Fünf Nächte im Unleben eines Kainskindes
(c) 1995 by Shavana & Stayka
Kapitel 3: Der Prinz von Frankfurt
Beim Untergang der Sonne erwachte Jean, wie jeden Abend.
Mühsam entknotete er sich und kletterte aus der Wanne. Ein Bett
war definitiv bequemer. Seufzend streckte er sich und verfrachtete das
Bettzeug in eine Ecke. Er hatte Lust auf ein Bad. Das einzige, was er
bedauerte, war die Tatsache, daß seine Sachen nicht hier waren.
Anshara, die bereits etwas früher erwacht war, planschte schon
seit geraumer Zeit in ihrem duftenden Ölbad und fühlte sich
ausgezeichnet. Als sie den Fluten entstiegen war und sich in einen
Morgenmantel hüllte, hatte ihre Haut einen schwachen
goldockerfarbenen Schimmer über der normalen fahlen Blässe
eines Kainskindes.
Während Jean noch in den Fluten weilte, transportierte Anshara
die Kleider wieder in das Schlafzimmer zurück und ordnete sie zu
gleichfarbigen Stapeln. Wenn sie sich nur entscheiden könnte...
Dieses Problem hatte Jean nicht. Widerstrebend mußte er nach
Beendigung seines Bades erneut in seine zerknautschten Sachen steigen.
Als er in den Hauptraum der Suite ging, stand Anshara vor dem Spiegel
und hielt sich gleichzeitig ein blaues und ein rotes Kleid an.
"Guten Abend", begrüßte er sie.
"Oh, hallo Jean!" Sie wandte sich zu ihm um. "Was
soll ich nur anziehen?" seufzte sie.
"Was immer dir gefällt", erwiderte er. "Zieh
einfach eins."
"Seufz!" Schließlich entschied sie sich für das
weiße pseudoägyptische Gewand mit den goldenen Accessoires.
Jean betrachtete sie amüsiert. Aber dieses Kleid stand ihr
wirklich ausgezeichnet, fand er. Danach ging noch die übliche
Make-Up-Malerei los, und als sie aus dem Bad kam, war sie ausgiebig mit
Goldpuder bestäubt.
"Fertig?" Jean sah sie fragend an.
"Moment! Mein Schmuck!" Eilig streifte sie sich ein
halbes Dutzend Armspangen über, ehe sie in ihre Sandalen stieg.
Jean seufzte. Frauen!
"So - sehe ich präsentabel genug aus?" fragte sie
endlich.
"Du siehst irgendwie ägyptisch aus," meinte Jean
diplomatisch. Er fand sie weniger 'dekoriert' einfach schöner.
"Das ist ja auch nicht verkehrt; immerhin bin ich von
da. - Hach, ich bin schon total aufgeregt..."
Jean kritzelte etwas auf einen Zettel und drückte ihr diesen in
die Hand.
"Hier ist die Adresse."
"Soll ich da etwa alleine hingehen?" quietschte
sie geschockt.
"Was sonst?" fragte Jean.
"Und wenn ich nun aus Unwissenheit einen furchtbaren Fauxpas
begehe?"
"Dann bin ich nicht da."
"Graaa!" Sie stampfte wieder mir dem Fuß auf.
"Es ist deine vornehme Pflicht als Gentleman, mir, einer hilflosen
Lady, über solche Hürden hinwegzuhelfen", erklärte
sie.
"Du mußt entweder allein da hingehen oder dich von deinem
Erzeuger vorstellen lassen. So ist der Brauch."
"Hm. Letzteres entfällt ja leider. Aber gibt es denn
unter den Kainskindern keine Gentlemen, die eine Dame einem
Adligen vorstellen würden?"
"Du kannst ja einen fragen."
"Eigentlich hatte ich dich für einen Gentleman
gehalten", seufzte sie mit Trauermiene.
"Mich?" fragte Jean betont überrascht.
"Dich!"
"Bin ich aber nicht. Außerdem müßte ich mich
erst umziehen." Auch wenn es keine Bekleidungsvorschriften gab,
so sollte er da besser nicht auftauchen.
"Und wo liegt das Problem?"
"Ich brauche garantiert genauso lange wie du."
"Ooooch Jean..." Sie sah ihn wieder schmelzend an.
