Paris à Nuit
(c) 1995/96 by Shavana & Stayka
Kapitel 5: Der Plan nimmt Gestalt an
Man schrieb Freitag, den 20. Dezember 1985, etwa 17:20 Uhr.
Jean schaffte es ausnahmsweise, sich schon so kurz nach
Sonnenuntergang aus dem Bett zu quälen und ging hinüber in
Ansharas Raum. Die hatte sich zwar noch nicht die Mühe gemacht,
sich anzukleiden, saß aber bereits über den Blaupausen und
studierte sie eingehend.
"Guten Abend", sagte Jean und setzte sich auf die
Bettkante.
"Hallo, Jean." Sie strahlte ihn an und schob die
Unterlagen ein Stück zur Seite.
"Was machst du da?"
"Ich versuche herauszufinden, wie wir am besten in die Chantry
gelangen. Leider sind das hier nur die Baupläne, und daran sieht
man weder, welche Sicherheitsanlagen die Tremere eingebaut haben, noch
was in welchem Raum ist."
"Ich sehe darauf nur komische Striche."
"Hm. Ich glaube, das sind die Gasleitungen, das da sollen die
elektrischen Leitungen sein, und die Teile hier sind halt die
Räume."
Jean gähnte. "Und damit beschäftigst du dich?"
"Wenn wir in die Chantry einbrechen wollen, möchte ich
schon gerne wissen, wo die Notausgänge sind."
"Ich erkenne daraus eh nichts", seufzte Jean mit einem
Blick auf die Zeichnungen.
"Naja, ich reime mir das meiste auch nur zusammen", gab
sie zu. "Aber versuchen kann ich es wenigstens. - Ich frage mich,
wo wir etwas über die magischen Sicherheitsanlagen der Tremere
erfahren können. Ich meine, die werden bestimmt so etwas eingebaut
haben."
"Eigentlich haben in der Regel die Unternehmen die Unterlagen,
die sie installiert haben."
"Meinst du, daß es auch Unternehmen für magische
Alarmanlagen gibt?"
"Ich denke, auch für sowas gibt es Spezialisten",
vermutete Jean.
"Darüber wissen wahrscheinlich Branwyn und Gereint besser
Bescheid, aber vorher wollte ich noch unter die Dusche. Kommst du
mit?"
"Ich war schon duschen."
"Schade."
Jean lachte. "Sonst dauert es wieder so lange."
"Da hast du allerdings recht." Mit einem bedauernden Blick
auf ihren Gefährten schlüpfte sie ins Bad, und er wartete
derweil auf sie. Schon zehn Minuten später kam sie zurück und
stellte sich erst einmal grübelnd vor den Schrank. Jean
beobachtete sie dabei.
"Was soll ich nur anziehen?" fragte sie nach einer
Viertelstunde.
"Was weißes", schlug er vor.
"Gut." Sie stellte sich also vor den Bereich mit den
weißen Sachen und überlegte angestrengt. Jean erhob sich und
trat hinter sie. "Sag mal eine Zahl", bat sie
schließlich.
"Sieben."
"Okay." Sie zählte das siebte Teil von unten ab und
zog es heraus. Es handelte sich um einen weißen Overall.
"Das ist doch okay", fand Jean, während Anshara
weitere fünf Minuten über die passenden Dessous meditierte.
Schließlich war sie - nach immerhin unter einer Stunde - fertig.
"Das war fast ein Rekord", kommentierte er. "Ich
sollte öfter mal früher aufstehen, dann bist du auch eher
fertig." Er streckte sich. "Was machen wir heute?"
"Ich dachte, wir überlegen uns einen Plan, wie wir in die
Chantry hineinkommen."
"Das kannst du doch eh am besten."
"Hm. Eigentlich bist du doch der Einbruchsspezialist,
und wenn es um Magie geht, sollte man wohl eher Branwyn und Gereint
fragen. Ich koordiniere das nur."
"Was will ich überhaupt in einer Chantry?" erkundigte
sich Jean.
