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Paris à Nuit

(c) 1995/96 by Shavana & Stayka

Kapitel 5: Der Plan nimmt Gestalt an

Man schrieb Freitag, den 20. Dezember 1985, etwa 17:20 Uhr.

Jean schaffte es ausnahmsweise, sich schon so kurz nach Sonnenuntergang aus dem Bett zu quälen und ging hinüber in Ansharas Raum. Die hatte sich zwar noch nicht die Mühe gemacht, sich anzukleiden, saß aber bereits über den Blaupausen und studierte sie eingehend.

"Guten Abend", sagte Jean und setzte sich auf die Bettkante.

"Hallo, Jean." Sie strahlte ihn an und schob die Unterlagen ein Stück zur Seite.

"Was machst du da?"

"Ich versuche herauszufinden, wie wir am besten in die Chantry gelangen. Leider sind das hier nur die Baupläne, und daran sieht man weder, welche Sicherheitsanlagen die Tremere eingebaut haben, noch was in welchem Raum ist."

"Ich sehe darauf nur komische Striche."

"Hm. Ich glaube, das sind die Gasleitungen, das da sollen die elektrischen Leitungen sein, und die Teile hier sind halt die Räume."

Jean gähnte. "Und damit beschäftigst du dich?"

"Wenn wir in die Chantry einbrechen wollen, möchte ich schon gerne wissen, wo die Notausgänge sind."

"Ich erkenne daraus eh nichts", seufzte Jean mit einem Blick auf die Zeichnungen.

"Naja, ich reime mir das meiste auch nur zusammen", gab sie zu. "Aber versuchen kann ich es wenigstens. - Ich frage mich, wo wir etwas über die magischen Sicherheitsanlagen der Tremere erfahren können. Ich meine, die werden bestimmt so etwas eingebaut haben."

"Eigentlich haben in der Regel die Unternehmen die Unterlagen, die sie installiert haben."

"Meinst du, daß es auch Unternehmen für magische Alarmanlagen gibt?"

"Ich denke, auch für sowas gibt es Spezialisten", vermutete Jean.

"Darüber wissen wahrscheinlich Branwyn und Gereint besser Bescheid, aber vorher wollte ich noch unter die Dusche. Kommst du mit?"

"Ich war schon duschen."

"Schade."

Jean lachte. "Sonst dauert es wieder so lange."

"Da hast du allerdings recht." Mit einem bedauernden Blick auf ihren Gefährten schlüpfte sie ins Bad, und er wartete derweil auf sie. Schon zehn Minuten später kam sie zurück und stellte sich erst einmal grübelnd vor den Schrank. Jean beobachtete sie dabei.

"Was soll ich nur anziehen?" fragte sie nach einer Viertelstunde.

"Was weißes", schlug er vor.

"Gut." Sie stellte sich also vor den Bereich mit den weißen Sachen und überlegte angestrengt. Jean erhob sich und trat hinter sie. "Sag mal eine Zahl", bat sie schließlich.

"Sieben."

"Okay." Sie zählte das siebte Teil von unten ab und zog es heraus. Es handelte sich um einen weißen Overall.

"Das ist doch okay", fand Jean, während Anshara weitere fünf Minuten über die passenden Dessous meditierte. Schließlich war sie - nach immerhin unter einer Stunde - fertig.

"Das war fast ein Rekord", kommentierte er. "Ich sollte öfter mal früher aufstehen, dann bist du auch eher fertig." Er streckte sich. "Was machen wir heute?"

"Ich dachte, wir überlegen uns einen Plan, wie wir in die Chantry hineinkommen."

"Das kannst du doch eh am besten."

"Hm. Eigentlich bist du doch der Einbruchsspezialist, und wenn es um Magie geht, sollte man wohl eher Branwyn und Gereint fragen. Ich koordiniere das nur."

"Was will ich überhaupt in einer Chantry?" erkundigte sich Jean.

"Sie ausrauben natürlich. Da gibt es okkulte Bücher, magische Talismane, arkane Geheimnisse..."

"Sowas interessiert mich nicht."

"Oooch Jean, wir brauchen dich aber. Ich brauche dich."

"Wozu?"

"Für alles Mögliche."

"Ich finde, du kommst ganz gut alleine zurecht."

"Aber ich fühle mich so einsam, wenn du nicht dabei bist."

"Es hat doch auch so geklappt, und ich konnte mich mal wieder amüsieren."

