wenigstens noch zwei, drei Stunden zu schlafen.

Wie üblich schlief Gereint auch heute wieder lange, denn er sah einfach nicht ein, daß er so früh aufstehen sollte, wo er doch wahrlich genug Zeit hatte. Jean suchte derweil weiter nach dem Geschenk und nahm sich vor, es beim nächsten Mal auf keinen Fall mehr so gut zu verstecken.

Gegen 20:00 Uhr wachte Gereint dann doch noch auf, und auch Anshara trabte im Halbschlaf gen Badezimmer. Da sie immer noch nicht ganz momentan war, stolperte sie in die Badewanne, was ihr einen Strom farbiger Flüche in vier Sprachen entlockte, ehe sie sich wieder aufrappelte. Irgendwie sollte sie tagsüber lieber nicht so lange aufbleiben.

Inzwischen hatte Jean das Geburtstagsgeschenk gefunden und deponierte es in Gereints Zimmer, da dieser praktischerweise gerade nicht da war. Der Hunger hatte ihn in den Keller getrieben. Da Branwyn ihre Ladung ebenfalls loswerden wollte, traf sie Jean im Chambre de la Forêt. Das Kainskind guckte neugierig, wagte aber nicht zu fragen, was sich in dem gewaltigen Paket befand. Bestimmt war es wieder eine ihrer merkwürdigen Erfindungen. Hauptsache, das Ding explodierte nicht, während es sich in seinem Haus befand.

"Oh, hallo Jean." Die Magierin gähnte.

"Hallo", erwiderte er.

"Wo steckt denn Gereint?"

"Er ist im Keller. Frühstücken."

"Ah. Das klingt nach einer guten Idee - ich könnte auch einen Kaffee gebrauchen." Sie gähnte erneut.

"Marc wird Euch sicher einen zubereiten."

"Das wäre herrlich."

"Er ist in der Küche."

"Danke." Sie setzte das Paket auf dem Bett ab (es schien nicht allzu schwer zu sein) und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoß. Jean legte sein Geschenk neben das andere und verschwand wieder in sein Zimmer.

"Hallo Monsieur Marc", begrüßte Branwyn den dunkelhaarigen Ghul, als sie die blitzsaubere Küche betrat.

"Guten Abend, Mademoiselle."

"Hätten Sie vielleicht einen schönen, starken Kaffee für mich da?"

"Sicher, ich habe gerade frischen gemacht." Er reichte ihr eine gefüllte Tasse und stellte ihr Milch und Zucker hin.

"Ich bin Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet", seufzte sie, kippte einen guten Schuß Milch hinein, um ihn etwas abzukühlen und trank die Tasse in einem Zug aus.

"Es ist genügend da", bemerkte Marc.

"Wundervoll." Sie schenkte dem Ghul ein strahlendes Lächeln, ehe sie sich die nächste Tasse einverleibte. Zu Hause hatte sie extra große Trinkgefäße, die etwa einen halben Liter faßten. Doktor Mercurius, ihr Lehrmeister bei den Kindern des Äthers, hatte sie ihr geschenkt, damit sie nicht immer zu spät zum Unterricht kam.

"Ich koche gerne auch noch eine Kanne."

"Diese Option behalte ich mir auf jeden Fall vor."

"Soll ich Euch auch etwas zu essen machen?"

"Wenn es Ihnen keine Umstände bereitet..."

"Was darf es denn sein?"

"Hm, ich lasse mich überraschen. Ich weiß ja nicht, was Sie alles im Haus haben. Machen Sie einfach etwas."

"Gut." Marc machte sich also daran, ein reichhaltiges Essen zu kochen, und die Magierin guckte ihm interessiert dabei zu. Schließlich deckte er den Tisch und servierte das Mahl.

"Das riecht aber lecker", fand Bran. "Was ist das denn genau?"

"Ein Omelette Surprise."

"Ah." Sie verspachtelte es mit Behagen. "Das war lecker", lobte sie ihn.

"Darf ich Euch noch etwas anbieten? Einen Nachtisch vielleicht? Ich habe noch Eis hier."

"Oh ja." Auch dies stand prompt auf dem Tisch. "Sie verwöhnen mich, Monsieur Marc."

"Dafür bin ich da."

"Was ist eigentlich Ihr Beruf? Sind Sie vielleicht ein Koch?"

Marc lachte. "Nein, ich koche nur zum Spaß ganz gerne."

"Auf jeden Fall schmeckt es sehr gut. Ich bin versucht, Sie Jean abzuwerben."

"Ich denke, er wird dagegen sein."

"Dabei kann er Ihre Kochkünste doch gar nicht würdigen."

"Dafür würdigt er meine anderen Fähigkeiten um so mehr. Ich erledige schließlich alles für ihn, was er nicht machen will oder kann."

"Vielleicht sollte ich mich nach einem Koch umsehen", überlegte sie. "Es ist halt ein Unterschied, ob man nur ein paar Dosen aufmacht oder einen Koch zur Hand hat..."

"...der die Dosen zum dreifachen Preis aufmacht", ergänze Marc.

Branwyn lachte und peilte in ihre viel zu kleine, leere Tasse, und der Ghul schenkte ihr prompt nach.

"Danke." Sie lächelte ihm zu.

"Gern geschehen." Marc begann nun, die Küche wieder in den perfekt aufgeräumten Zustand zurückzuversetzen und wehrte alle Versuche Branwyns, ihm zur Hand zu gehen, mit dem Kommentar ab, daß sie hier schließlich zu Gast sei.

"Wie lange arbeiten Sie eigentlich schon hier?" erkundigte sich die Äthertochter.

"Fast zehn Jahre."

"Das ist ja schon einige Zeit." Sie betrachtete den Ghul, der immer noch bestenfalls wie zwanzig aussah und vermutlich Anfang bis Mitte dreißig war. Diese Auswirkung des Ghulseins fand sie immer wieder faszinierend. Die Kehrseite war allerdings, daß man sich ein Blutsband zu seinem Vampir-Meister einfing. "Und was haben Sie davor gemacht?"

"Nicht viel. Ich habe eine Ausbildung gemacht und mich dann mehr oder weniger herumgetrieben."

"Und dann hat Jean Sie aufgelesen?"

"Genau."

"Warum hat er Sie nicht auch zum Vampir gemacht?"

"Ich weiß nicht. Vermutlich brauchte er jemanden, der auch bei Tag etwas für ihn erledigen kann."

"Klingt logisch. - So, und jetzt werde ich erst einmal nachsehen, wo Gereint steckt."

"Vermutlich im Keller. Ich muß auch gleich hinunter, wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich ja in die Vorratsräume begleiten."

"Gut."

Marc nahm einen Korb und ging mit Branwyn nach unten. Dort war Gereint noch mit seinem Frühstück beschäftigt.

"Hallo, Gereint", wurde er von der Magierin begrüßt. "Herzlichen Glückwunsch zu deinem Ehrentag. Dein Geschenk liegt allerdings oben in deinem Zimmer."

"Danke. Ich werde es mir sogleich ansehen." Er stellte seinen Kelch ab, während Marc begann, die herumstehenden leeren Flaschen und Gläser einzusammeln. "Was ist es denn?" erkundigte Gereint sich.

"Das mußt du schon selber auspacken."

"Dann laß uns nach oben gehen."

Sie stiegen in die ersten Etage hinauf, wo in seinem Zimmer mittlerweile drei Pakete lagen.

"Welches ist denn von dir?" wollte er wissen.

"Das da." Branwyn wies auf das größte Päckchen, und das Geburtstagskind machte sich sogleich mit Feuereifer ans Auspacken. Schließlich hatte er ein großes, flauschiges Fellbündel in einem faszinierenden Goldton mit Silberzeichnung aus dem Papier gezogen.

"Das ist original calambrianisches Killerkaninchenfell aus dem Gernsback Kontinuum", erklärte Bran stolz.

"Schön weich", fand Gereint. "Ich danke dir."

"Bitte!" Sie strahlte ihn an und gab ihm einen Kuß.

"Und von wem sind die?" fragte Gereint neugierig mit einem Blick auf die anderen Pakete.

"Dieses hat Jean gebracht, also wird das Kleine wohl von Anshara sein."

"Ah." Er wickelte erst einmal das Geschenk von Jean aus, das ein Bündel Noten (eine Sammlung alter keltischer Lieder, die Gereint allerdings eher als modern empfand) enthielt, ehe er das Päckchen Ansharas öffnet, in dem das 8.+9. Buch Mose (in einem Band) verborgen war.

Branwyn warf einen Blick auf die Sachen und grinste. "Ich sehe, Anshara hat dir etwas Lustiges zum Lesen geschenkt."

"Ja. Ich habe schon einiges darüber gehört..."

