Freund
und Feind zugleich
Wiederentdeckung: Der Amerikaner Edward Lewis Wallant
und sein New-York-Roman ãMr.
MoonbloomÒ aus dem Jahr 1963.
Von REINHARD HELLING
ãMein Schicksal ist der StaubÒ, stšhnt Norman Moonbloom resigniert. Kein Wunder: Der 33-JŠhrige, bisher
Bummelstudent ohne Abschluss, muss als Verwalter von vier WohnhŠusern im
Manhattan der Sechzigerjahre die Mieten eintreiben. Bis dahin hatte er sich 14
Jahre lang fŸr Fu§heilkunde, Kunst, Zahnmedizin und das Rabbinatsstudium
interessiert. Nun muss er Woche fŸr Woche zwischen Second und Mott Street seine
Runden drehen und trifft auf kaputte DŠcher, verrostete Rohre, fehlende
Scheiben, verstopfte Toiletten, Kakerlaken Ÿberall
"Zehn Reparaturen rissen sich um Platz eins auf der Liste der dringendsten
Arbeiten", aber sein Bruder Irwin, Besitzer der Immobilien, gewŠhrt ihm
nur ein spŠrliches Budget fŸr die Instandsetzung. Und so kann Norman seinen
schwarzen Hausmeister Gaylord nicht mal damit
beauftragen, etwas gegen die BauschŠden zu unternehmen.
Bei seinem Rundgang vertršstet Norman, seine schmŠchtige Figur mittels einem
Fedora mit enormer Krempe kurios vergrš§ert, die Bewohner ein ums andere Mal.
Die bunte Mieter-Schar aller Hautfarben, Berufe und Herren LŠnder, jeder von
ihnen auf seine Weise ein Entwurzelter, gleicht einem Querschnitt der damaligen
New Yorker Einwohnerstruktur - Juden, Dichter, Chinesen, Witwen, Schwarze,
Italiener, Schwule, Trinker. Da manche nicht zahlen kšnnen, dafŸr aber
ergreifende Ausreden zur Hand haben, werden sie fŸr Norman "auf
eigenartige Weise Freunde und Feinde zugleich". So lŠsst sich der
dauermŸde Junggeselle ohne echte Mission widerstandslos in ihre vielfŠltigen
Schicksale hineinziehen.
Da ist etwa der Erfinder Arnold Jacoby oder Stan Katz, der ihm KunststŸcke auf
seiner Trompete darbietet, der liebestolle Jerry Wung,
der mit seinen Eroberungen prahlt, der stets betrunkene Mr. Karloff, der nur
murmelt: "Woss wilstu
mit mir? Ich hob nit kejn
Gelt." Der italienischstŠmmige Basellecci, der
erstklassigen Kaffee serviert, macht Norman fŸr seine Verdauungsprobleme
verantwortlich, weil die Wand im Klo einzustŸrzen droht. Und nicht zu vergessen
Sheryl Beeler, die sich mit ihren schweren BrŸsten an
ihn heranmacht.
Diese mal komische, mal traurige literarische Sozialstudie stammt von Edward
Lewis Wallant (1926–1962), einem Mann, der zu
Unrecht in Vergessenheit geraten war. Viele Jahre erinnerte lediglich der nach
ihm benannte Wallant Award for
Jewish American Fiction an den Verfasser von vier
Romanen.
Sein bekanntester ist "The Pawnbroker" aus
dem Jahre 1961, den Sidney Lumet mit Rod Steiger in der Rolle des jŸdischen
Pfandleihers Sol Nazerman verfilmte. FŸr seine
Darstellung dieses gebrochenen Mannes gewann Rod Steiger bei der Berlinale 1964
einen Silbernen BŠren.
2003 hat der umtriebige US-Autor und "McSweeney's"-Herausgeber Dave Eggers den jetzt
vorliegenden Roman "Mr. Moonbloom", im
Original 1963 erschienen, zu neuem Leben erweckt. Im Vorwort vermerkt er voller
Anerkennung, dass die Geschichte "vom unŸbersehbaren Geist der Allegorie
getragen" sei.
Im Gegensatz zu seinem melancholischen Werk fŸhrte der 1926 in New Haven,
Connecticut, geborene Autor als Artdirektor einer Werbeagentur und als Vater
von drei Kindern ein glŸckliches Berufs- und Familienleben - bis ihn im Alter
von 36 Jahren ein Gehirnschlag unerwartet frŸh aus dem Leben riss. Gut, dass Wallant, zumindest schon mal mit diesem Roman, wieder unter
uns ist.
Edward Lewis Wallant: ãMr.
MoonbloomÒ, aus dem Amerikanischen von Barbara
Schaden, Berlin Verlag, 318 Seiten, 22.99 Euro.
(Erschienen in: ãAbendzeitung,
MŸnchen, 5. Dezember 2012)
© 2014 Reinhard Helling