Nichts genaues schreibt sie nicht: In ihrem
Roman ãDas Ende der GeschichteÒ
von 1995 bleibt die amerikanische Schriftstellerin Lydia Davis hinter ihren
Mšglichkeiten zurŸck.
Von REINHARD HELLING
Eigentlich fasst sich Lydia
Davis gern kurz. Manche ihrer Storys hat sie in nur einen Satz gepresst. HŠtte
es das Medium vor drei§ig Jahren schon gegeben, als die Autorin Prosa zu
publizieren begann, wŠren einige ihrer Kurz- und KŸrzestgeschichten ideales
Futter fŸr Twitter. Seit sie im Jahr 1976 mit The Thirteenth Woman and Other Stories
debŸtierte, hat Davis insgesamt sechs BŠnde mit mehreren hundert Short Stories
veršffentlicht, die man jetzt praktischerweise in einem Band bestaunen kann:
Mit The
Collected Stories of Lydia Davis hat ihr Verlag Farrar, Straus & Giroux
eine Bestandsaufnahme ihrer Kurzprosa auf 752 Seiten vorgelegt.
Den ersten Hinweis auf die
amerikanische Autorin im deutschen Sprachraum hatte mal wieder Norbert Wehrs Schreibheft gegeben, das in seiner
sechzigsten Ausgabe im April 2003 erste Arbeiten und die Autorin im GesprŠch
vorstellte. Vor einem Jahr unternahm der Literaturverlag Droschl mit dem
Geschichtenband Fast
keine Erinnerung einen weiteren Versuch, eine Autorin vorzustellen, die in
ihrer Heimat von illustren Namen umgeben ist: Mit Paul Auster war sie Mitte der
siebziger Jahre verheiratet, die Franzosen Maurice Blanchot, Michel Butor,
Gustave Flaubert, Michel Leiris und Marcel Proust stehen auf der Liste der BŸcher,
die sie ins Englische Ÿbersetzt hat, und in der Schlange der Bewunderer haben
sich Jonathan Franzen, Dave Eggers und Rick Moody ganz nach vorn gedrŠngelt.
Man tut ihr sicher kein Unrecht,
wenn man Davis als WriterÕs writer bezeichnet, als eine Autorin, die bevorzugt
von ihresgleichen gelesen wird, wofŸr auch der mit einer halben Million Dollar
dotierte ãGenie-PreisÒ der MacArthur Foundation ein Indiz ist, der ihr 2003
zugesprochen wurde. Entgegen ihrer
Gewohnheit hat sich Lydia Davis einmal doch an der lŠngeren Form versucht und
das Ergebnis The
End of the Story genannt. Wenn wir dieses Buch jetzt, vierzehn Jahre nach
seiner Veršffentlichung, auf Deutsch lesen kšnnen, ist da ein schšner Zufall am
Werk. Das
Ende der Geschichte ist wieder im Literaturverlag Droschl erschienen,
der seinen Sitz in Graz hat. Hier hat die Autorin einen Teil ihrer Schulzeit
verbracht, und hier lebt auch der Schriftsteller Klaus Hoffer, der den Roman
Ÿbersetzt hat. Aber ist Das Ende der
Geschichte Ÿberhaupt ein Roman, wie es so selbstverstŠndlich auf dem
Umschlag steht? Eher handelt es sich um das wortreiche Protokoll der
Schwierigkeiten beim Verfassen eines Romans, dessen Gegenstand das Scheitern
einer hoffnungsvoll aufgeblŸhten und kalt erstorbenen Liebesgeschichte ist.
Die namenlose
Ich-ErzŠhlerin arbeitet als UniversitŠtsdozentin und †bersetzerin, ist 35 Jahre
alt und trauert einem ebenfalls namenlosen Mann nach, der zwšlf Jahre jŸnger
ist und ihr zum Abschied Gedichte auf Franzšsisch schreibt. Viel Geld haben
beide nicht. Eines Tages hatte er genug von ihr, zog um, traf eine andere Frau,
mit der er eine Tochter bekam. Auch die ErzŠhlerin zog um, fand einen anderen
Mann und lebt nun, zur Zeit der Niederschrift, mit Vincent und dessen
verwirrtem Vater zusammen.
