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Der reiche Freund



Es gibt im Werk eines jeden Künstlers (auch der besten) mindestens ein Opus, das artifiziellen Ansprüchen nur unzureichend genügt. Bei Zschokke dürfte dies wohl seine Komödie Der reiche Freund sein. Es wäre unredlich, sie durch Verschweigen auszuklammern (zumal sie Zschokkes bisherige Kunst-Leistung in toto nicht im geringsten beschädigt), aber sie soll hier nur kurz gestreift werden.

Ein erfolg- und mittelloser Architekt erhofft sich einen "Direktorenposten in Caracas" oder wenigstens finanzielle Unterstützung von einem "reichen Freund", der in einem Schloß residiert, mit dem fast stummen Diener Herrmann (die Figur evoziert Erinnerungen an den Filmschauspieler Erich von Stroheim in Sunset Boulevard) und der Dichterin Emilie (einer ältlichen Verwandten der Susanna Serval?), die er sich zur Unterhaltung und als Bewußtseins-Stimulans hält. Der reiche Freund, der feinsinnig Catull und Alkaios liest, ist eine kapitalistische "Charaktermaske", die naturgemäß jede Hilfe verweigert. Trotzdem ist Zschokke das Kunststück gelungen, den "reichen Freund" nicht eindimensonal-blöde gezeichnet zu haben, sondern sehr differenziert in seinen Idiosynkrasien und Defiziten: auch "Kapitalisten" sind Menschen und keine Pappkameraden.



Zuerst flüchtet Rosa, die Gefährtin des Architekten, eine köstlich Naive, aus dem goldenen Käfig, später auch der Bittsteller. Die dramatisierte Zeit des Stückes erstreckt sich über ein ganzes Jahr: es beginnt und endet in einer Silvesternacht. Am Schluß herrscht wieder der Status quo.


Zschokkes Stück wurde von der Kritik fast unisono abgelehnt. In erster Linie krankt es wohl an der mangelhaften Dramaturgie: es ist ein örtlich zerfaserter Pseudo-Fünfakter ohne aristotelische Stringenz (und somit eigentlich ein verkappter szenischer Bilderbogen). Die Figuren erleben keine Entwicklung, sie bleiben unbeeindruckt von dem, was sie miteinander erlebt haben. Und die episch-monologische Textstruktur verhindert dramatische Impulse, torpediert fast alles Theatralische (das -in seinem Wesen- niemals statisch ist; Beckett bildet singulär eine geglückte Ausnahme). Sicher ein ehrenwertes Experiment- auch wenn es anscheinend mißlungen ist.


Anstatt das hinkende Stück mit Energie aufzuladen, inszenierte der Regisseur der Uraufführung (Staatstheater Hannover, 18. März 1995) durch modernistische Mätzchen Zschokkes Reichen Freund in Grund & Boden. Aber vielleicht wird ja doch noch eine künftige Aufführung alle Kritiker beschämen und das Urteil eines versprengten Rezensenten bestätigen: "Ein hübsches, charmantes Lustspiel voll Witz und funkelnder Sprache, heiter und melancholisch zugleich, elegisch und beherzt."


Und in der Tat: mit Aufführungen in der Schweiz, in Lausann, St. Gallen & Genf, gewann Zschokkes Reicher Freund doch noch Freunde. Sechs Inszenierungen insgesamt widerlegen im Grunde die kritischen Einwände.




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Vampiristischer Narzissmus


Von Madeleine Herzog


Es ist leichter zu beweisen, dass ich ich bin als ich zu sein.
Matthias Zschokke


Mit dem auffallenden Hang seiner Figuren zu teils subtilen und teils grotesken Selbstinszenierungen bringt der Schweizer Autor Matthias Zschokke in seiner 1995 uraufgeführten Komödie „Der reiche Freund“ ein ausgesprochen heutiges Lebensgefühl zum Ausdruck. Während Honold in einer Silvesternacht seine Einsamkeit in seinem riesigen, an einem wunderbaren See gelegenen Schloss auskostet, entspricht der in Berlin lebende Architekt der Dramatik des Jahreswechsels und zieht schonungslos Bilanz: Da es ihm wegen dem mangelndem Kunstverständnis seiner Umgebung nicht gelingt, zum Jahrhundertarchitekten zu avancieren, will er sein Leben radikal verändern. Er erinnert sich an seinen reichen Freund Honold und beschliesst augenblicklich, diesen um eine Direktorenstelle in Caracas zu bitten. Noch in der Silvesternacht eröffnet er seiner Geliebten Rosa seinen Plan: Ab sofort werden sie beide ihre Persönlichkeit vollkommen neu entwerfen. In einem intensiven Training werden sie die Lebensweise der obersten Gesellschaftsschicht minutiös einüben, um dann im Sommer Honold in seinem Schloss am See aufzusuchen. Rosa fühlt sich ausserstande, diesen Erwartungen zu entsprechen, aber sie vermag sich gegen ihren wildentschlossenen Freund nicht durchzusetzen. Als die beiden schliesslich bei Honold eintreffen, erwartet sie zuerst ein ausgesprochen unfreundlicher Empfang. Honold präsentiert sich als reine Verkörperung des unberechenbaren Menschenfeindes: Bald beschimpft er die beiden rüde, bald spricht er charmant über seine Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang und bittet sie entwaffnend um Entschuldigung. Während der Architekt alles tut, um sein Ziel –die Direktorenstelle in Caracas- zu erreichen und selbst Honolds Avancen gegenüber Rosa übersieht, spürt Rosa, wie sie beide sich in dieser Umgebung verändern und dabei zusehends sich selbst verlieren.