"Ich habe mal darin herum geblättert - in Paris ist ein recht netter okkulter Buchladen - und konnte mich vor Lachen nicht mehr einkriegen."

"Sobald ich Zeit habe, werde ich es lesen."

"Es stehen sehr interessante Rituale drin, nur die Zutaten sind manchmal etwas schwierig zu besorgen - oder wüßtest du, wo man zum Beispiel 'Tränen des Mondes, violett' herbekommt?"

"Nein."

"Nicht mal der Chef des Ladens konnte mir da weiterhelfen..."

"Vielleicht kann man die Zutaten ja ersetzen", grübelte Gereint. "Aber wir sollten warten, bis wir wieder zu Hause sind. Hier fehlt uns schließlich ein Großteil unserer Laborausrüstung."

"Das ist wahr", stimmte die Magierin zu. "Aber wir müssen auf jeden Fall vorher noch mal in die Chantry einbrechen, ich habe noch nicht alle Bücher einpacken können."

"Du und deine Bücher", meinte Gereint belustigt.

"Die haben das meterweise Regale voller interessanter Werke", seufzte Bran verzückt.

"Du kriegst wohl nie genug davon, hm?"

"Nein", gab sie zu. "Ich fürchte, ich muß mir bald einen Bibliotheksturm anbauen."

"Bau mir lieber einen eigenen Turm ganz für mich allein."

"Willst du mich loswerden?" fragte sie tragisch.

"Wenn du in deinen Sammelrausch verfällst, dann kommt mir schon mal dieser Gedanke."

"Aber das ist doch bestenfalls ein, zweimal im Jahr!"

"Ich finde es ziemlich oft."

"Naja, du kannst dir ja länger Zeit lassen", seufzte Branwyn.

Gereint grinste. "Stimmt."

"Ich hoffe, daß in den Tremere-Chroniken irgendetwas drin steht, wie man als Sterblicher sein Leben verlängern kann, möglichst ohne unangenehme Nebenwirkungen. Es ist so frustrierend, es gibt soviel zu lernen, und man hat so wenig Zeit."

"Naja, wenn man soviel Zeit hat wie ein Kainskind, wird es irgendwann ziemlich langweilig."

"Aber es gibt doch immer neues zu lernen - ich meine, bis ich die Meisterschaft in meinen Hauptsphären erlangt habe, bin ich bestimmt schon uralt."

Gereint sah sie nachdenklich an.

"Ich glaube, ich weiß, wonach ich als nächstes forschen sollte. Kürzlich habe ich in einer Romanserie etwas von einem 'Zellaktivator' gelesen, der das Leben verlängern kann. Wenn es mir gelingt, so ein Gerät zu bauen, brauche ich keine Angst mehr vor Alter oder Krankheit zu haben."

"Aha", machte ihr Gefährte, dem dies gar nichts sagte. Auch die Gedanken an Alter oder Tod waren ihm mit der Zeit fremd geworden, denn er hatte schließlich alle Zeit, die er wollte.

"Es ist zu dumm, daß ich nur die rudimentärsten Kenntnisse der Lebenssphäre habe", seufzte sie. "Ich fürchte, da muß ich noch ziemlich üben."

"Das wird sich kaum vermeiden lassen. - Aber was machen wir jetzt?"

"Deinen Geburtstag feiern? Wir könnten ja irgendeinen hübschen Club aufsuchen und uns amüsieren. Wenn es wieder Tag wird, werde ich auf jeden Fall noch einmal in die Chantry gehen."

"Dir gefällt es doch meistens nicht, wenn ich mich 'amüsiere'", stellte Gereint fest.

"Nur wenn zu viele andere Kainskinder dabei sind, die sich an so einem unzivilisierten 'Blutfestmahl' laben. Das halte ich nunmal für überaus unappetitlich."

"Es ist für uns eine Frage des Überlebens, und außerdem tue ich so etwas eher selten. Bei dem Mangel an Gefäßen, der in unserer Gegend herrscht, könnte ich es mir ohnehin kaum erlauben, sie zu töten."

"Ich weiß - sonst würde ich vermutlich kaum mit dir zusammenleben."

"Ich frage mich ohnehin, wie du das aushältst."

"Im allgemeinen bist du doch recht pflegeleicht."

Gereint grinste. "Meinst du?"

"Sicher. Vor allem futterst du meine Geheimvorräte an Naschwaren und Knabbereien nicht auf."

"Dafür könnte ich dich ja mal auffuttern", meinte er vergnügt.

"Hey", rief Bran in gespieltem Schreck. "Ich dachte, Toreadors ernähren sich nicht von den Sterblichen, die sie mögen. Das würdest du doch nicht wirklich über's Herz bringen, oder?"

"Ich habe kein Herz, das weißt du doch."

"Sicher hast du ein Herz, sonst würde das Pfählen doch nichts nützen. Äh, sag mal, stimmt eigentlich das Gerücht, daß es Vampire gibt, die ihr Herz in einem Einmachglas zu Hause aufbewahren?"

"Wo hast du das schon wieder her?"

"Das hat Net_Shark irgendwo im Digitalen Netz gelesen."

"Das ist absoluter Quatsch", erklärte Gereint. "Ein Einmachglas - wie profan. Soweit ich informiert bin, packen die es in ein Tongefäß."

"Und warum gehen die eigentlich nicht ein, wenn man das Herz herausnimmt, wenn normalerweise schon ein Pfahl hindurch reicht, um ein Kainskind auszuschalten?"

"Das hat etwas mit dem Ritual zu tun. Außerdem machen das hauptsächlich die Setiten, ein anständiges Kainskind würde das kaum über sich ergehen lassen."

"Oh. Ist es denn wahr, daß man so einen 'herzlosen' Vampir nicht mehr pfählen kann?"

"Das Kainskind selber kann man nicht mehr pfählen, aber das Herz schon. Aber dazu muß man das Herz erst einmal finden."

"Klingt logisch. Was passiert eigentlich, wenn jemand so ein Herz klaut?"

"Das wäre peinlich für das Kainskind, dem das Teil gehört. Ich habe mein Herz jedenfalls da, wo es hingehört, da klaut es wenigstens keiner."

"Das ist beruhigend. Aber die Ausführungen waren wirklich interessant. Da habe ich doch glatt wieder etwas dazugelernt", meinte Branwyn befriedigt.

"So?"

"Allerdings. Ts, da lebt man jahrelang mit einem Kainskind zusammen und hat immer noch nicht alles über die herausgefunden. 'Der Vampir, das unbekannte Wesen'..."

"Gefällt mir", sagte Gereint belustigt.

"Aber ich möchte zu gerne alles über die Kainskinder wissen. Irgendwie ist das unfair, du weißt fast alles über die Magier, während mir nur Bruchstücke über die Vampire bekannt sind."

Gereint lachte. "Ich war ja auch mal ein Magier, du aber nie ein Kainskind."

"Naja, ich bleibe auch lieber eine Tochter des Äthers, denke ich."

"Ich wäre auch lieber ein Mitglied des Ordens des Hermes geblieben", meinte er. "Aber das Vampirsein hat auch so seine Vorteile."

"Stimmt, kein Ärger mit dem Alter oder Krankheiten."

"Krank kann ein Kainskind auch werden", machte Gereint sie aufmerksam.

"Aber es stirbt in der Regel nicht daran."

"Unangenehm ist es trotzdem. Aber ich bin ja vorsichtig beim Futtern." Er seufzte. "Wo wir gerade vom Essen reden, bekomme ich gleich wieder Appetit."

"Du hast doch gerade erst gespeist."

"Flaschenkost", äußerte er abfällig. "Vielleicht hat Jean ja Lust, ein wenig auf die Jagd mitzukommen."

"Da ich dir da kaum assistieren kann, werde ich die Zeit deiner Abwesenheit sinnvoll nutzen und den zweiten Überfall auf die Chantry vorbereiten."

"Bis nachher dann", meinte Gereint und machte sich auf die Suche nach seinem Bruder, während Branwyn in ihr Zimmer zurückging.

* * *

Anshara war es inzwischen gelungen, sich anzukleiden. Sie saß müde auf dem Bett und überlegte, ob sie sich nun etwas zu essen holen sollte, als Gereint auf der Suche nach Jean den Kopf in den Raum steckte.

"Hallo, Anshara. Vielen Dank für das Buch."

"Huh? Oh, Gereint. Gern geschehen. Ich hoffe, es gefällt..."

"Das kann ich sagen, sobald ich Zeit finde, es zu lesen."

"Gut." Sie lächelte ihm zu. "Wie alt seid Ihr eigentlich geworden?"

"462."

"Dafür seht Ihr aber gut erhalten aus."

"Für ein Kainskind ist das auch nicht allzu alt. - Was ich fragen wollte... Habt Ihr Jean irgendwo gesehen?"

"Nein, leider noch nicht."

