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Der Wilde Mann

Riese von Reiden auf der ersten Bildtafel der Kapellbrücke in Luzern



Laut Lexikon sind Wilde Männer "tierhaft behaarte Waldmenschen, Schrate, Vegetationsdämonen"; seit dem Mittelalter findet man sie dargestellt auf Bildteppichen, in der Buchmalerei, auf Wappen und Münzen.Bis heute nennen ländliche Gasthöfe sich gern "Zum wilden Mann".

4 Mariengroschen Braunschweig 1779


In eben einem solchen steigt in der Schweiz ein distinguierter, graumelierter Herr ab- Herr von Salzgitter aus Peine (eine Lesung verschlug Zschokke in die Kleinstadt bei Braunschweig; der Name blieb ihm unvergeßlich und erschien ihm verewigenswert): "Für die Moosbewohner war es eine Nacht wie jede; düster, dumpf und grauenvoll- wo das Grauen Morgengrauen ist. Der Wind riss die Ziegel von den Dächern und erschlug damit die Katzen und die Knechte. Die Gäste betrachteten stumpf das Sterben in Abessinien -hin und wieder fiel eine Bemerkung über das Wetter-, der Grund für die Leichen war das Ausland. Da ging die Tür auf, der Herr von Salzgitter trat ein, zog den Mantel aus- und stand damit ratlos im Raum; er war Diener gewohnt." (Zschokke)

Der Regisseur am Tatort


Herr von Salzgitter hat schon einmal bessere Tage gesehen: "Einer, der sich Deutschland nicht mehr leisten konnte; den es niedergezwungen hatte in den Schmutz, wo er nun kroch, mit Marmor im Kopf. Zu Fall gebracht von einem schlechtparfümierten Gegner; einem mitteldeutschen Kastraten, von dem es sich nicht lohnt, besondere Merkmale zu erwähnen; vom Schicksal." (Zschokke)


Herr von Salzgitter ist "Galanteriewarenhändler"-Vertreter für Kondomautomaten und Zubehör. Der Gast im "Wilden Mann" erlebt eine furchtbare Alptraumnacht. Er findet keinen Schlaf in dieser Nacht ("...wie da ein Deutscher in der Schweiz eine Nacht lang nicht schlafen kann- ein Hochgenuss! [Wir können andere nicht leiden; sie erinnern uns so fatal an uns selbst.]" [Zschokke]): immerzu dringen Leute in sein Zimmer ein, die Serviererin bietet sich ihm an, unten probt die dörfliche Blaskapelle, und ein schöner Jüngling sorgt für eine Verwirrung der Gefühle. Er ist "Projektionist", Filmvorführer, denn in der Herberge gibt es ein "Cino", in dem bedeutungsschwere und erbarmungslos dilettantische Filme, auf dem Dachboden selbstgedreht, gezeigt werden (eine authentische Erfahrung Zschokkes in seinem Heimatdorf Ins [das -nebenbei- übrigens Modell war für Dürrenmatts Güllen im Besuch der alten Dame]).

Herr von Salzgitter warnt den Jungen, er möge sich in acht nehmen: "Sonst überwältigt Sie mal der Abendwind, so wie Sie ausschauen. Der Abendwind liebt schöne Jünglinge. Wissen Sie das nicht?" Die stupide Antwort lautet: "So einen Wind gibt's nicht bei uns." Am Morgen ist der Fremde tot, auch wenn Venedig nicht in der Schweiz liegt. Die Bauern rufen zum Viehmarkt. Im Bild: Kühe, Kühe, Kühe.


Der wilde Mann von Paul Klee


Kritiker nannten den Wilden Mann (Berner Filmpreis 1989) des öfteren ein "Kinojuwel", rühmten seinen "hintergründigen Humor" und die literarisch ziselierten Dialoge, die oft ins Surreale hinüberspielen, lobten immer wieder die große schauspielerische Leistung von Dieter Laser, in der Rolle des Protagonisten. Zschokke selbst bezeichnete sein Lichtspiel als "eidgenössischen Aufklärungsfilm" und als "helvetischen Grusel- und Liebesfilm".

Und er fügte noch hinzu: "Der wilde Mann ist eine Torte. ...Die vorliegende Torte ist selbstverständlich eine ohne Boden. Tortenböden sind -mindestens in Nordostdeutschland- etwas vom Niederträchtigsten, was die Bäckerzunft hervorzubringen wagt: schaumstoffartig, saugfähig, nur dazu da, die Bissfestigkeit und saubere Finger zu gewährleisten. Der wilde Mann ist nichts als beste Füllung: feingeschabte, traurig-schöne Schauspieler (-innen) schlendern durch warmes, gebranntes Licht, erzählen auf sämigem Ton Merkwürdigkeiten aneinander vorbei und umschleichen sich dazu in knusprigen, exotischen Geräuschen..."

"Die Torte" wurde im "Kleinen Fernsehspiel/ Zweites Deutsches Fernsehen" am 17. Januar 1989 als Ursendung serviert.

Von April bis Juli 1996 arbeitete Zschokke an seinem dritten Spielfilm, der den merkwürdigen (Un-)Titel Erhöhte Waldbrandgefahr trägt; die Uraufführung fand am 12. August 1996 beim Filmfestival von Locarno statt.



DER WILDE MANN (Orginaltitel), L (Land) Schweiz, J (Jahr) 1988, Komödie, P (Produktionsfirma) Xanadu Film AG, Länge: 70 Minuten, FSK: , Erstaufführung: 17.1.1989 ZDF R (Regie) Matthias Zschokke, B (Drehbuch) Matthias Zschokke, K (Kamera) Adrian Zschokke, D (Darsteller) Heiner Walti, Josef Arnold, Ingrid Kaiser, Beatrice Kessler, Dieter Laser


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