Mit ãIn weiter Ferne die HundeÒ hat die
Kanadierin Gil Adamson einen fesselnden Roman vorgelegt.
Von REINHARD HELLING
Unter Krimiautoren ist es
eine bewŠhrte Methode, ihre Protagonisten als sympathische Figuren aufzubauen, um
ihnen danach die schlimmsten Taten anzudichten. Eine grš§ere Kunst ist es
dagegen, einen Kredit fŸr eine Figur einzufordern (und diesen auch einzulšsen),
von der man gleich zu Beginn wei§, dass sie etwas auf dem Kerbholz hat. Der
Kanadierin Gil Adamson ist mit ihrem von perfekten Spannungswellen durchzogenen
DebŸtroman ãThe OutlanderÒ, der bei uns unter dem Titel ãIn
weiter Ferne die HundeÒ erschienen ist, genau dies geglŸckt: Bis zum
Schluss drŸckt man einer Mšrderin die Daumen und hofft, sie mšge einer
Bestrafung entgehen.
Die Geschichte auf Leben
und Tod nimmt ihren Anfang in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im
Nordwesten Amerikas. Mary Boulton, neunzehn Jahre alt, ist auf der Flucht
– zu Fu§, in der Nacht und ohne Plan. Sie wird von Jude und Julian
verfolgt, den BrŸdern ihres Mannes John. Den hat Mary, kurz nachdem ihr nicht
lebensfŠhiger Sohn gestorben war, im Affekt erschossen. Zuvor hatte ihr Mann
sie vielfach betrogen und sie – wenn er seine ehelichen Rechte
einforderte – stets sehr grob genommen. Unschšne Details dazu erfahren
wir in RŸckblenden. Doch schon jetzt bangt man mit der Tochter eines
anglikanischen Pfarrers, denn ihre Verfolger, "einander wie Zwillinge
gleichende RotschšpfeÓ, die ein Rudel Hunde mit sich fŸhren, werden als ãzwei
HŸnen mit wuchtigem Oberkšrper und mŠchtigen ArmenÒ beschrieben. Schon die
derart angedeutete Kraft der SchwŠger signalisiert ungestŸme RachegelŸste.
FŸr ihre ŸberstŸrzte Flucht
hat sich die Witwe, wie Gil Adamson ihre Protagonistin fortan nennt, nur
insoweit gerŸstet, als sie sich aus einem BettŸberwurf und einem Vorhang ein
Trauergewand genŠht hat. Sonst hat sie nichts dabei – kein Geld, kein
GefŠhrt, kein Gewehr. Und so zwingt sie der †berlebensdrang, die Liste ihrer
Verbrechen um Diebstahl zu erweitern. Zu ihrem GlŸck trifft die Witwe auf ihrem
Fu§marsch von Montana aus durch die AuslŠufer der Rocky Mountains gen Kanada
verschiedene Helfer: einen gutmŸtigen FŠhrmann, der sie ohne Fahrschein
Ÿbersetzt; eine reiche Frau, bei der die FlŸchtige kurz Kraft tankt, um vor den
nŠher rŸckenden SchwŠgern gerade noch rechtzeitig auf einem gestohlenen Pferd
zu fliehen; einen WildhŸter mit dem sprechenden Namen William Moreland, der sie
vor dem Hungertod bewahrt. Mit ihm hat die Witwe stŸrmischen Sex in seinem
spartanischen Zeltlager, doch aus Angst vor zu gro§er NŠhe nimmt er Rei§aus
– und lŠsst die Witwe allein in der Wildnis sitzen.
Es gibt einiges, was man an
diesem mit dem Canada First Novel Award ausgezeichneten DebŸt bewundern kann,
das sich – wegen der moralischen Fragen und der gnadenlosen Naturgewalten
– zwischen David Gutersons Roman ãSchnee, der auf Zedern fŠlltÒ und Jon
Krakauers Tatsachenbericht ãIn die WildnisÒ verorten lŠsst: das hohe Tempo, mit
dem die Autorin die Flucht der Witwe vorantreibt; die Genauigkeit, mit der sie
die Beschaffenheit der Erde, den Schnee, kleine Beeren ebenso wie gro§e BŠren
erfasst; die genau kalkulierte Dramaturgie, die dem Leser fŸr Momente Zeit
lŠsst, sich in die karge Landschaft und den †berlebenskampf der Frau zu
vertiefen, bevor sie ihn mit dem Auftauchen der bewaffneten Zwillinge wieder
bangen lŠsst.
Nicht zuletzt die ohne
†berhšhungen von Maria Andreas ins Deutsche Ÿbertragene Sprache lŠsst diesen
wunderbar erzŠhlten DebŸtroman zu einem Ereignis werden. Seit der
Veršffentlichung vor zwei Jahren in Kanada hat die studierte Anthropologin
dafŸr fŸnf Literaturpreise gewonnen – auch den Dashiell Hammett Award
– und war fŸr weitere Auszeichnungen nominiert, zuletzt fŸr den Impac
Dublin Literary Award.
