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Es gibt kaum etwas traurigeres, als sich von guten Freunden zu trennen. Nur die Hoffnung auf ein Wiedersehen kann den Schmerz mildern. Aber wenn uns irgendwann einmal die Phantasie verläßt, dann sind wir wirklich unwiderruflich verloren. Also laßt euch niemals von dem Dämonen auf eurer Schulter unterkriegen, kämpft gegen alle Schranken, die die Flügel der Phantasie stutzen können. MP 2004/2005©
Through trust or embarrassment or disgrace You should know, his side is still your place In eternity alone can be long Giving in to weakness can be ultimately strong Kolyas Genesung schritt überraschend schnell voran. Schon am nächsten Tag konnte er sich einigermaßen aufsetzen und endlich auch wieder was essen. Er erinnerte sich nur noch an unsere Unterhaltung auf der Veranda des Gasthauses, danach setzte sein Gedächtnis erst wieder ein, als er Gabriel und mich vor sich gesehen hatte. Er wußte nichts von meiner Beteiligung an seiner Heilung und Gabriel verriet mich nicht. Wenn einer der anderen etwas ahnte, sagte keiner was, obwohl Charon mich mehrmals fast fragend ansah. Cesira war beinah ständig bei Kolya zu finden, sie tauschten Geschichten über ‚Heldentaten’ aus und fochten lange Rededuelle, oft mit recht zweideutigen Inhalten und ohne Rücksicht auf eventuell peinlich berührte Anwesende. Da hatten sich zwei gefunden… Und am darauf folgenden Tag, schon Mittwoch nach dem Überfall, traf ein wahrer Trupp von Männern in Bouviers Haus ein. Zum Teil waren es Gabriels Leute, ich erkannte einige seiner Bodyguards, aber auch Bouvier hatte nach Verstärkung geschickt. Die Zimmer in der alten Fabrik waren mittlerweile alle belegt. Das kleine Flugfeld war in Betrieb genommen worden und inzwischen standen schon vier Flugzeuge hier und es sollten noch mehr kommen. Auch die zweite Frau aus dem ‚Fluch des Blutes’ war hierher gebracht worden. Phelia war ihr Name und auch sie war groß und kräftig aber sehr schweigsam. Einer von Charons Männern, Nicolas, übernahm ihre Pflege persönlich. Doch auch sie war auf dem Wege der Besserung, wenn auch noch lange nicht wieder in Bestform. Überall im Haus herrschte ein geordnetes Chaos und es fand sich kaum ein Ort für ein paar ruhige Minuten. Die Unstimmigkeiten zwischen Gabriel und Bouvier schienen beseitigt und mein Rabe ging wieder öfter lächelnd durch die Gegend. Alles war so normal, wie es bei diesen Männern nur sein konnte. Und für den nächsten Tag war die Abreise angesetzt. Wie geplant, würden Bouvier und Liobá uns begleiten, aber da eine Geheimhaltung nicht mehr notwendig war, würde auch Charon mit seinen Leuten mit uns fliegen. Es würde mehrere Hin- und Rückflüge mit den kleinen Maschinen geben, bis alle Leute nach Vancouver geschafft waren. Und ein größeres Flugzeug wurde bestellt, denn wir waren einfach viel zu viele Leute für einen kleinen Learjet. Mit dem ersten Flug wurden die Verletzten nach Vancouver gebracht und schon einige der Aufpasser. Wir flogen in der dritten Maschine, vor und nach uns kamen weitere Bodyguards von Gabriel und auch einige von Bouviers Leuten. Nur der Abschied von Ice fiel mir schwer. Aber er konnte uns nicht begleiten. Nach und nach fanden wir uns alle in einer separaten Wartehalle des riesigen Flughafens ein. Und dann stockte alles. Unsere Maschine, eine komplett umgebaute Boeing, stand da und wartete auf uns. Aber davor stand der Zoll und die kanadischen Kontrolleure reagierten – so sagte man uns – sehr empfindlich auf Waffen. Und damit waren wir bestens ausgerüstet. Bouvier schaute mit wachsender Nervosität auf seine Uhr und auch die anderen Mitglieder der Oscuro wurden unruhig. Es konnte nicht mehr allzu lange bis zur Dämmerung dauern. Unsere Beschützer begannen über einen kurzfristigen Rückzug in dunkle Gefilde zu diskutieren. Noch immer schienen wir zu warten, worauf wußte ich nicht aber es mußte bald etwas passieren. Sonst mußten wir entweder ohne Waffen abreisen, oder… ja, was, zurück zu Bouviers Haus? Kurz bevor unsere Bewacher alles packen wollten, traf ein kleiner rundlicher Mann mit beginnender Glatze und heller Aura ein. In seiner Hand ein Attaché-Koffer. Damit steuerte er zielstrebig auf den Zollbeamten zu, der uns schon eine ganze Weile mit wachsendem Mißtrauen beobachtet hatte. Der Unbekannte kramte in seinen Unterlagen und legte dem Zöllner einen Stapel Papiere vor. Das unmutige Gesicht wurde noch finsterer. Es entstand eine geflüsterte Diskussion. Endlich wurden beide etwas lauter. „Wie ich schon sagte, das Flugzeug und diese Gesellschaft reisen unter diplomatischer Immunität der britischen Regierung. Die Papiere sind explizit, vollständig und bedürfen keiner weiteren Erklärung.“ Also, das war der Trick. Wenn es dem Mann hinter der Schranke auch nicht paßte, am Ende mußte er sich geschlagen geben. Wir alle durften ohne weitere Kontrollen durch die Sperre in die Maschine. Gerade, als draußen erste Details zu erkennen waren, schloß sich die Tür hinter uns. Mit einem erleichterten Gesicht ließ Bouvier sich in einen der Sessel sinken. „Puh, das war wirklich eng.“ Das Flugzeug war groß genug, daß sich alle gemütlich niederlassen konnten und schnell bildeten sich in verschiedenen Bereichen Gruppen. Wir wurden mit Getränken versorgt und nachdem die erste Aufregung abgeklungen war, starteten auch einige Unterhaltungen. Bouviers Männer waren im hinteren Teil des Flugzeuges versammelt, Gabriels Leute vorne, dazwischen saß unsere Bande. Kolya war auf Kissen gelagert und natürlich war Cesira wieder ganz in seiner Nähe. Die Sitzreihen waren an den Wänden des Flugzeuges angebracht, so daß wir uns alle in einem großen Kreis gegenüber saßen, der von einem Tisch mit Getränken ausgefüllt war. Ich kuschelte mich in Gabriels Arm, während Liobá es sich neben Bouvier gemütlich machte. Auch Charon und seine Leute leisteten uns in der Runde Gesellschaft. Die Unterhaltung war eher uninteressant und nach einiger Zeit des Zuhörens fragte ich leise meinen Raben: „Sag mal, Gabriel, hat irgend jemand mal darüber nachgedacht, wie Dezmont uns finden konnte, und das auch noch so schnell? Immerhin wußte niemand, daß Charon den Ratsschluß nicht akzeptiert hatte.“ Gabriel setze sich etwas auf und schaute in die Runde. Die meisten hatten die Frage gehört und ein kurzes Schweigen breitete sich aus. Dann meinte der noch immer etwas schwach klingende Kolya: „In dem Zusammenhang wäre eine andere Frage auch passend.“ Er wand sich direkt an Charon: „Als ihr in Nathaniels Haus kamt, wußtet ihr, daß wir dort waren. Wie seid ihr an dieses Wissen gelangt?“ Und Gabriel fügte, mit einem leichten Grinsen hinzu: „Ihr hättet uns eigentlich in Rumänien suchen sollen.“ Charon sah uns einige Zeit überlegend an, dann meinte er ruhig: „Nun, wir waren tatsächlich auf dem Weg nach Rumänien. Offensichtlich folgten wir dorthin einer Ablenkung. Aber dann erreichte mich eine Nachricht von Fenian, die uns direkt zu Nathaniels Insel bestellte. Er sagte mir, daß ihr im Congregat gewesen seid und von dort aus den Didelphis aufsuchen wolltet.“ Wir sahen uns überrascht an. Also war er gar nicht unserer Spur gefolgt. Aber woher konnte Fenian das wissen. Wieder fragte Kolya: „Weißt du noch, wann genau du diese Informationen bekommen hast? Das könnte uns was über die Quelle verraten.“ Und zu unser aller Überraschung zog Charon ein etwas größeres Handy aus der Tasche und tippte auf den Tasten herum. Schweigend starrten die Männer ihn an. Er bemerkte die entsetzten Blicke und grinste: „Ja, ja, ich weiß, ihr traut den Dingern nicht. Aber ich hab modernste Technik, mit Scrambler und allen möglichen anderen Schnickschnack. Also, der Anruf kam am Samstag, den 20. März. Wir mußten erst unsere Rückreise organisieren, so daß wir erst Montag Abend auf der Insel ankamen und einige Zeit brauchten, um uns zu erholen.“ Gabriel schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollten wir unsere Einstellung wirklich mal überprüfen, LaVerne schimpft auch schon immer. Aber im Moment macht mir Sorge, daß du so kurz nachdem wir das Congregat verlassen haben, informiert wurdest. Das läßt eigentlich nur einen einzigen Schluß zu, der mir gar nicht gefällt. Zu dem Zeitpunkt wußten nur die Leute dort, daß wir direkt zu Nathaniel fahren wollten.“ „Ich glaube nicht, daß Gideon etwas verraten hat, seine Gefühle gegenüber der Oscuro schließt eigentlich alle Mitglieder ein. Außerdem klangen seine Worte in der Richtung auch durchaus ehrlich.“ Ich wunderte mich, daß ich ihn verteidigte, aber ich glaubte nicht wirklich, daß es seine Schuld war. „Nein, das glaube ich auch. Aber von dem Beschluß wußte jeder im Congregat, auch davon, daß wir Nathaniel aufsuchen wollten. Jeder von denen kann Fenian informiert haben.“ Stimmte Gabriel mir zu. Und Charon ergänzte noch: „Vielleicht, aber ich glaube nicht, daß Fenian seine Informationen vom Congregat erhalten hat. Viel mehr denke ich, daß die Informationen direkt zu Dezmont gegangen sind und der dann den Scuro informiert hat. Dezmont hat überall seine Spione, warum also nicht auch jemanden ins Congregat einschleusen. Es wäre logisch und offensichtlich auch lohnend.“ Wieder schwiegen wir alle. Dann mischte sich Bouvier in die Unterhaltung ein. „Gut, gehen wir davon aus, daß irgend jemand im Congregat Dezmont informiert hat, daß ihr zu Nathaniel fahrt. Aber die Insel ist abgeschlossen und für einen Spion wäre es schwer, sich dort einzuschleichen. Also konnte immer noch niemand wissen, was dort vorgefallen ist. Und dennoch hat Dezmont am Ende die Sache selbst in die Hand genommen. Er hat nicht gewartet, daß der ‚Fluch des Blutes’ in Aktion tritt, sondern selber versucht, sein ‚Problem’ in den Griff zu bekommen.“ „Richtig, aber etwas wußte er nicht: daß Charon sich auf unsere Seite gestellt hat, sonst wäre sein Angriff nicht gescheitert.“ Der Punkt ging an Gabriel. Wieder schwiegen wir uns eine Weile an. Diesmal dauerte es, bis irgend jemand sprach. Und zum ersten Mal mischte sich Aaron in die Unterhaltung. Ich glaube nicht, daß ich ihn bisher schon gehört hatte: „Wir müssen erst mal ausklammern, wie er es nicht erfahren hat. Nathaniel wird es ihm nicht gesagt, oder jemand anderen informiert haben. Wir waren es auch nicht, Charon hat sein Wort gegeben und das zählt. Ihr werdet euch kaum selber verraten haben, das schließt Bouvier und seine Freundin mit ein. Was bleibt dann noch?“ Er machte eine Pause und sah uns an. Soweit konnten wir seinen Gedankengängen folgen. Als von uns keine Antwort kam, fuhr er selber fort: „Er hat es nicht gewußt, sondern hat euch beobachten lassen und dann beschlossen, nicht zu warten, bis wir handeln. Dabei hat er nicht gut genug beobachtet, sonst wäre ihm aufgefallen, daß wir dort waren, aber nicht gehandelt haben“ Nun, das war zumindest eine Erklärung. Wahrscheinlich gab es vorerst keine Möglichkeit, daß wir uns sicher sein konnten. Und das war bestimmt nicht beruhigend. Ich sah zu Gabriel, der meinen Blick richtig deutete und seine Hand auf meine legte. „Wir haben gelernt, so etwas wird nicht wieder vorkommen. Wir wissen jetzt, daß wir auch gegenüber dem Congregat Vorsicht walten lassen müssen. An dem Ort, zu dem wir jetzt reisen, sind wir absolut sicher. Schon alleine wegen der vielen Freunde, die dort auf uns warten. Und bei Mikail müssen wir diese Sache endgültig beenden. Wir werden ergründen, was für ein Geheimnis in dir steckt und wir werden uns mit Dezmont beschäftigen. Endgültig. Ich habe genug!“ Die letzen Worte hatte er lauter und mit mehr Nachdruck als üblich gesagt. Alle wurden aufmerksam und sahen zu ihm rüber. Das klang nicht wie einfach dahergesagt, das war eine Feststellung des Kader. „Das hat aber lange gedauert, bis du dich dazu entschlossen hast.“ Diese Worte kamen gerade von Kolya, wobei klar war, was er meinte. Und erntete dafür einen vorwurfsvollen Blick des Raben. Aber die anderen sahen ihn weiterhin fragend an, also ergänzte er mit einem schiefen Lächeln: „Er hat ja recht, ich habe wirklich lange gezögert, ob ich mich richtig mit ihm anlegen will. Ich will nicht Schuld sein, wenn am Ende Blut zwischen den Zirkeln fließt. Aber er nimmt auch keine Rücksicht darauf und er hat jetzt die Grenze überschritten.“ Bei diesen Worten drückte er wieder meine Hand und sah Kolya an. Der nickte nur, sehr ernst und ohne das übliche Lächeln. Die Stimmung im Flugzeug hatte sich verändert. Es gab keine lustigen Unterhaltungen, wenn geredet wurde, waren die Stimmen gedämpft. Einige Zeit saßen wir schweigend in der Runde. Dann stand Liobá auf und setzte sich zu Gabriel und mir. Sie sprach meinen Raben direkt an: „Sag mal, Gabriel, Bouvier hat mir erzählt, daß dieser Charon der Führer des ‚Fluch des Blutes’ ist. Aber in der ganzen Aufregung hatte ich vergessen, daß ich nachfragen wollte. Würdest du mir erklären, was das bedeutet, ich hab seine Erklärungen irgendwie nicht so richtig verstanden. Und Charon selber mag ich nicht fragen, irgendwie finde ich den einschüchternd.“ Gabriel grinste. „Klar, ich denke, er war nicht so ganz bei der Sache, ist ja auch viel los gewesen.“ Und weil ich die Geschichte ja schon kannte, stand ich auf und setzte mich zu Bouvier auf den Platz, den Liobá grad geräumt hatte. Da war noch was, was ich ihn fragen wollte. Aber Bouvier kam mir zuvor. „Ich danke dir, daß du mich im Wald geschubst hast. Ich hatte mich wohl ziemlich in meine Schuldgefühle hineingesteigert. Gabriel hat mir deutlich klar gemacht, daß die Schuld nicht bei uns zu suchen ist, sondern in Dezmonts Taten. Wenn ich das auch etwas anders sehe, am Ende stimmt es, der Weiße Drache ist die Ursache für das ganze Dilemma.“ Ich lächelte und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Bouvier, ich wollte dich auch mal was fragen. Du bist jetzt der dritte Kader, den ich kennen gelernt habe. Bei den anderen war immer der Kaj in der Nähe. Ich habe deinen noch gar nicht gesehen, noch nicht mal seinen Namen gehört. Was hat es damit auf sich?“ Sein Gesichtsausdruck ließ erkenne, daß ich da einen unangenehmen Punkt erwischt hatte. Nur wieso? „Tja, also … das ist eine etwas dumme Geschichte. Ich habe sozusagen nicht aufgepaßt. Er ist mir irgendwie abhanden gekommen.“ Ich sah ihn verwundert an. Kolya, der seine Ohren neuerdings überall zu haben schien, rief etwas lauter durch die Kabine: „Sozusagen.“ Bouvier rutschte etwas auf seinem Sitz herum, sah Kolya nicht gerade begeistert an aber fuhr dann fort: „Ich glaube, ich muß etwas weiter ausholen. Du weißt ja, daß ich völlig anders als Gabriel bin. Der ist ein emotionales Wesen, voller Herz, das er deutlich zeigt. Wenn er jemanden mag, umgibt er diese Person mit seiner Liebe und seiner Zuneigung, ohne Kompromisse. Bei mir ist das anders. Ich zeige meine Zuneigung nicht unbedingt in dieser Form. Ich bin wesentlich kontrollierter, zeige meine Gefühle nicht so schnell und wirke dabei schnell kühl und unnahbar. Ich versuche mich in der letzten Zeit zu ändern, und ob du es glaubst oder nicht, Leute wie du, Gabriel und Liobá helfen mir dabei.“ Wieder machte er kurz Pause und sah zu Kolya rüber, der noch immer seine Ohren in unsere Richtung gespitzt hatte. „Nun, ich hatte einen Kaj, natürlich. Ruben hieß er, nein, heißt er eigentlich noch immer. Allerdings waren wir nie so eng verbunden, wie Gabriel und Kolya zum Beispiel. Kolya wurde durch Gabriel gewandelt, das schafft eine sehr tiefe Bindung, die Ruben und ich nie hatten.“ Ich warf Kolya einen Blick zu, der nur lächelte, aber ein verträumtes Lächeln. Irgendwann würde ich ihn auch danach fragen. Es gab noch so viel zu wissen… Bouvier hatte sich nicht unterbrochen, aber er klang ein wenig gedrückt. „Er war sicher ein guter Kaj, aber ich habe das wohl nie richtig gezeigt und dann hat er eine Gefährtin gefunden. Leider aus einem anderen Zirkel. Und anstatt ihm zu sagen, wie viel mir an ihm liegt, habe ich ihn mit ihr gehen lassen. Ich habe seinem Verlassen meines Zirkels zugestimmt und damit einen Freund und Vertrauten verloren – wegen meiner Sturheit und weil ich dachte, ich käme auch ohne ihn zurecht. Ich hatte recht und unrecht. Denn ich kam sicher ohne ihn zurecht, aber er fehlte mir, ich hatte etwas Wertvolles verloren.“ Kolya nickte. „Sicher, du bist der einzige Kader weit und breit, der jetzt schon Jahrzehntelang keinen Kaj hat. Du siehst ja, was dabei rauskommen kann. Und es ist sicher keine Voraussetzung, daß du den Kaj wandelst. Eher doch eine Ausnahme. Der wichtige Teil ist und bleibt das grenzenlose Vertrauen und die tiefe Freundschaft. Und so was kann zum Einen nur wachsen aber es bedarf auch genau dem, was du vorhin gesagt hast: das Herz um zu zeigen, was man für den anderen fühlt. Na, vielleicht wird ja jetzt doch noch was aus dir.“ Das war eine interessante Lektion in Sachen Freundschaft gewesen. Und bestätigte nur meine Beobachtungen über die spezielle Beziehung, die Kolya und Gabriel verband. Und wie ich es beim Tanzen schon gefühlt hatte, Bouvier war der kühle, kontrollierte Mann. Und damit war die kluge aber eher gefühlsbetonte Liobá vielleicht genau das Richtige für ihn. Bouvier schien am Ende der Geschichte angekommen zu sein. Er antwortete auf Kolyas Bemerkung: „Nun, es fallen auch selten so gute Leute wie du zum Beispiel vom Himmel,. Und ein Mann kann sich nicht so einfach ändern. Manchmal weiß ich einfach nicht, wie ich zeigen soll, was ich fühle. Denn das Herz ist ja dabei, nur merkt man es eben nicht.“ Kolya grinste ziemlich gemein, als er antwortete: „Nun, im Moment hast du doch wohl eindeutig jede Menge Leute um dich, die es dir vorleben. Schau einfach zu und lerne und außerdem hast du ja Liobá bei dir, die hilft dir bestimmt.“ Er hatte das richtige gesagt. Bouvier warf einen liebevollen Blick zu der Frau, die gerade herzhaft über etwas lachte, was Gabriel gesagt hatte. Für den Moment war ich zufrieden mit den Antworten. Aber ich sollte mir mal eine Liste machen mit Dingen, die ich die Leute noch fragen wollte. Nur gut, daß wir nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten rechneten, sonst würde die Zeit noch knapp werden… Wie angekündigt, machten wir einen Zwischenstop in England. Einige unserer Begleiter der Nadiesda Thurus verließen das Flugzeug, während unsere Maschine aufgetankt und die Piloten ausgetauscht wurden. Einer von Bouviers Männern brachte einen Boten an Bord. Dieser übermittelte uns Grüße von Sir Rodenby und erkundigte sich angelegentlich, ob die ‚Sache’ mit den Reisepapieren geklappt hätte. In lebhaften Farben wurde ihm von den Aufpassern die ganze Episode berichtet. Obgleich es kein Vorwurf war, meinte der Gast, sich verteidigen zu müssen: „Ja, was denken sie denn hier alle, so was ist doch keine Kleinigkeit. Wir hatten nur wenige Tage für die Anträge und sobald man mit Behörden zu tun hat, geht alles im Schneckentempo. Sir Rodenby hat wirklich alle Verbindungen spielen lassen, um alles zu arrangieren. Und sie werden auch auf dem Rest des Fluges keinerlei Probleme bekommen, bis nach Rumänien.“ Wir alle beruhigten ihn und machten unsere Dankbarkeit sehr deutlich. Denn in Wahrheit war es eine Meisterleistung, die der alte Lord da vollbracht hatte. Nicht nur, daß alle phantastisch wohnten, viele hatten auch noch die unglaublichsten Verbindungen. Zufrieden zog der Mann daraufhin wieder ab, mit Grüßen an den Lord versehen und dem Versprechen, uns dort bei Gelegenheit wieder blicken zu lassen. Und einige Zeit später tauchten unsere verschollenen Mitflieger auf und dann ging es auf den letzten Teil des Fluges. Jetzt war es nicht mehr weit und plötzlich packte mich eine leichte Nervosität. Bei genauer Überlegung fand ich schnell den Grund dafür. Ich kehrte auf meinen Platz an Gabriels Seite zurück und wartete, bis er seine Unterhaltung mit Aaron beendet hatte, die nach Liobá’s Rückkehr an Bouvier’s Seite begonnen hatte. Er bemerkte schnell, daß mir was auf der Seele lag und strahlte mich mit einem ungewohnt heiteren Blick an. „Wieso bist du so gut gelaunt, Gabriel?“ Das war nicht die Frage, aber auf jeden Fall auch interessant. Er zog mich einen Moment wortlos an sich, drückte mich kräftig und ließ mich dann wieder soweit los, daß ich einigermaßen atmen konnte. „Erinnerst du dich noch, kurz bevor wir zum Jahresfest aufgebrochen sind, war meine Stimmung ähnlich. So geht es mir immer, wenn ich meinen Bruder und gut Freunde sehe. Und dieses Mal sind so viele schon dort und außerdem Mikail und Berenice. Ich kann es kaum noch erwarten, sie alle wieder in die Arme zu schließen.“ „Das sehe ich, mein Rabe. Es ist schön, wenn du so viel Freude und Begeisterung ausstrahlst. Dann wird der Raum wärmer und du reißt alles um dich mit. Aber ich wollte dich was fragen…“ Er schaute mich verwundert an. „Du bist nicht angesteckt, meine Schwarze Rose. Du wirkst traurig? Nein, das ist es nicht… angespannt. Dabei triffst doch auch du dort so viele Freunde. Was ist los?“ Ich wußte nicht genau, wie ich anfangen sollte. Vielleicht war mein Gedanke ja auch dumm, aber ich wollte es wenigstens irgendwie los werden. „Ach, Gabriel, es ist ja möglicherweise albern, aber … erzähl mir von deiner Mutter, was muß ich erwarten.“ Jetzt war er wirklich überrascht. „Deshalb machst du dir Sorgen? Das kann doch nicht wahr sein.“ – „Wieso nicht?“ fragte ich leicht indigniert zurück. „Immerhin bin ich in dein Leben eingedrungen…“ Er vollendete den Satz „… und hast mich ihr weg genommen, was? Glaubst du das wirklich?“ Ich hatte nicht vor gehabt, diese Unterhaltung mit Gegenfragen zu bestreiten. „Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Gabriel. Ich habe bisher nur ihren Namen gehört und daß sie zu einem anderen Zirkel gewechselt ist, und dort ein zweites Glück gefunden hat. Wie soll ich also wissen, wie sie auf mich reagiert.“ Und dann drückte er mich wieder, anstatt zu antworten. Das war ja sehr nett und lenkte auch ordentlich ab, war aber keine Antwort. Meine Reaktion war wohl deutlich genug, denn er grinste, ließ mich wieder los und antwortete endlich: „Berenice – unsere Mutter – ist eine wundervolle Frau. Sie ist mittlerweile selbst für unsere Verhältnisse schon recht alt, aber noch immer voll im Leben. Sie lacht gerne, hat ein Faible für Hunde und eine Leidenschaft für Bücher und Musik, die wir wohl geerbt haben. Was kann ich erzählen, um dich zu beruhigen, meine Rose? Mein Vater – Stratos Saroka – war ein starker Mann und sie war stets sein Ausgleich, sein Herz. Natürlich liebte sie uns. Manchmal hat sie sich einen Spaß daraus gemacht, so zu tun, als würde sie uns verwechseln. Das wäre ihr nie passiert, aber wir sind mehr als einmal darauf herein gefallen. Sie hat sich immer für uns gewünscht, daß wir unser Glück finden. Nicht mehr, nicht weniger. Für unseren Vater war der Zirkel das Maß aller Dinge, aber für unsere Mutter nicht, für sie war das Leben an erster Stelle. Nicht, daß sie uns kein Verantwortungsbewußtsein gelehrt hätte, aber eben auch die Verantwortung für uns selber. Sie lebte schon in Rumänien, als Nehenia starb, aber am nächsten Tag war sie hier. Sie konnte nichts tun, um den Schmerz zu lindern, aber sie war einfach da. Und litt mit. Der Zustand meines Bruders hat auch sie schwer getroffen und genau wie ich, hat sie sehr lange darunter gelitten. Wieso also, mein schwarzer Stern, solltest du nicht mit offenen Armen empfangen werden? Du hast meinem Leben Licht gegeben, durch unsere Liebe haben wir vielleicht meinen Bruder aus seiner Dunkelheit geführt und jetzt ist er sogar zu ihr gereist. Du hast ihr so ein Geschenk gemacht. Du nimmst ihr nichts, sie hat schon alles, was sie besitzen will, nein, du gibst ihr etwas. Und ich weiß jetzt schon, daß ihr euch wunderbar verstehen werdet, sie ist in mancher Hinsicht ähnlich wie du. Zusammengefaßt: du mußt dich einfach auf sie freuen. Einfach, weil sie es auch tut. Und das ist übrigens keine Vermutung, sondern Wissen.“ Das war eine lange Rede gewesen. Aber mit jedem Satz war seine ursprüngliche Begeisterung wieder stärke geworden und ich konnte einfach nicht anders, als mich anstecken zu lassen. Genau, wie vor dem Jahrestreffen. Auch da hatte er Recht behalten, es war ein wundervolles Fest gewesen. Warum also nicht. Schon wesentlich zuversichtlicher lächelte ich ihn an. „Sag mal, wie hieß dein Vater? Stratos … irgendwas? Nicht de Suvroc, wie du?“ Jetzt grinste er wieder schelmisch. „Du weißt doch, daß ich das zweite Kind bin, sozusagen der jüngere, wenn auch nur ein paar Minuten. Nun, der ältere übernimmt normalerweise den Namen des Vaters, der jüngere, oder die jüngeren können frei wählen. Raphael heißt, wie mein Vater Saroka, ich habe die andere lateinische Form für Rabe – Corvus – gewählt, in Anlehnung an den Zirkel. Was schaust du? Hab ich vergessen, das zu erzählen?“ Dafür verdiente er wirklich Strafe. Vergessen? Pah! Das war doch reine Absicht. „Nein, das ist dir wohl entfallen, das zu erwähnen. Freu dich, daß ich friedliebend bin, sonst würde ich dich jetzt ordentlich knuffen. Und weil Kolya ausfällt, könnte dich niemand verteidigen und du wärst wehrlos. Also überleg dir gut, ob du mich noch mal so provozieren willst.“ Mit einem Mitleid erheischenden Blick sah Gabriel zu Kolya rüber. Der schickte ihm nur ein Achselzucken zurück und meinte: „Du glaubst doch nicht, daß ich mich gegen die Gefährtin des Kader stelle? Nicht mal, wenn ich völlig hergestellt bin, würde ich das wagen. Und damit bist du tatsächlich wehrlos, sie hat dich voll in der Hand. Tja, verloren, mein Bruder!“ Ich schickte ein kleines Küßchen von meiner Hand auf die Reise zu ihm. Das hatte er verdient.