"Sie ausrauben natürlich. Da gibt es okkulte Bücher,
magische Talismane, arkane Geheimnisse..."
"Sowas interessiert mich nicht."
"Oooch Jean, wir brauchen dich aber. Ich brauche
dich."
"Wozu?"
"Für alles Mögliche."
"Ich finde, du kommst ganz gut alleine zurecht."
"Aber ich fühle mich so einsam, wenn du nicht dabei
bist."
"Es hat doch auch so geklappt, und ich konnte mich mal wieder
amüsieren."
"Es hat nur funktioniert, weil Branwyn mir geholfen hat."
"Dann brauchst du mich ja nicht."
"Aber Jean, du kannst mich doch nicht so allein lassen."
Sie guckte ihn mit einem herzzereißenden Blick an und seufzte
tragisch.
"Ich habe aber keine Lust mitzukommen. - So, Zeit für's
Frühstück." Er stürmte hinunter in den Keller, und
Anshara folgte ihm schmollig. Ohne Jean würde der Einbruch
bestimmt keinen Spaß machen.
Im Keller machte er sich erst einmal über ein paar Flaschen
her, denn er war hungrig, und auch Anshara trank drei ihrer
Lieblingsmarke aus. Als er wieder in die erste Etage zurückkehrte,
nahm ein noch einige Flaschen mit, da Gereint sicherlich auch noch
nichts zu sich genommen hatte.
Schweigend stiegen die beiden die Treppen hinauf, und während
Jean im Zimmer seines Bruders verschwand, beschloß Anshara,
Branwyn Bescheid zu geben, daß die Kainskinder wieder auf den
Beinen waren. Die Magierin war bestimmt schon lange wach. Anshara
seufzte. Die Menschen hatten irgenwie mehr von ihrem Leben, weil sie
nicht so lange schlafen mußten. Zugegeben, dafür war ihre
Lebensspanne kürzer, aber in der kurzen Zeit bekamen sie erheblich
mehr geschafft.
Gereint schlief natürlich noch, also stellte Jean die Flaschen
erst einmal ab, bevor er ihm die Decke wegzog. Der rothaarige Vampir
knurrte unwillig, geruhte aber die Augen zu öffnen. Als er die
Flaschen erspähte, erhob er sich und genehmigte sich erst einmal
ein Frühstück.
"Was machen wir nun?" fragte er Jean, doch dieser zuckte
nur mit den Schultern.
"Anshara will ja unbedingt in die Chantry einbrechen."
"Hm, so ganz mein Geschmack ist das nicht", erklärte
Gereint nachdenklich. "Warten wir es ab."
"Das ist wohl am besten. Wenn die was wollen, werden sie sich
schon melden."
"Genau, gib mir lieber noch was zu trinken." Jean reichte
ihm eine Flasche. "Danke. - Mir scheint, Branwyn und Anshara
kommen gut miteinander aus. Dann brauche ich ja keine Bedenken zu
haben, wenn ich sie alleine lasse. Ich möchte den Besuch in der
Stadt doch voll auskosten."
"Wie immer", erwiderte Jean.
"Ganz recht."
* * *
In Branwyns Zimmer surrte, summte und klickte es wie zuvor. Anshara
klopfte wiederholt an, doch als auch nach dem dritten Versuch noch keine
Reaktion eintrat, ging sie hinein.
Mit dem Sturzhelm auf dem Kopf saß Branwyn inmitten von
allerlei technischem Krimskrams auf dem Bett und wirkte irgendwie
entrückt. Anshara betrachtete sie mißtrauisch.
Merkwürdig, fand sie, der Sturzhelm hatte ein Visier, durch das man
nicht hindurchsehen konnte.
Vorsichtig rüttelte Anshara die Wissenschaftlerin, bis sie aus
ihrer Trance erwachte.
"Huh?" machte sie. "Was ist?"
"Was tust du da?"
"Ich war im Digitalen Netz", erklärte Branwyn.