"Ich habe Lust, jagen zu gehen."

"Ich hätte auch nichts gegen einen frischen Stärkungstrunk einzuwenden", stellte Anshara fest. "Meine Praxis hat ja leider gerade Weihnachtsferien, also muß ich mich momentan anderweitig um mein Essen kümmern. Vor allem meine AB+ Vorräte sind ja leider immer nur sehr begrenzt."

"Das ist das Problem, wenn man so ein Feinschmecker ist."

"Naja, ein bißchen." Sie sah dezent zu Boden.

"Jeder hat wohl so seine Vorlieben. Aber ich versuche jetzt wohl besser, Jean zu finden, sonst ist die Nacht um, und ich hatte immer noch nichts zu essen."

"Das ist wahr. - Irgendwoher sollte ich mir langsam auch etwas zu trinken besorgen."

"Wie Ihr möchtet. Aber jetzt werde ich erst einmal Jean suchen gehen."

Er ging wieder los und fand seinen Bruder schließlich im Wohnzimmer, wo er am Schreibtisch saß und schrieb.

Anshara machte erst einmal einen Abstecher in den Keller, wo sie zwei Flaschen aus dem Regal zog, um mit diesen wieder nach oben zu gehen.

In nur kurzer Zeit überredete Gereint Jean, mit ihm auf die Jagd zu gehen, und dieser sagte zu, aber nur unter der Bedingung, daß sie seine Gefährtin fragten, ob sie mitwollte.

Die Ägypterin starrte eher lustlos auf einen halbgefüllten Kelch, als Jean eintrat.

"Anshara?"

"Jean?" gab sie zurück.

"Hast du Lust mitzukommen?"

"Gerne!" Sie erstrahlte förmlich. "Im Keller ist nur noch A+ und 0- aus der Flasche da."

"Ich weiß."

"Ich ziehe mich nur rasch um."

"Gut." Das weiße Flattergewand war wirklich nicht für die Jagd geeignet.

Nach nur einer Viertelstunde war sie in den warmen, schwarzen Catsuit, dicke Handschuhe und eine schwarze, dicke Steppjacke gehüllt, und ihre Füße zierten pelzgefütterte Winterstiefel.

"Fertig?" fragte Jean. "Gereint wartet schon."

"Fertig", echote sie und stülpte sich noch ein paar Fellohrenwärmer über.

"Meinst du nicht, daß du ein wenig übertreibst?"

"Es ist kalt draußen."

"Du frierst doch nicht."

"Kälte mag ich aber trotzdem nicht. Außerdem, lieber vorsichtig als steif. - Wo sollen wir denn heute jagen gehen?"

"Ich weiß nicht. So nah an Weihnachten ist ja nicht allzuviel los", überlegte Jean.

"Vor allem, wo heute der vierte Advent ist... Gibt es nicht vielleicht ein paar nette Nachtclubs?"

"Es ist gerade mal neun Uhr. So früh ist da doch noch nichts los."

"Vielleicht gibt es ja doch irgendwo ein paar unvorsichtige Passanten."

"Ich habe jedenfalls Hunger auf etwas Frisches. Ich fürchte, wir müssen uns etwas anstrengen. - Hm, wir könnten ja vielleicht in ein Restaurant gehen."

"An welches dachtest du?"

"Mal sehen", meinte Jean. "Auf jeden Fall werden wir in der Nähe eines Restaurants am ehesten etwas finden."

"Gut, suchen wir also ein gut frequentiertes Restaurant auf", beschloß Anshara.

Sie machten sich auf die Suche nach einer akzeptablen Gaststätte. Wider Erwarten war es draußen ziemlich belebt, so daß sie direkt auf der Straße auf die Pirsch gehen konnten.

"Ich glaube, hier haben wir gute Chancen auf einen leichten Snack", bemerkte Gereint.

"Hm, doch", stimmte Jean zu und sah sich um. Einige Hofeinfahrten boten genügend Schatten, in die man sich mit seinen Opfern zurückziehen.

"Aber irgendwie ist es hier ziemlich kühl", fand Anshara und kuschelte sich tiefer in ihre Winterjacke.

Gereint sah sie verwundert an. "Also, mir ist gar nicht kalt."

"Wie macht Ihr das nur?" Anshara seufzte herzerbärmlich. "Aber vielleicht liegt es ja daran, daß ich aus einem warmen, sonnigen Land komme."

"Alles Übung", behauptete Gereint. "Obwohl es auch ein bißchen anstrengend ist. Aber dafür bin ich halt warm." Er spähte neugierig zur Tür eines Restaurants.

"Bringt Ihr mir das bei Gelegenheit bei?" fragte Anshara hoffnungsvoll.

"So einfach ist das nicht", machte er sie belustigt aufmerksam.

"Pöh, wenn Ihr das könnt, sollte ich das auch lernen können."

"Nur, wenn Ihr fleissig übt."

"Üben?" Anshara zog eine Schnute. "Ich will das können! Üben dauert doch immer eeeewig."

"Nicht ewig, aber lange."

"Auf jeden Fall ist mir momentan kalt. Ich muß mir unbedingt Thermoklamotten kaufen."

Gereint lachte. "Vielleicht hättet Ihr in der Wüste bleiben sollen."

"Nö, da mußte man immer auf Kamele ausweichen. Hier ist die Verpflegung auf jeden Fall besser."

"Das ist wahr. Deshalb meine ich, wir sollten uns jetzt etwas zu essen suchen. Dann friert Ihr vielleicht auch nicht mehr so sehr."

Jean hatte sich schon längst auf die Jagd begeben, denn er hatte Hunger. Seine Wahl fiel auf einen jungen Burschen, den er prompt in den Schatten der Einfahrt zerrte.

Auch Anshara hatte mittlerweile ein passendes Opfer erspäht, das ohne Anhang unterwegs und auch nicht zu groß war. Leider war der Mann nicht mehr ganz frisch, aber es kam ja hauptsächlich auf die flüssigen Innereien an. Sie lockte ihn mit verführerischen Blicken in die Falle. Bald darauf war sie satt und entließ ihr Opfer nur ein wenig geschwächt.

Gereint beobachtete die beiden neugierig, ehe er sich selbst auf die Suche machte. Als er sein Opfer in die Schatten lockte, war auch Jean gesättigt zurückgekehrt.

Im Taschenspiegel prüfte Anshara derweil ihr Outfit und war zufrieden, daß sie nicht gekleckert hatte.

"Das war wieder lecker", erklärte Gereint, nachdem auch er seinen Hunger gestillt hatte. "Und was machen wir nun?"

"Gute Frage. Mir ist immer noch kalt", seufzte Anshara.

"Dann sollten wir uns einen warmen Platz suchen", fand Jean.

"Gibt es vielleicht irgendwo ein Theater oder ein Museum?" wollte die Ägypterin wissen.

"Wir könnten in die Oper gehen", schlug Gereint vor. "Leider weiß ich nicht, was heute läuft."

"Ich bin für die Carmina Burana!"

"Zu Hause ist es aber auch warm", machte Jean sie aufmerksam. "Oder wir könnten irgendwo hingehen, wo etwas los ist. Ich dachte das an das Central."

"War das nicht diese Flugzeug-Disco?"

"Genau."

"Dann laßt uns eben dorthin gehen", kommentierte Gereint.

Anshara stellte sich kurzerhand an den Straßenrand und winkte hektisch, sobald sie ein Taxi sah. Das dritte hielt an, und sie nahmen Kurs auf die Nobeldisco.

Zum Glück hatte das Central ein ziemlich gemischtes Publikum, und so kamen die drei ohne Probleme hinein.

"Hier haben wir wieder einmal ein hervorragend sortiertes Snack-Angebot", bemerkte Gereint vergnügt. "Wir brauchen nur zuzugreifen."

"Hoffentlich erwische ich diesmal einen AB+..." Ihr letztes Opfer hatte leider nur 0+ gehabt.

"Soll ich Euch einen suchen?"

"Das wäre toll."

"Der da", meinte Gereint nach kurzem Scan. Leider war der junge Mann an die zwei Meter groß, und Anshara zog eine Grimasse.

"Ginge es nicht auch in kürzer? Ich habe eigentlich keine Lust, zum Wadenbeißer degradiert zu werden."

Gereint sah sich ein weiteres Mal um; diesmal dauerte es aber ein bißchen länger. "Die dort." Er zeigte auf eine kleine Punklady.

"Prima." Anshara warf ihm einen dankbaren Blick zu und steuerte auf die Punkerin zu. Nur wenige Minuten später hatte sie ihr AB+ Dessert.

"Soll ich Euch noch etwas Leckeres suchen?" fragte Gereint.

"Oh, danke nein, ich bin ausreichend gesättigt", erklärte sie. "Ich muß doch auf meine Figur achten."