"Es hat nur funktioniert, weil Branwyn mir geholfen hat."

"Dann brauchst du mich ja nicht."

"Aber Jean, du kannst mich doch nicht so allein lassen." Sie guckte ihn mit einem herzzereißenden Blick an und seufzte tragisch.

"Ich habe aber keine Lust mitzukommen. - So, Zeit für's Frühstück." Er stürmte hinunter in den Keller, und Anshara folgte ihm schmollig. Ohne Jean würde der Einbruch bestimmt keinen Spaß machen.

Im Keller machte er sich erst einmal über ein paar Flaschen her, denn er war hungrig, und auch Anshara trank drei ihrer Lieblingsmarke aus. Als er wieder in die erste Etage zurückkehrte, nahm ein noch einige Flaschen mit, da Gereint sicherlich auch noch nichts zu sich genommen hatte.

Schweigend stiegen die beiden die Treppen hinauf, und während Jean im Zimmer seines Bruders verschwand, beschloß Anshara, Branwyn Bescheid zu geben, daß die Kainskinder wieder auf den Beinen waren. Die Magierin war bestimmt schon lange wach. Anshara seufzte. Die Menschen hatten irgenwie mehr von ihrem Leben, weil sie nicht so lange schlafen mußten. Zugegeben, dafür war ihre Lebensspanne kürzer, aber in der kurzen Zeit bekamen sie erheblich mehr geschafft.

Gereint schlief natürlich noch, also stellte Jean die Flaschen erst einmal ab, bevor er ihm die Decke wegzog. Der rothaarige Vampir knurrte unwillig, geruhte aber die Augen zu öffnen. Als er die Flaschen erspähte, erhob er sich und genehmigte sich erst einmal ein Frühstück.

"Was machen wir nun?" fragte er Jean, doch dieser zuckte nur mit den Schultern.

"Anshara will ja unbedingt in die Chantry einbrechen."

"Hm, so ganz mein Geschmack ist das nicht", erklärte Gereint nachdenklich. "Warten wir es ab."

"Das ist wohl am besten. Wenn die was wollen, werden sie sich schon melden."

"Genau, gib mir lieber noch was zu trinken." Jean reichte ihm eine Flasche. "Danke. - Mir scheint, Branwyn und Anshara kommen gut miteinander aus. Dann brauche ich ja keine Bedenken zu haben, wenn ich sie alleine lasse. Ich möchte den Besuch in der Stadt doch voll auskosten."

"Wie immer", erwiderte Jean.

"Ganz recht."

* * *

In Branwyns Zimmer surrte, summte und klickte es wie zuvor. Anshara klopfte wiederholt an, doch als auch nach dem dritten Versuch noch keine Reaktion eintrat, ging sie hinein.

Mit dem Sturzhelm auf dem Kopf saß Branwyn inmitten von allerlei technischem Krimskrams auf dem Bett und wirkte irgendwie entrückt. Anshara betrachtete sie mißtrauisch. Merkwürdig, fand sie, der Sturzhelm hatte ein Visier, durch das man nicht hindurchsehen konnte.

Vorsichtig rüttelte Anshara die Wissenschaftlerin, bis sie aus ihrer Trance erwachte.

"Huh?" machte sie. "Was ist?"

"Was tust du da?"

"Ich war im Digitalen Netz", erklärte Branwyn. "Ich mußte den Helm doch noch testen."

"Aha", kommentierte Anshara, um keinen Deut schlauer. "Ich wollte dich eigentlich fragen, ob wir mal gucken sollen, was Jean und Gereint gerade tun."

"Sicher, warum nicht." Branwyn nahm den Helm ab und legte ihn auf den von Werkzeugen und Bauplänen übersäten Tisch.

Jean und Gereint stritten sich gerade spielerisch um die letzte Flasche und sahen zur Tür, als die beiden Frauen eintraten.

"Guten Abend, Gereint", rief die Magierin fröhlich. "Hallo Jean."

Anshara winkte nur.

"Hallo", entgegnete Jean, während sein Bruder nickte.

"Na, was steht heute an?" erkundigte sich Branwyn.

"Also, ich wollte noch ein bißchen das Nachtleben erforschen", erklärte ihr Gefährte.

"Und was war mit der Sache mit der Tremere-Chantry?" Sie war doch extra losgezogen, um die Pläne zu erobern.

