"In Erfürchtung vor deinem Buch"
Mit dem Roman "Alles ist erleuchtet" gibt der Amerikaner Jonathan Safran Foer einen begnadeten Einstand als NachwuchsschriftstellerKaum hatte Jonathan Franzen, der Superstar der Frankfurter Buchmesse 2002, den Rückflug nach New York angetreten, begann in deutschen Feuilletons sogleich ein Gerangel um einen Nachfolger für den Titel „talentiertester US-Jungautor“, den man gerade noch Franzen für seinen Familienroman Die Korrekturen verliehen hatte: Die einen meinten, der zurzeit in Berlin lebende Jeffrey Eugenides werde „Amerikas neuer literarischer Superstar“, die anderen bejubelten Jonathan Safran Foer als „neuen Philip Roth“. Während wir auf die Übersetzung von Eugenides’ Roman Middlesex noch etwas warten müssen (erscheint im Herbst 2003 bei Rowohlt), kann man die Vorschusslorbeeren für den 25-jährigen Foer anhand von dessen Debütroman Alles ist erleuchtet ab sofort überprüfen.
„Ich stehe auf amerikanische Filme. Ich stehe auf Neger, besonders auf Michael Jackson. Ich stehe darauf, sehr viel Geld in berühmten Nachtclubs in Odessa zu verbreiten.“ So stellt sich Alexander Perchow vor, der über weite Strecken als Erzähler in Foers Roman auftritt. Durch diese drei Sätzen wissen wir: Alex lebt in der Ukraine, spricht schlecht englisch und ist ein begeisterter Anhänger amerikanischer Lebensart. Außerdem ist er – und das wird den Vergleich mit Philip Roth provoziert haben – von Sex besessen. Das merkt auch der jüdische Autor Jonathan Safran Foer, der auf der Suche nach der Frau, die seinen Großvater vor den Nazis gerettet hat, 1992 in die seit einem Jahr unabhängige ehemalige Sowjetrepublik reist.
Mit Alex als Übersetzer, dessen fast blindem Großvater als Chauffeur und begleitet von dem Hund Sammy Davis jr. jr. macht sich der Amerikaner in dem im fremden Land auf, Trachimbrod zu finden, das von den Nazis ausgelöschte Schtetl, in dem seine Vorfahren einst lebten. Es wird eine Reise voller Hindernisse, die nicht zuletzt auf Missverständnissen beruht, die von Alex hölzernem Englisch rühren: „Hast du schon Bücher geöffentlicht?“ „Nein, das heißt, ein oder zwei.“ „Wie heißen sie?“ „Nicht so wichtig.“ „Ein guter Titel: Nicht so wichtig.“
Gutes Englisch gut zu übersetzen ist schwer genug, aber schlechtes Englisch gut in schlechtes Deutsch zu übersetzen, erfordert noch mehr Können und Dirk van Gunsteren beweist sich als hervorragender Könner. Das kommt besonders in den Briefen zum Tragen, die Alex 1997 an Jonathan schreibt: „Macht das sinnvollen Sinn? Wenn ich mich anhöre wie ein Denker, dann ist das eine Ehrfürchtung vor deinem Buch.“
Zwischen den verrückten Begebenheiten auf der Suche nach der verlorenen Vergangenheit und der Korrespondenz wird die Geschichte von Trachimbrod erzählt, beginnend am 18. März 1791, als Foers Urururururgroßmutter als einzige Überlebende eines Unfalls aus dem Fluss Brod auftaucht, der ihr später den Namen gibt. Urheber dieser Historie ist im doppelten Sinn Jonathan Safran Foer: als realer Autor ebenso wie als gleichnamige Romanfigur. Es sind diese gewagte Mischung aus Geschichte und Gegenwart, aus geschriebenem und gesprochenem Wort sowie der Wechsel zwischen den drei Erzählzweigen, die diesen nicht gerade nach Unterhaltung lechzenden Roman so unterhaltsam machen.
Während seines Philosophiestudiums in Princeton war Foer als 19-Jähriger tatsächlich in die Ukraine gereist. Statt die Retterin seines Großvaters zu finden, stieß er auf ein Mahnmal, das an 1204 ermordete Juden aus Trachimbrod erinnerte. Und spürte plötzlich ein Interesse für seine jüdische Abstammung, die ihm bis dahin nichts bedeutet hatte.
Bescheidene Einkünfte aus verschiedenen Jobs hatten den in Washington D.C. geborenen Foer nach Jackson Heights im New Yorker Stadtteil Queens verschlagen, eine Gegend, in der man innerhalb von fünf Blocks 30 Sprachen hören kann. Doch auch als gemachter Mann – eine halbe Million Dollar soll ihm Everything Is Illuminated eingebracht haben lebt Foer gern inmitten des babylonischen Sprachgewirrs: „Die Leute sind freundlich, die Straßen sind sauber und das Essen ist gut.“ Zurzeit arbeitet Foer an einem zweiten Roman über einen spurlos verschwundenen Autor und an seiner Sammlung leerer Manuskriptseiten berühmter Kollegen.
Das erste stammt von Isaac Beshevis Singer. Ein weiteres kommt von Joyce Carol Oates, seiner Mentorin in Princeton. Und er harrt der Verfilmung seiner tiefernsten und zugleich hochkomischen Ukraine-Reise, die ihm den Guardian First Book Award einbrachte, Übersetzungen in gut ein Dutzend Sprachen und die Aufnahme in die „Esquire“-Liste der „43 Menschen, die die Welt revolutionieren werden“, in der weder Franzen noch Eugenides auftauchen.Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet, aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren; Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 383 Seiten, 22,90 Euro.
© 2003 Reinhard Helling
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