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 Tempus
2008 v 14

Tidskriften

 Trost für Eulen und Lerchen
Von Günther Stockinger

Ein Gentest gibt jetzt Aufschluss, ob jemand Frühaufsteher oder Langschläfer ist. Umpolen lässt sich der angeborene Biorhythmus allerdings kaum.

Menschen sind nicht alle gleich. Für die kleinen Unterschiede sorgen Herkunft, Umwelt, Gene - und gar nicht so selten auch die innere Uhr.

Dass es bei Zweibeinern, ähnlich wie in der Tierwelt, tatsächlich verschiedene Chronotypen gibt, wissen die Biologen mit Gewissheit erst seit wenigen Jahren. Die sogenannten Lerchen sind frühaktiv und werden am Abend rasch müde. "Eulen" hingegen gehen erst spät ins Bett und kommen am nächsten Tag nur schwer aus den Federn.

Hinweise über die Verteilung der Chronotypen in der Bevölkerung lieferten bislang Fragebögen, in denen Probanden ihren Tagesablauf schilderten. Nun lässt sich die Trennung der Menschheit in Frühaufsteher und Langschläfer auch durch einen simplen Hauttest beweisen.

Einem Team um den Chronobiologen Achim Kramer von der Berliner Charité ist es gelungen, im Zelllabor die Aktivität genau jener Gene zu messen, welche die innere Uhr steuern. Bei Säugern wie dem Menschen schwingen solche körpereigenen Zeitgeber in fast allen Zellen. Sie liefern den Takt für die Ausschüttung der Hormone, für das Timing von Stoffwechselprozessen oder für das Schlaf-wach-Verhalten.

 

Justiert werden die Zelluhren von einer "Masteruhr" im Gehirn, die wiederum über das Sonnenlicht gestellt wird. Wie der Dirigent eines Orchesters gibt der zentrale Taktgeber die Signale an die peripheren Uhren in den Zellen weiter.

Bei ihrem Test entnahmen die Berliner Forscher 28 Freiwilligen, darunter 11 Frühaufsteher und 17 Langschläfer, zwei Millimeter große Hautplättchen und vermehrten die Bindegewebszellen im Labor. Das Ticken der darin enthaltenen Uhrgene beobachteten die Chronobiologen mit Hilfe eines Tricks: Sie schleusten einen biochemischen "Reporter" ein, der die Aktivität der Taktgeber nach außen sichtbar machte. Es handelte sich dabei um ein Glühwürmchenenzym, das immer dann für eine Leuchtreaktion sorgte, wenn die genetischen Zeitgeber aktiv waren.

Das faszinierende Ergebnis: Bei Eulen tickt die innere Uhr deutlich langsamer als normal; ein Auf-und-ab-Zyklus der Genaktivität ist in manchen Fällen jeweils erst nach 25 Stunden beendet und nicht schon nach 24 Stunden. Die Konsequenzen sind ähnlich wie bei einer Armbanduhr, die zu langsam geht - der Träger kommt stets und zu allem zu spät.

Bei Lerchen dagegen läuft die innere Uhr zu schnell, der Genrhythmus ist mitunter schon nach 23 Stunden abgeschlossen - sie werden am Abend schnell müde und wachen beim ersten Morgengrauen auf. An der Aussagekraft der Untersuchung gibt es laut Kramer nichts zu deuteln: "Obwohl die Proben anonymisiert waren, konnten wir allein am Verlauf der Laborkurven erkennen, ob es sich um einen Frühaufsteher oder einen Langschläfer handelt."

Molekularbiologisch scheint damit endlich bewiesen, dass Lerchen und Eulen nicht anders können, selbst wenn sie wollten: "Der Unterschied steckt in den Genen, die Chronotypen sind angeboren", konstatiert Kramer. "Ein Spättyp kann seine innere Uhr weder durch Lichttherapie noch durch die Gabe von Melatonin so umpolen, dass aus ihm plötzlich ein Morgenmensch wird."

Die Auswirkungen des schlecht justierten Zeitgebers ziehen sich oft durchs ganze Leben. Rund ein Viertel aller Deutschen, so schätzen Chronobiologen, sind entweder ausgeprägte Früh- oder Spättypen.

Vor allem die Eulen unter ihnen leben im permanenten "sozialen Jetlag": Wenn sie vom Wecker früh am Morgen aus ihrer gerade erst begonnenen Nachtruhe gerissen werden, häufen sie mit jedem neuen Werktag ein immer größeres Schlafdefizit an. "Es kommt zu einem beträchtlichen Schlafmangel, der dann am Wochenende ausgeglichen werden muss", erklärt Till Roenneberg, Chronobiologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Aber auch Lerchen können unter dem Konflikt zwischen innerer Uhr und gesellschaftlich vorgegebener Zeit leiden - beispielsweise dann, wenn sie am Wochenende dem Druck ihrer Eulen-Freunde nachgeben, viel zu spät ins Bett gehen und dennoch am Morgen zur gewohnt frühen Zeit aufwachen.

Bei den extremen Chronotypen leidet mitunter auch die Gesundheit. Wer dauernd im Widerstreit mit seiner biologischen Uhr lebt, ist anfälliger für organische Erkrankungen, wie Untersuchungen an Schichtarbeitern oder Flugbegleitern gezeigt haben. Opfer des chronischen sozialen Jetlags greifen außerdem häufiger zu Nikotin und Alkohol.

Solange noch in vielen Betrieben und Schulen die überholten Arbeitszeiten aus der Agrargesellschaft gelten, bleibt vor allem den Eulen nur ein schwacher Trost: "Das Vorurteil, dass ein extremer Spättyp einfach nur faul sei", sagt Kramer, "ist nach unseren Ergebnissen eindeutig widerlegt."

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,542770,00.html