"Was soll damit sein?"

"Wollten wir es nicht ausrauben?"

"Ihr wolltet.", machte Gereint sie aufmerksam.

"Ich nahm an, ihr auch", mischte sich Anshara ein. Immerhin war das doch der Grund gewesen, aus dem Gereint und Branwyn die Reise nach Paris angetreten hatten.

"Ich habe es mir anders überlegt."

"Und wie sollen wir dann die ganzen Tremere überrumpeln?"

"Mit Eurem Charme."

"Die Tremere? Keine Chance. Die sind so öde, die stehen nicht auf Charme."

"Das würde ich nicht so generell behaupten. Ein paar bestimmt schon", vermutete Gereint. "Aber ich sollte mich langsam anziehen, wenn ich noch etwas unternehmen will."

"Ihr wollt uns also wirklich nicht helfen, in die Chantry einzubrechen?"

"Nur wenn es sich lohnt."

"Laß mich mal machen", meinte Branwyn und begann, ihren Gefährten im Nacken zu kraulen. "Du kommst doch mit, oder?"

"Das ist Bestechung", stellte er fest. "Ich habe doch gar keine Lust."

"Die kommt bestimmt unterwegs." Sie pustete ihm ins Ohr. "Wir wollten doch schon immer mal etwas interessantes unternehmen."

"Der Einbruch in eine Chantry ist nicht interessant, sondern selbstmörderisch. Außer einer Menge Ärger bringt uns das gar nichts."

"Doch - Spaß und okkulte Bücher", widersprach Bran.

"Ich bin aber nicht lebensmüde."

"Dann müssen wir uns eben ein paar Tricks ausdenken", überlegte Anshara. "Wir könnten doch einfach jemanden auf die Tremere hetzen, und in der Verwirrung dringen wir in die Chantry ein und lassen das Zeug mitgehen."

"Wenn Ihr das sagt", zweifelte Gereint.

"Also, wenn das Arcanum nicht nur aus Gelehrten bestünde, würde ich ja die vorschlagen", warf Branwyn ein.

"Was ist denn das Arcanum?" wollte Anshara wissen.

"Eine Gesellschaft, die Informationen über Magier, Kainskinder, Garou und sonstige okkulte Phänomene sammelt. Die sind aber ziemlich harmlos", erklärte Branwyn.

"Es gibt einige Vampirjäger, die ziemlich militant sind. Vielleicht könnte man die ja mobilisieren."

"Und dann erwischen die uns?" unkte Jean.

"Wir müssen einfach geschickt ein paar Hinweise loswerden, die nur auf die Tremere hindeuten und den Hintereingang aussparen", meinte Anshara.

"Das ist alles viel zu gefährlich", winkte Jean ab. "Ich habe weder Lust den Tremere noch den Jägern in die Hände zu fallen."

"Wir müssen natürlich einen Zugang auftun, der möglichst keiner der Gruppen bekannt ist. Oder wir graben einen Tunnel unter die Chantry und steigen von dort ein."

"Nun", begann Branwyn. "Ich könnte auch Erde in Luft verwandeln und so für uns einen Tunnel bauen."

Jean rümpfte die Nase. Er würde keinesfalls einen Tunnel betreten, der auch nur eine Spur mit Magie zu tun hatte.

"Prima", freute sich Anshara. "Da fällt mir gerade ein - du kannst doch auch teleportieren, könntest du uns da nicht einfach mitnehmen?"

"Leider nicht", bedauert die Magierin. "So stark bin ich nicht in der Sphäre Korrespondenz."

Zum Glück, dachte Jean. Auf so etwas hätte er sich überhaupt nicht eingelassen.

"Also ein Tunnel", reflektierte Anshara. "Hm. Kann deine Magie eigentlich die Thaumaturgie der Tremere blockieren?"

"Kein Problem. Es kommt nur darauf an, wie stark der jeweilige Gegner ist."

"Da werden ja wohl nicht gerade nur Neugeborene herumlaufen", bemerkte Gereint.

"Das schon, aber andererseits habe ich die Sphären Materie, Kräfte und Korrespondenz ziemlich gut im Griff..."

"Ich finde, das Risiko ist zu groß gegenüber dem, was wir erreichen können."