"Bitte, bitte, komm mit!" Ihr Blick enthielt nun ein Flehen,
dem er einfach nicht widerstehen konnte. Er war doch kein Unkainskind.
"Aber ich muß mich erst umziehen."
"Ist doch klar." Sie angelte nach ihrer Handtasche und dem
weißen Mantel und folgte Jean, der schon auf dem Weg nach
draußen war.
Schließlich erreichten sie das billige Hotel. Da an der
Rezeption wieder einmal keiner war, schnappte sich Jean den
Schlüssel und stürmte die Treppen hinauf. Anshara ging
gemessenen Schrittes hinterher.
Sein Zimmer sah immer noch aus wie ein Schlachtfeld. Jean sammelte
ein paar der herumliegenden Klamotten auf und verschwand im Bad.
Anshara setzte sich aufs Bett und wartete, wobei sie das eine oder
andere Kleidungsstück hoch hob und interessiert beäugte.
Rüschenhemden, einfache Hemden, enge Hosen...
Jean ließ sich Zeit. Erstmal striegelte er ausgiebig seine
Mähne, dann half er seinem Aussehen mit ein wenig Make-Up nach,
bevor er sich umzog. Irgendwie konnte er sich wieder einmal nicht
entscheiden... Schließlich beschloß er, daß er nun
doch fertig war. Er trug eine enge Hose, ein weites Hemd, kurze Stiefel
und eine extravagante Jacke, natürlich alles wie immer in Schwarz.
"Das sieht nett aus", fand Anshara, nachdem sie ihn
ausgiebig gemustert hatte.
"Ich weiß." Jean wühlte in den Schubladen
herum, und sie sah ihm interessiert dabei zu. Er ließ ein Messer
in den Stiefeln verschwinden, bevor er nach weiteren Sachen kramte, die
er in die Jackentaschen stopfte. Schließlich verschwand er noch
einmal im Bad und kehrte mit einer extravaganten, glitzernden Halskette
zurück.
"Können wir jetzt los?" fragte Anshara.
"Ja."
"Gut. - Oh, ich bin ja schon soooo aufgeregt!"
"Tse", meinte Jean belustigt.
"Naja, was sagt er, was sage ich, was sagen die
anderen..."
"Woher soll ich das wissen? Mich beschäftigt eher, was
sage ich, wo ich dich her habe?"
"Aus dem Kaufhaus", entgegnete Anshara ohne nachzudenken.
"Haha!"
"Ist doch die reine Wahrheit..."
"Wer glaubt mir, daß ich dich in einem Kaufhaus
aufgegabelt habe?"
"Naja, warum sollte man es dir nicht glauben?"
"Weil das kein Grund ist, dich mitzunehmen. Da kann ich schon
eher die Sache mit dem Sofa erzählen."
"Das wirst du nicht! Das ist peinlich."
"Für mich nicht. Ich war schneller."
"Püh! - Aber was ist denn nun an dem Kaufhaus
schlimmes?"
"Du hattest kein Schild um. - Woher sollte ich wissen, was du
bist?"
"Ich bin doch einfach umwerfend, oder? Du hast mich einfach
als Snack mitgenommen, genau wie ich dich. Wo liegt das Problem?"
"Dann hätte ich auch zubeißen müssen."
"Du wolltest erst mit mir spielen."
"Und? Naja, ich wollte dann eben zuerst von dir ein
Schlückchen probieren, und du warst leider schneller. Aber das mit
dem Sofa erzählst du nicht!"
"Schade. Das wäre bestimmt ein paar Lacher wert."
"Püh", schmollte sie. Jean grinste.
"Nun komm. Ich denke mir schon was aus, falls überhaupt
einer fragt."
"Gut." Anshara folgte ihm brav.
"Außerdem ist der Prinz ein Ventrue, der hat sowieso
andere Interessen als eine Toreador-Dame."
"Zum Beispiel?"
"Geld und Macht. Und seine Brut."
"Wie öde", fand Anshara.
"Er ist öde, aber laß dir das bloß
nicht anmerken." In Jeans Augen war dieser mehr ein
Geschäftsman als alles andere und somit total uninteressant.
"Keine Sorge, ich werde ihn ganz hoheitlich behandeln."
"Gut."
