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Jenseits der Träume

 

Teil 2 - Träume und Alpträume

 

Mögen die Schwingen des Raben uns schützen,

vor uns selber, vor unseren Träumen und davor,

daß sie vielleicht niemals in Erfüllung gehen.

© MP 2003 - 2004

Rettung ....

So warteten wir schweigend. Endlich hörte ich entfernte Geräusche, eine Motorsäge und Stimmen. Also stand ich auf und kehrte in die große Höhle zurück, wo der Wagen wie eine moderne Skulptur stand. John schlief noch immer und Gabriel wollte nicht riskieren, daß eventuell vorhandenes Tageslicht auf ihn fiel. Doch es bestand keine Gefahr. Als der schwere Baum von unserem Durchbruch entfernt war, beleuchteten nur starke Lampen das Geschehen. Eine große Aluminiumleiter wurde heruntergelassen und dann stiegen drei Angestellte aus dem Schloß zu uns herab. Alle drei trugen den hellen Schein der Nadiesda Thurus. „Gabriel hat heute früh gesagt, daß alles in Ordnung wäre, aber wir wußten nicht, in welchem Zustand sie sind, daher wollten wir es nicht riskieren, Außenstehende einzubeziehen“,, erklärte einer von unseren Rettern auf meine Frage. Dann wurde zuerst der Tote mit Seilen hochgezogen, danach folgten Gabriel und John, ich stieg als letzte die Leiter rauf. John wirkte noch etwas benommen, wollte sich aber nicht stützen lassen. Langsam folgte er Gabriel zu dem wartenden Wagen. Wir ließen unsere Sachen in der Höhle zurück – sie würden uns ins Schloß gebracht werden.

Das Unwetter war verschwunden und der Himmel war sternklar. Wir fuhren in einer Limousine mit zwei hinteren Sitzbänken, John hatte sich in eine der Ecken gekuschelt, und öffnete während der Fahrt nicht einmal die Augen. Auf der anderen Seite neben ihm saß Gabriel und ich ihnen gegenüber. Jeder von uns hing seinen Gedanken nach.

Ich hätte nicht gedacht, das Schloß so schnell wieder zu sehen. In der Eingangshalle erwartete uns der Lord. Mit eiligen Schritten kam er uns entgegen. Doch bevor er Gabriel erreichte, stoppte er in der Bewegung. Er hatte John hinter ihm auftauchen sehen. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Schrecken wieder und Trauer, ganz ähnlich der, die Gabriel gezeigt hatte, als er den Stich gesehen hatte. Die Erleichterung war verschwunden und wortlos ging er an Gabriel vorbei auf John zu. Sanft faßt der kleinere Lord ihn am Arm: „Es ist mir eine Ehre, dich als erster in unserer Gemeinschaft zu begrüßen. Nur bedaure ich, daß solche Umstände dazu geführt haben, und noch dazu so schnell. Ich hatte die Hoffnung, daß es zu keinen schlimmeren Verletzungen gekommen war, als man mir berichtete, ihr alle drei seiet unversehrt. Ich sehe, daß dem nicht so ist.“ Er warf Gabriel einen seltsamen Blick zu. „Ihr beide wartet bitte hier. Ich werde John persönlich in die Ruheräume bringen.“ Seine Stimme hatte einen leichten Befehlston angenommen. Sanft zog er John mit sich und ließ uns in der Eingangshalle stehen. Ich warf Gabriel einen fragenden Blick zu. Der drehte sich zu einem der Bediensteten um: „Wir werden in der Bibliothek warten, richten sie das bitte Lord Rodenby aus.“ Damit winkte er mir zu und wir suchten uns Plätze vor dem großen Kamin. Dann erklärte er: „Alistair hat viel Selbstbeherrschung. Er war zornig. Er weiß nicht, was passiert ist und kann nichts über die Notwendigkeit der Umwandlung wissen. Aber er will mich auch nicht der Voreiligkeit oder Kopflosigkeit bezichtigen, ohne meine Verteidigung zu hören. Wir werden ihm alles erklären.“ So zornig war er mir nicht erschienen aber ich kannte ihn ja kaum. Doch was war, wenn er Gabriels Entscheidung nicht billigte? Hatten er oder John mit einer Bestrafung zu rechnen, oder gar Schlimmerem?

 „Gabriel, was passiert, wenn er mit der Umwandlung von John nicht einverstanden ist? Kannst du Probleme bekommen, oder John?“ Meine Stimme verriet meine Sorge. Doch Gabriel zeigte das erste Mal seit endloser Zeit wieder ein leichtes Lächeln.

„Nein, meine Rose, keine Sorge. Er wird meinen Entschluß verstehen. Und nein, ich würde auch sonst keine Probleme bekommen. Ich hätte genug Macht um selbst eine ungerechtfertigte Entscheidung zu fällen. Und als einer von uns ist John durch die Gemeinschaft natürlich geschützt.“

Wieder saßen wir schweigend da, Gabriel wesentlich ruhiger als ich. Erst jetzt kamen mir die Gedanken, die ich in der Höhle ausgeschlossen hatte. John hatte die Entscheidung selbständig getroffen, aber Gabriel hatte richtig gesagt, daß jemand, der sterben wird, immer einen Strohhalm greifen würde. Keiner von uns beiden konnte auch nur annähernd ermessen, wo dieser Weg hin führen würde. Bevor ich weiter Fragen stellen konnte, kehrt Lord Rodenby zurück. Er verteilte selber Gläser und für jeden von uns einen ordentlichen Schuß Whiskey. Seufzend ließ er sich in seinen Sessel fallen. Er nippte, ließ den Geschmack einen Moment im Munde wirken und drehte sich dann zu Gabriel um. „Erzähl! Alles.“

Und Gabriel berichtete ausführlich. Als er zu dem plötzlich lebendigen Skorpion kam, setzt sich der Lord überrascht auf, unterbrach ihn aber nicht. Ich spürte ein leichtes Unbehagen in mir, als er von meiner ‚Unterstützung’ erzählte, aber Alistair hielt seinen Blick auf Gabriel gerichtet. Als dieser geendet hatte, stand Lord Rodenby auf und trat näher an den Kamin – als wäre ihm kalt. Er stand mit dem Rücken zum Feuer und dann schaute er mich an. Er sagte nichts, schien in Gedanken versunken und ich hielt seinem Blick stand. Endlich gab er sich einen Ruck und sprach zu Gabriel.

„Vergib mir, Corvus! Verzeih, daß ich auch nur eine Sekunde dachte, du hättest übereilt oder egoistisch gehandelt. Ich kenne dich so lange, ich weiß es besser, ich weiß, welch schwere Bürde du dort tragen mußtest. Du hast richtig gehandelt, obgleich du meiner Absolution nicht bedarfst. Bitte nimm meine Entschuldigung an.“ Gabriel war aufgestanden. Doch jetzt sank er vor dem alten Mann auf die Knie, nahm dessen Hand und beugte den Kopf. „Es gibt nichts, was ich vergeben müßte. Ich danke, daß du die Last des Zweifels von mir genommen hast.“ Die Worte stachen mir ins Herz. Ich erinnerte mich, daß Gabriel gesagt hatte, daß er einen Preis zahlen mußte – hier kam auch noch der Zweifel dazu. Doch die Worte des Lords schienen ihm die Kraft zurück zu geben. „Steh auf mein Sohn. Ich kenne deine Bürde und werde sie mittragen, soweit ich es vermag. Und du hast unserer Gemeinschaft einen großen Dienst erwiesen. John ist ein besonderer Mensch“, dabei schaute er zu mir rüber, „wie sie auch, LaVerne.“ Er zog Gabriel hoch. „Auch ihr braucht Ruhe – was bin ich für ein Gastgeber, ihr habt bestimmt Hunger. Übrigens habe ich vorhin noch mit Kolya telefoniert, den hatten wir heute morgen informiert. Er ‚verlangte’ den Rückruf von dir. Das solltest du zuerst erledigen, bevor er vor Sorge um euch noch das Haus zerlegt oder weiter unbedachte Äußerungen von sich gibt.“ Gabriel grinste: „Oh, das wird ganz und gar keine lustige Unterhaltung, er wird mir furchtbare Vorwürfe machen, auch wenn der Unfall nicht meine Schuld war…“

Wir aßen völlig unzeremoniell in der großen Küche. Gabriel hatte nur kurz angerufen, keine Details erzählt sondern lediglich, daß wir Montag Abend zum Flughafen fahren würden. Nach dem Essen zeigte man mir mein Zimmer, es war das Gleiche, wie in der vergangenen Woche. Doch dieses Mal waren weder John noch Gabriel in einem der Nebenzimmer. Die waren in einem anderen Teil des Hauses untergebracht. Ich kroch in das große Himmelbett. Zuerst wollte der Schlaf nicht kommen. Es war unheimlich still und ich hörte nur mein eigenes Herz. Hätte ich von dem Vorfall mit dem Ring erzählen sollen? Doch Gabriel hatte Sorgen genug und außerdem hatte ich es vielleicht nur geträumt. Und überhaupt war ja nichts passiert. Nein, dafür war noch später Zeit. Jetzt war John wichtiger. Und die Auswirkungen seiner Aufnahme in die Oscuro. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Das würde noch recht interessant werden. Und seit wann dachte ich eigentlich über die Probleme anderer Leute nach. Ich hörte im Geiste John sagen ‚ganz neue Seiten an dir LaVerne’. Mit diesem Gedanken schlief ich endlich ein.

Es war keine ruhige Nacht und am nächsten Tag, dem Montag, fühlte ich mich müde, erschöpft und unzufrieden. Ich aß alleine im Speisesaal. Und kam mir verloren vor und heute erdrückte mich die antike Einrichtung. Ich hatte keine Ahnung, wo Gabriel, der Lord oder John steckten. Auf der Suche nach einer menschlichen Seele gelangte ich in die Küche, aber auch hier war niemand. Immerhin fand ich Hiems – oder er mich. Er kam aus dem Wirtschaftsraum und begrüßte mich mit wedelndem Stummelschwanz. „Wo sind die anderen, Hiems?“ Ich bekam einen freundlichen Blick. Na gut. Bisher war ich doch gut alleine zurecht gekommen. Ich hatte mich einfach an Gesellschaft gewöhnt und das war jetzt das Resultat. Es war Zeit, daß ich nach Hause kam. ‚Ach, Hiems, sei vorsichtig mit den Menschen. Wollen wir raus gehen?“ Das Tier war schon an der Tür, bevor ich zu Ende gesprochen hatte. Im Wirtschaftsraum fand ich einen riesigen Mantel, den ich mir ausborgte.

Die nächsten Stunden bis zur Dämmerung durchstreifte ich mit dem Rottweiler die Umgebung. Die Einsamkeit und Ruhe gaben mir meinen Frieden zurück. Alle Gedanken an Blutsbande, Begehren und Verbundenheit waren in den Tresor meines Kopfes verbannt. Zurück zu den Anfängen: einfach leben und reagieren, nicht denken, nichts investieren und damit auch nichts verlieren. Keine Erwartungen konnten auch nicht enttäuscht werden. Und wer sein Herz nicht zeigte, konnte es nicht verlieren. Wozu eine Einheit anstreben, zwischen Herz und Verstand, wenn es doch nur zu Schmerz führte – Ich fühlte mich leichter, als ich Hund und Mantel vor der Küche zurück ließ. Dort traf ich Leon. „Ich dachte mir schon, daß sie spazieren sind, weil Hiems fort war, der geht nicht einfach weg. Die Herren sind im Speisesaal und ihre Sachen sind schon im Flugzeug. Nach dem Essen reisen sie nun endgültig ab.“ Ich dankte und schlenderte langsam zum Speisezimmer und trat ohne Klopfen ein.

Alle schauten auf, als ich eintrat. „Guten Abend, LaVerne. Leon sagte uns, daß sie mit Hiems unterwegs sind. Setzten sie sich zu uns. Wir haben gerade angefangen.“

John sah besser aus als gestern. Er nickte und schenkte mir ein leichtes Lächeln. Gabriel schaute mich nur an als ich mich setzte. „Danke, ja es war kalt aber schön draußen.“ Wir aßen in Stille, jeder in seine Gedanken vertieft. Endlich sagte Lord Rodenby: „Ich habe einen Wagen bereit gestellt, der euch gleich zum Flughafen bringt. Euer Gepäck ist bereits dort und dieses mal sollte es keine Probleme geben. Er bekam erst keine Antwort. Schließlich nickte Gabriel: „Wir danken, daß wir deine Gastfreundschaft länger in Anspruch nehmen durften. Vielen Dank von uns allen.“

Es war alles gesagt und eine knappe halbe Stunde später saßen wir im Auto, ich wieder vorne, die beiden Männer hinten. John hatte nicht ein Wort gesprochen, seit wir uns im Speisezimmer getroffen hatten. Das Wetter war völlig normal und die Fahrt verlief ereignislos. Ohne Verzögerung flogen wir ab, in dem klimatisierten Container, der meine Begleiter vor der Sonne schützte. Oder die Bücher…

Ich mußte an den Hinflug denken. Jetzt waren wir still. John hatte sich hinten in der Kabine ausgestreckt, Gabriel und ich hatten uns einander gegenüber in den Ledersesseln niedergelassen. Ich hielt mich an einer Tasse Kaffee fest, Gabriel hatte die Augen geschlossen, er schien zu schlafen. „Was ist passiert, LaVerne? Du bist verändert? Du bist nicht bei mir, so fern und trotzdem intensiver als vorher. Wo gehst du hin?“ Er schaute mich nicht an, die Augen blieben geschlossen.

„Ach Gabriel, ich habe einfach Heimweh, denke ich. Es ist so viel passiert, vielleicht brauche ich Zeit zum Nachdenken. Ich fühle mich so … müde.“ Er hob den Kopf, seine Augen brannten schwarzes Feuer! Plötzlich war seine Magie wieder da, dieses Prickeln in meinem Magen. „Ist das so?“ Er fragte leise und ruhig. „Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich will nur in meine Wohnung, schlafen und nicht denken.“ Ich sagte es mit Nachdruck. Er schloß die Augen wieder und legte den Kopf zurück. „Vielleicht brauchen wir das alle. Ich wünschte, unsere Reise hätte anders geendet, aber es sollte nicht sein.“ Er wirkte traurig und sehr verletzlich. So kannte ich ihn noch nicht, aber so wollte ich ihn eigentlich auch nicht sehen. Gegen Stärke konnte ich kämpfen, aber gegen seine Schwäche war ich hilflos. „Ja, aber es ist eigentlich egal. Ich bin trotzdem froh, wenn ich zuhause bin. Und ich mal wieder ein langweiliges, oberflächliches Leben führe – zumindest für eine Zeit.“ Ich hatte es nicht so sagen wollen aber es war die Wahrheit. Er reagierte nicht und nach einer Weile schloß auch ich die Augen und döste ein.

Erst als wir unseren Heimatflughafen in Atlanta erreichten, weckte Gabriel mich.


Vorsätze und Erkenntnisse

Now that lust und hunger have seized your heart,
You find that pain is just one shade of grey
You’re killing the feelings that tear you apart
And you fly in the dark and you roam for your prey


Durch den Flug hatten wir einen Tag verloren und trafen daher Dienstag abend ein. Kolya erwartete uns mit der Limousine. Ohne Kommentar und ohne Fragen nahm er jeden von uns in den Arm. Als das Gepäck verstaut war, fragte er, wo es hin gehen sollte und Gabriel meinte: „Bring zuerst LaVerne nach Hause. Dann sehen wir weiter.“ Also fuhren wir zu mir. Kolya brachte meine Tasche zum Aufzug. Noch einmal umarmte er mich. „Ich werde im Laufe der Woche bei dir vorbei schauen. Jetzt schlaf erst einmal.“ Einen Moment ließ ich meinen Kopf an seiner starken Brust ruhen, dann nickte ich: „Gute Nacht, Kolya, bis bald.“

Oben stellte ich die Tasche in die Wohnung und ging schnurstracks ins Bett. Obwohl ich auf dem Flug geschlafen hatte, war ich völlig geschafft. Außerdem stimmte meine innere Uhr nicht. Ich hatte nicht einmal Gelegenheit nachzudenken, ich schlief sofort ein.

Mittwoch verbrachte ich mit liegen gebliebenen Papieren und Eingewöhnen. Irgendwie fühlte ich mich leer und auch alleine. Das würde vergehen. Hin und wieder schweiften meine Gedanken zu John und wie sein Leben jetzt weiter ging. Doch ich unterdrückte die Überlegungen schnell. Aber Donnerstag machte Kolya sein Versprechen wahr. Gegen 19 Uhr meldete der Portier ihn auf dem Weg nach oben. Ich erwartete ihn an der offenen Tür.

Er ließ sich auf meinem Sofa nieder und nahm dankend den Kaffee an. Als ich nicht sprach sondern mich nur setzte, begann er: „John läßt dich grüßen. Momentan ist er noch bei Gabriel im Haus, wird aber vielleicht Ende der Woche in seine Wohnung zurückkehren.“ „Wie geht es ihm?“ „Soweit ganz gut. Er versucht noch, die Tragweite der Veränderungen zu erfassen. Er muß das lernen, was normalerweise in Jahren vorbereitet wird. Es ist nicht einfach, aber er wird es schaffen. Er fragt, ob du am Samstag kommen könntest. Ich glaube, er hat etwas auf dem Herzen, über das er mit dir reden möchte.“ Kolya sprach ruhig und gelassen. Dann schaute er mich durchdringend an. Ich fühlte mich nicht sehr wohl unter diesem Blick. „Was?“ fragte ich. „Gabriel nennt dich ‚schwarze Rose’. Ich nenn dich wohl eher ‚kleine Rose’.“ Ich zeigte ihm ein kleines Lächeln. „Na ja, ab 2 Meter Größe ist das vielleicht auch angemessen.“ Er schloß sich mit seinem Lächeln dem meinen an. „Gabriel hat mir auch gesagt, du hättest dich entfernt, du wärest verändert. Er hat Recht und zwar in mehr als einer Hinsicht. Du wirkst wie an dem Tag, als ich dich nach dem Überfall besucht habe. Ich spüre deine Wärme nicht, du wirkst so … abwesend. Und da ist noch mehr, ich weiß nur nicht, was. Hast du dich von uns abgewendet, kleine Rose?“

Wieso konnte ich Kolya die Antwort etwas leichter erklären, als Gabriel? Auf seine gemütliche Art war er doch sehr einfühlsam und bei ihm hinderten mich keine Gefühle beim Reden. Aber wie sollte ich ihm erklären, was in mir vorging: „Nein und ja, Kolya. Nein, ich habe euch nicht verlassen, ich war nur vermutlich noch nie richtig da. Ihr seid etwas, was ich nicht bin. Aber anders, als du denkst. Ihr seid zu lebendig. Ich will nicht so … intensiv leben. Ich will nicht … leben um zu leiden. Mein Leben war ruhig und langweilig – und so war es gut. Ach, ich kann es nicht anders sagen.“

„LaVerne, in dir ist so viel Leidenschaft, so viel Potential. Jedes starke Gefühl zeigt dir erst, daß du lebst. Ich würde hundert Jahre Gleichgültigkeit gegen eine einzige Minute ‚Leben im Feuer’ tauschen. Gib dir selber diese Chance. Auch Schmerz, Trauer oder Haß gehören zum Leben. Dafür gibt es als Belohnung Liebe, Lust, Vertrauen, Freundschaft. Wie kannst du das Leben ablehnen im Tausch gegen Gleichgültigkeit oder Mittelmäßigkeit?“

„Damit es nicht verletzen kann?“ Wieso geriet ich in letzter Zeit ständig in solche Unterhaltungen, wieso mußte ich mich eigentlich rechtfertigen.

 „Wenn du verletzt bist, spürst du es. Und kannst geheilt werden. Aber jetzt? Was fühlst du? Nichts! Ein Taumeln von einem Tag zum nächsten und plötzlich bist du tot und hast nie erlebt was es bedeutet zu leben.“ Er lächelte noch immer aber seine Stimme war ernst. Irgendwie hatte ich scheinbar diesen Mann unterschätzt, obwohl ich ihn schon lange nicht mehr als Bodyguard sah.

„Ach Kolya. Wenn du das sagst, klingt es vernünftig. Aber weißt du, Mittelmäßigkeit ist so bequem.“ Ein letzter Versuch. Doch er ging – natürlich – nicht darauf ein. „Nein, das ist sogar anstrengend. Seinen Instinkten folgen ist wesentlich einfacher. Wie dem auch sei, die Entscheidung zu leben, liegt bei dir. Wir können dir nur einen neuen, besseren Weg zeigen, gehen mußt du ihn selber. Aber denke noch an etwas anderes: wenn wir einen Weg zusammen gehen, ist keiner von uns alleine. Und jetzt laß uns das Thema wechseln.“

Eine Weile plauderten wir noch, dann erhob er sich. „Kommst du Samstag?“ „Natürlich!“ als er zur Tür ging fragte er „soll ich dich fahren?“ Ich überlegte kurz: „Ich denke, ich werde es finden, also fahre ich selber, tut mir mal ganz gut. Kann ich über Nacht bleiben?“ Kolya schaute mich halb amüsiert, halb verwundert an: „Was für eine Frage, kleine Rose. Wenn du willst, kannst du für die nächsten Jahrhunderte bleiben.“ Und damit ging er.

Am Samstag packte ich ein paar Sachen fürs Wochenende und machte mich auf den Weg zu Gabriels Anwesen. Bis auf einen kleinen Patzer fand ich es auf Anhieb.

Ein Diener in schwarzer Livree und weißer Aura öffnete mir die Tür. „Willkommen, die Herren erwarten sie bereits.“ Er nahm mein Gepäck und führte mich in die Bibliothek. Gabriel und John saßen vor einem großen Schachspiel als ich eintrat. Beide standen auf. „Gott sei Dank, du bist da. Ich bin grad heillos am Verlieren,“ grinste John. Von der schwarzen Aura abgesehen schien er der Alte zu sein. Gabriel lächelte nur leicht und nickte: „Klar, ich hab ja auch ein ganz paar Jahre mehr Übung…“. Ich umarmte John, einen Moment hielt er mich fest, dann trat er einen Schritt zurück. „Du siehst erholt aus, LaVerne.“ „Ich fühle mich auch besser. Du siehst aber auch gut aus.“ Und das war nicht gelogen, er wirkte frischer und wieder er selbst. Damit wandte ich mich an Gabriel. Auch er schloß mich in die Arme. „Du hast mir gefehlt, schwarze Rose. Nach einer Woche habe ich mich an deine Anwesenheit gewöhnt. Schön, daß du gekommen bist.“ Er hauchte mir einen Kuß auf die Wange. „Ich freue mich auch, dich zu sehen. Und wo steckt Kolya?“

Wir setzten uns, die Männer wieder vor ihr Schachspiel. „Oh, irgendwo hier im Haus. Im Zweifel würde ich ihn im Weinkeller suchen, wo er ein leckeres Schlückchen fürs Abendessen vorbereitet.“ Dann nahmen sie ihr unterbrochenes Spiel wieder auf, dazwischen plauderten wir locker. Sobald ich bei ihnen war, ging es mir gut. Ich mußte an Kolyas Worte denken.

Nach einer Weile stieß selbiger zu uns. Gemeinsam aßen wir gemütlich zu Abend. Danach machten wir es uns in einem der kleineren Salons gemütlich. Wie in dem Schloß gruppierten wir uns vor einen großen Kamin. Allerdings diesmal mit Wein aus dem hiesigen Keller. Gabriel erzählte von den letzen Tagen: die Ausstellung lief noch immer gut, die Käufe der Auktion waren zum Großteil verstaut oder katalogisiert. So wurde es später. Um vier Uhr konnte ich dann ein Gähnen nicht verhindern. „John? LaVerne’s Sachen wurden ins Gästezimmer neben der Treppe gebracht. Würdest du sie hin bringen? Wir räumen noch unser Gelage hier auf.“ Wir erhoben uns. Eine flüchtige Umarmung beendete die Nacht und dann folgte ich John in den ersten Stock. Er brachte mich in den Raum, wo ich schon einmal übernachtet hatte. Aber er ging nicht, sondern setzte sich auf das Bett und deutete auf den Platz neben sich.

„LaVerne, ich möchte mit dir reden.“ Ich setzte mich neben ihn. Und versuchte, den Wein aus meinem Kopf zu vertreiben, doch er schien schon fast von selber wie weggewischt. „Worum geht es John?“ Ich hatte nicht mal eine Ahnung, was es sein könnte. Solange es nicht mich – uns – betraf, war es in Ordnung. Aber es war etwas anderes. „Es geht um diese Nacht, du weißt, als Gabriel mich verändert hat…“ Wie könnte ich das vergessen. „Was ist damit, John?“ Ich drehte mich, daß ich ihn ansehen konnte. Doch er schaute auf die Finger seiner Hand. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Oder was ich sagen will …“ er brach ab und inspizierte jeden seiner Finger genau. „John, wenn wir jetzt keine Freunde sind, die über alles reden können, wann dann?“ Ich versuchte, so gut ich konnte zu helfen. Es schien ihm wichtig zu sein und er war tatsächlich ein Freund, vielleicht hatte ich es nur zeitweilig vergessen – Danke Kolya! „Also, was da passiert ist…du weißt…“ wieder unterbrach er sich. „Ja John, ich war dabei,“ aber er stoppte mich. „Ich weiß, Gabriel hat mir gesagt, daß es deine Entscheidung war, obwohl ich denke, eigentlich haben wir dir keine Wahl gelassen, vielleicht hatte wir ja alle keine Wahl…Aber das ist es nicht. Ich …ich will dir was erklären – also – ach verdammt.“ Aus seiner Stimme klang leichte Verzweiflung, fast Schmerz. Und ich verstand sein Problem noch immer nicht ganz. Natürlich war ich freiwillig dabei. „John, es war eine freie Entscheidung, nicht schwer zu fällen. Wenn es dir unangenehm ist, daß ich das miterlebt habe…“ „Nein! Nein!“ Und wieder unterbrach er mich. Dann: „ich habe einen Mann geküßt, umarmt – so wie er mich! Und ich habe ihn willentlich verletzt. Das ist es, was ich dir erklären will. Aber nicht kann. Und noch schlimmer: es war wundervoll, berauschend, unglaublich; ich bereue es nicht. Aber …“ da verlor sich seine Stimme. Liebevoll nahm ich ihn in den Arm, zog ihn zu mir und griff gegen seinen leichten Widerstand nach seinem Gesicht. Als er mich mit diesen blauen Augen endlich direkt ansah antwortete ich: „Und? Vorher hast du mich geküßt, und noch mehr und es hoffentlich auch schön gefunden.“ Er grinste etwas. „Ist das dein ganzes Problem? Es schön gefunden zu haben, Wärme und Zuwendung genossen zu haben, Liebe zu fühlen, bei oder mit wem auch immer?“ Er antwortete nicht sofort. Aber er hielt meinen Blick. „Nein…ja. Äh! Ich wollte mich irgendwie rechtfertigen, gerade vor dir.“ Ich zog ihn an mich. „Nicht vor mir, John. Gerade vor mir nicht. Ich war dabei. Ich habe Zärtlichkeit und Zuneigung gesehen und ich fand es wundervoll. Außerdem bist du in eine Gemeinschaft geraten, wo solche Dinge wohl etwas anders gesehen werden. Also vergiß die Schuldgefühle, freue dich über diese Erfahrung.“

Nach einer Weile erwiderte er die Umarmung. „Ich wollte nur, daß du irgendwie verstehst. Doch du verstehst es mehr als ich selber. Danke. Jetzt fühle ich mich besser.“ Einen Moment hielten wir uns noch so fest, dann ließ er mich los und stand auf. „Weißt du LaVerne, neulich im Schloß sagte ich, ich sei glücklich. Aber jetzt bin ich es komplett. Und dafür muß ich auch dir danken. Ich werde dir den Rest morgen erzählen. Es gibt noch so viel zu berichten. Jetzt schlaf aber erst mal. Gute Nacht.“ Damit zog er die Tür hinter sich zu und ließ mich alleine zurück. Irgendwie beneidete ich ihn, er hatte mir etwas voraus: Gabriel.