Viel mehr als in dieser
gerafften Zusammenfassung erfahren wir Ÿber die Personen in dem ganzen Buch
Ÿbrigens nicht, denn es behandelt fast ausschlie§lich die GefŸhle der
ErzŠhlerin und dokumentiert ihren Versuch, sie nachtrŠglich in Worte zu fassen
– was gar nicht so einfach ist: ãEs wŠre leichter gewesen, am Anfang
anzufangen, aber der Anfang gab nicht viel her ohne das, was danach kam, und
was danach kam, gab nicht viel her ohne das Ende.Ò Solche †berlegungen sind
erst der Auftakt. Man muss sich
als Leser auf einige Windungen einstellen: ãIch habe versucht, eine brauchbare
Ordnung zu finden, aber meine Gedanken sind nicht geordnet - einer unterbricht
den anderen oder widerspricht dem anderen, au§erdem sind meine Erinnerungen oft
nicht zutreffend, sie sind konfus, verkŸrzt, oder aber sie implodieren.Ò
So verschwenderisch die
ErzŠhlerin ihre Befindlichkeit untersucht – lŠngst nicht nur die
seelische Seite, sondern ebenso umfassend die kšrperlichen Folgen ihres Leidens
–, so knauserig ist sie bei der Benennung von Orten, obwohl sie Ÿber vier
prall gefŸllte ZettelkŠsten verfŸgt. Da ist geheimnisvoll die Rede von ãder
kleinen StadtÒ, in der sie wohnt, oder von ãder Stadt weiter oben im NordenÒ,
in die sie auf der Suche nach dem entschwundenen Geliebten fŠhrt, und ihrem
Umzug im Auto ãquer durch den KontinentÒ. Vielleicht ist es gar nicht im Sinne
der Autorin, wenn der Verlag im Klappentext verrŠt, dass es sich bei den
geschilderten Landschaften um ãdie PazifikkŸste um San Diego und San FranciscoÒ
handelt und um ãdas Hudson Valley an der OstkŸsteÒ.
Auch chronologisches
ErzŠhlen ist nicht DavisÕ Sache. Ob aus †berzeugung oder NachlŠssigkeit - das
lŠsst sich nicht mit Sicherheit sagen. Allerdings gibt es Anzeichen dafŸr, dass
die ErzŠhlerin es in ihren Aufzeichnungen eigentlich schon gern ein wenig
geordneter hŠtte, da sie selbst einrŠumt: ãMeine Arbeitsweise den Roman
betreffend ist ineffizient, und diese Ineffizienz ŸbertrŠgt sich auf anderes,
das ich in Angriff nehme.Ò Mal verlegt sie einen Artikel aus einem Magazin, den
sie einbauen wollte, ein andermal kann sie LŸcken in ihren Aufzeichnungen nicht
deuten. Noch negativer auf die …konomie ihres Projekts wirkt sich der Umstand
aus, dass ihr Erinnerungsvermšgen nicht besonders ausgeprŠgt und der Blick in
den RŸckspiegel hŠufig getrŸbt ist, wie wir aus der Titelgeschichte des Bandes
"Almost No Memory" wissen. "Ich kann mich nicht erinnern,
worŸber wir sprachen" hei§t es einmal; an anderer Stelle ist ihr die
damalige Situation noch weniger prŠsent: ãIch wei§ nicht, ob wir auf der
nackten Erde oder auf dem Asphalt gingen, wo wir vorbeikamen oder wie er neben
mir herging, ob ungelenk oder beschwingt, rasch oder langsam, dicht neben mir
oder ein paar Schritte von mir entfernt.Ò
Anstelle des Gedanken-Kondensats,
das man in DavisÕ Kurzgeschichten bewundern kann, trifft man in diesem Buch oft
auf undurchdringlichen Nebel. Daneben gibt es weitere, vom †bersetzer gestreute
Stolpersteine wie die nicht wenigen Austriazismen (ãherinnenÒ statt drinnen,
BŠume werden ãumgeschnittenÒ statt gefŠllt, es hei§t ãweitersÒ statt au§erdem)
und eine selbst bei lockerer Auslegung aller Rechtschreibreformen unŸbliche
Variante der Getrenntschreibung bei zusammengesetzten Verben. Auch nimmt es der
†bersetzer mit der KausalitŠt nicht sehr genau, wie folgender Satz zeigt: ãWahrscheinlich
hatte er bei der Telefongesellschaft Schulden, weil ich damals gelegentlich von
einer Angestellten der Gesellschaft angerufen wurde, die immer Ÿberraschend
hšflich und verstŠndnisvoll fragte, wie sie ihn erreichen kšnne.Ò
Gegen Ende der sehr
privaten und geradezu manischen Reflexion ihrer schriftstellerischen Arbeit
stellt DavisÕ ErzŠhlerin die Vermutung an, dass ein klŠrendes GesprŠch mit
ihrem Ex-Geliebten ihr mšglicherweise ãeine Menge €rgerÒ erspart hŠtte. ãDieser
Roman hŠtte vielleicht nicht geschrieben werden mŸssen.Ò Na ja, sagen wir mal
so: Wenn jemand mit gro§em Appetit eine BŠckerei betritt und nach einem Brot
verlangt und der BŠcker ihn auffordert, ihm zunŠchst bei der Auswahl der
Zutaten und bei deren Anmischung zuzusehen - dann hat man ein treffendes Bild
fŸr das GefŸhl nach der LektŸre von "Das Ende der Geschichte". Es
bleibt der Hunger nach einer echten Geschichte.
Lydia Davis: "Das Ende
der Geschichte". Roman. Aus dem Amerikanischen von Klaus Hoffer.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2009. 256 S., geb., 21 Euro.
(Zuerst erschienen in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 15. Dezember
2009)
© 2010 Reinhard Helling