"Die Bücher einer Bibliothek der Tremere sind auf jeden Fall eine Bereicherung für meine okkulte Bibliothek." Insbesondere war Branwyn an der Frühgeschichte der Tremere interessiert, als diese noch Magier waren und durch ein Ritual versuchten, unsterblich zu werden. Seit sie mit Gereint zusammen war, fühlte sie ihre Sterblichkeit immer deutlicher, aber andererseits wollte sie auch nicht zum Kainskind werden, da dies den Verlust ihres Avatars und aller echten magischen Fähigkeiten bedeutete. Sie wollte zu gerne wissen, was damals bei den Tremere-Magiern schiefgegangen war und analysieren, ob man das nicht korrigieren konnte.

"Wenn du meinst..." Gereint hatte keine Lust für solch einen Kram in eine Chantry einzubrechen. Okay, wenn es ihm per Zufall in die Hände fiel, aber sich deswegen in Gefahr bringen?

"Laßt uns also rekapitulieren", äußerte die Magierin. "Wir graben einen Geheimtunnel, dann verraten wir einigen Jägern, wo die Tremere sind, und während sie beschäftigt sind, schleichen wir uns durch den Tunnel ein, lassen die Bücher mitgehen und hauen wieder ab." Branwyn hatte eigentlich nur eine einzige Sorge. Dieses magische Tunnelgraben war hochgradig vulgäre Magie, und wenn sie dabei auch nur den geringsten Fehler machte oder von Schläfern beobachtet wurde, würde sie vom Paradox einiges auf den Deckel bekommen.

"Genau", stimmte Anshara zu.

"Wenn ihr das sagt", seufzte Gereint. Das größte Problem an diesem Plan war, daß er viel wenig ausgearbeitet war, es gab zu viele Punkte, an denen es schiefgehen konnte, vor allem, da sie keine Ahnung hatten, wer alles in der Chantry saß, und was die Jäger den Tremere entgegenschicken würden. Die brauchten doch nur eine größere Bombe auf das Haus zu werfen, und dann war alles hinüber.

"Und wie lautet dein Plan?" wollte Branwyn wissen.

"Wir lassen das."

"Die Männer von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren." Branwyn seufzte. Wenn sie da an die Helden unter den Kindern des Äthers dachte - Doktor Eon und das Phantastische Trio, Captain Tiberius vom Ätherschiff Etherjammer, Doktor David Wayne "The Exterminator" Clarkus, Colonel Valiant und all die anderen - die würden bei solch einer Chance zuschlagen ohne nachzudenken.

"Dann such dir einen, der deinen Vorstellungen mehr entspricht."

"Das ist ja das Problem..."

"Fragen wir mal anders herum", begann Anshara leicht enerviert. "Was wollt ihr denn unternehmen?"

"Es gibt genügend Veranstaltungen, die man besuchen kann", erwiderte Jean. "Ich habe jedenfalls keine Lust, irgendwelche dummen Bücher zu klauen."

"Veranstaltungen! Dafür hätte ich nicht mit nach Paris kommen müssen", fand Branwyn. Dafür hatte sie schließlich ihre Fernsehgeräte. Nun gut, dann würde sie im Zweifelsfall zur Großen Halle der Kinder des Äthers gehen und von dort dem Gernsback Kontinuum einen Besuch abstatten. Außerdem hatte sie dort ein Teleport-Tor, das direkt wieder in den Turm bei St-Valéry führte. "Ich hatte auf ein wenig Action gehofft."

Jean war der Meinung, daß sie eh in ihrem Turm hätte bleiben sollen, behielt dieses aber lieber für sich, denn Magier waren zu gefährlich, wenn sie verärgert waren.

"Ich dachte eigentlich, du kennst mich bessert", meinte Gereint.

"Aber ihr hattet doch von einem Raubzug bei den Tremere gesprochen. Und da die ja nicht notwendigerweise zu den 'Guten' gehören, hielt ich es als Tochter des Äthers für meine Pflicht, euch in eurem Kreuzzug zu unterstützen."

"Ich dachte, du tust nur, was dir Spaß macht."

"Aber es macht doch Spaß, eine Heldin zu sein!" Branwyn wollte sich zu gerne einen Namen erarbeiten wie zum Beispiel Doktor Eon, der schon zu Lebzeiten eine Legende war.

"Mir nicht", äußerte Gereint.

"Und was machen wir nun also?" fragte Anshara.

"Wenn ich jetzt etwas vorschlage, ziehst du die ganze Nacht wieder einen Schmollmund", sagte Jean.