Dieser Gedanke wanderte durch meinen Kopf, als ich mich ins Bett begab. Seltsam, sobald ich in Gesellschaft dieser ‚Bande’ war, fühlte ich mich besser. Vielleicht sollte ich meine Strategie doch noch einmal überdenken. Zumindest in einer Hinsicht hatte ich unbemerkt einen Entschluß gefaßt. Ich wollte diese erste Nacht mit Gabriel, egal wann. Einmal diese dunklen Augen in mir versinken lassen, einmal diese Wärme und Leidenschaft nur für mich haben. Danach würde es sich ergeben aber das war immerhin ein Ziel. Zufrieden mit mir rollte ich mich auf dem Bett ein. Und als letzter Gedanke: Aber ich würde ihm nicht unbedingt entgegen gehen, ihn den ersten Schritt machen lassen. Wozu war ich schließlich eine Frau …

Als ich Sonntag Mittag aufstand, war ein Mittagessen für mich vorbereitet. Danach brachte man mich ins Verlies, wo die drei Herren mit dem Sortieren von Büchern beschäftigt waren. Ich gesellte mich zu ihnen und eine Weile blätterte jeder von uns in alten Schriftrollen. Es herrschte eine friedliche Stimmung und Kolya warf mir mehrfach seltsame Blicke zu. Endlich meinte er: „LaVerne, komm mal mit, ich will dir was zeigen.“ Ich folgte ihm zu einem der Weinregale und er holte eine staubige Flasche heraus. „Die ist von 1759. Ich habe das Jahr miterlebt.“ Er reichte sie mir.

„Bist du glücklich, Kolya?“ Es war klar, daß er mir damit etwas sagen wollte. „Nicht immer, kleine Rose. Aber wie ich sagte, lieber Momente tiefster Gefühle als endloses Einerlei. Ich würde die Entscheidung wieder treffen. Was ist mit dir? Hast du mit John gesprochen?“ „Ja, ich habe mit ihm gesprochen, und ja, es geht mir gut – und ihm wohl auch. Wirklich!“ Zweifelnd sah er auf mich herunter. Aber ich bekräftigte: „Ich fühle mich wesentlich besser als Mittwoch, das habe ich auch dir zu verdanken. Ich habe beschlossen, mich nicht völlig zu verstecken. Ich bin noch nicht bereit, den ganzen Weg zu gehen, aber einzelne Schritte sind OK und dann sehen wir weiter.“ Sein übliches Lächeln wurde breiter. „Was immer auch deine Meinung geändert hat, ich bin froh darüber. Etwas Vernunft in diesem kleinen Dickschädel.“

Also wirklich. Ich knuffte ihn und als Dank nahm er mich auf die Arme, als wäre ich ein Stofftier. So trug er mich lachend zurück zu den anderen. „Laß mich runter, du Riesenbär!“ schimpfte ich aber erreichte nur, daß er noch breiter grinste. Die anderen zwei schauten uns an mit einem Ausdruck echter Verblüffung. „Los! Abwärts!“ Endlich setzt er mich mit den Füßen zuerst ab und kommentierte dann: „da ist nix dran, die kann ich ja am ausgestreckten Arm verhungern lassen.“ Gabriel grinste mit: „Na ja, das kannst du aber doch fast mit jedem.“ Kolya drückte mich zum Abschluß so fest, daß sämtliche Luft aus meinen Lungen wich. Er konterte: „Aber nicht bei jedem macht es so viel Spaß.“ Und John ergänzte: „oder ist so einfach.“ „Hey, so schwach bin ich auch nicht, aber gegen einen Bären…“ Gabriel fiel mir schamlos in den Rücken: „…den du doch wohl jederzeit um den Finger wickeln kannst.“ So ging unser Geplänkel noch einige Zeit weiter. Alle waren wir bester Stimmung und beim Abendessen setzte sich die gute Laune fort.

Danach wechselten wir ins Musikzimmer und Gabriel erstaunte mich mit einem ungeahnten Talent: er spielte wundervoll Klavier. Wir anderen drei saßen im Raum verteilt und lauschten andächtig. Gabriel spielte mit viel Gefühl und einige unbekannte Stücke. Ein Bediensteter brachte wieder Wein und irgendwann saßen wir übrigen drei wieder vor dem Kamin auf dem Boden und schwiegen, während wir uns von der Musik verzaubern ließen. Ungeniert legte ich mich hin, den Kopf auf Kolyas Beine gelegt. So verging die Zeit wie im Fluge. Irgendwann hörte Gabriel dann – leider – auf und streckte sich bei uns aus. Nach der wunderbaren Musik war es still im Raum.

Diese Mal unterbrach ich das Schweigen aus eigenem Antrieb: „Wißt ihr, als ich noch jünger war, sind meine Eltern ums Leben gekommen, bei einem Flugzeugabsturz. Seit der Zeit hatte ich keine Familie. Keine Tanten oder Onkel, nur Treuhänder, Anwälte, Lehrer und Freunde. Jetzt habe ich das erste Mal das Gefühl, daß ich so etwas wie eine Familie habe. Und das fühlt sich gut an.“ Das wollte ich mal gesagt haben. Kolya antwortet: „Du hast jetzt tatsächlich eine Familie. Und die wirst du garantiert nicht mehr los. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, völlig alleine zu sein. Das muß schrecklich sein.“ Gabriel sagte nichts, schaute mich nur an und einen kleinen Moment setzte mein Herz aus – um dann doppelt so schnell die Arbeit nachzuholen. Seine Augen waren im Kaminfeuer nicht schwarz, sondern glichen denen einer Raubkatze. Doch der Moment ging vorüber.

Nach einer Weile trennten wir uns. John schlief in einem anderen Teil des Anwesens, Kolya verschwand in Richtung Keller und Gabriel verabschiedete sich an den Stufen zum ersten Stock mit einem leichten Nicken und „Gute Nacht, LaVerne.“. Alleine ging ich hinauf in mein Zimmer. Eigentlich wollte ich doch heute nach Hause gefahren sein. Aber egal, es war einfach ‚heimisch’ in diesem Hause. Aber morgen.

Ich lag schon im Bett, das Zimmer war dunkel, als sich die Tür öffnete. Ich hatte nicht abgeschlossen – aus Gewohnheit und weil ich nicht mit Besuch gerechnet hatte – außerdem, was sollte mir hier schon passieren. Der Schatten in der Tür kam näher und setzte sich auf den Bettrand. Gabriel!

Er trug einen dunklen Morgenmantel und ich verkrampfte mich fast in dem Versuch, locker und entspannt zu wirken. Eine Weile schaute er nur auf mich herab, ohne etwas zu sagen. „Schwarze Rose, ich möchte mit dir sprechen.“ Ich setzte mich auf, machte aber kein Licht an, er brauchte es nicht, ich wollte es nicht. Das, was ich nicht sah, war schon aufregend genug. Im Dunkel des Zimmers war er eigentlich ein noch schwärzerer Schatten. Ich zog die Beine an und schaute ihm ins Gesicht. Im Grunde konnte ich seine Umrisse recht gut erkennen, nur das Gesicht bestand aus Finsternis.

„Worum geht es Gabriel?“ „Um dich, um John, um uns. John schien heute verändert, lockerer.“ Er stellte keine Frage sondern traf eine Feststellung. Ich wollte John weder bloß stellen, noch ein privates Gespräch ausbreiten, das mußte er selber entscheiden. „Er hatte etwas auf dem Herzen, aber er wird zurecht kommen. Ich glaube, er fühlt sich besser als jemals zuvor.“ Als ich es sagte, erkannte ich, daß es stimmte. Ich dachte an seine Wohnung – ohne persönliche Note. Ja, er hatte eine Entscheidung getroffen, die ihm entsprach.

„Ich wußte, daß er mit dir reden wollte und ich werde weder dich noch ihn nach dem Inhalt fragen.“ Gabriel versank eine Weile in Schweigen. Schließlich fuhr er fort: „Und du, schwarze Rose? Was ist mit dir? Wo stehst du?“ Diesmal war ich es, die schwieg. „Ich weiß nicht, Gabriel. Das hat Kolya auch schon gefragt. Ich habe eine Entscheidung getroffen, ich will mich nicht verstecken. Wie ich sagte, seid ihr das, was ich als eine Familie betrachten würde. Aber ich bin nicht bereit, mein Leben völlig zu verändern. Ich brauche Zeit – und Selbstvertrauen. Oder so was…“ Ich zuckte im Geiste mit den Schultern. „Ein Schritt nach dem andern. Laßt mich den Weg selber finden, von dem ihr immer redet. Stellt nur einfach Wegweiser auf. Immerhin muß ich mich erst daran gewöhnen, eine Familie zu haben.“

Gabriel hob seine Hand und streichelte sanft über meine Wange. „Gib nur dir und uns – und mir – eine Chance. Dein Leben wartet nur auf dich, laß es geschehen. Vielleicht kommst du an einen Punkt, wo sich alles gelohnt hat. Dafür kämpfen wir alle. Und manchmal ist Verlieren tatsächlich ein Gewinn. Ich weiß, daß John gewonnen hat. Und ich sehe, daß dein Kampf noch nicht entschieden ist. Aber ich werde ihn nicht zu sehr beeinflussen, obwohl ich das möchte. Aber ich – wir alle – werden am Wegrand stehen und dich auffangen, wenn du es zuläßt.

Aber was ich eigentlich sagen wollte: John wird nun doch nicht in seine Wohnung zurück kehren, sondern nächste Woche umziehen. Er bringt seine persönlichen Sachen hierher, in mein Gut. Unser Hausarzt hat ihn vorerst krank geschrieben. Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht einige Zeit bleiben könntest, wenn er seine Sachen untergebracht hat. Dies ist ein großes Haus und wir haben eine Gemeinschaft geformt und deine Anwesenheit hilft ihm. Und ich würde mich auch freuen.“ Den letzten Satz betonte er und schaute dabei in meine Augen. Ich konnte wegen der Dunkelheit seinen Ausdruck nur ahnen aber was ich sah, ließ mein Herz wieder schneller schlagen. Wieder längere Zeit mit ihnen verbringen? Gerade hatte ich versucht, meine Gefühle und Gedanken nach der letzten Woche zu sortieren, nur kleine Schritte zu machen. Und jetzt sollte ich mich wieder in die Fänge dieser Männer begeben? Einer, der mein Herz zum Schwingen brachte, einer, mit dem ich geschlafen hatte und einer, dem ich mein Leben anvertrauen würde. Eigentlich sollte ich mich freuen, ich war verwöhnt. Aber meine Entscheidungsfreiheit, mein Wunsch, langsam vorwärts zu gehen, standen zur Debatte.

„Ich bin gerne in eurer Gesellschaft und das ist das Problem. Ich will keine Abhängigkeit, weder körperlich noch geistig. Und ich habe das Gefühl daß ich dann irgendwann nicht mehr ohne euch sein möchte.“ Bevor er noch antworten konnte, fuhr ich fort. „Aber ich werde trotzdem kommen. Ich habe ja gesagt, ich gebe mir eine Chance. Außerdem schulde ich John das. Und für mich wird es ein Test: will ich noch mehr Zeit mit euch verbringen, will ich stehen bleiben oder weitergehen.“ Was ich nicht sagte, war der 3. Teil der Prüfung. Wie lange konnte ich wie eine Motte mit der Flamme spielen, bevor ich mich verbrannte. Oder, was eigentlich besser klang: Vielleicht konnte ich ja das Feuer sein. Wenn ich die Herausforderung schon annahm, konnte ich mir auch gleich ein lohnendes Ziel setzen.

Gabriel nickte in der Dunkelheit. „Vielleicht verstehe ich nicht alle deine Gründe, aber vorerst reicht mir deine Zustimmung. Alles Andere wird sich finden, du weißt ja, die Zeit ist auf unserer Seite.“ Ich hörte förmlich, wie er grinste. „Ich werde also arrangieren, daß dir hier einige Räume zur Verfügung gestellt werden. Donnerstag Abend wird der Umzugswagen zu John kommen. Vielleicht magst du dann auch helfen. Danach werden wir zu dir fahren und die notwendigen Dinge von dir auch gleich mitnehmen.“

Oh, das hatte ich anders verstanden. „Ich dachte wir sprächen von ein bis zwei Tagen…“ Als er sich langsam erhob, schickte er mir zurück: „du willst doch nicht kneifen?“ Ach, das Streiten lohnte sich nicht. Und an Kneifen war nicht zu denken. Außerdem konnte ich vermutlich genauso gut von hier aus arbeiten. Und ich hatte ein Auto und konnte innerhalb einer Stunde bei meinen Freundinnen in gerade angesagten Clubs sein. Aber kampflos wollte ich auch nicht aufgeben. „Nein. Aber Anfang Dezember werde ich trotzdem in meine Wohnung zurück kehren. Selbst eine Familie wohnt nicht ständig unter einem Dach. Jeder hat noch ein eigenes Leben.“ Ich dachte schon, er hätte die letzen Sätze ignoriert. Er war schon an der Tür, während er sie öffnete blieb er aber noch einmal stehen und drehte sich zu mir um: „Und was ist mit Liebenden?“ Und damit schloß er die Tür hinter sich und ließ mich ziemlich verdutzt auf dem Bett zurück.

Während ich mich zurück unter die Decke kuschelte, dachte ich über diesen letzten Satz nach. Die Antwort war simpel aber die Frage war das Rätsel. Wen meinte er? John und ich hatten uns geliebt, das wußte er sicher. Aber wußte er, was mein Herz in seiner Gegenwart durchmachte? Wie sehr ich auf seine Berührung wartete? Und war diese erste Nacht – wenn er sie denn von mir einfordern würde – eine Form der Liebe, obgleich diese Männer nach anderen Regeln leben. Und auch die Umwandlung von John durch Gabriel war eine Form der Liebe. Die Frage war so weitreichend, sie machte alles noch viel schlimmer.

Und wie sollte ich mit solchen Gedanken jetzt schlafen können. Andererseits war Liebe eine Kombination aus Kopf und Herz. Eine Einheit, die ich mir bisher ja erfolgreich erspart hatte. Was hatte Kolya noch gesagt? ‚Manchmal ist der, der verliert in Wahrheit der Gewinner.’ Bisher wollte eigentlich nur mein Körper sprechen. ‚Echte Liebe’ stand somit für meine Belange nicht zur Diskussion. Das hätte mir wirklich noch gefehlt. Trotzdem, irgendwo links in meiner Brust spürte ich ein unangenehmes Ziehen, während ich versuchte einzuschlafen. Doch irgendwann hatte ich Erfolg.

Am Sonntag schlief ich bis zwölf. Einer der Dienerschaft – alle Personen im Haus gehörten der Nadiesda Thurus an – kümmerte sich um mein Frühstück. Als ich noch etwas unschlüssig im Speisezimmer saß, kehrte er zurück. „Der Hausherr hat mir aufgetragen, sie nach dem Frühstück in die Privaträume der Oscuro zu geleiten. Folgen sie mir bitte.“ Also folgte ich ihm in einen Flügel des Landsitzes, den wir scheinbar bei der Besichtigung ausgelassen hatten. Vor einer schweren Eichentür blieb er stehen. „Dies ist eine Doppeltür. Es darf unter allen Umständen immer nur eine der Türen geöffnet sein. Sie müssen alleine hinein gehen, weil wir diese Räume nicht betreten dürfen.“ Damit öffnete er die Eichentür. Sie führte in einen unbeleuchteten, nur drei Meter langen Korridor. Dann schloß er die Tür hinter mir und ich stand bewegungslos in der Finsternis. Nach einer Weile schienen meine Augen sich anzupassen denn ich sah die zweite Tür. Ein seltsam geformtes Symbol prangte darauf.

Zwei stilisierte schwarze Flügel, darin ein Kreis mit einer  Linie im unteren Drittel. Hinter der Tür erwartete mich ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer. Ein überdimensionales Sofa, Couchtisch, Kamin, eine kleine Bar sowie Fernseher und Stereoanlage gab es. Alles war völlig normal, außer, daß es keine Fenster gab, nur künstliches Licht. Von dem Raum gingen drei Türen ab. Aber es war kein Mensch zu sehen. Etwas unentschlossen blieb ich stehen. Aber niemand tauchte auf. Also ging ich auf die erstbeste Tür zu – die wiederum in einen unbeleuchteten Gang führte. Links vier geschlossene Türen. Die zweite Tür aus dem Wohnzimmer führte in eine Küche, natürlich wieder ohne Fenster. Die letzte Tür bot wieder einen Gang mit geschlossenen Türen. Na Klasse!

Ich kehrte zu dem ersten Gang mit den vier Türen zurück. Vor der ersten blieb ich stehen und klopfte vorsichtig an. „Herein!“ Ich meinte, Kolyas Stimme erkannt zu haben. Und richtig. Ich war offensichtlich in sein Schlafzimmer geraten. Ein einzelner großer Raum, ein enormes Bett, in dem locker vier Personen Platz gefunden hätte. Ein Schrank, ein kleineres Sofa und es gab sogar einen Schreibtisch. Und Kolya lag im Bett und stützte sich auf die Ellenbogen. „Oh! Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“ Das war mir schon recht peinlich, aber immerhin hatte man mich hier hin geschickt. „Oh, LaVerne, was für eine Überraschung, du hast mich aber nicht geweckt. Hey, nicht rot werden. so laß ich mich doch gerne aus dem Bett holen.“ Er warf mir ein verschmitztes Grinsen zu. „Gib mir fünf Minuten und ich komme ins Wohnzimmer, ok Kleine?“ „Oh – Klar. Tschuldigung.“ Damit zog ich die Tür hinter mir zu und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Nicht mal drei Minuten später gesellte sich Kolya dann zu mir. Er hatte nur eine Trainingshose an und ich sah seine beeindruckenden Muskeln zum ersten Mal völlig unverdeckt.

„Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich kein Shirt anziehe aber ich will gleich noch etwas trainieren. Außerdem bist du ja Familie.“ Kolya hatte diese unnachahmliche Art, daß man sich sofort gut fühlte. „Oh, mach dir keine Umstände – entschuldige nur, wenn ich dich hin und wieder anstarre. Das ist schon beeindruckend.“ Zu jemandem anderen hätte ich das bestimmt nicht so gesagt. „Das will ich hoffen. Aber ich stelle erst mal Kaffee an. Kommst du mit, dann können wir plaudern.“ Ich folgte ihm also in die Küche. Ohne Anstrengung setzte er mich locker auf den Tresen vor ihm und begann dann herum zu hantieren.

 „Du bist jetzt in den Räumen, die der Oscuro vorbehalten sind. Hätte Gabriel heute den Bann nicht aufgehoben, hättest du die Tür nicht öffnen können. Er hat erzählt, daß du für einige Zeit hier bleiben wirst. Das freut mich riesig. Aber dann mußt du dich hier ja auch bewegen können. Und außerdem bringst du Licht und Wärme mit, aber irgendwie liegt auch Spannung in der Luft. Und das hat seinen eigenen Reiz.“ Ich hörte ihm zu, während er Kaffee aufstellte und ein kleines Frühstück zubereitete. „Weißt du, ich bin gerne bei euch. Und ich will versuchen, etwas offener zu werden.“ Während wir auf den Kaffee warteten, erzählte Kolya von seinem Hobby: Kampfsport. Er bot sogar an, mich mal zu unterrichten. Der brauchte eindeutig keinen Kampfsport um mich in Sekunden wirkungsvoll außer Gefecht zu setzten. Da hatte ich wohl keine Chance, gegen einen ausgewachsenen Bären.

Wir saßen Kaffee trinkend im Wohnzimmer, als Gabriel eintrat – und wie erstarrt stehen blieb und mich anstarrte. Kolya stand auf: „Rabe?“ Gabriel schaute erst mich an, dann ihn. „Ich habe vergessen, den Bann zu lösen. Wie ist sie rein gekommen?“ Er hatte leise gesprochen aber mit viel Nachdruck, fast Schrecken. Kolya zuckte die Schultern und setzte sich wieder. „Keine Ahnung. Aber sie hat mich netterweise aus dem Bett geworfen. Bist du sicher?“ Gabriel ging in die Küche und kam mit einer Tasse zurück. „Na ja, ziemlich…glaube ich. Ach, vielleicht doch nicht, ich muß wohl…“ Wie immer war er in Schwarz gekleidet, heute waren es Jeans, und ein Seidenhemd. Aber er war barfuß, das erste Zeichen, daß auch er wohl geschlafen hatte. Die langen Haare fielen offen über die Schultern und mir bei seinem Anblick fast die Kinnlade runter. Er wirkte noch etwas verschlafen und sehr entspannt. Aber das verstärkte nur die Ausstrahlung – er wirkte natürlich und gelöst wie ein Raubtier, das trotzdem jeden Moment zum Sprung ansetzen konnte.

Ich riß mich zusammen um nicht aufzufallen. Ich fürchtete, in der nächsten Zeit würde ich noch genug Gelegenheit bekommen, meine Selbstbeherrschung auszutesten.

Eine ganze Zeit unterhielten wir uns. Dann stieß auch John dazu. Und als ich dann irgendwann auf die Uhr schaute, war es schon nach fünf. In dieser Gesellschaft wurde man schon automatisch zu einem Nachtmenschen. Ich verkündete, daß ich heimfahren würde. John stand auf und meinte: „Ich bringe dich zum Auto.“ Dieses Mal verabschiedete ich mich von den beiden anderen nur mit einem Winken: „Bis Donnerstag.“

Auf dem Weg zum Auto erzählte mir John, daß der Nadiesda Thurus eine ganze Reihe von Ärzten angehörte. Einer davon hatte seinen Arbeitgeber informiert, daß er eine schwere Lichtallergie hätte. Somit war er von der Arbeit freigestellt bis auf weiteres. John schien nicht unglücklich darüber zu sein. „Ich erzähle dir alles nächste Woche in Ruhe. Hilfst du mir beim Packen, alleine ist das deprimierend, trotz der Tatsache, daß ich ja dafür hierhin komme.“ „Klar.“ Wir verabredeten uns für Donnerstag in seiner Wohnung und mit einer freundschaftlichen Umarmung stieg ich ins Auto. „Ich werde auch ein paar Sachen packen. Also. Bis Donnerstag. Mach’s gut John.“

Auf der Rückfahrt drehte ich die Musik im Radio voll auf. Zuhause packte ich geistesabwesend aus und dann auch hier die Lautstärke der Stereoanlage hoch. Heute wollte ich meine Gedanken mal nicht hören. Mit einem Buch schlief ich später irgendwann auf dem Sofa ein.

Die Woche bis Donnerstag verbrachte ich mit Organisation. Einige Sachen zusammenpacken, Besorgungen und Telefonate erledigen, Anrufe umleiten lassen, all das nahm den Großteil meiner Zeit in Anspruch. Donnerstag um fünf rief John dann an, daß er in einer Stunde in seiner Wohnung wäre. Also fuhr ich zu seinem Haus. Ein großer Möbelwagen kam kurz nach mir und dahinter die Limousine mit Kolya und John. Die Wohnung leer zu räumen ging erschreckend schnell. Es gab tatsächlich wirklich erschreckend wenige persönliche Gegenstände, die Kleidung wurde in riesige Koffer gehängt, ein Teil der Einrichtung im Bauch des LKW verstaut. Gegen zwei Uhr nachts ging es dann ab zu meiner Wohnung. Zwei große Koffer und mein Computer sowie ein Teil meiner Musiksammlung begleiteten mich.

Obgleich Kolya anbot, meinen Wagen später holen zu lassen, lehnte ich ab und folgte selber dem Truck und der Limousine durch die Nacht. Ohne mein Auto wollte ich nicht eine Stunde von der Stadt entfernt sein.

Die Möbelpacker – praktischer Weise einige von Gabriels Bodyguards – brachten Johns Sachen in den dunklen Flügel, meine Dinge in das Zimmer, das ich jetzt schon kannte. Zwei Nebenräume waren als Arbeits- und Wohnzimmer und als Küche gedacht. Die Herren schlossen sogar mit unerwartetem Talent sämtliche meiner Gerätschaften gleich an.

Die Nacht war fast vorüber, als ich müde in mein Bett fiel und fast sofort einschlief. Bei dem Lebenswandel der anderen hier konnte ich auch gleich anfangen, mich diesem Zeitrhythmus anzupassen.

