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ZEICHEN, Ausgabe 7 

Wer war Herbert Gruhl?

(ungekürzte Textfassung mit zusätzlichen Anmerkungen)

In der letzten Ausgabe des Zeichen wurde Herbert Gruhl im Zusammenhang mit der ÖDP genannt, deren Gründung er 1982 maßgeblich initiierte. Das negative Bild, das von dem inzwischen verstorbenen Mann gezeichnet wurde, wird dem Ökophilosophen jedoch nicht ganz gerecht.

Dr. phil. Herbert Gruhl wurde 1921 als Sohn einer Bauernfamilie in Gnaschwitz (Oberlausitz) geboren. Nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung, Krieg und Gefangenschaft studierte er Geschichte, Germanistik und Philosophie an der FU Berlin.

Anschließend war er in Hannover in der Datenverarbeitung tätig und im Wohnort Barsinghausen in der Kommunalpolitik. Von 1969 bis 1980 war er Bundestagsabgeordneter und Umweltsprecher der CDU/CSU-Fraktion. In dieser Zeit war er abweichend vom atompolitischen Konsens einziger Gegner der Atomenergie im Bundestag. 1978 trat er aus der CDU aus und suchte über die Gründung der Grünen Aktion Zukunft (GAZ), der Grünen und der ÖDP nach Veränderung der politischen Verhältnisse. Nach einem mit etwa 90 % der Stimmen verabschiedeten Rechtsabgrenzungsbeschluss auf dem ÖDP-Parteitag 1989 legte er sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat einige Zeit später aus der ÖDP aus.(1)

Nie Hetze gegen Fremde

Rückblickend kann man den Eindruck gewinnen, als wäre Gruhl oder gar die ÖDP vor dem scharfen Rechtsabgrenzungsbeschluß 1989 rechts außen anzusiedeln gewesen. Wer die ÖDP-Programme und die häufig von Gruhl formulierten Positionspapiere aus dieser Zeit kennt, weiß, dass diese Einordnung im Rechts-Links-Schema nicht angebracht ist.

Gruhl schrieb Essays für den Spiegel oder "ökophilosophische" Bücher, wie den Bestseller "Ein Planet wird geplündert" aus dem Jahre 1975. Darin bringt er auch seine Abscheu gegenüber den Naziverbrechen zum Ausdruck. Das jüdische Volk bezeichnet er sogar als Elite.

Vor einigen Jahren besuchte ich eine ÖDP-Wahlkampfveranstaltung mit dem damaligen Bundesvorsitzenden Gruhl als Redner. Er machte mir damals keinen rechten Eindruck.

Trotz allem gab es in einigen Medien (z.B. in "Was lefft", "Die Zeit") Berichte, die die ÖDP in einem Zug mit Rechtsparteien erwähnten (2). Diese offensichtlich falschen Berichte wurden meist, wie im Beispiel eines "Zeit"-Artikels, durch die Redakteure selbst korrigiert [Richtigstellung, Die Zeit vom 24.02.89]. Dennoch blieb dadurch an der Partei ein negatives Image haften, das durch das konsequente Verschweigen der Existenz der ÖDP in vielen Medien lange Jahre bestehen blieb.

Weder etablierte, im allgemeinen den großen Volksparteien zugewandte Medien, noch linke Sprachrohre waren am Aufkommen einer neuen programmatisch starken Konkurrenz interessiert. Für die Grünen bedeutete die Abspaltung der ÖDP schließlich den Verlust rund eines Drittels der damaligen Mitglieder. Die ÖDP ist Rechtsnachfolgerin der ersten bundesweit aktiven grünen Partei GAZ und einiger weiterer Gruppen. Damit verloren die Grünen wichtige an der Basis tätige Kerngruppen.

Wohlstand für alle, eine soziale Utopie

Die Ursachen für Anfeindungen von links sind auch darin zu suchen, dass von Gruhl teilweise Aussagen getroffen wurden, die linken (und teilweise auch meinen) Grundsätzen eindeutig widersprechen. Dazu gehört zum Beispiel seine Überzeugung, dass Wohlstand für alle eine soziale Utopie sei, und die Skepsis gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft. Auch der Kurs in der Abtreibungs- und der Asylfrage entsprach im wesentlichen der CDU-Politik.