"So? Nach meinem Wissen könntet Ihr sie nicht einmal ändern, wenn Ihr es wolltet."

"Ich bin da lieber vorsichtig." Sie sah besorgt an sich herab. "Zeigt sich da nicht doch ein kleines Bäuchlein?" Sie betastete die entsprechende Stelle.

"Kann ich nicht finden."

"Dann bin ich beruhigt."

Gereint musterte sie amüsiert. "Wie kann man nur so eitel sein?"

Anshara gab seinen Blick verdutzt zurück. "Ich bin doch nicht eitel. Ich achte nur ein bißchen auf mein Äußeres." Sie zupfte an ihrem Catsuit herum, um sicherzustellen, daß dieser auch wirklich exakt saß.

"Perfekt", fand Gereint belustigt.

"Gut." Sie zog ihren Taschenspiegel hervor und überprüfte nun ihr Make-Up.

"Noch vollkommener geht es doch gar nicht."

"Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen. - Was sollen wir nun weiter unternehmen?"

"Ich weiß nicht", überlegte Gereint. "Hunger habe ich keinen mehr."

"Ich bin auch satt. - Jean?"

"Ich auch", antwortete dieser, der gerade neben ihnen aufgetaucht war.

"Dann könnten wir ja nach Hause zurückkehren und gucken, wie weit Branwyn mittlerweile ist."

"Sie wird noch arbeiten", vermutete Gereint. "Und dabei läßt sie sich ungern stören."

"Hm. Und was sollten wir Eures Erachten nach tun?"

Gereint zuckte mit den Schultern. "Etwas meditieren", schlug er vor.

"Oh. Und worüber meditiert Ihr so?"

"Über neue Rituale zum Beispiel."

"Wie macht man denn ein neues Ritual?" erkundigte sich Anshara neugierig.

"Man erfindet einfach eins."

"Hm. Worauf muß man denn dabei achten?"

"Daß es keine unerwünschten Nebenwirkungen gibt. Man sollte einfach nicht jede Idee sofort ausprobieren."

"Aber irgendwann muß man doch schon mal etwas ausprobieren, oder? Was kann man denn da notfalls an Sicherheitsmaßnahmen ergreifen?"

"Nun, man sollte zunächst einmal am besten allein auf weiter Flur sein, und zum zweiten ist es sinnvoll, ein persönliches Schutzritual zu beherrschen, wie zum Beispiel den Mächtigen Schild."

"Könnt Ihr mir das beibringen?" bat Anshara.

"Das ist ein viertstufiges Ritual", machte er sie aufmerksam.

"Das ist unfair. Alles, was praktisch ist, ist dritt- oder viertstufig."

"Es gibt doch auch einige nützliche erststufige Rituale."

"Also, ich hätte gerne eins, das mir immer das passende Make-Up aufträgt und mich dazu noch perfekt frisiert."

"Hm", machte Gereint. "Ich glaube nicht, daß wir da mit der ersten Stufe auskommen."

"Wie wäre es denn mit einem Ritual, mit dem man sich wärmen kann?"

"Hm, da fällt mir momentan nichts passendes ein", stellte Gereint fest.

"Aber das wäre doch wirklich mal praktisch."

"Gut, ich werde einmal darüber nachdenken."

"Prima. Und wenn Ihr es könnt, dann bringt Ihr es mir sofort bei, ja?"

"Es wird Euch auf jeden Fall eine Menge Blut kosten."

"Oh je..."

"Fast jedes Ritual verlangt Blut."

"Das habe ich auch schon bemerkt. Irgendwie ist das ziemlich unpraktisch."

"Stimmt." Er lächelte sie an. "Und was möchtet Ihr nun unternehmen?"

"Am liebsten zugucken, wie Ihr ein Ritual kreiert."

"Tse", macht Gereint. "Mir fällt so etwas aber meist in der Badewanne oder beim Essen ein."

"Dann müssen wir das wohl streichen. - Aber irgendwann müßtet Ihr mir die Schaffung eines Rituals Schritt für Schritt erklären."

"Versuchen kann ich es ja mal. Jetzt sollten wir aber langsam Jean einsammeln und nach Hause gehen."

"Wo steckt er nur gerade?" Anshara sah sich suchend um und erspähte Jean inmitten einer Horde ihn anbetender Gruftis. "Typisch", fand sie.

"Natürlich", stimmte Gereint zu. "Er ist mindestens so eitel wie Ihr."

"Vielleicht sollte ich mich auch noch ein halbes Stündchen in der Bewunderung der Leute sonnen, ehe wir abhauen", überlegte sie.

"Dann laßt Euch bewundern", meinte Gereint grinsend und sah ihr nach, wie sie sich an der Bar in Positur stellte. Prompt scharten sich interessierte Herren um sie, denen sie turnusmäßig verführerisch zuzwinkerte.

Gereint fand das amüsant und suchte sich einen günstigen Beobachtungsplatz. Das Verhalten der Menschen war immer gleich, fand er. Insbesondere die Männer würden sich in tausend Jahren nicht ändern.

Anshara fand es schade, daß sie schon satt war, denn zwei Drittel ihrer Verehrer sah definitiv zum Anbeißen aus. Da Gereint sich zu langweilen begann, schlenderte er nun auch zu der kleinen Ägypterin hinüber, die ihn prompt ebenfalls mit einem hinreißenden Blick bedachte. Er guckte zurück. Anshara war irgendwie knuffig. Sie lächelte ihn auffordernd an, und die restlichen Herren waren von dem mehr als nur gutaussehenden Rivalen überhaupt nicht begeistert. Gereint fand die ärgerlichen Blicke der anderen lustig.

Ein besonders vorwitziger Verehrer ergriff Ansharas Hand und tätschelte sie demonstrativ. Das war absolut albern, fand Gereint kopfschüttelnd. So behandelte man doch keine Frau. Anshara war ähnlicher Ansicht und eroberte ihre Hand zurück. Um einer weiteren Peinlichkeit dieser Art vorzubeugen, stellte Gereint sich neben sie.

"Oh, hallo Gereint." Anshara schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. "Was führt Euch zu meiner Wenigkeit?"

"Ich langweile mich und dachte, ein Gespräch mit Euch wäre eine Bereicherung für diesen Abend."

"Dann laßt uns reden. Wißt Ihr, ich bin immer noch an den okkulten Dingen interessiert, von denen Ihr spracht."

"Ja?" Gereint warf ihr einen betont überraschten Blick zu. "Was wollt Ihr denn darüber wissen?"

"Alles, oh großer Meister", hauchte sie. Gereint mußte sich ein Grinsen verkneifen. Offenbar wollte sie die versammelten Typen auf den Arm nehmen.

"Hier und jetzt?" fragte er mit gespieltem Unglauben.

"Aber natürlich! Eure ergebene Schülerin wird es Euch danken."

Gereint beugte sich zu ihr hin. "Seht nur wie dumm die alle gucken", flüsterte er ihr ins Ohr.

"Eben drum", erwiderte sie genauso leise, ehe sie ihre Stimme wieder etwas hob. "Oh, Meister, Ihr wolltet mir doch etwas von Eurem hohen Zauber der siebten Stufe erzählen", behauptete sie.

"Wollte ich?" Gereint hob eine Augenbraue, und Anshara nickte heftig.

"Ihr sagtet, der wäre nicht ungefährlich, aber ungemein wirkungsvoll."

"Stimmt ja auch", meinte er und überlegte, mit was er die Umstehenden am besten beeindrucken könnte, während er Anshara weitere Kommentare über die Typen ins Ohr flüsterte.

"Oh, Meister", hauchte sie. "Ihr seid ja soooo erleuchtet!"

Gereint mußte sich gewaltsam ein Grinsen verkneifen, als sie so devot zu ihm aufsah. Die Zuschauer waren sich nicht zu hundert Prozent darüber im klaren, ob Gereint wirklich ein Okkultist war oder nur ein New Age Scharlatan. Auf jeden Fall waren sich alle einig, daß er unirdisch schön aussah. Ob er wohl seine Seele irgendjemandem verschrieben hatte?

"Vielleicht sollte ich mal das eine oder andere Ritual vorführen", wisperte er Anshara zu. "Den Leuten hier steht förmlich die Neugierde ins Gesicht geschrieben."

"Nehmt etwas besonders Eindrucksvolles."

"Paßt einmal auf." Gereint betrachtete intensiv einen Aschenbecher. Mit der dritten Stufe des Thaumaturgiepfades Meisterschaft über die Elemente, Unbewegtes Beleben, gedachte er, sich ein wenig zu produzieren. Anshara folgte aufmerksam seinem Blick, und die übrigen Anwesenden taten es ihr gleich. Was war an dem Ding nur so interessant?