Natürlich war es schon Freitag Nachmittag, als ich endlich aufstand. In meinem Küchenbereich fand ich eine Kaffeemaschine, einen gut gefüllten Kühlschrank, sogar eine Mikrowelle und was am Wichtigsten war: eine volle Thermoskanne mit Kaffee.

Ich hatte die Zeit völlig vergessen und arbeitete am Computer, als John mich aufschreckte. Er klopfte an und nach Aufforderung setzte er sich in einen der Sessel. „Nun sind wir hier. Und wie fühlst du dich damit?“ Entspannt streckte er die Beine aus und ich mußte an einen Abend vor einer Ewigkeit denken, als er schon einmal so an meinem Tisch gesessen hatte. Er schien meine Gedanken zu erraten denn er grinste und ergänzte dann: „mit uns Männern um dich herum?“

Ich grinste zurück. Na warte: „Oh, ich finde es natürlich herrlich. Aber ernsthaft. Ich brauche Zeit, mich an die schnellen Veränderungen zu gewöhnen. Und was ist mit dir?“ Er antwortete ohne zu zögern: „Mir geht es gut. Wirklich. Ich erfahre jeden Tag neue Dinge, lerne und verstehe. Du hast ja selber gesehen, da war nicht viel, das ich hinter mir gelassen habe. Aber vor mir liegt so viel. Hier habe ich Freunde, Leute, denen ich etwas bedeute. Ich lerne neue Fähigkeiten in mir kennen, ich wachse jeden Tag ein wenig. Das ist fast wie eine Droge oder ein Traum – manchmal fürchte ich, ich könnte aufwachen. Nein, ich vermisse mein altes Leben nicht!“ als ich ihm so zuhörte, beneidete ich ihn fast ein wenig um seine Zufriedenheit. Andererseits gerade jetzt war ich eigentlich auch in bester Stimmung. Ich war frei zu gehen, aber es war deutlich, daß meine Anwesenheit gewünscht wurde. Auch ich hatte Leute, denen ich am Herzen lag. Aber ich konnte auch dankend ablehnen – und das konnte John nicht. Wobei ich glaubte, daß er es gar nicht gewollt hätte. Irgendwie war die Welt momentan einfach ein wenig in Ordnung.

„Oh John, ich freue mich, daß alles so gut ausgegangen ist. Und daß wir solche – wenn auch ungewöhnliche – Freunde haben.“ Ich wollte eigentlich noch mehr sagen aber John unterbrach mit: „Richtig! Ich bin dankbar, euch Freunde nennen zu können. Und dir bin ich in vielerlei Hinsicht noch viel mehr dankbar. Du verstehst schon, ich weiß. Diese Nacht, aber auch, weil du uns bekannt gemacht hast und weil du jetzt hier bist. Danke.“ Er stand auf, zog mich hoch und umarmte mich fest. Kurze Zeit standen wir so, dann ließ er mich los. Auf einmal war er rot geworden, drehte sich zur Tür um und als er schon fast draußen war: „Entschuldige. Du hast einfach diese Wirkung auf mich.“ Als letztes sah ich sein verschmitztes Grinsen und er war weg.

Die nächsten Tage verbrachten wir in einer leichten Routine. Ich schlief lange, dann arbeitete ich am Computer, las oder hörte Musik. Später kam öfter John auf eine kleine Plauderei vorbei. Die verbotenen Räume betrat ich nicht, obwohl es mir erlaubt war. Abends saßen wir dann in der Bibliothek oder im Musikzimmer. Wir redeten über banale Dinge oder lauschten nur Gabriels Klavierspiel. Manchmal spielten wir Schach. Es waren friedliche, ereignislose Tage.

Am Mittwoch rief einer meiner Kunden mit einem Notfall an und ich verließ den Landsitz am späten Vormittag. Bis spät in die Nacht war ich beschäftigt und als ich zurück fuhr, ertappte ich mich dabei, daß ich von Gabriels Haus als ‚nach Hause’ dachte. Eigentlich hatte das einen schönen Klang. Ich wurde von Kolya mit einer Umarmung begrüßt, die eigentlich an Körperverletzung grenzte. Die anderen beiden waren wenigstens etwas rücksichtsvoller aber wir freuten uns irgendwie alle, daß wir wieder komplett waren.

Die erste Nacht

Hold me, feel me, take my breath away!
Let your darkness fill my light
Let me be temptation for you very day
Intoxicate me through an endless night…
 

Am folgenden Wochenende, das letzte im November, rief eine Freundin an und lud mich zu einem Frauenabend mit Nachtclubbummel ein. Ich hatte mir vorgenommen, mein Leben möglichst normal fortzusetzen, also sagte ich für den Samstag zu. Obwohl Kolya sich anbot zu fahren, lehnte ich ab. Ich würde mit dem Auto nach Atlanta hinein fahren und in meiner ‚Stadtwohnung’ übernachten. Gabriel bot mir seine dortige Wohnung an, aber auch das Angebot lehnte ich ab. Die Idee, in meinem eigenen Bett zu schlafen, gefiel mir. Kolya offensichtlich weniger, denn er war ungehalten: „Kleine, ich habe versprochen, auf dich aufzupassen. So kann ich das aber nicht.“ „Ach, mein großer Bär, mach dir keine Gedanken. Bisher ist mir ja auch nichts passiert, warum also jetzt?“ Aber ganz abweisen lassen wollte er sich auch nicht. „Na gut! Aber Gabriel und ich werden abends im Silbernen Satyr sein. Versuche doch wenigstens, ob ihr mal dort vorbei kommen könnt. Dann habe ich wenigstens dort ein Auge auf dich.“ Gabriel schwieg zu der ganzen Unterhaltung, nur ein Mundwinkel zog sich verdächtig in einem Grinsen nach oben. Er schien dieses Kräftemessen klasse zu finden. Nur damit er Ruhe gab, stimmte ich schließlich zu. „Wenn wir in der Nähe sind, gehen wir rein, OK?“ Mit diesem Kompromiß ließ er mich schließlich ziehen.

Wir trafen uns in einem Club ganz in der Nähe des Roxa Club. Doch zum Glück schlug keiner vor, dort rein zu schauen. Die Mädels waren gut drauf und meine Stimmung auch richtig klasse. Wir hatten viel Spaß und waren albern. Keine der Frauen heute war damals dabei gewesen, als ich Gabriel im Silbernen Satyr getroffen hatte, was sich noch als Glücksfall rausstellen sollte. Und obwohl ich mir selber befohlen hatte, diesen Club nicht vorzuschlagen, landeten wir trotzdem gegen halb drei dort. Ich hatte schon einige Gläser getrunken, merkte den Alkohol aber so gut wie überhaupt nicht. Wie zufällig wanderte mein Blick beim Eintreten in die berühmte Nische. Und tatsächlich konnte ich sowohl Kolya als auch Gabriel zwischen einigen der noch dort versammelten Männer ausmachen. Als wir uns an den Tresen setzten, machte Kolya Anstalten, aufstehen, aber Gabriel hielt ihn zurück. Dann schien er ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Ich mußte leicht lächeln.

Ich wandte mich wieder meinen Begleiterinnen zu. Wir waren fünf Personen und zogen eine ganze Menge von Blicken einiger mehr oder minder angeheiterter Herren auf uns. Dann stellte sich raus, daß zumindest eine von uns etwas viel getrunken hatte. Carolyn, ein sehr netter Rotschopf, wurde blaß und murmelte etwas von ‚Toilette’. Als sie aufstand, schwankte sie ganz erheblich. Also nahm ich sie in den Arm und transportierte sie zu den Räumlichkeiten. Sie schaffte es gerade noch, bevor sie den Alkohol des Abends wieder von sich gab. War es auch merkwürdig, daß ich so gar nichts merkte, so war es schon in Ordnung so, spätestens als ich Carolyns gequältes Gesicht sah. Sie angelte nach Spiegel und Puder und dann fiel ihr Spiegel klirrend auf die Fliesen und zerbrach. „Oh Gott – tut mir so leid - entschuldige…“ stammelte sie. „Macht doch nix. Kann doch jedem mal passieren,“ tröstete ich sie und begann, die Scherben aufzusammeln. Und natürlich schnitt ich mich dabei derbe in den Finger. Reflexartig steckte ich ihn in den Mund und sammelte den Rest der Scherben mit der anderen Hand auf.

Als ich dann den Finger aus dem Mund nahm, stockte mein Herz – der Kopf schien plötzlich doppelt so groß und ich spürte kalten Schweiß auf meiner Stirn und dem Körper. Angstschweiß! Der Schnitt war verheilt. Es gab kein Blut und keine Narbe, ich war völlig unversehrt. Wie war das passiert. Aber ich hatte keine Zeit, darüber länger nachzudenken. „LaVerne? Alles in Ordnung bei dir? Du bist auf einmal auch so blaß. Nicht, daß ich dich angesteckt habe,“ fragte Carolyn kleinlaut. „Nein, nur wohl etwas zu schnell aufgestanden. Bist du soweit fit, können wir zurück?“ Meine Gedanken rasten. War das eine Nebenwirkung dieses rituellen Blutschwurs, von der Gabriel gesprochen hatte? Obwohl er das sicher erwähnt hätte…Oder hatte ich das alles geträumt, oder doch die Wirkung des Alkohol? Hatte Gabriel mal wieder ein paar Details ausgelassen? Ich mußte an den rot glühenden Ring denken. Aber nein, ruhig bleiben! Ich war ja mittlerweile häufiger ohne Schäden im Sonnenlicht gewesen, außerdem hatte ich mich ja der Umwandlung nicht unterzogen und überhaupt…

Langsam gingen wir zum Tresen zurück und genauso langsam beruhigte sich mein Herz wieder. Ich hatte nächste Woche noch genug Gelegenheit, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Heute wollte ich Spaß haben. Als wir wieder zusammen saßen, war ich fast normal, erheblich ruhiger und bald hatte ich die Geschehnisse aus meinem Gehirn als nebensächlich verdrängt.

Nach und nach fanden wir uns dann alle auf der Tanzfläche wieder, nur die arme Carolyn fühlte sich auf ihrem Hocker sicherer. Wir anderen tanzten und einige der Männer wurden sogar mutiger. Doch dann wurde die Musik langsamer und wir machten uns auf den Weg zu den geschliffenen Zentauren zurück. Aber bevor ich mich noch setzten konnte, spürte ich eine Hand leicht auf meiner Schulter. Ich brauchte weder in den Spiegel zu schauen noch mich umzudrehen. Die Ausstrahlung war stark genug, um meinen Körper in feinste Schwingungen zu versetzen. Aber die Blicke meiner Freundinnen waren Gold wert, von Staunen über Bewunderung bis zu offenem Verlangen. Also hatte er diese Wirkung nicht nur auf mich.

Langsam drehte ich mich zu ihm um. Und wieder blieb mein Herz stehen. Natürlich hatte er die schwarze, enge Lederhose an, dazu ein Seidenhemd in der Farbe seiner Augen. Es stand weit offen, damit man auch die Brust bewundern konnte – was wir alle brav taten. Doch heute trug er ein Schmuckstück. An einem Lederband hing ein goldener Kreis mit einer unterbrochenen Linie dadurch. Das gleiche Symbol wie auf der verbotenen Tür, nur ohne die Flügel und so klein, daß es nicht aufdringlich wirkte. Und die Haare waren auch offen und die Locken kringelten sich verführerisch auf den Schultern. Umwerfend! Ein besseres Wort konnte mein paralysiertes Gehirn nicht hervorbringen. Seine Worte weckten mich endlich auf: „Schöne Frau, ich habe sie eben auf der Tanzfläche bewundert. Bitte geben sie mir die Ehre dieses Tanzes, denn ich habe noch nie mit einem Engel getanzt.“ Damit griff er vorsichtig nach meiner Hand und berührte sie ganz leicht mit seinen Lippen. Ich war einen Moment sprachlos, ebenso meine Begleiterinnen.

Entweder er wollte mir die Möglichkeit eines Rückzuges einräumen, meine Freundinnen beeindrucken oder ein Spiel spielen. Was es auch war, war egal. Wenn es letzteres war: so ein Spiel lag ganz auf meiner Linie. „Bei solch einem netten Kompliment kann ich gar nicht nein sagen. Gerne!“ Damit ließ ich mich zur Tanzfläche zurück ziehen. Gabriel war nicht so groß wie Kolya aber trotzdem mußte ich mich etwas strecken, um meine Hand auf seiner Schulter richtig zu plazieren. Und überhaupt schuldete er mir ja noch einen Tanzabend. Seine rechte Hand lag in meinem Rücken und durch den Stoff des Kleides brannte schon wieder dieses kleine Feuer. Dann zog er mich ganz nah an sich und das Feuer breitete sich buschbrandmäßig aus. Er lächelte auf mich herunter, sagte aber nichts. Also würde ich mich überraschen lassen. Nach einem kleinen Weilchen verstärkte sich der Druck seiner Hand und ich legte vorsichtig meinen Kopf an seine Schulter. Gabriel tanzte so, wie er auch Klavier spielte, sanft und langsam und körperbewußt, sinnlich. Wieder kam mir das Raubtier in den Sinn. In dieser Haltung und bei der Musik war ich ihm näher als je zuvor, selbst in der Höhle in dieser Nacht waren wir uns nicht so nah gewesen. Es war ein wundervolles Gefühl, seine Persönlichkeit so um mich gehüllt zu fühlen. Leider hörte die Musik dann irgendwann auf.

Brav brachte Gabriel mich zu meinen Begleiterinnen zurück. „Ich danken ihnen, schöne Frau. Ich gebe sie in die Obhut ihrer entzückenden Freundinnen zurück, erlaube mir aber, für sie alle eine kleine Einladung auszusprechen. Wir sitzen dort oben und wenn die Damen mögen, setzten sie sich doch zu uns und trinken ein Gläschen Champagner mit uns. Wir erwarten sie.“ Das war gewagt. Wenn die anderen nicht wollten, wären wir alle weg und sein kleines Spiel vorbei. Aber ich hatte die Mädels natürlich unterschätzt.

„Gerne, wir werden nur noch austrinken, wenn es recht ist, und dann zu ihnen kommen.“ Katharina hatte dreist für alle geantwortet aber scheinbar richtig, denn von allen kam begeistertes Nicken. Gabriel deutete eine Verbeugung an. „Ich danke ihnen meine Damen, ich werde gleich den Kellner bitten, einige Flaschen zu öffnen. Lassen sie uns nicht zu lange warten.“

Und damit kehrte er an seinen Tisch zurück, während fünf Frauen ihm fasziniert nachstarrten. Der Abend – oder eher die Nacht – konnten noch recht interessant werden. Schon die aufgeregten Anmerkungen meiner Freundinnen waren aufschlußreich. Ich Geiste dankte ich Gabriel für diesen Spaß. Denn es war ihm garantiert klar, was er für eine Wirkung hatte und was er mit seinem Auftritt ausgelöst hatte. Und eigentlich war mir der Grund für die Aktion auch egal. Die Sprüche reichten von den harmlosen „Boa, schaut der toll aus!“ über „Champagner? Cool, der muß viel Geld haben“ bis zu „den möchte ich mal in meinem Bett haben“. – Ich auch, dachte ich grinsend. Die Begeisterung der anderen war einfach herrlich. Und ich wurde noch nicht mal ausgefragt, weil ich ihn ja offensichtlich nicht kannte.

Recht schnell waren die Gläser leer, dann gab es eine kleine Verzögerung, weil keiner sich so recht dort hin traute. „LaVerne, du hast mit ihm getanzt, du mußt vorgehen!“ Na toll. Aber ich wollte ja unbedingt wissen, wie die Sache weiter ging. Also trat ich – in den Augen meiner Freundinnen todesmutig – auf die Nische zu. Gabriel und die anderen Männer dort erhoben sich und der Rabe kam mir entgegen. „Wundervoll, daß sie uns beehren. Lassen sie mich uns erst mal vorstellen.“

Scheinbar hatte es hier einen kleinen Personenaustausch gegeben. Kolya – der mit unbeweglicher Miene da stand – war der einzige, der an Bodyguards erinnerte, ach ja, und der neben Gabriel eine schwarze Aura hatte. Die anderen wirkten einfach nur gut gebaut, sahen allesamt lecker aus aber eben nicht wie die üblichen Herren sonst hier am Tisch. Ich war ja nicht mißtrauisch aber irgendwie wirkte das fast geplant. Er stellte alle mit Vornamen vor und ich meine Freundinnen ebenfalls. Dann wurden wir mehr oder weniger zwischen den Männern plaziert, ich geriet rein zufällig zwischen Gabriel und Kolya. Ein Kellner brachte drei Flaschen Champagner und Gläser für alle. Als wir versorgt waren, hob Gabriel das Glas: „Auf die Runde der schönsten Frauen in dieser Stadt. Vielen Dank, daß sie uns die Ehre geben und vielleicht auf einige unterhaltsame Stunden.“

Wir prosteten uns zu und tranken. Dann entwickelte sich an unserem Tisch eine erstaunlich lebhafte Unterhaltung. Die Männer schienen alle klug und sehr aufmerksam. Gabriel blieb seiner Linie treu und war der vollendete, aufmerksame und galante Gastgeber.

Meine Freundinnen waren begeistert. Selbst Carolyns Lebensgeister schienen zu neuem Leben zu erwachen. Sie saß neben Kolya und badete förmlich in seinem Lächeln und seinen unaufdringlichen Komplimenten. Katharina, die auf der anderen Seite von Gabriel saß, war eindeutig auf der Jagd. Und scheinbar sollte Gabriel ihre Beute sein. Der stellte sich unwissend und beantwortete ihre Fragen geduldig. Er berichtete ihr, daß er Geschäftsmann wäre, mit Büchern und Antiquitäten handelte und außerdem eine Firma auf dem Gebiet der medizinischen Forschung leitete. Das hatte ich noch nie gehört und lauschte halb fasziniert aber mit gemischten Gefühlen. Und genau das gefiel mir nicht. Ich ertappte mich dabei, daß ich wünschte, er würde mir seine volle Aufmerksamkeit zuwenden. Ich hatte immer den festen Vorsatz, solche Gedanken niemals aufkommen zu lassen. Wir waren kein Paar – nicht einmal ansatzweise. Ich mußte an Kolyas Worte denken, über die Freiheit, jederzeit einen – anderen – Partner für eine Nacht zu suchen. Ohne Verpflichtungen und – nein, vielleicht eher aber – ohne sich wirklich zu lieben. Bisher hatte ich das als Vorteil gesehen. Wie konnte mir mein Herz jetzt in den Rücken fallen. Andererseits, wie hatte ich annehmen können, daß ich nicht teilen mußte, oder wollte – davon abgesehen, daß ich ja eigentlich gar nichts zum teilen hatte…. Sein Knie, das gegen meines gedrückt war, sendete warme Strahlen aus…

Ich mußte mich dringend ablenken. Diese Fragen würde ich mir stellen müssen, wenn ich alleine war. Also drehte ich mich zu Kolya um, der gerade dem Mann neben Carolyn etwas erzählt hatte. Ich sprach ihn an: „Und sie? Was tun sie, wenn sie nicht die Stadt unsicher machen?“ Er grinste ein typisches Grinsen. „Oh, junge Dame, ich leite eine exklusive Fitneßklinik vor der Stadt. Wir kümmern uns dort um die Schönheitsfehler der Körper der Reichen – die danach natürlich keine mehr haben.“ Aha. Nun, sein Erscheinungsbild unterstrich diese Behauptung, mal sehen, wie weit er vorbereitet war: „Oh, das klingt ja so interessant. Könnten wir dort auch etwas für unsere Gesundheit tun?“ Dabei warf ich Carolyn einen frechen Blick zu und sie nickte bekräftigend. Doch Kolya ließ sich nicht beirren. Er konterte geschickt: „Meine Damen! Zwei so makellose Schönheiten wie sie würden unsere Patienten nur deprimieren, denn manche Dinge erreicht man nicht einmal mit noch so viel Mühe. Sie haben schon das, was unsere Gäste suchen – nein, sie würden sie nur beschämen.“ Jetzt hatte er arg dick aufgetragen aber Carolyns Augen leuchteten bei diesem Kompliment erneut. Doch Kolya war noch nicht fertig. Unschuldsvoll fuhr er fort: „Trotzdem wäre es mir eine Freude, sie bei mir als Besucher zu empfangen, nur nicht als Gäste. Vielleicht können wir diese Runde ja am nächsten Wochenende etwas größer fortsetzen. Da findet in meinem Haus eine kleine Feier statt. Dann biete ich ihnen passend dazu eine Besichtigung an, ein wunderbares kaltes Buffet und eine unterhaltsame Nacht. Gabriel?“

Der Angesprochene drehte sich um, er mußte ein Ohr nach hinten gerichtete haben, denn er antwortete spontan: „Oh ja, das ist eine tolle Idee. Ich bin ja auch eingeladen. Wenn die Damen mögen, biete ich passend als stilechte Ergänzung dazu eine Limousine mit Fahrer an.“ Ich konnte mein Erstaunen kaum verbergen aber meine Begleiterinnen waren eigentlich schon in der Falle. Der Champagner, die distinguierte Art der gutaussehenden Fremden, und eine Einladung in eine Limousine, wie sollten sie da ablehnen, zumal sie sich in einer Fünfergruppe sicher fühlten. Katharina übernahm wieder die Initiative, sah uns kurz der Reihe nach an. Dann antwortete sie: „Das ist wirklich sehr nett von ihnen. Natürlich nehmen wir die Einladung an. Wann soll die Party stattfinden?“ Der Termin war das erste Dezemberwochenende, also kommenden Samstag. Da wollte ich eigentlich in meine Wohnung zurück. Aber ich war jetzt schon gespannt, wie Gabriel und Kolya diese Aktion organisieren würden. Gabriel schob sogar noch eine Ergänzung nach. „Nächste Woche kommen auch noch einige Freunde von mir, kann ich die denn auch noch mitbringen, Kolya?“ Und der stimmte natürlich unschuldig zu. „Klar, mit meinen Gästen zusammen sind wir dann schon eine ganze Menge Leute. Das wird eine wundervolle Cocktailparty meine Damen und sie stellen dort alle anderen in den Schatten.“ Genau wie meine Freundinnen war auch ich gespannt auf diesen Abend – wenn auch aus leicht anderen Gründen.

Wir plauderten ungezwungen noch eine weitere Stunde mit den Herren, dann brachen wir auf. Während wir auf die Taxen warteten, verabschiedeten sich die Männer bis zum kommenden Wochenende. Gabriel und Kolya geleiteten uns zur Tür und jede wurde mit einem Handkuß entlassen. Katharina warf Gabriel einen schmachtenden Blick zu. „Ich freue mich auf die Party nächste Woche.“ Gabriel verbeugte sich leicht: „Die Freude ist ganz auf unserer Seite. Gute Nacht.“ Kolya konnte kaum sein Grinsen in Zaum halten, als er sich ‚bis nächste Woche’ verabschiedete. Und Gabriel schenkte mir nur einen langen Blick, der aber locker den Nordpol zum Schmelzen gebracht hätte, als er meine Hand sanft mit den Lippen streifte.

Seufzend ließ ich mich in die Taxe fallen und in meiner Wohnung, die mir auf einmal so leer vorkam, fiel ich ins Bett und schlief durch bis in den Sonntag Nachmittag.

Als ich mich für die Fahrt aufs Land bereit machte, schaute ich mich um. Das war mein Zuhause, trotzdem kam ich mir hier verloren vor. Hatte ich schon einen Schritt zu weit gemacht, war ich mit offenen Augen in die Falle gelaufen? Ich mußte herausfinden, wie stark ich war oder sein wollte. Wie wollte ich den Rest meines Lebens verbringen. Und da war auch noch die ein oder andere seltsame Begebenheit, die ich bald erforschen mußte. Kolya hatte gesagt, besser einmal in der Flamme verglühen als immer nur zu glimmen, aber hatte er recht? Nun, vorerst würde ich die Entscheidungen und Fragen vertagen und bis zur Party alles auf mich zukommen lassen. Ich mußte nur aufpassen, daß ich nicht plötzlich über dem Abgrund stand und irgend jemand die Planke unter mir weg zog.

Als ich abends bei Gabriel eintraf, war alles beim Alten. Keiner machte einen Kommentar über letzten oder kommenden Sonntag. Wir verbrachten die folgenden Abende wieder wechselnd in der Bibliothek oder im Musikzimmer. Niemand schien Vorbereitungen für eine Party zu treffen aber ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als zu fragen. Donnerstag rief mich dann Katharina an und mittags fuhr ich in die Stadt und traf mich in einem Café mit ihr. Schnell kam sie auf den Grund ihres Anrufes.

„Du LaVerne, wegen Samstag…“ „Ja?“ „Also, dieser Gabriel, der ist absolut heiß, nicht?“ Ich ahnte, was sie wollte, ließ sie aber weiter schmoren. „Oh ja, das kannst du laut sagen.“ Sie starrte einen Moment auf die regennasse Straße – bald würde der erste Schnee fallen. „Wenn… also…er hat ja dich zum Tanzen aufgefordert…aber“ Ich gab mir innerlich einen Ruck. Einerseits gehörte er mir nicht, andererseits war sie eine Freundin und außerdem konnte ich gleich mal die Regeln der Oscuro üben. „Schon klar, Kat.“ „Nein, nein, ich will ja nicht, daß du mir ihn kampflos überläßt. Aber ich will den Kerl unbedingt haben, nur nicht, daß du dann für ewig sauer auf mich bist.“ Im Stillen dachte ich: willkommen, das will ich auch und natürlich, vermutlich wäre ich sauer, laut aber sagte ich: „Möge die Beste gewinnen, wie ist das? Und vielleicht ist ja bei den anderen Gästen auch noch was Lohnendes dabei.“ Sie strahlte mich an. „Danke! Jetzt kann ich mich richtig drauf freuen. Weißt du was, ich könnte Samstag zu dir kommen, dann können wir uns zusammen fertig machen und sie könnten uns bei dir abholen. Was meinst du?“

Richtig, ich hatte vergessen, daß ich ja aus der Stadt kommen mußte. Außerdem war die Idee gut, vielleicht konnte ich vorher ein nettes Kleid irgendwo auftreiben. Und rar machen war bestimmt nicht übel. Also verabredeten wir uns schon für Freitag Nachmittag. Zum Stadtbummel. Wir planten einen freundschaftlichen Wettstreit um die Gunst der Herren dort. Und ich begann, mich auf den Samstag zu freuen. Der Gedanke, daß ich unterliegen könnte, den schob ich weg, das mußte Teil des Lernprozesses werden. Eigentlich war es auch egal, immerhin kehrte ich in das Haus zurück und es gab dort garantiert noch weitere lohnende Ziele. So! LaVerne auf dem Kriegspfad.