Sonho Noite - NachttraumRich is the man that is called by some a friend In good and in evil he can reach for a hand To give him in need some strength to go on later to share happiness when the trouble is gone Aber damit war der ernsthafte – oder auch informative – Teil der Reise beendet. Und im Grunde der Flug ebenfalls. Es dauerte jetzt nicht mehr lange, bis wir in Bukarest auf dem Zentralflughafen aufsetzten. Und jetzt stand eine Meisterleistung in Logistik bevor, um die ganze Gruppe auf den letzten Teil der Fahrt zu bringen. Es begann damit, daß wir warten mußten, bis die Sonne vollständig unter gegangen war. Dann erst konnten wir die Maschine – wiederum ohne durch den Zoll kontrolliert zu werden – verlassen. Eine ganze Kolonne von Limousinen stand bereit, die uns aber nicht zu unserem Ziel bringen würden. „Wie fast alle von uns, haben auch Mikail und Berenice eine Vorliebe für ein etwas zurückgezogenes Leben. Daher wird unser endgültiges Ziel auch nicht in unmittelbarer Nähe einer größeren Stadt liegen, und das bedeutet eine weitere Fahrt über Land.“ Gabriel erklärte für alle, die noch nie hier gewesen waren. Dann warf er mir einen liebevollen Blick zu. „Die Entfernung ist zu groß, als daß sich eine Fahrt mit einem Convoy von Limousinen lohnen würde. Und, meine Rose, welches Transportmittel fehlt noch in unserer mittlerweile schon großen Sammlung?“ Ich sah ihn an, er meinte die Frage ernst. „Ich weiß nicht, vielleicht Kutschen?“ Das war wohl nicht die richtige Antwort. Gespielt verzweifelt verdrehte er die Augen: „Also, so altmodisch sind wir nun doch nicht. Nein, ich dachte eher an einen Zug. Wir bekommen einen ganzen Sonderzug, mit edelster Einrichtung, der uns bis fast vor die Tür bringt. Da wir aber keine Elektrizität auf einem Teil der Strecke haben, geht es sehr romantisch mit einer Dampflok zum Schloß. Und bevor du noch einen Spruch machst, das mit dem Strom bezog sich nur auf die Strecke, nicht auf Mikails Wohnsitz. Der ist vermutlich moderner eingerichtet, als du glauben magst.“ Na, da würde ich mich mal eher überraschen lassen. Aber eine Bahnfahrt war tatsächlich noch nicht in unserer Kollektion ungewöhnlicher Transportmittel vertreten. Die Wagen brachten in mehreren Schüben alle unsere Mitreisenden zum Bahnhof. Dabei wurden immer zwei Mitglieder der Oscuro von einem Trupp Aufpasser begleitet. Wenn die Sicherheit bei Bouvier lasch war, so kam sie mir jetzt fast erdrückend vor. Überall schwärmten Bouviers und Gabriels Männer rum und am Zug gesellten sich noch weitere Fremde dazu, die ernst schauten und sich auffällig unauffällig verteilten. Aber irgendwie war wohl doch ein Sinn in dem ganzen Chaos, denn plötzlich waren wir alle im Zug und setzten uns langsam in Bewegung. Ich hatte einmal Bilder aus dem Orient Express gesehen und daran mußte ich jetzt unwillkürlich denken. Davon abgesehen, daß alle Fenster lichtundurchlässig waren, schien man in eine dekadente, überladene Vergangenheit versetzt worden zu sein. Die einzelnen Waggons waren mit Schleusen untereinander verbunden; es gab keine einzelnen Abteile, aber einen Speisewagen, einen Waggon mit einer langen Bar und mehrere Wagen mit Sitzgruppen. Die Polster waren mit dunkelrotem Samt überzogen und von dunklem Holz mit Goldverzierungen gehalten. Farblich passende Vorhänge vor den Fenstern ergänzten die Einrichtung, kleine, hölzerne Tische boten Ablageflächen. Kleine Details gaben den Wagen ein sehr wohnliches Ambiente: mit Gas betriebene altmodische Lüster unter der Decke, liebevoll geschnitzte Intarsien in den Holzteilen, rot-gold farbene Teppiche auf dem dunklen Parkett. Der ganze Zug wirkte, wie aus einem Märchen entsprungen. In den vorderen und hinteren Wagen ließen sich unsere Aufpasser nieder, die mittlere Abteilung, inklusive Bar und Speiseraum blieb uns vorbehalten. Wir alle – mit Ausnahme von Gabriel und Kolya – machten uns die Mühe, die Wagen der Reihe nach zu besichtigen und zu bestaunen. Am Ende fanden wir uns dann in einem der großen Waggons ein, wo wir alle ohne Probleme Platz fanden. Phelia und Kolya wurden wieder auf Kissen in eine liegende Position befohlen, wir anderen suchten uns Plätze und genossen einige Zeit die ungewohnten Bewegungen und Geräusche. Nach einiger Zeit richtete ich eine Frage an Gabriel, der die Füße auf einen Hocker gelegt hatte und ein Glas Tequila mit Zitrone genoß: „Ist dieser Wagen ein Hinweis auf das, was auf uns zu kommt, oder eher ein Relikt der Vergangenheit oder wie kann ich mir das vorstellen?“ Gabriel lächelte wissend: „Weißt du nicht, daß ich es liebe, dich zu überraschen, schwarze Rose?“ – „Oh doch, das ist mir schon aufgefallen.“ „Höre ich da einen Hauch Sarkasmus in deiner Stimme?“ Gabriel schaute mich unschuldig an. Ich würdigte ihn keiner Antwort. Also fuhr er immer noch grinsend fort: „Dieser Zug ist seit langer Zeit im Besitz des Satyrus-Zirkel. Oder in Mikails Besitz, wenn man es so will, denn es gab immer eine Bahnverbindung zu seinem Stammsitz. Der Zug wurde allzeit in gutem Zustand gehalten und von Zeit zu Zeit restauriert und dezent modernisiert. Er sollte immer eine bestimmte Lebenshaltung widerspiegeln, die zu der Zeit herrschte, als er gebaut wurde. Heute wird er eigentlich nicht mehr so oft eingesetzt, höchstens noch beim Jahresfest, wenn viele Besucher erwartet werden, denn es lohnt sich nicht, ihn mit drei bis fünf Leuten fahren zu lassen. Aber unsere Gesellschaft ist groß genug und als Mikail ihn mir anbot, hab ich sofort begeistert zugesagt – es ist ewig her, daß ich damit gefahren bin. Und, gefällt dir unser Sonderzug auch so gut, LaVerne?“ „Ganz bestimmt, es ist wundervoll. Ich stelle mir hier Leute im Frack und Zylinder vor, oder Frauen in bauschenden Röcken und mit Fächer.“ Gabriel schaute mich verträumt an – vielleicht hatte er ja so einen Anblick schon gehabt, wie konnte ich nur immer wieder vergessen, wie alt mein Rabe war. „Wie lange wird die Fahrt dauern?“ mischte sich Charon in unser Schweigen. „Nun, im Prinzip ist die Entfernung nicht so groß, rund 400 Kilometer Luftlinie bis nach Medias, dem nächstgelegenen Ort von Mikails Heim. Aber wie das so mit direkten Verbindungen ist, können wir sie natürlich nicht nehmen. Unser Ziel liegt nordwestlich von Bukarest, aber wir werden erst nach Westen und später dann nach Norden fahren müssen, da die Bahnlinie die Südkarpaten an einer flacheren Stelle durchqueren muß. Wir können nicht quer rüber, die Strecke wäre zu steil für unsere alte Dampflok. Mit dem Auto ginge es schneller und direkter aber eben nicht so stilvoll und wir haben keine Eile. Ich könnte ja jetzt sagen, genießt die Natur aber davon rate ich momentan allen – außer LaVerne – ab, denn es ist mittlerweile hell draußen. Die Fahrt ist so geplant, daß wir gegen acht Uhr ankommen werden, rund eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang.“ Im Laufe der nächsten Stunden griff ich Gabriels Vorschlag auf. Während die anderen in den Waggons sich mit Plaudern, Schach spielen oder Lesen die Zeit vertrieben, suchte ich mir einen Ort im vordersten Waggon, wo ich die Landschaft sehen konnte. Es lohnte sich. Die beiden Aufpasser, die mich die ganze Zeit nicht aus den Augen ließen, waren wohl etwas irritierend aber die Landschaft, die an uns vorbei zog, war diese kleine Unannehmlichkeit wert. Zuerst flach, wurde die Umgebung zusehends bergiger und bald hatten wir die Ausläufer des Gebirges erreicht und die Lok schnaufte durch Felsen und Tunnel und einsame Täler. Wenn man einsam leben wollte, war hier sicherlich eine gute Wahl. Nur mühsam konnte ich mich von der vorbeiziehenden Landschaft lösen, als zum allgemeinen Essen gerufen wurde. Und so verging unser Tag und als es dunkler wurde, fuhr auch der Zug langsamer und verließ das gut ausgebaute Gleis, als wir uns Medias näherten. Auf einem Nebengleis ging es am Ende noch fast eine Stunde in die Wildnis zurück und dann blieb unser Zug mitten auf den Gleisen stehen. Gabriel erhob sich, streckte sich, sah mich an und reichte mir die Hand: „Komm, meine Rose. Wir sind da. Und wir beide haben die Ehre, als erste vor den Kader zu treten.“ So hatte ich dann keine Wahl. Ich griff nach seiner Hand und hielt mich mehr oder weniger daran fest, als wir uns der Tür näherten. Keiner unserer Aufpasser hatte den Zug bisher verlassen, wir waren wirklich die allerersten, die ausstiegen. An dem geöffneten Ausstieg stand ein Mann in dunkler Aura aber er war eindeutig zu jung, um unser Gastgeber zu sein. Und es stellte sich heraus, daß er nur der erste in einer ganzen Reihe von Männern und Frauen war, die eine Reihe formten, an der wir langsam entlang schritten. Es ging über einen asphaltierten Weg und dann standen wir plötzlich vor einer großen Freitreppe. Dahinter erhob sich ein Schloß, das auf den ersten Blick an den Wohnsitz von Sir Rodenby erinnerte. Mit jedem Schritt, den wir an diesem Spalier entlang gingen, wurde ich unruhiger und nur Gabriels Hand, die meine fest und beruhigend hielt, hinderte mich daran, immer langsamer zu werden. Dann waren wir viel zu schnell oben und betraten eine große, hell erleuchtete Halle. Mit dem Gang durch die Eingangstür endete das Spalier und hinter uns folgten langsam die anderen Mitreisenden. Die Halle war groß und von Kerzen erleuchtet. Hier erwarteten uns nur zwei Personen, die sich wie wir an den Händen hielten. Ein Mann, dem Aussehen nach vielleicht irgendwo jenseits der Sechziger und neben ihm eine Frau, ebenfalls in der gleichen Altersklasse. Das waren sie also. Beide hatten schon einige Falten und während der Mann noch schulterlange hellbraune Haare trug, waren die Locken der Frau fast weiß. Und beide lächelten uns freundlich entgegen. Langsam traten wir auf sie zu und voreinander blieben wir stehen. Leicht verneigte sich Gabriel vor den beiden und ich tat es ihm gleich. „Vielen Dank für diesen beeindruckenden Empfang, Mikail, und für die Gastfreundschaft für uns alle. Und auch dir gilt unser Dank, Berenice, daß wir uns alle in eurem Haus versammeln können.“ Der Mann machte eine wegwerfende Geste: „Das ist doch nichts, völlig selbstverständlich. Wenn ihr schon mal hierher kommt, ist das Beste grade gut genug für euch. Unser Haus ist euer Haus, solange ihr wollt und je mehr Leute wir sind, desto größer wird die Feier werden.“ Damit schwieg er. Noch immer standen wir voreinander und musterten uns unauffällig. Dann sprach Gabriel wieder. „Und jetzt möchte ich euch LaVerne vorstellen. Sie ist meine Gefährtin und mein Licht in der Dunkelheit. Meine schwarze Rose, darf ich dir Mikail, den Kader des Satyrus-Zirkel vorstellen und seine Gefährtin Berenice, meine Mutter.“ Mikail trat auf mich zu und Gabriel übergab meine Hand in seine. Mikail kam mir bei der Begrüßung zuvor. Mit einem kräftigen Händedruck meinte er noch immer lächelnd: „Wir haben so viel von dir gehört. Schön, daß wir dich endlich persönlich kennen lernen. Willkommen in meinem Haus, LaVerne.“ Ich hatte das Gefühl, eine leicht Verbeugung wäre angemessen und dabei dankte ich: „Auch ich habe viel von euch gehört und möchte mich für die Gastfreundschaft bedanken.“ Ich war mir nicht sicher, ob das angemessen war aber im Moment war ich zu nervös für mehr. Dann ließ er meine Hand los und ich drehte mich zu Gabriels Mutter. Sie hatte Gabriels Augen, nein, eigentlich hatte er ihre Augen, sehr dunkel und voll mit geheimnisvollem Leben. Einen kurzen Augenblick sahen wir uns nur an, dann zog sie mich in eine feste Umarmung und drückte mich. Sie war vielleicht 175 und hatte trotz ihres Alters enorme Kraft. So hielt sie mich einen Moment fest und als sie mich ein wenig abschob, meinte sie: „Ich habe schon so viel von dir gehört, daß ich das Gefühl habe, dich schon lange zu kennen. Es ist schön, dich endlich mit eigenen Augen zu sehen. Willkommen in diesem Haus und willkommen in unserer Familie, mein Kind.“ Es war, als fiele mir ein Stein von der Seele. Die Worte klangen so warm und aufrichtig, daß ich erst jetzt, trotz Gabriels Erklärung, wirklich glaubte, daß ich willkommen war. Noch einmal zog sie mich an sich, dann ließ sie mich lächelnd los und wand sich an Gabriel. „Du siehst gut aus, Gabe! Schön, dich endlich mal wieder zu sehen. Wir haben schon sehnsüchtig auf dich gewartet und auf deine Gefährtin. Kommt rein, wir haben einen Begrüßungstrunk in der Bibliothek vorbereitet.“ Und dann umarmten auch sie sich lange und herzlich. Gabriel legte den Arm um seine Mutter und die beiden gingen durch die Halle in einen weitere Saal auf der rechten Seite, Mikail und ich gingen nebeneinander hinter den beiden her. Der ältere Mann sprach mich an: „Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Reise. Sicher ist der Zug nicht das schnellste, aber bei weitem das schönste Transportmittel.“ Das stimmte wirklich. „Ich mußte während der Fahrt immer an den Orient-Expreß denken. So war das bestimmt früher. Wirklich, der Zug war eine tolle Idee.“ Und damit traten wir in einen Raum, der den Namen Bibliothek bestimmt verdient hatte. Ähnlich wie bei Scuro Tejat gingen die Regalreihen zwei Stockwerke hoch. Allerdings war die Grundfläche wesentlich größer und nicht rund. Überall gab es Sitzgelegenheiten, Leitern ermöglichten den Zugriff auf höher gelegene Werke und ein Kamin spendete Wärme. Und hier warteten einige Freunde auf unsere Ankunft. „John!“ ich lief auf eine Seite, wo genau dieser mit breitem Grinsen stand. Im letzten Moment konnte er sein Glas auf einem Tischchen abstellen, dann lagen wir uns in den Armen und drückten einander fest und erst mal ohne Worte. Dann sprachen wir beide gleichzeitig los: „Endlich seid ihr da…“ „Wie geht es dir…“ Lachend verstummten wir. Dann ließ ich John den Vortritt. „Wir warten seit Tagen auf euch. Die tollsten Geschichten sind hier im Umlauf über eure Erlebnisse.“ Ich grinste breit und antwortete: „Ist alles wahr! Es gibt so viel zu erzählen. Aber erst will ich die anderen begrüßen“ Und davon waren fast alle da, nur Raphael fehlte wieder. Trevor, Carré, Nathaniel und Tres, der noch immer einen eleganten Spazierstock benutzte. Hinter uns waren Charon und seine Leute eingetreten und sahen sich fragend in der Runde um. Nathaniel ging auf sie zu und übernahm wohl die erste grobe Vorstellung der anderen Gäste. Zuerst wurde dann Kolya in einen gemütlichen Sessel gesetzt, dann schwärmten einige Angestellte durch den Raum und verteilten Gläser mit Wein. Es herrschte ein gemütliches Chaos, alle sprachen mit allen durcheinander, alte Bekannte und Fremde begrüßten sich. Auch Liobá wurde in diese allgemeine Vorstellung mit einbezogen und sie schaute alle und alles mit großen, begeisterten Augen an. Nach einiger Zeit versuchte unser Gastgeber, sich Gehör zu verschaffen. Und endlich verstummten die Unterhaltungen und alle sahen zu ihm. „Liebe Gäste, Freunde und Familie. Noch einmal möchte ich euch alle ganz herzlich auf ‚Sonho Noite’ begrüßen. Denen, die noch nie hier waren: fühlt euch wie zuhause, mein Heim sei euer Heim, ihr könnt euch hier überall frei bewegen und so lange bleiben, wie ihr wünscht. Denen, die schon einmal hier waren: danke, daß ihr uns wieder besucht. Ihr kennt diesen Ort und so könnt ihr wieder dort ansetzten, wo ihr bei eurem letzten Besuch aufgehört habt. Und für alle gilt: unter diesem Dach versammeln sich Freunde, also seid auch ihr welche. Eine offizielle Vorstellung aller schon hier Versammelten und soeben Angekommenen, wird es von mir nicht geben, da ich nicht alle kenne und demzufolge möchte ich dich, Gabriel, bitten, diese angenehme Aufgabe zu übernehmen. Natürlich hier, in gemütlicher Runde. Und dann werden wir uns heute nur ein wenig kennen lernen, und wenn die Strapazen der Reise von euch abgefallen sind, werden wir morgen ein großes Fest feiern. Bitte, mein Sohn.“ Er verbeugte sich noch einmal leicht in Gabriels Richtung. Der löste sich von der Seite seiner Mutter, lächelte den Älteren liebevoll an und trat dann in die Mitte des Raumes. Er schaute still in die Runde und wartete, bis alle ihn ansahen. Dann begann er mit der Vorstellung. Aber er zeigte nicht einfach auf jemanden, sondern trat zu dem oder der Person und legte einen Arm um sie, sagte einige liebevolle Worte und ging danach zum nächsten. Charon stellte er als Führer des Imprecatio Curor vor, was zu erstaunten Blicken von John, Mikail und einigen anderen führte. Als er Berenice als seine Mutter präsentierte, kamen die erstaunten Blicke dann von Charon und seinen Leuten. Und so wurden wir alle vorgestellt und nur Raphael war nicht aufgetaucht. Dann wurde ein Buffet hereingerollt und weitere Getränke serviert. Ungezwungen verteilten wir uns im Raum und es war wunderbar, daß ich fast alle Leute kannte. Doch heute war mir am wichtigsten, eine alte Freundschaft wieder neu zu beleben. John und ich zogen uns mit einer Flasche und zwei Gläsern auf ein Sofa in der Ecke zurück. Und dann mußte ich erst einmal ausführlich berichten, was in der Zeit passiert war, seit wir uns nach dem Jahresfest getrennt hatten. Und das war eine ganze Menge. Staunend hörte er zu, unterbrach mich nur hin und wieder für kurze Rückfragen. Als ich zu unserem Zusammentreffen mit Charon kam, sah er kurz zu dem genannten rüber und fragte leise: „Der Charon, dort drüben?“ Ich grinste und nickte und erzählte weiter. Als er endlich auf dem neuesten Stand war, schwieg er erst mal eine ganze Weile. „Das ist ja unglaublich, was bei dir los war. Dagegen war es bei mir ja langweilig! Irgendwie wünschte ich, ich wäre dabei gewesen.“ Ich konnte mir eine kleine Spitze nicht verkneifen: „Du wolltest ja unbedingt ohne mich weiter reisen. Das hast du davon!“ Er grinste zurück. „Ja, ja, das hab ich verdient. Schon gut.“ Über seine Erlebnisse gab es dagegen kaum was zu berichten. „Es ist kaum zu glauben,“ schimpfte er mit gesenkter Stimme, „daß es fast eine Woche gedauert hat, bis ich hinter die Geschichte mit Phale gekommen bin. Wir wissen ja, daß Gabriel oft schweigsam sein kann, aber dieses Mal war es noch extremer, ich habe mich fast nur mit Carré unterhalten und als wir hier ankamen, mit Mikail oder Berenice. Und irgendwann kam mir das so komisch vor, außerdem … ich weiß nicht, er hatte irgendwie eine traurigere Ausstrahlung. Erst hab ich ja geglaubt, daß wäre, weil du nicht dabei warst. Aber es stimmte halt was nicht. Und dann habe ich ihn mal alleine erwischt und ein paar ganz unschuldige Fragen gestellt. Ja, und da kam es natürlich sofort raus. Erst wollte ich das nicht so recht glauben, und teilweise hatte Phale dann Tränen in den Augen, so mußte der lachen. Und am Ende hat Berenice dann alles bestätigt. Aber daß du das für dich behalten konntest. Das ist doch so unglaublich. Ich habe beide noch nicht nebeneinander gesehen aber so ist es fast unmöglich, einen Unterschied festzustellen. Nur die Ausstrahlung ist manchmal anders. Er hat erzählt, daß ein Dämon aus der Vergangenheit noch auf seiner Schulter sitzt. Ich weiß nicht, was er meint aber er ist in dem Monat, den ich ihn jetzt kenne, doch ein wenig aufgetaut. Er wollte heute Abend noch nicht hier auftauchen, vorher wollte er mit Gabriel sprechen, was für Leute ihr mitgebracht habt. Er ist wohl ein gut gehütetes Familiengeheimnis.“ Das konnte ich nur bestätigen. Ich erzählte ihm, wie man mich voll hatte auflaufen lassen, an dem Abend vor der Aufnahme in den Zirkel. Irgendwann fiel uns auf, daß sich der Raum etwas geleert hatte. Kolya war verschwunden, ebenso Charon mit seinen Leuten. Und genau in dem Moment merkte ich, wie geschafft ich war. Eine Zeitumstellung um nicht näher bekannte Stunden in unbekannte Richtung, ein langer Flug mit Zwischenlandung, aber ohne Schlaf, eine aufregende Bahnfahrt und das Wiedersehen mit so vielen Freunden… da war es kein Wunder, dass ich auf einmal völlig ausgelaugt war. Ich entschuldigte mich bei John und suchte Gabriel, der bei Berenice und Mikail saß. Als ich mich zögernd den dreien näherte, stand Berenice auf und kam auf mich zu. „Du mußt schrecklich müde sein. Einige haben schon aufgegeben, aber so ein Treffen nach langer Zeit hält einen noch eine Zeit munter. Aber irgendwann ist es einfach vorbei. Wenn du magst, zeige ich dir deine Schlafräume. Ich denke, ich werde mich auch zurückziehen, wir haben ja noch so viel Zeit, uns in Ruhe kennen zu lernen und Geschichten auszutauschen.“ Ich hätte ja lieber Gabriel als Begleiter gehabt, weder wollte ich die fremde Frau aus der Runde reißen, noch wußte ich genau, was ich mit ihr reden sollte, aber ich konnte nicht ablehnen und ich war wirklich kurz vorm Ende. „Das ist lieb von dir, aber nur, wenn es dir nichts ausmacht. Ich merke jetzt einfach nur die Zeitverschiebung und die lange Fahrt.“ Lächelnd hakte sie sich bei mir ein. „Es macht mir nichts aus, das mache ich gerne. Bestimmt fühlst du dich noch unwohl, wenn du mit Gabriels Mutter reden sollst. Und sicher hat er dir gesagt, daß das Unfug ist, aber du glaubst es nicht. Also hilft nur der Gegenbeweis. Im wahren Leben bin ich nett und lache gerne. Du wirst es noch sehen, LaVerne. Aber erst mal mußt du jetzt ordentlich schlafen und dich erholen. Du glaubst ja gar nicht, wie gespannt ich war, dich kennen zu lernen, Phale hat so viel von dir erzählt und John auch. Und ob du es glaubst oder nicht, ich bin auch nervös. Deshalb rede ich jetzt auch so viel. Also beachte mich gar nicht.“ Jetzt mußte ich auch lächeln. Zum Einen hatte sie das Chaos meiner Gefühle wunderbar treffend beschrieben und daß sie auch aufgeregt war, darauf war ich noch gar nicht gekommen. Schon wesentlich ruhiger ließ ich mich von ihr in den ersten Stock bis vor eine Doppeltür führen. Sie schob beide Seiten auf und wir betraten ein Wohn- Schlafzimmer ähnlich dem, das ich in dem Wasserschloß bewohnt hatte. Links ein großes Bett mit Vorhängen darüber und an den Seiten, die zurückgeschlagen waren. Rechts ein Tisch mit bequemen Sesseln und einer Minibar, sowie ein Schrank mit Stereoanlage und einigen Büchern. „Das Badezimmer ist durch die Tür geradeaus und der Kleiderschrank die Tür links daneben. Die kleine Tür rechts führt in eine Art Miniküche, nur eine Kaffeemaschine, Mikrowelle und ein Kühlschrank mit Getränken, halt für den Notfall. Deine Kleidung hat man schon mal eingeräumt und dein Computer steht auf dem Tisch hinter dem Paravent dort drüben.“ Der Raumteiler war so hoch und paßte farblich so gut in das Zimmer, daß ich ihn noch nicht einmal bemerkt hatte. „Ganz links findest du noch eine gut getarnte Tür. Erschreck nicht, die ist nicht abgeschlossen. Direkt hier nebenan hat Gabriel seine Räume bekommen und das ist die Verbindungstür. Falls du ihn suchst oder dich alleine fühlst, brauchst du dann nicht erst extra auf den Gang raus. Das macht man ja nicht so gerne in einem fremden Haus. Aber das kann er dann natürlich auch. So, hab ich was vergessen? Ach ja, wenn du wach und startbereit für den neuen Tag bist, komm einfach runter ins Erdgeschoß. Wenn du statt in die Bibliothek in die andere Richtung gehst, kommst du in einen großen Frühstücksraum. Ich denke mal, wir werden uns dort alle im Laufe des Abends einfinden, da steht immer Essen und was zu trinken bereit und ist ein gemütlicher Raum für nette Unterhaltungen. Und nun, schlaf die erste Nacht gut in ‚Sonho Noite’, unserem Haus, mögest du schöne Träume haben und unbeschwert ruhen. Bis morgen, meine Kleine.“ Und sie umarmte mich liebevoll und drückte mir einen Kuß auf jede Wange, den ich erwiderte. „Gute Nacht, Berenice, Danke für alles und schlaf auch gut.