Ein Mann drückte demonstrativ seine Zigarette in dem Aschenbecher aus, doch gerade, als er sich spöttisch abwenden wollte, schnappte das Teil zu und klemmte seine Finger ein. Mit einem schmerzerfüllten Aufschrei riß er seine Hand zurück, der Aschenbecher hatte ihn immer noch fest im Griff.

Gereint grinste den Typen an. "Sie sollten sich das Rauchen besser abgewöhnen."

"Scherzartikel kann jeder kaufen", maulte der Mann und befreite sich von dem angriffslustigen Gegenstand.

"So?" fragte Gereint milde.

"Allerdings."

Ein anderer Junge untersuchte den Aschenbecher. "Ich finde, der sieht ziemlich normal aus", staunte er.

"Der kann nicht normal sein!" Das Thaumaturgie-Opfer rieb sich immer noch die Finger, als sich Gereint wieder Anshara zuwandte.

"Nun?"

"Das war superb, großer Meister", jubelte sie. "Könntet Ihr mir noch etwas von Euren okkulten Kräften demonstrieren?"

"Vor so einem unwürdigen Publikum?"

"Natürlich bei mir zu Hause", entgegnete sie.

"Tse", machte der Gequetschte neidisch. "Mit so einem billigen Trick schleppt der Typ die Kleine ab..."

"Was ist hier billig?" wollte Gereint ungehalten wissen. Er konnte solche Freaks nicht leiden.

"Diese Scherzartikelsache", mopperte der Verschmähte.

"Der macht mich ärgerlich", wandte Gereint sich an Anshara.

"Verwandelt ihn doch in einen Frosch", schlug sie vor.

"Nein, das kann ich den armen Fröschen nicht antun."

"Ich lasse mich nicht ungestraft beleidigen", fauchte der Typ. "Laß uns das wie Männer austragen!" Er ballte die Hände zu Fäusten und baute sich vor Gereint auf, der sich sogleich auf das Ritual Mächtiger Schild konzentrierte.

"Ich mache mir ungerne die Finger schmutzig."

Der Mann schnaubte und versuchte, Gereint am Schlafittchen zu packen. Leider brauchte das Ritual eine Minute der Konzentration, bis es einsatzbereit war, also tauchte der Toreador-Thaumaturge kurzerhand weg. Zum Glück hatte er die Sache mit der Kuhhaut dahingehend ersetzt, daß er sich in der Konzentrationsphase lediglich eine lilafarbene Kuh vorstellen mußte. Die daneben gegangene Attacke stachelte den Angreifer nur an, und unter dem Gejohle der Umstehenden stürzte er sich erneut auf Gereint, der ihn abermals ins Leere laufen ließ.

Diesmal rannte er einen wild gestylten Punk an der Bar um, der sich das natürlich nicht gefallen ließ, und prompt war die schönste Schlägerei im Gange.

"Das macht Spaß", fand Gereint, der mittlerweile hinter dem Mächtigen Schild gut geschützt war.

"Hauptsache, mich haut keiner", meinte Anshara und versteckte sich sicherheitshalber hinter ihm. Gereint lachte.

"Aber mich dürfen die hauen, oder wie sehe ich das?"

"Ihr seid doch groß und stark, und außerdem sollten Damen generell beschützt werden."

"Tse", machte er. "Und Ihr meint also, ich sollte diese Aufgabe übernehmen?"

"Wer sonst? Also tut Eure Pflicht."

Ein Glas flog in ihre Richtung und prallte an einer unsichtbaren Wand ab.

"Wow", bewunderte Anshara Gereints magische Fähigkeiten.

"Dabei ist das gar nichts besonderes. Es hält zum Beispiel keine Personen ab."

"Mir reicht es ja schon, wenn mir Kugeln, Messer und Holzpflöcke nichts anhaben können..."

"Vor Messern und Holzpflöcken, die jemand in der Hand hält, schützt es leider auch nicht. Nur fliegende Geschosse werden wirksam geblockt", korrigierte Gereint.

"Naja, ist auf jeden Fall ein Anfang. Das müßt Ihr mir unbedingt beibringen."

"Das ist ein viertstufiges Ritual", machte er sie aufmerksam.

"Das ist unfair", schmollte Anshara. "Ich will auch viertstufig sein."

"Dazu müßt Ihr erst einmal Stufe 2 und 3 bewältigen. Da hilft nichts außer üben, üben, üben."

"Das ist grausam."

Ein Stuhl prallte gegen den Schild und fiel zu Boden, und Anshara war froh, daß der Schild hielt. In diesem Augenblick tauchte Jean wieder bei ihnen auf und ging auch erst einmal hinter seinem Bruder in Deckung.

"Endlich ist hier mal was los", fand er. "Aber ich sollte doch unbedingt mal etwas Thaumaturgie üben, damit ich diese Schildsache lernen kann."

"Ist aber viel Arbeit, da vierte Stufe", seufzte Anshara.

"Ich weiß. Leider."

"Ich finde es ja ungemein schmeichelnd, daß ihr euch hinter mir versteckt", kommentierte Gereint, "aber wir sollten langsam gehen. Vor allem wäre es sinnvoll, wenn wir weg sind, bevor die Polizei erscheint."

"Stimmt", nickte Anshara, und sie machten sich schnellstens auf den Weg zum Ausgang, wo sie noch ein Stück weitergingen, ehe sie ein Taxi herbeiwinkten und dem Fahrer die Anweisung gaben, nach St.Germain zu fahren.

* * *

"Home, sweet home", seufzte Anshara, als sie das Haus betraten.

"Ich dachte, Ihr kommt aus Ägypten?" stellte Gereint fest.

"Englisch war meine zweite Fremdsprache. - Ah, irgendwie bin ich froh, wieder daheim zu sein."

"Mir wurde es im Central auch zu hektisch", gab er zu.

"Ich bin schon gespannt, wie weit Branwyn mit dem zweiten Teil des Chantry-Einbruchsplans ist", verkündete Anshara und steuerte nach oben in die Wohnetage. In ihrer Suite zog sie sich erst einmal bequemere Hauskleidung an, und auch die beiden Männer kleideten sich zuerst um.

Nachdem sie fertig war, klopfte Anshara bei Branwyn im Chambre de l'Automne an, das direkt neben der Treppe lag, die ins Parterre führte.

"Ja?" grumpfte es aus dem Zimmer.

"Kann ich reinkommen?"

"Wenn's unbedingt sein muß." Anshara trat ein.

"Was ist dir denn über die Leber gelaufen?"

Branwyn sah mißgelaunt am Schreibtisch, vor sich ein rauchender Trümmerhaufen.

"Oh", machte Anshara und betrachtete die Überreste. Nun betrat Gereint ebenfalls den Raum.

"Hier riecht es angekokelt", stellte er fest.

"Ach nee", fauchte Branwyn und schob die Überreste ihres Materiehyperlysators beiseite.

"Was sollte das denn werden?"

"Ein Materiehyperlysator."

"Oh", machte Gereint.

"Er hätte uns bestimmt beim nächsten Einbruch in die Chantry helfen können."

"Dann versuch es doch noch einmal."

"Auf jeden Fall, aber ich muß erst die Ausgangskomponenten wiederbeschaffen."

"Leider kann ich dir da nicht helfen", bedauert Gereint. Selbst zu seiner Zeit als Mitglied des Orden des Hermes hatte er sich nicht mit so etwas beschäftigt; die Hermetiker waren eher an Formeln und Ritualen interessiert. Abgesehen davon waren die Kinder des Äthers eine vergleichsweise junge Tradition, und zu seiner Zeit hatte es sie in dieser Form noch gar nicht gegeben. Wenn er sich recht entsann, waren sie damals noch eine Untergruppe innerhalb der Sucher der Leere, und sie hatten noch nicht so viel mit solch merkwürdigen Erfindungen zu tun.

Die Äthertochter seufzte, und Gereint zupfte an ihren ohnehin schon zerzausten Haaren herum.

"Arme Branwyn." Sie sah tragisch aus ihrem zweifarbigen Augen zu ihm hinauf. "Was wirst du jetzt unternehmen?"

"Meine Pläne überprüfen. Irgendwo muß da ein Fehler sein." Sie breitete die Folien aus.

"Ich kann da nichts sehen", meine Gereint, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte.

"Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Fluxpartikelinverter den invertierten Molekülstrom richtig an den Integrator weitergibt, oder ob sich durch die Megadynaufladung eine Interferenz bilden kann, die dann den vexatronischen Omikronfluß kompensiert", sinnierte die Wissenschaftlerin, und Anshara hörte mit offenem Mund zu. Das hatte wie Französisch geklungen, aber sie hatte nicht ein Wort davon verstehen können.

Gereint zuckte mit den Schultern. "Ich müßte mir das genauer ansehen."

"Hier, bitte." Sie schob die Pläne zu ihm hin.

