Eine
Revolution im Namen des Vaters
Sa•d Sayrafiezadeh:
Wie soll man sich mit so einem Namen durchs Leben schlagen? Und dazu Revoluzzer
werden? Der gleichnamige Autor beschreibt in ãEis essen mit CheÒ ergreifend,
wie es gehen kann.
Von REINHARD
HELLING
Gemessen an
Frank McCourts Slogan, dass sich eine glŸckliche Kindheit kaum lohne, hat Sa•d
Sayrafiezadeh die ersten achtzehn Jahre seines Lebens mit gro§em Gewinn
bestritten. Der 1968 in Brooklyn geborene Sohn einer amerikanisch-jŸdischen
Mutter und eines Exil-Iraners hat ordentlich gelitten. Nicht an Hunger und
Krankheiten wie McCourt, wohl aber wie dieser unter der Abwesenheit seines
Vaters. Und unter seinem unaussprechlichen Nachnamen. Trotzdem hat sich Sa•d
Sayrafiezadeh immer an diesen "gigantischen Namen" geklammert.
"Er war die einzige Verbindung zu meinem Vater, als ich ein kleiner Junge
war."
Mahmoud
Sayrafiezadeh, ein Mathematik-Professor, verlie§ seine Familie fŸr eine Idee,
die seine Frau, eine SekretŠrin und Mšchtegern-Schriftstellerin, mit Šhnlicher
Leidenschaft, aber weniger radikal in der Konsequenz fŸr den Alltag umtrieb:
den Sozialismus nach Amerika zu bringen. Paradoxerweise hat das Engagement
seiner Eltern fŸr die Socialist Workers Party, das den Jungen jeden Freitag-
und Sonntagabend kostete, dazu gefŸhrt, dass sie nur wenige Monate nach Sa•ds
Geburt getrennte Wege gingen.
WŠhrend Martha
sich um die drei Kinder kŸmmert und flei§ig plakatiert, reist Mahmoud durch die
Welt, hŠlt VortrŠge, schreibt Artikel fŸr das wšchentliche Kampfblatt "Militant"
und demonstriert. Irgendwann ist er fŸr seinen zweitgeborenen Sohn komplett
hinter einem "Berg an Revolutionspflichten" verschwunden. Alle
Jubeljahre schickt er einen Brief, noch seltener klappt es mit einem Treffen
der beiden.
Und so wuchs
der Junge - zunŠchst in New York, spŠter in Pittsburgh - unter den Augen von
Che Guevara und Fidel Castro auf, die von langsam vergilbenden Plakaten
zuschauten, wenn er am KŸchentisch sa§. Die beiden RevolutionŠre an der Wand
waren ihm bald vertrauter als sein Vater. Als er vier Jahre alt war, gingen
auch seine Šlteren Geschwister Jacob und Jamileh, bei denen die sozialistische
Sozialisation gefruchtet hatte, ihre eigenen Wege, und Sa•d blieb allein mit
seiner Mutter.
Aus Liebe zu
ihr, aber auch zu seinem abwesenden Vater, versucht der kleine Sa•d tapfer, ein
guter RevolutionŠr zu sein. Aber schon bald merkt er, dass er die ihm
zugedachte Rolle nicht Ÿberzeugend ausfŸllen kann. Zum einen fehlt ihm das
VerstŠndnis dafŸr, warum er plštzlich keine Weintrauben mehr essen darf
(Boykott!). Zum anderen merkt er, wie viel besser es ihm etwa in dem gro§en
Haus seines wohlhabenden Onkels Mark Harris gefŠllt als in der beengten
Wohnung, in der er mit seiner Mutter in Pittsburgh lebt.
Zu dem
riesengro§en Haus des Onkels gehšrten "ein Klavier, weiche Teppiche, ein
Garten, ein hellblauer Mercedes, ein schwarzes DienstmŠdchen und ein
unglaubliches Bild (...) von einer halb ausgewickelten Tafel Schokolade".
Daheim, in der kleinen Wohnung, gab es nur ein Durcheinander von Klamotten und
Mšbeln, dazu bergeweise alte "Militant"-Ausgaben, die bei jedem der
zahlreichen UmzŸge von den Genossen treppab und treppauf geschleppt wurden.
Eines Tages setzt sich Sa•d hin und sortiert die durcheinandergeratenen Stapel
brŸchiger Zeitungen chronologisch. "WŠhrend ich sie in eine Reihenfolge
brachte, schien mir, als ob ich eine Art Tagebuch lŠse."