"So, und wo steckt er nun?"
"In einem barocken Palast in Höchst. Wir nehmen ein
Taxi."
Sie riefen ein Taxi und stiegen ein. Das Fahrzeug brachte sie in
knapp einer halben Stunde zu der fürstlichen Residenz des Prinzen.
"Ich hoffe, du weißt dich angemessen zu benehmen",
äußerte Jean an Anshara gewandt, als sie vor dem Portal
standen.
"Das hoffe ich auch", meinte sie, nun erstaunlicherweise
eher kleinlaut, als sie die über die über 100 Meter lange
Straßenfront des Bolongaro-Palastes betrachtete.
"Ich habe nämlich keine Lust, hier achtkant wieder
rauszufliegen."
"Ich auch nicht." Jean musterte sie - sah man da nicht
eine gewisse Panik in Ansharas Blick? Gut, dann würde sie
hoffentlich vorsichtig vorgehen.
"Bringen wir es hinter uns", meinte er und schob Anshara
zur Tür. Sie sah ihn über die Schulter hinweg hochgradig
unbehaglich an, ehe sie die Schelle betätigte.
"Du wolltest hier hin", machte Jean sie gnadenlos
aufmerksam.
"Nein, du sagtest, ich müßte..."
Die Tür wurde geöffnet, und ein ziemlich grimmig
dreinschauender Typ musterte sie fragend.
"Bitte?"
"Ich - äh - möchte gerne bei dem ehrenwerten Prinzen
von Frankfurt vorstellig werden..."
Der Türöffner hob amüsiert die Augenbrauen. Aufgrund
der englischen Ansprache war zu vermuten, daß es sich um ein
reisendes Kainskind handelte, das die Jagderlaubnis in Frankfurt
benötigte. Aber er tat seiner Pflicht Genüge und fragte
lieber nach, natürlich ebenfalls auf Englisch.
"Wozu?"
"Es ist - äh - geschäftlich."
"Aha", meinte er. Sie versuchte, diskret zu sein. Ein
Pluspunkt. Der Türsteher trat zur Seite, um die beiden
einzulassen. Jean war noch schweigsamer als sonst und sagte momentan
erst einmal gar nichts.
"Danke", sagte Anshara huldvoll und stolzierte in den
Palast. Jean folgte ihr, während der Typ die Türe
schloß, um dann voranzugehen, um ihnen den Weg zu weisen. Anshara
sah sich interessiert um. Dieser Prinz schien nicht schlecht zu leben -
die Einrichtung war nur vom Feinsten und auch das nur aus der obersten
Preisklasse.
"Hier entlang, bitte." Der Typ öffnete eine Tür
und winkte sie herein. Anshara schwebte graziös hindurch. Sie
versuchte, die Fassung zu bewahren und möglichst elegant zu wirken.
Der erste Eindruck machte schließlich viel aus, und sie wollte
nicht wie der allererste Frischling hier hineinstolpern.
Jean wurde an der Tür aufgehalten, während Anshara sich in
einem Saal mit frühklassizistischen Wanddekoration und
Deckengewölbe befand, an dessen anderem Ende sich einige elegant
gekleidete Personen aufhielten. Sie blickte sich ein wenig unsicher um
- wo blieb nur Jean? Offenbar blockierte der Hausdiener die Tür
und ließ ihn nicht durch. Anshara unterdrückte ein
geschocktes Aufquietschen und biß die Zähne zusammen, wobei
sie dafür dankbar war, daß die Fangzähne nur dann
ausklappten, wenn sie beißen mußte. Ein wenig steif ging
sie auf die Versammlung der Vamp- pardon, Kainskinder zu.
Derweil diskutierte Jean lautstark mit dem Türposten, da er
ebenfalls hineinwollte. Das veranlaßte die Ansammlung am anderen
Ende des Raums, sich geschlossen umzudrehen, um festzustellen, was los
war.
Zu diesem Zeitpunkt war Anshara etwa auf der Mitte des Weges, wo sie
verharrte und noch einmal nachsah, ob Jean nicht doch noch kam, um ihr
zu Hilfe zu eilen. Das wäre ihr entschieden lieber, als all den
Leuten alleine gegenüberzutreten. Leider war Jean immer noch mit
dem Hausdiener beschäftigt.