"Dann schlag doch etwas für heute nacht vor, und wir überfallen morgen die Tremere."

"Morgen will ich das aber auch noch nicht."

"Ooooch Jean..."

"Ooooch Anshara", machte er sie nach. "Immer, wenn etwas nicht nach deinem Willen geht, fängst du so an. Kannst du nicht einmal meine Meinung akzeptieren?"

"Na gut, dann muß ich das eben alleine machen", grummelte sie.

"Ich halte dich nicht auf."

"Gut." Sie rauschte hoheitsvoll davon, und Jean zuckte mit den Schultern.

"Jetzt ist sie wieder eingeschnappt."

"Mir scheint, sie erwartet keinen Widerspruch von dir", kommentierte Gereint.

"Meist lasse ich mich ja überreden", gab sein Bruder zu. "Aber ich gehe in keine Chantry, und schon gar nicht durch einen magischen Tunnel."

"Was machen wir denn nun?"

"Hm", überlegte Jean. "Eigentlich ist mir gründlich die Lust vergangen, überhaupt irgendwo hinzugehen."

"Mir eigentlich auch."

"Dann bleiben wir eben hier."

Gereint angelte nach seiner Reiseharfe und begann, darauf herumzuklimpern. Jean hörte ihm zu und hing seinen eigenen Gedanken nach.

"Das ist ziemlich langweilig", fand er nach einiger Zeit. Gereint sah von seiner Harfe auf.

"Stimmt. Aber lieber habe ich Langeweile als ganz tot zu sein. Ich kann gegen ein paar Tremere nicht viel ausrichten. Die Rituale dauern alle viel zu lange."

"Ich weiß, aber Anshara hat sich nun etwas in den Kopf gesetzt, also wird sie es auch machen. Dabei ist es Wahnsinn, da zu viert hinzurennen. Ich kann von Thaumaturgie so gut wie nichts, und mit Waffen kann ich auch nicht umgehen... Wenn da irgendwo nur ein Ghul herumsteht, dann bin ich aufgeschmissen."

"Nur Branwyn hat bei der Sache überhaupt eine Möglichkeit, aber auch nur, wenn es nicht zu viele Gegner sind. Das Ganze ist eine äußerst blöde Idee gewesen."

"Seufz", machte Jean zustimmend. "Jetzt habe ich mich endlich mal durchgesetzt, und was ist? Es ist öde, und ich bin keineswegs zufrieden."

"So ist das nun mal", pflichtete Gereint ihm bei, woraufhin Jean tragisch seufzte. "Ich hätte in meinem Turm bleiben sollen. Dann hätte ich jetzt lesen können oder ein wenig üben."

"Naja, ich habe hier leider kaum Bücher. Du weißt ja, ich lese nicht gerne."

"Bedauerlicherweise. Du solltest mal etwas daran tun."

"Wozu? Was steht schon in Büchern, was ich nicht auch so erfahren kann? "

"Hm, da bin ich wohl zu altertümlich eingestellt. Ich kann mich nicht so sehr mit diesem Fernseher anfreunden."

"Was machen wir nun?" fragte diesmal Jean.

"Vielleicht sollten wir doch ausgehen. Ich hätte große Lust, meinen Frust auszutoben."

"Dann sollten wir uns fertigmachen, damit wir gleich losziehen können."

* * *

Anshara setzte sich auf ihr Bett und schmollte, während sie überlegte, wo eigentlich der Sitz von irgendeiner der Jägergruppen war.

Branwyn beschloß, sich zu der Vampirin zu gesellen. Die Idee mit dem Tunnel fand sie nämlich gar nicht so schlecht. Und wenn die Männer nicht mitmachen wollten, dann würden ihnen die Ladies eben zeigen, wie so eine Aktion auszusehen hatte.

Sie überlegte, ob man vielleicht irgendwelchen Technokraten den Tip geben sollte, daß es sich bei der Tremere-Chantry in Wahrheit um ein Hauptquartier der Euthanatos-Tradition handelte oder etwas ähnliches. HIT-Marks oder Männer in Schwarz würden den Tremere bestimmt auch ausreichend zusetzen, um sie abzulenken. Hauptsache, sie schafften es rechtzeitig zu der Bibliothek und konnten die Bücher einkassieren.

"Oh, Branwyn", sagte Anshara, als diese ihr Zimmer betrat.