“ Und damit stand ich alleine in meinem großen Raum. Das riesige Himmelbett sah einfach nur einladend aus. Darauf fand sich ein dünnes Shirt, das wunderbar als Nachthemd dienen konnte. Ich löste die Halterung von den dünnen Volant-Stoffen an den Bettpfosten und kam mir in dem entstandenen kleinen Raum wie in einem Märchen vor. Hier mußte man sich einfach sicher und geborgen fühlen. Noch einmal schaute ich mich um, suchte den Lichtschalter – praktischer weise fand sich einer am Bett – und dann lag ich unter dem seidigen Stoff und war im nächsten Moment eingeschlafen. Unterhaltungen und ZerstreuungenThere‘s a time for darkness and for light It‘s only hard to tell whether you are day or night If both of them could live side by side in you Then one would be what till now is still two Ich schlief lange und traumlos und wenn Gabriel mich besucht hatte, war ich davon nicht aufgewacht. Ich gönnte mir ein herrlich langes Bad und suchte mir aus den Schätzen im Kleiderschrank etwas aus, das sowohl vornehm als auch lebhaft wirkte, die Auswahl war offensichtlich vergrößert worden, seit unserem Großeinkauf in der Schweiz. Zufrieden mit meinem Erscheinungsbild folgte ich Berenice Rat und hielt mich in der großen Halle rechts. Und von dort drangen auch Stimmen zu mir. Als ich eintrat, standen Gabriel, Raphael und John am Buffet und organisierten sich gerade ein Frühstück – oder eine der Uhrzeit angemessene Mahlzeit. Ich blieb stehen, um diesen Anblick zu genießen, ich hatte Phale und Gabe nur einmal zusammen gesehen, und ich wollte mir dieses Bild einprägen. Beide trugen schwarze Lederhosen, einer ein schwarzes Seidenhemd, einer ein dunkelblaues und die Locken kringelten sich bei beiden ungezügelt über die Schultern. Mein Herz setzte kurz aus und bemühte sich dann, auch mein Gehirn wieder mit Sauerstoff zu versorgen. Den brauchte ich dringend. Beide sahen zu mir rüber und ein Spiegelbild-Lächeln strahlte mir entgegen. Und John überstrahlte die beiden fast noch. Klar, er hatte sie ja vorher noch nicht gleichzeitig gesehen. Etwas zögernd riß ich mich von der Tür los und trat zu dem Dreiergespann. Ja, welcher war jetzt welcher? Aber ‚blaues Hemd’ machte es mir einfacher, er schob John seinen Teller in die Hand und kam mir entgegen. Und drückte mich mit solcher Kraft, daß mir die gerade erst nachgelieferte Luft wieder weg blieb. „Wie schön, fast einen Monat, seit du versprochen hast, daß wir uns hier treffen. Ich freue mich so, dich wieder zu sehen, schwarze Rose.“ Das sollte dann Raphael sein, wenn er mich nicht foppte. Aber bei der Umarmung bestätigte ein Teil von mir, der die zwei durchaus unterscheiden konnte, daß es nicht mein Rabe war. Ich versuchte, mein Gegenüber ebenfalls zu umarmen, aber mir blieb nicht genug Bewegungsfreiheit. Endlich ließ er etwas locker. „Wie schön, dich auch wieder zusehen. Ich habe dich gestern schon vermißt.“ Er führte mich zu den anderen beiden an das Buffet. „Ja, ich wollte erst mit Gabriel klären, ob Charon von meiner Existenz wissen darf. Wir haben beschlossen, daß die Antwort ‚ja’ lauten soll. Vorbei mit dem Versteck spielen, mein kleiner Bruder wird auf seine alten Tagen noch richtig kriegerisch.“ „Was bitte meinst du mit ‚alten Tage’?“ Auch Gabriel umarmte mich, wenn auch wesentlich vorsichtiger als Phale. „Hallo mein Engel, gut geschlafen, die erste Nacht?“ Das konnte ich bestätigen. Mit einem Berg von Essen zogen wir uns an einen der Tische zurück. Wir waren in eine Unterhaltung über unsere letzten Abenteuer vertieft, als Charon im Speisesaal erschien und wie angewurzelt in der Tür stehen blieb und zu uns rüber starrte. Ob ich auch so ein Gesicht gemacht hatte. Der kühle, unbewegliche Mann hatte große Augen bekommen und schien zur Salzsäule geworden zu sein. Gabriel stand auf und ging zu ihm. Er griff ihn an einem Arm und langsam löste der Mann sich aus der Starre und folgte – leicht betäubt – der Aufforderung, sich zu uns zu setzen. John schob ihm formlos einen Becher Kaffee zu. Und dann sagte Charon „Jetzt weiß ich, wieso wir nach Rumänien geschickt wurden. Eine geschickte Ablenkung, ein genialer Schachzug – wenn es nicht irgendwo einen Verräter gegeben hätte. Ich faß es nicht.“ Diese und ähnliche Bemerkungen kamen in der nächsten Zeit noch häufiger, als die anderen Mitglieder des ‚Fluch des Blutes’ auftauchten. Bouvier wußte natürlich Bescheid, aber Liobá war genauso erstaunt, und fasziniert, wie ich es gewesen war. Diese gelungene Überraschung war für die nächsten Stunden dann das Gesprächsthema Nummer Eins. Im Laufe des Abends gesellten sich auch die anderen zu unserer Gruppe, ebenso wie Mikail und Berenice. Nun waren wir wieder vollzählig. Nachdem alle gut gegessen hatten und sich gemütlich in dem Raum verteilt hatten, stand Mikail auf und sprach die Versammelten an: „Eigentlich sollte es heute ein großes Bankett geben, richtig vornehm im Rittersaal aber ich denke, wir passen uns den Gegebenheiten an. Also werden wir diese Veranstaltung auf morgen verschieben und heute einfach unsere Bekanntschaften vertiefen und weitere Erlebnisse austauschen. Aber ich möchte eure Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß morgen um 20 Uhr ein großer Empfang mit Speisefolge stattfinden wird.“ Damit war der offizielle Teil für heute schon erledigt. Ich verbrachte fast den ganzen Abend bei John und Raphael. Nach dem ersten Bericht gestern gab es noch so viele Details, die erzählt werden wollten und John stellte dazu diverse zusätzliche Fragen. Auch Raphael beteiligte sich an der Unterhaltung, er wirkte bei weitem nicht mehr so melancholisch und abwesend, wie bei unseren ersten Begegnungen. John sah zu Kolya in einem der Sessel rüber. Er lächelte leicht und fragte mich dann: „Die Frau neben ihm, ist doch eine vom ‚Fluch des Blutes’. Ist da irgendwas im Busch?“ Wir sahen alle in die angegebene Richtung. Cesira saß auf einem Sessel an seiner Seite und die beiden schienen in eine Unterhaltung vertieft. „Ich weiß nicht, vielleicht. Die zwei passen irgendwie richtig gut zusammen. Sie hat fast die ganze Zeit an Kolyas Bett gesessen, bis er einigermaßen wieder hergestellt war. Und Kolyas Blick, als er sie das erste Mal sah, war schon recht deutlich. Aber ob da mehr ist, das weiß ich nicht, ist ja vielleicht noch ein bißchen früh, so lange kennen die beiden sich ja nun auch noch nicht. Aber ein paar Funken sprühen da schon.“ Raphael meinte: „Ihr habe einige wertvolle Verbündete mitgebracht. Und soviel ich weiß, werden in der nächsten Zeit noch mehr Leute kommen. Ich denke, mein Bruder hat schon angedeutet, daß das Weglaufen und Verstecken zu Ende geht. Wir werden nicht mehr zurückweichen, Dezmont hat einen Schritt zu viel gemacht, und ab jetzt werden wir uns nicht nur wehren, wir werden auch selber handeln. Aber die Details werden wir erst in den nächsten Tagen besprechen, wenn wir uns alle richtig eingewöhnt haben.“ Also waren Gabriels Worte nicht nur dahingesagt, er hatte wirklich vor, etwas zu unternehmen. John und ich sahen uns an und wie üblich, zog er nur die Schultern leicht hoch, er wußte auch nicht mehr, als ich. Später tauschte Liobá den Platz mit Raphael und ich machte sie mit John näher bekannt. Sie meinte spontan: „Ich mag deine Augenfarbe! Das Blau leuchtet so richtig phantastisch.“ John strahlte zurück: „Das Gleiche wollte ich dir auch grad sagen. Nur mit den Haaren, komme ich nicht mit, ich bin jetzt am überlegen, ob ich mich dem Modestil hier anpasse und sie mal lang wachsen lassen will. Ich hab ja keinen Chef mehr, der mich anraunzt.“ Sie legte den Kopf schief und sah ihn so genau an, daß John begann, eine leichte Röte zu entwickeln. „Ich glaube, das würde dir stehen. Wenige von den Männern hier haben blonde Haare. Das wäre was Besonderes.“ Das stimmte, nur Kolya hatte noch helle Haare und er trug sie extrem kurz. An Dezmont wollte ich gar nicht denken, außerdem war bei ihm die Farbe weiß, nicht blond. „Oh ja, John, die Idee finde ich auch gut. Mach das!“ Dann befragte Liobá John ausführlich über seine frühere Arbeit, und wir lauschten gebannt seinen interessanten Schilderungen. Und so verging die Nacht wie im Fluge. Es schien, als wären wir nie getrennt gewesen, zwischen John und mir herrschte eine wunderbare Stimmung. Einmal schaute Charon bei uns vorbei, dann kamen auch irgendwann Carré und Trevor. Es wurde nicht langweilig, immer wieder über unsere Erlebnisse zu plaudern, noch Einzelheiten nachzulegen oder einige Punkte weiter zu vertiefen. Wir merkten kaum, wie die Zeit verging, aber nach und nach gingen alle und versuchten, die reale Zeit mit der inneren Uhr weiter zu synchronisieren. Ich fand meine Räume auf Anhieb wieder, suchte mir ein Buch aus der kleinen Auswahl und genoß noch einige Zeit den Luxus, in einem riesigen Himmelbett zu lesen. Und wieder ungestört sehr weit in den nächsten Tag zu schlafen. Eine große Uhr informierte mich, daß ich anfangen sollte, mich fertig zu machen, wenn ich zu dem großen Essen pünktlich erscheinen wollte. Nach einem herrlichen Schaumbad fühlte ich mich unternehmungslustig. Ich wählte wieder dezent vornehme Kleidung und testete dann die Tür zu Gabriels Zimmer. Es war ähnlich wie meines eingerichtet, schien aber verlassen und das Bett war unbenutzt. Nun ja, hier gab es sicher genug für ihn zu tun. Also beendete ich meine Vorbereitungen und ging in die Empfangshalle. Hier war niemand, und ich versuchte mein Glück in dem Speisezimmer von gestern. Hier fand ich Kolya, diesmal nicht in einem Sessel, sondern vor dem Kamin stehend, und mit Gabriel redend. Ich trat zu den beiden und Gabriel begrüßte mich mit einem langen Kuß. „Ich hoffe, es gefällt dir hier schon ein bißchen, meine schwarze Rose. Entschuldige, daß ich bisher so wenig Zeit für dich finde, es wird besser werden, aber ich muß erst noch einige Dinge organisieren.“ – „Ach, mein Rabe, kein Problem, ich habe doch genug nette Leute, daß mir nicht langweilig wird. Und bisher habe ich einfach noch keine Gelegenheit gehabt, mich richtig umzusehen, ich muß erst mal rausfinden, was für ein Tag, und welche Uhrzeit es ist.“ „Ja, die Zeitverschiebung hat uns alle irritiert. Aber das sollte langsam vergehen. In den nächsten Tagen lade ich dich auf eine ganz persönliche Führung durch Sonho Noite ein, mit allen seinen Sehenswürdigkeiten. Davon gibt es eine Menge. Und danach dann ist die ruhige Zeit vorbei, wir werden uns zu einem Kriegsrat versammeln und Mikails Leute werden mit den Forschungen an deinem Blut beginnen. Aber heute, mein Engel, werden wir genießen.“ Nach einem weiteren Kuß reichte er mir den Arm und führte mich durch eine weitere Tür des Raumes in den ‚Rittersaal’, dicht gefolgt von Kolya. Ein Teil der Leute war schon anwesend, die beiden Gastgeber, Nathaniel und Cesira. Gabriel und ich saßen rechts von Mikail und Berenice, uns gegenüber ließen sich kurze Zeit später Raphael zusammen mit Trevor und Carré nieder. Und als alle an ihrem Platz waren, erhob sich Berenice: „Heute nun, haben wir Gelegenheit, an einem Tisch gemeinsam zu speisen. Ich hoffe, ihr habt euch alles schon etwas eingelebt. Der eine oder andere hat es vielleicht schon gehört, in der nächsten Zeit werden noch einige Freunde zu uns stoßen. Bis dahin werden wir es uns gut gehen lassen und Kraft tanken, für Dinge, die noch kommen können. Und zum Abschluß noch einmal: Fühlt euch, als wäret ihr hier zuhause.“ Sie setzte sich und damit war ein phantastisches Essen eröffnet. Ähnlich wie in Frankreich bestand es aus verschiedensten Gängen, immer nur wenig, aber dafür erlesen und wunderbar zubereitet. Es wurden passende Getränke dazu gereicht und wir genossen in dem Rittersaal, in dem tatsächlich an den Wänden alte Rüstungen standen, mehrere Stunden lang das Menü, bis wirklich keiner mehr einen Bissen schaffen konnte. Dann wurde abgeräumt und soweit wir noch in der Lage waren, verschafften wir uns ein wenig Bewegung bei der Besichtigung des Saales und der Bibliothek. Berenice und Carré kamen auf mich zu, als ich gerade mein Weinglas auffüllen wollte. Die ältere meinte zu mir: „Gabriel hat mir erzählt, daß du Ice kennen gelernt hast und ihn beinah mitgenommen hättest. Hat Bouvier erzählt, daß Gabriel ihn mit der Flasche aufgezogen hat, weil der Wurf zu groß war und seine Mutter nicht alle Welpen versorgen konnte?“ Ich nickte: „Ja, er sagte, daß Ice noch immer seinen alten Herrn erkennt. Er ist ein wunderschönes Tier, ich liebe diese zweifarbigen Augen.“ Sie lächelte wissend. „Nicht alle Huskys haben das, nur manche der ganz echten, reinrassigen. Ich züchte sie selber und wenn du Interesse hast, wir hatten grad vor gut acht Wochen einen neuen Wurf. Die Kleinen haben jetzt schon die Augen auf, sehen aber immer noch goldig aus und ich zeig sie dir gerne.“ Ach ja, Gabriel hatte gesagt, seine Mutter liebte Hunde. „Furchtbar gerne, ich hatte auch schon überlegt, ob ich einen Hund haben wollte, ich habe einen tollen Rottweiler bei Sir Rodenby kennen gelernt. Aber irgendwie ist dann soviel passiert, daß ich nicht wieder darüber nachgedacht habe.“ „Dann kommt doch beide mal mit. Weißt du, Carré wollte die Welpen auch gerne sehen, dann können wir zusammen gehen. Aber ich sag euch gleich, die Kleinen sind abgezählt, es fällt auf, wenn hinterher ein oder zwei fehlen.“ Dabei lachte sie verschmitzt und wirkte dadurch sehr jung. Wieder sah ich in ihr meinen Gabriel. Sie nahm jede von uns an eine Seite und gemeinsam verließen wir den Rittersaal und gingen unter der großen Freitreppe zu einer verdeckten Kellertreppe. Von Neonlicht beleuchtet, ging es eine Etage nach unten. Schon von weitem hörte man Fiepen und leises Knurren. Es wirkte hier wie in einem Stall mit geschlossenen Türen. Auf dem Boden lag Stroh und als sie eine der Türen öffnete, strömte uns ein warmer Duft von Tier entgegen. In einer Ecke des Zimmers lag ein Husky und um ihn – sie – herum wuselten acht Welpen. Alle verschieden gezeichnet und hellwach. Noch hatten sie die blauen Augen der Kindheit und als wir den Raum betraten und sicherheitshalber die Tür hinter uns schlossen, waren sie ohne Scheu sofort da, um uns zu begutachten. Berenice kannten sie offensichtlich schon, denn die wurde gleich in ihr Spiel mit einbezogen. Aber die Kleinen waren zutraulich und schon bald tollten drei erwachsene Frauen mit acht Welpen und einer freundlichen Hündin im Stroh. Atemlos setzten wir uns auf den gepolsterten Boden und kraulten, was uns zwischen die Finger kam. Berenice meinte: „In drei bis vier Wochen ist es Zeit, sie von der Mutter zu trennen. Wenn einer von euch dann Interesse hat, würde ich euch einen schenken. Für mich ist wichtig, daß sie in gute Hände kommen, der Verdienst durch die Zucht ist nicht ausschlaggebend.“ Carré, die gerade Auge in Auge mit einem ganz wilden Exemplar war, schaute mit leuchtenden Augen zu mir rüber. „Natürlich würde ich einen nehmen, oder vielleicht zwei, wenn du mir den anderen denn verkaufen würdest, Berenice. Ich müßte mich etwas wegen des Zolles anstrengen, aber das kriege ich hin. Und bei uns ist so viel Platz und außerdem könnte ich gar nicht mehr ohne so ein Kerlchen abreisen.“ Fragend sahen dann beide zu mir rüber. Ich schaute ein fast weißes Exemplar an, das gerade genüßlich an meinem Finger kaute: „Ich würde sofort alle acht mitnehmen. Ich liebe Tiere und Hunde ganz besonders. Aber ich weiß einfach nicht, wie sich mein Leben entwickelt und ob ich mich vernünftig um so ein süßes Kerlchen kümmern könnte. Wenn der meinetwegen leiden müßte, würde ich mir das nicht verzeihen.“ Berenice schaute mich einen Moment ernst an, dann meinte sie: „Wir alle wissen nicht, was kommt. Danach kann es nicht gehen. Du magst Tiere, die Hunde mögen dich, also ist es entschieden. Außerdem würdest du den Hund sowieso mit Gabriel teilen müssen, er könnte gar nicht die Finger davon lassen. Also ist es entschieden, Carré, du bekommst zwei, natürlich geschenkt, und du LaVerne, suchst dir einen aus. Am besten jetzt schon und dann kommst du öfter hierher, daß sich das Tier schon an dich gewöhnen kann.“ Ich schaute auf das tapsige Würmchen an meinem Finger. Meines? Wie schrecklich gerne. Gabriel würde einverstanden sein, das war klar. Und mein Herz war hellauf begeistert. Ich zog vorsichtig an meiner Hand und das kleine Kerlchen stemmte sich mit den Pfoten in den Boden und leistete schon recht starken Widerstand. Also, warum nicht, ich hatte doch Hilfe, und mit der Erziehung würde ich halt Berenice um Beistand bitten. „Wenn du meinst, daß ich das hinkriege, gerne! Ich kenne mich aber nicht aus, mit Hunden. Such du mir einen aus, Berenice.“ Sie lachte und schaute mich an: „Brauche ich nicht, das hat der Hund schon für dich getan. Jetzt braucht er noch einen Namen und dann kommst du in der nächsten Zeit oft hierher und spielst mit ihm – nein, mit ihr, es ist eine Hündin.“ „Oh, das ist schwierig, so aus dem Stegreif… Moment… äh, wie wäre es mit Gin? Als Kurzform von Ginger.“ Der kleine Hund fiepte kurz und gab dann das Tauziehen auf. Berenice nickte: „Das ist gut. Schön kurz und wenn du böse mit ihr bist, nimmst du die lange Form, dann weiß sie gleich, was Sache ist. Also, ab jetzt ist Gin dein Hund, ich hüte sie nur so lange, bis sie von der Mutter weg kann. Aber keine Angst, ich bin immer in der Nähe, falls ihr Zwei mal Hilfe braucht.“ Sie hatte meinen erschrockenen Blick sofort richtig gedeutet. Endlich lösten wir uns schweren Herzens von dem wilden Haufen. Danach warfen wir noch einen Blick in einige der anderen Ställe, auch hier fanden sich verschiedenste Huskys, oft zu zweit untergebracht, aber auch Schäferhunde, große wollige Hütehunde und drahtige Terriersorten. Es dauerte lange, bis wir endlich wieder oben im Speisezimmer waren. Und hier war abgeräumt worden und die Leute verschwunden. Berenice meinte: „Es ist schon fast Tag draußen, kein Wunder, daß alle zu Bett gegangen sind. Und das sollten wir jetzt auch tun.“ Sie umarmte jeden von uns und ließ Carré und mich dann am Ende der Treppe alleine. Die fragte „Bist du müde? Ich bin so aufgedreht, ich kann doch jetzt nicht schlafen.“ Mir ging es ganz ähnlich. „Also, was stellen wir an?“ Wir stellten dann erstmal nicht wirklich was an, sondern setzten uns in meinem Zimmer auf das große Himmelbett, mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern. Einige Zeit plauderten wir ungezwungen, dann meinte Carré auf einmal: „Ich glaube, ich möchte Raphael besuchen. Er hat sich in der letzten Zeit sehr verändert und das gefällt mir. Komm, laß ihn uns suchen, soll er uns doch ein wenig unterhalten.“ – „Ist das nicht etwas unverschämt, nur weil wir nicht schlafen können, sollen wir ihn vielleicht aufwecken? Und hier einfach suchen?“ – „Quatsch. Er schläft sowieso kaum, das tun wir alle nicht, und er läßt sich bestimmt gerne von uns wecken. Das Suchen ist nicht schwer, hier nebenan sollte Gabriel sein, richtig?“ Ich nickte nur. „Gut, dann wird er daneben sein. Los, komm.“ Also griffen wir uns den Rest der Flasche und schlichen an Gabriels Tür vorbei zum nächsten Raum. Ohne anzuklopfen, ging Carré einfach rein. Aber sie hatte Glück, es war wohl das richtige Zimmer. Allerdings schlief Raphael wirklich. Die Decke war von seiner Brust gerutscht und er bemerkte uns nicht, als wir vor seinem Himmelbett standen. Kopfschüttelnd sah Carré auf ihn herunter. Dann flüsterte sie mir zu: „Eigentlich dürfte man sich nicht so an ihn heranschleichen können. Ich gehe auf die andere Seite, du bleibst hier und dann wird er ordentlich erschreckt.“ Der ‚vernünftigen’ Carré hätte ich solche Sachen nie zugetraut aber es war schon verlockend… Sie schlich auf die andere Seite des Bettes und dann gab sie mir ein Zeichen. Gemeinsam stürzten wir uns auf den armen Mann, der… hellwach war, seine Arme nach beiden Seiten ausstreckte und uns erfolgreich einfing. An jeder Seite eine Frau setzte er sich auf. „Ihr glaubt doch nicht, daß ich zwei Engel nicht bemerke, die Nachts an mein Bett treten. Kommt her, ihr zwei, erst mir den Mund wässerig machen und dann zurückziehen, das hab ich gerne.“ Carré kicherte, wie ein junges Mädchen und auch ich mußte über unseren mißlungenen Angriff lachen. Also holte Carré von einem Schränkchen drei Gläser und wir machten es uns nun zu dritt auf dem Bett gemütlich. „Also, meine Damen, was war das da eben? Wenn das ein Angriff auf meinen Körper war, habt ihr versagt. Aber natürlich hätte ich ihn euch gerne freiwillig zu ‚Studienzwecken’ zur Verfügung gestellt. Aber so? Nein! Das ist doch hier keine Selbstbedienung!“ Wieder mußten wir beide lachen. Na ja, der Gedanke war auch nicht schlecht, er so mit nackter Brust… „Nicht doch, Phale, würden wir nicht tun. Du bist doch ein anständiger Mann…“ „sagt wer“, fragte er zu mir zurück. „Äh, dachten wir eigentlich“ grinste Carré. „Aber wenn wir uns geirrt haben sollten, macht das auch nichts. Und da wir ja ebenso anständig sind, wie du ... und wir konnten halt nicht schlafen und dachten einfach, du würdest dich über etwas Gesellschaft freuen.“ – Er schaute sie gespielt vorwurfsvoll an: „Ach, nicht schlafen. Und mich dann da mit reinziehen. Und weil wir ja alle so schrecklich brav sind, sollte ich euch wahrscheinlich so langweilig unterhalten, daß ihr von selber müde werdet? Nix da, ich spiele nicht mit. Ich kenne nur einen Weg, damit ihr einschlaft und den werde ich euch bestimmt jetzt nicht mehr zeigen. Habt ihr gar nicht verdient…“ Carré warf mir einen deutlichen Blick zu. Ich konnte förmlich hören, wie sie diese Herausforderung annahm. Eigentlich wollten wir ja nur ein wenig albern, aber wenn der so kam.... „Nicht verdient?“ hauchte sie zuckersüß, während sie langsam ihr Glas auf dem Nachttisch deponierte. „Alleine die Tatsache, daß zwei einsame Frauen auf der Suche nach ein wenig Zuwendung den Weg in dein Zimmer gefunden haben, sollte doch belohnt werden, mein dunkler Ritter.“ Sie rückte näher an ihn heran, so daß Phale sein Glas sicherheitshalber in die andere Richtung hielt, nur um dann festzustellen, daß auch dort eine Frau saß und ihn anlächelte. „Danke dir, mein Schatz“, strahlte ich ihn an und nahm ihm selbiges ab, vorsätzlich seine Geste falsch verstehend. „Ladies, ich bitte euch...“ sein eher gedämpfter Einwand wurde von Carré großzügig ignoriert. Während Phale so weit vor ihr zurück wich, bis er durch mich gebremst wurde, rückte die dunkle Schönheit vor ihm erheblich näher und hauchte noch immer mit einem süßen Lächeln: „Da du doch nicht freiwillig mitspielen willst und selber die Rede auf Selbstbedienung gebracht hast, werden wir auf unsere Weise dafür sorgen, daß du uns unterhältst.“ Und über seinen Kopf warf sie mir einen Blick zu, den ich erwiderte. Warum nicht einen gelungenen Tag schön ausklingen lassen. Phale war nah genug, so daß ich in einer Bewegung seinen schon fast auf mir liegenden Oberkörper an mich zog und seine Oberarme links und rechts festhielt. Ich meinte, so etwas wie ‚Verräter‘ von ihm zu hören, aber Carré nutzte gleich die Gelegenheit. Geschickt schob sie den Rest der Bettdecke von unserem armen Opfer und schwang ein Bein über ihn, bis sie rittlings auf seinem Unterleib saß. Seine Gegenwehr hielt sich in Grenzen und entlockte mir nur ein kleines „na na!“ Carré hielt kurz inne, sah ihn an und senkte dann den Kopf, bis ihre Haare ihr Gesicht vollständig verbargen. Sie legte eine Hand auf seinen Bauch, mit der anderen wanderte sie vorsichtig seine Brust hinauf bis zum Halsansatz und dann langsam wieder zurück. Der warme Körper unter mir spannte sich merklich an. Mit der gleichen fließenden Bewegung wie zuvor griff sie nach ihrem Shirt und zog es über den Kopf, ließ die Haare dabei nach hinten flattern. Zum Vorschein kamen kleinere, aber wohlgeformte Brüste, ihrem zierlichen Körper angemessen. Erneut versuchte mein Gefangener, sich aus meinem Griff zu befreien. Leise meinte ich zu ihm: „Erst wolltest du nicht mitspielen, jetzt lassen wir dich nicht.“ Carré strahlte mich an und machte sich jetzt mit beiden Händen auf, seine Brust zu erkunden. Wieder reagierte Phale sofort auf die zarte Berührung, sein Oberkörper hob sich ihr entgegen. Doch Carrés Gewicht und mein Griff hielten ihn. Während ihre Finger der Linie der Schultern folgten, beugte sie erneut den Kopf und ließ ihre Zunge um seine Brustwarzen wandern. Als sie sich ihren Weg nach unten suchte, und dabei das Gewicht ihres Körpers verlagerte, wurde es schwerer, seine Arme zu halten. Erneut warf mir Carré einen kurzen Blick zu, ich verstand den Hinweis und schob mich an Phale vorbei, bis ich seine Brust mit meinem Gewicht herunter drücken konnte. Damit verlor ich allerdings die Kontrolle über einen seiner Arme, den er sofort zurück forderte und einsetzte, um mich zu einem langen Kuß an sich zu ziehen. Auch meine Finger begannen, auf seiner warmen Haut auf Wanderschaft zu gehen, Carré hatte die Zeit genutzt, um den wehrlosen Mann von seiner Unterhose zu befreien. Ich hatte mich aus seinem Griff gewunden und knabberte gerade unterhalb einer von Phales Rippen, als Carré sich wieder auf seinen Unterleib setzte, jetzt ebenfalls ohne Hose, sein steifes Glied dabei unter sich klemmend. Unser Opfer stöhnte und versuchte erneut, mich zu ihm zu ziehen. Carré beugte sich vor, bis sie dicht bei mir war – Phale stieß mit dem Unterleib nach oben – und flüsterte mir zu: „Du mußt nicht! Aber es gibt keinen Grund, sich zu genieren. Zieh dein Hemd aus, wir werden ihm richtig einheizen.