"Ich mußte den Helm doch noch testen."
"Aha", kommentierte Anshara, um keinen Deut schlauer.
"Ich wollte dich eigentlich fragen, ob wir mal gucken sollen, was
Jean und Gereint gerade tun."
"Sicher, warum nicht." Branwyn nahm den Helm ab und legte
ihn auf den von Werkzeugen und Bauplänen übersäten Tisch.
Jean und Gereint stritten sich gerade spielerisch um die letzte
Flasche und sahen zur Tür, als die beiden Frauen eintraten.
"Guten Abend, Gereint", rief die Magierin fröhlich.
"Hallo Jean."
Anshara winkte nur.
"Hallo", entgegnete Jean, während sein Bruder nickte.
"Na, was steht heute an?" erkundigte sich Branwyn.
"Also, ich wollte noch ein bißchen das Nachtleben
erforschen", erklärte ihr Gefährte.
"Und was war mit der Sache mit der Tremere-Chantry?" Sie
war doch extra losgezogen, um die Pläne zu erobern.
"Was soll damit sein?"
"Wollten wir es nicht ausrauben?"
"Ihr wolltet.", machte Gereint sie aufmerksam.
"Ich nahm an, ihr auch", mischte sich Anshara ein.
Immerhin war das doch der Grund gewesen, aus dem Gereint und Branwyn die
Reise nach Paris angetreten hatten.
"Ich habe es mir anders überlegt."
"Und wie sollen wir dann die ganzen Tremere
überrumpeln?"
"Mit Eurem Charme."
"Die Tremere? Keine Chance. Die sind so öde,
die stehen nicht auf Charme."
"Das würde ich nicht so generell behaupten. Ein paar
bestimmt schon", vermutete Gereint. "Aber ich sollte mich
langsam anziehen, wenn ich noch etwas unternehmen will."
"Ihr wollt uns also wirklich nicht helfen, in die Chantry
einzubrechen?"
"Nur wenn es sich lohnt."
"Laß mich mal machen", meinte Branwyn und begann,
ihren Gefährten im Nacken zu kraulen. "Du kommst doch mit,
oder?"
"Das ist Bestechung", stellte er fest. "Ich habe
doch gar keine Lust."
"Die kommt bestimmt unterwegs." Sie pustete ihm ins Ohr.
"Wir wollten doch schon immer mal etwas interessantes
unternehmen."
"Der Einbruch in eine Chantry ist nicht interessant, sondern
selbstmörderisch. Außer einer Menge Ärger bringt uns
das gar nichts."
"Doch - Spaß und okkulte Bücher", widersprach
Bran.
"Ich bin aber nicht lebensmüde."
"Dann müssen wir uns eben ein paar Tricks ausdenken",
überlegte Anshara. "Wir könnten doch einfach jemanden
auf die Tremere hetzen, und in der Verwirrung dringen wir in die Chantry
ein und lassen das Zeug mitgehen."
"Wenn Ihr das sagt", zweifelte Gereint.
"Also, wenn das Arcanum nicht nur aus Gelehrten bestünde,
würde ich ja die vorschlagen", warf Branwyn ein.
"Was ist denn das Arcanum?" wollte Anshara wissen.
"Eine Gesellschaft, die Informationen über Magier,
Kainskinder, Garou und sonstige okkulte Phänomene sammelt. Die
sind aber ziemlich harmlos", erklärte Branwyn.
"Es gibt einige Vampirjäger, die ziemlich militant sind.
Vielleicht könnte man die ja mobilisieren."
"Und dann erwischen die uns?" unkte Jean.
"Wir müssen einfach geschickt ein paar Hinweise loswerden,
die nur auf die Tremere hindeuten und den Hintereingang aussparen",
meinte Anshara.
"Das ist alles viel zu gefährlich", winkte Jean ab.
"Ich habe weder Lust den Tremere noch den Jägern in die
Hände zu fallen."
