Mit ãTag und Nacht und auch im SommerÒ legt Frank McCourt den dritten Teil seiner Erinnerungen vor
Von
REINHARD HELLING
Ziemlich
spŠt, nŠmlich erst mit 66 Jahren, gab Frank McCourt
sein DebŸt
als Schriftsteller. Bevor er mit ãDie Asche
meiner
MutterÒ (1996) einen †berraschungs-Bestseller
landete,
mehrere Literaturpreise gewann und als der
Junge mit
der ãunglŸcklichen katholischen irischen
KindheitÒ
international bekannt wurde, war er Lehrer.
Und zwar ein
stinknormaler Lehrer fŸr Englisch an New
Yorker
Highschools.
Und dann
doch wieder ein ganz besonderer: Als er 1958
seinen
ersten Tag an der McKee-Berufsschule in Staten
Island
bestritt, war er wahrscheinlich der erste
Highschool-Lehrer,
der selbst nie eine Highschool
besucht
hatte. Dass der 1930 in Brooklyn geborene, mit
vier Jahren
nach Irland verfrachtete, in Limerick in
bitterer
Armut aufgewachsene und als 19-JŠhriger in
die USA
zurŸckkehrte McCourt Ÿberhaupt studieren
durfte,
verdankte er seinen Dienst in der Army.
Au§erdem
konnte er die Aufnahmekommission mit seinen
Literaturkenntnissen
Ÿberzeugen. Melville, Thoreau,
Dr. Johnson
und Whitman kannte er wie seinen William
Butler Yeats
und Shakespeare.
12000 Jungen
und MŠdchen, so hat McCourt ausgerechnet,
haben in den
30 Jahren, in denen er an fŸnf
Highschools
und einem College unterrichtet hat, vor
ihm gesessen
und zugehšrt, ãwie ich dozierte,
skandierte,
zuredete, faselte, sang, deklamierte,
rezitierte,
predigte und verstummteÒ. So hat er
insgesamt
33000 Unterrichtsstunden abgehalten: Tag und
Nacht und
auch im Sommer.
Diese
Zeitangabe hat der deutsche Verlag als Titel
gewŠhlt,
etwas pompšs gegenŸber dem schlichten
ãTeacher
ManÒ im Original. Auch wenn es einige
†berschneidungen
mit Teil zwei Ð ãEin rundherum tolles
LandÒ (1999)
Ð gibt, in dem der PulitzerpreistrŠger
seine
RŸckkehr nach New York schildert, ist jede Zeile
des neuen
Buchs lesenswert.
Was seinen
Bericht aus dem Schulalltag auszeichnet,
ist seine
Offenheit, mit der er seine anfŠngliche
Ratlosigkeit
eingesteht, sein unvergleichlicher Humor,
mit dem er
selbst widerborstigste SchŸler fŸr den
Unterricht
gewonnen haben dŸrfte, seine Fantasie und
Tricks, mit
denen er die HalbwŸchsigen fŸr die
BeschŠftigung
mit Sprache rumgekriegt hat, und
natŸrlich
sein unvergleichliches Talent fŸr das
ErzŠhlen von
Geschichten.
Letzteres
rettete ihm in den ersten Jahren am Pult das
Leben. Als
ein Pausenbrot durchs Klassenzimmer fliegt,
erzŠhlt Frank von dem Hunger, den er als
Kind
gelitten
hat. Als er in gefŠlschten
Entschuldigungen
ãHighschool-Prosa
erster GŸteÒ erkennt, ermuntert er
seine
SchŸler, sie ganz offen im
Unterricht zu
schreiben.
†berhaupt fŸhlte sich McCourt als
AutoritŠtsperson
nicht wohl, zu vertraut waren ihm,
dem
Einwanderer, die Verwirrung und BerŸhrungsŠngste,
mit denen
seine Zšglinge Ð darunter viele Juden,
Schwarze,
Chinesen und Koreaner Ð auf die
Bildungsvorgaben
reagierten. Auch spart er nicht mit
Kritik am
Schulwesen zur Zeit Eisenhowers:
ãUnterrichten
ist die KŸchenmagd unter den
akademischen
BerufenÒ und ãelend unterbezahltÒ.
Richtig
glŸcklich wurde McCourt als Lehrer erst im
Raum 205 der
Stuyvesant High School, dem ãKronjuwel
des New
Yorker SchulsystemsÒ, wo er bis zu seiner
Pensionierung
1987 blieb. Ironie der Geschichte: Hier
unterrichtete
er ab den siebziger Jahren seine SchŸler
in Creative
Writing, ohne selbst etwas veršffentlicht
zu haben.
Und wieder waren seine Unterrichtsmethoden
unorthodox: Er lie§ Restaurantkritiken schreiben,
Rezepte wie
Gedichte lesen und Todesanzeigen
verfassen.
Bei diesen Experimenten wurde der Lehrer
zum SchŸler
seiner SchŸler, der gierig ihre Ideen
aufsog. Und
noch etwas hat er aus dem Klassenzimmer
mitgenommen.
Am letzten Tag rief ihm ein SchŸler nach:
ãSie sollten
ein Buch schreiben.Ò ãIch probierÕsÒ,
antwortete
Frank McCourt. Mit den bekannten Folgen:
Sechs
Millionen Leser fand sein DebŸt, das in 30
Sprachen
Ÿbersetzt und von Alan Parker verfilmt wurde.
In seinem
Berufsleben hat McCourt versucht, seinen
SchŸlern die
Lehre seines eigenen Lebens zu
vermitteln.
Anstelle von Drill, Ordnung und Gehorsam
forderte er
Freiheit, Phantasie und Selbstbestimmung.
Und damit
stŸrzte er sie manchmal in Verwirrung: ãWie,
der Lehrer
wei§ keine Antwort?Ò Mehr noch: Er forderte
sie auf,
nicht auf alles zu reagieren, ãwas euch ein
Lehrer oder
sonst jemand vorsetztÒ.
ãVier zu
drei steht es in dem Kampf der McCourts gegen
GottÒ. So
hatte es der Autor 1999 in einem Interview
gesagt. Vier
Kinder der Familie Ð Frank sowie seine
jŸngeren
BrŸder Malachy, Michael und Alphie Ð sind
durchgekommen,
drei hat der AllmŠchtige im Babyalter
zu sich
genommen. Heute ist die Bilanz deutlich
besser.
Gewidmet hat Frank McCourt, der am 19. August
seinen 76.
Geburtstag feiert, ãTeacher ManÒ den
ãnŠchsten
Generationen des Stammes McCourtÒ Ð und es
folgen die
Namen von elf Kindern und acht Enkeln.
Frank McCourt: Tag und
Nacht und auch im Sommer, aus
dem Amerikanischen von
Rudolf Hermstein, Luchterhand
Literaturverlag,
334 Seiten,21,95 Euro
© 2006 Reinhard Helling