“ Ohne groß zu zögern schwang auch ich ein Bein über den Mann und saß rittlings vor Carré, mit Blick in die dunklen Augen, weit aufgerissen und mit einer Mischung aus Verwunderung und Verlangen darin. Als ich nach dem Shirt griff, half Carré mir, es über den Kopf zu streifen. Da Raphael seine Hände wieder zur Verfügung hatte, griff er nach mir und zog mich an den Hüften näher zu ihm. Doch obgleich er sich hoch reckte, ignorierte ich seinen verlockenden Mund. Sein ganzer Körper war von feinem Schweiß umgeben, ich fühlte seine Kraft und sein Verlangen, eine dunkle warme Welle, die sich um mich zu legen schien. Carré griff von hinten nach mir, legte ihre Hände um meine Brüste und biß sehr vorsichtig in meinen Nacken. Auch mich hatte die Erregung gepackt, ich legte den Kopf zurück, die Augen halb geschlossen und grub meine Finger im Gegenzug in Phales Brust. Kurz stützte Carré sich auf mich, hob sich etwas und ließ sich dann langsam wieder herab. Ich spürte den Mann unter uns zittern, sich an mir festhaltend und hörte Carré hinter mir die Luft anhalten. Und dann begann sie, sich langsam auf ihm zu bewegen, ich fühlte, wie Phale unter mir die Muskeln spannte, während die Frau hinter mir sich weiterhin an mir fest hielt. Sie strahlte jetzt eine unheimliche Leidenschaft aus, sie schien nur aus Verlangen und Liebe zu bestehen. Und vor mir breitete Raphael eine Stärke und Sicherheit aus, die ich so noch nicht kannte. Das also war die Magie dieser beiden Menschen, ich war von ihr umgeben und einbezogen, obgleich ich nicht ein Teil davon war, noch nicht sein durfte. So bekam auch ich ein ungewöhnliches Geschenk. Wieder reagierte Phale viel stärker als andere Männer. Während Carré noch immer meine Hüften hielt, beugte ich mich vor, strich über Phales Brust und Hals und erlaubte ihm gelegentlich, mich zu einem Kuß an sich zu ziehen. Doch als seine Zähne wuchsen, zog ich mich ein wenig zurück, genoß seine Erregung und ließ mich von Carrés Bewegungen und Leidenschaft mitziehen. Beide atmeten schneller, Phales Unterleib hob sich in schnelleren Stößen und dann begann er zu zittern, seine Augen schlossen sich und mit weit geöffnetem Mund kam tief aus seiner Kehle ein Seufzen, daß ein Stöhnen war. Hinter mir flüsterte Carré ganz nah an meinem Ohr „gleich darfst du. laß uns die Plätze tauschen.“ Sie klang anders als sonst, die Stimme tiefer und sie atmete schnell. Vorsichtig drehte ich mich zu ihr um, auch ihre Zähne waren gewachsen, es sah faszinierend aus! Richtig, bei einer Frau hatte ich das noch gar nicht gesehen... Etwas unsicher aber doch bestimmt griff ich hinter ihren Kopf und zog sie zu mir, ein Impuls, kein Vorsatz. Sie reagierte sofort, legte erneut beide Arme um mich und küßte mich – sehr vorsichtig mit ihren Zähnen und mit der Erregung, die noch immer von Phale in sie strömte. Für einen kleinen Moment vergaß ich den Mann unter uns, erkundete meine Zunge ihren Geschmack und spürte die Liebe, die von ihr aus ging. Doch das war ein gefährliches Spiel, mit ihren langen Zähnen. Sanft strich sie mir durchs Haar und wir kehrten in unsere Realität zurück. Sie schwang ihr Bein über Phale, bis sie neben ihm saß und legte sich mit ihrem Oberkörper auf ihn, während ich mich auf seiner anderen Seite meines Slips entledigte. Obwohl kaum die Gefahr bestand, daß er uns noch weglief... Ich kletterte über seine Beine zurück und wurde schon von seinem erneut steifen Glied erwartet. So vertrödelte ich keine Zeit, ließ mich vorsichtig auf ihm nieder, während Carré meinen vorherigen Platz einnahm und unser Opfer liebevoll und ohne Rücksicht auf ihre Zähne küßte. Mein Körper hatte schon auf ihn gewartet, er drang ohne Stocken in mich ein und wieder spürte ich ihn zittern, während wir einen Moment verharrten. Er konnte nicht viel tun, um den Rhythmus zu bestimmen, ich konnte nach meinem Willen das Tempo vorlegen und jedes Mal, wenn ich den Druck verstärkte, spürte ich ihn unter und in mir zittern. Carré hatte sich aufgerichtet und begann, sich immer weiter nach hinten zu lehnen, bis ihr Körper auf meinen Brüsten ruhte. Ihre Hände wanderten an Phales Oberschenkeln entlang, über meine Beine bis zu meinem Gesäß und dann langsam wieder zurück. Eine sehr sinnliche und doch unschuldige Berührung. Wohingegen Phales Hände nach ihr suchten und nachdem er vergeblich versucht hatte, sie an sich zu ziehen, begann er, seine Finger in ihr und an ihr wandern zu lassen. Erneut hörte ich Carré stöhnen, so erregend, daß ich meinen Druck auf Phales Glied verstärkte und so ihm ein ähnliches Geräusch entlockte. Wieder schien uns Dunkelheit und Verlangen einzuhüllen, ich hörte Carré flüstern: „Fester, gib mir mehr, dunkler Krieger!“ Noch weiter lehnte sie sich gegen mich, ich gab die Bewegung weiter und so schloß sich der Kreis. Es war einfach zu viel, wir alle waren von Erregung durchflutet und als Carré laut stöhnte und ihre Fingernägel in mein Gesäß grub, kam mein Höhepunkt in einer Reihe von Schüben, die Phale verstärkte. Nur Augenblicke später ergoß er sich in mich und Carré begann zu zucken, beugte sich vor und biß Phale in die Schulter. Und in dem Moment war ich Teil ihrer Magie, ich spürte den Biß fast, wie eine Droge, die sich rasend schnell in meinem Blut verteilte, berauschend, die Erregung und den Höhepunkt noch verstärkend und als Phale ihr Blut nahm, schmeckte ich neben der Befriedigung fast noch die Liebe und Verbundenheit auf meiner Zunge. Kader der OscuroA brotherhood in strength united To fight a darkness‘ entrance uninvited A unity not seeking power, wealth or glory But freedom alone is only a part of the story Zwei Tage später weckte Gabriel mich abends. In den Tagen zuvor war er viel mit Kolya zusammen gewesen, um weitere Einladungen auszusprechen, Vorbereitungen zu koordinieren und geheimnisvolle Besprechungen abzuhalten. Er lächelte mich an und meinte, als ich mich aus den Kissen rollte: „Bald haben wir mehr Zeit füreinander. Aber heute folgt die versprochene Führung. Und zuerst eine besondere Sehenswürdigkeit, die es nur hier auf Sonho Noite gibt. Komm, meine schwarze Rose, wir machen einen Rundgang.“ Vom Erdgeschoß aus folgten wir einem Gang, der scheinbar aus dem Schloß heraus führte, zu einer Art Nebengebäude. Und als wir dieses betraten, blieb ich wie angewurzelt stehen. Es war eine kleine Kapelle. Da gab es die üblichen Bänke, die in eine Kirche gehören, einen Altar, ein Kruzifix an der Decke darüber, eine kleine Orgel, einen Beichtstuhl, sogar Becken mit Weihwasser und einige religiöse Statuen. Entsetzt sah ich zu Gabriel, der neben mir stand. „Aber… ich dachte…“ Er lächelte, nahm meine Hand und führte mich nach vorne vor den Altar. „Du hast richtig gedacht, schwarze Rose. Dies ist eine Kirche, und doch nicht. Sie wurde wie eine normale Kapelle angebaut, übrigens haben viele alte Schlösser solche hauseigenen Kirchen. Jetzt kommt das ‚aber’. Dieser Raum wurde niemals von Priestern geweiht. Daher kann ich ihn ohne Gefahr betreten. Die einzige Kirche, die ich jemals sehen werde.“ Es klang ein Hauch von Melancholie aus seiner Stimme. Er hatte einen Arm um mich gelegt und sah zu dem Kreuz über dem Altar. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter. „Ich denke, es ist ein fairer Tausch, wenn ich überlege, was du statt dessen alles bekommen hast. Im Grunde ist es nur ein Raum mit einem Kreuz, ich habe Probleme mit dem Gedanken, daß Gott an so einem Ort wohnt.“ Noch immer schaute er hinauf: „Nun, irgend etwas ist in diesen Kirchen, das wissen wir besser, als sonst jemand. Aber ich vermisse nicht die Möglichkeit, einen solchen Ort zu betreten. Nicht wirklich. Aber keiner von uns kann in einer echten Kirche heiraten, die Kinder taufen lassen oder zur ewigen Ruhe gebettet werden. Das ist der Gedanke, der mich manchmal traurig stimmt. Nicht die Abwesenheit von Gott. Würdest du nicht gerne mehr als meine Gefährtin sein? In einer Kirche heiraten?“ Jetzt war ich überrascht und nicht nur von dem Gedanken an Heirat: „Nein! Was gibt es mehr, als daß wir verbunden sind? Dafür bedarf es von niemandem eines Segens. Und Gott ist noch nie eine Garantie gewesen, für ewige Liebe. Nein, da ist nichts, das mir fehlt.“ Er riß sich von dem Kruzifix los, zog mich an sich und küßte mich lange und fest. Er breitete seine Schwingen um uns und die Kirche und das Licht verschwanden in einem dunklen, warmen Schatten. Was brauchte es mehr? „Ich liebe dich“ sagte er einfach nach einiger Zeit. Und der nächste Kuß, der meine Antwort auslöschte, war der Beweis. Und ohne uns noch einmal umzudrehen, setzten wir die Hausbesichtigung fort. Wir verloren kein Wort mehr über dieses Thema. Das Schloß war wirklich außergewöhnlich. Die Wohn- und Schlafbereiche in den oberen Etagen, ein riesiges Wirtschaftsgebäude, das sicherlich an die fünfzig Mitglieder der Nadiesda Thurus beherbergte, die ständig hier lebten und zur Zeit noch mehr Leute, denn Bouviers und Gabriels Männer waren nicht abgereist. Im Untergeschoß waren die Tiere untergebracht und wir besuchten gleich noch Gin, die sich enorm über die wachsende Aufmerksamkeit freute. In den Etagen darunter war dann ein anderes Bild vorherrschend. Sterile Räume, Laboratorien und geheimnisvolle Räume ähnlich denen, die ich vor langer Zeit mit Gabriel und Kolya bei meinen ersten Tests besucht hatte. Und hier würden auch die neuen Untersuchungen stattfinden. Es gab hier die modernsten technischen Geräte, die ich nach den letzten Monaten nicht erwartet hätte. Gabriel führte mich überall herum und stellte mir einige der Forscher vor, ein gemischter Haufen aus Mitgliedern der Oscuro und der Nadiesda Thurus. Die Führung hatte mehrere Stunden gedauert und als wir uns im Speisesaal einfanden, war schon ein Großteil unserer Freunde dort zum allabendlichen Schmausen. Als wir versorgt waren, kam Kolya auf mich zu, diesmal nicht in Begleitung von Cesira. Er sprach Gabriel ernst an: „Würdest du uns bitte eine Zeit entschuldigen, wir haben was zu besprechen. Etwas Persönliches.“ Was konnte das jetzt sein. Sein Gesichtsausdruck war gar nicht so lächelnd, wie es in der letzten Zeit fast immer gewesen war. Er stellte mein Glas ab und zog mich zu einer der Türen, die nach einigen Gängen in die Sporträume mündete. Er schaute sich um, fand einen kleinen Umkleideraum und drückte mich auf eine Bank dort. Was hatte ich angestellt, er sah ein wenig unmutig aus. Und schon kam es: „Wie hattest du bei meiner Heilung die Finger im Spiel? Cesira weigert sich, mir nähere Auskünfte zu geben, Gabriel ebenfalls und hätte sie sich nicht ein ganz klein wenig verplappert, wäre ich noch nicht mal mißtrauisch geworden. Also, raus damit!“ Ups! „Ja, also, eigentlich nicht viel, Kolya…“ Das war wohl nicht genug. Ohne Lächeln schaute er von oben auf mich runter, mit verschränkten Armen und wartend. Oh, warte Cesira! „Nein, ehrlich nicht. Gabriel und Bouvier hatten die Kugel entfernt, und ihr Blut gegeben. Na ja, und da hab ich halt auch ein wenig gespendet…“ „Ich will es ganz genau wissen. Erzähle alles und wehe, du läßt was aus!“ Das klang nicht nett. Und ich wußte nicht, was er schon gehört hatte. War er wirklich böse, weil ich ihm auch von meinem Blut gegeben hatte? Gabriel hatte gemeint, er würde es annehmen, wenn er die Wahl hatte. Ach, egal. Also erzählte ich ihm alles. Die Sache mit der Spritze, daß ich die Wunde versucht hatte zu schließen und ihm ein paar Tropfen in den Mund gegeben hatte. „Ich wollte dir nicht schaden, Kolya, ich hatte nur solche Angst, daß du sterben würdest. Ich hab es niemandem gesagt, obwohl es vielleicht ein paar geahnt haben. Sei nicht böse…“ Er schüttelte den Kopf und setzte sich jetzt endlich neben mich. „Böse? Glaubst du das wirklich? Unfug. Also hatte ich das nicht geträumt. Nein, mir ging es um etwas anderes. Du kennst den Kodex? Klar, Kleine, den Passus über Schuld in Blut zahlen. Ich bin in deiner Schuld, Gabriel hat zähneknirschend zugegeben, daß ich vermutlich ohne deine Hilfe gestorben wäre. Ich schulde dir mein Blut und ich kann es nicht ertragen, daß ich nicht mal von dieser Schuld wußte. Wieso machst du so was zu einem Geheimnis?“ – „Ach Kolya, das war nicht wirklich absichtlich, ich hatte doch deine Einwilligung nicht, ich wußte nicht mal, ob ich helfen konnte und … und du bist mein Freund, und Freunde schulden sich nichts. Es ist mir irgendwo peinlich, so was zu erzählen.“ – „Und dann sagst du, daß wir Freunde sind. Egal, jetzt weiß ich es und werde dementsprechend handeln. Ich verlange, daß der Kodex erfüllt wird. Irgendwann in angemessener Form aber eine Anzahlung muß umgehend geleistet werden. Jetzt und auf der Stelle.“ Und wie hatte er sich das jetzt gedacht. Ich würde ihn ja wohl kaum jetzt beißen… Aber natürlich war das alles nicht spontan, sondern gut vorbereitet. Er zog ein Messer aus der Tasche, zum Glück nicht aus Silber, davon hatte er hoffentlich vorerst genug. „Du hast mir von deinem Blut gegeben, jetzt ist es deine Pflicht, von meinem zu nehmen. Beschäme mich nicht, sondern nimm dieses Geschenk von mir an, als Zeichen meiner Freundschaft und meiner Liebe zu dir.“ Und mit diesen großen Worten machte er einen Schnitt quer über das Handgelenk. Wie konnte ich dieses Verlangen ablehnen. Also zog ich seinen Arm zu mir, sah ihm kurz in die Augen und schloß die Wunde wieder. Sein Blut schmeckte wieder nach Eisen und Salz und nach herrlichem altem Wein. Ich senkte den Blick und kostete einen Moment diesen Eindruck aus. Als ich ihn wieder ansah, hatte er die Augen geschlossen und den Kopf nach hinten gelegt. Auch er genoß diesen Moment, wenn er auch anders verlief, als es sonst wohl unter diesen Umständen üblich war. Für diesen Riesen sehr sanft zog er meinen Kopf zu sich und probierte sein eigenes Blut auf meiner Zunge. „Danke! Jetzt sind wir fast richtig verbunden.“ Wir sprachen nicht weiter von diesem Thema, fanden uns wieder im Speisesaal ein, wo niemand unsere Abwesenheit bemerkt zu haben schien. Gabriel erzählte, daß ab morgen die anderen Gäste eintreffen würden. Und daß dann die ersten Proben von meinem Blut genommen würden. Wenn ich auch nicht begeistert war, so war es doch unvermeidlich. Es war Ende April und seit der ‚mißlungenen’ Umwandlung waren mittlerweile fast sechs Monate vergangen. Wie hatte Gabriel gesagt, es war an der Zeit. Am nächsten Nachmittag begann mein Tag also recht unangenehm damit, daß mir unten, in den Laboratorien einige Liter – so kam es mir vor – Blut abgenommen wurde. Dann durfte ich noch diverse andere Proben abliefern, eine Kontrastflüssigkeit trinken und mich dann einigen Röntgenstrahlen aussetzen. Zu guter Letzt wurden mir einige Proben auf den Rücken geklebt, in Anlehnung an einen Allergietest. Die Auswertung sollte nach vierundzwanzig Stunden erfolgen. In nicht allerbester Laune traf ich sehr spät im Speisesaal ein. Dort wartete dann eine angenehmere Überraschung. Scuro Tejat hatte ebenfalls eine Einladung erhalten und sie angenommen. Er war heute eingetroffen und ich begrüßte ihn mit einer vorsichtigen Umarmung. „Wie schön, daß du hier bist.“ – „Ja, ich freue mich auch. Ich bin schon sehr viele Jahre nicht mehr bei Mikail gewesen – und ich meine wirklich viele Jahre. Vermutlich so an die zweihundert. – Ich habe gehört, was mit Charon und seinen Leuten passiert ist. Ich habe es nicht glauben wollen, bis ich ihn vorhin leibhaftig gesehen habe. Eine unglaubliche Geschichte, er hat versprochen, mir alles in Ruhe zu erzählen, wenn ich diese verflixte Reise aus meinen Knochen los bin.“ Tejat zog sich heute früh zurück, immerhin hatte auch er die Zeitumstellung zu bewältigen, allerdings war er mit dem Auto angereist. Gabriel nahm mich in den Arm, drückte mich fest und fragte nach meinen Erlebnissen in der ‚Folterkammer’ „Nun, der Ausdruck paßt sehr gut, finde ich. War ja erträglich, muß ich aber nicht jeden Tag haben. Die haben genug Blut, daß es vermutlich für die nächsten Wochen reichen wird.“ Er grinste. „Vermutlich nicht, die sind enorm gierig. Schlimmer als wir jemals gewesen sind. Nie zufrieden. Aber die sind auch gut. Versprochen, der Aufwand wird sich lohnen.“ Ich nickte. „Schon gut, ich versteh es ja und es war höchste Zeit dafür.“ Er drückte mir einen wunderbaren Kuß auf und flüsterte in mein Ohr: „Das ist die Anzahlung. Nachher werde ich dich richtig belohnen, für deinen Mut und dein Stillhalten, meine schwarze Rose.“ Nun, das war doch ein Versprechen, das dem ganzen eine positive Note gab. Am Abend des nächsten Tages trafen dann weitere von Gabriels Freunden und Verbündeten ein. Und nach dem Aufwand, und den Mengen an Bodyguards zu urteilen, kam da die Crème-de-la-Crème der Oscuro. Koffer wurden in die oberen Stockwerke gebracht, Fremde schwärmten durch die Gänge und Mikail begrüßte viele persönlich in der Bibliothek. Weder Gabriel, noch die anderen Mitglieder unserer Gruppe waren dazu eingeladen, der offizielle Empfang sollte erst stattfinden, wenn die Gäste vollzählig eingetroffen waren. Ein paar der Besucher erkannte ich: Simeon du Aut-Con, zusammen mit seinem Kaj Arpad. Im Vorbeigehen winkte ich den beiden zu und Arpad strahlte und winkte vehement zurück. Dann eilte der seinem Kader schnell hinterher. Mit dem Gefühl, etwas überflüssig zu sein, besuchte ich erst Gin und machte mich dann unentschlossen auf die Suche nach einem Gesprächspartner. Es liefen viele Leute an mir vorbei, aber ich kannte niemanden und von meinen Freunden war keiner griffbereit. Halt, nicht ganz, grad kam Charon an mir vorbei, warf mir einen fragenden Blick zu und meinte dann: „Hallo, Lumina. Du siehst etwas unentschlossen aus, keine Pläne im Moment? Hast du Lust, mich zu begleiten, ich will ein wenig mit Scuro Tejat über die letzten Ereignisse reden. Er würde sich sicher über deine Anwesenheit freuen.“ Na also, eine interessante Unterhaltung, statt zielloses Umherirren. Charon ging voraus und schaffte es unglaublicher weise, völlig ungesehen in Tejats Wohnraum zu gelangen. Eine Meisterleistung bei dieser Menge an Leuten, die an seine Fähigkeiten bei Bouvier erinnerte. Tejat erhob sich nicht, als wir leise nach einem kurzen Klopfen eintraten. „Schön, daß ihr den Weg zu mir gefunden habt. Ich möchte die Geschehnisse der letzten Zeit gerne ausführlich erfahren und gerne aus erster Hand. Ihr beide seid genau die richtigen Boten. Setzt euch, nehmt euch etwas von dem guten Wein hier und erzählt mir alles.“ Gehorsam taten wir wie er uns angewiesen hatte. Und dann berichteten Charon und ich abwechselnd noch einmal von unserem ersten Treffen, jeweils aus der eigenen Sicht. Wir ließen nichts aus und Charon erzählte kurz von unserer zweiten Unterhaltung, wobei er allerdings die Details des Treffpunktes und die Gesamtsituation unerwähnt ließ. Tejat hörte bis zum Schluß aufmerksam zu und meinte dann: „Du bist schon so oft vor mich getreten, Charon, ich dachte, ich würde dich kennen. Ich muß zugeben, daß ich mich – vielleicht zum Glück für uns alle – geirrt habe. Ich kenne deine Kräfte, aber daß du den Mut finden würdest, dich dem ‚Rat’ zu widersetzen, hätte ich nicht zu hoffen gewagt. Ich würde ja den Beschluß aufheben und den Imprecatio Curor von seinem Auftrag entbinden, aber durch deine Entscheidung kann ich das nicht. Du hast zwei Mitglieder des Rates als handlungsfähig definiert und damit bleibt dein Widerstand bestehen, bis Seraphina meinen Schiedsspruch bestätigen kann. Vielleicht soll es so sein. Und Charon, wie siehst du jetzt, nach einem gewissen Abstand deine Entscheidung. Unabhängig davon, ob deine Interpretation der Prophezeiung besser oder schlechter sein mag, als die von anderen.“ Charon sah wieder mit diesen schwarzen, bohrenden Augen zu mir und wägte seine Antwort ab. „Ich bin noch immer der Meinung, daß ich mich richtig entschieden habe. Die Gedanken über die Prophezeiung habe ich mir erst später gemacht. Überzeugt hat mich LaVernes Handeln und auch ihre ruhige Überzeugungskraft. Ihr Blut schmeckt wie unseres, fast, und Nathaniel war bereit, sie zu verteidigen. Was für Beweise brauchte ich noch. Ich kann nur nach meiner Überzeugung und nach dem Kodex handeln, ich hatte ab dem Moment keine Wahl mehr.“ Er hatte es ruhig gesagt und mich dabei die meiste Zeit angesehen. Ich kam mir dabei wieder einmal wie dieses berühmte Kaninchen vor. Tejat lächelte in meine Richtung und meinte dann: „Wir alle müssen tun, was unser Herz diktiert, es ist unser Kompaß. Wenn in den nächsten Tagen der große Rat zusammentritt, wird sich endgültig entscheiden, ob Gabriel seinen Weg weiter gehen kann, oder ob wir voreilig waren. Dennoch war es richtig, daß er nicht mehr zurück weicht. Das ist meine Meinung und ich bin sicher, auch die Meinung von vielen anderen. Wir werden sehen.“ Er wechselte das Thema, während Charon uns allen Wein nachlieferte. „Gabriel hat gerufen und eine beeindruckende Gruppe von starken Verbündeten ist seinem Wort gefolgt. Kennt ihr einige der besonderen Gäste in diesem Haus? Ich denke nicht, daß ich öfter als zwei Mal in meinem Leben so viele verschiedene Zirkel unter einem Dach vereint gesehen habe.“ – „Ich kenne nur einen, Simeon und Arpad, aus Frankreich, vom Noctua-Zirkel. Dort war ich ja, bevor wir zu dir gereist sind. Ansonsten sagen mir die Gesichter gar nichts.“ Charon konnte noch ergänzen: „Gut, Bouvier vom Colubra-Zirkel brauchen wir nicht zu erwähnen. Dann kenne ich noch Isebel, der Kader des Felis-Zirkel, und ich glaube, ich habe Belorian gesehen, das wäre dann der Uncia-Zirkel. Ich bin mir da aber nicht ganz sicher.“ Tejat nickte leise vor sich hin, während ich fasziniert den unbekannten Namen lauschte. Ich nahm mir fest vor, möglichst bald mal alle Zirkel aufzuschreiben, das Tier, für das sie standen und die passenden Kader. Es konnte doch nicht angehen, daß ich alle durcheinander warf. Während ich noch überlegte, ergänzte der Scuro noch: „Sehr gut, Charon, ja, es war Belorian. Das kann noch interessant werden, wenn er und Nathaniel sich gegenüber stehen. Wen haben wir noch? Ach, Thyatira kennst du noch nicht, sie hat ihren Kaj Chayenne mitgebracht. Wenn auch der Monoceros-Zirkel nicht grade für gute Kämpfer bekannt ist, es kommt manchmal einfach nur auf den Willen an, und darauf, daß sie Sympathie zeigt. Ich kann mir vorstellen, daß Alex auch noch auftauchen wird, ansonsten schickt er sicher einige Abgesandte. Hiskio hat keine Einladung erhalten und er würde sicher auch nicht teilnehmen. Wir kennen ja seine Einstellung. Trotzdem ist die Quote ungewöhnlich gut: Sieben Kader sind unter diesem Dach versammelt. Das ist es, was Kolya vor einiger Zeit schon gesagt hat, vielleicht sind wir dabei, die Geschichte der Oscuro neu zu schreiben. Ich finde es wunderbar, dass ich das noch erleben darf.“ Ich fragte dazwischen: „Ist Chayenne nicht ein weiblicher Name? Gibt es eine Frau als Kaj?“ Wieder antwortete Tejat: „Ja, Chayenne ist eine Frau, ebenso wie ihr Kader und auch der Kader des Felis-Zirkel. Es kommt ja nicht unbedingt auf physische Kraft an, bei dieser Aufgabe. Nicht jeder sieht aus wie Kolya.