In ihrem Roman ãHotel ImperialÒ serviert Monica
Ali Multikulturelles aus Londoner KŸchen und lŠsst in GŸnter-Wallraff-Manier
Menschenhandel und Ausbeutung in der britischen Hotellerie auffliegen.
Von REINHARD HELLING
FŸr Gabriel Lightfoot wird sich der Traum vom
eigenen Restaurant in London nicht erfŸllen. Das deutet seine geistige Mutter,
die britische Schriftstellerin Monica Ali, gleich zu Beginn an: ãIm Nachhinein
meinte er, dass der Tod des Ukrainers der Zeitpunkt war, von dem an alles aus
den Fugen zu geraten begann.Ò So beginnt ihr neuer Roman ãHotel
ImperialÒ, dessen Originaltitel ãIn the KitchenÒ noch direkter an den Ort
des Geschehens fŸhrt: in die Katakomben des fiktiven, 1878 gegrŸndeten Hotels
mit der Adresse Piccadilly, also gleich neben dem realen, etwas jŸngeren
ãRitzÒ. Seit das ehemals noble ãImperialÒ von der PanContinental Hotel Co.,
einer internationalen Heuschrecke, Ÿbernommen wurde, stehen alle BeschŠftigten
unter Druck, besonders die in der KŸche. Gute Bilanzen sind gefragt, nicht
Skandale und schon gar nicht Tote in der KŸche.
Es ist aber nicht nur die Vision vom eigenen
Restaurant, die sich fŸr Gabe, wie alle den Koch nennen, auflšst wie Zucker im
Wasser. Auf der Strecke bleibt auch der Wunsch nach einer eigenen Familie, die
der ZweiundvierzigjŠhrige mit seiner Freundin Charlie endlich grŸnden will. Der
Tod seines Mitarbeiters zwingt ihn, seine Untergebenen zum ersten Mal als
Mitmenschen wahrzunehmen. Und er rafft sich sogar auf, seinen todkranken Vater
Ted daheim, in einer sterbenden Arbeiterstadt in Nordengland, zu besuchen.
Beides bringt seine Lebensplanung ziemlich durcheinander.
Der Ukrainer aus dem ersten Satz – das ist
der Nachtportier Juri, der tot aufgefunden wird, nackt und in einer Blutlache
liegend. Des Lesers Anfangsverdacht, nun wŸrde die KlŠrung der Todesursache
– Mord? – im Vordergrund stehen, verfliegt mit dem Ergebnis der
Obduktion. Demnach war Juri blo§ betrunken und auf dem Weg zu seiner geheimen
Unterkunft gestŸrzt. Den Toten benštigt die Autorin nicht aus GrŸnden der
Spannung, und doch hat sein Ableben einen kriminellen Hintergrund, wie sich
zeigen wird.
Wie ãBrick
LaneÒ (F.A.Z. vom 6. MŠrz 2004), ihr international gefeiertes und bei der
Verfilmung angefeindetes RomandebŸt von 2003, trŠgt auch diese Geschichte aus
dem Bauch des Kšnigreichs ZŸge einer Sozialreportage. Hatte die 1967 in
Bangladesch geborene und wegen des dortigen BŸrgerkriegs mit ihren Eltern nach
England ausgewanderte Autorin in ihrem Erstling den von Bengalen dominierten
Stra§enzug im Londoner East End als Kulisse fŸr die Wandlung ihrer Heldin
Nazneen vom zwangsverheirateten MŠdchen aus Bangladesch zur selbstbewussten
Frau gewŠhlt, so hat sie den Fokus hier noch etwas enger gestellt – und
zugleich weiter.
FŸr die kulinarischen Kšstlichkeiten aus der
KŸche des ãImperialÒ sorgt nŠmlich eine bunte Truppe Immigranten aus aller
Herren LŠndern, die ganz gut die Vielvšlker-Metropole London abbildet. Neben Gabe hat nur noch ein anderer
einen britischen Pass, die meisten sind Leiharbeiter oder haben ein noch
dubioseres ArbeitsverhŠltnis. So wie Lena, die spindeldŸrre Wei§russin, die
einer ZuhŠlterbande entkommen konnte und illegal im ãImperialÒ arbeitet. Als
Gabe ihr in seiner Wohnung Asyl gewŠhrt, riskiert er damit wissentlich seine
HeiratsplŠne – und natŸrlich steigt der Koch mit der AbwŠscherin ins
Bett.