Manche mag auch kritisch stimmen, dass Gruhls Lieblingsphilosoph der auch von den Nazis benutzte Friedrich Nietzsche war. Gruhl bewundert diesen und seine weiteren Lieblinge Johann Wolfgang von Goethe und Leonardo da Vinci als frühe ökologische Mahner. In der Literaturliste seines letzten Buches "Himmelfahrt ins Nichts" von 1992 finden sich Namen wie Carl Amery, Berthold Brecht, Hoimar von Ditfurth, Eugen Drewermann, Erich Fromm, Bernhard Grzimek, Konrad Lorenz, Dennis Meadows, Andrej D. Sacharow, Albert Schweitzer, Oswald Spengler, Arnold Toynbee und Carl Friedrich von Weizsäcker.

Gruhl war immer ein Querdenker und sicher kein Populist. Für ihn waren die Zukunftsprobleme nicht durch den Einsatz korrektiver Technik zu lösen, sondern er forderte ein Zurücknehmen eigener Ansprüche und einen Verzicht auf Bequemlichkeiten. Das ÖDP-Motto in dieser Zeit war "Weniger ist Mehr". Mit dieser Philosophie erreichte er jedoch nur einen kleinen Kreis. Schließlich verlangte er eine Verschlechterung des Lebensstandards, um ein langfristiges Überleben der Menschheit zu ermöglichen.

Er hielt es für fatal, das offensichtlich nicht dauerhaft funktionstüchtige Modell des Kapitalismus in andere Länder zu exportieren. So kritisierte er die kirchliche Mission ebenso wie den Tourismus in Entwicklungsländern. Letztendlich war er auf der Suche nach einem "dritten Weg", weitab von den klassischen Modellen Kapitalismus und Kommunismus.

Die Abkehr von der ÖDP ist nicht allein durch den Rechtsabgrenzungsbeschluss zu erklären. Schon vor der kurzfristig eingebrachten Beschlussvorlage wurden Unmutsäußerungen einiger Parteimitglieder über "Träumer und Utopisten" bekannt, die eine effektive Parteiarbeit verhinderten. Gruhl selbst sah die Gefahr einer Dominanz christlich-fundamentalistischer Kreise in der ÖDP. In seinem letzten Buch "Himmelfahrt ins nichts - der geplünderte Planet vor dem Ende" schreibt er, ausgehend von 1975, dem Erscheinen seines ersten Buches:

"Danach habe ich 15 Jahre nach Auswegen gesucht und wohl um die tausend Vorschläge von Zeitgenossen überprüft, die solche gefunden zu haben vorgaben oder auch nur vortäuschten. Alle griffen zu kurz, erwiesen sich als einseitig und verkannten außerdem die Schwierigkeiten jeder politischen Umsetzung. ... Dennoch bin ich im siebzigsten Lebensjahr immer noch darauf bedacht, in dieser Zeit der Verwirrung für die angesammelten Erfahrungen nutzbringende Verwendung zu finden. Um Zustimmung bemühe ich mich nicht mehr, schreibe aber infolge des gleichen Dranges, unter dem der Mensch vor einigen zehntausend Jahren angetreten ist, um schließlich den Geist bis an die äußersten Grenzen seiner Möglichkeiten voranzutreiben."

Weitab von Kapitalismus und Kommunismus

Mit seinem letzten Buch resigniert Gruhl. Ein Ur-Grüner der sich einen Großteil seines Lebens für einen natur- und damit zukunftsverträglichen Gesellschaftswandel einsetzte, kommt zu dem Schluss, "Zukunftspolitik ist und bleibt unmöglich". Die letzten Sätze dieses Buches lauten:

"Die Europäische Kultur ... ist die letzte dieses Planeten. Wir haben ihren Höhepunkt gerade erst überschritten, so dass wir noch von ihm aus das ganze phantastische Schauspiel überblicken können, das auf unserem einsamen Himmelskörper über Milliarden Jahre gelaufen ist und nun als Tragödie endet."

Hubert Kronzucker
 

Anmerkungen zur ÖDP (Oktober 96 - März 98):

