• WAS LESER SAGEN

Mehr Therapeuten, mehr Kranke

"Mehr psychisch Kranke, zu wenig Plätze", lautete eine Überschrift in der Ärzte Zeitung vom 10. Februar 2011.

Unser Leser ist da ganz anderer Auffassung.

Von Dieter Wettig

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) drängt auf kürzere Wartezeiten für psychisch Kranke. Das Angebot an Behandlungsplätzen müsse deshalb wachsen. Fünf Millionen psychisch Erkrankten stünden nur 1,5 Millionen psychotherapeutische Behandlungsplätze gegenüber. Nach Ansicht der Kassen aber seien die meisten Gebiete überversorgt. Tatsächlich gibt es aber keinen Beweis, dass psychische Erkrankungen in Deutschland zugenommen haben. Zugenommen haben nur Psycho-Diagnosen (...). Zugenommen haben aber auch die Vertragstherapeuten seit 1999, nämlich um das über Dreifache, ohne, dass man eine Abnahme der psychischen Erkrankungen oder gar Heilungen beobachten konnte (...). Psychotherapeuten schaffen sich ihren Bedarf nämlich selbst: Heerscharen von Menschen werden über 25 bis 100 Stunden behandelt wegen „Depressiver Episode" (die nach ein oder zwei Jahren auch von selbst verschwindet), „Anpassungsstörung" (die man jedem anhängen kann, zum Beispiel wegen Liebeskummer, Trauer, Stress auf der Arbeit oder in der Familie).

Krakenhaft infiltrieren Sie jede menschliche Regung und erklären sie zum psychischen Problem, das behandelt werden muss. Damit professionalisieren sie das Gefühls- und Seelenleben und suggerieren, dass nur sie Abhilfe schaffen könnten. Altbewährte Maßnahmen wie Gespräche mit den Eltern, Freunden oder Kollegen werden auch deshalb vernachlässigt. Auch natürliche Methoden wie Spaziergänge im Grünen und in der Sonne geraten als Selbsthilfemittel in Vergessenheit, genau wie Ausdauertraining, Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Hausärzte, die an der Basis am besten helfen und beraten könnten, bekommen dafür nur noch 80 Cent pro Kopf pro Quartal (Psychosomatische Grundversorgung), denn das Geld fließt jetzt zu den Therapeuten.

Gegen keine der Big Five hat die Psychotherapie etwas Erwähnenswertes ausgerichtet: Adipositas, Substanzmissbrauch, Demenz, schwere Depression, chronische Schmerzen.

Bleibt noch festzuhalten, dass Psychotherapeuten mit Ärzten nur ungern kommunizieren: Keiner hat je bei mir Befunde angefordert, 90 Prozent schreiben keinen Arztbrief. Fazit: Kassen-Honorar für Psychotherapeuten einfrieren!

Dieter Wettig, Allgemeinarzt aus Wiesbaden