Louis Begley zieht in seinem neuen Buch Parallelen zwischen dem 114 Jahre zurŸckliegenden ãFall DreyfusÒ in Frankreich und dem amerikanischen MilitŠrgefŠngnis Guantan‡mo auf Kuba.
Von
REINHARD HELLING
Was mŸssen sich die Verleger der Yale
University Press Šrgern! Da haben sie mit ãWhy The Dreyfus Affair MattersÒ ein
neues Buch des Schriftstellers Louis Begley eingekauft Ð ein Sachbuch diesmal,
kein Roman Ð und als Erscheinungsdatum den 22. September 2009 festgelegt Ð, und
nun entpuppt es sich trotz des historischen Gegenstands gerade als hoch
aktuell, weil PrŠsident Barack Obama entschieden hat, die umstrittenen
MilitŠrtribunale gegen Guant‡namo-Gefangene fortzusetzen.
Deutsche Leser haben das Privileg, Begleys
Buch ãDer
Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guant‡namo, Alptraum der GeschichteÒ bereits
jetzt lesen zu kšnnen. In seiner spannend zu lesenden Auseinandersetzung mit
dem Fall, der vor 114 Jahren Frankreich entzweite, bezeichnet Begley nicht nur
das 2002 auf dem US-FlottenstŸtzpunkt Guant‡namo auf Kuba eingerichtete
Gefangenenlager als ãdie Teufelsinsel der Vereinigten StaatenÒ, sondern zeigt
vielfache Analogien auf zwischen den brutalen Vollzugsbedingungen da und dort,
damals und heute. Wie der jŸdische Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus
(1859Ð1935), der 1896 von einem Pariser MilitŠrtribunal wegen angeblichen
Landesverrats verurteilt und auf das winzige Eiland vor Franzšsisch-Guayana
verbannt wurde, wŸrden auch die Insassen von Guant‡namo ohne Rechtsgrundlage,
auf Basis unzureichenden Beweismaterials und unter unmenschlichen Bedingungen
festgehalten.
Die harschen Worte des Schoa-†berlebenden
Begley beruhen auf einem grŸndlichen Aktenstudium des Dreyfus-Prozesses.
Schlie§lich ist der Autor ein in Harvard ausgebildeter Top-Jurist, der vier
Jahrzehnte als Anwalt fŸr die renommierte international tŠtige New Yorker
Kanzlei Debevoise & Plimpton gearbeitet hat, bevor er 1991 mit seinem
autobiografischen DebŸtroman LŸgen in Zeiten des Krieges eine zweite Karriere als
hoch gelobter Schriftsteller begann. Die Prozessakten hat Begley im Original
gelesen. Franzšsisch gelernt hatte er mit 13 Jahren, als er 1946 mit seinen
Eltern aus Polen wegging, zunŠchst nach Frankreich, spŠter in die USA.
1894 war Alfred Dreyfus wegen angeblichen
Landesverrats an die Deutschen zu lebenslanger Verbannung auf der Teufelsinsel
verurteilt worden. FŸnf Jahre verbrachte er dort in Isolationshaft und wurde
erst nach massenhaften Protesten 1906 endgŸltig freigesprochen und spŠter
rehabilitiert. Minutišs rekonstruiert Louis Begley die juristischen Details
dees Verfahrens, aber auch und vor allem die antisemitisch durchsetze
AtmosphŠre der franzšsischen Zweiten Republik, die er als wesentlich fŸr den
Fall analysiert. Und auch hier sieht er Parallelen zu Guant‡namo: ãGenauso, wie
viele Menschen in Frankreich ohne MŸhe glauben konnten, Dreyfus sei ein
VerrŠter, weil er Jude war, hatten viele Amerikaner keine MŸhe, die HŠftlinge
in Guant‡namo und in den CIA-GefŠngnissen schon deshalb fŸr Terroristen zu
halten, weil sie Muslime sind.Ò
Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guant‡namo,
Alptraum der Geschichte ist mehr als eine juristische Fallanalyse. Begley zeigt
auch die Konsequenzen der AffŠre fŸr die franzšsische Gesellschaft auf und
untersucht ihre spŠtere kŸnstlerische Aufarbeitung, durch Emile Zola natŸrlich,
aber auch durch Marcel Proust und die LiteraturnobelpreistrŠger Anatole France
und Roger Martin du Gard. Ganz nebenbei erfŸllt sich Louis Begley im
Rentenalter auch gleich noch seinen seit Highschool-Zeiten gehegten Wunsch,
MilitŠrhistoriker zu werden.
Louis Begley: Der Fall Dreyfus.
Teufelsinsel, Guant‡namo, Alptraum der Geschichte. †bersetzt von Christa
KrŸger. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2009, 248 Seiten, 19,80 Euro.
(Zuerst
erschienen in: JŸdische Allgemeine, 28. Mai 2009)
© 2009 Reinhard Helling