"Hallo. Weißt du, ich bin ein bißchen ungehalten", begann die Magierin. "Erst wollen die die Chantry ausrauben, und jetzt wieder nicht. Dabei bin ich doch nur hergekommen, damit ich etwas Action sehen. Was hältst du davon - wenn sie nicht wollen, dann könnten wir es doch alleine machen? Ich weiß nur noch nicht, wie wir die Tremere am besten ablenken können."

"Das ist auch mein Problem", gab Anshara zu. "Bislang habe ich immer einen Riesenbogen um alle Jäger gemacht."

"Ich könnte ja mal Net_Shark fragen, ob sie weiß, wo irgendwelche Vampirjäger sind."

"Net_Shark?"

"Meine Freundin bei den Virtuellen Adepten."

"Aha. - Gut, frage sie."

"Augenblick... Am besten, du kommst mit in mein Zimmer." Sie gingen hinüber, und Branwyn zog einen kleinen Computer aus dem Rucksack und klappte den Notebook auf. Anshara bestaunte das Gerät. War der vielleicht winzig! Und der Monitor war kaum mehr als eine flache Scheibe, die mit einem Gelenk mit dem Rest des Rechners verbunden war. Sie hatte jetzt einen Apple IIe, und der war entschieden größer als das winzige Ding, vor allem der Monitor.

Branwyn stöpselte das Gerät an ihren Teleportgürtel an und verband es zusätzlich mit einer Infrarot-Fernbedienung, nur einen Stromanschluß hatte es erstaunlicherweise nicht. Während Bran tippte, sah Anshara ihr neugierig über die Schulter. Leider war der LCD-Monitor aus dem Winkel schlecht abzulesen.

"Nun, was sagt sie?"

"Sie schreibt etwas von einer Leopold-Gesellschaft. Hast du schon mal von denen gehört?"

"Ja, die sind furchtbar gefährlich."

"Das paßt doch", fand Branwyn und ließ sich die Adresse und weitere Einzelheiten über die Gesellschaft geben, ehe sie sich von Net_Shark verabschiedete und den Computer abschaltete.

"Hm. Aber wie können wir diesen Leopold-Typen die Informationen zukommen lassen, ohne daß die das zu uns zurückverfolgen können?"

"Ein anonymer Anruf aus einer Telefonzelle in der Nähe der Chantry mit Stimmenverzerrer?"

"Nur, ob die darauf auch anspringen? Gut, die wollen alle Kainskinder killen, derer sie habhaft werden können, aber ob ein anonymer Anruf reicht?"

"Wir könnten ja einen Anrufer erfinden, der auch zu der Gesellschaft gehört. Oder irgendeinen Kirchentypen vorschieben."

"Das wäre eine Idee."

Inzwischen hatten sich Gereint und Jean fertig gemacht und gingen zu Branwyns Zimmer.

"Wir gehen ein bißchen raus", meinte Jean zu den Frauen.

"Gut, gut", erwiderte Anshara abwesen. "Wir planen gerade..."

"Bis dann", verabschiedete sich Jean und verschwand mit seinem Bruder.

"Sag mal, kannst du tagsüber eigentlich überhaupt nichts machen?" nahm Branwyn die Unterhaltung wieder auf.

"Im Sonnenlicht? Nein."

"Ich meine, wenn es Tag ist, und du zum Beispiel in einem abgeschlossenen Gebäude steckst."

"Naja, wenn du es schaffst, mich wach zu kriegen, kann ich auch tagsüber etwas unternehmen."

"Gut, dann laß uns doch einfach bis morgen früh warten."

"Und wie soll ich am Tag zu der Chantry hinkommen?"

"Ganz einfach. Ich packe dich lichtdicht ein und bringe dich in den Bau. Da hole ich dich aus der Verpackung, und wir haben eigentlich nur mit etwaigen Ghulen zu tun."

"Die Idee ist eigentlich noch besser", fand Anshara. "Eigentlich brauchen wir die Leopold-Heinis dann gar nicht zu informieren."

"Das ist wahr", überlegte Branwyn. "Vor allem, wenn Du tagsüber ja nicht ganz so fit bist, würde es sonst ein ziemliches Problem werden, wenn die dich erwischen würden."

"Stimmt."

Sie begannen, ihre Ausrüstung zusammenzusuchen.

"Was brauchen wir denn alles? fragte Anshara, da Branwyn irgendwie zuständig wirkte.