“ Da hatte er sicher Recht. Wir redeten noch länger, über die verschiedenen Zirkel, die Beratungen, die in den nächsten Tagen folgen würden und auch über Sonho Noite, und daß dieses Schloß eines der wenigen war, das alle diese Gäste beherbergen konnte und es nicht eng wurde. Und als die beiden Männer begannen, über verschiedene Wohnsitze zu diskutieren, entschuldigte ich mich und kehrte in mein Zimmer zurück. Die Nacht war fast vorüber und im Schloß kehrte langsam Ruhe ein. In Ermangelung einer anderen Beschäftigung griff ich mir eines der Bücher und machte es mir im Himmelbett bequem. Am nächsten Abend war ein riesiges Bankett im Rittersaal aufgebaut. Obwohl der Raum wirklich groß war, würden nicht viel mehr Leute an die lange Tafel passen. Die Sitzordnung war ähnlich wie zuvor, Gabriel und ich auf der einen Seite von Mikail und Berenice, Raphael und dieses Mal Kolya auf der anderen Seite. Immer wieder wanderten die Blicke der Besucher zu Gabriel und seinem Bruder, offensichtlich war seine Existenz bisher erfolgreich vor den meisten verborgen worden. Mikail sprach einige warme Worte zur Begrüßung, und versprach, daß ab Übermorgen die Besprechungen und Konferenzen starten würden. Dort sollte dann erklärt werden, warum es diese Einladung überhaupt gab und was jetzt geschehen sollte. Alle sahen ihn ernst an und viele warfen immer wieder fragende Blicke zu mir und auch zu Charon, den wohl einige kannten. Und bis sich an diesem Tag die Versammlung auflöste, war es schon wieder sehr spät. Am darauffolgenden Tag wurde ich von einem lauten Klopfen an der Tür geweckt. Noch im Halbschlaf ließ ich Liobá ein, die ganz aufgeregt war: „Stell dir vor, Bouvier hat eine Fahrt nach äh, Medias organisiert, das ist die nächste größere Stadt hier. Schnell, zieh dich an, wir fahren in einer halben Stunde los. Einkaufen, Essen im Restaurant und bummeln. Los! Komm schon, so eine Gelegenheit bekommen wir so schnell nicht wieder, die lassen uns bestimmt nicht oft raus…“ Sie kicherte wie ein Teenager. Und das steckte unheimlich an. Selten war ich so schnell abmarschbereit. Eine größere Eskorte fuhr uns in die Stadt und ständig schwärmten Männer der Nadiesda Thurus in näherer und weiterer Umgebung um uns herum. Aber wir beachteten sie gar nicht, hatten einen herrlichen Spaß und gaben viel Geld für nutzlose Dinge aus. Wir gönnten uns ein örtliches Gulasch in einem kleinen Gasthaus und erst nach mehreren Stunden konnten wir bewegt werden, ins Schloß zurück zu fahren. Wir lachten und redeten und waren voller Elan. Es hatte riesigen Spaß gemacht und unsere ‚Männer’ hatten ihre helle Freude an unserer Ausgelassenheit Doch wir hatten nicht vor, uns heute zu den anderen, braven Leuten zu gesellen. Wir nisteten uns in meinem Zimmer ein und machten eine ausgiebige Modenschau, mit den neuen Sachen, schon vorhandenen Sachen und mehreren Flaschen Wein. Es fiel uns schwer, zusammenhängende Sätze ohne Kicheranfälle zu formen. Und bei Liobá wirkte natürlich auch der Wein, ich hatte eine solche Entschuldigung nicht. Irgendwann steckte Gabriel den Kopf durch die Tür und verschwand sofort wieder, als wir mit Kissen nach ihm warfen. Dies war ein Frauenabend. Liobá riß sich mühsam zusammen und meinte: „Das hat mir gefehlt. Mal unbeschwert einkaufen gehen, lachen und an nichts Wichtiges denken. Bouvier hat mir jetzt auch endlich den Rest der Geschichte über dich erzählt, es wäre eh rausgekommen und ich habe einfach solang gequengelt, bis er aufgegeben hat. Tolle Geschichte. Aber was ich eigentlich sagen wollte. Ich habe mich in der letzten Zeit öfter mit John unterhalten. Ich mag ihn, er hat irgendwie was… ich weiß auch nicht. Na, jedenfalls, wenn ich das richtig verstanden habe, hat doch jeder Kader jemanden, der auf ihn aufpaßt und dafür sorgt, daß der sicher ist. Kannst du mir noch folgen, oder rede ich zu schnell…“ Ich grinste: „Noch geht es. Ein wenig sprunghaft vielleicht aber was soll’s. Was ist jetzt mit John?“ Sie kicherte wieder, griff nach dem Glas und meinte: „Naja, er ist doch, nein, er war doch Polizist. Kennt sich dann bestimmt doch mit so was aus, also, meine Idee war, warum könnte John dann nicht einfach Bouvier beschützen. Meinst du nicht, das würde gut passen, so ein süßer Junge mit blonden Augen… ach, quatsch, also, ich meine natürlich…“ Und dann gab sie wieder auf, weil sie zu sehr lachen mußte. „Ich denke, John wäre ein guter Beschützer, aber ist dir klar, daß ich den nicht her gebe? Wenn der Bouvier beschützen soll, dann ist der am Ende der Welt und John ist mein Freund. Nein, ich mag den Vorschlag doch nicht.“ Ich lachte zurück, wie sollte man dabei auch ernst bleiben. Sie schmollte mich an: „Du willst nur alle netten Jungs für dich behalten. Pfui, was bist du für eine Freundin. Du hast doch Kolya, der dich beschützt und Gabriel gleich in doppelter Ausführung. Gönn mir doch auch was.“ Irgendwo hatte sie ja wohl Recht und wenn ich wieder einigermaßen in der Lage sein sollte, ohne loszuprusten mein Gehirn zu verwenden, würde ich ernsthaft über ihre Idee nachdenken. Aber nicht jetzt: „Klar will ich alle behalten. Außerdem muß wohl eher ich Kolya beschützen, in der letzen Zeit. Gabriel zählt nicht und Raphael? Nun, der ist einfach Raphael. John kannte ich schon früher, bevor die Nadiesda Thurus auf mich eingestürzt ist und die Oscuro. Ich war bei seiner Wandlung dabei, ein einmaliges Erlebnis. Er ist wohl so ein bißchen eine Erinnerung an eine Vergangenheit.“ Und so war es wirklich. Aber was er wohl dazu zu sagen hätte? Ich sollte es mal rausfinden. „Das diskutieren wir mal in Ruhe“ meinte Liobá. Sie kämpfte gegen einen Schluckauf, als sie weiter sprach: „Du kannst ja weiter an ihn denken. Aber Bouvier braucht doch auch einen Aufpasser und der ist so süüüß… Nun sei doch nicht so geizig!“ – „Aber sollte so eine Verbindung nicht langsam durch Vertrauen wachsen und meinst du nicht, wir sollten auch mal John fragen, was er von unserer Planung hält?“ – „Quatsch! Ich werd ihn einfach überreden. Ich hab damit schon mal angefangen … äh, also, irgendwie…“ Wieder kicherte sie haltlos. „Ach ja? Willst du darauf näher eingehen, wie du ihn überreden willst?“ Das wurde ja noch richtig interessant. „Ooch… also, ich hab halt mal ausprobiert, was ihr mir alle erklärt habt. Äh, kennst du eigentlich irgendwelche von den Besuchern?“ – „Du lenkst ab! Aber egal, nein, ich kenne kaum jemanden, nur einen Kader, den wir schon mal besucht haben. Aber laut Scuro Tejat haben wir hier eine herausragende Kollektion von Persönlichkeiten.“ Liobá schüttelte etwas den Kopf: „Meine Güte, wie kriegst du so schwere Worte jetzt noch raus? Ich hab gehört, daß morgen abend der offizielle Empfang ist. Ach nein, ja heute abend, meine Güte, man kommt durcheinander. Oh, mein Kopf…“ Nachdrücklich stellte sie ihr Glas ab. „Das war ein toller Tag, LaVerne. Das müssen wir wieder machen. Oh, mir dreht sich alles. Würdest du mir helfen, ich glaub, ich schaff es nicht mehr alleine in mein Zimmer.“ – „Klar doch, aber wenn du willst, hier ist Platz genug, du kannst gerne bleiben.“ Sie stand auf, schwankte leicht und setzte sich sofort wieder hin. „Gute… gute Idee. Ich hab’s übertrieben. Leihst du mir ein Shirt.?“ Ich half ihr beim Umziehen und steckte sie in das große Bett. Sie hatte schon die Augen geschlossen, als sie auf der Bettkante saß. Ich räumte noch unser Schlachtfeld weg, dann ließ ich mich neben ihr nieder. Ich war froh, daß ich diese Wirkung nicht merkte. Das war etwas, was ich nicht vermissen würde. Ich dachte noch einen Moment über ihre Idee mit John nach. Auch wenn es mir nicht sonderlich gefiel, mußte ich zugeben, daß es ein guter Gedanke war. John hatte gesagt, wenn er sich als Teil der Oscuro fühlen würde, wäre sein nächstes Ziel eine Beschäftigung, die ihm entsprach. Nun, wenn die Organisation von Sicherheiten nicht seinen Fähigkeiten entsprach, was dann. Aber so was mußte sich vermutlich ergeben, in Jahren wachsen. Und langsam glitt ich ins Reich der Träume. Der Abend war geprägt von einer spannenden Erwartungshaltung. Wir alle, die der Oscuro angehörten, waren in einem großen Saal im Erdgeschoß versammelt, den wir noch nicht betreten hatten. Kühl und überhaupt nicht altmodisch eingerichtet, gab es nur einen riesigen länglichen Tisch mit hochlehnigen Stühlen davor. Die Bodyguards der anderen Gäste blieben draußen, ebenso wie Liobá, die dank übler Kopfschmerzen auch nicht traurig darüber war. Nicht Mikail saß am Kopf der Tafel, sondern Gabriel und ich zu seiner Rechten, mit Raphael an seiner linken Seite. Es wurde nicht viel geredet, alle schauten zu uns und warteten. Als sich die Tür hinter dem letzten Besucher schloß, erhob sich Gabriel und sah ernst in die Runde. „Ich danke euch, daß ihr alle meinem Ruf gefolgt seid. Ihr kennt mich gut genug, um zu wissen, daß ich nicht leichtfertig nach euch schicke. Die meisten hier im Raum kennen sich, dennoch will ich für die anderen kurz die Namen nennen. Hier rechts neben mir seht ihr LaVerne. Meine Gefährtin und teilweise ein Grund für dieses Treffen. Neben ihr John, dann Cesira, Phelia, Aaron, Nicolas. Diese Vier sind Teile des Imprecatio Curor. Daneben Simeon mit seinem Kaj Arpad. Da Alex es nicht rechtzeitig zu diesem Treffen schaffen konnte, sitzt dort sein Kaj, Serebro. Die reizende Frau neben ihm ist Isebel, ich glaube, daß jeder sie kennt. Ihr zur Seite sitzt Bouvier St. Roche, dann folgt Thyatira. Sie hat ihre Kaj Chayenne mitgebracht. Daneben sitzt Belorian, Mikail und Berenice kennt ihr ja als unsere Gastgeber. Mein besonderer Gruß geht an unseren Ehrengast Scuro Tejat, an seiner Seite Charon, der Führer des Fluchs des Blutes. Neben ihm sitzt Nathaniel, von dem sicher schon alle einmal gehört haben. Dann folgt Tres, das Paar neben ihm sind Trevor und Carré, meinen Kaj Kolya kennt ihr sicher auch alle. Und zuletzt mein geliebter Bruder Raphael.“ Jeder hatte bei der Nennung seines Namens genickt und immer wieder wanderten die Blicke der Gäste zu Raphael und Gabriel. „Wie ihr hört, sind außergewöhnliche Menschen an diesem Tisch versammelt. Selbst Scuro Tejat kann sich an eine solche Runde nicht erinnern. Doch ihr seid gespannt, was es mit der Einladung auf sich hat. Also werde ich kurz erzählen, was in den letzten Monaten geschehen ist und dann werden wir über die Konsequenzen sprechen.“ Natürlich erzählte er nicht in Einzelheiten, was mir widerfahren war. Er sagte klar und deutlich, daß ich ein Mitglied der Oscuro war, mit all ihren Vorzügen. Und daß ich, ähnlich wie Nathaniel, nicht deren Einschränkungen unterworfen war. Immer wieder streiften mich – und auch Nathaniel – prüfende Blicke, aber keiner davon war feindselig. Dann sprach Gabriel von unserem Zusammentreffen mit Charon und dessen Entscheidung. Jetzt gab es doch leise Stimmen am Tisch aber das Gemurmel erstarb, als Gabriel weiter sprach. Er schilderte Dezmonts Angriff auf unsere Gruppe, der beinah Kolya das Leben gekostet hätte. Er erzählte noch, daß er seit mehreren Monaten immer wieder den Nachstellungen des weißen Drachen ausgewichen wäre und zuletzt berichtete er noch von den Eindrücken und Vermutungen, die wir durch den Besuch beim Congregat gesammelt hatten. Als er geendet hatte, war es still am Tisch. Serebro war als Vertreter von dem Kader namens Alex hier. Er wirkte kräftig, bei ungefähr Gabriels Größe. Seine dunkelbraunen Haare waren im Nacken zu einem Zopf gebunden und er trug einen schmalen Bart und wirkte reserviert aber freundlich. Er blieb sitzen, als er in die Runde sagte: „Gabriel ist bekannt dafür, daß er die Wahrheit sagt. Und die Anwesenheit von Charon und Scuro Tejat sind ein weiterer Beweis. Damit ist für mich klar, daß alles den Tatsachen entspricht, was du erzählt hast. Und somit läßt sich der Grund für diese Zusammenkunft erahnen. Aber ich möchte von dir hören, wie weit du zu gehen bereit bist.“ Gabriel atmete tief durch. Doch zu unser aller Erstaunen antwortete nicht er, sondern sein Bruder. Mit fester Stimme antwortete er: „Es sind noch keine Beschlüsse gefaßt worden, wir können nur für uns sprechen. Aber für seine Gefährtin geht Gabriel jeden Weg bis an dessen Ende, wenn es sein muß, ins Licht. So, wie sie es für ihn tun würde. Und für jeden, den sie Freund nennen. Dezmont hat in jener Nacht eine Grenze überschritten, als er das Blut eines Kaj vergoß und sich gegen zwei Kader stellte. Es geht also schon lange nicht mehr darum, dass er LaVerne jagt. Er greift die Zirkel direkt an und das werden wir nicht länger tolerieren. Wir werden jetzt und hier herausfinden, ob sich dem Zirkel der Colubra und des Corvus weitere anschließen werden. Ob es eine gemeinsame Aktion geben wird, oder nicht und wie sie aussehen kann. Es gibt keinen Zwang, das widerspricht dem Kodex. Jeder hier kann jederzeit seine Meinung äußern oder gehen, wir bitten nur darum, nicht über diese Versammlung öffentlich zu berichten. Bouvier und Gabriel werden handeln, soviel ist gewiß. Wir wollen euch hier die Fakten präsentieren und eure Meinung hören. Erst danach werden wir einen Entschluß fassen.“ Wieder setzte leises Murmeln im Raum ein. Die Frau, die man Isebel genannt hatte, fragte in unsere Richtung: „Wißt ihr näheres über LaVernes Zustand? Kann sie mit jedem das Blut tauschen? Ich meine, wenn eine weitere Wandlung ihre Andersartigkeit vielleicht beheben könnte, wäre Dezmont die Grundlage seines Handelns entzogen.“ Dieses Mal beantwortete Mikail die Frage, die wir uns in Variationen auch schon öfter gestellt hatten: „Nun, im Moment laufen gerade eine ganze Menge von Tests. Genau wie bei uns und bei Nathaniel hat ihr Blut, wenn es durch das Messer zum Vorschein gebracht wird, keinerlei Wirkung. Sie kann so unser Blut aufnehmen und ihr Blut geben. Wir haben noch keine Ergebnisse über die möglichen Auswirkungen bei Einsatz der Zähne. Und solange das nicht geklärt ist, kann die Antwort bezüglich einer möglichen Gefahr für uns oder sie nicht zweifelsfrei gegeben werden. Das dauert leider noch einige Zeit. Der Punkt ist aber der: Selbst wenn wir Dezmont die Grundlage entziehen, bleibt sein Angriff auf die Kader bestehen. Er hat jetzt mehrfach den Kodex ohne Folge gebrochen und wird es weiter tun, wenn man ihn nicht stoppt. Und wenn LaVerne für ihn nicht mehr interessant ist, wird er etwas Neues finden, was er haben will und wieder danach greifen.“ Viele am Tisch nickten zustimmend. Isebel warf mir einen Blick zu, in dem sie um Entschuldigung bat, ich winkte ihr leicht lächelnd zu. Das kannte ich alles schon. In dieser Nacht wurden noch viele Fragen gestellt. Einige davon gefielen mir nicht sonderlich aber ich hatte gelernt, sie nicht persönlich zu nehmen. Andere Fragen gingen zwischen den Besuchern hin und her und betrafen so geheimnisvolle Dinge wie Infiltration, ob Mitglieder des Anguis-Zirkel unschuldig waren, wie sich das Verhältnis zu Gideon wandelte. Es kristallisierte sich langsam heraus, daß Gabriel seine Vertrauten sehr sorgfältig ausgewählt hatte, niemand verließ den Raum, es schien nicht einmal große Uneinigkeit darin zu bestehen, daß gegen Dezmont gehandelt werden mußte. Nur über die genaue Vorgehensweise und Endgültigkeit der ‚Bestrafung’ war man sich uneinig. Und es fiel noch etwas auf. Der Kader des Uncia-Zirkel, Belorian, sah Nathaniel kein einziges Mal an, sprach ihn nicht an und reagierte auch nicht auf dessen Worte. Vielleicht bemerkte ich es auch nur, weil Tejat es erwähnt hatte. Und Nathaniel reagierte auf diesen Mann ganz ähnlich. Nach einigen Stunden machten wir eine Pause. Wir bedienten uns an dem Buffet, das im Speisezimmer aufgebaut war und einige Gruppen bildeten sich, die sich leise unterhielten. Ich gesellte mich zu Charon, seinen Leuten, Nathaniel und Kolya. Sanft zog ich Nathaniel etwas zur Seite und fragte auf meine typische dezente Art: „Magst du Belorian nicht? Ihr seht euch nicht an, wechselt keine Worte und geht euch aus dem Weg. Ich will ja nicht neugierig sein … ach quatsch, natürlich bin ich neugierig. Verrätst du mir das Geheimnis, das dahinter steckt?“ Zum ersten Mal schien Nathaniel den Mann anzusehen, von dem ich gesprochen hatte. Der schien den Blick aufzufangen und zu erwidern. Nicht lächelnd, aber er nickte zumindest und Nathaniel gab den Gruß zurück. Dann sah er mich wieder an, heute waren seine Augen komplett grau, ohne die grünen Einschläge: „Du hast eine sehr direkte Art, neugierig zu sein, Lumina. Weißt du, in welchen Zirkel ich hinein geboren wurde? Nein, vermutlich nicht. Es ist der Uncia-Zirkel, der Leopard. Belorian ist mein Onkel.“ Oh, das erklärte einiges. Oder doch nicht? Ich hatte das Symbol vor der Waffenkammer gesehen aber sollte er nicht eigentlich… „Wenn du ein Teil dieses Zirkels bist, er sogar mit dir verwand ist, solltet ihr euch nicht freuen, euch zu sehen?“ Er schüttelte ohne eine Gemütsregung den Kopf: „Du kennst doch meine Geschichte: meine Eltern haben mich nicht akzeptiert, ich wurde von der Familie verstoßen. Es herrscht keine Liebe zwischen uns.“ – „Es heißt doch, daß die Zeit alle Wunden heilt. Ihr seid so alt, warum pflegt ihr solche Verbitterungen über so viele Jahrzehnte und länger.“ Jetzt lächelte er leicht, während er mir über den Kopf strich: „Eben deshalb. Wir haben zu viel Zeit zu schmollen, uns in ein Unrecht hineinzusteigern. Und nur weil wir alt sind, heißt das noch lange nicht, daß wir auch schon die passende Weisheit erlangt haben. Frag mal Tejat.“ Das war tröstlich. Aber auch irgendwo traurig, doch in diesem Fall ging es mich nichts an, ich würde mich hüten, mich einzumischen. Aber zumindest saßen sie ja am gleichen Tisch. Ich suchte Gabriel und fragte ihn, ob ich den Rest der Nacht auch noch mit durch die Besprechungen sitzen müßte. Viele der Gesprächsthemen waren für mich uninteressant und ich begann, mich zu langweilen. Gabriel hob meine Hand zu einem Kuß an seine Lippen, lächelte mich an und meinte dann: „Heute bist du entlassen, meine schwarze Rose. Sobald die nächsten Testergebnisse da sind, werden wir dich wieder hinzu bitten und natürlich bist du jederzeit herzlich willkommen. Aber wir werden noch einige Stunden reden und ich denke, du wirst dich wirklich nur noch langweilen.“ Sein Abschiedskuß war eher kurz... Erleichtert suchte ich Liobá, die sich gut von ihrem Ausfall letzte Nacht erholte hatte. Soweit ich es zusammen brachte, erzählte ich ihr ausführlich von den Leuten und Themen am Tisch. „Bitte entschuldige, wenn ich gestern Unfug geredet habe, aber ich hatte schon ewig nicht mehr so viel Wein und na ja, es war so ein toller Abend.“ Ich schüttelte grinsend den Kopf: „Da gibt es nichts zu entschuldigen. Ich fand es auch klasse, das machen wir sicher noch mal wieder. Aber was war das da mit John…?“ Jetzt wurde sie richtig schön rot. „Oh, hab ich doch nicht geträumt, daß ich davon erzählt habe, was? Nun, ich sollte doch mit irgend jemandem äh, also, ich brauchte doch einen lebenden Vergleich zu Bouvier. Also, äh, und da bot sich sozusagen John grad an. Natürlich nicht so, wie du denkst, er war halt grade griffbereit. Und na ja, ich find doch seine Augen so toll und äh…“ Ich mußte richtig lachen. „Hör doch auf, dich zu entschuldigen. Ihr seid doch erwachsen. Aber daß du ihn dauerhaft für Bouvier abwerben willst, also, das finde ich gar nicht so nett von dir.“ Zum Glück bemerkte sie das Lächeln, bevor sie schon wieder anfangen wollte, sich zu entschuldigen. „Ach, ist doch nur so eine Idee, es weiß außer dir noch keiner davon. Meinst du, das ist Blödsinn?“ Jetzt schüttelte ich den Kopf: „Im Gegenteil, leider finde ich deine Idee richtig gut. Kolya hat ja erklärt, daß so ein Vertrauensverhältnis wachsen muß, aber irgendwann muß es ja wohl auch beginnen. Vielleicht solltest du Bouvier das irgendwann mal vorsichtig als seine eigene Idee unterschieben.“ Jetzt lachte sie und ergänzte: „…halt typisch Frau, nicht wahr?“ „Genau. “ Blut in der FinsternisWalk through darkness as it was a dream Drowning in blood and in fear you‘ve never seen A Moment of black can obliterate hope Left behind in despair and shivering cold Zwei recht langweilige Tage folgten dieser ersten Besprechung. Wenn wir uns begegneten, wechselte ich mit den Mitgliedern der Oscuro einige Worte, ansonsten waren sie die meiste Zeit im Konferenzsaal. Ich verbrachte einen großen Teil meiner Freizeit mit Liobá und wir redeten viel und lachten. Und dann kamen die neuesten Ergebnisse aus den unterirdischen Laboratorien. Gabriel, Kolya und ich zogen uns in einen kleineren Raum zurück und Gabriel legte einen dünnen Aktenordner auf den Tisch zwischen uns. Er sah nicht wirklich glücklich aus. „Obwohl ich mich mit solchen Dingen auskenne, mußte ich mir einiges von unseren Experten erklären lassen“, fing er an. „Also, es ist erwiesen, wir können dein Blut zu uns nehmen, und du unseres, ohne daß ein Schaden oder eine Veränderung eintritt. Allerdings gilt das nur, wenn es nicht mit den Zähnen vergossen wird. Darin bildet sich bei dem ‚Kuß des Lebens’ ein Gift, wie du weißt, das dem Gebissenen für kurze Zeit Zähne beschert. Wir nehmen das Blut auf und wandeln es zusammen mit Resten dieses Giftes in unseren Körpern um. Beim ‚Atem des Todes’ nutzt ein normaler Mensch die Gabe der Zähne und somit ist er in der Lage, das umgewandelte Blut von uns zu nehmen. Darin befindet sich nun ein nur für ihn gefährlicher Giftstoff. Der greift die vorhandenen Blutzellen an, zerstört sie und ersetzt sie mit einem veränderten Blut, dem Blut der Oscuro.“ Das alles wußte ich schon mehr oder weniger. Worauf wollte er hinaus? Aber natürlich kam die Antwort postwendend: „Und genau da liegt das Problem. Die erste Wandlung findet in unseren Körpern statt, nicht in deinem. Sowohl Kolya, als auch einer meiner Männer der Nadiesda Thurus als auch ich selber haben für die Versuche Blut gespendet. Aber die Umwandlung, die in unseren Körpern statt findet, konnte trotz aller Mühen nicht künstlich reproduziert werden. Aber leider ist dieser Fehlschlag kein Anhaltspunkt für eine eventuelle Reaktion. Denn nur in gut zehn Prozent der Fälle läßt sich bei uns eine Umwandlung künstlich provozieren. Und damit kann auch die Konsequenz aus dem ‚Kuß des Todes’ nicht ermittelt werden. Um es mit ganz einfachen Worten zu sagen: Dein Körper muß die Veränderung vornehmen, es klappt nicht im Labor. Außerdem verschwindet das von uns ‚hergestellte‚ Gift nach einer gewissen Zeit aus unserem Blutkreislauf.“ Gabriel schwieg eine Weile und Kolya griff nach dem dünnen Ordner. Er blätterte ein wenig unlustig in den Seiten und meinte dann: „Vermutlich werden wir auf Dauer um einen Versuch nicht herum kommen. Im Moment sieht es einfach so aus, als würde gar nichts passieren, das Blut nicht gewandelt werden, so, als ob es durch ein Messer und nicht durch die Zähne fließt. Also wissen wir, zusammengefaßt, nicht wirklich viel mehr als vor den Versuchen.“ Gabriel nickte. „Leider ja. Bei meinen Männern ist das Problem mittlerweile bekannt. Du wirst es nicht glauben, LaVerne, aber es haben sich schon vier von den Mitgliedern der Nadiesda Thurus freiwillig gemeldet, sich von dir beißen zu lassen. Obgleich die Konsequenzen nicht klar sind, würden sie es wagen. Das ist bemerkenswert und vermutlich haben wir auf lange Sicht auch keine andere Wahl, wenn wir nicht bald Ergebnisse erzielen und wir trotzdem das Rätsel irgendwann lösen wollen.“ Diese Aussicht gefiel mir ganz und gar nicht. Ich würde doch nicht jemanden vorsätzlich einer Gefahr aussetzen. Aber noch waren wohl nicht alle Versuche abgeschlossen. Denn Gabriel sah mich an, ahnte – wie üblich – meine Überlegungen und meinte nur: „Aber soweit ist es noch lange nicht, meine Rose. Wir geben nicht auf, nie! – Wenn du willst, werden wir die Ergebnisse bekannt geben. Es ist ja nichts weltbewegendes, bisher. Und falls es dich interessiert: Alle, die hier versammelt sind, werden sich an unseren Schritten gegen Dezmont beteiligen. Wir haben noch nicht entschieden, was wir genau tun werden, aber wir haben eine Allianz geformt.“ Bei seinen letzten Worten sah er zufrieden aus, aber nicht glücklich. „Das ist doch toll, mein Rabe. Warum freust du dich dann nicht mehr?“ – „Weil ich beschlossen habe, Dezmont zu töten.“ Diese einfachen Worte ernüchterten mich schlagartig. Ich wußte, daß ihm so etwas widerstrebte. Und ich hatte den Weißen Drachen gesehen. Es würde – vorsichtig gesagt – nicht einfach werden. An diesem Abend ging ich früh zu Bett. Ich war ein wenig deprimiert und wollte nachdenken. Ich döste leicht vor mich hin, als es leise an der Tür klopfte. Ich öffnete in der Erwartung, daß Liobá nicht schlafen konnte und sah direkt vor mir Berenice. Sie hatte eine Thermoskanne dabei. „Ich dachte, wir könnten noch einen Tee zusammen trinken, bevor wir alle schlafen gehen. Aber wenn ich dich störe oder gar geweckt habe…“ – „Nein, ich hab nicht geschlafen, hab nur etwas nachgedacht und bin froh, wenn ich mich etwas ablenken kann.“ Wir suchten uns Tassen und setzten uns an den Tisch. Berenice kam sofort auf den Grund ihres Besuches zu sprechen: „Gabriel hat uns heute die neuesten Testergebnisse gezeigt. Es tut mir so leid, daß er keine besseren Nachrichten für dich hatte. Ein definitives Ergebnis – ob gut oder schlecht – wäre wohl besser, als so ein neues Fragezeichen.“ „Ganz bestimmt. Ganz abgesehen von der möglichen Gefahr für meine Freunde, könnte mir das vielleicht irgendwie Dezmont vom Halse schaffen und nachdem ich ihn einmal persönlich gesehen habe, ist das mein oberstes Ziel.“ Ich zögerte kurz aber dann fuhr ich fort „Und außerdem ist da noch Gabriel. Er hat eine Gefährtin verdient, die so ist wie er, mit der er Seele und Blut teilen kann, auf die er nicht ständig aufpassen muß.