"Wir müssen natürlich einen Zugang auftun, der
möglichst keiner der Gruppen bekannt ist. Oder wir graben einen
Tunnel unter die Chantry und steigen von dort ein."
"Nun", begann Branwyn. "Ich könnte auch Erde in
Luft verwandeln und so für uns einen Tunnel bauen."
Jean rümpfte die Nase. Er würde keinesfalls einen Tunnel
betreten, der auch nur eine Spur mit Magie zu tun hatte.
"Prima", freute sich Anshara. "Da fällt mir
gerade ein - du kannst doch auch teleportieren, könntest du uns da
nicht einfach mitnehmen?"
"Leider nicht", bedauert die Magierin. "So stark bin
ich nicht in der Sphäre Korrespondenz."
Zum Glück, dachte Jean. Auf so etwas hätte er sich
überhaupt nicht eingelassen.
"Also ein Tunnel", reflektierte Anshara. "Hm. Kann
deine Magie eigentlich die Thaumaturgie der Tremere blockieren?"
"Kein Problem. Es kommt nur darauf an, wie stark der jeweilige
Gegner ist."
"Da werden ja wohl nicht gerade nur Neugeborene
herumlaufen", bemerkte Gereint.
"Das schon, aber andererseits habe ich die Sphären
Materie, Kräfte und Korrespondenz ziemlich gut im Griff..."
"Ich finde, das Risiko ist zu groß gegenüber dem,
was wir erreichen können."
"Die Bücher einer Bibliothek der Tremere sind auf jeden
Fall eine Bereicherung für meine okkulte Bibliothek."
Insbesondere war Branwyn an der Frühgeschichte der Tremere
interessiert, als diese noch Magier waren und durch ein Ritual
versuchten, unsterblich zu werden. Seit sie mit Gereint zusammen war,
fühlte sie ihre Sterblichkeit immer deutlicher, aber andererseits
wollte sie auch nicht zum Kainskind werden, da dies den Verlust ihres
Avatars und aller echten magischen Fähigkeiten bedeutete. Sie
wollte zu gerne wissen, was damals bei den Tremere-Magiern
schiefgegangen war und analysieren, ob man das nicht korrigieren konnte.
"Wenn du meinst..." Gereint hatte keine Lust für
solch einen Kram in eine Chantry einzubrechen. Okay, wenn es ihm per
Zufall in die Hände fiel, aber sich deswegen in Gefahr bringen?
"Laßt uns also rekapitulieren", äußerte
die Magierin. "Wir graben einen Geheimtunnel, dann verraten wir
einigen Jägern, wo die Tremere sind, und während sie
beschäftigt sind, schleichen wir uns durch den Tunnel ein, lassen
die Bücher mitgehen und hauen wieder ab." Branwyn hatte
eigentlich nur eine einzige Sorge. Dieses magische Tunnelgraben war
hochgradig vulgäre Magie, und wenn sie dabei auch nur den
geringsten Fehler machte oder von Schläfern beobachtet wurde,
würde sie vom Paradox einiges auf den Deckel bekommen.
"Genau", stimmte Anshara zu.
"Wenn ihr das sagt", seufzte Gereint. Das
größte Problem an diesem Plan war, daß er viel wenig
ausgearbeitet war, es gab zu viele Punkte, an denen es schiefgehen
konnte, vor allem, da sie keine Ahnung hatten, wer alles in der Chantry
saß, und was die Jäger den Tremere entgegenschicken
würden. Die brauchten doch nur eine größere Bombe auf
das Haus zu werfen, und dann war alles hinüber.
"Und wie lautet dein Plan?" wollte Branwyn wissen.
"Wir lassen das."
"Die Männer von heute sind auch nicht mehr das, was sie
mal waren." Branwyn seufzte. Wenn sie da an die Helden unter den
Kindern des Äthers dachte - Doktor Eon und das Phantastische Trio,
Captain Tiberius vom Ätherschiff Etherjammer, Doktor David
Wayne "The Exterminator" Clarkus, Colonel Valiant und all die
anderen - die würden bei solch einer Chance zuschlagen ohne
nachzudenken.