Freitag fuhr ich also wieder in die Stadt und wir genossen einen unbeschwerten Nachmittag in diversen, teuren Boutiquen. Ich wußte, daß Gabriel sicher schwarz bevorzugen würde, trotzdem kaufte ich ein schneeweißes, hautenges Kleidchen. Fast unanständig kurz, vorne tief ausgeschnitten und schulterfrei. Passend dazu erstand ich extra lange seidene Handschuhe, die fast wie Ärmel wirkten, ohne Finger, nur mit einem zarten Band am Mittelfinger gehalten. Ein schmales Halsband aus Seide und hochgeschnürte Schuhe vervollständigten das Bild. Katharina hatte sich für Kobaltblau – passend zu ihren Augen – entschieden. Auch sie zeigte mehr Haut, als eigentlich zulässig war.

Zufrieden verplauderten wir den Abend und Katharina blieb über Nacht auf der Couch. Ausgeruht und nach einem guten Frühstück gingen wir an die Vorbereitungen, die bis in den Nachmittag dauerten. Einen Teil meiner Haare steckten wir in eleganten Wellen hoch, der Rest kringelte sich ungebändigt um die Schultern. In Katharinas blonde Mähne flochten wir kleine blaue Perlen ein. „Hoffentlich sind wir nicht overdressed“ meinte sie, als wir uns kichernd aufs Sofa setzten und warteten. „Wohl eher underdressed, so wenig wie wir anhaben“, schmunzelte ich zurück. Da mußten wir jetzt durch.

Pünktlich um 17 Uhr kam die Limousine und wir stiegen zu den ersten beiden Insassinnen. Dann holten wir die fünfte im Bunde ab und dann ging es aufs Land zurück. Und dann erlebte auch ich eine Überraschung. Wir fuhren nicht zu Gabriel, wieso hatte ich das eigentlich gedacht… Der Wagen hielt schon einige Kilometer eher vor einer großen Villa. Es gab Tennisplätze, eine Reitbahn und verschiedenste Sportgeräte für den Außenbereich. In vielen Zimmern des Hauses schien Licht zu brennen und vor der Tür fand sich eine Ansammlung teurer Wagen. Ein Diener in schwarzer Livree und weißer Aura öffnete unsere Tür und geleitete uns ins Haus. Ein großer Saal war mit Lüstern erhellt, irgendwo spielte gedämpfte Musik und Verbindungstüren standen offen und gaben ein Gefühl von Größe. Rund 20 Personen waren schon da, unter ihnen Kolya – der hier tatsächlich der Gastgeber zu sein schien – John und Gabriel. Und neben ihm stand Sokrates, der nette Herr aus dem Schloß.

Als wir eintraten, kamen die Männer auf uns zu und begrüßten uns. John sah hervorragend aus, wie Gabriel war er in schwarz gekleidet und die blauen Augen strahlten wie selten. Auch er begrüßte mich – ebenso wie Sokrates – wie eine Fremde. Das Spiel konnte also weiter gehen.

Es war ein kaltes Buffet aufgebaut, ständig schwärmten Kellner mit Champagner durch die Leute. Es wurde viel gelacht und noch mehr getrunken. Die Männer aus dem Club, die wir letzte Woche kennen gelernt hatten, waren unter den Gästen verteilt, ebenso wohl einige von Kolyas Kunden. John und Gabriel standen mit Katharina an einem der Fenster, die anderen Mädel wurden von den ‚Bodyguards’ umschwärmt. Sokrates und Kolya standen plaudernd am Buffet, also schloß ich mich ihnen an.

 „Schön sie wieder zu sehen, Sokrates. Das ist aber eine Überraschung.“ „Ja, nicht wahr LaVerne? Ich freue mich auch. War gerade in der Nähe und da rief Gabriel an und sagte, ich solle doch zu einer speziellen Party rüber kommen. So was lasse ich mir nie entgehen, und eine kleine Verschwörung dabei macht ja erst die richtige Würze.“ Eigentlich wollte ich grade Kolya nach dem Hause gefragt haben, aber ich verschob das erst mal, der lief mir nicht weg. „Ja, ist richtig spannend, die ganze Geschichte. Und Sokrates, bleiben sie länger?“ Er stellte sein Glas aufs Buffet. „Vermutlich ein bis zwei Wochen. Vielleicht können sie mir dann ja mal die Stadt zeigen. Außerdem werd ich ja in der Zeit auch bei Gabriel wohnen.“ Er zog mich von Kolya weg „aber erst einmal werden wir zwei tanzen, hier traut sich ja keiner.“ Damit griff er bestimmt nach mir und wir glitten langsam zur Musik über die abgeteilte Tanzfläche. Schnell fanden sich einige Paare, die es uns nachmachten.

Wir unterhielten uns dabei leise erst über die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Dann grinste er schelmisch und sagte: „Kommen sie, wir wollen mal Gabriels Aufmerksamkeit wecken, vielleicht können wir ihn ein wenig ärgern.“ Damit zog er mich ganz fest an sich und brummte leise: „Nun los, machen sie die Augen zu und tun sie schrecklich begeistert.“ Folgsam gehorchte ich, davon abgesehen, daß auch er ein wunderbarer Tänzer war und er mir wirklich sympathisch war. Wie kam er überhaupt darauf, daß Gabriel sich über unser Tanzen ärgern würde…?. Erst einige Musikstücke später setzt er mich auf einen der Sessel und  meinte grinsend: „jetzt werde ich uns was Ordentliches zu Trinken besorgen. Wir brauchen mal etwas Stimmung hier.“ Während er zum Buffet eilte, sah ich mich um. Carolyn tanzte ganz versunken mit Kolya. Auch der große Bär wirkte ganz zufrieden.

John stand bei Gabriel und Katharina, die scheinbar eine lebhafte Unterhaltung führten. Er bemerkte  meinen Blick und schickte mir ein leises Lächeln zu. Dann kehrte Sokrates mit zwei Gläsern zurück. Er folgte meinem Blick. „Ja ja, die Jugend. Früher habe ich solche Spiele auch gerne und oft gespielt. Trinken sie mit mir, LaVerne, und dann werden wir mal ein paar Blicke auf uns lenken und sehen, was so passiert. Vielleicht bin ich doch nicht zu alt um hin und wieder noch mitzuspielen.“ Er war unnachahmlich und weder aufdringlich noch zweideutig. Einfach charmant. Wir kehrten also auf die Tanzfläche zurück und ich nahm meine Genießerhaltung wieder ein. „Nichts für ungut, LaVerne, sie erlauben doch…“ und er ließ seine Hand langsam auf meinem Rücken abwärts wandern, stoppte aber rechtzeitig um unhöflich zu sein. „Ha! Die ersten Leute gucken schon – nein, lassen sie bloß die Augen zu, sie verraten sonst noch was.“ Ich hörte ihn förmlich begeistert grinsen. Endlich ließ er mich los und brachte mich zu dem Stuhl zurück. „Schönen Dank, daß sie einem älteren Mann diesen Spaß gegönnt haben, die neidvollen Blicke  werde ich noch länger genießen können.“ Er lächelte verschmitzt. Dann „Oh, ho, das werde ich mir nicht antun…“ und entschuldigend „ich hole noch mal was zu trinken.“ Hinter ihm war Gabriel aufgetaucht  und Sokrates hatte ihn offenbar bemerkt. Gabriel schaute ihn an, sagte aber nichts und hielt mir dann wortlos die rechte Hand entgegen. Sokrates zog sich dezent zurück. Gabriel führte mich zurück zur Tanzfläche, der Ausdruck in seinem Gesicht verriet nichts, nicht mal ein kleines Lächeln gönnte er mir. Weiterhin ohne Worte legte er dort seine Hand um meine Taille und zog mich an sich, nicht so fest wie im Club aber genug, um ihn wieder spüren zu können. Dieses Mal schienen die Musik und die Umgebung zu verschwimmen, als ich wieder von dieser Flamme eingehüllt wurde. Dann gab ich mich seiner Bewegung und der Musik hin. Einmal erhaschte ich einen Blick auf Katharina, als sie gerade mit John tanzte. Sie hob leicht die Augenbrauen und lächelte dann.

Unendliche Sekunden später verklang die Musik. Gabriel ließ meine Hand nicht los sondern zog mich aus dem Salon und eine Treppe hoch. Ich folgte, ebenfalls wortlos. Er öffnete zielbewußt eine Tür und wir landeten in einer Art Gästezimmer. Auch hier gab es keine Fenster und nur auf dem Tisch brannte eine einzelne große Kerze. Doch Gabriel ging nicht weiter. Er wartete, bis ich vollends eingetreten war, dabei im Dämmerlicht vorsichtig tastend der Wand des Raumes folgte. Er drehte sich mit dieser katzenhaften Grazie um und drückte die Tür zu. So stand er direkt vor mir und legte beide Hände auf die Wand links und rechts von mir. Noch immer hatte er kein Wort gesprochen, schaute nur auf mich herunter und bewegte sich nicht. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Dann kam er langsam näher, bis sein Körper über meinem lag, sein Kopf seitlich den meinen berührte. So standen wir völlig unbeweglich, während ich jede Faser seines Körpers einatmete. Endlich hob er den Kopf und mit einer Hand zog er mein Kinn nach oben, bis ich ihm in die Augen sehen konnte. Welch ein Versprechen lag darin…

„Sag mir, schwarze Rose, willst du mit mir diese Nacht verbringen?“ Er hatte leise gesprochen, eine simple Frage aber schlagartig war mein ganzer Körper mit Gänsehaut übersät und mein Herz legte mal wieder Doppelschicht ein. „Ich warte schon seit dem ersten Tag darauf!“ antwortete ich ebenso leise und ehrlich. Allerdings meinte ich damit einen anderen ‚ersten Tag’ als er. Noch immer bewegte er sich nicht und langsam versank ich in seinem Blick. Dann fuhr er fort: „Ich weiß nicht wieso, aber als ich sagte, du verzauberst mich, meinte ich genau das. Ich will heute Nacht das sein, was du je in einem anderen gesucht hast.“

Mein Gehirn meldete ‚Überlastung’ und schaltete auf stand-by. Aber mein Körper übernahm allzu willig die Kontrolle. Trotzdem war noch etwas zu sagen. „Heute Nacht bist du das, was ich gesucht habe. Bitte hilf mir, das Morgen zu vergessen.“

„Nun, vielleicht sehnen wir uns ja morgen nach dem, was wir heute gefunden haben.“ Damit berührten seine Lippen meinen Mund und mein kleinlautes ‚vielleicht’ blieb im Halse stecken. Er war so warm, schmeckte nach Versuchung und nach Versprechen und Vergessen. Langsam hob ich die Arme und zog seinen Kopf noch näher heran. Seine Locken kitzelten sanft meine Wange und seine Hände ließen die Wand los und legten sich um meine Taille. Der Kuß alleine schien eine Ewigkeit zu dauern, während wir vorsichtig mit den Zungen jeden Winkel erforschten. Noch immer schien mein Herz zu rasen und ich fürchtete schon, zu ersticken, als er seinen Kopf ein wenig hob. „Komm“ und er zog mich zu dem riesigen Bett an einer Seite des Zimmers.

Zielsicher fand er den Reißverschluß meines Kleides und zog ihn in einem Schwung herunter. Es glitt leise raschelnd zu Boden. „Wußtest du, daß Weiß Begehren bei mir weckt und deine Aura noch verstärkt?“ fragte er zärtlich. Aber ich ließ mich nicht ablenken, sondern genoß gerade jeden Knopf seines Hemdes einzeln. Er trug nichts darunter außer dem goldenen Anhänger und das Schwarz seines Hemdes vermischte sich auf dem Fußboden mit dem Weiß meines Kleides. Der Raum war bis auf die Kerze unbeleuchtet, an vielen Stellen wohnten dunkle Schatten. Auch Gabriel war ein dunkler Schatten vor mir – trotzdem konnte ich in sein Gesicht schauen, deutlicher als es sein durfte. Seine Augen leuchteten wie kleine Sonnen, ein feines Lächeln machte seine Züge weich. Als ich langsam seine Hose öffnete, ließ er mich gewähren, zog mich nur etwas näher, bis er den Verschluß des trägerlosen BHs erreichen konnte. Aber meine langen Handschuhe blieben mir. Ich legte meine Hände auf die warme Haut seiner Brust und fühlte die feinen Muskeln darunter. Ich hatte so lange auf diese Berührung gewartet, schien mir. Mit den Fingerspitzen fuhr ich abwärts bis ich die Lederhose erreichte. Mit leichtem Druck zog ich sie nach unten mit mir, als ich langsam in die Knie ging. Ich schob die Hose mit, als ich weiter über die Haut an den Oberschenkeln entlang strich. Vor seinen Füßen stoppte ich und griff nach einem seiner Schuhe. Er legte seine Hand auf meine Schulter und hob langsam den Fuß. Ich zog den Schuh zusammen mit dem Hosenbein aus, dann führte ich die selbe Aktion mit dem anderen Bein durch. Als ich mich wieder langsam aufrichtete, ließ ich die Hände über seinen Körper gleiten. Die einzige Reaktion war eine Beschleunigung seines Atems. Seine Hand ruhte auf meiner Schulter und als ich vollständig stand, zog er mich zu seinem Mund. Wieder standen wir unbeweglich voreinander, nur unsere Lippen berührten sich, der Rest von uns ahnte nur die Haut des anderen.

Dann setzte er sich auf die Bettkante, zog mich mit, bis ich vorwärts auf seinem Schoß saß, mit den Beinen auf dem Bett eingeknickt. Noch immer hielt er mich um die Hüften doch unsere Küsse wurden fordernder. Endlich fiel sein Oberkörper nach hinten zurück und ich lag auf ihm. Seine Hände untersuchten meine Schultern, fuhren an den Schulterblättern vorbei, folgten der Wirbelsäule und strichen zart an meiner Hüfte abwärts und an den Seiten wieder zurück.

Gabriel hob mich über sich, als er sich lang ausstreckte und setzte mich danach mühelos neben sich ab. Die nächsten Minuten erforschten wir die Körper des Anderen. Er lag auf dem Rücken, nur mit einer Unterhose bekleidet, ich hatte neben Slip dazu immerhin noch Handschuhe und Schuhe an.

Sanft ließ ich meinen Mund über seinen Oberkörper gleiten, biß in sein Ohrläppchen, saugte an einer Brustwarze oder angelte mit der Zunge nach einem versprengten Haar. Gabriel hielt die Augen geschlossen, eine seiner Hände zeichnete geheimnisvolle Muster auf meinen Rücken und jede Stelle, die er berührte, glühte mit einem kleinen Echo nach. Zärtlich biß er an die Stelle, wo der Hals in die Schulter übergeht. Das Zittern meines Körpers wurde von seinem absorbiert und verstärkt zurück geworfen. Endlich fanden sich unsere Lippen wieder. Doch der Kuß, den wir jetzt tauschten war voller Verlangen, Vorfreude und Sehnsucht. Obgleich Gabriel fast auf mir lag, zog ich ihn noch fester an mich heran. Er griff unter meine Schultern, hob den Oberkörper leicht an und stützte meinen Kopf. In dem Moment öffnete ich die Augen. Sein Blick ruhte auf mir, schaute in meine Seele und schien sie zu stehlen. Ich sah Lust darin, Begehren, das auch in mir hell loderte, aber auch Zärtlichkeit. Sein Mund war leicht geöffnet aber die Zähne hatten normale Länge. Ich konnte seinen Blick nicht länger ertragen. Ich wollte nicht. Also zog ich seinen Kopf wieder zu mir und er gehorchte willig.

Vorsichtig drückte ich gegen seine Schulter und er folgte, bis wir uns gedreht hatten und er unten lag und ich über ihm.

Durch den dünnen Slip und seine Unterhose konnte ich hart seine Erregung spüren. Ich hob den Unterleib etwas an, schob mit einer Hand seine Hose herunter und den Rest des Weges verwendete ich für diese Aktion mein Bein. Und wo ich schon dabei war, entledigte ich mich auch gleich meiner Hose. Langsam legte ich mich wieder auf ihn, sein Glied zwischen uns eingeklemmt. Eine seiner Hände griff sanft nach meinem Haar und zog mich dichter an ihn, die andere lag fast unbeweglich auf meinem Gesäß. Wir spielten eine ganze Weile mit unseren Händen, den Körpern und den Lippen, bis ich beschloß, ihm Eintritt zu gewähren. Auf meiner Haut hatte sich von der Inspektion und der Vorfreude ein leichter Schweißfilm gebildet und Gabriel atmete schneller. Und stoßweise, als ich mich endlich aufsetze. Er streichelte meine Brüste, als ich mich vorsichtig erhob und seine Erektion an der richtigen Stelle plazierte. Doch ich ließ mich nicht abwärts gleiten, sondern wartete. Ich wollte diesen Moment so lange wie möglich auskosten.

Jetzt öffnete er wieder die Augen und diese Mal waren sie nicht klar wie ein See, eher verschwommen, wie von Nebel überzogene Wiesen. Ganz langsam ließ ich mich ein klein wenig sinken. Der Körper unter mir zuckte, doch Gabriel hielt den Blick. Dann öffnete er den Mund, lächelte und seine Zähne begannen zu wachsen. Vielleicht hatte er immer solch eine Wirkung damit, denn anstatt mir Angst zu machen, steigerte der Anblick mein eigenes Begehren nur noch. Doch dieses Mal war er schneller. Und ich bekam seine speziellen Fähigkeiten vorgeführt. Mit der ihm eigenen Geschwindigkeit und überraschender Kraft zog er mich zu sich, bevor ich noch irgendwie handeln konnte. Ein süßer Schmerz durchzuckte mich aber nach dieser Bewegung hielt Gabriel seinen Körper wieder still. Beide genossen wir eine Ewigkeit lang diese Augenblicke. Ohne Scheu bewegte ich mich zu seinem Gesicht herunter und küßte ihn vorsichtig. Der veränderte Druck brachte den Mann unter mir zu einem kleinen Stöhnen. Und als er dann begann, sich langsam zu bewegen, konnte auch ich kleinere Geräusche nicht unterdrücken. Wir starteten langsam, aber nach einer Weile wurden unsere Bewegungen schneller und fordernder. Es schien schwerer für uns beide zu werden, sich zu beherrschen. Doch noch war ich nicht bereit, mich von dem Raben verschlingen zu lassen. Außerdem wollte ich seinen Körper spüren, das Feuer sollte meine Haut verbrennen. Also hob ich mich von ihm ab, küßte dabei im vorbeigehen seinen Hals und zog ihn auf mich.

Wie von selber und ohne fremde Hilfe fand er seinen Eingang sofort wieder. Die Arme links und rechts neben mir aufgestellt, konnte ich seine Muskeln zucken sehen. Aber ich wollte ihn noch näher. So griff ich um ihn und zog ihn heran,, er faßte mit den Armen um meinen Rücken und startete seine langsame Bewegung in mir aufs Neue. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und seine Zähne lagen Millimeter von meinem Hals entfernt. Langsam spürte ich, wie das so lange aufgestaute Verlangen seinen Tribut forderte. Auch Gabriels Stöße in mir wurden schneller, unregelmäßiger, unsere Bewegungen paßten sich aneinander an. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen aber unsere Oberkörper berührten sich vollständig und wo Haut auf Haut lag, floß Magie von seinem Körper in den meinen. Als ich das Ende spürte, preßte ich mich – sofern das überhaupt möglich war – noch fester an ihn und er gab mir von seiner Kraft. Und dann spürte ich, wie sich sein Körper verkrampfte, er schneller und härter in mich stieß und dann wie sich sein Kopf von meiner Schulter hob, von mir weg drehte. Und das war wirklich gut so. Denn als er in mir kam war auch ich dem Höhepunkt nur einen Herzschlag entfernt. Und derselbe Herzschlag setze aus, als ich mich an meinen Eckzähnen selber biß. –

In dem Moment, als ich endlich mit meinem Raben völlig vereint war, schienen sie eindeutig genauso lang, wie die von Gabriel.

Der Schock, tiefe Angst aber auch die Erlösung nach dem langen Warten auf diesen Moment zwangen einen Schrei aus mir heraus, als ich mich an Gabriel preßte, um ihn herum und in seine Arme und seinen Schatten.

Gabriel hatte nichts bemerkt, das erste Mal, daß er nicht zu wissen schien, was in mir vor ging. Eine Weile lagen wir reglos. Als ich mich endlich traute, meinen Mund zu öffnen und mit der Zunge eine Kontrolle durchzuführen, waren sie verschwunden. Aber sie waren dort gewesen. Ich hatte Angst. Gabriel hielt mich noch immer in seinen Armen und das gab mir ein wenig Kraft zurück. Trotzdem konnte ich ein leichtes Zittern nicht unterdrücken. Er ließ sich zur Seite rollen, angelte nach einem der Bettlaken. Er legte sich zurück und deckte es sanft über uns beide. Dann zog er mich in seine Armbeuge zurück, mein Kopf ruhte auf seiner Brust. „Seit ich dich an jenem Abend im Juli traf, habe ich mir diese Nacht erträumt.“ Er sprach ruhig und gelöst mit leiser Stimme. „Und ich habe sie von mir weg geschoben, denn ich wollte nicht, daß es vergeht. Ich wollte dich fühlen, dich berühren, nicht nur deinen Körper, ich wollte deine Seele spüren.“ Er stoppt und ich fühlte wieder diese Angst in mir. Angst vor dem, was ich vielleicht war und doch nicht sein konnte, aber auch Angst, daß dies vielleicht ein Abschied war. Einfach nur Angst

Er hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, denn er sprach fast sofort weiter. „Heute habe ich das Geschenk bekommen, das ich haben wollte Ich habe beides, deinen Körper und deine Seele gespürt. Und es stimmt, was ich vorhin sagte, ich sehne mich morgen nach dem, was ich heute gefunden habe.“

Die Kerze war schon lange verloschen, trotzdem war es nicht stockdunkel. Ich ließ seine Worte ein wenig wirken. Aber er war noch nicht fertig: „Ich wollte, daß du genauso fühlst, mich auch begehrst, daß unsere Seelen zusammen fliegen. Daher habe ich so lange gezögert, und um die Vorfreude zu vergrößern und deiner Suche ein Ziel zu geben, aber auch, weil ich nur ein Recht auf diese eine Nacht habe, und selbst dieses Recht ist fragil, mehr ein Geschenk an mich denn eine Verpflichtung.“

Ich mußte ihm unbedingt was sagen, aber meine Mund wollte die Worte nicht formen, die mir solche Angst machten. Morgen…

„Oh, mein Rabe! Vorhin sagte ich, heute bist du das, was ich gesucht habe. Und so ist es auch. Für eine Nacht wie dieser mit Dir würde ich durch das Feuer der Hölle gehen.“ Und ich ging es grade. Doch Gabriel setzte sich auf. Die Decke rutschte von unseren Körpern und er zog mich dicht vor sein Gesicht. Und schon wieder – oder noch immer – drohte ich in diesen Augen zu ertrinken. Doch er holte mich zurück:

„Dann werden wir durch die Hölle gehen, zusammen, und testen, wie lange wir widerstehen können, bevor wir verbrennen, meine Rose.“ Ich fühlte mich plötzlich leicht und frei. Fast. Aber er sollte erst unbedingt über einige Merkwürdigkeiten Bescheid wissen, bevor wir weiter gingen. Vielleicht hatte das Höllenfeuer uns ja schon verbrannt…

„Gabriel, morgen muß ich mit dir und vermutlich auch Kolya sprechen. Es ist wichtig und es betrifft auch diese Nacht. Aber für heute will ich vergessen und mich verlieren. Liebe mich!“ Und das tat er auch. Wir verbrachten noch eine lange Nacht – oder war es ein Tag – in diesem Raum. Wir waren unbeschwert und bis auf einige Momente, wo ich den Kopf wegdrehte, trübte nichts unsere ‚Erste Nacht.’

