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Noch ein Roman Ÿber die beiden TŸrme aus Sand und Nebel

 

 

GespŸr fŸr die Unterstršmungen des Lebens: Andre Dubus III hat mit ãDer Garten der letzten TageÒ einen literarisch anspruchslosen, dafŸr aber spannenden Roman Ÿber den 11. September geschrieben.

 

Von REINHARD HELLING

 

Eigentlich Die Zeitangabe ãSpŠtsommer 2001Ò im ersten Kapitel lŠsst bei amerikanischen Autoren bereits ahnen, dass die Reise Richtung einstŸrzende ZwillingstŸrme geht. Das ist auch bei dem Roman ãDer Garten der letzten TageÒ von Andre Dubus III so, geschieht allerdings untergrŸndiger, als man es aus Jonathan Safran Foers' ãExtrem laut und unglaublich nahÒ (deutsch 2005) oder Don DeLillos ãFalling ManÒ (deutsch 2007) kennt, den beiden 9/11-Romanen, die dem Desaster bisher am nŠchsten gekommen sind. 

 

DubusÕ dicker, sieben Jahre nach dem weltverŠndernden Tag publizierter und jetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann gradlinig Ÿbersetzter Roman berŸhrt den Ort des grausigen Geschehens erst auf den letzten 25 Seiten – und das auch nur schemenhaft. Auf den 575 Seiten davor fŸhrt uns der Autor eine schicksalhafte Verstrickung von fŸnf Menschen in Sarasota, Florida, vor – plastisch ausgemalt und in jede Figur mit gro§em EinfŸhlungsvermšgen versenkt. DafŸr nimmt er sich Zeit, leuchtet ihre HintergrŸnde aus und macht uns mit ihrem Vorleben und ihren PlŠnen, ihren TrŠumen und €ngsten vertraut. Eine intellektuelle Analyse strebt er nicht an; dafŸr beschreibt er die Menschen und die Dinge ihres Alltags mit staunenswerter Anschaulichkeit. 

 

Andre Dubus III genie§t bei uns lŠngst nicht die Bekanntheit, die er verdient hŠtte. SpŠtestens als in Hollywood 2003 die Oscars vergeben wurden, hŠtte er gro§ rauskommen kšnnen. Doch mit der Verfilmung des Romans ãHouse of Sand and FogÒ von 1999, das ein Jahr spŠter auf Deutsch unter dem Titel ãHaus aus Sand und NebelÒ erschien, profilierte sich neben Ben Kinsley als iranischer General und Jennifer Connelly als seine amerikanische Gegenspielerin eher Vadim Perelman, der hier erstmals als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent wirkte. 

 

Man kann nicht einmal sagen, dass Dubus III im Schatten seines Vaters, des SŸdstaatenautors Andre Dubus (1936 bis 1999), steht, da sich auch dessen Name lediglich Eingeweihte zuraunen. 1989 war der Sohn mit dem Band ãThe Cage Keeper and Other StoriesÒ in die Fu§stapfen des Vaters getreten. Die zur Unterscheidung dem Namen hinzugefŸgten drei Nummerierungsstriche haben nicht viel genŸtzt – zumindest nicht beim deutschen Amazon-Ableger. Dort werden alle Dubus-BŸcher wild durcheinandergeworfen, wobei natŸrlich etwas gemein ist, dass ein ErzŠhlungsband des Vaters den deutschen Titel ãTanz zu spŠter StundeÒ trŠgt und das DebŸt des Sohns ãDer letzte TanzÒ hei§t.

 

Sein GespŸr fŸr die Unterstršmungen des Lebens hatte sich der heute in Massachusetts lebende Vater von drei Kindern zuvor mit der ganzen Palette an Jobs erworben, die unweigerlich den Kontakt zu den Benachteiligten der Gesellschaft mit sich bringt: Privatdetektiv, Barkeeper, BewŠhrungshelfer, Raumpfleger. Das Schreiben, erklŠrte er kŸrzlich, habe ihn davor bewahrt, selbst auf die schiefe Bahn zu geraten. ãSicherlich sЧe ich sonst wegen Mord im GefŠngnis oder wŠre tot.Ò

 

Den 11. September, zu dem der 1959 geborene Autor schon deshalb eine besondere Beziehung hat, weil es sein Geburtstag ist, bringt er in seinem aktuellen Roman mit dem Auftritt von Bassam al-Jizani ins Spiel, einem jungen arabischen Dschihad-KŠmpfer, der sich im ãPuma ClubÒ von der Stripperin April Connors die letzten irdischen VergnŸgen erkauft, bevor er sich auf den Weg gen Jannah, ins islamische Paradies, macht. Unverkennbar waren fŸr Bassam und seine terroristischen Mitstreiter die echten FlugzeugentfŸhrer aus der saudi-arabischen Provinz Asir das Vorbild. Wie Mohammed Atta nahmen sie in Florida Flugstunden, um spŠter ihren teuflischen Plan zu realisieren. 