(1) Nach der Rechtsabgrenzung 1989 traten neben Gruhl auch weitere prominente Ökologen aus der ÖDP aus. Darunter war der berühmte Ökobauer Baldur Springmann, der bei der Gründungsversammlung der Grünen 1979 zu einem der Sprecher gewählt wurde und später mit Gruhl die ÖDP gründete. Springmann war anschließend - am 27./28.4.91 - maßgeblich an der Gründung des ÖDP-Rechtsablegers Unabhängige Ökologen Deutschlands (UÖD) beteiligt. Auch Gruhl soll mit einem Grundsatzreferat am Gründungsparteitag beteiligt gewesen sein. Die UÖD haben durchaus - genauso wie die ebenfalls 1991 aus den Grünen ausgetretenen RadikalökologInnen mit ihrer Ökologischen Linken um Jutta Dittfurth - einen ernstgemeinten ökologischen Ansatz. (Es gibt also vier Ökoparteien in Deutschland!) Herr Springmann und einige weitere Gruhl-Getreue sind heute noch für die UÖD tätig (siehe Springmann-Porträt "Ein Bauer mit Leib und Seele" in der rechten Zeitschrift Junge Freiheit vom 30.05.97 und auch ein Interview in der linken Zeitschrift junge Welt, das mit einem Uni-Auftritt Springmanns zu tun hat). Die UÖD spielen in Wahlen keine Rolle, doch engagieren sie sich im rechtskonservativen Bündnis Konstruktiver Kräfte Deutschlands (BKKD), in dem sich vor allem Vertreter vom Haider-nahen Bund Freier Bürger (BFB), von der Deutschen Partei (DP) und von der Deutschen Sozialen Union (DSU) - die sich derzeit unter Parteiaustritten den Republikanern (vgl. REP-Pressemitteilung "Besuch Baldur Springmanns") und der NPD annähert - für die Ideen der "Neuen Rechten" einsetzen. Bei den UÖD generell von Ökofaschisten zu sprechen, ist wahrscheinlich überzogen (eher vom "ökofaschistischer Touch"), aber immerhin werden die UÖD im 96er Bericht des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit dem nationalkonservativen Hamburger Kreis (HK) erwähnt:

"Im März gab ein UÖD-Vorstandsmitglied auf Einladung des HK eine Einführung in das Thema 'Bioregionalismus', das in der wertkonservativen Ökologieszene - insbesondere bei den UÖD - seit etwa Anfang 1995 zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Der in den USA als Teil der neuen 'spirituellen Ökologie' entwickelte 'Bioregionalismus' will ein neues Bewusstsein für 'Heimat' erreichen, d.h. eine neue ganzheitliche Wahrnehmung der Heimatregion. Neue Verwurzelung im ganzheitlichen Weltbild und in den Erkenntnissen der 'Tiefenökologie' machen den Kern des 'Bioregionalismus' aus.

Der 'Bioregionalismus' glaubt, einen Ausweg aus der globalen, die menschliche Existenz bedrohenden Öko-Krise anbieten zu können. Dazu sollen 'Regionalismus' (Streben nach Einheit von kultureller Identität und politischer Souveränität), Erkenntnisse der 'Tiefenökologie' sowie traditionelle Lebensweisen und naturreligiöse Vorstellungen von Indianern und anderen Urvölkern zusammengefügt werden. Vom neurechten bzw. nationalrevolutionären Standpunkt aus verbindet sich mit diesem Konzept einerseits die Hoffnung, über den von 'rechts' besetzten Begriff 'Bioregionalismus' und seinen innovativen Ideologieansatz das im Grunde wertkonservative, aber von linksalternativen 'Grünen' beherrschte Thema 'Ökologie' zurückzugewinnen. Andererseits soll sich darüber eine neue, ökologisch begründete Form des Widerstandes gegen den aktuellen Hauptfeind der Völker - das global operierende Finanzkapital (Weltkapitalismus) - sowie gegen andere Globalisierungs- und Vermassungstendenzen entwickeln, um so angeblich 'lebensfeindliche Strukturen' aufbrechen zu können.

Bereits 1995 hatte der HK erklärt, dass das deutsche Volk 'mit allen Völkern gemeinsame Interessen gegen die menschen- und völkerverachtende Politik der imperialen Machtstrukturen und Systeme' habe. Die Mitarbeit des 'Hamburger Kreis'-Leiters Hanno BORCHERT in der UÖD-Zeitschrift 'Ökologie - Forum für Natur- und Heimatschutz' deutet darauf hin, dass sich innerhalb der UÖD Rechtsextremisten Gehör verschafft haben. In der Nr. 4/1996 von 'Ökologie' forderte BORCHERT dazu auf, die Dogmen der Aufklärung zu verwerfen. Mit ihnen seien die vitalen Lebensinteressen des Menschen zugunsten mechanistischer Werte entmachtet worden. Demonstrieren gegen Symptome allein genüge nicht mehr, um dem imperialen Kapitalismus und dessen umfassender ökologischer und sozialer Umweltzerstörung zu begegnen. Jetzt gehe es darum, die volklich-sozial-kulturelle Krise zu beseitigen und mit basisdemokratischen, kommunitären und bioregionalistischen Gegenentwürfen die 'Ökologie des Menschen' gegen Entgrenzung und Globalisierung zu sichern. Seit einigen Monaten scheint der HK weitgehend inaktiv zu sein."

