Site hosted by Angelfire.com: Build your free website today!
Zurück ] Home ] Nach oben ]

Amerika zwischen Traum und Wahnsinn

«American Beauty» - und andere Boten eines neuen US-Kinos

Was für eine Ouverture zum Kinojahr 2000! Mit Pauken und Trompeten schicken die USA eine filmische Cavalleria americana durch die Kinos, die ein internationales Publikum im Sturm einnimmt und wieder einmal aller - berechtigten und unberechtigten - Hollywood-Skepsis die Spitze bricht. Vor allem die Filme von David Lynch, Martin Scorsese und dem Newcomer Sam Mendes ergeben zusammen ein faszinierendes Triptychon von einem Amerika zwischen Mythos und Realität, Traum und Alb, Elegie und Kakophonie.

Die Hoffnung, dass der fulminante Auftakt zum Kinojahr 2000 vielleicht, endlich, einen Aufbruch zu neuen Ufern ankündigt - oder mindestens eine prägnante Abkehr von den endlos geklonten Fliessbandfabrikationen des nach allen Seiten abgesicherten Kommerzdenkens -, bleibt natürlich nicht ohne Einschränkung: Denn die Namen, von denen die Rede ist - David Lynch («The Straight Story»), John Sayles («Limbo»), Jim Jarmusch («Ghost Dog»), Tim Burton («Sleepy Hollow»), Atom Egoyan («Felicia's Journey»), Martin Scorsese («Bringing Out The Dead»), Anthony Minghella («The Talented Mr. Ripley») oder, die vielleicht schönste Überraschung, der Newcomer Sam Mendes («American Beauty»), deren Filme bereits oder bald im Kinoprogramm laufen -, unterstehen nicht eigentlich dem Kommando der amerikanischen Majors, also dem echten Hollywood. Vielmehr stellen sie, Altgediente wie Neue, eine bunt zusammengewürfelte Vorhut von Einzelgängern und Aussenseitern dar, sei es, weil sie seit Jahren unter dem Independent-Label produzieren, sei es, weil sie vom künstlerischen Temperament her unverwechselbare Originale sind, sei es, weil sie, mit oder ohne Pass, sowieso keine «richtigen Amerikaner» sind.

Underdogs und Avantgarde

Aber spätestens seit John Fords mythenbildendem Western «Stagecoach» (mit dem das Zürcher Filmpodium passenderweise das Jahr und, wenn's denn sein soll, das Jahrhundert des Films kürzlich ausgeläutet hat) wissen wir: Gerade die Aussenseiter, die Ausgestossenen und Marginalisierten sind die wahren Amerikaner, die Amerikaner im mythischen Sinn des Wortes, also Frauen, Indianer oder die Völker des südlichen Teils des Kontinents nicht unbedingt eingeschlossen . . . Wenn Hollywood diese historische Underdog- Identifikation eines Einwanderungskontinentes auch seit seinen Anfängen entscheidend mitgeprägt hat und ihr noch immer fleissig zuarbeitet, so ist deren filmische Tradition mittlerweile arg zum Klischee, das Engagement zum Lippenbekenntnis verkommen.

Im heutigen Kino sollen die Aussenseiterinnen und Aussenseiter gefälligst so Mainstream-fähig sein, dass sie zwar diesen uramerikanischen Underdog-Reflex befriedigen, aber gleichzeitig Kasse machen können. So kommt es, dass die Aussenseiter hinter der Kamera zwar wie eh und je die kleine Avantgarde stellen, die das (nicht nur einheimische) Kino weiterentwickelt, ihre Filme aber selten wie nie zuvor den Gleichschritt von künstlerischem und kommerziellem Erfolg schaffen. Das schlagendste Beispiel für dieses seit langem kontinuierliche Auseinanderdriften ist immer noch Woody Allen, dessen Werk ohne seinen kleinen, aber treuen europäischen Markt nach eigenen Aussagen gar nicht existieren würde.