 

Ausgelšst wird die verwickelte, bis zum Ende zwingend erzŠhlte Geschichte ganz profan – durch das Verschwinden von Aprils dreijŠhriger Tochter Franny, die selbst nicht gro§ zu Wort kommt. Das liegt natŸrlich an ihrem Alter, hat aber auch mit der Situation zu tun, in die sie gerŠt: Franny wacht mitten in der Nacht allein in einer Kammer auf, die nicht ihre gewohnte Umgebung ist, und macht sich in ihrem rosafarbenen Pyjama auf die Suche nach ihrer Mutter. Plštzlich steht sie im Freien unter einer einsamen GlŸhbirne. Dort sieht sie der Bauarbeiter Alan James Carey, der kurz zuvor aus dem Nachtclub geworfen wurde – und nimmt sich des MŠdchens an. Als die alleinerziehende Mutter reichlich alkoholisiert, dafŸr mit einem Batzen Terrorgeld in der Hand Frannys Verschwinden bemerkt, macht sie sich Vorhaltungen. Klar, wie kann man auch ein kleines Kind nur in so einen Club mitnehmen?  Aber auch die anderen Personen machen sich VorwŸrfe: Aprils verwitwete Vermieterin Jean Hanson, weil sie sich ausgerechnet an diesem Abend nicht um Franny kŸmmern konnte, wie sie es in letzter Zeit getan hat, und der Rau§schmei§er Lonnie Pike, weil er nicht nach dem MŠdchen geschaut hatte, obwohl April, in die er verliebt ist, ihn darum gebeten hatte. 

 

Am hŠrtesten aber geht der bald als KindesentfŸhrer gesuchte Alan James Carey, genannt AJ, mit sich ins Gericht, wobei er gleich mehrere gedankliche Baustellen hat. Da ist einmal das MŠdchen: Er wei§ nicht, was er mit Franny machen soll. In den Club kann er sie nicht bringen, nach Hause darf er nicht, weil ein Gericht ihm jeden Kontakt zu seiner Familie untersagt hat. Also fŠhrt AJ Franny in seinem Auto durch die Nacht und kŸmmert sich liebevoll um sie. Dabei beschŠftigt ihn unentwegt die Frage, wie er seinem Chef den gebrochenen Arm erklŠren soll. AJ ist eindeutig die stŠrkste Figur in diesem Buch. Seine zahlreichen Konflikte sind in jedem Moment nachvollziehbar, und man drŸckt ihm sogar die Daumen fŸr sein Vorhaben, den Armbruch am nŠchsten Morgen als Unfall mit dem Bagger darzustellen, um wenigstens ein wenig Gewinn aus seinem ganzen Dilemma zu ziehen. 

 

Wer BŸcher gern mit einem Stift in der Hand liest, um besonders gelungene SŠtze zu unterstreichen, kann ihn diesmal getrost steckenlassen. Sprachlich macht Dubus III keine Experimente. Seine SŠtze sind meist kurz, die Dialoge knapp, die Beschreibungen realistisch. Sie fu§en aber auf einer intensiven Recherche sowohl der materiellen Welt von April und AJ als auch der geistigen Welt des Terroristen. Au§erdem nimmt die Geschichte so schnell Fahrt auf, dass man als Leser genug mit der ZŸgelung der Spannung zu tun hat, da der Autor Augen und Ohren im Wechsel je einer anderen Figur leiht, womit automatisch der Fortgang von vier HandlungsstrŠngen offen ist. Das zwingt zum zŸgigen UmblŠttern. 

 

Etliche Kritiker in Amerika haben sich an der Darstellung von Bassam gestšrt, so auch DubusÕ Kollege Jay McInerney, der in seiner Rezension fŸr die ãNew York TimesÒ forderte: ãAls Journalist braucht man nur zu erzŠhlen, was sich zugetragen hat, doch Literatur befasst sich mit erdachten Geschehnissen und hat eine hšhere Wahrheitsschwelle.Ò Ob ihm selbst dies in seinem Roman ãDas gute LebenÒ gelungen ist, sei dahingestellt. Der Brite Alain de Botton jedenfalls hatte McInerneys 9/11-Versuch mit den freundlich gemeinten Worte kommentiert: ãEr macht, was ein guter Romancier machen sollte: Er nimmt eine abstrakte Idee und haucht ihr Leben ein.Ò Diesen Umweg hat Dubus III nicht nštig. Seine Geschichte basiert nicht auf Thesen, sondern taucht direkt ins Leben ein. Vielleicht ist das stellenweise ein bisschen journalistisch geraten. DafŸr liest es sich gut. Auf jeden Fall ist dieser Roman in dem Sinne spannend, wie es das Leben ist.     

 

Andre Dubus III: ãDer Garten der letzten TageÒ. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Verlag C.H. Beck, MŸnchen 2009. 600 S., geb., 24,90 Euro.

 

Erschienen in: Frankfurter Allgemeine  Zeitung, 11. Januar 2010

 

 

 © 2010 Reinhard Helling

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