"Oh, wir bekommen Besuch", sagte einer der jünger
erscheinenden Männer in der Gruppe am anderen Ende des Raumes. Als
sie den Kommentar hörte, beschloß Anshara, betont
schüchtern zu Boden zu gucken. Das wirkte meistens. Sofort verzog
auch ein Großteil der Leute - nämlich fast alle der
männlichen Anwesenden - das Gesicht zu einem Grinsen, das soviel
aussagen wollte wie 'ah, leichte Beute'. Anshara spähte vorsichtig
ein Stück nach oben.
"Guten Abend", sagte sie halblaut in dem Saal und
ärgerte sich, daß sie der deutschen Sprache (noch) nicht
mächtig war.
"Guten Abend", erwiderte der 'junge' Mann, der gerade
gesprochen hatte.
"Ich möchte gerne mit dem Prinzen sprechen",
erklärte Anshara mit vornehmer Zurückhaltung und
niedergeschlagenen Augen.
"Und was wollt Ihr von ihm?"
"Ich möchte ihn in einer - ä-hem! -
geschäftlichen Angelegenheit sprechen."
"Habt Ihr einen Termin?"
"Nein. Aber es ist dringlich!"
"Unzweifelhaft." Der Mann, ein blauäugiger
Blondschopf, der wie Anfang zwanzig wirkte, näherte sich Anshara.
Diese betrachtete angestrengt ihre Fußspitzen. Eigentlich
müßte sich ja flach auf dem Boden liegen, wenn dieser Prinz
wie ein Pharao zu behandeln wäre... "Wenn Ihr mir sagt, was
Ihr wollt, dann kann ich entscheiden, ob der Prinz Zeit hat."
"Äh, es geht um die Erlaubnis zur Jagd..."
"Aha", meinte der Blondschopf. "Wie wäre es,
wenn Ihr mir Euren Namen verrietet?"
"Anshara. Ich heiße Anshara."
"Und?"
"Und was? Nur Anshara. Ich komme aus Ägypten."
"Ihr seid von den Toreador?" stellte er eher fest, als
daß er fragte.
"Ja! - Woher wißt Ihr das?" Ziemlich erstaunt sah
sie ihn direkt an.
"Intuition."
"Oh." Sie guckte ihn groß aus ihren Bernsteinaugen
an, und er betrachtete sie amüsiert. Er war auch ein gutes
Stück größer als sie, aber nicht so groß wie Jean.
"Ich bin übrigens Chris - kurz für Christopher."
"Sehr erfreut, edler Herr."
Chris grinste. "Ich werde mal fragen, wie es um Eure Erlaubnis
steht", meinte er und ging durch eine andere Tür.
"Laß ihn rein", meinte er im Vorbeigehen zu dem
Türsteher, der immer noch mit Jean diskutierte, "sonst
läßt er aus Frust wieder etwas mitgehen." Jean guckte
ziemlich ärgerlich, schwieg aber lieber, als er den Saal betrat.
Anshara, die die Bemerkung auch gehört hatte, sah zu ihm
herüber und hob eine Augenbraue.
"Wieder?" fragte sie leise, als Jean zu ihr getreten war.
Er tat, als höre er nichts. "Jean...!" flötete sie.
"Was hast du 'mitgehen' lassen?"
"Ich lasse nie etwas mitgehen. Ich habe überhaupt nichts
gemacht."
"Die scheinen das wohl anders zu sehen." Als Jean mit den
Schultern zuckte, musterte Anshara ihn belustigt.
Der Türsteher beäugte ihn immer noch eindringlich, was
Jean nicht besonders zu behagen schien. Anshara beschloß,
ersteren etwas abzulenken und warf ihm einen ziemlich verbotenen Blick
zu. Leider reagierte er nicht darauf, sondern ließ Jean nicht aus
den Augen.
"Er kann mich einfach nicht leiden", seufzte Jean.
"Aber zum Glück mag Chris mich."
"So scheint es. - Nebenbei, welchen Clan gehört
eigentlich Chris an?"
"Ventrue."
"Hm. Sieht man ihm nicht an."
"Du hast doch noch nie einen gesehen."
"Das nicht, aber ich wundere mich, warum der sofort
wußte, welchem Clan ich angehöre. Wir haben länger
dafür gebraucht."
