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Die Kunst des Klauens und Verhauens

 

Mit seinem Diebesroman ãDein oder meinÒ entwendet US-Autor Adam Davies dem Leser nur unnštig Zeit.

 

Von REINHARD HELLING

 

Nicht oft haben Kunstdiebe so ideale Bedingungen wie die TŠter, die Mitte Mai 2010 aus dem MusŽe dÕArt Moderne de la Ville de Paris fŸnf Werke der Moderne von Picasso, Modigliani, Braque, Matisse und LŽger im geschŠtzten Gesamtwert von einhundert Millionen Euro entwenden konnten. Wie der sozialistische Hauptstadt-BŸrgermeister Bertrand Delano‘ zerknirscht einrŠumte, war die Alarmanlage der GemŠldesammlung defekt und nicht repariert worden, weil Ersatzteile fehlten. Und vielleicht auch das nštige Geld. Nun ist der Schaden immens.

Dabei hŠtte die Museumsdirektion nur Otto J. Starks anrufen mŸssen. Der hat ein derart ausgeprŠgtes GespŸr fŸr seine Umgebung, dass sich jedes elektronische Sicherungssystem erŸbrigt, wenn man ihn blo§ vor die Kunst setzt. Starks hat nicht nur ein Šu§erst sensibles Gehšr und kann au§ergewšhnlich gut sehen; er verfŸgt auch noch Ÿber olfaktorische FŠhigkeiten, die es mit einem TrŸffelhund aufnehmen kšnnen: Jedes noch so dezente ParfŸm oder Aftershave, ja selbst ein leichter Schwei§ausbruch, schlŠgt in seiner Nase sofort Alarm.

Seinem Engagement steht nur eine entscheidende Widrigkeit im Weg: Es gibt diesen perfekten Aufpasser nur in der Fiktion. In seinem dritten Roman treibt der 1971 in Kentucky geborene Adam Davies seinen Meister-Guardian von der New Yorker Sicherheitsfirma Janus, Inc. allerdings ganz schšn in die Enge: Dreimal kurz hintereinander entwendet ein Dieb direkt vor seinen Augen ein wertvolles Exponat, zu dessen Schutz Starks gebucht war. Und so etwas passiert ausgerechnet ihm, der ãzweiundsiebzig Stunden ohne zu schlafen auf dem Arsch sitzen kannÒ! Leider lŠsst der Autor im Dunkeln, wie dem KunstrŠuber das gelingen konnte, wo sein Held doch angeblich so unfehlbar ist. Ersatzteilmangel? Stromausfall? Versagen der Sinnesorgane? Auf diese Fragen gibt er keine Antwort.

Parallel zu dem viel versprechenden Auftakt zu einer dann doch arg turbulenten Story, in deren Verlauf Starks selbst bezichtigt wird, der Dieb zu sein, hat Davies seinem leidgeprŸften Protagonisten nŠmlich eine Liebesgeschichte spendiert. Doch die hŸbsche Kunsthistorikerin Charlita Sophia Izzo, genannt Charlie, in die er sich Hals Ÿber Kopf verliebt, kann seinen Albtraum nicht lindern. Im Gegenteil: Sie spitzt das Ringen um Kunstbesitz zu, da auch sie in den Verdacht gerŠt, die ãRatteÒ zu sein, die Starks durch Raub entehrt – noch ein Grund fŸr das schŸchterne Waisenkind, den Heiratsantrag aufzuschieben.