“ – Berenice lächelte: „Gabriel. Ja. Sicher, aber er würde auch noch hundert Jahre warten, wenn es sein müßte. Er hat so lange auf dich gewartet, da kommt es nicht mehr darauf an. Du hast schon so viel Licht in seine – und auch Raphaels – Welt gebracht, das reicht für mehr als ein Menschenleben. Noch nie habe ich Gabriel so von innen heraus strahlen sehen. Nein, das braucht dich nicht zu sorgen. Aber etwas mußt du noch lernen, mein Kind. Manchmal muß man ein Geschenk einfach annehmen, manchmal das Richtige tun, auch wenn der Verstand nicht einverstanden ist.“ Sie mußte viel mit ihrem Sohn gesprochen haben, daß sie meine Schwächen so kannte. „Es ist nicht so einfach, Berenice. Ich bin nicht bereit, von irgend jemandem ein Opfer anzunehmen.“ Sie unterbrach mich sofort: „Der Kodex sagt: nimm nur, was du auch geben willst. Nicht: nimm nur, was du auch gibst. Das ist wichtig. Und es geht in beide Richtungen: du mußt annehmen, was dir freiwillig gegeben wird. So einfach ist es. Erst, wenn du das gelernt hast, bist du eine wahre Oscuro, erst wenn du das letzte Opfer bringst, nämlich gegen die Vernunft zu handeln und das Notwendige zu tun. Das ist eine harte Lektion, die wir alle irgendwann lernen mußten. Sie machte uns stark aber gleichzeitig verwundbar.“ Wir schwiegen eine ganze Weile, während ich ihre Worte in meinem Kopf hin- und herwälzte, ohne dabei einen vernünftigen Ansatzpunkt für ein Gegenargument zu finden. Es halft nichts, vermutlich hatte sie mir nur gesagt, was ich eigentlich im Herzen wußte. Trotzdem, eine unschöne Lektion. Wie, um ihre Wort abzumildern ergänzte sie dann: „ Aber so was kommt nicht sofort. Auch dafür gibt es eine Zeit und einen Ort zum Lernen. Ich weiß, daß all das in dir steckt und rechtzeitig zum Vorschein kommt. Aber eigentlich wollte ich dich doch etwas aufmuntern. Ich bin eine tolle Hilfe.“ Jetzt grinste sie wieder mit Gabriels Lächeln. Ich mochte diese Frau. „Das hast du wirklich, Berenice. Du hast mir Dinge gesagt, die einfach noch in meinem Kopf schlummern. Aber ich bin nicht mehr so deprimiert. Alles wird am Ende gut werden, daran glaube ich mittlerweile auch. Es sind Menschen wie du, die mir dabei helfen.“ Sie lächelte noch mehr, stand auf und drückte mich wortlos einige Zeit an sich: „Nein, Menschen wie du, die Licht in unsere Dunkelheit bringen. Ein alter Ausspruch, den du sicher schon öfter gehört hast. Dennoch wahr. Jetzt geh ins Bett, schlaf gut und mach dir nicht zu viele Gedanken, alles wird sich finden. Gute Nacht, meine Kleine.“ Sie küßte mich sanft und dann ging sie ohne ein weiteres Wort. Viel ruhiger legte ich mich hin und schlief. Am nächsten Nachmittag ging ich mit Liobá zu den Hunden. Wir spielten eine ganze Weile mit Gin und ihren Geschwistern und einige Zeit später tauchte auch Carré auf einen Besuch bei den Welpen auf. Sie wollte heute nicht an der Versammlung teilnehmen, also gingen wir drei in mein Zimmer und vertrieben uns die Zeit mit plaudern und Musik hören. Später entschuldigte Carré sich und Liobá und ich beschlossen ebenfalls, den Abend – oder die Nacht – ruhig ausklingen zu lassen. Und da Liobá keine Lust hatte, alleine durch das ganze Schloß zu wandern, blieb sie wieder da. Wir kicherten noch ein wenig in der Dunkelheit, und irgendwann schliefen wir ein. Es war stockdunkel im Raum, als ich plötzlich hoch schreckte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon geschlafen hatte, oder was mich geweckt hatte, aber irgend etwas stimmte nicht. Bevor ich noch richtig aufwachen konnte, spürte ich auf einmal etwas Kaltes an meinem Kopf. Eine leise Stimme, die von Liobá’s Seite kam, aber nicht ihre war sagte: „Ein Laut, und du hast eine Kugel im Kopf. Und die kannst selbst du nicht einfach so heilen. Also still.“ Ich verharrte reglos, drehte nicht einmal den Kopf. Wo war Liobá? Ich hörte leises Rascheln, dann sprach die Stimme wieder: „Steh auf. Und versuch keine Tricks, ich kann dich sehen.“ Gehorsam schlug ich die Decke zurück und rutschte mit den Füßen langsam auf den Boden. Mit dem Verklingen des ersten Schreckens setzte auch mein Gehirn wieder ein, ebenso meine Wahrnehmung. Auf dem Bett kniete ein einzelner fremder Mann und neben ihm war ein sehr schwaches Leuchten von Liobá’s Aura auszumachen. Der Mann zielte noch immer mit irgend einer Art von Waffe auf mich, als er sich vorsichtig rückwärts bewegte und mich dabei nicht aus den Augen lies. „Wer bist du? Was machst du hier? Was ist mit Liobá?“ „Halt den Mund, hab ich das nicht klar gemacht. Und mach dir lieber Sorgen um dich selber. – Sie schläft noch, mein Biß hat sie betäubt. Und bei dir hat das Schlafmittel wohl nicht richtig gewirkt. Also los, zieh dir was an, und mach nichts Falsches, sonst geht es ihr nicht mehr gut. Beweg dich!“ Die letzten Worte hatte er lauter gesagt und mit der Waffe auf meine Freundin gezeigt. Langsam ging ich zu einem Stuhl und griff nach meinen Sachen von gestern. Natürlich konnte der schwarze Schatten mich genauso gut sehen, wie ich ihn. Was meinte er mit einem Biß, hatte er sie etwa verletzt? Krampfhaft versuchte ich, ruhig zu bleiben. Im Moment sah unsere Lage nicht so rosig aus und ich schaffte es irgendwie nicht, mich richtig zu konzentrieren. Ich bewegte mich fast ein wenig, als ob ich noch schlafen würde. Wie hatte es passieren können, daß er uns so völlig überrumpelt hatte. Und das in diesem Haus, mit den vielen Leuten. Als ich fertig war, drehte ich mich langsam zu ihm um. Er war aufgestanden und hatte Liobá mit sich gezogen. Auch sie trug die Kleidung von Vortag, hing fast bewegungslos in seinem Arm und wirkte wesentlich desorientierter, als ich mich fühlte. „Gehen wir. Du gehst einen Schritt vor mir, wenn uns jemand begegnet, werden wir ihm ausweichen, aber das Haus sollte jetzt ruhig sein. Eine falsche Bewegung, ein lautes Wort und deine Freundin wird dafür bezahlen. Los.“ Vorsichtig steckte ich den Kopf aus der Tür. Im Gang war niemand zu sehen. Der Fremde schubste mich von hinten mit der Waffe nach rechts und ich gehorchte. Wir folgten dem Gang bis zu einer Ecke. Hier schaute ich wieder herum, bevor ich langsam weiter ging. Diese Passage endete in einem weiteren Raum. Der Unbekannte schien sich gut auszukennen. Hier war niemand untergebracht und hier endete der erste Teil unserer Reise. Noch immer bekam ich meinen Kopf nicht richtig klar, so konnte ich niemals versuchen, Gabriel eine Nachricht zu schicken. Verdammt! Unser Entführer ließ Liobá unsanft von seiner Schulter aufs Bett fallen. Er war groß und schien kräftig, aber sein Gesicht war nicht zu erkennen, nur seine Augen starrten aus einer dunklen Maske. Er sah sich kurz im Raum um, schloß die Tür von innen ab und stellte einen Stuhl unter die Klinke. Aus einem kleinen Rucksack, den er scheinbar bei sich gehabt hatte, holte er ein Seil, die ganze Zeit ließ er mich nicht aus den Augen. „Hinsetzen, da hinten, an den Bettpfosten. Ich kann nicht zwei von euch gleichzeitig kontrollieren.“ Zögernd ging ich zum Himmelbett und setzte mich davor auf den Boden. Seine Waffe – es schien sich um eine simple Pistole zu handeln – zielte abwechselnd auf mich und auf Liobá. Abwarten, sagte ich mir. Irgendwann würde ich Gabriel erreichen. Keine Panik. Der Fremde kam auf mich zu und band mich effektiv am Bettpfeiler fest. Als ich nicht mal mehr einen Finger rühren konnte, vollendete er seine Paketschnürung noch mit einem Klebeband über meinem Mund, und als krönenden Abschluß noch ein Tuch über meinen Augen. Das war gar nicht gut. Wenn ich nichts sehen konnte, würde die Kommunikation mit Gabriel schwerer werden. Schlimmer noch, ich konnte hören, was um mich herum vorging, aber nichts unternehmen. „Wach auf, es ist an der Zeit.“ Das war die Stimme des Unbekannten. Dann hörte ich Liobá leise stöhnen und murmeln: „Oh, mein Kopf! Was ist passiert? Was mach ich hier?“ Die Antwort kam leise, aber deutlich vernehmbar: „Der weiße Drache ruft nach dir. Du hast jetzt eine Möglichkeit, dein Leben und das deiner Freundin zu retten. Nimm mein Blut und werde damit zu einem Teil von uns. Entweder du gibst mir jetzt den ‚Atem des Todes’ oder nur ich werde diesen Raum lebend verlassen. Überleg es dir schnell.“ Das durfte doch nicht wahr sein. Er hatte selbst gesagt, daß er sie gebissen hatte. Also wollte er sie jetzt wandeln. Sie hatte in diesem Moment die Zähne dazu und wahrscheinlich noch nicht einmal eine große Wahl. Denn er hatte vermutlich keine Verwendung für sie, es war schon erstaunlich, daß er sie nicht sofort beseitigt hatte – aber nein, er konnte sie gut als Druckmittel verwenden. Noch immer konnte ich nicht die Konzentration aufbringen, um Gabriel eine Nachricht zu senden. Und meine Freundin hatte kaum noch Zeit. „Ich will dein Blut nicht.“ Sie hatte es fast geflüstert. Ich hörte keine Antwort von ihm aber offensichtlich bewegte er sich. Man hörte etwas rascheln. „Nein!“ Das war wieder Liobá. „Nein, schon gut, ich werde tun, was du verlangst. Aber kannst du sie nicht gehen lassen?“ Ich hörte ihn leise lachen. „Nein, natürlich nicht, aber ich kann sie lebendig statt tot mit mir nehmen, das ist doch schon mal was. Und jetzt, nimm mein Blut, ich werde dir zeigen, wie du deine Zähne herauslockst! Und glaube nicht, daß du mich austricksen kannst.“ Wieder konnte ich einige Zeit nur undefinierbare Geräusche hören. Ein leises Stöhnen von ihm, schwere Atemzüge von Lioba. Ich dachte an die verschiedenen Möglichkeiten, die Zähne zu locken und wünschte, ich könnte mich bewegen. Liobá gab erneut einige seltsame Geräusche von sich, einige Zeit später hörte ich den Fremden tief atmen und um mich schien trotz des Tuches über den Augen der Raum noch dunkler zu werden. So etwas hätte Liobá erspart bleiben müssen, ich dachte an das liebevolle Vertrauen, die beruhigenden Worte, die Gabriel mit John selbst in jener Notsituation gewechselt hatte. Von den beiden hinter mir kam kein Geräusch mehr, es war erschreckend still geworden. Es ist schwer, die Zeit zu schätzen, wenn man nichts sehen kann. Viel später hörte ich wieder die Stimme unseres Entführers: „Es ist ein faszinierendes Schauspiel, zu sehen, wie sich die Aura verändert. Leider kann ich deine Augenbinde nicht abnehmen, das ist im Moment noch viel zu gefährlich für mich. Später kannst du mein Werk bewundern. Wenn du keinen Fehler machst, besteht eine gute Chance für dich, daß du lebend vor den Drachen trittst. Er sagte mir, daß ihm das lieber wäre, aber begehe keinen Irrtum, es ist nicht zwingend erforderlich. Und vielleicht hat auch deine Freundin eine Chance, wenn du brav bist. Wir werden sehen. Sobald sie aufwacht, werden wir uns zurückziehen.“ Damit war es klar, Liobá war jetzt auch ein Mitglied der Oscuro. Ihr war die Zeit der Vorbereitung ebenso genommen worden, wie mir. Und ihr einziger Fehler war es gewesen, zur falschen Zeit in meinem Zimmer zu sein. Ich konnte jetzt eigentlich erst mal nur mitspielen und wenn sich die Möglichkeit ergab, mit Liobá irgendwann einen gemeinsamen Fluchtversuch starten. Er konnte doch nicht immer aufmerksam sein. Aber ich hatte in meinem Kopf ein ganz deutliches Bild: ich würde nicht freiwillig mitgehen, ich wollte nicht noch einmal in die Augen des Drachen blicken. Niemals. Einige Zeit später hörte ich Liobá stöhnen: „Mir ist übel und kalt. Was hast du mit mir gemacht? Warum?“ Erst gab es keine Antwort, die zweite Frage hatte ich mir auch schon gestellt, dann: „Weil ich die Macht dazu habe. Was ich getan habe? Das solltest du doch wissen. Dein Blut, das ich in mir gewandelt habe, tötet deines ab. Der Kampf ist noch im Gange doch bald wird es vollendet sein. Aber wir können nicht so lange warten. Wir müssen jetzt los. Ich werde dich nicht fesseln und LaVerne auch nicht, doch meine Waffe ist ständig auf euch gerichtet. Macht einer eine falsche Bewegung, muß es der andere ausbaden. Steh auf. Ich werde dir jetzt auch die Augen verbinden.“ Es dauerte wohl einige Zeit, bis Liobá soweit war und unser Aufpasser wurde zunehmend ungehaltener: „Du hast die Wahl, Kleine, lebendig mit oder tot hier. Reiß dich zusammen!“ Endlich kam er an meine Seite und schien die Seile einfach durchzuschneiden. Mit einem Ruck zog er mir das Klebeband vom Mund aber das Tuch blieb über meinen Augen. „Rühr es nicht an! Ich werde euch dirigieren. Geh zwei Schritte nach vorne, da steht deine Freundin.“ Etwas schwankend nach dem langen Sitzen setze ich mich vorsichtig mit den Füßen tastend in Bewegung. Ich griff leicht nach vorne und als ich auf Stoff traf, stieß Liobá einen leichten Schrei aus. Sofort war der Unbekannte an unserer Seite und fluchte: „Noch ein Wort und ihr habt beide Klebeband über dem Mund. LaVerne, deine Freundin steht direkt neben dir, vielleicht solltest du sie etwas stützen.“ Sein Ton klang leicht ironisch. Ich griff zu und dann fand ich Liobá’s Arm. Sie griff nach mir und Hand in Hand standen wir dann in unserer persönlichen Dunkelheit. Er schien den Stuhl von der Tür zu entfernen, dann hörten wir den Schlüssel. Kurz darauf sagte er mit gedämpfter Stimme: „Auf geht’s meine Damen, nächste Station.“ Dann griff er nach meiner anderen Hand und zog. Er trug Handschuhe und durch den Stoff drang eine unheimliche Wärme. Wir folgten ihm, wohl zurück auf den Gang. Aber es ging nicht weit, nur ein paar Schritte, dann betraten wir wieder ein Zimmer. Langsam und etwas unsicher folgten wir ihm durch einen Raum und blieben dann auf seine Weisung hin stehen. Er ließ mich los, verschwand kurz und dann klangen ein Klicken und ein schabendes Geräusch zu uns. Liobá griff fester nach meiner Hand und kam etwas näher. Einen Augenblick später griff der Fremde wieder nach meiner Hand und zog uns vorwärts. Frische Luft schien uns zu begrüßen und dann änderte sich der Klang unserer Schritte, wir hatten kein Parkett mehr unter den Füßen. Dann folgte eine endlose Treppe, aus Stein gehauen und nach jeweils fünfzehn Stufen immer ein abrupter Richtungswechsel zurück. Ich hatte keine Idee, wo wir uns befinden konnten, nur, daß es stetig abwärts ging. Liobá hinter mir hielt sich an meiner Hand fest und der Mann vor mir zog nachdrücklich, aber nicht drängend. Wir befanden uns in einem alten Schloß, hier mußte es Geheimgänge geben, aber wie konnte ein Fremder nur davon wissen. Ob wir wohl schon vermißt wurden? Die Chancen standen eher schlecht, weil die Beratungen auch an den vorherigen Tagen ohne uns stattgefunden hatten. Liobá war erschöpft, man merkte es an der Art, wie sie sich fest hielt. Einmal stolperte sie, rempelte mich an und ich verlor fast das Gleichgewicht. Mühsam rappelte sie sich auf und murmelte nur: „Entschuldigung.“ Unser Führer schien die Episode nicht zu beachten. Trotz seiner Warnung war ich kurz davor, um eine Pause zu bitten, da stoppte er von selber. Liobá wäre wieder fast in mich hineingelaufen. „Wir sind fast da. Jetzt noch ein bißchen geradeaus, dann werden wir eine Weile Pause machen und ich muß nachdenken.“ Wir folgten ihm eine Zeit über ebenes Terrain, vielleicht ein steinerner Gang dem Klang nach zu urteilen. Dann blieb er erneut stehen, man hörte einen Schlüssel und dann zog er uns in einen Raum und schloß die Tür ab. Im nächsten Augenblick war ich endlich dieses Tuch über meinen Augen los. Noch immer – nein, vermutlich wieder – trug er die Maske, die nur die Augen erkennen ließ. Liobá stand neben mir, ihre schöne weiße Aura war verschwunden, ein dunkler Schatten schien nach ihr gegriffen zu haben. Sie wirkte sehr müde und desorientiert, ihre Haare waren zerzaust und auf ihrem Shirt waren Blutspritzer. Aber sie lächelte mich ein klein wenig an. „Setzt euch, da drüben. Wir bleiben eine Weile hier, es ist zu gefährlich, jetzt das Haus zu verlassen. Also warten wir.“ Er hatte den Rucksack neben sich gestellt und hielt die Waffe jetzt in der linken Hand. Aber er war viel zu weit weg für eine von Kolyas vorgeführten Angriffsmethoden. Wir gehorchten ergeben und setzten uns in eine Ecke des steinernen Raumes. Es brannte keinerlei Licht und alles war nur schemenhaft zu erkennen. Vielleicht waren wir in einem der alten Verliese, wenn es hier so etwas gab. „Sagst du uns, wer du bist?“ Trotz des Schweigegebotes konnte ich mir diese Frage nicht verkneifen. Er schaute mich an, dann suchte er in seinem Rucksack und warf uns eine Plastikflasche zu, die ich gerade noch erwischte. „Da ist normales Wasser drin, trinkt etwas, ich hätte keinen Grund euch zu vergiften.“ Dann schwieg er etwas. Ich gab die Flasche an Liobá weiter, die gierig einige Schlucke nahm. „Magnus. Kaj Magnus.“ Das war alles, was er sagte. Ich stockte kurz, als ich auch einen Schluck trank. Dann setze ich die Flasche ab. „Du bist der Kaj des Anguis-Zirkels?“ Er setzte sich in einigen Metern Abstand von uns im Schneidersitz auf den Boden. Wir schienen ihm wohl nicht sehr bedrohlich, denn er legte die Waffe vor sich auf die Steine. „Wieso bist du überrascht. Wenn man will, daß etwas ordentlich gemacht wird, muß man es selber tun. Du siehst ja, so klappt es dann.“ Ich wollte ihm eigentlich antworten, daß wir noch nicht bei Dezmont waren, aber ich ersparte mir diesen Kommentar. Ja, ich war überrascht. Von diesem Mann hatte ich bisher noch von niemanden auch nur ein Wort gehört. Und damit war er so gut wie nicht einzuschätzen. Aber als Kaj war er vermutlich nicht angreifbar oder zu überreden, es erforderte sicher extreme Loyalität, unter jemandem wie Dezmont zu arbeiten. Wir schwiegen alle. Liobá schien sich langsam zu erholen, sie lehnte zwar den Kopf an meine Schulter, war aber nicht mehr so blaß. Ich schloß die Augen und versuchte, mich auf Gabriel zu konzentrieren. Aber wieder schien ein Teil meines Gehirnes blockiert zu sein, ich konnte meinen Kopf einfach nicht leer bekommen, wie Tejat es mir beigebracht hatte. Erschöpft lehnte ich mich zurück und schloß die Augen vor der Dunkelheit um mich herum. „Wir werden einige Zeit bleiben, wie ich schon sagte. Ich bin am überlegen, ob ich meine Möglichkeiten verbessern sollte.“ Ich war fast eingenickt, als er laut und deutlich durch den Raum sprach. Ich schreckte auf und sah ihn an. „Was meinst du damit.“ Ich war nicht mal sicher, ob ich die Antwort auf diese Frage hören wollte. Aber natürlich bekam ich sie doch und diesmal sofort: „Nun, wenn ich mehrere Muster mitbringe, von deiner Sorte, dann könnte ich den eventuellen Verlust einer Person besser verschmerzen. Und so wie ich das sehe, bist du eine lebende Waffe. Und was tut man mit Waffen? Man nutzt sie.“ Mir gefiel die Unterhaltung eindeutig immer weniger. Aber wie in schlechten Filmen war es vermutlich nie verkehrt, den ‚Bösen’ reden zu lassen. „Es gibt aber nur ein ‚Exemplar’ von mir. Vielleicht von Nathaniel abgesehen, den du aber sicher nicht so leicht einfangen kannst. Und außerdem kann eine Waffe, die falsch genutzt wird auch durchaus nach hinten los gehen.“ Das fand ich ein ausgesprochen gutes Argument. Er schien ernsthaft darüber nachzudenken, denn wieder trat Stille ein, die lange anhielt. „Nun, noch gibt es nur dich. Nathaniel ist nicht wie du, das weißt du selber. Aber ich denke, es gibt durchaus einen Weg, die Bedingungen für mich zu verbessern. Außerdem verstehe ich, daß du und ich den Begriff ‚falsch’ sehr unterschiedlich definieren.“ Wieder schwieg er und schien nachzudenken. Ich konnte mir kaum vorstellen, wo seine Gedanken hin wanderten, oder besser, ich wollte es mir nicht vorstellen. Wir mußten hier irgendwie raus, uns bemerkbar machen, bevor wir das Schloß endgültig verließen. Aber mir wollte einfach nichts einfallen. Es war wie verhext. Wieder warteten wir einige Zeit schweigend. Dann meinte Liobá auf einmal: „Es tut mir leid, ich muß auf Toilette, wirklich dringend…“ Sie klang gepreßt. Unser Bewacher sah sie kurz an und deutete hinter sich: „da hinten ist ein kleiner Holzverschlag. Dort findest du ein Loch im Boden, das muß genügen. Du hast fünf Minuten.“ Er kannte sich zu gut hier aus, entweder war er schon mal hier gewesen oder die Aufklärungsarbeit des Weißen Drachen war phänomenal. Liobá stand langsam auf und ging in einem Bogen an ihm vorbei. Er drehte sich nicht einmal zu ihr um. Aber er schaute mich wieder mit diesen fremden Augen an. Dann sagte er leise: „Das Schlafmittel hat bei dir nicht richtig gewirkt, die Umwandlung des Mädchens hätte schon beendet sein sollen, als du aufwachtest. Aber es betäubt weiterhin deinen Geist. Du wirst in der nächsten Zeit keine Möglichkeit finden, deine Freunde zu kontaktieren. Und wenn es nachläßt, sind wir schon lange fort.“ Nun, das erklärte einige Sachen. Nicht, warum er Liobá nicht einfach dort gelassen hatte, aber zumindest mein Unvermögen, meinen Raben zu erreichen. Die Situation wurde ständig besser… Als Liobá zurück war, ging ich ebenfalls und dann saßen wir wieder schweigend in gebührendem Abstand voreinander. Obgleich Magnus uns ansah hatte ich mehrfach das Gefühl, er blicke durch uns hindurch, als wäre er noch am Grübeln über die nächsten Schritte. Gut, daß wenigstens noch nicht alles bis ins Detail geplant war. Aber nach einer endlos scheinenden Zeit sagte er dann nur: „Ich habe mich entschieden. Ich werde mit zwei Mustern zu Dezmont zurück kehren und ihm eine neue Waffe präsentieren.“ Das konnte nichts Gutes sein. Und tatsächlich: „LaVerne, steh auf. Wie hieß noch deine Freundin?“ Ich gehorchte und antwortete: „Liobá! Laß sie in Ruhe, du hast schon genug Unheil angerichtet, sie hat dir nichts getan.“ Er lachte und es klang nicht freundlich. „Ich bin noch lange nicht fertig. Doch nicht ich werde etwas tun, sondern du.“ Damit steckte er die Pistole in seinen Hosenbund und zog aus dem Rucksack eine lange Klinge. Sie glänzte überraschend hell, Silber. Mit einer enorm schnellen Bewegung war er bei uns und zog Liobá hoch. „Du weißt, daß Schmerz oder Angst die Zähne hervorrufen können, ebenso wie Verlangen oder Haß. Einiges davon wirst du gleich fühlen, denn wenn du nicht deiner Freundin den Kuß des Lebens gibst, werde ich ihr jeden Finger mit diesem Dolch abschneiden. Vielleicht kann ich dich damit nicht tödlich verletzten, aber sie schon, und Silber wird ihr sehr weh tun. Und damit du einen kleinen Anreiz bekommst, testen wir es jetzt an dir auch mal aus.“ Und im nächsten Moment hatte er die Klinge in meinen Arm gestoßen, mehrere Zentimeter tief und direkt in den linken Oberarm. Fließend zog er sie wieder raus. Es war ein höllischer Unterschied zwischen einem vorsichtigen Schnitt über den Unterarm und einem tiefen Stich in den Oberarm. Höllisch, weil es wirklich richtig weh tat. Liobá schrie auf und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, ich sackte mit einem Stöhnen gegen die Wand zurück. Mein Arm schien wie Feuer zu brennen. „Du siehst, es tut weh. Also, wie sieht es aus, willst du ihr das ersparen?“ Keine Frage, das wollte ich jedem ersparen – gut, ihm vielleicht nicht. Aber ob ich das mit den Zähnen so hin bekam? Mühsam stieß ich mich von der Wand ab. Doch ich sollte mich irren, der fremde Kaj trat hinter mich, steckte das Messer kommentarlos ein und zog meine Arme hinter dem Körper in einen Schraubstockgriff. Noch immer brannte der Arm, dazu kam jetzt die fremde Wärme, die von seinem Körper in meinen strömte. Offensichtlich brauchte er nur eine Hand zum festhalten, mit der anderen griff er unter mein Shirt und nach einer meiner Brüste. Leise flüsterte er: „Wir kennen uns ja kaum, worauf fährst du ab, Schätzchen? Soll ich noch etwas mit meinem Messer an dir spielen, oder mit was anderem?“ Sein Griff tat weh, und der Schmerz vom Arm brannte noch immer, aber noch viel mehr wallte der Zorn durch meine Adern, eine unglaubliche Wut auf diesen Mann und unsere Hilflosigkeit! Und mit diesem Gefühl wuchsen auch die Zähne. Und sein zufriedenes Knurren tat sein Übriges dazu. Liobá war noch immer zwischen mir und der Wand gefangen, doch sie sah mich an und lächelte durch die Tränen, die der Schreck wohl ausgelöst hatte. „Ich hab keine Angst, du bist meine Freundin, ich hab dich immer lieb.“ Das sagte sie ganz leise und dann spürte ich auch bei mir Tränen. „Wie rührend!“ Oh, wenn ich ihn zu packen kriegen könnte. Konnte ich aber nicht, sein Körper preßte mich gegen Liobá und meine Bewegungsfreiheit war eingeschränkt, und und und.... So wurde der erste Biß, den ich mit meinen Zähnen gab, nicht meinem geliebten Raben geschenkt sondern im Zorn gereicht. Zorn gegen einen brutalen Fremden und die eigene Hilflosigkeit. Als meine Zähne ihre Haut durchbrachen und das Blut dunkel zu fließen begann, dachte ich an eine Nacht in einer Höhle. Ich nahm ihr Blut mit meiner Zunge auf, nur ein wenig, und schmeckte neben den normalen Bestandteilen wieder den schweren, süßen Wein in ihm. Die Haut unter meinen Lippen schien leicht zu kribbeln, wie ein feiner Strom wanderte das Gefühl über meinen Mund in den Rest meines Körpers, ein Echo dessen, wie es sein sollte. Liebevoll schloß ich die Wunde und sah in die kalten Augen, die mich von schräg hinter mir anstarrten. Er nickte. Doch zu meinem Entsetzen war er noch nicht fertig. Er schob Liobá etwas zur Seite: „Setzt dich da hinten hin.