Und irgendwann schliefen wir, eng aneinander gerollt gemeinsam ein…

Zeichen

A fear will seize your heart with icy grip
No flame of hell is hot enough to fight
The terror that sends you on a daring trip
To battle nightmares both at day and night

Im wirklichen Leben war es sehr spät am Sonntag Abend, als wir uns wieder blicken ließen. Irgendwie war es mir unangenehm, in meinem Kleidchen vom Samstag aufzutauchen. In einem der Kleiderschränke fand sich ein riesiges Hemd – nach der Größe zu urteilen von Kolya – und eine kurze Trainingshose. Das war sicherlich kein angemessener Aufzug aber ich konnte es nicht ändern und Gabriel versicherte, daß niemand Anstoß nehmen würde. Also ging ich mit dem Hemd, das ein Kleid für mich war, und barfuß hinter Gabriel die Stufen wieder runter, durch den Saal in einen kleinen Wohnraum. Hier standen eine Couch, Eßtisch, mehrere Sessel und diverse Hocker. Als wir eintraten, eilte sofort ein Bediensteter mit heißem Tee und Resten des Buffets herbei. Während wir noch schweigend aßen, tauchte erst John auf. Ohne Reaktion auf meinen Aufzug aber selber in zerknitterter Kleidung bediente er sich sofort beim ‚Abendfrühstück’ und informierte uns dann über den Rest des gestrigen Abends. Viele der Gäste waren über Nacht geblieben, darunter zwei von meinen Freundinnen, zwei hatten sich heim fahren lassen. Ich fühlte mich etwas schuldig, sie alleine gelassen zu haben, aber der Grund dafür vertrieb diese Gedanken sofort. John berichtete weiter:

„Irgendwann heute morgen ist Katharina mit Kolya verschwunden. Bisher habe ich die beiden auch noch nicht wieder gesehen. Carolyn ist noch im Haus, sie hat wohl in einem der Gästezimmer geschlafen. Sie war vorhin unterwegs und einer der Männer hat sie in den Wellness-Bereich gebracht. Und da steckt sie auch noch.“

Während John von weiteren ‚Entwicklungen’ berichtete, fühlte ich mich mehr und mehr unruhig. Es war an der Zeit für Beichten aber ich wollte gerne, daß Kolya dabei war. Und John? Irgendwie war es mir unangenehm, immerhin hatte er vielleicht auch damit zu tun. Ich wußte nicht, warum ich ohne ihn von den Merkwürdigkeiten erzählen wollte – vermutlich, um ihm sinnlose Schuldgefühle zu ersparen. Irgendwann schien Gabriel meine Rastlosigkeit zu spüren, sagte nichts aber legte kurz seine Hand auf meine. Wieder zeigte John keine Reaktion – warum sollte er auch – aber warum war mir das dann alles so unangenehm? Weil ich befürchtete, er würde ‚Ansprüche’ anmelden? Langsam sollte ich es wirklich besser wissen…

Nach einiger Zeit trafen erst Sokrates und kurz danach Carolyn ein. Die war hellauf begeistert. „Es gibt einen Swimmingpool, Sauna und Solarium und die Masseure sind hier großartig. Ich fühle mich wie neu geboren.“ Unbefangen schloß sie sich unserer Runde an. Auch Sokrates war voll des Lobes. „Kolya hat ein wunderbares Haus, Gabriel. Fast so schön wie deines. Ich bin am überlegen, ob ich nicht lieber hier die zwei Wochen verbringe.“ Gabriel grinste: „Aber du weißt, der Wein ist in meinem Keller gelagert…“ Sokrates schüttelte in gespielter Enttäuschung den Kopf, „laß mich doch ausreden, also: ..aber ich würde ja nie deine Gastfreundschaft ablehnen. Wann fahren wir rüber zu dir?“

Gabriel warf mir einen fragenden Blick zu. Nun ja, ich konnte es – gerne – verschieben und momentan war Kolya eh verschwunden. Fast unmerklich nickte ich und er verstand. „Carolyn, mögen sie uns noch auf eine kleine Weinprobe begleiten? Mein Haus ist nicht sehr weit von hier und unser Gastgeber ist scheinbar momentan ‚unauffindbar’. Also wird er dann später zu uns stoßen. Begleiten sie uns doch, dann kann meine Limousine sie nachhause bringen, wann immer sie den Wunsch verspüren, unsere Gesellschaft zu verlassen.“ Seine wohl gewählten Worte zeigten wieder Wirkung. Sie sah erst mich fragend an: „ja, ich werde mitfahren.“, und nickte dann. „Gerne, wenn es ihnen keine Umstände macht. Wenn wir stören…“ „Stören? Wir wären entzückt, über so reizende Gesellschaft“, warf Sokrates ein.

Nicht einmal 15 Minuten später saßen wir in Gabriels Limousine. Wir Frauen hatten kein Gepäck und trugen beide geborgte Kleidung von Kolya. Im Auto beugte sich Gabriel zu mir und flüsterte: „Soll sie wissen, daß du hier bei mir wohnst, Rose?“, dabei berührten seine Lippen mein Ohr und ich mußte einen Moment die Augen schließen. „Es ist dein Spiel, Rabe! Du entscheidest.“ Auch ich streifte sein Ohr bei der Antwort. Wärme stieg von ihm auf. Er lächelte wissend, antwortete aber nicht. Innerhalb von 10 Minuten standen wir vor seinem Anwesen.

Gabriel führte uns ins Haus. „In den Gästezimmern haben wir sicherlich passende Kleidung für die Damen. John, würdest du unsere Gäste bitte die Räume zeigen. Wenn sie sich umgezogen und frisch gemacht haben, treffen wir uns in dem Raum dort. Dann folgt eine Führung und“ – damit drehte er sich zu Sokrates – „eine kleine Kostprobe im Weinkeller.“ Gabriel führte Sokrates voraus in die Bibliothek, wir folgten John in den ersten Stock. Und wirklich zeigte er uns die Gästezimmer neben meinen Räumen. Als er sich zum Gehen wand, fing ich ein breites Grinsen in seinem Gesicht auf. Also ging das Spiel noch weiter.

Zwischen den Gästezimmern gab es eine Verbindungstür, die wir offen ließen, während wir durch die Schränke stöberten. Nach einer wohl verdienten Dusche schlüpfte ich in einen fast passenden grauen Hausanzug. Carolyn fand Jeans und einen Pullover. Sie plauderte aufgeregt, während wir uns fertig machten. „Unglaublich! Erst das Haus von Kolya, die phantastische Einrichtung, und jetzt das hier, das erschlägt einen ja förmlich. Dazu noch tolle Männer, gut aussehend, höflich. Kneif mich, ich glaube, ich träume.“ Sie schien nicht zu wissen, wo ich die Nacht verbracht hatte und ich würde es nicht erwähnen. Zusammen kehrten wir in die Bibliothek zurück, wo die Männer schon auf uns warteten.

Die folgende Hausbesichtigung brachte keine Neuigkeiten für mich, nur, daß John die Führung übernahm und Gabriel und ich die Nachhut bildeten. Gabriel ließ sich noch etwas weiter zurück fallen: „Ich spüre deine Unruhe, LaVerne. Ich habe schon nach Kolya schicken lassen und sobald er kommt, werden wir versuchen, uns abzusetzen und dann können wir reden.“ Ich nickte schweigend. Wir landeten wieder im Weinkeller, auf den Sesseln, in Decken gehüllt. Gabriel betätigte sich als Weinkellner und zeigte ein mindestens genauso gutes Händchen bei der Auswahl, wie Kolya. Sokrates und Carolyn waren voll des Lobes. Endlich hörten wir Stimmen auf der Steintreppe, Kolya war angekommen und hatte auch Katharina mitgebracht. Auch sie war umgezogen und wirkte bestens gelaunt. Sie suchte sich einen Platz und Kolya legte auch ihr fürsorglich eine Decke um. Dann winkte er uns anderen aufgeräumt zur Begrüßung zu. Sein Blick blieb auf mir hängen, er zog fragend eine Augenbraue hoch. Nein, ich wollte ihm den Abend nicht verderben. Es konnte noch etwas länger warten, leider würde das Problem wohl nicht weglaufen. Jetzt hatte ich schon genug geschoben. Also schüttelte ich den Kopf, er nickte und setzte sich neben Katharina.

Es war fast schon drei Uhr, als wir beschlossen, den Abend ausklingen zu lassen. Gabriel bot uns dreien an, diese Nacht in seinem Haus zu bleiben. Katharina winkte mir und Carolyn zu und wir zogen uns zur Beratung zurück. Ich hatte damit gerechnet, daß sie für eine weiter Übernachtung plädieren würde, aber Carolyn war dieses Mal schneller: „Oh, ja, bitte sagt ja. Es ist so toll und aufregend hier, aber alleine bleibe ich nicht. Bitte!“ Katharina schaute sie fast so überrascht an, wie ich. Sie schaute auf den Boden. „Der Typ mit diesen leuchtenden blauen Augen. John. Der ist so süß und ich glaube, er mag mich auch.“ Kat grinste: „Perfekt, für jede von uns einen. Übrigens, LaVerne, ich bin froh, daß ich nicht gewonnen habe. Dieser Kolya ist ja wohl echt ne Wucht. Dieser Körper! Und auch ansonsten einfach erste Sahne. Also, ich bleibe auf jeden Fall. Nur hoffe ich, daß Kolya auch im Hause bleibt. Wenn er mich bittet, fahr ich aber mit zu ihm zurück. Und du?“ Beide schauten mich an. „Klar bleibe ich. So einen wie Gabriel findet man nicht so schnell wieder. Der arme Sokrates.“ Katharina grinste frech: „…also zur Not…“ – „Ich dachte, Kolya wäre so toll?“, grinste ich herausfordernd. „Oh ja, aber … ach, vergiß es.“ So stimmten wir also zu. Kolya bestätigte, daß er im Hause blieb, aber mit dem Gastgeber noch etwas zu besprechen hätte. Wieder führte John uns zu den Gästezimmern aber dieses mal wurde mir mein eigenes Schlafzimmer ‚zugewiesen’. Carolyn und Kat waren in den Nachbarräumen. Wir unterhielten uns noch etwas, Katharina mit dem Kommentar: „Der wird schon nach der Besprechung kommen, werde sicher nicht abschließen.“ Carolyn und ich grinsten nur. Dann trennten wir uns und als ich - endlich alleine – in mein Schlafzimmer kam, lag auf meinem Bette eine weiße Rose.

Ich wartete ein paar Minuten, dann ging ich leise nach unten. Die Bibliothek war leer, ebenso das Musikzimmer. Es half nichts, ich mußte wohl im verbotenen Flügel suchen. Im Wohnzimmer dort fand ich Kolya mit einem Kaffee in der Hand und einer Tasse für mich. „Gabriel macht sich frisch, John und Sokrates sind noch im Keller. Hattest du eine angenehme Nacht, Kleine?“  Er sagte es in einem Tonfall, der weder neugierig noch irgendwie anrüchig oder wertend klang, nur interessiert. Also verdiente er eine Antwort. „Es war eine wunderbare Ewigkeit, aber viel zu kurz. Und du, mein Bär?“ Er nickte und antwortete ebenso unbefangen: „Etwas anstrengend, aufregend aber kein Vergleich, denke ich mal.“ Wir schwiegen, bis Gabriel sich zu uns gesellte. Damit ich mich auch bloß nicht konzentrieren konnte, hatte er nur einen Bademantel – schwarze Seide – an, der äußerst nachlässig geschlossen war. Und grinste auch noch, als ich ihn anstarrte. Dann setzte er sich neben mich, legte den Arm um mich und drehte meinen Kopf zu einem Kuß. Er dauerte nicht lange, war fest aber nicht fordernd, eigentlich das, was ich jetzt brauchte, um Mut zu fassen. Und das bestätigten auch seine Worte: „Hab keine Angst. Ich bin da. Sprich mit uns, und vertraue uns.“

Ich atmete tief durch. Nun war es soweit.

„Es geht um eine Reihe von Begebenheiten, die ich nicht erklären kann. Oder verstehe. Vielleicht ist das alles normal, aber das könnt nur ihr entscheiden.

Es fing in der Höhle an, als John mich nach der Umwandlung küßte. Ich hatte das Gefühl, der Ring, den Gabriel mir geschenkt hat, hätte geglüht, auf jeden Fall hat er einen Moment stark geschmerzt. Aber ich war nicht sicher, habe mir eingeredet, daß ich das geträumt habe. Als nächstes die Sache mit dem Alkohol. Im Satyr ist mir aufgefallen, obwohl ich schon einiges getrunken hatte, konnte ich durch reine Willenskraft sofort klar im Kopf werden. Dann habe ich festgestellt, es gibt keine vollständige Dunkelheit mehr. Selbst in dem völlig unbeleuchteten Gang zu diesen Räumen kann ich noch Schatten erkennen. Das sind die Kleinigkeiten.

Angst habe ich bekommen, als ich mich neulich geschnitten habe. Wie üblich habe ich den blutenden Finger in den Mund gesteckt. Als ich ihn dann angesehen habe, waren kein Blut, keine Wunde und keine Narbe dort. Es hatte einfach aufgehört und der Schnitt war verschwunden. Und als Krönung: letzte Nacht habe ich mich gebissen, an Zähnen, die denen von dir, Gabriel in nichts nachstanden. Und das alles macht mir furchtbare Angst und ich möchte von euch eine Erklärung – eine Beruhigung.“

Es war unheimlich still. Kolya lächelte nicht mehr. Gabriel hatte sich zu mir gedreht, die Hände um die Tasse gelegt und mit ausdruckslosem Gesicht. Die Stille breitete sich aus und schien mich mit bösartigen Klauen zu würgen. Die Antwort der beiden, die ich erhofft hatte, dauerte zu lange – kam nicht.

Endlich sprach Gabriel. Seine Stimme war gelassen und beruhigend – zumindest oberflächlich. „Du bist mehrfach draußen in der Sonne gewesen. Hast du irgendeine Art von Unwohlsein gespürt?“ Das konnte ich entschieden verneinen, ebenso die zweite Frage nach einem eventuellen Gewichtsverlust. Kolya hatte bisher nichts gesagt, jetzt stand er auf und ging in Richtung Küche.

Gabriel schüttelte den Kopf: „Spontan kann ich keine Erklärung bieten. Ich denke nicht, daß du das alles geträumt hast, aber es ist doch sehr ungewöhnlich. Du bist definitiv kein Teil der Oscuro, das beweist schon die weiße Aura. Aber die Erscheinungen, die du beschreibst, werden mit den Mitgliedern der Oscuro assoziiert. Ich versteh, daß du Angst hattest, aber jetzt bist du nicht mehr alleine.“ Er unterbrach sich, als Kolya zurückkehrte. Der hatte eines der Küchenmesser geholt. Er reichte es Gabriel. „Entweder du oder sie, aber ich will es sehen.“ Dieses Mal sprach er mit wesentlich mehr Autorität als ich von ihm kannte. Er wirkte noch immer sehr ernst. Gabriel sah mich fragend an, aber ich hatte weder eine Wahl, noch wollte ich mich drücken. Trotzdem. Ich hielt ihm die Hand hin: „Ich kann nicht, mach du es bitte.“ Sanft nahm er die linke Hand, legte das Messer auf den Zeigefinger und machte eine plötzliche Bewegung. Es tat nicht einmal weh, aber das Blut floß sofort aus dem diesmal tiefen Schnitt. Wieder steckte ich den Finger in den Mund und kam mir albern vor, als die Männer mich dabei anstarrten. Als ich den Finger wieder vorzeigte, war der Schnitt verschwunden, auch dieses Mal ohne eine Narbe zu hinterlassen. Drei Personen starrten auf meinen Zeigefinger…

Kolya sah zu Gabriel hinüber. Der hob hilflos die Schulter. „Sie ist keine von uns. Sie kann in der Sonne leben, hat eine weißte Aura. Sie braucht keine Zusätze zum Essen. Außerdem wurde sie niemals umgewandelt.“ Kolya hob den Kopf und schaute mich dann direkt an: „Wie Gabriel sicher schon gesagt hat, es war gut, mit uns zu sprechen, vor allem, ohne weitere Zuhörer. Wir müssen zuerst ein paar Dinge abklären. Frage: bei Johns Umwandlung, ist zu irgendeiner Zeit dein Blut geflossen?“ Ich wollte schon fast verneinen. „Ich habe Gabriel geküßt, es könnte sein, daß ich mich dabei an seinen Zähnen geschnitten habe. Ich meine es fast, bin mir aber nicht ganz sicher. Gabriel?“

Der hob in einer ungewohnten Art die Augenbrauen: „Ich … äh… bin mir auch nicht sicher, ich war nicht so ganz aufmerksam. Ich erinnere mich sehr wohl an diesen Kuß, aber…es könnte sein.“ Kolya nickte. „Gehen wir davon aus, daß so etwas geschehen ist und so ihr Blut in deinen Körper gelangt. Aber der Empfänger muß auch dein Blut trinken, Rabe. LaVerne konnte eigentlich nicht an dein Blut gelangen.“ Ich fühlte schon wieder diese eiskalte Hand an meinem Hals. Gabriel nickte. Aber ich warf leise ein: „Es …äh… es könnte sein, daß ich doch etwas von Gabriels Blut in meinem Mund hatte….“ Beide starrten mich an. Gabriel widersprach: „Nein, du hast mich nie berührt und nicht die passenden Zähne.“ Er hatte schon recht aber, „John hatte dein Blut am und in seinem Mund, als er mich danach geküßt hat und du so furchtbar geblutet hast.“

Kolya schaute mich an. „Gabriel hätte diesen Kuß unterbunden, aber während des zweiten Teils der Umwandlung, gerade wenn sein Blut fließt, schaltet sein Körper sich als Schutzfunktion ab. Es kann also durchaus sein, daß du indirekt auch einer Umwandlung unterzogen wurdest Scheinbar nicht vollständig, aber doch ansatzweise. Ich habe noch nie von so etwas gehört aber wir müssen der Sache nachgehen.“

Er warf Gabriel einen Blick zu: „Trotzdem oblag es deiner Verantwortung, sie vor Schaden zu bewahren. Wir werden sehen, ob du das getan hast.“ Gabriel schaute ihm nicht in die Augen, als er nickte. Kolya wirkte verwandelt, er war noch immer der gemütliche Bär aber er sprach mit einer bisher nicht gekannten Autorität. Auf einmal strahlte er Macht und Bestimmtheit aus, die Gabriel akzeptierte. Wie genau waren deren Rollen verteilt, schoß es mir durch den Kopf. Ich hatte ja schon gesehen, daß ich so gut wie nichts über Kolya zu wissen schien.

Als der sich mir wieder zuwandte, lag aber das Lächeln wieder wie gewohnt in seinem Gesicht. „Mach dir keine Sorgen, Kleine. Wir finden heraus, was los ist. Trotzdem ein paar Anweisungen, die du unbedingt befolgen mußt. Als aller erstes, erzähle niemanden außerhalb dieses Raumes davon. Verstehst du, das ist wichtig!“ Still nickte ich. „Weiterhin mußt du verhindern, daß irgend jemand auch nur eine kleine Ungewöhnlichkeit mitbekommt. Also nicht so viel trinken, daß du betrunken sein müßtest, keine Verletzungen, und wenn doch, nicht mit Mund oder Zunge berühren, wenn möglich mit Pflaster verdecken. Und die Zähne…Gabriel?“ Der schaute endlich auf. Erst sah er mich an, dann Kolya. Er nickte ruhig. „Ich werde es ihr erklären und zeigen. Sie wird keine Probleme damit haben, dafür sorge ich.“ Kolya entspannte sichtlich. „Gut, Rabe. Ich weiß, es ist nicht deine Schuld, ich wollte das nicht andeuten.“ Als er aufstand, legte er mir eine seiner Pranken auf die Schulter. „Siehst du, dafür ist die Familie da, um gemeinsam ein Problem zu lösen. Und Sorgen zu teilen und damit erträglich zu machen. Habe keine Angst mehr, Kleine. Du bist sicher. Morgen werden wir anfangen, diese Sache zu ergründen. Aber heute Nacht“, – er grinste unverschämt – „habe ich noch ein paar Dinge vor. Und du auch.“ Den letzten Satz hatte er zu Gabriel gesprochen und das Schelmische war aus seiner Stimme gewichen. Mit einem festen Druck, der fast Knochen bersten ließ, drückte er meine Schulter und verließ den Raum.

Gabriel saß eine Weile schweigend neben mir. Ich starrte vor mich hin, die Antworten, die ich erhalten hatte, waren nicht wirklich das, was ich gesucht hatte. Ich hatte gehofft, daß alles, was ich beobachtet hatte, völlig normal sein, obwohl ich im Stillen gefürchtet hatte, daß dem nicht so war. Aber die offensichtliche Ratlosigkeit der beiden war keine Antwort. Trotzdem fühlte ich mich besser. Ich trug es nicht mehr alleine mit mir rum, die zwei würden eine Erklärung finden. Und eigentlich waren diese ‚Nebenwirkungen’ nicht mal so schlecht. Im Gegenteil. Vielleicht von der Sache mit den Zähnen abgesehen. Die konnten in einer ähnlichen Situation wie letzte Nacht – aber mit einem anderen Mann – zu Komplikationen führen. Bei dem Gedanken mußte ich leicht grinsen. Mein Rabe hatte aufgeschaut und den letzten Gesichtsausdruck bei mir gesehen. Er konnte garantiert Gedanken lesen denn er sagte mit normaler Stimme: „Komm mit LaVerne, ich werde dir ein bißchen über unsere Zähne erzählen.“

Also folgte ich ihm durch die Tür links, an Kolyas Zimmer vorbei. Er öffnete die Tür des letzten Raumes im Gang. Ein Raum, komplett in schwarz empfing mich. Ein großes Bett mit Eisengestell – schwarz mattiert – mit seidenen Überwürfen, schwarze Couchgarnitur, einige Sessel, Schränke und eine Regalwand, bestückt mit Büchern und einigen mystischen Gerätschaften. Er schloß die Tür hinter mir und wartete, während ich mich umschaute. Als er sprach, stand er direkt hinter mir und sein Atem strich über meine Wange: „Willkommen in meinem Reich, schwarze Rose. Wenige haben es bisher gesehen. Weißt du, daß es stockdunkel hier drin ist, keine Lichtquelle?“ Ich konnte die Einrichtung gut erkennen. Überrascht drehte ich mich zu ihm um und schaute direkt in seine forschenden Augen: „das kann nicht, alles ist deutlich zu erkennen.“ Er seufzte leise und legte seine Arme um meine Taille. „Nein, deine Augen sind nur besser geworden.“

 Der Kontakt mit seinen Armen und Händen weckte vorübergehend eingedöste Empfindungen. Den Schauer, den er auslöste, tarnte ich als kleinen Seufzer, aber er ließ sich nicht täuschen. Er zog mich an sich, küßte mich ganz sanft und meinte dann, „das Höllenfeuer brennt heiß, meine Rose, denn die Magie ist noch immer in unseren Körpern.“ Er hatte recht, langsam versuchte mein Körper dem Verstand schon wieder die Herrschaft streitig zu machen. Jetzt nicht, Gabriel wollte mir was erklären! Aber wenn wir uns so nah waren, stand das nicht zur Debatte, da war ich nicht aufnahmefähig. Widerwillig rückte ich ein ganz kleines Stück von ihm ab. Erst hielt er mich fest, doch dann ließ er mich Abstand gewinnen. Vorerst.

„Du mußt schon mit der Dunkelheit draußen leben, warum umgibst du dich auch mit ihr?“ Er ließ mich noch ein Stück mehr zurückweichen. „Das, was ich bin, umgibt mich auch. Das ist ein Teil des Preises, den ich zu zahlen habe. Aber es ist schon OK so. Jeder von uns hat irgendwo solche Räume.“ Er klang nicht traurig oder resigniert, er stellte einfach etwas fest.

Noch immer lagen seine Hände wie kleine Feuerbälle um meine Mitte. Er sah zu mir runter und zeigte seine weißen Zähne: „Mir wurde nachdrücklich aufgetragen, dir über unser besonderes Merkmal zu berichten. Sie tauchen zu bestimmten Anlässen auf, mit sehr viel Übung können wir sie auch manchmal bewußt auslösen. Doch wenn es soweit ist, daß sie wachsen, gibt es kaum einen Weg, das zu verhindern. Neben der äußeren Veränderung – den langen Eckzähnen – geschieht noch mehr. Unsere Kraft, unsere Sinne, sie alle steigern sich extrem, das Schmerzempfinden ist so gut wie aufgehoben. Diese Veränderungen wirken fast wie eine Droge, es ist unendlich schwer, sich dabei selber zu kontrollieren. Daher müssen solche wie John, die erst vor kurzem in unsere Gruppe aufgenommen wurden, auch angeleitet werden – sie müssen lernen, nicht dem Rausch nachzugeben, nicht dem Verlangen nach dem Kuß des Lebens, dem Atem des Todes. Das darf keiner von uns, obgleich bei den Mitgliedern der Oscuro untereinander diese Regel nicht gilt, weil wir uns nicht gegenseitig verletzten oder Unschuldigen bewußt – oder unbewußt – schaden.“

Ich dachte daran, wie Gabriel seinen Kopf in dieser Nacht von meiner Schulter genommen hatte. Das war der Grund gewesen, er wollte mich schützen.

„Wie fühlt es sich an, ich meine den Biß, sowohl für den, der zubeißt als auch für den Verletzten?“ Ganz kurz drehte er den Kopf weg, ein fremder Ausdruck erschien kurz, aber als er mich wieder anschaute, war das leise Lächeln zurückgekehrt. „Es ist die ultimative Erfüllung – Rausch und Ekstase. Auch für den, der den Biß empfängt. Das gilt für fast alle Situationen, in denen sie erscheinen. Aber wir schweifen ab. Solange wir nicht wissen, was passiert ist und welche Folgen es für dich hatte, mußt du sehr vorsichtig sein. Wenn du mit einem Mann zusammen bist – egal mit wem – darfst du niemals deine Zähne einsetzten! Auch wenn es noch so verlockend erscheint. Wie gesagt, wenn sie wachsen, findet sich so gut wie keine Möglichkeit, sie zu unterdrücken. Ich würde dir – natürlich ohne Befehl und ohne eigene Meinung,“ – jetzt grinste er weit – „raten, dich von möglichen Partnern  vorläufig etwas fern zu halten. Außer natürlich von mir – und Kolya.“ Den hatte ich eigentlich bisher nie als ‚Partner’ in Erwägung gezogen. Gabriel schon eher, obwohl ich mir noch nicht sicher war, ob es nach der ersten Nacht eine zweite gab – oder geplant war. „Dann muß ich wohl vorerst zurückstecken,“ grinste ich frech zurück.

Einen Augenblick reagierte er gar nicht, dann hob er eine Augenbraue und zog mich wieder fester an sich. „Das tut mir leid, schwarze Rose.“ Seine Stimme verriet seine Gedanken nicht. Das war wirklich übel. Aber bevor ich wieder in seinen Armen ertrank, trat ich zurück: „Es gibt noch andere Gelegenheiten, an denen die Zähne wachsen, nicht wahr?“ – „Ja, die Reaktion ist an starke Gefühle gekoppelt, die oft von einer körperlichen Tätigkeit kommen. Liebe ist eines davon. Aber auch Haß, Erschöpfung, Verlangen, Zorn oder Angst oder Trauer. Sobald die Emotion stark genug ist, werden die Zähne wachsen. Wenn wir als Beispiel Zweikämpfe austragen – was durchaus öfter vorkommt – bauen wir Haß oder auch Verlangen oder Zorn auf. So kämpfen wir anders, stärker, besser, intensiver und bewußter. Auch das ist eine wunderbare Erfahrung, sehr oft endet so ein sportlicher Wettkampf mit einem Biß; danach fühlt man sich körperlich völlig erschöpft – und wie neu. Kolya und ich messen unsere Kräfte öfter so, und glaube mir, obwohl er stärker wirkt, gewinnt er nicht immer. Aber natürlich gibt es auch hier ein dunkleres Dunkel. Cudro gehörte in diese Sparte, er weidete sich in der Angst seiner Opfer, ihr langsamer Tod durch Verbluten war sein ultimativer Kick. Es gibt einige, die die Regeln verletzten, manche mehr, manche weniger. Wie gesagt, wir schützen euch und uns, daher schreiten wir ein. Ansonsten töten wir einander nicht.