"War das eine Aufforderung?"

"Ja. Ich komme im Moment einfach nicht weiter."

Gereint seufzte. "Du weißt doch, ich brauche wieder Stunden, bis ich die Zeichnungen verstanden habe."

"Aber du könntest es doch versuchen?" Sie sah bittend zu ihm hoch.

"Wenn es denn sein muß." Er begann, die Pläne zu studieren und notierte dabei einiges auf den Blättern. Branwyn sah ihm dabei zu, und auf ihrer Stirn erschien eine steile Falte, als sie versuchte, die hermetischen Symbole zu verstehen. Gereint hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn. "Das wird noch etwas dauern."

Sie lächelte ihn an. "Macht nichts. Danke, daß du dich bemühst."

Anshara fand es hingegen frustrierend, denn diese Symbole sagten ihr noch weniger als die komischen Ausdrücke, die die Magierin gebraucht hatte.

"Das mache ich doch gerne", erklärte Gereint. Bran erhob sich und wuschelte in seinen Haaren herum.

"Du verwüstet meine Frisur", tadelte er.

"Ich gestalte sie nur um. Du siehst schließlich immer hübsch aus, also macht es auch nichts aus, wenn du etwas strubbelig bist."

"Aber ich sehe nun nichts mehr."

"Oh." Sie wuschelte die Mähne zurück, bis er wieder ein gewisses Sichtfenster hatte.

"Besser. - Diese Pläne sind ziemlich kompliziert", kommentierte er.

"Hoffentlich funktioniert es wie beabsichtigt, wenn die Konstruktionszeichnungen korrigiert sind. So lange es explodiert, ist auf jeden Fall etwas nicht richtig."

"Das ist wahr. Sag mal, was ist das hier?" Er wies auf eine bestimmte Stelle auf dem Blatt.

"Hm. Das ist der Durchlaßregelmechanismus für den Fluxpartikelinverter."

"Bist du sicher, daß der dahin muß und nicht nach dort?" Er tippte auf die entsprechenden Punkte.

"Nun, ich hatte das Feeling, er gehört dahin. Aber wir können gerne mal gucken, was passiert, wenn wir das umsetzen, schließlich sollte man die Wissenschaft kreativ betreiben."

"Ansonsten kann ich nichts Ungewöhnliches finden."

"Gut. Setzen wir also dort an." Die Wissenschaftlerin suchte die benötigten Einzelteile zusammen und improvisierte einige nicht vorhandene Stücke, ehe sie begann, ein neues Gerät zu montieren, das den ursprünglichen Konstruktionsplänen nicht im mindesten ähnelte. "Ah, ich glaube, jetzt weiß ich, wie es funktionieren soll!" Sie hämmerte begeistert auf einige widerspenstige Metallteile ein, lötete, schweißte, verband Kabelstücke und setzte Dioden und elektronische Bauteile ein.

Etwa eine halbe Stunde später legte sie triumphierend ihre Werkzeuge beiseite. "Fertig!"

Gereint musterte das Ding neugierig. "Und?"

"Jetzt muß ich es nur noch ausprobieren."

"Ich warte."

"Ich weiß nicht, ob ich es hier tun soll. Unter Umständen könnte es einige ziemliche Löcher produzieren."

"Ich stimme dir zu, Jean mag bestimmt keine Löcher in seinen Wänden. Vielleicht könntest du ja vor das Haus gehen und den Test im Garten durchführen, auch wenn da nicht allzuviel Platz ist."

"Gut." Branwyn sammelte einige Gerätschaften neben dem neuen Gerät ein und trabte nach unten, dicht gefolgt von Anshara. Gereint zog es vor, oben zu warten und den Versuch lieber durch das Fenster zu verfolgen.

Nachdem sie ihre Utensilien im Garten aufgebaut hatte, zückte Branwyn ihren Tricorder und scannte die Umgebung nach etwaigen Schläfern ab, die ihr durch ihre Anwesenheit gefährlich werden könnten. Es war sehr bedauerlich, daß man seine Magie nicht vernünftig einsetzen konnte, wenn unerweckte Personen zusahen, da in diesem Fall die Gefahr eines Paradox-Rückschlages erheblich größer war.

Da niemand in der Nähe war, den der Versuch nichts anging, schaltete Branwyn den Apparat ein, und es begann, eine Aura der Magie um das Gerät herum zu funkeln, und es erklang ein sirrendes Geräusch wie ein startendes Raumschiff in manchen Science-fiction-Serien.

Gereint zog sich ein Stück vom Fenster zurück, denn das klang gefährlich.

Als das Sirren in den Ultraschallbereich überging, erklang plötzlich ein schlappes quot;Pffffft!", und das Gerät lag da wie tot.

"Hm", machte Gereint, als der Apparat verstummt war, aber wenigstens war das Ding diesmal nicht explodiert. Branwyn stieß einen Fluch aus und trat gegen die Maschine, woraufhin alle Lampen aufblinkten, und das Gerät auf einmal in einem mehrere Meter tiefen Loch im Boden verschwand. Langsam füllte sich dieses mit Grundwasser, und man hörte das Zischen von Kurzschlüssen, als Branwyns Erfindung den Geist aufgab.

Die Wissenschaftlerin guckte grimmig in das Loch, ehe sie ihren Materietransformatorstrahler darauf richtete und das einlaufende Wasser in Erde verwandelte.

Gereint öffnete das Fenster und lehnte sich heraus. "Neuer Versuch?" fragte er sie.

"Was bleibt mir anderes übrig?" seufzte sie. Wenigstens wußte sie nun, daß ihre Idee nicht verkehrt war. Sie trabte wieder nach oben, von einer sie ehrfürchtig bewundernden Anshara gefolgt, die ganz gegen ihrer sonstigen Gewohnheit nur stumm zugeguckt und gestaunt hatte.

In ihrem Zimmer stürzte sich Branwyn ein weiteres Mal auf die Pläne, während Gereint nur mit den Achseln zuckte.

"Also, ich finde da nichts mehr an möglichen Fehlern", erklärte er.

"Hm. Es muß aber noch irgendwo ein Problem sein. An besten, ich wähle einen ganz anderen Ansatz", überlegte Branwyn und zog allerlei neue elektronische Bauteile aus ihrem Rucksack, die sie mit wenigen Handgriffen zusammensteckte.

"Ich denke, ich lasse dich dann besser erstmal allein herumwursteln", meinte Gereint.

"Ja ja", machte sie abwesend und stopfte ein paar Mikrochips in dafür sinnvoll erscheinende Öffnungen des Geräts.

"Bis dann." Er verließ La Chambre de l'Automne und kehrte in seinen Raum zurück, wobei er darüber meditierte, was er nun unternehmen sollte.

"Bis dann", antwortete Branwyn, als er schon eine Weile weg war, und Anshara guckte gebannt zu, wie in kürzester Zeit ein neues Gerät Gestalt annahm.

Etwa eine Stunde später war die Äthertochter soweit und stellte fest, daß ihre neue Erfindung schon erheblich besser aussah als das Vorgängermodell. Es hatte zwar weder Ähnlichkeit mit dem ersten Design noch mit den Konstruktionsplänen, aber das war Branwyn nur recht, denn immerhin waren die ersten Versuche nicht brauchbar gewesen.

* * *

Gereint beschloß, seine Zeit dergestalt zu nutzen, daß er tatsächlich ein neues Ritual entwarf. Er machte es sich auf dem Bett bequem und begann, sich zunächst einmal ein paar Notizen zu machen.

Seine Konzentration wurde von der Tatsache gestört, daß Branwyn die Treppe hinabrannte, und so guckte er aus dem Fenster, um zu sehen, was diesmal passierte.

* * *

Mit dem neuen Gerät unter dem Arm joggte Branwyn in den Garten. Als sie es abstellte, schwebte es etwa einen Meter über dem Boden an derselben Stelle wo der vorige Apparat sein Grab gefunden hatte.

Diesen Anblick fand Gereint überaus faszinierend, und er öffnete das Fenster, um besser hinaussehen zu können.

Im nächsten Schritt sandte das Ding drei blaßrosafarbene Strahlen aus, mit denen es sich im Boden verankerte. Ein dunkelvioletter Strahl, den es danach emittierte, löste das direkt unter dem Gerät befindliche Erdreich auf.

"Diesmal scheint es ja zu funktionieren", kommentierte Gereint.

"Stimmt", freute sie sich und schaltete den Apparat mit einer Fernbedienung ab, ehe sie fröhlich mit ihrer neusten Erfindung ins Haus zurückkehrte. Sie summte ein Liedlein vor sich hin, und das Gerät folgte ihr schwebend in etwa einem Meter Abstand, und Anshara wanderte noch einmal einen Meter hinter diesen her.