Freischwebender Selbstgenuss

Die Figuren von Matthias Zschokke zeichnen sich durch ein eigenartig gespaltenes Verhältnis zu sich selbst aus: Sowohl der reiche Freund wie auch Rosa werden zu Beginn in einem seltsam träumerischen Bewusstseinszustand gezeigt: Die Umgebung und die eigene Person werden mit einer reflektierenden Distanz und gleichzeitig einer irritierend geniesserischen Haltung wahrgenommen. Einen scharfen Kontrast zu diesem freischwebenden Selbstgenuss stellt die tatkräftige Energie dar, mit welcher der Architekt seine Karriere und seinen Erfolg anstrebt. Doch auch hier ist eine deutliche Distanz zu sich selber spürbar, welche jede Spontaneität verdrängt und das eigene Ich zu einem kalkulierbaren Objekt verdinglicht: Angesichts seiner Geliebten, welche die Silvesternacht untätig verschläft, steigert sich der Architekt in eine groteske Empörung, die er gezielt dazu benutzt, um sich selbst zu einer Person zu stilisieren, die mutig allen Widrigkeiten des Lebens entgegentritt. Nicht nur der Architekt bezieht seine Energie rücksichtslos aus dem Gegenüber. Auch das Verhalten des reichen Freundes weist durchaus vampiristische Züge auf: Um sich über die Leere und die Langweiligkeit seines Daseins hinweg zu retten, hat er nicht nur „angefangen, sich zu verlieben“, sondern er hält sich auch eine Haus-Dichterin, deren hauptsächliche Funktion darin besteht, ihm Gelegenheit zu bieten, sich zu ärgern. Rosa und die Dichterin Emily finden sich entsprechend in einer Situation wieder, in der selbst ihr Widerstand vereinnahmt und instrumentalisiert wird. Als die beiden Frauen schliesslich die Konsequenzen ziehen und die Männer am Ende des Sommers sich selbst überlassen, treten die Hierarchien und die Machtspiele zwischen Honold, dem Architekten und dem Diener Hermann umso schärfer zutage.


Gigantische Wortkaskaskaden

Bereits die ironischen Überzeichnungen des Vampirismus oder das raffinierte Spiel mit Stereotypen und Klischees -beispielsweise desjenigen der notorisch kritischen Künstlerin- machen deutlich, dass Matthias Zschokke in seiner Komödie Realität abbildet, indem er sie immer wieder ins Groteske zuspitzt. Derselbe Hang zur Überzeichnung kommt auch in der sprachlichen Gestaltung zum Ausdruck: Der Narzissmus der Figuren schlägt sich in wahrhaft gigantischen Wortkaskaden nieder. Dabei zeichnet sich Zschokkes Sprachdramaturgie durch eine ausgesprochene Musikalität aus: Virtuos lässt er zu Beginn gegensätzliche Temperaturen der Figuren und Tempi der Stimmungen und Handlungen aufeinander prallen, um sie im weiteren Verlauf wie musikalische Motive ineinander zu verweben.







"Der reiche Freund" ist eine melancholische Komödie, tieftraurig, zart, ganz von dieser unserer griffigen, ruppigen, auf Schnellimbiß getrimmten Zeit entfernt. Sie liegt quer zu den Moden der Zeit, zu den oberflächlichen Zeitstücken, Katastrophenspektakeln. Dichtigkeit und Dämonie, Leichtigkeit und Wahrhaftigkeit zeichnen die Dialoge aus, wie Walsers Komödientexte sind sie ganz Poesie, auf Rede und Sprache getrimmt, auf Takt und "rhythmischen Genuß": "Wer in die Seltsamkeiten hineingegangen ist, den nehmen sie und führen ihn mit regierenden Händen weiter, reißen ihn fort, lassen ihn nicht wieder los."
KLAUS VÖLKER



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