"Dann such dir einen, der deinen Vorstellungen mehr
entspricht."
"Das ist ja das Problem..."
"Fragen wir mal anders herum", begann Anshara leicht
enerviert. "Was wollt ihr denn unternehmen?"
"Es gibt genügend Veranstaltungen, die man besuchen
kann", erwiderte Jean. "Ich habe jedenfalls keine Lust,
irgendwelche dummen Bücher zu klauen."
"Veranstaltungen! Dafür hätte ich nicht mit nach
Paris kommen müssen", fand Branwyn. Dafür hatte sie
schließlich ihre Fernsehgeräte. Nun gut, dann würde sie
im Zweifelsfall zur Großen Halle der Kinder des Äthers gehen
und von dort dem Gernsback Kontinuum einen Besuch abstatten.
Außerdem hatte sie dort ein Teleport-Tor, das direkt wieder in den
Turm bei St-Valéry führte. "Ich hatte auf ein wenig
Action gehofft."
Jean war der Meinung, daß sie eh in ihrem Turm hätte
bleiben sollen, behielt dieses aber lieber für sich, denn Magier
waren zu gefährlich, wenn sie verärgert waren.
"Ich dachte eigentlich, du kennst mich bessert", meinte
Gereint.
"Aber ihr hattet doch von einem Raubzug bei den Tremere
gesprochen. Und da die ja nicht notwendigerweise zu den 'Guten'
gehören, hielt ich es als Tochter des Äthers für meine
Pflicht, euch in eurem Kreuzzug zu unterstützen."
"Ich dachte, du tust nur, was dir Spaß macht."
"Aber es macht doch Spaß, eine Heldin zu sein!"
Branwyn wollte sich zu gerne einen Namen erarbeiten wie zum Beispiel
Doktor Eon, der schon zu Lebzeiten eine Legende war.
"Mir nicht", äußerte Gereint.
"Und was machen wir nun also?" fragte Anshara.
"Wenn ich jetzt etwas vorschlage, ziehst du die ganze Nacht
wieder einen Schmollmund", sagte Jean.
"Dann schlag doch etwas für heute nacht vor, und wir
überfallen morgen die Tremere."
"Morgen will ich das aber auch noch nicht."
"Ooooch Jean..."
"Ooooch Anshara", machte er sie nach. "Immer, wenn
etwas nicht nach deinem Willen geht, fängst du so an. Kannst du
nicht einmal meine Meinung akzeptieren?"
"Na gut, dann muß ich das eben alleine machen",
grummelte sie.
"Ich halte dich nicht auf."
"Gut." Sie rauschte hoheitsvoll davon, und Jean zuckte mit
den Schultern.
"Jetzt ist sie wieder eingeschnappt."
"Mir scheint, sie erwartet keinen Widerspruch von dir",
kommentierte Gereint.
"Meist lasse ich mich ja überreden", gab sein Bruder
zu. "Aber ich gehe in keine Chantry, und schon gar nicht durch
einen magischen Tunnel."
"Was machen wir denn nun?"
"Hm", überlegte Jean. "Eigentlich ist mir
gründlich die Lust vergangen, überhaupt irgendwo
hinzugehen."
"Mir eigentlich auch."
"Dann bleiben wir eben hier."
Gereint angelte nach seiner Reiseharfe und begann, darauf
herumzuklimpern. Jean hörte ihm zu und hing seinen eigenen
Gedanken nach.
"Das ist ziemlich langweilig", fand er nach einiger Zeit.
Gereint sah von seiner Harfe auf.
"Stimmt. Aber lieber habe ich Langeweile als ganz tot zu sein.
Ich kann gegen ein paar Tremere nicht viel ausrichten. Die Rituale
dauern alle viel zu lange."