"Er hat geraten."
"Hm. Die Chancen waren 12:1 dagegen."
"Da ich mit dir gekommen bin, war es leicht. Schließlich
schleppe ich keine Clanfremden mit mir herum."
"Hm. Da hast du einen Punkt."
Eine der Ladies aus der Gesellschaft näherte sich Jean mit
wiegenden Schritten auf hohen Stöckelabsätzen.
"Hallo Jean", gurrte sie.
"Guten Abend, Camille", erwiderte er und sah die
blondgelockte Schönheit ein wenig ungeduldig an. Was wollte die
nur wieder? Anshara musterte die Lady stirnrunzelnd. Die sollte es
wagen, sich an Jean zu vergreifen! Immerhin hatte sie ihn erst
kürzlich zu ihrem Eigentum erklärt, da sie ihn noch brauchte,
um in all die Feinheiten des Kainskindseins eingeführt zu werden.
Camille hängte sich bei Jean ein.
"Du warst schon zwei Nächte nicht mehr hier", tadelte
sie.
"Ich hatte zu tun", verteidigte er sich. Er konnte
Camille nicht leiden, da sie ihm immer so unangenehm auf die Pelle
rückte, und um so mehr, wenn sie etwas von ihm wollte. Besorge mir
doch dies, schenke mir das, so ging es die ganze Zeit.
"Jean, wo willst du hin?" fragte Anshara pikiert und zog
ihn von dem ...Blondchen weg und manövrierte sich zwischen Camille
und ihm. Jean guckte mehr als irritiert. Was war denn nun los?
Anshara sah ihn betont tragisch an. "Du wolltest mich doch
beschützen", erklärte sie, ehe sie einen bösen Blick
zu 'Camille' herüberwarf.
"Wollte ich?" fragte Jean eher verwirrt. Camille
erwiderte Ansharas böse Blicke.
"Du hattest mir etwas versprochen", machte sie Jean
aufmerksam.
"So?" fragte Anshara Camille mit vernichtendem Unterton.
Die war doch bestimmt auch eine Ventrue und hatte somit nichts an Jean
zu schaffen.
Inzwischen war Chris zurückgekehrt.
"Miss Anshara, der Prinz gibt Euch die Erlaubnis." Zu Jean
gewandt fuhr er fort: "Was hast du denn heute wieder
angestellt?" Er sah von Anshara zu Camille und zurück.
"Ich? Überhaupt nichts. Warum soll ich eigentlich immer
etwas gemacht haben?" wollte Jean wissen.
"Das ist überaus aufmerksam vom Prinzen", meinte
Anshara erfreut und warf Chris einen hinreißenden Blick zu.
"Bitte sagt ihm meinen tiefempfundenen Dank."
"Werde ich tun", entgegnete Chris, ehe er sich an
Blondlöckchen wandte. "Camille, ich bin sicher, Andreas
vermißt deine Gesellschaft schrecklich." Er drehte sie um und
gab ihr einen leichten Schubs in Richtung auf einen braunhaarigen Mann.
"Danke", strahlte Anshara Chris an, ehe sie sich wieder zu
Jean gesellte.
"Ich will hier keinen Ärger", eröffnete Chris.
"Leider ist dieser üblicherweise unvermeidbar, wenn Jean hier
auftaucht."
"Ist das so? Ich finde ihn eigentlich ziemlich harmlos",
fand Anshara.
"Meist", meinte Chris amüsiert, was ihm einen
bösen Blick von Jean einbrachte. "Aber man sollte nachher auf
jeden Fall sicherheitshalber das Silber zählen."
"Ts ts." Anshara warf ihm einen belustigt-tadelnden Blick
zu.
"Jetzt hör aber mal auf", protestierte Jean.
"Es ist über dreihundert Jahre her, seitdem ich Tafelsilber
geklaut habe." Chris grinste bloß.
"Ah, jetzt verstehe ich, warum du sagtest, du machst dir
über deine Finanzen keine Gedanken", sinnierte Anshara. Jean
murmelte etwas vor sich hin.
"Ich würde nichts von Wert herumliegen lassen, wenn er in
der Nähe ist", riet Chris ihr.
"Keine Sorge, ich habe Kreditkarten mit Geheimnummer."