Adam Davies rŸckt den Themen Liebe, Kunst und Besitz inhaltlich wie sprachlich mit einer gehšrigen Portion †bertreibung zu Leibe. Neben StarksÕ ŸbernatŸrlicher WahrnehmungsfŠhigkeit sind zu nennen seine technische AusrŸstung (Sankt-Moeller-Alarmknopf mit GPS, Safety-of-Life-Signal 1176,441 Megahertz; nicht perforierbarer Imperf-Schutzanzug aus Polypren-Mischgewebe) und die unfassbare DesensibilitŠt gegenŸber jedwedem Gift. Zur EntschlŸsselung der Substanzen, die Starks futtert wie andere Leute MŸsliriegel, um gegen Giftangriffe gewappnet zu sein, wŠre ein Beipackzettel hilfreich gewesen. Nicht fŸr Starks – der scheint zu wissen, was er tut. Aber fŸr den Leser, dem so feine Sachen wie Monomethylhydrazin, Scopolamin und Zaxodoxin nicht unbedingt gelŠufig sind.

Und dann hat Davies seine Geschichte auch noch mit reichlich Fu§noten gepflastert, was sicher parodistisch gemeint, aber in den allermeisten FŠllen všllig ŸberflŸssig ist, weil darin nur solche Albernheiten stehen wie die Feststellung, dass ãHalluzinationen ihrer eigenen Halluzinationsmoral unterliegenÒ.

Hans M. Herzog, der schon die beiden VorgŠngerbŸcher ãFroschkšnigÒ (2007) und ãGoodbye LemonÒ (2008) ins Deutsche Ÿbersetzt hat, stellt sich auch diesmal ganz in DaviesÕ Dienst und bedient dessen sprachlichen Extravaganzen, die den beruflichen Abstieg seines Ich-ErzŠhlers in Richtung Fiasko begleiten. Das ist keineswegs als Vorwurf gemeint, sondern ist als Zeichen der LoyalitŠt gegenŸber dem Autor sehr ehrenhaft. Macht die Sache aber fŸr uns Leser nicht besser. Statt den nahe liegenden Ausdruck fŸr einen profanen Sachverhalt zu wŠhlen, greift Davies oft zu gestelzten Umschreibungen. Wenn sein Anti-Held etwa ungestŸm durch seine Wohnung rennt, liest sich das so: ãMein Weg endet an der Wand, wo meine Nase engere Bekanntschaft mit dem Putz macht und auf der Wandfarbe einen hellroten Fleck hinterlŠsst. Der ist komplex, blumenartig, und weil mein Verstand durch das in ihm herrschende chemische Chaos abgelenkt ist, brauche ich lange, bis ich merke, wie weh es tut.Ò Oder noch bemŸhter um Sprachwitz: ãSich mit der geliebten Frau zu streiten, wŠhrend man ihr herrisch mit Finger und Schwanz droht, ist keine friedensstiftende Ma§nahme. Auf gar keinen Phall.Ò

Mehr noch als mit solchen UmstŠndlichkeiten und pubertŠren AnzŸglichkeiten verspielt der Autor durch eine AnhŠufung von Unwahrscheinlichkeiten jede Sympathie fŸr das Buch: Starks entkommt noch der ausweglosesten Situation, Ÿbersteht Folter mit einem erhitzen Lockenstab sowie Stich- und Schussverletzungen aller Art.

Am Ende stellt sich heraus, dass die DiebstŠhle nicht – wie meist in der Wirklichkeit – in der Absicht erfolgten, damit Lšsegelder zu erpressen. Statt mit Artnapping haben wir es hier mit einem Robin Hood zu Ehren gereichenden Raubmotiv zu tun: Die Kunstwerke sollen den ursprŸnglichen Besitzern zurŸckgegeben werden. Doch dieses ehrenvolle Anliegen Šndert nichts an dem Brimborium der Handlung und der Ÿberkandidelten Sprache. Irgendwie passend zum Thema denkt man sich am Ende: Dieser Roman kann mir ruhig gestohlen bleiben.

 

Adam Davies: ãDein oder meinÒ. Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog. Diogens Verlag, ZŸrich 2010. 366 Seiten, geb., 21,90 Euro.

 

(Zuerst leicht gekŸrzt erschienen in der ãFrankfurter Allgemeine ZeitungÒ,
21. Oktober 2010)

 


 © 2010 Reinhard Helling

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