Ich hatte schweigend zugehört. Jetzt verstand ich einiges besser – auch von diesem Abend im Juli. „Eigentlich müßte es unendlich viele von deiner Art geben, Gabriel. Euer Leben ist fast unendlich, wie gesagt, ihr könnt jeden zu einem von euch machen und keiner würde es merken. Wieso gibt es noch diese Überzahl der ‚Normalen’ und ich habe in der Stadt nur zwei Leute der Nadiesda Thurus gesehen, seit ich zurück bin. Er überlegte einen Moment, bevor er antwortete. „Es gibt nicht so viele, wie du denkst. Fast kaum noch welche, die in die Oscuro hinein geboren werden. Immerhin müssen wir uns schon aus organisatorischen Grünen mit Leuten der Nadiesda Thurus umgeben aber wir laufen nicht rum und wandeln Leute um. Warum sollten wir? Neue Mitglieder werden normalerweise sorgfältig und lange ausgewählt, das gilt für den äußeren Kreis mindestens genauso, wie für den inneren. Du und John, ihr wart erwählt, nicht unbedingt von mir, ich habe nur die Zeichen gesehen und befolgt. Eure Einführung in die Nadiesda Thurus hätte noch länger dauern sollen, nach meiner Meinung. Kolya sah das allerdings anders. In Anbetracht der Ereignisse bei dem Unfall bin ich jetzt unendlich froh daß ihr beide bereits eingeweiht wart. Sonst hätte ich John wohl nicht retten können – oder dürfen. Nicht jeder der Nadiesda Thurus ist wohl auf Grund von Bestimmung dort, einige sicher auch aus anderen Gründen. Andererseits werden viele niemals eingeweiht, die es wert wären. Es ist halt Schicksal.“

 Wie ich auch der Idee des unabwendbaren Schicksals gegenüberstand, zumindest hatte mich der Zufall zu der Zeit in die Straße gebracht. Trotz aller Zweifel und trotz meines Wunsches nach Normalität war ich froh darüber. Diese Männer – allen voran Gabriel – hatten mein Herz berührt und es verändert. Ob diese Einschätzung nur symbolisch war, würde sich finden.

Gabriel hatte mich beobachtet, während ich meine Gedanken schweifen ließ. Langsam zog er mich dann wieder näher – und damit fort von sinnvollen Überlegungen. Als sich unsere Gesichter fast berührten, flüsterte er: „Es war eine lange Nacht, meine Rose. Wir brauchen beide Ruhe. Morgen werden wir uns den Problemen widmen und den Lösungen. Aber bevor wir schlafen gehen“ – seine Hand zog eine kribbelnde Spur über meinen Rücken – „möchte ich sehen, was du letzte Nacht verborgen hast. Ich kenne viele Wege, deine Zähne hervorzulocken“ – seine Finger wanderten nach vorne und langsam wieder nach oben – „aber ich wähle den besten und schönsten!“ Mein Körper übernahm ohne weitere Diskussion die Herrschaft, meine Hände erkundeten, was er unter seinem Morgenmantel verbarg – sehr viel warme, weiche Haut, keine weitere Kleidung, die meine forschenden Hände stoppte.

Während er mit dem durchgehenden Reißverschluß meines Anzuges nach unten wanderte, befreite ich ihn von dem störenden Morgenmantel. Herausfordernd hauchte ich ihm ins Ohr: „Und was wäre, wenn ich dabei nicht mitspielen würde?“ Nicht, daß da große Gefahr bestand. Er schien sich der kleinen Schwäche in meinem Einwand bewußt zu sein, denn ziemlich heftig zog er das Oberteil des Anzugs über meine Arme bis fast zur Hüfte herunter und griff hinter meinen Kopf. Sein Mund schwebte nur einen Hauch über meinem, als er wisperte: „Dann werde ich dich überzeugen, meine Rose. Muß ich das?“ Noch immer berührten seine Lippen mich nicht. Ich spürte die Sehnsucht nach ihm schon fast wieder schmerzhaft. Als ich aus dem Rest des Anzuges ausstieg und die Drohung seines Mundes so vorübergehend reduzierte, konnte ich fast ein wenig klar denken: „Auf jeden Fall. Ich soll mich doch zurückhalten – und, gib dir Mühe, ich bin nicht so einfach zu überreden.“ Endlich fanden sich unsere Lippen und er zog mich nachdrücklich zu seinem Bett. „Laß mich sehen, was dich von meinen Vorzügen überzeugen könnte“ Seine Stimme alleine schickte kleine Wellen von Gänsehaut über meinen Körper, seine Hände verstärken diesen Effekt hundertfach. Doch noch gab ich nicht auf, wenn er was sehen wollte, würde er dafür arbeiten müssen – oder nach seinen Worten: alles hat seinen Preis. Aber er schien bereit, diese Herausforderung nicht nur anzunehmen, sondern jegliche ‚Diskussion’ nachdrücklich zu unterbinden.

Mit seinem vollen Gewicht drückte er mich, daß ich rückwärts auf seinem Bett landete, nur um einen Augenblick später von seinem Körper niedergepreßt zu werden. So blieb er eine Weile auf mir liegen, während seine Hände und sein Mund weitere Wanderungen unternahmen. Langsam schob er meine Arme nach oben, bis sie ausgestreckt über meinem Kopf lagen. Plötzlich spürte ich kühlen Stoff an meinen Händen, Gabriel griff nach oben und im nächsten Moment war ein seidenes Band um meine Handgelenke geschlungen. In der gleichen Bewegung befestigte er das an einer der Metallstreben am Kopfende. Es war nicht zu fest, ich hätte sicherlich die Möglichkeit, mich herauszuwinden, aber ich ließ ihn gewähren. Langsam strichen seine Hände an meinen Armen zurück, spielten mit meinen Brüsten. Er setzte sich langsam auf, während seine Hände tiefer wanderten. „So kannst du mir nicht weglaufen, Rose, und bist auch keine Gefahr für mich – obwohl – dein Anblick ist schon gefährlich genug für meinen Verstand.“

Seine kleinen Manipulationen auf meiner Haut machten eine ruhige, gelassene Antwort schwierig, aber ich bemühte mich: „Ich bewundere deine Überredungskünste, mein Rabe. Sie sind wirklich ‚fesselnd’. Warte, bis ich das zurückzahlen kann…“ meine Stimme gab auf, als sich seine Hände von unten an den Oberschenkeln hinauf arbeiteten. Sanft fuhr er innen an den Schenkeln weiter, dann beugte er sich vor und folgte mit seinen Lippen, seiner Zunge und seinen Zähnen der vorher festgelegten Route. Ohne die Möglichkeit, ihn mit den Händen näher zu holen, hob ich ihm meinen Unterleib entgegen. Aber er ließ mich warten. Unerträglich langsam kehrte sein Mund nach oben zurück während seine Hände meine Schamhaare und deren Umgebung ihre Aufmerksamkeit widmeten. Er wanderte weiter aufwärts und wieder schwebte sein Mund fast erreichbar über meinem Die Fessel verhinderte in diesem Moment sehr effektiv meine geplante Selbstbedienung. Er kam näher, zog sich zurück und kehrte wieder bis zu dem Punkt, wo ich ihn fast erreichen konnte.

„Küß mich!“, hauchte er gerade außerhalb meiner Reichweite. Guter Vorschlag, schlechte Position für eine Ausführung, trotzdem versuchte ich natürlich, Folge zu leisten.

Aber wenigstens seine Hand fand endlich die Stelle zwischen meinen Beinen, die am meisten nach ihm verlangte. Ein Schauer durchzog meinen kompletten Körper, ausgehend von seinen Fingern auf und in mir und in alle Richtungen ausstrahlend. Seine Hände fanden überall die richtigen Stellen, sanftes Streicheln schickte ein leises Stöhnen aus meinen Lungen. Noch immer enthielt er mir seinen Mund vor, doch seine erfahrenen Bewegungen setzte meine Haut in Brand und tauchten mich zurück in das Höllenfeuer der letzen Nacht. Mein Unterleib schien ein Eigenleben zu entwickeln und forderte mehr von ihm. Seine Zunge streifte meine Lippen: „Laß es geschehen Rose. Gib dich deinem Körper hin und dem Verlangen. Zeige mir deine Zähne.“ Die Spannung in meinem Inneren wurde fast unerträglich. Stoßweise ließ ich die Luft aus meinen Lungen, während mein Körper sich ihm entgegen bäumte. Ein kleiner Teil meines Verstandes nahm seine Worte auf und schien ihm zuzustimmen. Bewußt kehrte ich meine ‚Aufmerksamkeit’ von den Vorgängen weiter unten und seinen Händen ab und dachte an das Gefühl der Eckzähne, das gestern durch mich geschossen war. Ich hörte Gabriel, er hielt die Luft an, stockte den Bruchteil einer Sekunde und verstärkte dann seine Berührungen in meinem Sinne. Vorsichtig ließ ich die Zunge forschen, ja, die Zähne waren lang und spitz. Ich suchte Gabriels Blick und fand ihn sofort – er war nie weg gewesen. Er wanderte zwischen meinem Mund und meinen Augen. Mit rauher Stimme flüsterte er: „Wenn dies die Hölle ist, laß mich darin verglühen… hüll mich in dein Feuer.“ Und dann küßt er mich, wobei er sehr geschickt vermied, sich an meinen Reißzähnen zu verletzen. Der Kuß war lang, fordernd, voller Leidenschaft und Verlangen. Und das Zünglein an der Waage, denn schon Momente später begann mein Leib unter ihm zu zucken. Ich stieß mit voller Kraft gegen seine Berührungen und spürte die erhoffte Erlösung. Das Stöhnen würde von seinem Mund verschluckt und dieses Mal gab es weder Angst noch Verlegenheit in mir.

Sobald mein Körper aufhörte zu zittern, löste Gabriel das Band an meinen Handgelenken. Liebevoll nahm er mich in die Arme, sagte nichts, streichelte aber die ganze Zeit über mein Gesicht und die Haare, bis ich wieder normal atmete. Ich hob den Kopf und schaute in seine Augen. Sie waren klar und schienen von innen zu leuchten. „Du weißt, die Sache mit den Fesseln fordert eine angemessene Antwort. Ich werde mir eine passende Revanche überlegen.“ Ein sehr jugendhaftes Grinsen wärmte mich: „Versprochen?“ fragte er. „Kein Versprechen, mein Rabe, eine Drohung“, grinste ich zurück. Im Moment waren alle Sorgen und Fragen und Zweifel vergessen. Sein Körper hatte Macht über meine Gedanken. Das sollte bedenklich sein, aber tatsächlich war es mir momentan egal. Noch immer lag ich mit diesem wundervollen Mann unbekleidet im Bett, die Nacht war hier endlos und wer wußte, was morgen kam. Nutze die Nacht. Carpe noctem.

Also wand ich meine Aufmerksamkeit dem netten Anblick vor mir zu. Einem Körper, der ganz wunderbar auf meine Berührungen reagierte. Jetzt würde ich einmal testen, wie schnell ich seine Zähne hervorlocken konnte, wie oft und wo ich dabei war, wie lange sie wohl bleiben würden…

Noch eine ganze Weile gab ich mich diesen Forschungen hin. Dabei war ich sehr gründlich. Und irgendwie war unsere zweite Nacht eine weitere erste Nacht, dieses Mal ohne Angst und mit der Gewißheit, daß wir einander vertrauten. Und als ich endlich müde, völlig erschöpft aber endlos glücklich eindöste, kam als letzter Gedanke: wie er gesagt hatte, wünschte ich, daß wir uns morgen nach heute sehnten. In seinen Armen war meine Welt für eine kurze Zeit in Ordnung. Ich wünschte, es könnte so bleiben aber das sollte nicht sein, es war niemals so. Aber vielleicht konnte ich eine Weile im Feuer brennen, Kolya hatte doch Recht – es lohnte sich.

Als ich aufwachte, war ich alleine in dem dunklen Raum. Über einem der Stühle hing ein Morgenmantel und es stellte sich raus, daß dieser für mich bestimmt war, bei Gabriel hätte er dessen ‚interessantere Teile’ nicht verdeckt. Ich warf ihn über und begab mich ins Wohnzimmer. Auch hier war niemand. Die mittlere Tür führte in die Küche, also testete ich die rechte Tür. Und wirklich fand ich im 2. Raum ein großzügig eingerichtetes Badezimmer. Nach einer langen Dusche fühlte ich mich wie neu geboren. Als ich dann ins Wohnzimmer zurückkehrte, war dort ein mittlerer Auflauf versammelt. John, Sokrates, Kolya und Gabriel, alle waren da. Alle vier schauten mich an, als ich eintrat. Sokrates sprach als Erster: „Äh…hm…also, sie sehen entzückend aus, in diesem … äh… Kleidungsstückchen aber wenn sie eine vernünftige Unterhaltung suchen, ohne daß sie alle ständig anstarren, sollten sie vielleicht ein klein wenig mehr von sich verbergen…äh. Entschuldigung, aber als Ältester hier darf ich das wohl sagen.“ Kolya nickte schweigend, aber das breite Grinsen sprach Bände. John starrte ungeniert und Gabriel lachte laut. Ein bisher nicht sehr häufiges Geräusch. Er stand auf und nahm mich in den Arm. „Meine Schuld, reiner Egoismus. Nicht wahr, bezaubernd, unsere Rose.“ Und zu mir gewandt: „Die anderen Mädel sind gerade im Speisezimmer. Du kannst unbeobachtete in dein Zimmer. Wir kommen gleich zu euch. Wir müssen noch ein paar Geschäfte zum Abschluß bringen.“ Damit geleitete er mich zur Tür. Er verabschiedete sich mit einem leichten Kuß, diesmal auf die Lippen und kehrte dann zu den anderen zurück.

Unbehelligt gelangte ich in mein Zimmer, zog mich etwas seriöser an und leistete dann den anderen beiden Frauen im Eßzimmer Gesellschaft.

Wir plauderten munter und Kat unterhielt uns mit begeisterten Äußerungen über so ziemlich alles an diesem Wochenende: unsere Gastgeber, allen voran Kolya, die Party, die Häuser, Verpflegung, einfach alles war perfekt in ihren Augen.

Es war bereits Montag Nachmittag und Carolyn merkte an, daß sie irgendwann heim müßte. Wenn auch zögerlich, so stimmte Kat ihr zu. Eigentlich wollte ich mich nicht ohne Rücksprache festlegen, andererseits kam mir der Vorsatz ins Gedächtnis zurück, mein Leben weiter zu leben. Es gab vielleicht ein paar Dinge, die geklärt werden mußten, aber ich hatte vorab gesagt, daß ich Anfang Dezember in meine Wohnung zurückkehren wollte. Außerdem stand ein Auto in der Stadt. Somit schloß ich mich dem allgemeinen Beschluß an. Die Männer waren noch immer nicht aufgetaucht, also entschieden wir, in unsere Zimmer zurück zu kehren und uns für die Abreise bereit zu machen. Und ich versprach, den Hausherren zu suchen und um die Limousine für die Rückfahrt zu bitten.

Ich kehrte direkt in den verbotenen Bereich zurück. Meine Nachricht traf dort nicht gerade auf Begeisterung aber ich ließ keinen Widerspruch zu. Allerdings konnte ich Sokrates nachdrückliche Bitte nach einer Führung durch das Nachtleben nächsten Freitag nicht ablehnen. Wir verabredeten also, uns im Silbernen Satyr gegen 20 Uhr zu treffen. Kolya erhob sich.

„Es ist schon fast dunkel. Aber heute fahre ich euch nicht, ihr bekommt einen Fahrer. Ich denke, ich werde mich von Katharina verabschieden und euch dann zum Wagen bringen. Gabriel, kann ich einen deiner Fahrer nehmen?“ – „Klar, und ich komme auch mit zum Verabschieden.“ Die zwei gingen. Ich reichte Sokrates die Hand und der verabschiedete sich bis Freitag. John umarmte ich kurz. Er flüsterte mir leise ins Ohr: „Danke, daß du hier warst. Ich hoffe, du überlegst es dir und kommst bald zurück. Mit dir ist das Haus einfach lebendiger.“ Ich drückte ihn, „Wir werden sehen. Jetzt muß ich erst mal etwas alleine sein. Paß auf dich auf, John.“

Meine Sachen blieben in Gabriels Haus, darüber würde ich später nachdenken. Wir trafen uns in der Eingangshalle. Gabriel nahm mich in die Arme. Sofort durchströmte mich wieder seine Wärme und machte die Heimfahrt schwerer. Er flüsterte: „Komm bald zurück Rose. Ich will dich unter meinen Flügen haben. Und ich werde mich melden, wenn ich noch vor Freitag was rausfinde.“ Dann küßte er mich, daß meine Knie fast nachgaben und ich beinah geblieben wäre. Kolya war etwas dezenter und nachdem wir uns alle gegenseitig für dieses wundervolle Wochenende gedankt hatten, ging es zurück in die Stadt. Auf der Rückfahrt ließen wir die Geschehnisse noch einmal – ohne Details natürlich – Revue passieren. Katharina meinte: „Hin und wieder kam mir die ganze Sache ja schon fast komisch vor. So schöne Männer, und sie scheinen so vertraut miteinander, das kennt man so gar nicht. Und zwei wohnen auch noch im gleichen Haus, scheinbar. Also erst dachte ich ja, daß die eher auf ihresgleichen stehen, aber Kolya hat mir eindeutig das Gegenteil bewiesen. Solche Leute hab ich noch nie erlebt, zum Glück stehen die wohl trotz dieses komischen Eindrucks auf uns Frauen.„ Auch Carolyn bestätigte, daß sie zu Anfang etwas unsicher gewesen war. Ich lächelte leicht und meinte nur: „Was auch immer das für Männer sind, ganz offensichtlich waren sie an uns interessiert.“ Da waren wir alle einer Meinung. Meine Wohnung war am nächsten und Kat und ich wurden abgeliefert. Sie holte ihre Sachen und fuhr ohne weitere Verzögerung heim, Carolyn wurde direkt nach Hause gebracht.

Endlich alleine nahm ich ein langes, heißes Bad und ging noch vor Mitternacht ins Bett. Ich fühlte mich ungewohnt entspannt und gut gestimmt. Gabriel und Kolya würden sich um diese ungewöhnlichen Dinge kümmern, es war nicht mehr alleine mein Problem. Ich hatte tatsächlich zwei wunderbare Nächte mit dem Raben verbracht, der mein Herz berührte. Trotzdem war ich unabhängig und in meiner eigenen Wohnung nach meinen Wünschen. Eigentlich war alles in Ordnung. Ob Herz und Verstand in Einklang waren, erschien mir momentan irrelevant. Wenn es dazu kam, daß ich den Raben teilen mußte, würde ich zu der Zeit darüber nachdenken, nicht vorab. Und vielleicht versuchen, ihn mit meinen Waffen – und Überzeugungsarbeit – zu locken. Wir würden sehen. Wie gesagt – ein Schritt nach dem anderen und wenn möglich, Kolyas Rat befolgen und sich das im Leben nehmen, was ich wollte, solange ich konnte.

Ich schlief tief, erholsam und lange. Trotzdem war es noch hell, als ich aufstand und mir ein Mittagessen bestellte. Dann verbrachte ich einen herrlich langweiligen Tag mit Fernsehen, Lesen und mit Freunden telefonieren. Und Mittwoch schickte Gabriel auf meine Bitte hin einen seiner Leute, der Mittags meinen Computer brachte. Damit war der Rest der Woche mit Arbeit zuhause und bei Kunden verplant.

Erst Freitagnachmittag kehrten meine Gedanken langsam zu dem anderen Leben zurück. Ich machte mich mit gemischten Gefühlen fertig für den Abend. Sokrates erschien wie ein distinguierter Herr Mitte 50, durchaus präsentabel und mit einem lockeren Stil und Humor. Aber eigentlich ging ich nicht mit fremden Männern einfach los. Andererseits würde Gabriel mich nicht in Schwierigkeiten geraten lassen. Im Geiste ging ich einige Orte durch, die ich Sokrates zeigen wollte. Doch immer wieder kehrten meine Gedanken zu Gabriel zurück. Da er sich nicht gemeldet hatte, gab es wohl keine Neuigkeiten – trotzdem, nach den letzen zwei Wochen fehlten mir seine und Kolyas und Johns Gegenwart. Und wenn wir nur im gleichen Haus waren.

Draußen war es kalt geworden, aber noch immer gab es keinen Schnee. Gut in warmes Leder eingepackt fuhr ich mit dem eigenen Auto zum Satyr. Als ich fast pünktlich eintraf, war die Nische schon stark gefüllt. Gabriel, Kolya, John und Sokrates waren dort, sowie einige der Leibwächter. Locker begrüßten wir uns und man schob mich auf einen der Stühle. Wir plauderten ein wenig und Kolya informierte mich, daß eine Limousine mit Fahrer für den Abend auf uns wartete. Und Gabriel fügte hinzu: „Und ich habe als Start des Abends für euch einen Tisch im Sky Rock reserviert. Von dort müßt ihr selber weiter sehen. Wir sind bis gut 4 Uhr hier, dann fahren wir zurück.“ Als wir uns zum Gehen bereit machten, zog Gabriel mich noch einmal zur Seite und sagte leise: „Du hast mir gefehlt, schwarze Rose. Wenn es zu spät wird oder dir danach ist, fahre doch mit Sokrates zurück. Überleg es dir, LaVerne.“ Und er gab mir einen Kuß, der eindeutig eine Beeinflussung war. Mühsam löste ich mich von ihm – seiner Versuchung – „Mal sehen, Gabriel.“ Und damit machten wir uns davon.

Und es wurde ein lustiger Abend. Sokrates war der vollendete Gentleman, hatte immer ein Kompliment oder einen lustigen Spruch bereit. Nach einem wunderbaren Essen besuchten wir einige der guten und renommierten Clubs. Und als krönenden Abschluß hatte ich einen Besuch der Noctis Infinitum eingeplant. Zum Glück hatte er sie noch nicht gesehen. Mitte nächster Woche würde die Ausstellung schließen und es war eine einmalige – und passende – Gelegenheit. Sokrates zeigte sich entsprechend beeindruckt. Als wir endlich beschlossen, daß er die wichtigsten Punkte der Stadt besichtigt hatte, war es fast halb fünf. Ich war noch immer unentschlossen, ob ich mit ihm zurück fahren sollte. Und obwohl wir sogar an meinem Haus vorbei kamen, gab ich am Ende nach, denn er versicherte mir nachdrücklich, daß er eine ganze Stunde Fahrt alleine als unglücklichen Ausklang eines sehr gelungenen Abends betrachten würde. Das konnte ich wohl nicht zulassen. Also plauderten wir auf der Rückfahrt noch ein wenig und innerhalb kürzester Zeit waren wir schon da. Sokrates kehrte in den verbotenen Teil zurück, ich ging zielsicher in mein Zimmer. Ich meldete meine Anwesenheit nicht, vermutlich würde Sokrates das sowieso erledigen. Ich war völlig geschafft und fiel mehr ins Bett als daß ich mich legte. Und wachte nicht auf, bis der Samstag schon weit fortgeschritten war. Und als ich die Augen öffnete, stand auf dem Nachttisch eine Vase mit einer weißen Rose als einziger Beweis eines stillen, nächtlichen Besuches. Ich lächelte in mich hinein.

Rat der Alten

Seven sins will stain your mortal soul beyond recall
indulge in one – and be it only once or rare
that will suffice, so choose your sin: and go for all
ignore the portents and take your share as long you dare.

Ein Bediensteter servierte mir Frühstück im Speisesaal und dann machte ich mich auf, die Herren zu suchen. Oder genauer: zu besuchen, denn sie waren jetzt garantiert im dunklen Teil des Hauses. Aber der Wohnraum war mal wieder leer. Also setzte ich Kaffee auf, machte Musik an und wartete.

Ich mußte eingenickt sein, denn ich erwachte davon, daß jemand mich küßte. Gabriel natürlich. Er war von hinten ans Sofa getreten und hatte beide Hände an meinen Kopf gelegt. Es war ein ganz sanfter Kuß; unterstützt von der Wärme und dem Kribbeln, das von seinen Fingern in meinen Kopf und von dort verstärkt in den Rest des Körpers wanderte. So blieben wir einen Moment unbeweglich und ich hatte Gelegenheit, wieder seinen Duft in meine Nase steigen zu lassen.

„Es ist schön, dich hier so zu finden. Ich war letzte Nacht noch bei dir aber du warst so friedlich am schlafen, da wollte ich nicht stören…“ Ich lächelte zu ihm auf: „Du störst nicht! Aber ich habe gesehen, daß du da warst. Danke mein Rabe.“

Wir unterhielten uns, als John und Sokrates zu uns stießen. Gabriel wand sich an John: „Könntest du dich heute um unseren Gast kümmern, ich muß dringend zu Kolya wegen der Auflösung der Ausstellung. Ich werde mich fahren lassen und LaVerne von dort den Wagen mitgeben. Kolya bringt mich dann zurück.“ So verabschiedete ich mich. Sokrates dankte noch einmal herzlich für den unterhaltsamen Abend. Er würde Donnerstag abreisen, seine Geschäfte waren bis dann erledigt.

Mit Gabriel fuhren wir die kurze Streck zu Kolyas Haus. Wieder brannte in vielen Räumen Licht. „Das sind die Gäste, die hier was für ihre Gesundheit tun wollen.“ Also war die Geschichte tatsächlich wahr. Auch in diesem Haus gab es Räume, die nur der Oscuro vorbehalten waren. Gabriel führte mich in modern eingerichtete, weitläufige Kellerräume. Wir fanden Kolya an einem riesigen Schreibtisch, halb zugebuddelt unter Papieren. Erfreut schaute er auf, als wir eintraten. „Gott sei Dank – eine Entschuldigung, hier aufzuhören. Dieser Schreibkram ist grauenhaft. Ich glaube, ich brauche eine Sekretärin.“ Er sah tatsächlich verzweifelt aus. „Nutzt du keine Computer“ Er starrte mich an. „Ist das ein Scherz? Ich bin froh, wenn ich eine Fernbedienung benutzen kann. Kommt ins Wohnzimmer, nur raus hier.“ Und fluchtartig verließ er den Raum. Das Wohnzimmer war ein völlig normaler Raum, Fernseher, Sofa, Stereoanlage, halt alles, was man in jedem Haus erwarten würde. Durch die Kellerräume natürlich ohne Fenster. Kolya schenkte jeden von uns einen Cognac ein und ließ sich in einen der Sessel fallen.