Gereint wandte sich unterdessen wieder seinem Ritual zu. Er ließ sich auf das Bett fallen und kritzelte ein paar Zeichen auf einen handlichen Notizblock. Er fragte sich, was Bran jetzt wohl wieder erfinden würde, denn sie legte eigentlich selten eine Pause ein.

Bran verstaute ihre Erfindung in ihrem Rucksack und sinnierte darüber nach, daß es ziemlich ineffizient war, wenn gut zwei Drittel ihrer Errungenschaften auf mehr oder weniger dramatische Art und Weise den Geist aufgaben. Seufzend warf sie den Abfall in den eigens dafür umgebauten Recycling-Papierkorb, der das Material in handliche Edelmetallbarren umwandelte.

Als nächstes nahm sie sich vor, ein paar Verbesserungen in den für Net_Shark bestimmten Cyberhelm einige Verbesserungen einzubauen. Sie war froh, daß Gereint nicht hundertprozentig der gesellige Typ war und sie in Ruhe werkeln ließ.

Im Chambre de la Forêt seufzte dieser - eigentlich war Branwyn permanent beschäftigt, so daß es ihm umso deutlicher wurde, daß er meist nichts zu tun hatte und sich langweilte.

Um sich abzulenken grübelte er weiter über das neue Ritual, bei dem er immer noch nicht so genau wußte, was es nun tun sollte. Durch seine Konzentration hörte Gereint ein energisches Hämmern, und er fragte sich, wie er dabei erfolgreich meditieren sollte. Ächzend erhob er sich von dem Bett und ging zu seiner Gefährtin herüber, die immer noch ein Bauteil mit dem Hammer malträtierte.

Als sie wieder ausholte, fing Gereint ihre Hand ein und hielt sie fest.

"Hups", machte sie verdattert. "Was? Wer?"

"Du machst mich wahnsinnig mit dieser Hämmerei", warf er ihr vor.

"Oh. Dabei wollte ich nur diesen Cyberhelm ein wenig umdesignen."

"Kannst du das nicht leiser machen?"

"Naja, ich habe ziemlich viel Energie in den Desintegrator gesteckt, da dachte ich mir, ich könnte ein wenig Quintessenz sparen, in dem ich selbst Hand an lege."

"Dann machst du jetzt Pause", erklärte Gereint und nahm ihr den Hammer aus der Hand.

"Aber ich bin doch noch nicht fertig."

"Das, meine Liebe, ist mir völlig egal."

"Aber Gereint, es ist doch noch so viel zu tun. Laß mich wenigstens einen Schallabsorptionsschildprojektor bauen."

"Wenn es keinen Krach macht."

"Nun, bis der Projektor fertig ist, muß ich wohl noch ein bißchen basteln. - Du willst doch wohl um diese Zeit nicht schlafen?"

"Nein, eigentlich nicht. Ich gedachte zu meditieren."

"Oh. Könntest du nicht Ohropax verwenden?"

"Keine Chance, das ist mir zu dumm."

"Und wann soll ich dann die neuen Erfindungen fertigstellen?"

"Wenn ich schlafe. Dann stört es mich nicht."

"Darf ich denn wenigstens schrauben und stöpseln?"

"Ja. Aber wehe, du hämmerst, dann nehme ich dir das Werkzeug weg."

"Das kannst du doch nicht tun", quietschte sie. Immerhin waren da auch diverse Foki dabei.

"Und ob ich das kann", drohte er. "Also sei lieb und laß das Hämmern."

"Na gut." Sie nahm ihm den Hammer ab und verstaute ihn in einer Schreibtischschublade.

"Brav."

Sie zog eine Grimasse. "Nicht mehr lange, dann habe ich den Schallabsorptionsprojektor fertig, und ich kann hämmern, ohne dich bei der Meditation oder was auch immer zu stören."

"Fein", kommentierte Gereint. "Obwohl ich dich dann wohl gar nicht mehr bemerken werde."

"Du kannst mich jederzeit besuchen."

"Aber du bist doch immer beschäftigt."

"Wir könnten gerne ab und zu einen Termin ausmachen."

"Du weißt doch, ich vergesse Termine immer. Hm, aber vielleicht könnte ich mir ja eine Sekretärin zulegen."

"Ich fände einen Sekretär besser", sagte Branwyn.

Gereint verzog das Gesicht. "Ich möchte lieber eine appetitliche Sekretärin."

"Soso, zum Vernaschen also?"

"Klar, meine Zähne wollen auch ab und zu etwas zu tun haben."

"Dafür gestehe ich sie dir zu", erklärte die Magierin. "Ansonsten bin ich deine Gefährtin, nicht wahr?"

"Bist du das? Sonderlich viel unternehmen wir ja nicht zusammen."

"Wenn ich dich frage, was wir unternehmen könnten, dann hast du keine Idee."

"Wir haben nun einmal kaum gemeinsame Interessen." Er wandte sich ab. "Ich gehe dann mal wieder in mein Zimmer."

Branwyn seufzte. Das war wieder typisch für ihn, immer wenn er sich nicht mit einem Thema beschäftigen wollte, ergriff er die Flucht.

"Wenn du eine gute Idee hast, was wir unternehmen können, darfst du mich gerne stören."

"Was verstehst du unter einer 'guten Idee'?"

"Etwas, das interessant ist und Spaß macht. Aber sag jetzt bitte nicht 'nachts in einem Wald jagen gahen'..."

"Das ist das Problem." Gereint guckte tragisch. "Ich möchte einfach mal jemanden haben, der meine Interessen teilt. Ich werde langsam immer einsamer."

"Dann mußt du dir wohl ein Kind zulegen."

"Ich denke darüber nach."

"Solange du mich nicht als Kandidatin betrachtest..."

"Garantiert nicht", versicherte er ihr.

"Gut", atmete die Magierin auf. Sie hatte nicht die geringste Lust, mit Gereint um ihren Avatar zu kämpfen, worauf es hinauslaufen würde, falls er sie von einer Tochter des Äthers zu einer Toreador-Vampirin verwandeln wollte.

"Ich suche mir lieber jemanden dafür, der zu mir paßt."

"Hast du denn schon jemanden im Auge?"

"Nein."

"Du solltest dabei bedenken, daß ein Kind dir wahrscheinlich ziemlich lange erhalten bleibt."

"Besser als immer alleine zu sein", äußerte er trübsinnig.

"Du bist nicht allein", widersprach Branwyn. Er war wieder in einer seiner Frustphasen, da konnte man nur abwarten.

"Ich werde noch ein bißchen an meinem Ritual arbeiten."

"Was denn für ein Ritual?"

"Anshara wollte ein Make-Up-Ritual."

"Instant-Make-Up?" Bran kicherte. Auf die Idee war sie noch nicht gekommen. Sie überlegte, ob sie so etwas vielleicht für sich selbst gestalten könnte, aber das bedurfte noch einigen Nachdenkens.

"Ja. Das ist aber nicht so einfach."

"Bis dann." Gereint zog sich in sein Zimmer zurück und begann über das Ritual zu meditieren.

Branwyn winkte ihm hinterher und begann, an ihrem nächsten Projekt zu arbeiten, aber diesmal ohne Hammer.

* * *

Jean hatte derweil die ganzen Rechnungen durchgesehen, die Marc ihm hingelegt hatte und die dazugehörigen Überweisungen unterschrieben.

Als er die fünfzehnte Rechnung über diverse Kleider von Anshara in den Fingern hielt, wurde er langsam ärgerlich. Er war zwar nicht gerade arm, aber seine werte Gefährtin würde es schaffen, daß er es bald war. Er raffte die Rechnungen zusammen und machte sich auf die Suche nach ihr.

Die Ägypterin saß bei Branwyn im Chambre de l'Automne und betrachtete staunend deren Erfindungen.

"Anshara!" brüllte Jean durch das ganze Haus, als er sie nicht im Chambre du Soleil fand.

"Jean?" Sie steckte den Kopf zur Tür von Branwyns Zimmer heraus.

"Ich will mit dir reden - Sofort!"

"Oh-oh", machte sie leise. Er klang irgendwie ungehalten. "Worüber?" rief sie zurück.

"Über die hier." Er wedelte mit den Rechnungen.

"Was sind das für Zettel?" tat sie möglichst unschuldig. und nahm Kurs auf ihn.

"Rechnungen."

"Und?"

"Ich habe langsam keine Lust mehr, deine Klamotten zu bezahlen."

"Wäre es dir lieber, ich liefe in total abgefetzten Sachen herum?"

"Bei diesen Rechnungen - ja."

"Aber Jean!"

"Was willst Du mit fast drei kompletten Kollektionen?"