Mit Ausbruch
der zweiten iranischen Revolution 1979 bekommt das Herkunftsland seines Vaters
fŸr den nun elfjŠhrigen SchŸler eine bedrohliche Note. Angestachelt von der
patriotischen Stimmung wŠhrend des monatelangen Geiseldramas in der
amerikanischen Botschaft in Teheran wird Sa•d von seinen Klassenkameraden als
Iraner gepiesackt. Trost findet er bei seiner Mutter, mit der er jeden Abend
die Nachrichtensendung mit Walter Cronkite schaut. "Das waren die wŠrmsten
Momente meines Tages, gemŸtlich, nur wir beide, gegen die Elemente
gefeit."
Bezeichnend
fŸr Sa•ds Herangehensweise an die Widrigkeiten des Lebens ist die Ma§nahme, die
er zur Abwendung weiterer HŠnseleien ergreift: Nun sagt er jedem, der ihn nach
seiner Herkunft fragt, dass er Perser sei. "Niemand, mich eingeschlossen,
wusste genau, wo oder was Persien war, aber alle schienen mit meiner Antwort
zufrieden zu sein."
Eine
Studienreise nach Kuba bringt das ganze Dilemma seiner Zerrissenheit zwischen
kindlichen WŸnschen und geforderter Gesinnung an den Tag: Beim Besuch einer
Tabakfabrik fŠllt ihm keine schlaue Frage ein, mit der er seine sozialistische
†berzeugung zum Ausdruck bringen kšnnte.
Und dann ekelt
er sich auch noch vor den dortigen Toiletten, da er weder eine Klobrille noch
Klopapier vorfindet. ZurŸck in Miami eilt er gleich im Flughafen auf das stille
…rtchen: "Ich konnte kaum fassen, was ich dort sah. Die Toilette war
sauber und hell. Eine Spiegelwand vervielfachte den Glanz. Der Raum war
klimatisiert. Ich wŠhlte eine Kabine und fand dort zu meiner gro§en
Erleichterung sowohl Klopapier als auch eine Klobrille vor. Wie vollkommen
glŸcklich ich war, wieder in den Vereinigten Staaten zu sein. Wie dankbar. Und
wŠhrend ich das dachte, wusste ich zugleich (...), dass es der falsche Gedanke
war und Zeichen eines schlimmen charakterlichen Makels."
Erst als
Sayrafiezadeh mit der Liebe als geheimnisvoller Macht in BerŸhrung kommt, kann
er Partei gegen die Partei ergreifen. Karen Mainenti, seine heutige Frau,
fragte ihn zu Beginn ihrer Bekanntschaft, ob er Kommunist sei, und er
antwortete, wie er es von seiner Mutter gelernt hatte: "Ich denke
schon." Doch jede weitere Nachfrage seiner Eroberung machte deutlich, dass
er nur aufgeschnappte ErklŠrungsbrocken ausspuckte. Schlie§lich rŠumte er ein: "Ich
glaube, ich habe keine Ahnung, wovon ich rede."
Es ist dieser
durch und durch sympathische Ton, der den Leser fŸr dieses tieftraurige und
wunderbar ehrliche Buch gefangennimmt. Da ist kein Selbstmitleid, kein falscher
Stolz, nicht einmal eine Anklage. Vielmehr schildert Sayrafiezadeh seine
unglŸckliche Kindheit mit stillem Humor. Im amerikanischen Original trŠgt das
von Bettina Abarbanell in bester Dienstleistermanier Ÿbersetzte Buch den Titel
"When Skateboards will be free. A Memoir of a Political Childhood".
Wahrscheinlich hat ein Verlagsvertreter durchgesetzt, dass es bei uns als Roman
firmiert. Doch das Etikett leitet in die Irre. Sayrafiezadeh bietet keine
durchkonstruierte Handlung, sondern lose miteinander verbundene
autobiographische Episoden. Wie das Leben eben so spielt.
Besonders nahe gehen einem die Szenen, in denen er seine damalige Einsamkeit und Verwirrung in eindringlichen Bildern und fast lyrischen SŠtzen einfŠngt. Wenn zum Beispiel seine Mutter, nach der Trennung von ihrem Mann, abends immer den Hšrer neben das Telefon legt. "Das Freizeichen heulte in der Dunkelheit wie ein seltsames Tier und erfŸllte mit seinem langen, stetigen Schrillen die stille Wohnung."
Sa•d Sayrafiezadeh: ãEis essen mit CheÒ. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 267 Seiten, geb., 19,95 Euro.
(Erschienen
in: ãFrankfurter Allgemeine ZeitungÒ,
22. November 2010)
© 2010 Reinhard Helling