"Da besteht wohl keine Gefahr", stellte Chris fest.
"Es reicht langsam", beschwerte sich Jean. "Oder
soll ich hier mal verkünden, womit du deinen Lebensunterhalt
bestritten hast?"
"Huch", machte Chris und grinste über das ganze
Gesicht. "Das kommt davon, wenn man beim falschen Verein anheuert,
das sage ich dir ja schon jahrelang."
"Womit habt Ihr denn Euren Lebensunterhalt
verdient", fragte Anshara und sah Chris erwartungsvoll an.
"Laßt Euch das von Jean erzählen. Der war
länger da."
"So?" Anshara wandte sich an diesen und klimperte mit den
Wimpern.
"Ich würde dir zu gerne den Hals umdrehen", sagte
Jean zu Chris. Dieser grinste ihn unverschämt an.
"Das könntest du nie!"
"Oooooch, Jean..." bat Anshara und schmiegte sich an ihn.
"Ihr seid allesamt Sadisten", fand Jean.
"Och, jetzt hat er uns durchschaut." Chris zwinkerte
Anshara zu.
"Ich bin bestimmt keine Sadistin", schmollte sie mit ihrem
besten Unschuldsblick.
"Eher ein Klammeraffe", maulte Jean.
"Tse, du bist heute aber schlecht gelaunt", erwiderte
Chris.
"Ich bin kein Klammeraffe, ich bin eine arme, schwache Frau,
die deines Schutzes bedarf", säuselte sie.
"Dabei soll sie doch nur für mich nachsehen, ob du nicht
wieder was eingesteckt hast", meinte Chris vergnügt.
"Ich weiß ja, wie du es haßt, wenn ich das mache."
"Was soll ich?" fragte Anshara irritiert, dann guckte sie
belustigt. "Ach so..." Sie begann mit einer
ausführlichen Leibesvisitation bei Jean, dem das überhaupt
nicht gefiel.
"Ich glaube, mir ist es doch lieber, wenn du das machst, wenn
es denn unbedingt sein muß", wandte er sich an Chris.
"So?" Chris hob amüsiert die Augenbrauen. Das waren
ja ganz neue Töne. Anshara guckte leicht schmollig.
"Hast du wenigstens etwas gefunden?" fragte Jean ziemlich
gestreßt.
"Nein, leider nicht", seufzte sie. Chris lachte.
"Das erstaunt mich aber." Er angelte nach der glitzernden
Kette, die Jean um den Hals trug. "Und wo hast du die her?"
"Gekauft", maulte Jean.
"Wie öde."
"Ich kann ja gerne noch mal nachgucken", schlug Anshara
vor. Jean warf ihr einen Blick zu, bei dem eigentlich der Erdboden
unter ihr hätte nachgeben müssen. Sie ließ sich davon
aber nicht im mindesten beeindrucken. "Soviel Schönheit, wie
du eingebaut mit dir herumträgst, muß doch ausgiebig erkundet
und bewundert werden", fand sie.
"Laß das ja bleiben", warnte er.
"Seit wann stellst du dich so an?" wollte Chris wissen.
"Sonst hattest du doch nie was dagegen."
"Genau", echote Anshara. "Warum stellst du dich so
an?"
"Ich bin kein Gegenstand!"
"Habe ich das behauptet?"
"Er hat heute seinen schlechten Tag", meinte Chris
belustigt. "Ich muß Euch jetzt verlassen, ich habe noch
einiges zu tun."
Anshara winkte ihm fröhlich zu. "Bis dann."
"Tschau", meinte Chris und kehrte zu den anderen Ventrues
zurück.
"Der ist niedlich", fand Anshara. "Aber offenbar
ziemlich beschäftigt."
"War Chris schon immer." Er hatte sich in den letzten 326
Jahren kein bißchen verändert.
"Was hat er denn früher beruflich gemacht?"
Jean zuckte mit den Schultern. "So dies und das."
Eigentlich war Chris ein englischer Student gewesen, der zu
Bildungszwecken Europa bereiste. Doch in Paris war ihm dann das Geld
ausgegangen. Jean hatte ihn kennengelernt, als er versucht hatte,
dessen Geldbörse zu klauen. Natürlich war es ihm gelungen,
nur war diese absolut leer gewesen.