"Ich weiß, aber Anshara hat sich nun etwas in den Kopf
gesetzt, also wird sie es auch machen. Dabei ist es Wahnsinn, da zu
viert hinzurennen. Ich kann von Thaumaturgie so gut wie nichts, und mit
Waffen kann ich auch nicht umgehen... Wenn da irgendwo nur ein Ghul
herumsteht, dann bin ich aufgeschmissen."
"Nur Branwyn hat bei der Sache überhaupt eine
Möglichkeit, aber auch nur, wenn es nicht zu viele Gegner sind.
Das Ganze ist eine äußerst blöde Idee gewesen."
"Seufz", machte Jean zustimmend. "Jetzt habe ich
mich endlich mal durchgesetzt, und was ist? Es ist öde, und ich
bin keineswegs zufrieden."
"So ist das nun mal", pflichtete Gereint ihm bei,
woraufhin Jean tragisch seufzte. "Ich hätte in meinem Turm
bleiben sollen. Dann hätte ich jetzt lesen können oder ein
wenig üben."
"Naja, ich habe hier leider kaum Bücher. Du weißt
ja, ich lese nicht gerne."
"Bedauerlicherweise. Du solltest mal etwas daran tun."
"Wozu? Was steht schon in Büchern, was ich nicht auch so
erfahren kann? "
"Hm, da bin ich wohl zu altertümlich eingestellt. Ich
kann mich nicht so sehr mit diesem Fernseher anfreunden."
"Was machen wir nun?" fragte diesmal Jean.
"Vielleicht sollten wir doch ausgehen. Ich hätte
große Lust, meinen Frust auszutoben."
"Dann sollten wir uns fertigmachen, damit wir gleich losziehen
können."
* * *
Anshara setzte sich auf ihr Bett und schmollte, während sie
überlegte, wo eigentlich der Sitz von irgendeiner der
Jägergruppen war.
Branwyn beschloß, sich zu der Vampirin zu gesellen. Die Idee
mit dem Tunnel fand sie nämlich gar nicht so schlecht. Und wenn
die Männer nicht mitmachen wollten, dann würden ihnen die
Ladies eben zeigen, wie so eine Aktion auszusehen hatte.
Sie überlegte, ob man vielleicht irgendwelchen Technokraten den
Tip geben sollte, daß es sich bei der Tremere-Chantry in Wahrheit
um ein Hauptquartier der Euthanatos-Tradition handelte oder etwas
ähnliches. HIT-Marks oder Männer in Schwarz würden den
Tremere bestimmt auch ausreichend zusetzen, um sie abzulenken.
Hauptsache, sie schafften es rechtzeitig zu der Bibliothek und konnten
die Bücher einkassieren.
"Oh, Branwyn", sagte Anshara, als diese ihr Zimmer betrat.
"Hallo. Weißt du, ich bin ein bißchen
ungehalten", begann die Magierin. "Erst wollen die die
Chantry ausrauben, und jetzt wieder nicht. Dabei bin ich doch nur
hergekommen, damit ich etwas Action sehen. Was hältst du
davon - wenn sie nicht wollen, dann könnten wir es doch alleine
machen? Ich weiß nur noch nicht, wie wir die Tremere am besten
ablenken können."
"Das ist auch mein Problem", gab Anshara zu.
"Bislang habe ich immer einen Riesenbogen um alle Jäger
gemacht."
"Ich könnte ja mal Net_Shark fragen, ob sie
weiß, wo irgendwelche Vampirjäger sind."
"Net_Shark?"
"Meine Freundin bei den Virtuellen Adepten."
"Aha. - Gut, frage sie."
"Augenblick... Am besten, du kommst mit in mein Zimmer."
Sie gingen hinüber, und Branwyn zog einen kleinen Computer aus dem
Rucksack und klappte den Notebook auf. Anshara bestaunte das
Gerät. War der vielleicht winzig! Und der Monitor war kaum mehr
als eine flache Scheibe, die mit einem Gelenk mit dem Rest des Rechners
verbunden war. Sie hatte jetzt einen Apple IIe, und der war entschieden
größer als das winzige Ding, vor allem der Monitor.