Von den eingangs zitierten Filmemachern haben vielleicht einige die Ausnahme von der Regel erträumt, aber gewiss nicht real erwartet. Am allerwenigsten wohl der unbekannte Sam Mendes, ein Neuling sowohl als Theatermann im Filmbusiness wie als Brite in Hollywood. Mit seinem Début «American Beauty» hat der Aussenseiter nicht nur einen wirklichen «Aussenseiterfilm» geschaffen - dessen Qualität zu Recht die Kritik begeistert -, sondern auch einen, der seit seiner US-Premiere vergangenen September unerwartete Massen ins Kino lockte, seither sein bescheidenes Produktionsbudget von 15 Millionen mehrfach wieder eingespielt hat und mit sieben Golden-Globe-Nominierungen bereits als Oscar- Favorit in zahlreichen Disziplinen gehandelt wird.

So rätselt man nun auch in Europa, warum gerade dieser Film Hitchcocks berühmtes Diktum vom sicheren Misserfolg Lügen straft: Denn «American Beauty» demonstriert eigentlich exakt das Beispiel von jener sprichwörtlichen müden Frau, die den ganzen Tag am Herd steht und, wenn sie abends mal ins Kino kommt, dort nur ja keine müde Frau sehen will, die den ganzen Tag am Herd steht . . . Hitchcocks Frau, das ist in «American Beauty» ein Mann namens Lester Burnham, und natürlich könnte er genausogut Lester Burnout heissen.

Zombies von Suburbia

Lester (Kevin Spacey) ist ein müder, ausgebrannter Mittvierziger, Vertreter einer leeren, im Konsum erstickten Mittelklasse, und seine schwere Midlife-Crisis steht weit über die individuelle Krise hinaus als gewichtiges Zeichen im filmischen Raum. Einem, der gleich in den ersten, traumhaft distanzierten Einstellungen ebenso deutlich wie ambivalent definiert ist: als geographischer und sozialer Raum - von Middle-Class- Suburbia und, ausgeweitet, vom «Westen» schlechthin -, als philosophischer Raum des Lebens und des Todes, als realistischer und als transzendenter Raum. Der Erzähler, der uns mit dem Kameraauge von hoch aus den Wolken herab die hübsche, grüne Vorstadt heranzoomt, sagt als Einführung: «Das ist meine Nachbarschaft. Das ist mein Leben.» Und: «In weniger als einem Jahr werde ich tot sein . . .»

Aber eigentlich ist er, auch das sagt Lester einmal, bereits tot: ein Zombie der schönen neuen Konsumwelt, in welcher Leben Geld verdienen und Geld ausgeben heisst, das Image pflegen und den Rasen vor dem Haus, den Hochglanzlack der Autos und den Rohseidenbezug der Sofas, die Fassaden der Einfamilienhäuser und die Fassade einer harmonischen Familie. Jeder Tag ein hektischer Tanz um die kleinen vergoldeten Kälber der schönen neuen Welt, und jeden Abend die grosse Langeweile am Tisch des Wohlstands, dezent musikberieselt. Oder, fast jeden Abend, das grosse Keifen: können sich doch der depressive Lester, seine manische Frau Carolyn (Annette Benning) und seine sauertöpfische Tochter, Teenager Jane (Thora Birch), gegenseitig kaum mehr ertragen. Zusammen, nebeneinander, präsentieren sie ein Bild der erstickenden Misere, des erstickten Elends. Reihenhaus um Reihenhaus. Endlose Reihen. Und der Film wiederum präsentiert das in jener Form, die das Kino, wenn es Kleinbürgerträume denunzieren will, besonders gern benutzt: der Satire. Was denn sonst als die Satire, für diese bitterböse Illustration des darwinistischen Slogans der neoliberalen Neunziger und der Burnhams dieser Welt: Projiziere unter allen Umständen ein Image des Erfolgs.

Als Satire beginnt denn auch, eher beliebig und ein bisschen irreführend, «American Beauty». Die vordergründige Biederkeit braver Bürger in ihrem geschützten Familienverband und die Pseudo-Entlarvung ihrer hintergründigen dunklen Seite bürgen ja geradezu für billige Gratisangebote in diesem Genre, die niemanden ungebührliche Reflexion kosten - und der Kassenbilanz keine Verluste. Ohnehin im US-Kinoentertainment, wo die Satire normalerweise durch so viele Weichspülgänge ausgelaugt wird, dass ihr garantiert jede Kratzigkeit abhanden kommt. Sam Mendes allerdings besitzt den schonungslosen Blick des Briten, und er bleibt einem schonungslosen Drehbuch nichts schuldig. Auch das stammt von einem Kinodébutanten, von Theater- und Fernsehautor Alan Ball.