"Hm. Mir kam es vor, als ob du auf etwas Bestimmtes angespielt
hattest."
"Er wußte schon, was ich meine." Chris hatte damals
versucht, eine Arbeit zu finden, was nahezu unmöglich war, denn wer
wollte schon einen Fremden einstellen, dem man zudem ansah, daß er
aus der obersten Gesellschaftsschicht stammte. Ein paar Mal hatte er
dann auch im Les Belles ausgeholfen, dem Bordell, in dem Jean seinen
Lebensunterhalt verdiente. Allerdings war er mit seinen 24 Jahren
für die dort verkehrende Kundschaft zu alt. Auf jeden Fall waren
Jean und er Freunde geworden, und diese Freundschaft hatte auch
überstanden, daß sie nun beide zu den Kainskindern
gehörten.
"Ich weiß es aber nicht", schmollte Anshara.
"Mußt du es denn wissen?"
"Ja."
"Dann frag ihn doch."
"Er sagte aber, ich sollte dich fragen."
"Weil er weiß, daß ich nichts dazu sage. Immerhin
habe ich es ihm versprochen. Außerdem ist das alles zu einer
anderen Zeit, in einem anderen Leben gewesen."
"Oh. Aber es würde mich doch einmal interessieren",
beharrte sie.
"Chris erzählt dir bestimmt gerne von den ganzen
Abenteuern, die er damals erlebt hat."
"Ooooch, Jean", bat Anshara, "erzähle mir doch
von deinen Abenteuern."
"Mir ist doch nichts besonderes passiert."
"So, du hast also immer nur zugeguckt, wenn Chris etwas erlebt
hat?"
"Wenn ich dabei war", sagte Jean zustimmend. "Meist
war ich anderweitig beschäftigt."
"Hm. Und wie?"
"Warum willst du das denn alles wissen?"
"Pure, weibliche Neugierde."
"Ich war früher mal ein Dieb", erzählte Jean
schließlich.
"Das klingt ja überaus interessant! Was hast du denn so
alles geklaut?"
"Was mir gefiel."
"Das ist ja aufregend! Und man hat dich nie erwischt?"
"Natürlich nicht. Sonst wäre ich wohl kaum
hier."
"Wow", machte Anshara. "Bringst du mir das auch
bei?"
"Heutzutage ist das viel zu schwierig", wehrte er ab.
"Schade. Dabei sind gerade heute schöne Sachen immer so
exorbitant teuer."
"Das ist wahr", nickte Jean und spielte mit seiner Kette
herum.
"Aber vielleicht lassen sich dennoch Mittel und Wege
finden..."
"Hm", machte er.
"Meinst du, es ist so schwierig?"
"Es geht."
"Dann bringe es mir bei", forderte sie.
"Ablenkung ist alles", erklärte Jean.
"Ah, das ist einfach." Anshara setzte ihr bezauberndstes
Lächeln auf.
"Eben", meinte er belustigt und zog eine Geldbörse
aus seiner Tasche.
"Wem gehört die denn?" fragte Anshara leise.
"Chris."
"Oh." Sie kicherte. "Ich dachte, der kennt
dich."
"Sicher. Aber ich habe sie mitgenommen, weil er mich
geärgert hat."
"Komisch, ich habe das gar nicht bemerkt."
"Du warst auch damit beschäftigt, mich zu
durchsuchen."
"Oh. Naja, es hat halt Spaß gemacht. - Jean, das mit
dem Stehlen mußt du mir beibringen. Das ist echt
praktisch."
"Ich weiß. Aber ich sollte das jetzt besser
zurückgeben." Er spielte mit der Börse herum, ehe er zu
Chris ging und sie ihm feierlich überreichte. Chris guckte
reichlich verdattert, und Jean grinste ihn an, bevor er sich eilig aus
dem Staub machte. Anshara fand das ziemlich witzig.
"Ich glaube, ich gehe jetzt lieber", wandte Jean sich an
sie.
"Und ich glaube, ich komme mit", sagte sie.
Die beiden machten sich aus dem Staub. Beim Verlassen des Hauses
drückte einer der Ventrue Jean noch einen Zettel in die Hand.
Next chapter Back
to the Vampires' Den
|