Branwyn stöpselte das Gerät an ihren Teleportgürtel
an und verband es zusätzlich mit einer Infrarot-Fernbedienung, nur
einen Stromanschluß hatte es erstaunlicherweise nicht.
Während Bran tippte, sah Anshara ihr neugierig über die
Schulter. Leider war der LCD-Monitor aus dem Winkel schlecht abzulesen.
"Nun, was sagt sie?"
"Sie schreibt etwas von einer Leopold-Gesellschaft. Hast du
schon mal von denen gehört?"
"Ja, die sind furchtbar gefährlich."
"Das paßt doch", fand Branwyn und ließ sich
die Adresse und weitere Einzelheiten über die Gesellschaft geben,
ehe sie sich von Net_Shark verabschiedete und den Computer
abschaltete.
"Hm. Aber wie können wir diesen Leopold-Typen die
Informationen zukommen lassen, ohne daß die das zu uns
zurückverfolgen können?"
"Ein anonymer Anruf aus einer Telefonzelle in der Nähe der
Chantry mit Stimmenverzerrer?"
"Nur, ob die darauf auch anspringen? Gut, die wollen alle
Kainskinder killen, derer sie habhaft werden können, aber ob ein
anonymer Anruf reicht?"
"Wir könnten ja einen Anrufer erfinden, der auch zu der
Gesellschaft gehört. Oder irgendeinen Kirchentypen
vorschieben."
"Das wäre eine Idee."
Inzwischen hatten sich Gereint und Jean fertig gemacht und gingen zu
Branwyns Zimmer.
"Wir gehen ein bißchen raus", meinte Jean zu den
Frauen.
"Gut, gut", erwiderte Anshara abwesen. "Wir planen
gerade..."
"Bis dann", verabschiedete sich Jean und verschwand mit
seinem Bruder.
"Sag mal, kannst du tagsüber eigentlich überhaupt
nichts machen?" nahm Branwyn die Unterhaltung wieder auf.
"Im Sonnenlicht? Nein."
"Ich meine, wenn es Tag ist, und du zum Beispiel in einem
abgeschlossenen Gebäude steckst."
"Naja, wenn du es schaffst, mich wach zu kriegen, kann ich auch
tagsüber etwas unternehmen."
"Gut, dann laß uns doch einfach bis morgen früh
warten."
"Und wie soll ich am Tag zu der Chantry hinkommen?"
"Ganz einfach. Ich packe dich lichtdicht ein und bringe dich
in den Bau. Da hole ich dich aus der Verpackung, und wir haben
eigentlich nur mit etwaigen Ghulen zu tun."
"Die Idee ist eigentlich noch besser", fand Anshara.
"Eigentlich brauchen wir die Leopold-Heinis dann gar nicht zu
informieren."
"Das ist wahr", überlegte Branwyn. "Vor allem,
wenn Du tagsüber ja nicht ganz so fit bist, würde es sonst ein
ziemliches Problem werden, wenn die dich erwischen würden."
"Stimmt."
Sie begannen, ihre Ausrüstung zusammenzusuchen.
"Was brauchen wir denn alles? fragte Anshara, da Branwyn
irgendwie zuständig wirkte.
"Keine Ahnung", kam es von der. Rein präventiv
packte sie schon mal allerlei Werkzeuge vom Schreibtisch in den Rucksack
zurück. "Am besten wäre wohl ein Flammenwerfer, um die
dortigen Kainskinder zu erschrecken."
"Und mich verschreckst du dann gleich mit", machte Anshara
sie aufmerksam.
"Ein bißchen Schwund ist immer", meinte Bran mit
einem schiefen Grinsen und begann nun, allerlei Bauteile aus dem
Rucksack zu ziehen, um einen futuristischen Flammenwerfer zu bauen. Um
genau zu sein hatte der eine ziemliche Ähnlichkeit zu den
Protonenpacks der Ghostbusters, was sie gleich dazu inspirierte, sich
und die Vampirin in die passenden Overalls zu stecken.