Schöner Schein, totes Sein

Doch bevor die Klischees der Komödie sich schenkelklopfend niederlassen dürfen - und wir sie eben leicht unmutig notieren wollen -, ändert, fast unmerklich, die Tonlage, mutieren die Zombies der Lächerlichkeit zu Opfern der Sinnlosigkeit, hinter deren gnadenlos banalen Existenzen sich eine tiefe Trauer versteckt. Das ist der Moment, auch er kaum feststellbar, wo aus Lesters «Das ist mein Leben» ein unausgesprochenes «Das ist euer Leben» wird und aus der üblichen Denunziation der Charaktere eine Identifikation mit ihnen. Lester, der Waschlappen, seine Frau, die Hysterikerin, ihre Tochter, die mundfaule Pubertierende, deren Freundin, das frühreife Früchtchen, ihr Nachbar, der militärische Betonkopf, und sein missratener Sohn, der Drogen-Kleindealer: in Balls überraschendem dramatischem Aufbau und Mendes' raffinierter Inszenierung - mit grossem Gespür für filmisches Timing (und der hinreissenden Kameraarbeit des renommierten Conrad L. Hall) ausbalanciert zwischen Hektik und Ruhe, Chaos und Leere - füllen sich die lächerlichen Archetypen allmählich mit Leben, transzendiert die Satire zur Tragödie, der Slapstick zu den Ahnungen von Todgeweihten.

Die Burnhams und ihre Nachbarn strampeln im Rad wie Hamster. In einem vergoldeten Tretrad, das alle Zeichen jener Schönheit trägt, die den amerikanischen Traum ausmachen. Dessen «American beauty»: Schönheit als Oberfläche, Attraktion als Reiz, Männlichkeit als Muskel, Weiblichkeit als Larve, Sex als Masturbation unter der Dusche, Erotik als Begierde nach einer Minderjährigen (Lester) oder einem Immobilienkönig (Carolyn), Heim als Interior Design, Natur als Swimmingpool-Konzept . . .

Traumhaftes Triptychon

Und wie in David Lynchs frühem morbidem Hyperrealismus lauert auch hinter dem schönen Schein von Sam Mendes' Suburbia, hinter der erstickten Trauer vom ausgehöhlten Sein die Gewalt. Auch diese Zivilisation ist nur eine scheinbare. Hinter der weltweiten Success-Story des amerikanischen, des amerikanisierten Westens wüten Triebe und Gewalt, Brutalität, Sadismus, Kindsmissbrauch. Amerikas Goldene Jahre, Amerikas lichte Dreamtime von Freiheit und Brüderlichkeit, von Güte und Anstand, wie Lynch es zuletzt in «The Straight Story» elegisch heraufbeschwört - als wolle er dem Dunkel seines früheren Werks abschwören: in «American Beauty» endet die Gerade von allen «straight stories» aus Hollywoods Traumfabrik abrupt. Der Film ist, trotz versöhnlichem Schluss, ein verwachsener Albtraum. Das Ende mit seiner schönen Resignation - und hier erhält der Titel eine weitere Interpretation - täuscht niemanden über die unschöne Gegend hinweg, die solche Schönheit zum (Ver-) Blühen bringt.

Demnächst folgt des Triptychons drittes Bild: «Bringing Out the Dead», der Titel von Martin Scorseses neuem Film, könnte auch über «American Beauty» stehen - und umgekehrt. Von Lynchs ländlichem Mittlerem Westen - gesundes Kernland eines vergangenen, erträumten Amerika - über Mendes' hochneurotische Vorstädte führt die filmische Reise mitten ins Herz der Dunkelheit, in den verrotteten Dschungel der Metropole New York. Dort herrscht der ungezügelte Wahnsinn. Oder, im religiösen Blick des Katholiken Scorsese, die reine Hölle, bevölkert von verlorenen Seelen. Und von ein paar - wahre «American beauty» auch hier - sonderbaren Heiligen.

Pia Horlacher

20. Januar 2000 / Neue Zürcher Zeitung, 21. Januar 2000