„Jetzt können wir reden. Erste Frage: geht es dir gut, Kleine, alles völlig normal?“ Ich dachte nicht mal über seine Frage nach. „Ich fühle mich gut, keine ungewöhnlichen Ereignisse und von Alkohol und“ – ich schaute grinsend zu Gabriel – „Männern habe ich mich fern gehalten.“ Gabriel grinste zurück. „So ist’s recht!“

Kolya unterbrach unseren kleinen Austausch. „Also. Ich habe vorsichtig nachgeforscht. Wie ich schon vermutet hatte, ist nur eine Person erwähnt, die ähnliche Symptome aufweist. Dieser Mann wurde allerdings mit einer Art ‚Blutfehler’ als einer der Oscuro geboren und im Alter von 25 trat seine Besonderheit schlagartig zu Tage. Er ist also nicht unbedingt unsere Lösung. Es gibt jetzt – abgesehen von den Konsequenzen für dich, LaVerne – einige Fragen, die wir beantworten müßten. Dazu gehören Dinge der medizinischen Ebene, also, wie sieht dein Blut aus, reagierst du auf Silber oder alters du normal. Dann müssen wir auch über die äh, ethischen oder mystischen Ebenen reden. Jeder sieht, daß du eigentlich kein Mitglied der Oscuro bist. Was passiert, wenn dich einer von uns beißt oder wenn du einen von uns verletzt? Würde der Akt der Umwandlung dich verändern, schadet dein Blut uns und ist dein Zustand dauerhaft. Ich habe nur einige der offensichtlichen Fragen aufgezählt, es gibt aber noch viele mehr, einige davon auch durchaus fast wichtiger. Dazu zählt eventuell der weiße Drache, ein sehr bedeutendes Mitglied der Oscuro, aber nicht vertrauenswürdig. Und auch der Didelphis, das ist der Mann mit dem unreinen Blut, wie er genannt wird. Zumindest von einigen.“

Wir schwiegen alle drei. Ich hatte das Gefühl, da kam noch einiges auf mich zu. Beide wirkten äußerlich ruhig – wie oft hatte ich mich jetzt schon von Äußerlichkeiten irreführen lassen – aber ich spürte, daß sie sich ernsthafte Gedanken gemacht hatten. Wenn auch keine echte Besorgnis in der Luft lag, so doch eine gewisse ungewohnte Unruhe.

Scheinbar war dies Kolyas Bereich, also fragte ich ihn: „Wie geht’s jetzt weiter und was bedeutet das alles für mich?“ Er überlegte einen Moment. „Für dein tägliches Leben erst mal nicht so dramatisch viel, die Ermahnungen bleiben bestehen, aber das war es erst mal. Nächste Woche werden wir einige medizinische Tests mit dir machen, bis dahin solltest du vielleicht kein Blut spenden oder einen Unfall haben. Sobald die Ergebnisse vorliegen, werden wir weiter sehen. Vielleicht wenden wir uns an den ‚Rat der Alten’, das sind drei Mitglieder der Oscuro, alle weit über 600 Jahre und sehr klug und bedacht. Aber das wäre der nächste Schritt.“ Was es nicht alles gab. Aber bei dem Wort medizinische Tests bekam ich eine ganz andere Art von Gänsehaut. „Diese Untersuchungen …äh… was muß ich da erwarten?“ Gabriel legte den Arm um mich, hatte ich denn so kleinlaut geklungen? „Nichts Schlimmes, meine Rose. Es wird nicht weh tun. Das wird in meinem Institut gemacht, von Mitgliedern der Nadiesda Thurus. Du gibst ihnen ein bißchen Blut, das war es fast schon. Wir werden dabei sein. OK?“ Als hätte ich eine Wahl. Anderseits hatte der Schnitt auch nicht geschmerzt und irgendwie mußte ich ja wissen, was Sache war. Ich nickte also.

Mit einer Zusammenfassung seiner Ermahnungen entließ mich Kolya schließlich. Wir verabredeten, daß ich Donnerstag Abend mit meinem Auto kommen sollte und von Gabriels Haus zur Untersuchung fahren würde. Zum Abschied zerdrückte er mich dann noch fast. Gabriel verabschiedete sich erheblich zärtlicher mit einem Kuß auf die Wange und den Worten: „Auf bald meine Rose.“ Damit war ich entlassen und wurde vom Fahrer zum Silbernen Satyr gebracht. Dort holte ich mein Auto ab und bis ich dann zuhause im Bett war, war es früher Sonntag morgen.

Donnerstag fuhr ich gegen drei zu Gabriel. Die Ausstellung war gestern endgültig zu Ende gegangen und die ganze Halle war voll mit Kisten und Kästen und überall schwärmten Angestellte herum, die notierten, sortierten und wegräumten. Eine Weile schaute ich diesem organisierten Chaos zu, niemand beachtete mich, ich schien hier tatsächlich hin zu gehören. Nach einiger Zeit machte ich mich in den dunklen Teil des Hauses auf. Ich kam gerade recht zur Verabschiedung von Sokrates. Das zog sich noch eine ganze Weile hin und es war nach fünf, als er endlich in der Limousine zu seinem privaten Flugzeug saß. John entschuldigte sich mit der Bemerkung, irgendwer müsse doch mal die Organisation der zurückgekehrten Schätze übernehmen.

Ohne weite Verzögerung schaffte Kolya dann Gabriel und mich ins Auto. Diesmal fuhr er wieder selber. Es ging weiter aufs Land, bis wir nach einer knappen halben Stunde vor einem modernen, niedrigen Firmengelände anhielten. Es wirkte sehr gut gesichert und überall patrouillierten Sicherheitskräfte. Wir passierten mehrere Sperren und mehrfach benötigten wir Sicherheitsausweise – für mich gab es erstaunlicherweise auch einen. Ein Fahrstuhl brachte uns in rasender Fahrt tief in die Erde, laut Anzeige waren wir im 14. Untergeschoß. Mein Erstaunen wuchs mit jedem Meter. Es gab Hinweise auf sterile Räume, Feuertüren, Laboratorien, biologische Sicherheitssperren und andere Dinge, die auf ein großes Forschungszentrum schließen ließen.

Leise erklärte Gabriel, während wir über farblich gekennzeichnete Korridore schritten. „Hier wird das Blut hergestellt, das wir zum Leben benötigen. Wie gesagt, es ist künstliches Blut, das einigen Speisen beigemengt wird und an andere Gruppen der Oscuro überall auf der Welt geliefert wird. Die Herstellung hat viele Jahre bis zu ihrer Perfektionierung gedauert aber jetzt ist sie optimal. Als Nebenprodukt dieser Forschungen sind wir sehr erfolgreich in der Diagnose und Behandlung einiger Blutkrankheiten der normalen Bevölkerung. Mittlerweile arbeiten wir für die staatliche Forschung, einige pharmazeutische und private Unternehmen. Daher die hohen Sicherheitsstandards, hier lagern einige sehr ansteckende Krankheitserreger. Aber diese Etage ist der Oscuro  und ihren Forschungen vorbehalten.“

Wir traten durch eine Tür in ein kleines Labor. Nicht so kalt, wie man vermuten sollte, es gab einige Stühle, eine Liege und medizinisches Besteck an einer Ecke. Als wir eintraten, kam aus einer zweiten Tür eine Frau im weißen Kittel – und weißer Aura. Sie nickte freundlich, deutete auf einen der Stühle und sagte: „Ich werde ihnen ein wenig Blut abnehmen. Es tut gar nicht weh und geht ganz schnell.“ Damit nahm sie eine versiegelte Spritze. Und wirklich spürte ich nicht einmal den Stich. Mit ihrer Beute verschwand sie wieder. Gabriel zog mich hoch und schob mich wieder auf den Gang. „Den Rest machen wir in den Besucherräumen. Nur ein paar kleine Versuche.“

Wir kamen in ein Zimmer, daß wohl eher wie ein Konferenzraum eingerichtet war. Inklusive langem Tisch. Während Gabriel und ich uns an das eine Ende setzten, blieb Kolya an der Tür stehen. Auf dem Tisch lag ein Tuch, unter dem mehrere Gegenstände verborgen lagen. Als Gabriel es weg zog, kamen zwei Dolche zum Vorschein, drei unscheinbare Reagenzgläser sowie ein Amulett. Eine seltsame Kollektion für medizinische Tests. Aber die würden schon wissen, was sie taten.

Gabriel nahm den ersten Dolch zur Hand. Mit gedämpfter Stimme erklärte er: „Das ist normales Metall – Stahl – und sollte keinen Schmerz und keine bleibende Wunde verursachen. Eigentlich hatten wir das ja schon getestet aber der Ordnung halber werden wir einen zweiten – Gegentest – durchführen. Er hielt mir seine linke Hand hin und ich legte meine wie beim letzen Mal darauf. Schnell führte er einen kleinen Schnitt über den Finger und schob die Hand zu meinem Mund. Ich fuhr mit der Zunge über den Schnitt und kam mir fast albern vor. Natürlich war er wieder verschwunden. Dann nahm er den zweiten Dolch. „Diese Klinge ist aus Silber. Ich würde von einem kleinen Schnitt nicht schwer verletzt werden, aber es würde auf jeden Fall etwas schmerzen. Außerdem wird bei mir eine Narbe zurück bleiben. Es tut mir leid, aber es muß sein.“

Der Schnitt, den er an der gleichen Stelle ausführte, war sehr viel kleiner. Trotzdem spürte ich ihn nicht und nach Berührung mit meiner Zunge war auch er ohne Spuren verschwunden. Gabriel zog die Augenbrauen hoch, sah zu Kolya herüber aber sagte nichts dazu. Er griff zu dem ersten Reagenzglas.

Dieses Mal legte er das Tuch auf den Tisch und meine Hand darauf. Ohne Erklärung goß er einige Tropfen der klaren Flüssigkeit über meine Hand. Mit einem zweiten Tuch wischte er sie vorsichtig ab. Ich merkte gar nichts. Er grinste: „das war Weihwasser. Lach nicht, wir bekommen davon einen leichten Ausschlag.“ Er goß die nächste - ebenfalls klare – Substanz auf die Hand. Langsam wurde mir das echt unheimlich. Seine Erläuterung: „Eine stark verdünnte Säure. Auch hier sollte es eine leichte Reaktion geben.“ Dann nahm er das dritte Röhrchen in die Hand. „Dies ist ein ganz besonderes Mittel. Wir haben es hier entwickelt. Damit können wir uns für einige Zeit dem Sonnenlicht aussetzen. Es ist noch in der Erprobungsphase, momentan ist die Haltbarkeit rund drei Stunden. Es wird eingerieben und gibt der Haut einen bräunlichen Schimmer für die Zeit der Wirkung. Es wird bisher nur bei Notfällen eingesetzt, weil die Dauer des Schutzes variiert und es extrem teuer in der Herstellung ist. Ich weiß nicht, was es bei deiner Haut ausrichtet, bei uns unterbricht es die Rezeptoren in der Epidermis.“ Damit nahm er ein Tuch, gab etwas Flüssigkeit hinein und verteilte sie auf meiner Hand. Die Reaktion war gleich null, nicht einmal eine Verfärbung. Das Mittel wurde regelrecht abgestoßen, es lag wie ein Ölfilm auf der Haut und wir konnten es mit dem Lappen wieder vollständig und ohne Spuren abwischen. Gabriel schüttelte nur den Kopf.

Als letztes Griff er zu dem Amulett. Es war rund und hatte feine, sehr kleine Schriftzeichen und ein Schlangenbild in der Mitte. „Dieser Anhänger kann magische Energien erkennen. Er soll nichts beschwören oder verändern, er erkennt nur Personen mit besonderen Fähigkeiten. Also keine Sorge LaVerne.“ An der Tür schaltete Kolya das Licht aus und kam zum Tisch. Gabriel legte mir das Schmuckstück wieder in die linke Hand. Er berührte mit der Zunge einen seiner Finger, den er dann auf das Amulett legte. Er schien etwas zu sagen, ich konnte es aber nicht verstehen. Von dem Amulett ging schlagartig ein helles, grünes Leuchten aus, als ob man eine Glühbirne in der Hand hält – nur ohne deren Wärme.

Im nächsten Augenblick brannte meine rechte Hand wie Feuer und vor Schreck ließ ich den Anhänger in der anderen Hand fallen. Als er auf dem Boden landete, war das Leuchten verloschen, aber wir alle drei konnten das rote Glühen meines Ringes am Mittelfinger deutlich sehen. Dann verblaßte auch das. Einen Moment standen wir in völliger Finsternis, dann war Kolya an der Tür und machte das Licht an.

Der Schmerz hatte aufgehört, es blieb nur ein leichtes, dumpfes Ziehen. Zu dritt setzten wir uns an den Konferenztisch und ich sah ‚meine’ Herren an. Kolya raffte sich auf. „Das ist alles äußerst merkwürdig. Einem normalen Menschen schadet Weihwasser nicht, schon aber Säure. Wunden sollten nicht verheilen, schon gar nicht mit silbernen Klingen. Das Ergebnis mit dem Amulett und dem Schutzring versteh ich nur zum Teil. Du hast eindeutig magische Energien in dir, sonst hätte es nicht geleuchtet. Grün ist die richtige Farbe für weiße Energien. Aber da ist mehr, sonst hätte dein Ring nicht den Test gestoppt – so was hab ich noch nie gesehen.“ Er seufzte. „Ich muß einige Dinge nachschlagen. Eine Frage, LaVerne, und sei mir nicht böse, falls das indiskret ist. Sind deine Zähne schon einmal gewachsen, ohne daß du mit Gabriel zusammen warst und kannst du deinen Zähnen das Kommando geben, zu erscheinen. Also, kannst du sie beeinflussen?“ Ich fand die Frage ja nicht unbedingt extrem indiskret. Aber ich konnte sie nur teilweise beantworten. „Sie waren bisher nur zwei Mal da, jeweils durch Gabriels äh... Hilfe. Aber ob ich sie locken kann, weiß ich nicht. Ich wüste nicht mal unbedingt wie, ich habe es auch noch nicht einmal probiert.“ Kolya sah zu Gabriel hinüber. „Es wäre gut, wenn wir Blut von ihr bekommen könnten, während die Zähne da sind. Kannst du das Blut abnehmen, wir sollten die Laborantin nicht damit irritieren und ich muß dringend in deine Bibliothek, außerdem – äh – also, ach – ich muß halt los!“ Er wartete nur, bis Gabriel nickte. Zusammen gingen sie los, einer, um zurück zu fahren, einer um eine zweite Spritze zu holen. Ich saß im Konferenzzimmer und starrte auf die Utensilien. Das Amulett würde ich nicht anfassen. Aber das, was die zwei rausgefunden hatten, schien ihnen nicht extrem zu gefallen. Trotzdem war meine Angst der ersten Tage verschwunden. Ich teilte die Sorgen mit Leuten, die Rat wußten – hoffentlich – und ich fühlte mich normal und in guter Gesellschaft. Was konnte groß passieren.

Gabriel kehrte zurück und legte eine weitere Nadel auf den Tisch. Ich schaute ihn ein wenig hilflos an. „Kannst du mir einen Rat geben, wie ich das jetzt versuchen soll?“ er setzte sich neben mich und drehte mich, bis ich ihm in die dunklen Augen sah. Sofort war ein Teil des Gehirns – war es wirklich das Gehirn? – wieder mit anderen Dingen beschäftigt. Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagte: „Schließ die Augen, meine Rose. Ich kann dich nicht hypnotisieren, aber ich weiß, wann ich deine Zähne gesehen habe. Dorthin mußt du in deinen Gedanken gehen. Denk an den Moment, als du spürtest, wie sie länger wurden. Erinnere dich an das Gefühl, das du zu der Zeit hattest…“

Er sprach noch weiter, aber er war weit weg. Seine Stimme war leise und zärtlich und eine Hand ruhte auf meinem Nacken. Ich versuchte, die Bedeutung seiner Worte in meinen Geist zu lassen. Vor meinen geschlossenen Augen sah ich Gabriels Zimmer, das Bett, er dicht über mir mit seinen Händen auf meinem Körper. Ich spürte meinen Herzschlag schneller werden, seine Wärme und dieses Kribbeln, das vom Magen auszugehen schien. Ich versuchte, schneller zu atmen, jede Berührung noch einmal deutlich zu spüren. Die Erregung neu entflammen zu lassen. Und dann spürte ich die Zähne wachsen. Ich öffnete die Augen. Gabriel hatte noch immer eine Hand in meinem Nacken, mit der anderen hatte er die Nadel in den Arm gestochen – ich hatte es nicht einmal gespürt. Schnell war er fertig, beugte sich zu mir und küßte mich. „Du bist erstaunlich. Andere brauchen Jahre für diese Übung.“ Ich schloß die Augen wieder, genoß einen Augenblick seine Lippen, dann ließ ich die Erinnerung ganz langsam aus meinem Kopf weichen.

Als ich wieder normal atmete öffnete ich die Augen und fand mich in den Tiefen von Gabriels Blick. Und die Zähne waren wieder fort. Ich fühlte mich furchtbar erschöpft. Er strich noch einmal über mein Gesicht. „Es ist schön zu wissen, daß ich bei diesem ‚Experiment’ in deinem Kopf eine Rolle spielen durfte. Andererseits hätte ich auch gerne geholfen, hätte es nicht funktioniert.“ Damit stand er auf und zog mich mit sich. „Ich werde auf dieses Angebot zurück kommen, Gabriel“, grinste ich ihn frech an. „So ist es beschlossen, laß uns noch einmal das Feuer der Hölle durchschreiten, Rose.“ Obwohl er lächelte, klangen seine Worte ernst. War ich tatsächlich in ein Höllenfeuer geraten – und hatte mich schon verbrannt? Nun ja, war es so, sollte es sich wenigstens lohnen, wenn, dann richtig.

Wir lieferten die zweite Probe im Labor ab, fuhren nach oben zurück und trafen auf einen von Gabriels Männern, den Kolya mit dem Wagen zurück geschickt hatte. Es war schon fast wieder Freitag morgen, als ich endlich auf dem Weg zurück in die Stadt war. Todmüde und mit der Zusage ‚gestraft’, am Samstag wieder zu Gabriel zu kommen.

Aber Freitag war ausschlafen und Nichtstun und etwas ausruhen angesagt. Samstag würden die Ergebnisse kommen und ich mußte überlegen, wo ich die kommenden Feiertage, Mittwoch war Heiligabend, verbringen wollte. Auch das noch. Aber immerhin genoß ich einen ereignislosen Freitag, frei von störenden Gedanken und Überlegungen. Das stand Samstag auf dem Terminplan.

Als ich Samstag aufs Land fuhr, wußte ich noch immer nicht, was ich Weihnachten tun wollte – und würde. Vielleicht würden die Ergebnisse mir einen Rat geben, oder das weitere Vorgehen von Gabriel und Kolya.

Ich kam gegen 16 Uhr an – erheblich später als geplant, denn es hatte leicht angefangen zu schneien und alle wollten wohl die Weihnachtswoche auf dem Lande verbringen. Ich ging direkt in den gesperrten Flügel und fand die drei Herren in einer Diskussion: Braucht LaVerne einen Hund, wenn sie nicht bei Gabriel im Haus ist? Die hatten Sorgen – außerdem wurde ich gar nicht gefragt. Jedenfalls wurde beschlossen, daß ich im nächsten Jahr einen großen Hund bekommen mußte. Meine Zustimmung war dabei nicht notwendig. Immerhin waren sie so gnädig, mir eine Meinung – wenn auch keine Stimme – zuzubilligen. Aber ich war eh einverstanden. Hiems hatte mich schon auf diese Idee gebracht.

Dann erzählte Gabriel, daß er auch einige Tiere habe. Dieses Mal war sogar John überrascht. Davon hatten wir noch nichts gesehen. „Nun, sie sind draußen, in den Ställen. Ich habe natürlich Pferde, einige Wachhunde, aber ich meine die Raben. Mittlerweile sind es sieben Stück. Alle sind zahm, sehr klug und fast jedes Jahr haben wir Nachwuchs. Ist doch klar, daß ich Namensvettern hier habe, oder?“ War uns nicht klar und wir bestanden auf einer umgehenden Besichtigung. Also stapften wir dick eingemummelt durch den wachsenden Schnee zum Wirtschaftshaus. Ein Großteil war von einer riesigen Voliere belegt, komplett mit Bäumen und Sträuchern. Und darin waren wundervolle Raben, riesige, pechschwarze glänzende Gestalten. Gabriel ging alleine hinein und einer der Vögel landete sofort auf seinem ausgestreckten Arm Er kam an den Zaun zurück. Das Tier war gewaltig und starte uns mit klugen Augen an.

 „Darf ich vorstellen, das ist Royce, mein spezieller Freund und am längsten bei mir. Royce, das sind LaVerne und John. Sag hallo!“ Und mit krächzender Stimme aber deutlich antwortete das prachtvolle Tier: „Salve!“ Ich trat so nah heran, wie es ging und sagte leise: „Halle Royce, es freut mich, dich kennen zu lernen.“ Ich bekam keine direkte Antwort, aber das Tier schlug mit enormen Schwingen und rückte näher zu den Stäben. Gabriel lächelte: „Ich sagte doch, sie sind klug. Du gefällst ihm, komm rein, dann begrüßt er dich selber.“ Also trat ich vorsichtig durch die Tür. Gabriel hielt mir den Arm hin, ich hob meinen und mit einem eleganten Satz saß Royce direkt vor mir. Aus der Nähe war er eindeutig einschüchternd: noch größer, ein gefährlicher Schnabel, lange Krallen und dazu ein enormes Gewicht. Und die gleichen Augen wie Gabriel. Aber man sollte ja nie Angst zeigen. Ich schaute ihn an. Er schaute zurück. Gabriel trat zu mir, legte aufmunternd den Arm um mich und sagte zu dem Raben: „Salve Rose. Salve Rose. Salve Rose.“ Der wiederholte nach kurzer Überlegung: „Salve `Ose“ Nach einigen weiteren Versuchen – das Tier wurde immer schwerer – klang das hervorragend. Ich grüßte also noch mal. „Salve Royce.“ Und dieses Mal: „Salve Rose.“ Und er nickte sich selber Lob zu. Gabriel schubste mich. „Los, kraul ihn als Belohnung.“ Er war so seidig, wie er aussah und als Dank legte er begeistert den Kopf zur Seite. Nach einiger Zeit verabschiedeten wir uns schweren Herzens von den Tieren und kehrten ins Haus zum Abendbrot zurück. Beim Abendessen drehte sich die Unterhaltung daher vorwiegend um Tiere.

Später zogen wir um in die Bibliothek und John und Gabriel starteten ein Schachspiel. So konnte ich endlich in Ruhe Kolya zu seinem Haus und seinem Unternehmen befragen. Auf die Frage, warum er nie davon erzählt hatte, meinte er in seiner typischen Art: „Du hast ja nie gefragt. Überhaupt – ich mag Überraschungen.“ So verging ein gemütlicher Abend. Irgendwann gab John entnervt auf und murmelte etwas von unfair weil zu viel Übung. Gespielt beleidigt verabschiedete er sich und verschwand. Kolya wand sich zu mir. „Wir haben die Ergebnisse der Analysen. Wie vermutet ist dein Blut völlig normal und rein menschlich. Aber: das Blut, wo deine Zähne gewachsen waren, ähnelt unserem sehr stark. Es gibt eine komplette Änderung der Zellen zu diesem Zeitpunkt. Der Schluß, den ich ziehe, lautet: dein Blut paßt sich – vorerst unbewußt – an die jeweilige Notwendigkeit an. Normalerweise rein menschliches Blut, eine Verletzung führt zu einer Änderung, ebenso eine Bedrohung und starke Emotionen, das ist ja wie bei uns, daß Emotionen die Veränderung erst auslösen. Welche Auswirkungen das aber auf dich und deine Umwelt hat, ist völlig unklar. Ach, ich vergaß eine Kleinigkeit.“ Er machte eine künstlerische Pause. Ich kannte ja mittlerweile diese Kleinigkeiten, es mußte wichtig sein. Und sein Blick ließ nicht erkennen, ob es gut oder schlecht war.

„Ich fürchte, du wirst dich mit der Tatsache abfinden müssen, daß die Zellalterung stark reduziert ist. Also wirst du vermutlich nicht 800 Jahre, aber 500 sind durchaus drin, aber das ist nur ein Schätzwert, eine genauere Alterungsrate kann erst mit mehreren Tests ermittelt werden.“

Wie war das mit dem Feuer und der Hölle? Gerade waren die Flammen über mir zusammen geschlagen. Ohne Warnung, ohne Notausgang. Gabriel schien es schon gewußt zu haben, denn er stand schweigend hinter Kolya und schaute mich mit diesem undefinierbaren Blick an – oder in mich hinein.

Die letzten Sätze von Kolya waren die entscheidenden gewesen, diese Kleinigkeit halt. Nur, wie sollte ich mich jetzt fühlen. Etwas hilfesuchend sah ich Gabriel an aber sein Ausdruck blieb unverändert, ein steinerner Blick. Er war keine Hilfe, obwohl sie jetzt angebracht wäre. Auch Kolya sagte nichts sondern wartete nur – worauf spekulierten die zwei? Was war die richtige Reaktion. Ach Quatsch – was war meine Reaktion?

„Das, äh, ist heftig. Ich muß darüber nachdenken. Was das bedeutet. Erwartet von mir keinen Jubel, aber auch keine Panik. Noch nicht. Laßt mir etwas Zeit.“ Jetzt endlich lächelte der Rabe. „Das ist es, was wir hören wollten, schwarze Rose. Wir waren wirklich besorgt, als wir die Ergebnisse erfuhren. Aber du hast mehr Kraft und Weisheit in dir, als du denkst. Und du hast uns. Jetzt und immer.“ Kolya lächelte nur und nickte vehement. Ich beschloß, diesen Gedanken an 500 Jahre erst einmal auf Eis zu legen. Vielleicht für 50 Jahre. Jetzt mußte ich auch fast grinsen.

