Anstelle der Computer-Inder, um die der Kanzler recht erfolglos geworben hat und die dieser Tage im Ganges ihr religiöses Bad zelebrieren, scheinen die Schriftsteller des Subkontinents den Ruf aus Deutschland vernommen zu haben: In gleich drei neuen Romanen gewähren ein Debütant, ein alter Hase und ein Mann mit Riecher ganz unterschiedliche Einblicke in das Land, das seit vergangenem Jahr mehr als eine Milliarde Einwohner zählt. Und wie 1995, als uns schon mal ein halbes Dutzend indischer Autoren vorgestellt wurden ? in lebhafter Erinnerung sind Vikram Seths „Eine gute Partie“ und Rohinton Mistrys „Das Gleichgewicht der Welt“ geblieben ?, setzten die Verlage wieder auf die Wirkung orangefarbener Umschläge.
Ein Weltbestseller: Arundhati Roys Debüt
Auf den ersten Blick freilich erinnert der international hoch gehandelte Roman „Vishnus Tod“ (Luchterhand, 400 Seiten, 44 Mark) verblüffend an unsere „Lindenstraße“. Wie in dem TV-Serienklassiker spielt sich auch in dem Debüt des aus Bombay stammenden Manil Suri das Leben häufig im Treppenhaus ab: Da wird gelästert, getrascht und hinter den Türen gelauscht, da werden Gerüchte in die Welt gesetzt.
Von Haus aus Mathematiker:
Manil Suri
Anstelle von Else Kling ist der Handlanger Vishnu Dreh- und Angelpunkt aller Intrigen, Liebschaften und heimlichen Geschäfte in dem dreistöckigen Mietshaus in Bombay.
Da der alte Mann, der sein Lager auf dem Absatz zum ersten Stock aufgeschlagen hat, stets trunken und zudem sterbenskrank ist, gibt sein Zustand den sich befehdenden Familien Asrani und Pathak im ersten Stock immer neuen Anlass für heftigen Streit. Mr. Jalal hingegen, der Muslim in zweiten Stock, ist nach vielen religiösen Experimenten zu dem Schluss gekommen, dass Vishnu eine Inkarnation des Hindu-Gottes ist und also verehrt gehört. Kavita und Salim schließlich, das jugendliche Paar, benutzt Vishnu als Boten für heimliche Liebespost.
Obwohl der 41-jährige Autor seine Treppenhaus-Episoden durch Rückblicke in Vishnus Jugend mit mangosüßer Erotik verfeinert hat, stellt sich beim Lesen gelegentlich das Gefühl ein, hier zeigt jemand am Modell die soziales und religiöses Spannungen Indiens auf. Verständlich, schließlich ist der seit 20 Jahren in den USA lebende Suri im Hauptberuf Professor für Mathematik ? von Haus also Theoretiker.
Doch seit langem malte er nach Feierabend Filmplakate und schrieb Kurzgeschichten. Bis Pulitzerpreisträger Michael Cunningham („Die Stunden“) in einem Workshop eine Probe von Suris Schreibkunst zu sehen bekam und verkündete: „Der Roman sprüht vor Leben, hat lauter herrlich vielschichtige und sehr menschliche Figuren.“ Zehn Verlage schlugen sich daraufhin um die Rechte an dem Erstling, wie es zuletzt bei Arundhati Roys Welterfolg „Der Gott der kleinen Dinge“ der Fall war; das Rennen machte der US-Verlag W. W. Norton, der einen Vorschuss von 500 000 Dollar zahlte. Dafür hat Suri Fortsetzungen versprochen: „Shivas Leben“ und „Brahmas Geburt“. Dann hätte jeder der drei Hindu Götter seinen eigenen Roman.
Europa Verlag, xx Seiten, , 49,80 Mark
Amitav Ghosh ist ein großer Erzähler
Einen guten Ruf hat sich Amitav Ghosh, 44, durch Romane („Bengalisches Feuer“, „Das Calcutta-Chromosom“) und Sachbücher („In einem alten Land“) erschrieben. Mit „Der Glaspalast“ (Blessing, 608 Seiten, 49 Mark) hat der in Kalkutta geborene und heute in New York lebende Autor jetzt eine Familiensaga verfasst, die uns ins Jahr 1885 führt, als die Briten ? angelockt von Edelstein- und Teakholz-Vorkommen ? in Birma (heute Myanmar) einfallen und das einstige Königreich in eine Provinz der Kolonie Indiens verwandeln.
Die aus ihrem Glaspalast vertriebene Königsfamilie findet in Ratnagiri ihr Exil. In dem Küstenort zwischen Goa und Bombay treffen sich auch die eigentlichen Helden dieses ungeheuer farbigen und erzählfreudigen Romans: der indische Waisenjunge Rajkumar und die schöne Dolly aus dem Gefolge der Königin. Sein Liebes-Opus hat Ghosh ? und das zeichnet diesen Vollbluterzähler seit langem aus ? mit akribischen Beschreibungen wie des Teakholz-Abbaus und historischen Fakten fundiert. Nicht zuletzt auf Grund aufweniger Recherchen bildet der „Glaspalast“ das opulente Gegenstück zu Michael Ondaatjes lyrischer Ceylon-Visite in „Anils Geist“ vom Vorjahr.
Das Debüt von Pankaj Mishra schließlich wird zeigen, ob der Lektor nicht nur ein Näschen für Literatur hat, sondern auch selbst was zu sagen hat. Mishra war es nämlich, der Arundhati Roy entdeckt hat. Sein Erstling, „Benares oder Eine Erziehung des Herzens“ (Blessing, 288 Seiten, 40 Mark; ab 14. März), erzählt von demStudenten Samar, der im Winter 1989 in der heiligen Stadt Benares, dem Wohnort Shivas, unter dem Dach von Miss West die Bekanntschaft mit der westlichen Welt macht ? in Gestalt zahlreicher Bücher und der schönen Französin Catherine...Zuerst erschienen in: Abendzeitung (München)