Paris à Nuit
(c) 1995/96 by Shavana & Stayka
Kapitel 8: Heilige Nacht
Man schrieb Dienstag, den 24. Dezember 1985, 23:55 Uhr.
In Jeans großem Wohnzimmer war ein großer Tisch
aufgebaut worden, auf dem sich die Geschenke türmten. Um
Mitternacht versammelten sich die Gäste in dem Raum, um sich die
Geschenke zu überreichen.
Marc servierte eisgekühlte Getränke für die drei
Kainskinder und heißen Punsch für Michelle, Branwyn und sich.
Simon und Yvette würden erst am zweiten Feiertag zu Besuch kommen,
während Bran am Donnerstag auf eine Party in der Pariser Sons of
Ether-Chantry eingeladen war, wo ihr alter Mentor Dr. Mercurius einige
Erfindungen der beiden neusten Studenten vorstellen wollte.
Anshara nippte von ihrem Kelch und war zufrieden, daß es sich
um erstklassiges AB+ handelte.
Um Punkt zwölf stießen die Gäste miteinander an, und
gleich darauf stürzte sich jeder auf seinen der bereits
vorsortierten Geschenkstapel. Anshara quietschte begeistert auf, als
sie eine Kühlkiste mit ganz frischem AB+ von Diabetikern des Typs I
darin fand. Sie bedankte sich überschwenglich bei Michelle
dafür.
Auch die anderen waren mit ihren Geschenken zufrieden, nur Jean
guckte etwas irritiert auf ein Leselernbuch für Erstklässler
und betrachtete die Anwesenden mißtrauisch. Anshara sah zu ihm
hin.
"Na, was hast du da Schönes?" fragte sie neugierig.
"Nichts besonderes", behauptete er und ließ das Buch
unter einem Stapel Papier verschwinden. Anshara war von ihrem frischen
Bücherstapel umso mehr angetan, denn Branwyn hatte ihr einen Teil
der für Kainskinder relevanten Werke aus dem Einbruch vermacht.
"Ich hoffe, mein Geschenk hat dir gefallen?"
"Natürlich", sagte Jean und betrachtete die Kette mit
dem glitzernden esoterischen Anhänger. "Und was sagst du zu
meinem?"
"Toll", seufzte sie und gab ihm einen Kuß.
Natürlich hatte sie das wunderschöne ägyptische Halsband
sofort umgelegt.
"Aber dafür müssen wir ab jetzt eisern sparen."
"Seufz. Vielleicht kann uns Branwyn ja etwas Gold
machen..."
"Wir sollten sie nicht so ausnutzen."
"Aber sie hat doch diesen genialen Müllrecycler gebaut,
der Abfall direkt zu Edelmetallen umwandelt..."
"Der funktioniert aber auch nur, solange sie da ist, um die
Einstellungen des Geräts passend zu justieren."
"Ich wünschte, ich könnte so etwas auch",
schmollte Anshara. "Ich muß unbedingt Gereint fragen, ob es
für so etwas eventuell auch ein Thaumaturgie-Ritual gibt."
"Das wird dann aber bestimmt extrem schwierig sein", gab
Jean zu bedenken.
"Vermutlich", seufzte sie und wandte sich an Gereint, um
ihm ihr Problem zu unterbreiten, doch der zuckte nur mit den Schultern.
"Auf Anhieb fällt mir da keines ein", gab er zu.
"Ich könnte einmal in den einschlägigen Werken nachgucken
- allerdings erst, wenn ich wieder zu Hause bin."
"Danke, Gereint."
"Dafür tust du mir dann auch mal einen Gefallen."
"Sofern es in meiner Macht steht gerne", versprach
Anshara.
"Selbstverständlich. - Ich denke, ich werde nach den
Feiertagen zurückfahren."
"Du könntest gerne noch bleiben. Ich meine, es ist ja
nicht so, daß ich dich hinauskomplimentieren will..."
"Das könntest du auch gar nicht, ich gehe immer, wie ich
will. Außerdem weiß ich ohnehin, was du denkst."
Anshara sah ihn gestreßt an und seufzte, woraufhin Gereint
grinste. "Das ist meist sehr interessant."
"Ich finde es unfair, daß es keine Gesetze gibt, die die
gedankliche Privatsphäre vor Telepathen schützen."
Gereints Grinsen verbreiterte sich.
"Die andere Möglichkeit wäre, daß ich es auch
lerne. Wie geht das denn mit dieser Telepathie?"
"Es geht eben", meinte er. "Man muß es nur
wollen."
"Ich will ja - aber es geht nicht." Sie runzelte
die Stirn und versuchte zu erahnen, was in Gereint vorging.
"Nun?" fragte dieser.
"Du amüsierst dich über mich", riet sie.
"Ein wenig", grinste er. "Du denkst an so lustige
Sachen." Wieder gab Anshara einen gewaltigen Seufzer von sich, und
der Ex-Magier lachte vergnügt. "Zum Glück für dich
kann ich das nicht andauernd machen, es kostet nämlich eine Menge
Willenskraft."
"Oh. Aber hungrig wird man davon nicht?"
"Nein. Aber es ist sehr unterschiedlich, wie gut ich die
Gedanken lesen kann. Es kommt irgendwie auf die Tagesform an."
"Vermutlich hängt es auch davon ab, ob das Opfer sich
wehrt, nicht wahr?"
"Das auch."
"Naja, mal sehen, ob es mir irgendwann auch mal gelingt."
"Bestimmt, mit der Zeit."
"Das dauert immer so eeeewig!"
"Durchaus, aber du kannst dafür bald dein Make-Up-Ritual
haben, es ist fast fertig. Vielleicht zu Silvester."
"Wirklich? Das ist ja suuuuuper!"
"Ich kann es gar nicht erwarten, ein eigenes Ritual zu
bekommen."
"Aber es wird nicht einfach."
"Hm. Was braucht man denn dafür?"
"Einen Spiegel und Farben."
"Hm. Und wie lange soll das Ritual dauern?"
"Vielleicht eine Viertel- oder halbe Stunde."
"Du bist ein Schatz." Sie trank ihr Glas aus und
hüpfte herum.
"Selbstverständlich. - Tse, ich glaube, du bist
beschwipst."
"Ich? Bestimmt nicht."
"Warum hopst du dann so?"
"Weil ich mich freue..." Sie trällerte herum.
"Mein eigenes Ritual..."
"Tse, hätte ich das doch für mich behalten... Sei
lieber brav, sonst werfe ich das Ritual in den Reißwolf."
"Nein!" quietschte sie.
"Dann warte geduldig ab."
Sie seufzte.
"Vielleicht bist du damit ausnahmsweise schneller fertig",
warf Jean ein.
"Das werden wir dann sehen..."
"Und was haben Sie im nächsten Jahr für
Pläne?" wollte Branwyn von Jean wissen.
"Ich mache doch nie Pläne", erwiderte er. "Da
solltest du lieber Anshara fragen."
"Ich will alles lernen, was ich kann", erklärte die
Ägypterin. "Telepathie, Computer, Thaumaturgie, Deutsch -
alles Mögliche eben."
"Es ist zu schade, daß du ein Kainskind bist", fand
Branwyn. "Du würdest dich bestimmt auch in meiner Tradition
wohlfühlen."
"Aber ich bin ein Kainskind", seufzte Anshara. "Ich
vermute, damit muß ich bis auf weiteres unleben. Ich bin schon zu
gespannt, was das nächste Jahr bringt."
"Neue Abenteuer und Erfindungen", entgegnete Branwyn.
"Lassen wir uns überraschen."
Ce conte sera continué à Die Anarchen von
Frankfurt
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