„Trotzdem werden wir den ‚Rat der Alten’ aufsuchen. Schon alleine, um herauszufinden, was passiert, wenn du einen von der Oscuro oder der Nadiesda Thurus oder einen Unschuldigen mit deinen Zähnen verletzt oder dich jemand der Oscuro beißt. Wir wissen es nicht, den Didelphis können wir nicht einfach fragen und ausprobieren ist sicher nicht die beste Methode. Also werden wir Sonntag Abend den Rat einberufen. Dazu werden wir dir morgen mehr erklären.“

Kolya stand auf. „Ich muß heute in mein Haus zurück. Die letzten Gäste vor den Feiertagen werden heute abreisen. Gut, daß es nicht so weit ist.“ Mit einer ordentlichen – aber fast erträglichen – Umarmung verabschiedete er sich und ließ mich mit Gabriel alleine. „Du kannst bei dem Wetter nicht zurück fahren, außerdem ist morgen die Versammlung und wir müssen dich vorbereiten. Du bleibst hier.“ Ich hatte keinerlei Absicht, dem zu widersprechen, außerdem wollte ich nicht alleine sein – das würde dazu führen, daß ich anfing zu denken. Gabriel nahm meine Hand und zog mich in seinen Raum. Direkt hinter der Tür lauerte er mir wieder auf.

„Ich glaube, du schuldest mir ein Experiment.“ Ich antwortete dieses mal ernst: „Nun, in der Hölle bin ich jetzt, nun will ich auch das Feuer spüren.“ Sein Kuß sorgte dafür, daß diese Flamme schneller loderte, als ein Streichholz zu brennen beginnt. Wir waren sehr zärtlich, ließen uns viel Zeit und genossen die Augenblicke ohne Gedanken an morgen oder gestern. Und immer wieder erstaunte es mich, wie sein Körper und sein Geist mich so in seinen Bann ziehen konnten, ich die Dunkelheit um mich für seine Schwärze vergaß und wie auch ich ihn verzaubern und bannen konnte. Das war echte Magie.

Am Sonntag Nachmittag nahm ich Gabriel an einem unbeobachteten Moment zur Seite. „Zuerst wollte ich ja nicht, daß John etwas davon hört, bevor ihr es wißt und damit er sich keine Gedanken macht. Aber warum darf er auch jetzt noch nichts von der Sache erfahren, warum geht alles weiterhin so heimlich ab, ich dachte ihr seid eine Blutsgemeinschaft, die einander vertraut und hilft.“ Gabriel schaute zur anderen Seite des Zimmers, wo John und Kolya saßen. „Wir sind wirklich eine Gemeinschaft. Wir achten einander, aber trotzdem gibt es unterschiedliche Ziele in der Gruppe, erinnere dich, was wir über Cudro erzählt haben. Und wir erwähnten den weißen Drachen, Dezmont Darian, ein sehr einflußreiches Mitglied mit eigenen Zielen. Ein mächtiger Mann, der seine speziellen Vorstellungen von vielen Dingen hat. Wir können nicht absehen, welche Auswirkungen dein Zustand, allein deine Existenz, auf manche Mitglieder haben könnte. Wir werden keine schlafenden Hunde wecken, solange es geht, das ist vorwiegend zu deinem Schutz. Und wer nichts weiß, kann auch nichts ausplaudern.

Aber ich stimme dir zu, wir sollten John einweihen – vorausgesetzt, du bist jetzt einverstanden. Denn auf Dauer wird er sich auch über die Heimlichkeiten Gedanken machen – und immerhin leben wir hier momentan alle zusammen.“ Ich nickte. „Außerdem ist er Polizist, er kennt sich mit Geheimhaltung aus. Ich finde, er sollte es wissen.“ Also gingen wir zu den beiden anderen zurück. Kurz beriet sich Gabriel mit Kolya. Der kam zu mir: „Komm Kleines, der Rabe spricht mit John, in der Zeit werde ich dir etwas über den ‚Rat der Alten’ erzählen und dich ein wenig unterweisen.“ Wir zogen uns ins Musikzimmer zurück.

„Wie gesagt, es sind drei sehr alte Mitglieder der Oscuro, wobei unwichtig ist, ob sie so geboren wurden oder gewandelt wurden. Momentan sind es zwei Männer und eine Frau. Wir haben ihnen eine Nachricht zukommen lassen, daß wir um Mitternacht um eine Sitzung bitten. Wir werden zu ihnen fahren, was das Wetter auch immer dagegen hat. Man läßt den Rat nicht warten, schon gar nicht ausfallen. Die Leute müssen mit Respekt aber nicht mit Furcht behandelt werden. Sie können mehr sehen, wissen mehr als viele andere. Also richte dich auf eventuelle Fragen ein, die präzise aber auch seltsam sein können. Und antworte unbedingt ehrlich. Der Rat der Alten soll Wissen liefern, wenn wir ratlos sind. Außerdem stiftet er Frieden bei Meinungsverschiedenheiten oder bestimmt über Strafe und deren Ausführung – wenn es denn notwendig ist. Manchmal haben sie auch Einfluß auf die Auswahl derjenigen, die neu aufgenommen werden sollen. Wie ich sagte, begegne ihnen mit Respekt. Sie werden dir das gleiche erweisen. Allerdings mußt du dich zu Beginn auf harte Worte oder Zorn – allerdings in unsere Richtung – gefaßt machen. Noch nie hat ein Nicht-Mitglied der Oscuro vor dem Rat gestanden. Da aber dein Status ungeklärt ist, hast du das Recht. Also mach dir nichts draus, bleib einfach ruhig und selbstsicher – und noch etwas: sprich nur, wenn man dich direkt fragt.“

Damit waren Kolyas Erläuterungen abgeschlossen. Ich sah dem Abend mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich mußte an Lord Rodenbys eindringliche Befragung denken. Aber ich würde es schon überstehen. Scheinbar waren sie ja klug, also sollten sie doch die Fragen beantworten. Kolya ging hinter mir her, als wir zu John und Gabriel zurück kehrten. „Du machst das schon, Kleine. Keine Sorge, wir sind ja auch noch da.“ Als wir eintraten, standen die beiden Männer am Kamin. Gabriel lächelte leise aber John kam auf uns zu. Ohne Worte nahm er mich in den Arm. Nach einer Weile ließ er los, schob mich zurück und die blauen Augen suchten meine. „Ach, LaVerne! Es tut mir so leid, ich glaube, ich habe Mist gebaut. Was hab ich nur gemacht!“

Ich zog ihn wieder dicht an mich. Seine Stimme schnitt mir ins Herz. „Ach John, es ist doch nicht deine Schuld. Wir wußten es nicht besser und ich ordne das unter ‚Schicksal’ ein. Es sollte so sein und so furchtbar ist alles auch nicht – siehe dich.“ Er ließ mich nicht los. Meine Worte schienen ihn nicht zu trösten: „Trotzdem, ich hab dein Leben ruiniert.“ Jetzt wurde ich lauter: „Nein! Hast du nicht. Hör auf mit dem Quatsch. Vielleicht ist das Unvermeidliche nur etwas früher eingetreten und so werdet ihr mich eben nicht mehr so schnell los.“ Er wirkte noch immer unglücklich aber immerhin lockte ich so ein leichtes Lächeln hervor. Gabriel trat zu uns, legte jedem von uns einen Arm um die Schulter. Er wartete, bis wir ihn beide anschauten: „Wir sind durch Blut miteinander verbunden. Wir sind eine Gemeinschaft, die zusammen alles schafft. Mehr als Freunde.“ Er drückte uns beide und ging dann zu Kolya. „Langsam müssen wir uns fertig machen, ich weiß nicht, wie lange wir fahren und wir dürfen nicht zu spät kommen.“

Wir trennten uns und jeder ging in seinen Raum, um sich passend umzuziehen. Schwarz war wohl obligatorisch, weitere Vorschriften hatte man mir nicht mitgeteilt. Gegen zehn Uhr trafen wir uns in der Bibliothek. Nach kurzer Diskussion wurde beschlossen, daß John auch mitkommen sollte. Also warteten wir, bis er im schwarzen Anzug zurück kam. Kolya fuhr die Limousine langsam durch den mittlerweile heftigen Schnee. Momente lang blitzten Erinnerungen an eine andere Fahrt in mir auf, unter ähnlichen schwierigen Wetterbedingungen. Aber das verging. Es ging zurück in Richtung Stadt und in einer unscheinbaren Vorortsiedlung hielten wir vor einem Antiquitätengeschäft. Es war viertel vor zwölf, als wir durch den Seiteneingang das Haus betraten. Durch einen dunklen Korridor gingen wir in einen Kellerabgang. Hier standen in Nischen Öllampen, Elektrizität war nirgends zu sehen. Er war kühl aber nicht kalt und roch nach Stein, Alter und Geheimnissen.

Die Stufen mündeten in einen großen Raum. In der Mitte stand ein großer Holztisch mit acht Stühlen, drei an jeder Seite, zwei an den Kopfenden. An der rechten Seite waren einige höhere Sideboards gruppiert, auf denen verschiedene antike Gegenstände standen und lagen: eine alte Uhr, Porzellan, Puppen und Apothekerflaschen. Der Weg geradeaus war mit einem roten Vorhang verdeckt, links gab es zwei Türen und weitere Schränke. Der Raum war menschenleer aber es brannten auch hier Öllampen. John und ich wurden aufgefordert, bei der Treppe zu bleiben. Gabriel und Kolya setzten sich auf die Stühle, mit Blick auf den Vorhang. Wortlos warteten sie.

Unvermittelt bewegte sich der Vorhang und zwei Personen traten in den Raum. Es handelte sich um einen kleinen, gebeugten Mann und eine sehr schlanke Frau mit schneeweißen Haaren. Beide waren offensichtlich alt, wobei die Frau wesentlich agiler wirkte. Beide trugen schwarze, lange Roben.

Wortlos setzten sie sich Kolya und Gabriel gegenüber. Der Mann hatte einen unsteten Blick, der ständig zwischen seinen Gegenübern und uns an der Treppe hin- und her streifte. Die Frau zog als einzige Reaktion auf unsere – meine – Anwesenheit die Augenbrauen hoch und wand sich dann mit einem erwartungsvollen Lächeln an Gabriel. Bevor der aber noch etwas sagen konnte, quäkte der Mann mit brüchiger Stimme los: „Die Frau ist hier nicht willkommen. Wir können solche Respektlosigkeit nicht tolerieren. Sie muß gehen – sofort.“ Die weißhaarige Frau legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. „Gabriel und Kolya kennen unsere Regeln genauso gut wie wir. Sie werden einen Grund für ihre Handlung haben. Geben wir ihnen Gelegenheit, uns diesen darzulegen. Sprecht, Gabriel de Suvroc oder Kolya Ovibos.“ Oh, Kolya hatte auch einen vollständigen Namen. Und er hatte Recht gehabt, meine Anwesenheit war wohl doch sehr ungewöhnlich. Die ruhige, bestimmte Art der Frau gefiel mir, der Mann war mir rechtschaffend unsympathisch. Aber hatte Kolya nicht gesagt, der Rat bestände aus drei Personen, es fehlte also der zweite Mann. Doch dann sprach Gabriel.

„Ihr habt Recht, Scura Seraphina. Diese Frau ist der Grund für unsere Bitte um den Deliberatio Aetas – den Rat der Alten. Scuro Paridus, ihr werdet sehen, sie hat durchaus das Recht, hier vor euch zu sprechen. Doch ich werde zuerst berichten.“

Dann erzählte er in Kurzform die Begebenheit in der Höhle, eigentlich nur eine Erklärung, wie ich in den Schlamassel geraten war. Danach erzählte er – wieder kurz aber wahrheitsgetreu – von meinen seltsamen Veränderungen. Die Frau nickte einige Male aufmerksam, der Mann starrte zwischen mir und seinen Gegenübern hin und zurück. Als Gabriel geendet hatte, schaute mich die Frau einen Augenblick lang schweigend an. Dann zog sich ihr Gesicht zu einem Lächeln, das auf die Schönheit deutete, die sie einmal gewesen sein mußte. Sie sprach mich direkt an: „Kommen sie zu uns an den Tisch, LaVerne.“ Gehorsam folgte ich, schon, weil ich bald nicht mehr stehen konnte. Sie deutete auf den Stuhl am Kopfende, direkt neben ihr.

 „Setzen sie sich.“ Obgleich es eine Aufforderung war, klang es eher wie ein Vorschlag. „Mein Name ist Seraphina, Scura ist mein Titel als Mitglied des Rates – abgeleitet von Oscuro übrigens. Ich glaube kaum, daß Gabriel und Kolya sie über alle Regeln innerhalb der Gemeinschaft unterrichtet haben. Dafür war kaum Zeit und manchmal lassen die gerne einige Dinge ungesagt.“ Sie grinste schelmisch und wirkte auf einmal fast wieder jugendlich. „Aber wir werden uns ihres Falles annehmen. Sagen sie, möchten sie den Berichten von Gabriel noch etwas hinzufügen, hat er irgendwas vergessen oder ist ihnen noch etwas eingefallen?“ Sie schaute mich auffordern an. Zumindest hatte ich verstanden, daß diese Leute mit Titeln angesprochen werden mußten. Ich überlegte einen kleinen Moment, dann, „Nein, Scura Seraphina. Alles Wichtige wurde erwähnt.“ Sie nickte und lächelte noch etwas mehr. „Nun gut. Auch wir werden einige Tests machen – wenn auch andere – und dann werden wir weiter sehen.“ Dieses ‚weiter sehen’ hatte ich jetzt doch schon recht oft gehört. Aber was konnte ich tun, also nickte ich ergeben. Sie stand auf. „Ich werde mit LaVerne Scuro Tejat aufsuchen. Sie warten bitte kurz hier. Kolya, würden sie wohl Getränke für alle verteilen?“ Sie deutete auf einen der Schränke. Dann griff sie mit viel Kraft nach meinem Arm und schob mich in Richtung Vorhang. Dahinter befand sich ein weiterer Raum mit Sitzgelegenheit und Sideboard, aber ohne Beleuchtung. Es war fast vollständig dunkel hier – oder war es völlig dunkel? Es war egal.

In einem der Sessel saß ein Mann. Er war sehr dünn, fast schon ein lebendes Skelett, nur einige Haare krallten sich an den nackten Schädel. Als er aufstand, war er fast so groß wie Kolya – aber nur Knochen. Und er war eindeutig blind, denn in seinen Augenhöhlen war nur weiß. Er reichte mir die Hand und lächelte erschreckend zielsicher in mein Gesicht. Als ich sie nahm, fühlte es sich an, als würde ich eine vertrocknete Pflanze berühren – aber ich zuckte nicht zurück. „Es freut mich, ihre Bekanntschaft zu machen, LaVerne. Ich verlasse diesen Raum nicht so gerne, doch ich habe die Unterhaltung verfolgt. Und obwohl ich blind bin, sehe ich mehr, als mancher Mensch mit zwei gesunden Augen. Aber dazu später mehr. Ich bin übrigens Scuro Tejat, das älteste Mitglied dieser illusteren Gruppe. Und ich denke, Seraphina hier ist schon ganz ungeduldig, daß sie endlich anfangen kann.“ Er hatte eine leise, sehr ruhige Stimme in der die ganze Zeit ein feines Lächeln mitschwang.

In der Zwischenzeit hatte Seraphina von dem Schrank einige Gegenstände genommen und auf den kleinen Tisch neben den Stühlen gelegt. Wir setzten uns alle drei und sie griff nach einer Nadel. „Natürlich hat auch mein Test mit Blut zu tun. Aber keine Sorge, es wird nicht schlimm – ach das haben sie sicher jetzt schon öfters zu hören bekommen…“ sie nahm meine rechte Hand und stach schwungvoll in den Daumen. Sofort kam Blut. Sie nahm eine kleine Phiole, drückte einen Tropfen hinein, gab eine Flüssigkeit dazu. Dann nahm sie mit dem kleinen Finger einige Tropfen davon und schmeckte sie mit ihrer Zunge. Offensichtlich war sie zufrieden, denn sie forderte mich auf, die Wunde zu schließen. Kein Problem, mittlerweile war ich ja Experte auf dem Gebiet, kleinere Wunder zu vollbringen. Wieder nickte sie.

Dann reichte sie mir ein kleines Buch. Auf dem ledernen Einband prangte ein Kreis mit einer unterbrochenen Linie im unteren Teil – dem Oscuro-Emblem. „Bitte öffnen sie es.“ Ich tat, wie befohlen. Auf jeder Seite standen kurze Texte, jeweils nur drei bis zehn Zeilen pro Blatt, mit roter Tinte und schwungvoll geschrieben. Die Buchstaben waren korrekt und schienen auch Worte zu formen, die aber entweder einer fremden Sprache angehörten oder in meinem Kopf keinen Sinn machen wollten. Ich schaute sie fragend an. „Noch zwei Seiten weiter, bitte.“ Vier Zeilen standen dort, sie begannen mit: „Gest leh durnate hubist kalam…“ „Vor sich sehen sie eine alte Zauberformel. Diese ist harmlos und wird eine Schlange auf dem Tisch im Nebenzimmer erzeugen. Bitte lesen sie vor.“ Obgleich die Worte keinen Sinn machten, ließen sie sich leicht aussprechen und folgten einer Art von Rhythmus. Als ich das letzte Wort las, passierten zwei Dinge gleichzeitig. Aus dem Nachbarraum ertönte ein lauter Fluch – Kolya – und mir wurde schlagartig schwindelig. Nach ein paar Sekunden hörte das Zimmer auf, um mich zu kreisen aber es blieben ein leichter Kopfschmerz und etwas Desorientierung. Sanft nahm der blinde Mann meine Hand. Sofort ging es besser.

Seraphina nahm das Buch zurück und reichte mir ein Glas. „Und jetzt, zum Schluß, etwas, um ihren Körper zu testen. Normalerweise brauchen wir solche Untersuchungen nicht, jemand der umgewandelt ist, ist deutlich erkennbar. Aber wir sind vorbereitet, seit Didelphis Nathaniel hier war. Trinken sie!“ Nun, sie hatte ja oft genug versichert, daß mir keine Gefahr drohte, aber über diesen seltsamen ‚Delphin’ mußte ich Kolya oder Gabriel noch mal befragen. Ich trank die klare und geschmacklose Flüssigkeit und wartete. Es passierte absolut gar nichts. Seraphina sah mich an, Tejat ungefähr in meine Richtung. Ich schaute von einem zu anderen. Nach einiger Zeit erhob Seraphina sich. „Und, Scuro Tejat, was sagt ihr?“ – „Ich war mir schon sicher, als sie eintrat. Sie hat eine starke Aura. Aber anders als wir. Alles weitere sollten wir mit den anderen besprechen, die Tests sprechen für sich selber. Besonders der letzte. Laßt uns gehen.“ Langsam erhob er sich wieder. Ich folgte ihm in den großen Raum, wo die anderen warteten, Seraphina kam als letztes nach. John stand noch immer an der Treppe aber Kolya stand an einem der Sideboards. Darauf lag eine tote Schlange. Er warf uns einen vorwurfsvollen Blick zu. „Beim nächsten Mal könntet ihr uns vor solchen Tricks warnen.“ Seraphina lächelte nur: „Ich wußte doch, daß ihr zurecht kommt. Wir wollten doch nicht, daß ihr euch langweilt.“ Damit setze sie sich auf ihren Platz und deutete wieder auf den Stuhl neben ihr. Ich gehorchte. Gabriel sah mich an und ich mußte unwillkürlich lächeln. Er wirkte fast ein wenig besorgt. Seraphina sprach wieder: „John, setzen sie sich zu uns. Sie gehören zur Gemeinschaft und sind ein Freund. Sie sollten nicht stehen.“ John gehorchte ebenfalls und setzte sich neben Kolya. Seraphina legte das Buch auf den Tisch.

„Also! Ihr Blut ist nicht rein menschlich. Gabriel hat es chemisch getestet, ich auf die alte Art. Sicherheitshalber habe ich es vorher neutralisiert Damit ist klar, daß eine Veränderung statt gefunden hat. Ich habe ihr das magische Buch gegeben. Das Siegel hat sich für sie geöffnet, also muß sie der Oscuro angehören. Nächster Beweis: Nur Mitglieder der Blutsgemeinschaft können die magischen Formen zum Leben erwecken. Ihr habt das Ergebnis gesehen, obgleich die Nachwirkungen etwas stärker sind, als bei uns. Das mag aber auch an ihrer Unerfahrenheit liegen. Und zuletzt das Wasser der Wandlung.“

Bei diesen Worten schaute Gabriel erschrocken zu mir rüber. Er griff nach meiner Hand und hielt sie fest in seiner. Sofort wanderte die Wärme meinen Arm hinauf. Kolya sprach das aus, was ich in Gabriels Augen las: „War das nicht zu gewagt? Das hätte schlimm ausgehen können.“

Sie lächelte Gabriel an, schaute auf unsere verschränkten Hände und schüttelte dann den Kopf. „Zum einen haben wir für Notfälle ein Gegenmittel, zum anderen müssen wir genau wissen, womit wir es zu tun haben und Drittens hat schon mal jemand den Test erfolgreich bestanden. Nathaniel.“

Nun mischte sich auch Tejat mit ein. „Ich blicke tiefer als ihr. Ich sehe, wie ihr Körper das Gift neutralisiert. Ich sehe eine ungewöhnliche Aura. Sie war nie in Gefahr und jetzt wissen wir genug. Sie ist ein Mitglied, weil die Umwandlung vollzogen wurde. Wie das geschehen ist, wißt ihr selber. Doch sie war nicht vollständig. Dazu hat möglicherweise auch ein wenig der Ring beigetragen, aber vor allen eine Besonderheit von LaVerne. Ihr Blut ist in der Lage, sich besonderen Umständen anzupassen, möglicherweise sogar noch tiefgreifend anders, als wir hier ermessen können. Vielleicht ein genetischer Defekt, Vererbung, Schicksal oder Zufall. Das ist vielleicht herauszufinden, vielleicht aber auch nicht. Manches ruht im Dunkel. Jedenfalls stimmt es, Gabriel, nicht ihr habt sie gefunden, sondern LaVerne hat euch gefunden. Schicksal.“

Ich empfand es als äußerst erstaunlich, was die hier für Thesen über mein Blut aufstellten. Was war nur geraten und was davon Wissen? Und was hatte ich da vorhin getrunken, daß Gabriel so besorgt war. Aber ich dachte an seine Worte, nur zu sprechen, wenn ich gefragt wurde. Jetzt endlich äußerte sich auch der Dritte, Scuro Paridus: „Wir werden LaVerne offiziell als Mitglied der Oscuro anerkennen, obgleich sie nicht so ist, wie die anderen Blutsverwandten. Sie wird – zumindest bei Zusammentreffen – einige Probleme haben.“

Seraphina ergänzte: „Ihr könntet euch an Nathaniel wenden, obwohl ich nicht weiß, ob das hilft. Ihr vielleicht. Und im Corvus-Zirkel – und einigen anderen – wird sie ohne Zögern anerkannt werden.“ Sie wand sich direkt an mich. „Leider ist der Prozeß nicht umkehrbar. Sie werden damit leben müssen. Um einen unangenehmen Punkt anzusprechen: Sie werden nicht nur in der Oscuro Probleme haben. Sollten sie beschließen, ihr Leben vorzeitig beenden zu wollen – ein durchaus üblicher Vorgang nach einigen Hunderten von Jahren – werden sie sich um angemessene Methoden Gedanken machen müssen. Es gibt einige Wege, aber nicht alle würden bei Ihnen funktionieren. Doch darüber sollten wir in einigen Jahren sprechen. Wichtig ist es zu erfahren, wie sie mit dem Blut von anderen reagieren – in beide Richtungen. Ich denke, daß Gabriel die technischen und intellektuellen Voraussetzungen in seinen Laboratorien hat, um diese Frage zu klären, wenn nicht, gibt es noch andere Möglichkeiten. Aber auch die spirituelle Seite muß beleuchtet werden. Es wird sicherlich einige Zeit und noch etwas Blut brauchen, aber so sollte es herausgefunden werden können, ohne dabei Versuche am lebenden Objekt durchzuführen.“ Dabei warf sie Gabriel Textfeld: einen vielsagenden Blick zu. Der hielt noch immer meine Hand und schickte mir damit Zuversicht und Kraft.

„Ihr habt klug gehandelt, diese Sache unter euch zu halten. So soll es bleiben. Einige könnten auf den Gedanken kommen, daß ihr Blut vielleicht besondere Fähigkeiten aufweist, die sie nutzen können. Also wird diese Unterhaltung geheim bleiben. Wir werden unauffällig Erkundigungen einziehen und ihr solltet bald mit den Tests beginnen.“

Damit schien die Audienz so gut wie vorüber. Die drei erhoben sich und wir folgen dem Beispiel. Scuro Tejat trat wieder auf mich zu und starrte mich mit den leeren Augen an: „Willkommen in der Gemeinschaft des Blutes.“ Er hob die Hand und legte einen Moment den Mittelfinger der rechten Hand auf meine Stirn. Dann lächelte er, verneigte sich leicht und trat zu Gabriel. Der kleine Greis nickte nur und verschwand wortlos hinter dem Vorhang.

Seraphina sah ihm kurz mit gerunzelter Stirn nach und drehte sich dann zu mir: „Auch ich grüße Euch, Schwester. Schade, daß die Umwandlung nicht nach dem Kodex vollzogen wurde aber es sollte wohl nicht sein und hätte das Ergebnis auch vermutlich nicht verändert. Wir können nicht mal Gabriel einen Vorwurf machen. Also erfreut euch an eurem neuen Leben. Wir werden uns sicher wieder sehen.“ Mit einer leichten Verbeugung, die ich erwiderte, zog sie sich ebenfalls zurück. Scuro Tejat sprach noch leise mit Gabriel. Kolya winkte uns und wir gingen zu dritt die Stufen zur Hintertür hinauf. Draußen war es richtig kalt geworden und der Schnee hatte die Straßendienste besiegt für diese Nacht. Nach zehn Minuten tauchte Gabriel auf und wortlos fuhren wir in sein Haus zurück.

 

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