Anshara sah ihr fasziniert zu und überlegte, was sie
als Gimmicks gebrauchen könnte. Leider war sie nicht in der Lage,
mit irgendeiner Waffe umzugehen, und ein Flammenwerfer kam für sie
überhaupt nicht in Frage. Ob man Tremere schockgefrieren konnte?
Sie wandte sich mit dieser Idee an die Magierin, und sie begann,
für Anshara einen Flüssigheliumwerfer zu basteln; mit
Kühlschränken kannte sie sich ja aus.
Etwa zweieinhalb Stunden später hatte Branwyn es geschafft, die
'Kälteschleuder' zusammenzusetzen. Anshara fragte sich derweil, ob
es nicht sinnvoller wäre, wenn sie noch in der Nacht zu ihrem
Einsatzort gingen, dann brauchte Branwyn sie nicht lichtdicht verpackt
am Tag dorthin zu transportieren. Sie spürte, wie sie langsam
müde wurde, vielleicht sollten sie die Aktion doch lieber auf
morgen nacht verschieben.
In Branwyns Zimmer sah es mittlerweile aus wie in einem
futuristischen Waffenlager, da sie beschlossen hatte, auch die eine oder
andere Strahlenpistole nach Dame Atomikas Entwürfen in den letzten
Ausgaben des Paradigma nachzubauen. Außerdem befand sich
in Ausgabe 89 sogar die Bauanleitung des Sonnenstrahl-Blasters von
Professor Doubilet, den dieser speziell zur Vampir-Abwehr erfunden
hatte.
Es war zwar nicht bekannt, ob Vampire auch verletzt wurden, wenn sie
dem Strahl indirekt ausgesetzt waren, aber bei einer größeren
Menge von Kainskindern war Vorsicht besser als untot.
Schließlich hatten die beiden die Vorbereitungen beendet, und
Anshara schlug vor, lieber bis zur nächsten Nacht zu warten, um
dann das Umfeld der Chantry genaustens zu erkunden und festzustellen,
von wo aus sie den Tunnel am besten vortreiben konnten. Die Magierin
fand dies auch sehr sinnvoll, und so ging Anshara zu Bett, während
Branwyn noch bis zum späten Vormittag weiterbastelte, denn
schließlich würde die Aktion mit einem
Materietransformatorstrahler viel einfacher gehen.
* * *
Jean und Gereint streiften erst einmal eine Zeit durch die
Straßen von Paris. Es war gerade erst halb acht, und
dementsprechend waren noch recht viele Leute unterwegs, insbesondere so
kurz vor Weihnachten.
Sie machten sich zunächst auf den Weg in ein paar Museen, um zu
gucken, ob schon ein paar Kainskinder da waren, die man nach
interessanten Aktivitäten heute nacht fragen konnte.
Kurz darauf erfuhren sie, daß es heute zwar ein paar Parties
gab, aber keine davon fand so recht ihre Zustimmung. Sie zogen also
erst einmal ziemlich planlos durch die Gegend.
Schließlich kam Jean auf die Idee, sich nach etwas zu essen
umzusehen, denn vielleicht fiel ihm mit vollem Magen mehr ein. Er
fragte sich, woran es lag, daß es in letzter Zeit in Paris so
ruhig war. Die Stunden quälten sich ereignislos dahin, und
schließlich gingen Gereint und er wieder nach Hause.
Jean war froh, als sie endlich daheim waren, da sein Bruder den Rest
der Nacht genutzt hatte, über die gute, alte Zeit zu reden.
Sie hören Anshara und Branwyn noch im Chambre de
l'Automne herumwerkeln, hatten aber keine Lust auf ein
Gespräch. Leise verschwanden sie in Jeans Zimmer und gingen zu
Bett.
Next chapter
Back
to the Vampires' Den
|