"Die anderen Kainskinder beeindrucken - aber vor allem diese dumme Comtesse Cathérine d'Arletty." Comtesse d'Arletty war eine Toreador-Ahnin der achten Generation, deren Ansichten in der Gesellschaft der Kainskinder ein ziemliches Gewicht hatten, und wenn man etwas unter den Toreador von Paris gelten wollte, sollte man sich mit ihr gut stellen, unabhängig davon, was für eine dumme Ziege sie ansonsten war.

"Das muß ein Ende habe", erklärte Jean kategorisch. "Ich kann mir das langsam nicht mehr leisten."

"Aber ich kann mich doch nicht zum Gespött der High Society machen lassen."

"Dann bezahle deine Klamotten selbst."

"Äh... Wieviel kostet sowas eigentlich?"

"Das hier", Jean deutete anklagend auf die Zettel, "sind 'nur' knapp 300000 Franc."

"Hm." Anshara überlegte, wieviel sie eigentlich an Geld hatte. "Das klingt nicht ganz wenig", gab sie zu.

"Das ist auf jeden Fall zuviel als daß ich mir das noch länger leisten kann."

"Och Jean... Und wenn ich verspreche, das nächste Mal nur ein paar Stücke aus einer Collection einzukaufen?"

"Für die nächsten drei Monate bin ich pleite, wenn das bezahlt ist."

Anshara setzte eine betont schuldbewußte Miene auf, als ihr Gefährte mit seiner Tirade fortfuhr.

"In der Zeit bezahle ich dir absolut keine neuen Klamotten mehr. Außerdem hast du mehr als genug für die nächsten Jahre. Ich denke nämlich nicht daran, für deinen Kleiderwahn das Haus aufs Spiel zu setzen."

Die so Zurechtgewiesene senkte zerknirscht den Blick.

"Ich hoffe, du bist dir jetzt wenigstens deiner Schuld bewußt." Jean kehrte in sein Zimmer zurück, wo er sich wieder an den Schreibtisch setzte.

Hängenden Kopfes trabte Anshara in das Chambre de la Lune, wo sie betrübt die gutgefüllten Schränke betrachtete. Sollte das alles für die nächsten Monate sein? Das war regelrecht deprimierend. Sie hatte doch zum Beispiel nur fünf Paare weißer Schuhe, und die hatte sie sogar alle schon einmal getragen.

Jean riß ein weiteres Mal die Tür auf und brüllte: "Und das gilt nicht nur für Klamotten!"

Anshara schrak zusammen. "Was?"

"Ich habe gerade die Rechnung vom Lieferservice gefunden. 27365 Franc - bist du verrückt?"

"Das war für das ganze letzte halbe Jahr", verteidigte sie sich. "Ich habe nunmal leider nur drei Diabetiker mit AB+ in Behandlung..."

"Das ist einfach zu teuer", maulte Jean, und nun steckte Gereint den Kopf aus seinem Zimmer.

"Könnt ihr nicht noch lauter schreien? Ich versuche, zu meditieren."

"Ich habe nicht geschrien", verteidigte sich Anshara.

"Aber es war laut genug."

"Das war Jean", bemerkte Anshara. "Er hat gerade ein paar Rechnungen gefunden..."

"Ich vermute, sie waren zu hoch?"

"Das hat er gesagt", seufzte sie.

"Sind da etwa nur deine Kleider drin?" fragte Gereint mit einem Blick in das Chambre de la Lune.

"Naja, meine Kleider, Schuhe und Accessoires - eben alles, was nicht in den Schrank in meinem Zimmer paßte."

"Du brauchst doch bestimmt Jahre, um jedes einmal anzuziehen", stellte Gereint kopfschüttelnd fest.

"Ich muß nun einmal auf mein Äußeres achten. Wenn man in Paris zweimal hintereinander dasselbe Outfit trägt, dann ist man in der High Society sofort unten durch."

"Hm", überlegte er. "Das ist mir noch nicht aufgefallen."

"Du bist auch keine Frau!"

"Natürlich nicht. Frauen machen auch aus allem ein Problem."

"Es ist ein Problem, wenn man von allen ausgelacht wird, weil man nicht in der Lage war, mit einem neuen Kleid aufzuwarten."

"Das kann ich irgendwie nicht nachvollziehen."

"Du bist so hübsch, da werden die Leute vermutlich nicht einmal lachen, wenn du in einem Kartoffelsack herumläufst."

"Ich glaube aber nicht, daß ich das tun würde."

"Siehst du, und ich möchte nicht zweimal in demselben Kleid herumlaufen. - Ich sollte dir wirklich einmal Comtesse d'Arletty vorstellen, die würde dir das Problem der Haute Couture genaustens darlegen."

"Ich kenne die Comtesse. Sie ist eine eingebildete alte Frau, die nur alles kritisiert, weil sich sonst niemand um sie kümmern würde."

"Aber sie ist die Anführerin der Pariser Harpyen, und alles hört auf sie, wenn es um Mode und Etikette geht. Außerdem teilen alle anderen Poseurs in kürzester Zeit Comtesse d'Arlettys Meinung."

"Weil die anderen alle feige sind. Man müßte einfach eine Gegenrevolte aufziehen."

"Wie?"

"Einen Antistil kreieren und behaupten, daß eigentlich das total in sei."

"Hm. Klingt interessant... Aber was könnte man da nehmen? - Ah! Ich finde eigentlich Branwyns Sachen nicht schlecht", überlegte sie. "Obwohl, Jean gefallen diese Sachen nicht so gut."

"Der findet nichts gut, was nicht schwarz ist."

"Das ist auch wieder richtig. - Ob mir Bran wohl einmal diesen tollen Umziehautomaten ausleiht?"

"Ich denke schon, so lange du sie nicht zu lange aufhältst, schließlich funktioniert das Gerät nur, wenn sie es bedient."

"Oh, schade. Ich dachte, das wäre eine Möglichkeit, ohne viel Geld an neue Klamotten zu kommen. Vielleicht kann ich Branwyn ja alle vier oder so Wochen bitten, mir neue Sachen zu machen?"

"Frag sie. Aber jetzt werde ich erneut versuchen zu meditieren, es scheint ja endlich wieder Ruhe eingekehrt zu sein."

"Stimmt. Bis dann mal wieder..."

Während Gereints sich wieder in das neue Ritual vertiefte, ging Anshara hinüber zu Branwyns Zimmer.

"Huhu", machte sie und betrachtete die Magierin, die verbissen einen Anschluß bearbeitete. Deren Aura sprühte Funken in allen Regenbogenfarben, und Anshara sah neugierig zu. Schließlich legte Branwyn den VR-Helm beiseite.

"So, das wäre geschafft", erklärte sie. "Was willst du?"

"Ich hätte da eine Bitte - wäre es möglich, daß du mir ab und zu mit deiner Umkleidemaschine ein paar Sachen machst?"

"Sicher, du mußt nur alte Sachen zum Recyclen mitnehmen und zu mir in den Turm kommen."

"Das wäre fantastisch."

"Okay. - Meinst du, du schaffst es, den heutigen Tag wieder wachzubleiben?" Bran sah auf ihre Armbanduhr; es war schon kurz nach fünf Uhr morgens, und sie hatte eigentlich vor, gegen neun Uhr ein weiteres Mal in der Tremere-Chantry zu sein.

"Ich werde es versuchen", meinte Anshara.

"Gut. Dann sollten wir wieder im Schutz der Dunkelheit zum Tunnel fahren und dort den Sonnenaufgang abwarten."

"Ich muß verrückt sein, daß ich eine solche Sache tatsächlich durchziehe", seufzte die Vampirin.

"Es war deine Idee."

"Jaja, ich weiß"

Branwyn suchte ihre Geräte zusammen und stopfte sie in ihren Rucksack, ehe sie sich etwas passendes zum Anziehen beschaffte. Auch diesmal mußten die Ghostbusters-Overalls dranglauben.

Als die Sonne gegen 08:45 Uhr aufging, mußte Bran sich wieder anstrengen, Anshara irgendwie wachzuhalten. Wenigstens ließ das hoffen, daß von den in der Chantry befindlichen Kainskindern auch diesmal niemand zu unpassender Zeit erwachte.

Zwei Ghule, denen sie diemal leider nicht ausweichen konnten, wurden von Bran in ein eigens für sie geschaffenes Loch im Boden verfrachtet. Durch mit dem Materiewandelstrahler produziertes Betäubungsgas (das Gerät brauchte nur den in der Luft enthaltenen Stickstoff und Sauerstoff zu N$_2$O zu kombinieren), legte Bran sie bis auf weiteres schlafen, und dann war der Rest der Aktion einfach.

Die noch in der Bibliothek verbliebenen Bücher wanderten gesammelt in den Rucksack (Bran hatte auf der anderen Seite hinreichend Platz geschaffen), und als sie gegen 16:00 Uhr nach Hause zurückkehrten, fielen die beiden Frauen todmüde ins Bett.

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