“ Dann holte er die Pistole zurück aus dem Gürtel und schob statt dessen das Messer hinein., trat etwas von mir zurück. „Und jetzt, meine Liebe, bin ich dran. Denk nicht mal daran, dich zu weigern, oder einen Trick zu versuchen, ich behalte deine kleine Freundin solange im Visier.“ Nicht das auch noch. Schlimm genug, daß ich nicht wußte, was aus Liobá werden würde; wenn er später so werden würde, wie ich, hatten unsere Freunde irgendwo dort oben ein großes Problem. Jetzt wußte ich eindeutig, was er mit ‚Bedingungen verbessern’ gemeint hatte. Nur, wollte er sich als Waffe zu Dezmont begeben oder sich selber als Waffe einsetzen. Nicht, daß das im Moment von Bedeutung war. Trotzdem zögerte ich. Er entsicherte. „Denk nicht lange nach. Ihr Leben gegen einen Biß.“ Damit zog er mit der anderen Hand endlich die Maske herunter. Wenn ich eine häßliche Fratze erwartet hatte, wurde ich enttäuscht. Er sah völlig normal aus, nicht, wie man sich ein Monster vorstellt. Obligatorische lange dunkle Haare, vielleicht in den Vierzigern nach Menschenjahren und sehr hohe Wangenknochen, die ihm ein leicht fremdes Aussehen gaben. Aber dadurch nicht weniger bedrohlich. Grinsend meinte er: „Immerhin sollst du ja sehen, wen du da wandelst, nicht wahr. Mach, ich werde ungeduldig.“ Den letzten Schritt, um vor ihn zu gelangen, machte ich sehr zögerlich. Mit der freien Hand zog er mich erneut zu sich und seine Wärme durchdrang wieder meine dünne Kleidung. Aber keine Spur von dem angenehmen Kribbeln, das Mitglieder der Oscuro sonst bei mir auslösten, nur ein weiteres Aufglühen dieser Wut. Darauf, daß ich keinen Ausweg wußte, darauf, daß er uns in der Hand hatte und auch darauf, daß ich ihm so indirekt noch half. Und über allem ein unbändiger Zorn, was er meiner Freundin angetan hatte. Er machte einen Schritt nach vorne, ich wich in seinem Arm zurück und dann hatte er mich an die Steinwand gepreßt, die Pistole weiterhin auf die hockende Liobá. Der Schwung drückte die Luft schwer aus meinen Lungen. Unserem Entführer schien die Situation zu gefallen, hart spürte ich seine Erregung durch unsere Kleidung. Ein weiterer Stoß mit seinem Unterleib ließ mich ächzen. Mit einem anzüglichen Blick meinte er leise: „Oder willst du lieber den ganzen Weg mit mir gehen? Mal einen richtigen Mann haben? Ich würde dir den Gefallen tun.“ Das reichte. Die Wut schwappte erneut wie eine große dunkle Welle über mich und dieser hilflose, tief sitzende Zorn brachte die Zähne wieder hervor. Und in einem Anflug von Fatalismus stieß ich sie kraftvoll und nicht im Mindesten vorsichtig in die weiche Haut des Halses, die er mir anbot. Er stöhnte leicht, legte den Kopf nach hinten und stieß erneut mit seinem Körper gegen meinen. Hoffentlich hatte es wenigstens weh getan. Doch dann folgte eine Überraschung – für mich. Er schmeckte nach Eisen und nach Salz. Doch wenn Schmerz und Zorn einen Geschmack hätten, würden sie so schmecken, wie Kaj Magnus Blut. Es fühlte sich bitter in meinem Mund an und lief unangenehm die Kehle runter. Widerwillig schloß ich die Wunde, doch er ließ mich nicht sofort los, sondern hielt mich weiter an sich gedrückt. Er schien sich fast ein wenig auf mich zu stützen. Dann schob er mich mit einer plötzlichen Bewegung zurück, schwankte und ließ sich auf seinem alten Platz auf den Boden fallen. Dann saß er still, die Waffe in der Hand und schien wieder vor sich hin zu starren. An angel sleeps in deepest darkness, will it fade? Will it loose it‘s magic, forget for what it‘s made? A deed of evil, with good intention done Might end in light or darkness come Auch ich setzte mich, neben Liobá und zog sie in meine Arme. Sie murmelte etwas unverständliches, ließ aber die Augen geschlossen. Sie kuschelte sich an mich, lächelte leicht und döste weiter. Unser Gegenüber schlief nicht, aber auch er war offensichtlich erschöpft. Vorsichtig schaute ich auf meinen Oberarm. Zumindest schien es aufgehört haben zu bluten aber ich mochte jetzt nicht genauer nachsehen, dann hätte ich Liobá gestört. Ich würde es überleben. Ich lehnte wieder den Kopf gegen die Wand und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Was war passiert? Meine ‚Opfer’ gehörten beide der Oscuro an, daran ließ die dunkle Aura von Liobá keinen Zweifel. Dennoch hätte der Unterschied nicht gravierender sein können. Ich hatte Kolyas Blut gekostet, es schmeckte – auf seine Art – genau wie das von Liobá, oder auch Nathaniel, unabhängig von der Art, wie es vergossen wurde. Soweit so gut. Noch waren weder Liobá noch Magnus tot umgefallen – schade bei dem zweiten, aber wir wollten mal nicht kleinlich sein. Aber im Prinzip logisch, ich hatte deren Blut genommen, Gabriel hatte es vor kurzem ja noch einmal erklärt, die Veränderung fand in meinem Körper statt. Jetzt jedoch die Frage: was war mit dem Blut des Kaj? Es war im Prinzip identisch mit dem von Liobá, dennoch konnte es kaum einen größeren Unterschied geben. Was war anders? Ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen. Das waren die Dinge, die in Labortests herausgefunden werden sollten. Klasse! Dann wanderten meine Gedanken noch ein bißchen weiter. Dies war nur der erste Teil der Umwandlung. Es mußte der Atem des Todes folgen, um die Wandlung komplett zu machen. Wobei das Wort Wandlung nur bei der Aufnahme in die Oscuro gebraucht wurde. Beeinflußte dieses seltsame Schlafmittel auch meine Fähigkeit, logisch zu denken. Also, weiter. Im Moment wurde Liobá’s und Magnus’ Blut in mir verändert. Später würde er meine Freundin zwingen, mein Blut zu nehmen und er würde das gleiche tun. Erst dann war die Umwandlung – wo auch immer hin – komplett. Wie lange waren wir jetzt eigentlich schon verschwunden? Und hoffentlich kannten die Besitzer des Schlosses ihre Räumlichkeiten so gut, wie die Gegner sie offensichtlich kannten. Ich konnte förmlich Kolya vor mir sehen, roter Kopf und laut schimpfend. Ein beruhigendes Bild, fand ich. Oh, ich schweifte ab. Zurück zum Problem. Dann gab es drei Personen, wie mich. Vorausgesetzt, alles lief nach Magnus Plan. Was dann? Er konnte locker auf eine oder beide von uns verzichten, wenn es ein mußte, denn er hatte selbst das veränderte Blut in sich. Nicht gut! Andererseits waren zwei Geiseln für ihn eventuell hilfreich. Besser. Mein Kopf schwamm, mir war schwindelig, ein wenig übel, ich wollte schlafen… Irgendwann rüttelte Magnus mich. „Wach auf, was ist los?“ Mit schweren Augen sah ich ihn an: „Ich weiß nicht, mir dreht sich alles, mir ist übel und ich bin so müde.“ Er ließ mich nicht in Ruhe, schüttelte weiter, bis ich mich – halb entnervt – aufsetzte und unangemessen furchtlos seine Hand weg schlug. Er trat zurück und meinte: „Das wird das Blut von uns beiden sein, das sich in dir verändert. Man hat es dir bisher aus abergläubischer Furcht vorenthalten, jetzt endlich bist du komplett. Und bald sind wir hier auch fertig und können aufbrechen. Aber vorher haben Liobá und ich noch etwas zu tun.“ Dann kniete er sich vor uns und meinte zu der Frau neben mir: „Hey Schätzchen, wir wollen noch einmal ein wenig Blut kosten. Muß ich dich mit dem Messer pieken, oder sollen wir dort weiter machen, wo wir vorhin im Schlafzimmer aufgehört haben, damit du brav bist?“ sie schaute ihn verschreckt an und schüttelte nur den Kopf. Es mußte einige Zeit vergangen sein, denn als sie mit mir zusammen aufstand, schwankte sie nicht mehr, im Gegensatz zu mir. Vorsichtig hielt sie mich fest. Magnus trat auf uns zu, hielt das Messer in der linken Hand und schob Liobá unsanft auf mich zu, mit der Spitze des Messers auf ihre Wirbelsäule gerichtet. „Los, ich will was sehen, ihr beide!“ Der Blick von Liobá zu ihm ließ mich vermuten, daß sie ähnlich fühlte, wie ich, eine Mischung aus Zorn und Hilflosigkeit. Und offensichtlich reichte das, denn ihre Zähne waren schon deutlich sichtbar. Sie sah mich fragend an. Als Antwort schob ich die Haare zur Seite und bot ihr meinen Hals an. Sie lächelte leicht, rückte näher und drückte vorsichtig ihre Zähne auf die weiche Haut. Um nicht in das grinsende Gesicht von Magnus sehen zu müssen, schloß ich die Augen, als Liobá vorsichtig zubiß. Es tat nicht weh, nur wieder ein leichtes Kribbeln, das sich von der Stelle in meinem ganzen Körper ausbreitete, warm und erregend. Und im nächsten Moment war es auch schon vorbei. Sie zog sich zurück, lehnte den Kopf an die Wand neben mir und meinte leise: „Süß. Ähnlich vielleicht einer Milch mit Honig darin, warm und seidig auf der Zunge.“ Ich öffnete gerade rechtzeitig die Augen um einen erstaunten Blick unseres Entführers aufzufangen. Und das gab mir dann zu denken, aber ich zeigte keine Reaktion, tat, als hätte ich nichts bemerkt. Ob es an den verschiedenen Zirkeln lag, oder was war das? Nein, denn Nathaniel war aus dem Uncia-Zirkel. Also, was dann? Aber es blieb keine Zeit mehr, nachzudenken. „Komm!“ In der Imitation einer liebevollen Einladung hielt er mir die Arme entgegen. Schon wieder fühlte ich diesen Zorn, aber ich gehorchte, ließ mich von ihm umarmen. Er legte seinen Kopf an meinen und flüsterte sehr leise: „Ich schulde dir noch etwas.“ Und da hatte er wohl Recht. Wieder spürte ich, daß er erregt war, ob durch unseren Biß oder durch die Umstände, war mir völlig egal. Oder vielleicht war das ja der Kick, den manche angeblich suchten. Er preßte mich mit beiden Armen an sich, mit der Wärme, die sonst so schützend um mich gebreitet war aber hier nur drohte. Eine Hand wanderte an mein Gesäß, ich war viel zu sehr eingequetscht, um mich zu wehren, die andere zog meinen Kopf nach hinten. Er setzte die Zähne wenig zärtlich ein und als sie durch die Haut drangen, tat es wieder weh. Nicht, wie bei dem Stich, aber es war unangenehm und hätte er mich nicht so fest gehalten, wäre ich weggezuckt. Es gab keinen Strom von Wärme oder Erregung, nur kalte Wut und ein Verlangen, daß offensichtlich von ihm stammte. Er ließ sich Zeit, aber zumindest war er so rücksichtsvoll, die Wunde wieder zu verschließen. Wir alle drei nahmen unsere alten Plätze wieder ein. Er meinte: „Wir werden jetzt noch einige Minuten ruhen, bis sich das Blut in unseren Körpern ausgebreitet hat. Dann brechen wir auf. Ihr braucht die Augenbinden nicht mehr, denn bald sind wir aus dem Schloß. Und die Suche hat schon vor einiger Zeit begonnen. Das wurde aber auch Zeit! Wenn die Wirkung des Schlafmittels mittlerweile verklungen war, merkte ich nichts davon. Im Gegenteil, mir war noch immer schwindelig und ich fühlte mich, als hätte ich tagelang nicht geschlafen. Ich schloß die Augen und lehnte meinen Kopf neben den von Liobá. Und schlief sofort ein. Wieder wurde ich unsanft durch Schütteln geweckt. Doch seltsamer Weise war es nicht unser Entführer, es war Liobá: „Wach auf LaVerne, schnell! Es ist was passiert. Schau doch.“ Oh ja, es war was los. Magnus lag an der Stelle, wo er sich vorhin – oder wann auch immer – gesetzt hatte. Aber es schien ihm nicht gut zu gehen. Er wand sich auf dem Boden, stöhnte und er war sehr blaß. Vorsichtig kroch ich zu ihm, aber er nahm mich gar nicht war, vergessen waren Messer und Pistole, die neben ihm lagen. Das Weiß seiner Augen war rot und er schien mich nicht zu sehen. Ich griff nach den beiden Gegenständen und dann warf ich Liobá das Messer zu, während ich die Pistole auf den Mann am Boden richtete. Doch im Moment schien er keine Gefahr darzustellen. Vorsichtig griff ich nach seinem Kopf. „Paß auf, nicht daß er noch nach dir greifen kann.“ Liobá klang gepreßt während sie langsam näher kam. „Der greift im Augenblick nach gar nichts. Dem geht es eindeutig sehr schlecht.“ Das war untertrieben, der Mann wand sich auf dem Boden. Als er meine Stimme hörte, drehte er den Kopf in meine Richtung: „du hast mich vergiftet…“ mehr bekam er nicht raus, dann würgte er und hustete Blut. Und das schlimme war: Vermutlich hatte er Recht. Ich sah zu Liobá. Sie zeigte keinerlei Symptome. „Weißt du, wie lange das schon so geht? Und wie fühlst du dich?“ Sie schüttelte den Kopf. „Bestimmt schon eine halbe Stunde, wenn nicht länger, ich hab mich erst nur nicht getraut, mich zu bewegen, oder was zu sagen. Und mir geht es gut, ausgezeichnet eigentlich. Sollten wir nicht verschwinden?“ Das war eine ausgezeichnete Idee. Ich nickte. Einen kurzen Augenblick zögerte ich, sollten wir ihn hier so liegen lassen? Aber die Antwort mußte ‚ja’ lauten. Zum einen hatte er meine Freundin etwas Furchtbares angetan, zum anderen konnten wir ihn nicht mitnehmen, ich brauchte nur an die vielen Stufen zu denken. Und wenn er sich erholte, hatten wir außerdem gleich wieder ein Problem. Obwohl er im Moment nicht so aussah, als würde er sich in nächster Zeit besser fühlen. Entschlossen griff ich nach seinem Rucksack. Liobá ging voraus zur Tür und testete. „Abgeschlossen.“ Widerwillig griff ich an seine Taschen und fand einen großen Schlüsselbund. Damit, und mit dem Rucksack ging ich zur Tür, die Pistole weiterhin in der Hand haltend. Der dritte Schlüssel paßte und wir traten tatsächlich in einen steinernen Gang, der sich links und rechts erstreckte. Überall waren Türen, die unserer ähnelten. Ich schloß den Raum hinter uns ab und stellte den Rucksack vor die Tür. Auf Liobá’s fragenden Blick meinte ich: „Falls jemand hierher kommen und ihn suchen will, wird es einfacher.“ Sie zuckte nur die Schultern. „Und, welche Richtung?“ Gute Frage. Ich versuchte, mich zu erinnern. „als wir hier ankamen, hat er mich in die linke Seite gestoßen, das heißt, wir sind rechts abgebogen, in den Raum. Also müssen wir nach links.“ Sie schaute mich überrascht an. „Das weißt du noch? Ich war so aufgeregt, ich könnte nicht mal sagen, ob er ein oder zwei Arme hatte.“ Ich lächelte sie an. Das war es, was wir jetzt brauchten, etwas Galgenhumor. „Zumindest hatte er keinen starken Magen. Komm, laß uns einfach die Richtung versuchen.“ Und einige Zeit später trafen wir auf eine schmale steinerne Treppe, die sich nach oben im Dunkel verlor. Immer fünfzehn Stufen und dann eine Richtungsänderung. Das war unser Weg. Wir waren nicht in bester Verfassung und mußten einige Pausen einlegen. Irgendwann meinte Liobá schnaufend, als wir auf einem Treppenabsatz saßen: „Hätten wir auf dem Hinweg diese Stufen machen müssen, hätte er mich sicher hier erschossen, ich kann unmöglich noch weiter gehen. Vorhin, als wir aus dem Verlies kamen, war ich aufgekratzt und voller Elan, aber jetzt bin ich fertig mit der Welt. Trag mich, oder geh alleine weiter.“ Als ich genug Atem gesammelt hatte, um zu antworten, meinte ich: „Tragen kannst du vergessen. Und alleine lasse ich dich auch nicht. Wir müßten eigentlich bald oben sein, irgendwann muß das verdammte Schloß doch mal zu Ende gehen. Komm, noch ein bißchen mehr und dann wartet ein herrliches Vollbad, leckeres Essen und Freunde auf uns. Wenn auch vermutlich in anderer Reihenfolge.“ Sie lachte schon wieder richtig: „Auch wahr. Ein gutes Argument. Noch eine Minute bitte, LaVerne. – Weißt du, dein helles Licht hilft mir, nicht aufzugeben. Es ist wie eine Kerze, die den Weg weist. Was meinst du, ob Bouvier oder Gabriel wohl böse mit uns sind, weil wir uns nicht mehr gewehrt haben? Ich wollte so oft nein sagen, aber dann hat er wieder mit dem Messer gedroht oder der Pistole oder mich einfach nur so seltsam angesehen, daß mir eine Gänsehaut den Rücken runter lief.“ „Nein, die werden nicht böse sein, zumindest nicht auf uns. Ich kann mir nur vorstellen, daß es besser für Magnus wäre, daß sie ihn nicht lebend in die Finger bekommen. Die Zwei werden einfach nur erleichtert sein, das verspreche ich dir. Weißt du, wir haben unheimliches Glück gehabt. Das hätte viel schlimmer ausgehen können, als es jetzt schon ist. Es tut mir nur leid, daß du damit rein gezogen wurdest.“ Sie schüttelte in der Dunkelheit vehement den Kopf: „Ich wurde in dem Moment mit reingezogen, als Bouvier mich ansprach. Und als er mich in die Nadiesda Thurus brachte, hätte ich auch noch eine Entscheidungsmöglichkeit gehabt. Und ich hatte mich entschieden, für die Oscuro und für unsere Freundschaft. Und eigentlich geht es mir nicht schlechter als vorher. Vermutlich sollte diese Wandlung in angenehmerer Umgebung erfolgen, mit dem Menschen, den man liebt. Und nicht so... Ach, lassen wir das. Aber wie ich gehört habe, war es bei dir ja auch anders, als üblich. Und zumindest war ich nicht alleine. Nein, glaub ja nicht, daß das alles deine Schuld ist. Denn du hast mich nicht gezwungen, von Kanada nach Rumänien zu fliegen. So und jetzt geh weiter, ich denke nur noch an das Essen, von dem du gesprochen hast.“ Und wir schafften die restlichen Stufen auch noch. Der Gang endete vor einer Tür, die sich ohne Schlüssel aufstoßen ließ und uns in einen Raum ähnlich unseren Gästezimmern führte. Nach der langen Dunkelheit schien es hier gleißend hell zu sein. Wir sahen uns nicht um, ließen die Geheimtür – denn darum handelte es sich offensichtlich – offen und traten in den Gang des Schlosses. Wir befanden uns auf meiner Etage und ein paar Schritte um die Ecke brachten uns vor meine Tür. Fragend sahen wir uns an. Liobá grinste und meinte: „Ich bin für einen dramatischen Auftritt. Kein Umziehen, einfach runter, ins Speisezimmer und wenn da keiner ist und nichts zu essen, werde ich dieses Schloß zusammenschreien. Kommst du mit?“ Was für eine Frage. Wo waren alle, wir gelangten ohne gesehen zu werden in den Speisesaal. Lernten die denn gar nicht? Also kein dramatischer Auftritt. Zumindest blieb uns der Schrei erspart, denn das Buffet war zwar leicht geplündert aber für uns fand sich noch eine ganze Menge. So wie wir waren, schmutzig, voller Blut und mit zerrupfter Kleidung machten wir uns über das Essen her, ergänzt durch eine Flasche Wein. Noch immer keine Menschenseele. So langsam fiel es auf. Ich meinte: „Sollte nicht irgendwer Wache halten, ob wir wieder auftauchen, oder so? Wehe, wenn die nicht alle unterwegs sind, und uns suchen.“ Liobá antwortete mit vollem Mund: „Die trauen uns einfach nicht zu, daß wir uns selber aus dem Schlamassel ziehen, den ihre laschen Sicherheitsvorkehrungen uns eingebrockt haben. Bei so vielen wichtigen Leuten hier hätte ich mehr erwartet, gerade nach der Sache bei Bouvier. Ach, LaVerne, jetzt hast du mich auch schon mit deinem trockenen Zynismus angesteckt.“ – „Aber du hast ja Recht. Ich will jetzt endlich von irgend jemandem begeistert begrüßt werden, in den Arm genommen werden. Und einfach zusammenbrechen – oder so was in der Art.“ Sie grinste zurück: „Das tust du ja doch nicht. Aber ein ganz kleines Empfangskomitee wäre schon nett gewesen. Sollen wir es im Konferenzraum versuchen?“ Das taten wir dann auch. Und endlich hatten wir Glück. Es gab hier keine Versammlung aber wir fanden Mikail, John und Isebel. Alle drei drehten sich bei unserem Eintreten um und verstummten schlagartig. Mit großen Augen starrten sie uns an, wir mußten furchtbar aussehen, nach den Blicken zu urteilen. Dann war John in einem einzigen großen Schritt bei mir und drückte mich. Da war also meine Schulter. Ich legte den Kopf an seine Brust, schloß die Augen und ließ mich einfach ein wenig fallen. Er griff fest zu, sagte kein Wort, umschlang mich nur mit seinen langen Armen. Mikail war zu Liobá geeilt und drückte sie auf ähnliche Weise an sich. Auch er fragte nicht, strich ihr nur über den Kopf. Kurze Zeit danach schwirrte der Raum von Menschen. Isebel war wohl losgeeilt, um die anderen zu informieren und innerhalb weniger Minuten waren alle unsere Freunde bei uns. John schob mich leicht von sich, strich sanft eine einzelne Locke aus meinem Gesicht und lächelte mich an: „Komm, Gabriel ist da.“ Damit zog er mich mit sich und im nächsten Moment war ich in schwarze, warme Dunkelheit gehüllt. Wir standen eine Ewigkeit in diesem dunklen Nichts, nur Gabriel war da, seine Wärme, seine Liebe und eine sichere Geborgenheit. Ich wollte am Liebsten gar nicht mehr aufwachen. Aber daran war natürlich nicht zu denken. Nach einiger Zeit lösten wir uns etwas von einander, er küßte mich auf die Stirn und meinte leise: „Ich hatte Angst um dich. Aber deine Freunde auch. Laß sie dich ebenfalls begrüßen.“ Zuerst kam Kolya, danach Raphael, beide drückten mich mit angemessener Vorsicht. Nathaniel lächelte mich an, umarmte mich und selbst Charon ließ es sich nicht nehmen, mich persönlich zu begrüßen. Carré küßte mich auf beide Wangen, sie wirkte sehr blaß. Trevor sah auch nicht viel besser aus und zum Schluß drückte mich auch noch Berenice an sich. Nach all diesen Umarmungen war ich fast den Tränen nahe, aber das konnte auch an der Erschöpfung liegen. Liobá wurde ganz ähnlich begrüßt, wie ich, nur daß Bouvier ihr nicht von der Seite wich und sie unentwegt halb fasziniert, halb fragend ansah. Und natürlich wurden wir nicht in unsere Zimmer zu dem ersehnten Vollbad entlassen. Während Isebel sich rührend um meinen verletzen Arm kümmerte, wurden wir in große Stühle in der Bibliothek gesetzt und dann mußten wir erzählen. Wir wechselten uns ab, immer jeder ein Teilstück und ließen dabei auch nichts aus. Alle Kader, die Kaj und die ‚normalen’ Mitglieder der Oscuro waren anwesend und keiner unterbrach unsere Geschichte. Einmal stand Mikail kurz auf und flüsterte mit einem Bodyguard, als wir den Weg in das unterirdische Verlies beschrieben. Dann setze er sich aber wieder hin und hörte weiter zu. Als wir geendet hatten, war es totenstill im Raum. Keiner wollte zuerst sprechen. „Magnus? Er hieß Magnus und war der Kaj des Anguis-Zirkel?“ Es war Charon, der diese Frage in die Stille gestellt hatte. Wir nickten unisono. Charon sah fragend in die Runde: „Bin ich der einzige, der noch nie von ihm gehört hat? Ich wußte noch nicht mal, daß es in dem Zirkel einen Kaj gibt. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, daß Dezmont jemand anderen so nah bei sich duldet.“ Also deshalb hatte noch niemand von unserem Entführer erzählt. Weil keiner ihn kannte. Die Antwort kam von Scuro Tejat, der nach den anderen den Raum betreten hatte. „Auch ich habe noch nie von ihm gehört. Das könnte aber wieder ein Beweis sein für Dezmonts Fähigkeiten, Dinge geheim zu halten. Oder er ist erst kürzlich in diese Position aufgestiegen. Wie das Verhältnis der beiden zueinander sein könnte, mag ich mir entsprechend kaum vorzustellen. Doch möglicherweise kann hier ein Grund liegen, warum die beiden Frauen jetzt hier bei uns sitzen.“ Darüber hatte ich auch schon nachgedacht. Aber Mikail unterbrach diese Gedankengänge: „Was mich im Augenblick sehr beunruhigt ist die Tatsache, daß er sich so extrem gut hier auskannte. Keiner aus der Nadiesda Thurus kannte den erwähnten Gang in die alten Keller und nur sehr wenige von denen, die hier ständig wohnen. Wie schon zuvor hat der Weiße Drache wieder Informationen gehabt, die ihm eigentlich nicht hätten zugänglich sein dürfen.“ „Richtig!“ Gabriel nickte nachdrücklich. „Und während wir noch friedlich hier beraten haben, hat er schon gehandelt. Genau wie beim letzten Mal. Vielleicht war es nur Glück, daß ihr beide entkommen seid, vielleicht Schicksal oder aber die Tatsache, daß Dezmont trotz aller Vorbereitung übereilt oder zu reflexartig handelt.“ Genau wie ich, setzte Liobá sich bei diesen Worten auf. Ich sah sie an, ihr Gesicht verriet mir einen Augenblick bevor sie sprach, was ihr durch den Kopf ging. „Und was ist, wenn wir einfach nur besser waren, als er? Immerhin liegt der jetzt im Verlies und wir sind hier, könnte es nicht sein, daß es an unserer Leistung liegt?“ Sie hatte es mit einem leicht beleidigten Tonfall gesagt und schaute herausfordernd in die Runde. Nathaniel räuspere sich leicht und meinte dann mit zuckersüßer Ironie: „Ach ja? Was habt ihr denn wirklich zu dieser Tatsache beigetragen? Habt ihr in ausgetrickst, ihn übertölpelt? Was war eure Leistung?“ Ich wußte ja, wie es gemeint war, trotzdem war es nicht nett. Liobá brauste auch passend auf: „Nun, wir haben ihm zuerst mal Kooperation vorgespielt. Und er würde kaum dort unten liegen, wenn er dich als Geisel genommen hätte, nicht wahr? Wo waren denn da unsere großen Helden und Beschützer? Irgendwie hat LaVerne’s Blut ihn gestoppt aber mir nicht geschadet.