"Keine Ahnung", kam es von der. Rein präventiv packte sie schon mal allerlei Werkzeuge vom Schreibtisch in den Rucksack zurück. "Am besten wäre wohl ein Flammenwerfer, um die dortigen Kainskinder zu erschrecken."

"Und mich verschreckst du dann gleich mit", machte Anshara sie aufmerksam.

"Ein bißchen Schwund ist immer", meinte Bran mit einem schiefen Grinsen und begann nun, allerlei Bauteile aus dem Rucksack zu ziehen, um einen futuristischen Flammenwerfer zu bauen. Um genau zu sein hatte der eine ziemliche Ähnlichkeit zu den Protonenpacks der Ghostbusters, was sie gleich dazu inspirierte, sich und die Vampirin in die passenden Overalls zu stecken.

Anshara sah ihr fasziniert zu und überlegte, was sie als Gimmicks gebrauchen könnte. Leider war sie nicht in der Lage, mit irgendeiner Waffe umzugehen, und ein Flammenwerfer kam für sie überhaupt nicht in Frage. Ob man Tremere schockgefrieren konnte? Sie wandte sich mit dieser Idee an die Magierin, und sie begann, für Anshara einen Flüssigheliumwerfer zu basteln; mit Kühlschränken kannte sie sich ja aus.

Etwa zweieinhalb Stunden später hatte Branwyn es geschafft, die 'Kälteschleuder' zusammenzusetzen. Anshara fragte sich derweil, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn sie noch in der Nacht zu ihrem Einsatzort gingen, dann brauchte Branwyn sie nicht lichtdicht verpackt am Tag dorthin zu transportieren. Sie spürte, wie sie langsam müde wurde, vielleicht sollten sie die Aktion doch lieber auf morgen nacht verschieben.

In Branwyns Zimmer sah es mittlerweile aus wie in einem futuristischen Waffenlager, da sie beschlossen hatte, auch die eine oder andere Strahlenpistole nach Dame Atomikas Entwürfen in den letzten Ausgaben des Paradigma nachzubauen. Außerdem befand sich in Ausgabe 89 sogar die Bauanleitung des Sonnenstrahl-Blasters von Professor Doubilet, den dieser speziell zur Vampir-Abwehr erfunden hatte.

Es war zwar nicht bekannt, ob Vampire auch verletzt wurden, wenn sie dem Strahl indirekt ausgesetzt waren, aber bei einer größeren Menge von Kainskindern war Vorsicht besser als untot.

Schließlich hatten die beiden die Vorbereitungen beendet, und Anshara schlug vor, lieber bis zur nächsten Nacht zu warten, um dann das Umfeld der Chantry genaustens zu erkunden und festzustellen, von wo aus sie den Tunnel am besten vortreiben konnten. Die Magierin fand dies auch sehr sinnvoll, und so ging Anshara zu Bett, während Branwyn noch bis zum späten Vormittag weiterbastelte, denn schließlich würde die Aktion mit einem Materietransformatorstrahler viel einfacher gehen.

* * *

Jean und Gereint streiften erst einmal eine Zeit durch die Straßen von Paris. Es war gerade erst halb acht, und dementsprechend waren noch recht viele Leute unterwegs, insbesondere so kurz vor Weihnachten.

Sie machten sich zunächst auf den Weg in ein paar Museen, um zu gucken, ob schon ein paar Kainskinder da waren, die man nach interessanten Aktivitäten heute nacht fragen konnte.

Kurz darauf erfuhren sie, daß es heute zwar ein paar Parties gab, aber keine davon fand so recht ihre Zustimmung. Sie zogen also erst einmal ziemlich planlos durch die Gegend.

Schließlich kam Jean auf die Idee, sich nach etwas zu essen umzusehen, denn vielleicht fiel ihm mit vollem Magen mehr ein. Er fragte sich, woran es lag, daß es in letzter Zeit in Paris so ruhig war. Die Stunden quälten sich ereignislos dahin, und schließlich gingen Gereint und er wieder nach Hause.

Jean war froh, als sie endlich daheim waren, da sein Bruder den Rest der Nacht genutzt hatte, über die gute, alte Zeit zu reden.

Sie hören Anshara und Branwyn noch im Chambre de l'Automne herumwerkeln, hatten aber keine Lust auf ein Gespräch. Leise verschwanden sie in Jeans Zimmer und gingen zu Bett.

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