Alis Schilderungen aus der KŸche des ãImperialÒ
sind ein Angriff auf das von Kochshows und der ganzen ãEssenspornographieÒ
vermittelte Bild von gestŠrkten SchŸrzen, scharfen Messern und sauberem Benehmen.
Ihre durch Recherchen vor Ort fundierte Darstellung des KŸchenalltags dagegen
zeigt: Kochen ist Schwerstarbeit, in den Katakomben des ãImperialÒ herrschen
Enge, unertrŠgliche Hitze und Hektik. Durchgeschwitzte Kittel und UnfŠlle sind
ebenso Teil der RealitŠt zwischen Herd und SpŸle wie grobe SpЧe und Intrigen
unter der Belegschaft. Und der Chef, nach dessen Ansicht KŸchen ãzu gleichen
Teilen GefŠngnis, Irrenanstalt und GemeindesaalÒ sind, leidet mit: Der
Papierkram, die Besprechungen und Vorschriften haben ihm die Leidenschaft fŸrs
Zubereiten von Speisen verdorben.
Im letzten Drittel bekommt die Geschichte von
einem Mann in der Lebensmitte, der an die Chemie von Proteinen glaubt und sein
Leben mit To-do-Listen zu organisieren versucht, einen noch aufklŠrerischen
Impetus. Nun lŠsst Gabe alle seine PlŠne sausen, um wie ein GŸnter Wallraff der
britischen Hotellerie Menschenhandel und Ausbeutung aufzudecken. Weniger
erstaunlich als diese Wendung ist die Tatsache, dass Ali als Hauptfigur einen
Mann gewŠhlt hat. Diesen Rollentausch hat sie bereits in ãAlentejo
BlueÒ (2006) erprobt, ihrem verhalten aufgenommenen zweiten Buch, einer
Sammlung miteinander verwobener Geschichten Ÿber das Leben zwischen Tradition
und Moderne in dem sŸdportugiesischen Dorf Mamarrosa (F.A.Z. vom 9. Februar
2007).
Im Gro§en und Ganzen hat sich Ali gut in die
mŠnnliche Psyche versetzt, kleine Entgleisungen nicht ausgeschlossen: ãIwan
rŸckte sein Stirnband zurecht, fasste sich in den Schritt und hob seine Eier
an, als wŠren sie Bleigewichte.Ò Auch wenn sie in Vergleichen und Dialogen dem
Deftigen zuneigt, bleibt sie handwerklich exakt. Aber bei der Charakterisierung
der KŸchenmannschaft, die Gabe sein ãEinsatzkommando Vereinter NationenÒ nennt,
vertraut Ali eindeutig zu sehr auf physiognomische Besonderheiten wie das
ãBlumenkohlohrÒ von Iwan, den slawischen Mann am Grill oder die ãmandelfšrmigen
AugenÒ von Oona, der jamaikanischen Sous-Chefin. Den P‰tissier Albert dagegen
zeichnet sie ganz Ÿber seine franzšsische Herkunft. Also spricht er in Anette
Grubes †bersetzung notgedrungen so: ãNein, isch glaube nischt.Ò Hat die Autorin
ein bezeichnendes Detail gefunden, setzt sie es leider immer wieder ein.
Der Detailkritik zum Trotz – mit diesem
pulsierenden Roman ist die unerschrockene Immigrantin und Oxford-Absolventin
Ali erzŠhlerisch in London angekommen. Wie abwechslungsreich, vor allem aber
wie vererdet mit dem heutigen Leben in der britischen Hauptstadt sich die
NichterfŸllung von Gabes TrŠumen ausgestalten lŠsst, dass man ihr Ÿber mehr als
500 Seiten fast widerstandslos folgt, ist schon eine gro§artige Leistung. Ob
ihrem gefallenen Engel jenseits der Buchdeckel noch FlŸgel wachsen, die ihn zur
ErfŸllung seiner TrŠume tragen – diese Entwicklung ŸberlŠsst Ali
klugerweise dem Opti- beziehungsweise Pessimismus des jeweiligen Lesers.Ò
Monica Ali: ãHotel
ImperialÒ. Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube. Verlag Droemer Knaur,
MŸnchen 2009. 559 S., geb., 19,95 Euro.
(Zuerst erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Dezember 2009)
© 2009 Reinhard Helling