“ Diese letzten Worte ließen die Runde wieder verstummen. Es wurden Blicke gewechselt, aber keiner sagte etwas darauf. Sie hatte den Punkt getroffen. Gabriel sah mich an und schickte mir eine stumme Frage. Noch immer konnte ich nicht richtig zu seinen Gedanken gelangen, aber ich schloß kurz die Augen und nickte dann. Ich wollte fort von diesen Leuten, etwas Ruhe finden. Entschlossen stand er auf und zog mich zu sich hoch. „Bedenkt, was die beiden durchgemacht haben. Sie brauchen ein wenig Pause, um zu sich zu finden. Ich werde LaVerne vorläufig in meinem Raum unterbringen. Wenn sie ausgeschlafen hat, werden wir uns wieder treffen. Bis dahin werde ich bei ihr bleiben.“ Das waren beruhigende Aussichten. Als wir zusammen den Raum verließen, folgten Bouvier und Liobá unserem Beispiel. Jetzt waren auf einmal überall im Haus Leute der Nadiesda Thurus verteilt, wir begegneten vielen grimmig aussehenden Männern. Es schien hektische Betriebsamkeit zu herrschen. Aber das alles interessierte mich nicht mehr. Gabriel brachte mich in seinen Raum und direkt ins Badezimmer. Als er Wasser in die Wanne ließ, wäre ich beinah auf dem Rand eingeschlafen. Aber die Wärme tat so gut auf der Haut. Ein kuscheliger riesiger Bademantel wurde um mich gelegt, ich schien ins Zimmer zurückzuschweben. Auf dem Bett ließ Gabriel mich vorsichtig runter. Und trotz der ganzen Aufregung schlief ich ein, bevor mein Kopf das Kissen berührte. Als ich irgendwann viel später aufwachte, lag Gabriel neben mir, mein Kopf in seiner Armbeuge vergraben. Still blieb ich liegen, lauschten seinen regelmäßigen Atemzügen und genoß diesen wundervollen Moment. Was würden wir eigentlich tun, wenn mal irgendwann alles vorbei war, die Verfolgungen, Angriffe, das Pläne schmieden und von einem Ort zum anderen reisen? Darüber hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht, ich konnte mir ein ‚normales’ Leben gar nicht mehr vorstellen. Normal zumindest für zwei Leute, die vielleicht viele hundert Jahre miteinander verbringen würden. Was taten Trevor und Carré, wenn sie uns nicht beherbergten? Ich mußte lächeln, als ich an die beiden dachte. Was hatte ich nur für wunderbare Freunde. Alles, was bisher passiert war, verblaßte hinter dieser simplen Tatsache. Ich hielt die Augen geschlossen und kuschelte mich ein wenig tiefer unter die dunklen Locken. Verschlafen drehte mein Rabe sich und als er die Augen aufschlug, sahen wir uns direkt an. Er lächelte: „Es gibt keine bessere Art, aufzuwachen. Geht es dir besser, meine schwarze Rose?“ Ich lächelte zurück, zu bequem zum Nicken: „Ja, bei so einem Anblick neben mir.“ – „Eigentlich hatte jeder von uns ein eigenes Zimmer bekommen, damit wir uns bei den Besprechungen nicht gegenseitig stören, wenn wir zu verschiedenen Zeiten unseren Tagesablauf haben. – Wollen wir aufstehen und das Buffet plündern oder noch ein wenig testen, wie fit du schon wieder bist?“ Die Frage klang so unschuldsvoll daß es geschlagene vier Sekunden brauchte, bis sie in mein schlafendes Gehirn drang. Aber das hatte eigentlich auch gar nicht mitzureden. Denn seine Finger hatten schon begonnen, den zweiten Teil der Frage zu überprüfen. Und als seine Lippen meinen Mund berührten, war jeglicher Gedanke an Essen bereits aus meinen Gedanken verschwunden. Sein Mund wanderte langsam zu der Stelle an meinem Hals, wo ich zweimal gebissen worden war, obgleich keine Narben geblieben waren. Liebevoll küßte er die Haut dort und arbeitete sich dann langsam über meine Brüste weiter nach unten bis zum Ansatz der Schamhaare. Sanft folgten seine Finger in einigem Abstand der vorgezeichneten Strecke, während ich mit seinem Kopf vorlieb nehmen mußte. Und als seine Zunge sanft meine Öffnung streichelte, hob sich ihm mein Unterleib wie von selber entgegen. Seine Dunkelheit hüllte uns beide ein, deckte über jegliche Gedanken an vergangene Ereignisse den Mantel des Vergessens. Jede Berührung seiner Hände auf meinem Bauch, den Brüsten, den Hüften war wie ein Strom von Energie, der in beide Richtungen floß. Mein Atem kam stoßweise, seine Zunge und seine Zähne trieben mich viel zu schnell dem Höhepunkt entgegen. Nur unter größten Schwierigkeiten konnte ich ihn rechtzeitig zu mir nach oben ziehen. Einen Moment hielt ich ihn still in meinen Armen, sein Kopf zwischen meinen Brüsten, während seine Fingernägel feine Linien in die Haut zeichneten. Aber viel länger wollten wir beide nicht warten. Mich verlangte nach seinen Lippen, seiner Wärme und so zog ich ihn den Rest des Weges zu meinem Mund. Mühelos drang sein hartes Glied voll in mich ein, während er sich fließend nach oben schob, meinem Verlangen folge leistend. Sein Mund mit den langen Zähnen schwebte wenige Millimeter über meinem, als er einen harten und schnellen Rhythmus aufnahm. Und schon fühlte ich die Ekstase mit dunklen Flügeln nach mir greifen. Verzweifelt umklammerte ich seinen Rücken, meine Beine umschlangen seine Oberschenkel, ich preßte mich mit aller Kraft in seine Stöße. Heißes Verlangen schien um uns zu explodieren Und kurz nach meinem Höhepunkt stöhnte auch er laut auf, durch den Druck in mir verstärkt. Nur wenige weitere Stöße und er ergoß sich zuckend in mir und endlich fanden sich auch unsere Lippen, zuerst noch vorsichtig, bis die Zähne verschwanden. Und wir mochten einander nicht los lassen, verweilten noch ein wenig länger in seiner Seele. Erschöpft ließen wir uns von der Dunkelheit einhüllen, und nur sehr langsam beruhigte sich das Feuer unserer Seelen zu seinem üblichen Schwelbrand... Nach einem ausgiebigen und ungestörten Frühstück kam Mikail zu uns ins Speisezimmer: „LaVerne, wir haben Magnus aus den Kellern geholt und in die Laboratorien gebracht. Er … äh, unsere Macht wirkt bei ihm nicht, er wird in absehbarer Zeit mit Sicherheit sterben. Wir haben ihm Schmerzmittel gegeben, aber das lindert nur und heilt nicht.“ Mehr sagte er nicht. Ich wußte, was er fragen wollte, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihn noch mal sehen wollte. Fragend sah ich Gabriel an, der zuckte mit den Schultern. „Deine Entscheidung. Solltest du Schuldgefühle haben, vergiß es, es war seine eigene Entscheidung und er hat etwas Schlimmes getan.“ Und Mikail ergänzte noch: „Wir können ihn momentan auch nicht sehr effektiv befragen und Liobá hat gesagt, sie hätte mit diesem Mann nichts zu schaffen. Aber ich wollte es dir wenigstens anbieten.“ Ich nickte. Dann entschied ich: „Nein, ich will ihn auch nicht noch einmal sehen. Und keine Angst, ich fühle mich nicht schuldig. Im Grunde hat er Strafe verdient.“ Damit war das Thema abgeschlossen. Mikail ging wieder und ich sah Gabriel fragend an: „Wann treffen wir uns mit den anderen?“ Er grinste: „Nun, ich hab doch gesagt, wenn du wieder ganz auf dem Damm bist. Es liegt also bei dir, wann die nächste Runde startet.“ Nun, es gab sicher einige Sachen, die noch geklärt werden mußten. Warum also so lange warten. „Wann immer du willst. Ich bin bereit.“ – „Gut, meine Rose. Gib mir ein paar Minuten, um zu sehen, wo die anderen stecken. Ich hol dich gleich ab.“ Damit verließ er unseren Frühstücksraum. Einen kurzen Augenblick später trat einer von seinen Bodyguards durch die Tür, winkte freundlich und blieb unauffällig in der Nähe der Tür stehen. Es dauerte dann doch einige Zeit, bis Gabriel zurück kam, in Begleitung von Raphael und Kolya. Mein Aufpasser verschwand und Phale grüßte mich mit einem Kuß, während Kolya mit Tassen nachfolgte. „Also,“ meinte Gabriel, „das wird nicht sofort was, mit der Versammlung. Charon ist bei Magnus und Liobá mit Bouvier in den Laboratorien. Mikail hat uns gebeten, auch dorthin zu kommen. Er möchte mal wieder etwas Blut von dir haben, du weißt schon, unwichtige drei bis vier Liter. Er sucht noch nach Anhaltspunkten, was mit Magnus passiert sein kann. Denn wir können eigentlich davon ausgehen, daß es irgendwas mit dir zu tun hat. Aber ein Gutes hat das alles, wir brauchen vorläufig keine Experimente an lebenden Objekten durchzuführen.“ Er hatte es mit einer Art grimmiger Ironie gesagt. Dennoch war die Sorge in seiner Stimme deutlich zu hören und natürlich auch verständlich. Seufzend stand ich auf und folgte ihm durch die Gänge bis in die sterilen Bereiche. In einem kleinen Labor saß auf einer der Liegen Liobá und strahlte mich an: „Hurra, ich brauch nicht mehr alleine hier zu sitzen. Die haben mich gepiekt – hat aber nicht weh getan. So viel Blut, wie die sich genommen haben… ich hab bestimmt nichts mehr für mich über.“ Ich nickte, während ich mich neben sie setzte: „Ich kenn das schon. Die sind gierig ohne Ende. Wie geht’s dir?“ Sie zuckte die Achseln: „Eigentlich mehr oder weniger genau so wie vorher. Alle machen einen großen Aufwand, so mit ‚Willkommen als neues Mitglied’ und so, aber eigentlich ist mir nur aufgefallen, daß ich scheinbar etwas besser sehen kann. OK, ja, und daß ich angeblich jetzt einige hundert Jahre leben soll. Und einer der Kader – äh, Thyatira – hat mir ihr Bedauern ausgesprochen, daß man mir das angetan hat. Also nichts Aufregendes. Und was ist mit dir?“ – „Ach, auch nichts Neues. Ich bin wunderbar ausgeschlafen – habe übrigens vorher noch mein Bad bekommen. Ansonsten bisher nur gut gefrühstückt, und dann hat man mich gleich ‚gebeten’ hier aufzulaufen. Ich denke, viel wird auch erst mal nicht passieren, bis die Testergebnisse kommen. Aber Moment: ich hab nen Bodyguard, einen von Gabriels Leuten, der mich nicht aus den Augen läßt, wenn keiner von der Oscuro in der Nähe ist. Ich hoffe aber, daß das nicht zur Gewohnheit wird.“ Sie lachte: „Ich auch. Wenn Bouvier nicht da ist, dann entweder John oder so ein bulliger Typ mit einem schrecklich auffällig unauffälligem Gebaren. Oh, hast du mitbekommen, im Moment scheint John tatsächlich für meine Sicherheit ein wenig zuständig zu sein. Obwohl ich die Idee mit dem Kaj und Kader doch nur ganz vorsichtig mal erwähnt habe.“ Irgendwie war alles so, wie vorher. Wir redeten und lachten ganz normal, und als wir endlich entlassen waren, fanden wir auf dem Gang vor unserem Raum sowohl Gabriel als auch John, die uns in Empfang nahmen. Gabriel zog mich zur Seite. „Ich würde gerne noch einen letzten kleinen Test machen, bevor wir uns alle oben treffen. Es ist etwas, das wir bei ‚Exopharm’ nicht versuchen konnten, da wir die notwendigen Chemikalien nicht dort hatten und einige Informationen noch nicht vorlagen. Es geht eigentlich nur um deine sensorischen Fähigkeiten und äh, na ja, laß dich überraschen.“ Gab es tatsächlich einen Versuch, den ich noch nicht über mich hatte ergehen lassen? „Klar. Was soll ich tun?“ Er brachte mich in einen weiteren kleinen Raum, in dem auf dem Tisch ein Ständer mit Reagenzgläsern stand. Acht Stück zählte ich, jeweils vier in einer Reihe. In jedem befand sich scheinbar ein klein wenig Blut. Was hatte er gesagt, sensorisch? Sollte ich jetzt abschmecken? „Die vorderen vier Phiolen sind Blut von vier Leuten. Du sollst es einfach testen und mir sagen, was du daran bemerkst.“ Brav setzte ich mich und er reichte mir das erste Gläschen. Es war wirklich nicht mehr als ein Tropfen, aber offensichtlich irgendwie verdünnt, denn es floß sehr leicht. „Eisen, Salz, ein leicht süßlicher Geschmack, ich würde es wie einen schweren Wein beschreiben.“ Das nächste: „fast genauso, etwas süßer vielleicht, Liobá nannte es ‚Milch mit Honig’.“ Das nächste Muster war etwas anders: „auch Eisen, leicht salzig, aber nicht so süß. Vielleicht könnte man es frisch nenne, wie ein sehr junger Wein.“ Das letzte Röhrchen wäre mir fast aus den Händen gefallen. „Magnus. Daran erinnert es mich. Bitter, schlimmer als Zitrone. Es zieht den Mund zusammen und trocknet ihn aus.“ Gabriel nahm die zweite Reihe Röhrchen und schob sie zu mir. Doch bevor ich zugreifen konnte, lächelte er spitzbübisch und meinte: „Würdest du für diesen Test den Ring abnehmen? Du weißt schon, den Schutzring.“ Oh! Den hatte ich völlig und gänzlich vergessen. Natürlich trug ich ihn ständig, aber da er nicht mehr aufgefallen war, war es mittlerweile ein Teil von mir. Vorsichtig schob ich ihn – mit einiger Mühe – über den Finger und legte ihn in Gabriels Hand. „Danke, meine Rose. Du bekommst ihn natürlich gleich wieder. Ist nur so ein Versuch.“ Wieder testete ich vier Phiolen durch, mit dem gleichen Inhalt – wie es aussah. Aber nicht mit dem gleichen Ergebnis. Es waren kaum Unterschiede festzustellen. Die erste und zweite Probe schmeckte gleich, die dritte blieb weiterhin etwas ‚frischer’. Aber das letzte Muster war nicht bitter. Es schmeckte ähnlich wie die ersten beiden, kaum merklich ‚trockener’. Gabriel nickte und gab mir den Ring zurück. Als ich ihn überstreifte, machte er es sich sofort wieder an meinem Finger gemütlich. Fragend sah ich meinen Raben an. „Die erste Phiole enthielt Blut von Raphael, die zweite von Liobá. Die dritte war von Dyke, den kennst du noch, der junge Mann aus der Nadiesda Thurus, der uns begleitet hat. Die letzte Probe war tatsächlich von Magnus. Das gilt für beide Versuchsreihen. Mikail hatte in einigen alten Schriften einen interessanten Hinweis auf den Dämonenring gefunden. Er hat mich auf die Idee mit diesem Test gebracht. Du erinnerst dich sicher, was ich damals schon erklärt habe, er schützt seinen Träger vor allem Bösen. Mit Sicherheit hat er keinen Einfluß auf die Geschehnisse gehabt, aber er scheint dir eine gewisse Fähigkeit zu verleihen, Unterschiede zu entdecken die uns erst nach langer Übung erkennbar sind. Zumindest einen ganz kleinen Teil dieses Rätsels können wir damit als gelöst betrachten.“ Nachdenklich sah ich auf meinen Ringfinger. Wenn ich das richtig verstanden hatte, dann war der Ring für den bitteren Geschmack verantwortlich. Nicht aber für die Wirkung. Was mich zu einer nicht unwichtigen Frage brachte: „Gabriel? Hat der Geschmack, den ich wahrnehme, etwas mit der Person zu tun, von der das Blut stammt? Gibt es bei euch eine Art von Differenzierung?“ Gabriel dachte einen Moment über die Frage nach: „Das ist schwer zu beschreiben. Ja, es gibt Unterschiede, aber nicht in der Form, daß ich etwas als bitter oder süß definieren würde. Ich kann das Blut von normalen Menschen von dem der Nadiesda Thurus unterscheiden und auch von dem eines Mitglieds der Oscuro. Ich kann sogar noch weiter Wesensmerkmale erkennen. Ich kann Kolyas Blut herausschmecken, oder das von Raphael. Menschen, mit denen ich oft schon das Blut geteilt habe. Wenn jemand noch mein Blut in sich trägt, das durch den Einsatz der Zähne geflossen ist, merke ich das ebenfalls. Es ist aber eben keine Sache von gut und schlecht, eher wie verschiedene Weine anders schmecken, nicht schlechter oder besser.“ Ich hatte schon verstanden, was er meinte. Eine Zeitlang schwiegen wir, und als wir den Raum verließen, um uns endlich mit den anderen zu treffen, ergänzte er noch weiter: „Es ist verrückt, ich erinnere mich nicht, wie dein Blut schmeckt. Durch mich ist bei John’s Wandlung dein Blut geflossen, mit ziemlicher Sicherheit habe ich auch das Gift für dein Blut in mir gehabt, ich sagte ja, es dauert, bis es den Körper verläßt. Doch nur an John’s Geschmack erinnere ich mich. Und daher hat auch Phale sein Blut für diesen Test gegeben, nicht ich. Wir sind noch immer vorsichtig – vielleicht jetzt noch mehr als vorher. Hoffentlich findet dies alles bald ein Ende. Vorzugsweise ein Gutes!“ Wir lächelten uns an und betraten Arm in Arm den großen Konferenzraum der letzten Woche. Alle unsere vorherigen Gäste waren wieder versammelt, dieses Mal befand sich auch Liobá unter ihnen. Wieder saß ich neben Gabriel, und Mikail eröffnete die Versammlung, indem er von den ‚Quälereien’ berichtete, die wir über uns in seinen Laboratorien hatten ergehen lassen. Er beendete diesen Bericht mit der Bemerkung, daß frühestens morgen mit Ergebnissen zu rechnen sei. Die Besucher sahen sich an. Charon erhob sich und sah in die ernste Runde: „Ich möchte ein paar Anmerkungen zu Magnus, dem weißen Drachen und der Tatsache mache, daß er so gut informiert scheint. Jeder hier wird mir wohl die Qualifikation zubilligen, daß ich mich in Dingen der äh … Kriegskunst gut auskenne.“ Alle nickten. Er fuhr fort: „Es ist jetzt mehrfach aufgefallen, daß Dezmont gut informiert scheint. Einerseits. Er aber andererseits Fehler begeht, die – so ungern ich das auch sage – nicht notwendig waren und uns am Ende geholfen haben. Ich denke an den Überfall auf LaVerne und ihre Begleiter in Kanada. Oder das Versagen von Magnus hier im Hause. Eigentlich waren seine Schachzüge sehr gut, schnell, präzise und effektiv. Aber jedes Mal kam etwas dazwischen. Er wußte nichts von unserer Entscheidung, LaVerne nicht auszuliefern. Oder? Weiter. Magnus war fast erfolgreich, alles war gut geplant und vorbereitet, es gab für ihn keine Überraschungen. Vielleicht wußte er nichts von Liobá’s Anwesenheit, aber er hat improvisiert und sie in seine Pläne eingebaut. Doch dann hat seine persönliche Gier die Pläne des Weißen Drachen durchkreuzt. Denn – machen wir uns nichts vor – er wollte so sein, wie LaVerne. Vielleicht, um Dezmont ein weiteres Exemplar dieser Sorte zu liefern, aber viel wahrscheinlicher, um selber dem Weißen Drachen entgegen zu treten.“ Auch ich hatte diesen Gedanken gehabt. Ich versuchte, mir seine Worte genau ins Gedächtnis zu rufen. „Er hat gesagt, er wolle dem Drachen eine neue Waffe vorführen, oder so ungefähr.“ Liobá warf ein: „Er sagte wörtlich: ‚präsentieren’. Ich fand noch, daß das eher zweideutig klang, nicht so, als ob man was vorführt sondern so, wie man jemandem eine Waffe vorhält.“ Sie hatte Recht, genau das hatte er gesagt. Charon nickte in ihre Richtung. „Genau, das paßt. Doch noch einmal zurück nach Kanada. Niemand, außer uns wußte, was wir bei Nathaniel im Haus gesprochen haben. Trotzdem hat der Drache kurze Zeit später angegriffen. Warum? Aarons Überlegungen gingen neulich schon in die richtige Richtung. Ich denke, er hat die Prophezeiung als Berater verwendet: er wußte schon von Anfang an, daß wir uns gegen Scuro Fenians Beschluß stellen würden. Also hat er gleich vorgesorgt und seine Leute in Position gebracht.“ Jetzt, wo er es so sagte, klang es ganz logisch. Nur in dem Moment, wo ich Charon in dem Gang gegenüber gestanden hatte, war davon nichts zu spüren gewesen. „Das heißt, Dezmont hatte sich darauf vorbereitet, einzuspringen, wenn ihr ablehnt?“ – „Genau. Aber er konnte nicht ahnen, daß wir euch aktiv unterstützen würden, davon war niemals die Rede.“ „Falsch!“ Alle sahen zu Scuro Tejat, der bisher geschwiegen hatte, jetzt aber laut in die Runde sprach: „Es steht dort: die Fünf verfallen dem Licht. Wenn LaVerne also dieses Licht ist, dann würden die Fünf ihm dienen.“ Nathaniel mischte sich nun auch ein: „Nicht unbedingt. Verfallen kann alles Mögliche bedeuten, niederknien, sich ergeben oder geblendet werden. Oder in diesem Fall, einfach kritiklos das glauben, was LaVerne sagt.“ Charon schickte ein frostiges Lächeln in seine Richtung: „Na ja, kritiklos will ich mal nicht persönlich nehmen. Du warst ja dabei. Aber ich sehe das so, wie du. Es ist symbolisch gemeint, war also wohl für Dezmont kein Warnsignal. Und somit konnten wir ihn erfolgreich abwehren. Doch es gibt viele Kleinigkeiten, die vermuten lassen, daß der Drache überall Hilfe bekommt. Denkt an das Congregat. Kaum ward ihr abgereist, wußte er, wo er euch suchen mußte. Auch dort muß es Menschen geben, die ihm berichten. Es ist müßig, überall nach Schuldigen zu suchen, das bringt uns nicht weiter. Aber zwei Sachen noch: Zum einen: wie konnte er so gut über das Schloß und die Geheimgänge Bescheid wissen, denn ich vermute hier keine Spione. Und zum anderen: Ihr solltet euch darüber Gedanken machen, daß Dezmont schon seit Jahren die fortschrittlichste Technik nutzt, das schließt Satellitenortung ein, ebenso wie digital verschlüsselte Kommunikation oder auch modernste Spionagetechnik. Ich habe bei Magnus ein GPS-gestütztes Ortungsgerät gefunden, das, wie ihr wißt“ damit warf er Kolya einen vielsagenden Blick zu „in der Lage ist, die Position auf zwei Meter genau zu bestimmen. Ich denke, daß die beiden zuletzt erwähnten Punkte enger miteinander verknüpft sind, als einigen von euch lieb sein könnte.“ Autsch. Das war was für meine Technik-Muffel. Kolya warf Gabriel einen gequälten Blick zu und murmelte deutlich zu hören für alle: „Die nächste Person, die ich jemals wandeln werde, ist ein Computerhacker.“ Damit hatte er wenigstens einige Lacher auf seiner Seite. Aber die Worte von Charon hatten dennoch eine nachhaltige Wirkung auf die anderen Gäste. John, der bisher ebenfalls geschwiegen hatte, meinte: „Das heißt also, bei unseren nächsten Plänen müssen wir uns auch auf Gegenwehr einstellen, die mit neuesten Technologien geführt wird. Wenn wir es wissen, können wir uns vorbereiten und ich bin sicher, daß Charon Recht hat. Ich habe das Gerät auch gesehen und war beeindruckt. Aber wir haben jetzt schon so viel und so lange geredet, wann folgen darauf Taten, es kann nicht richtig sein, daß Dezmont uns ständig einen Schritt voraus ist.“ Der Kader des Uncia-Zirkels sah ihn an. Belorian, der, der nicht mit Nathaniel sprechen wollte. Er antwortete: „Bisher ist noch nicht einmal beschlossen worden, ob wir überhaupt handeln, nur, daß wir Gabriels Einschätzungen zustimmen. Erst wollten wir die Testergebnisse von LaVerne abwarten, später haben wir gesucht und jetzt warten wir scheinbar wieder auf Ergebnisse. Aber ich wäre auch dafür, jetzt mal zu Entschlüssen über zu gehen, und nicht nur zu reden und zu warten, da stimme ich dir zu. Ich für meine Person habe genug gehört und gesehen, um eine Entscheidung fällen zu können. Also lautet mein Vorschlag jetzt: eine Abstimmung, ob wir Schritte unternehmen, oder nicht. Wenn ihr wollt, offen, ansonsten auch gerne geheim. Und erst nach dem Ergebnis sollten wir weiter reden. Serebro – der Kaj des Verspertillo-Zirkels – hob die Hand. Raphael hatte gerade zum Sprechen angesetzt, verstummte aber und wartete: „Ich habe eine Meinung zu diesem Thema, wie sicher jeder hier. Aber ich würde vorher gerne mit meinem Kader sprechen, denn im Endeffekt betrifft es nicht nur mich, sondern alle in meinem Zirkel. Und dann könnten wir doch einfach eine Pause einlegen, und nach einer Stunde kommen alle die in den Raum zurück, die für Schritte sind, die, die sich dagegen aussprechen, bleiben einfach auf ihren Zimmern. Das wäre doch vielleicht die einfachste Art.“ Dieser Vorschlag wurde angenommen. Raphael sah so aus, als hätte er gerne noch etwas gesagt, aber die Versammlung löste sich schon auf. Mein Rabe, sein Bruder, Kolya und ich blieben alleine im Besprechungszimmer zurück. Um die Zeit zu überbrücken, fragte ich allgemein in die Runde: „Kann der Kader für den Zirkel entscheiden, und was ist mit den Einzelmitgliedern, die hier versammelt sind? Was hat das für Auswirkungen auf die Hilfe, die wir vielleicht bekommen? Oh, hoffentlich kommen wenigsten einige der anderen zurück.“ Kolya grinste und er sah nicht unbedingt besorgt aus. „Mach dir keine Gedanken, Kleine. Die wichtigsten Verbündeten werden rechtzeitig hier sein. Ich weiß, daß Charon und seine Leute keine Zweifel haben, ebenso wenig wie Nathaniel oder alle, die dem Zirkel des Corvus angehören. Bouvier und Mikail stehen auch zu uns. Das ist eine Feststellung, keine Vermutung. Damit sind wir schon drei sichere Zirkel. Nathaniel und Charon zähle ich mindestens doppelt, und ich bin sicher, daß auch einige der anderen Kader sich uns anschließen werden. Und zu den Auswirkungen? Nun, die Kader werden sich an Leute ihres Zirkels wenden, die sie für die jeweilige Aufgabe geeignet halten. Diese können dann selber entscheiden, ob sie mitmachen. Je mehr Zirkel wir vereinen, desto mehr Freiwillige werden kommen. Und du weißt ja, Mikail hat die größte Menge an Mitgliedern der Nadiesda Thurus von allen Zirkeln. Und damit schon eine große Gruppe von Mitstreitern. Wir ebenfalls, der Corvus-Zirkel war von jeher wehrhaft, hat es aber nicht unbedingt gezeigt, warum auch. Also, hör auf so schwarz zu sehen. Belorian hatte im Prinzip Recht, immer nur Reden ist nicht konstruktiv. So kommt endlich Bewegung.“ Nach einer Stunde war die schlimmste Spannung von mir abgefallen. Als letzter betrat genau dieser Belorian den Saal und damit waren wir genauso vollzählig, wie zu Beginn der Runde. Niemand hatte sich entfernt. Und Kolyas Grinsen war um etliche Zentimeter in Richtung Ohren gewandert. Nun waren wir eine große ‚Streitmacht’. Und laut Scuro Tejat, der schon recht früh wieder zurückgekehrt war, war dies sehr ungewöhnlich. Er hatte erklärt, daß es noch nie, seit die Oscuro existierte, einen so großen Zusammenschluß von Zirkeln zu einem gemeinsamen Ziel gegeben hatte. Also schrieben wir heute wirklich Geschichte.
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