Zu dem Thema "Rechte Intellektuelle in Hamburg" gibt es auch einen interessanten Antifa-Beitrag, der u.a. durch die Antifaschistischen Nachrichten im Internet verbreitet wird.

(2) Auch im Internet sind bei vielen linken oder den Grünen nahestehenden Netzwerken und Organisationen Artikel zu finden, welche die ÖDP am rechten Rand einordnen, so zum Beispiel zwei interessante Beiträge in der "Bibliothek Rechtsextremismus" bei NADESHDA: Beide Artikel wurden inzwischen aus dem NADESHDA-Archiv entfernt. Im ersten Beitrag wurde die ÖDP als "nationalistisch, antisozial, frauenfeindlich und rassistisch" bezeichnet und es wurden einige "Aktivisten" sowie die "Ideologie der ÖDP" vorgestellt. Dabei wurde intensiv auf den ÖDP-Gründer Herbert Gruhl eingegangen und Bezug genommen. Einige der dort präsentierten Gruhl-Zitate und deren Auslegung finden sich auch in unserem Bericht "Die Gruft der ÖDP" in der 6. ZEICHEN-Ausgabe. Etwas ausgewogener als der erste Beitrag und durchaus informativ ist eine ebenfalls in der "Bibliothek Rechtsextremismus" veröffentlichte Stellungnahme des Antifaschischistischen Netzwerkes zur Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) von Jürgen Gruß. Darin wurde die ÖDP so dargestellt wird, wie sie "links von Bündnis90/Die Grünen" - z.B. in der "Ökologischen Linken" um Jutta Ditfurth - gesehen wird.

Seit kurzem ist die ÖDP selbst im Internet vertreten. Die Seiten, die unter http://www.oedp.de zu finden sind, sind sehr informativ und werden ständig aktualisiert. Anhaltspunkte für Rechtsextremismus konnte ich nicht entdecken. Die ÖDP grenzt sich klar von Republikanern, dem Bund Freier Bürger (von Haider-Spezi und Ex-FDPler Manfred Brunner) und den rechten Flügeln von CSU, CDU und FDP ab (Bitte vergleichen Sie auch die Internet-Selbstdarstellung der ÖDP mit denen der Nationalkonservativen und Rechtsextremisten; siehe Politiklinks; zu aktuellen Entwicklungen siehe auch "Rechtsruck in Deutschland?"). Auffallend sind nur die stark christlich geprägten Lebensläufe einiger Aktivisten. Die vorherrschende christliche Wertorientierung schließt auch die prinzipielle Ablehnung von Abtreibung mit ein. Aber auch diesbezüglich stellt sich die Partei nicht extremer dar als die Union.

Nach der Bayerischen Landtagswahl 1994, in der die ÖDP 2,1% erreichte, meldeten sich bei Bündnis90/Die Grünen Kräfte zu Wort, die eine Vereinigung der beiden Ökoparteien vorschlugen - die ÖDP lehnte jedoch ab. Im Münchner Stadtrat allerdings arbeitet die ÖDP gemeinsam mit der mit ihr in Listenverbindung stehenden Bürgerinitiative David-gegen-Goliath (DaGG) eng mit der rot-grün-rosanen Mehrheit zusammen. Diese Zusammenarbeit, die zeitweilig auch von der FDP unterstützt wird, wurde unter dem Begriff "Regenbogenkoalition" bekannt und richtet sich gegen eine schwarz-braune Opposition aus CSU, Bund Freier Bürger, Republikaner und die vor allem durch Inkompetenz auffallende Automobile Steuerzahlerpartei (Waldsterben ist eine Lüge etc.). Besonders deutlich zeigte dies sich erst wieder bei der umstrittenen Ausstellung über "Verbrechen der Wehrmacht" (März - April 97 in München). Die ÖDP beteiligte sich genauso wie die FDP, SPD, Jusos und Grüne an der Demonstration pro Wehrmachtsausstellung, die vom DGB initiiert wurde. Außerdem kritisierte die ÖDP Gauweiler in äußerst scharfer Form und forderte ihn sogar zum Rücktritt auf.

Die heutige ÖDP ist wertkonservativ, aber keinesfalls rechtslastig. Wir zitieren aus einem Interview des Münchner Merkur am 28.02.98 mit dem ÖDP-Chef Bernhard Suttner:
Münchner Merkur: "Wo und wann sehen sie rot?".
Suttner: "Bei dem Satz: 'Unter Adolf war auch nicht alles schlecht...'"

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Diese Seite wurde zuletzt am 26. September 2003 geändert.