Das ist eine ganz Menge
Anerkennung fŸr eine DebŸtantin. Aber tatsŠchlich hatte die 1961 in North York,
Ontario, geborene Autorin zuvor schon zwei GedichtbŠnde – ãPrimitiveÒ
(1991) und ãAshlandÒ (2003) – sowie 1995 den ErzŠhlungsband ãHelp Me,
Jacques CousteauÒ veršffentlicht. Und gemeinsam mit ihrer SchwŠgerin Dawn
Connolly schrieb sie ãMulder, It's MeÒ, eine Huldigung an die Hauptdarstellerin
der TV-Serie ãX-FilesÒ, Gillian Anderson.
Adamsons Erfahrung bei der Verfertigung lyrischer Texte kommt dem Roman
sehr zugute, ablesbar an den Glanzlichtern, die sie der wie routiniert erzeugt
wirkenden Spannung der Handlung aufsetzt. So hei§t es einmal wie gemalt: ãDie
BlŠtter filterten das Mondlicht, und Pferd und Reiterin wurden schraffiert,
ausradiert, neu skizziert.Ò Ein andermal melodišs: ãEin Bein wippte ganz leicht
im Takt des Herzschlags, langsam, wie ein zufriedener Mann mit der Musik
mitwippt, die er im Kopf hšrt.Ò
In der kanadischen
Literatur, die in den vergangenen Jahren von Immigranten aus aller Herren
LŠndern wie Michael Ondaatje, David
Chariandy, Rohinton Mistry, David Bezmozgis oder Joe Fiorito vielfach
bereichert wurde, ist von Indianern selten die Rede. Dass Adamson da eine
Ausnahme macht, verwundert nicht, ist ihre Familie doch seit sieben
Generationen im Land mit dem roten Ahornblatt in der Flagge beheimatet. Und so
taucht, nachdem die Witwe von dem WaldhŸter verlassen Ÿber den Pass torkelt,
ganz selbstverstŠndlich ein Crow-Indianer zu Pferde auf und bringt sie in die
Bergwerkstadt Frank, Alberta.
Hier, inmitten von hart
arbeitenden MŠnnern und rauhen Sitten, findet Mary Boulton ein neues Zuhause,
obwohl sie anfangs glaubte, ãvon der Wildnis in die …dnisÒ geraten zu sein. Sie
wird die HaushŠlterin von Reverend Angus Lorne Bonnycastle, der den Bergleuten
seine Gedanken zu Gott und der Welt schon mal durch einen handfesten Boxkampf nahezubringen
versucht. Bei der Schilderung der Szenen, die diese Frau allein unter MŠnnern
erlebt, versteht es die Autorin, Grobheiten und sogar Grausamkeiten mit
Augenma§ darzustellen. Und dann radiert ein Bergrutsch das StŠdtchen aus, die
Witwe Ÿberlebt, ihr Foto erscheint in der Zeitung, und Jude und Julian haben
wieder eine hei§e Spur der Mšrderin ihres Bruders.
Bei historischen Stoffen
neigen Autoren gelegentlich dazu, die behandelte Zeit durch Requisiten zu
belegen, etwa indem sie damals typische Erfindungen oder geschichtliche
Ereignisse erwŠhnen. Das macht auch Adamson gelegentlich so. Allerdings zeigt
sie keinerlei Neigung, in die Rolle einer Hilfsdokumentarin zu schlŸpfen. Sie
ist durch und durch ErzŠhlerin und flicht fŸr die damalige Zeit Typisches ganz
dezent ein. Der Bergrutsch, bei dem am 29. April 1903 drei§ig Millionen
Kubikmeter Erdreich vom Turtle Mountain in die Tiefe rutschten und auf einer
FlŠche von drei Quadratkilometern das Tal begruben, hŠtte gar nicht tatsŠchlich
passieren mŸssen, um authentisch zu wirken.
Es wŠre wŸnschenswert, bald
wieder etwas von Gil Adamson zu lesen, die heute mit ihrem Mann, dem Dichter
Kevin Connolly, in Toronto lebt. In Anbetracht der zehnjŠhrigen Arbeit an
diesem gro§artigen Roman steht allerdings zu befŸrchten, dass ein zweiter auf
sich warten lŠsst.
Gil Adamson: ãIn weiter
Ferne die HundeÒ. Roman. Aus dem Englischen von Maria Andreas, C. Bertelsmann
Verlag, MŸnchen 2009. 383 S., geb., 19,95 Euro.
(Zuerst erschienen in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 6. August
2009)
© 2009 Reinhard Helling