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Ein dicker, kalter Nebel legt sich Ÿber Stock und Stein

 

Die Ruhe nach dem Medienrummel: In seinem Roman "Den Oridongo hinauf" erzŠhlt der Norweger Ingvar Ambj¿rnsen von einem Mann, der in der Einšde Norwegens so hartnŠckig wie vergebens nach innerem Frieden sucht..

 

Von REINHARD HELLING

 

Der Oridongo muss ein seltsamer Fluss sein. Der Norweger Ulf Vagsvik ist ihn mal bis zur Quelle hinaufgefahren und hat auf der Reise alles von Kjell Askildsen, dem "skandinavischen Beckett", gelesen, seine Haare verloren und sich einen neuen Namen zugelegt - sein alter lag hinter ihm "wie ein geprŸgelter Hund mit gebrochenem RŸcken". Nach diesem Abschied von seiner Vergangenheit hielt er es, der "die offenen BŸrolandschaften und die wechselnden Winde an der Bšrse am Ende satt hatte", nicht lŠnger in der Hauptstadt des Landes aus. 

Zum Auftakt des Romans "Den Oridongo hinauf" von Ingvar Ambj¿rnsen strandet der fŸnfzig Jahre alte Held auf der Insel Vaks¿y im Nordwesten Norwegens, wo er Ruhe sucht. Erste Anlaufstation ist seine Brieffreundin Berit, die unlŠngst ihren Mann Magne verloren hat. ZunŠchst sieht es so aus, als kšnnten die beiden mit der Vergangenheit Frieden schlie§en und gemeinsam etwas Neues beginnen: Ulf findet Gefallen an dem Jazz, den die Witwe ihm vorspielt - Miles Davis, Wayne Shorter, Keith Jarrett. Und Berit, elf Jahre Šlter, ist froh Ÿber den Mann im Haus, der Feuerholz aufschichtet und Magnes Boot in Ordnung bringt. Bald nennt sie Ulf zŠrtlich "mein gutester Vagsvikinger". Doch dann wird er von Eifersucht geplagt und vermasselt die ertrŠumte Zweisamkeit. Zum Trost fŸhrt er ZwiegesprŠche mit seinem verstorbenen Freund. 

Das Stadtkind Ambj¿rnsen hat sich mit diesem Buch die Freiheit genommen, Gott zu spielen und ein Eiland mit verschlafenen Orten, wortkargen Typen und einer urwŸchsigen Natur erfunden, bei dessen Beschreibung der Ton zuweilen an seinen Landsmann Knut Hamsun erinnert: "Ein dicker, kalter Nebel senkt sich, er legt sich Ÿber Wald und Gebirge, Ÿber Haus und Ebbesteine, nur ab und zu, fŸr kurze Momente, rei§t der Wind die graue Wand in StŸcke und Fetzen und lŠsst gelbe Finger aus Sonnenlicht auf Menschen und Geschehnisse zeigen."  Aber auch seine alte sozialkritische Leidenschaft hat der Autor, der nach einer Setzerlehre als GŠrtner und Pfleger in einer Psychiatrie arbeitete und eine "informelle Ausbildung zum Schriftsteller" auf der Stra§e genoss, noch einmal aufleben lassen. So kommentiert sein Protagonist mit starken SprŸchen das 270-Millionen-Kronen-Projekt einer BrŸcke von Vaks¿y Ÿber den Sund nach Binn¿ya: Sie sei das "Symbol fŸr das neue und geistesgestšrte Geld-Norwegen". Statt gemŸtlich mit der FŠhre Ÿberzusetzen, wollen die BefŸrworter "mit einem GŠhnen das Gaspedal zum Boden durchtreten und Ÿber einen grauen Bogen aus Beton jagen". 

Auslšser fŸr den Bruch zwischen Ulf und Berit sind die dramatischen Ereignisse, die mit der Ankunft der vierkšpfigen niederlŠndischen Familie van der Klerk zusammenhŠngen. Da auf Vaks¿y die Gemeindekasse leer ist, Ÿberlassen die Insulaner den neuen Steuerzahlern die alte Schule als Domizil. Gemeinsam renovieren sie das "HollŠnderhaus"; auch Ulf packt mit an, gewisserma§en als Therapie gegen die Geister der Vergangenheit. Kurz nach der Willkommensparty verschwindet allerdings Tom, der zwšlf Jahre alte Sohn der "Klerke". Erst nach fŸnf Tagen verzweifelter Suche rund um die Insel findet Ulf den Jungen všllig verstummt. 

Auf einigerma§en unprofessionelle Weise versucht Ulf den Jungen aus der Sprachlosigkeit zu locken und erzŠhlt ihm in bunten Farben von seiner Flussfahrt auf dem "gro§en Strom in der grŸnen Hšlle". Bis zum Schluss bleiben seine damaligen Erlebnisse in dem gleichen Ma§e rŠtselhaft, wie die Anspielungen auf Joseph Conrads ErzŠhlung "Herz der Finsternis" offensichtlich sind, in der FlussdampferkapitŠn Marlow seinerzeit den Kongo und sich selbst erkundete. Es ist eine Reise zu sich selbst. 

Dieser so melancholische wie aufwŸhlende Roman ist ein Lobgesang auf das einfache Leben: Er preist die schlichte KŸche, das gute alte Radio, die Ruhe. Die Wunder der Natur wahrnehmen, Holz stapeln, Fische fangen, tut der aufgewŸhlten Seele gut. Am Ende des Romans, der zwischen innerer und Šu§erer Welt mŠandert wie ein ordentlicher Fluss, hat Ulf Tom zwar noch keine Worte entlockt, aber immerhin ein LŠcheln. 

"Den Oridongo hinauf", 2009 in Norwegen erschienen und wie alle der fast fŸnfzig Ambj¿rnsen-BŸcher von seiner Frau Gabriele Haefs ins Deutsche Ÿbertragen, markiert drei Einschnitte in einer hierzulande noch immer unzureichend gewŸrdigten Karriere, die 1981 begann und dem Autor in seiner Heimat Verehrer und Auszeichnungen zuhauf einbrachte.  Die wahrscheinlich wichtigste Neuorientierung: Ambj¿rnsen ist, nach einem nervšsen Verlags-Hopping, wieder bei der kleinen Hamburger Edition Nautilus gelandet, die RŸckkehr sei "wie eine Romanze mit einer alten Liebe, nachdem man zwischendurch eine Menge konfuse AffŠren gehabt hat", so Ambj¿rnsen. Zum Zweiten ist der seit einem Vierteljahrhundert in Hamburg lebende Romancier nach dem Roman "Innocentia Park", der vor seiner HaustŸr im Stadtteil Eppendorf spielte, und den ErzŠhlungen "Teilweise abwesend" literarisch erstmals wieder in seine Heimat zurŸckgekehrt.  Und zum Dritten hat sich Ambj¿rnsen von dem reichlich mit Macken und Obsessionen ausgestatteten Junggesellen Elling emanzipiert, der ihm Mitte der neunziger Jahre internationale Aufmerksamkeit bescherte.

Zu diesem Zeitpunkt war Ambj¿rnsen, der Spezialist fŸr Hasch und Hippies, im hohen Norden lŠngst ein Star. Verfasst hatte er ein Dutzend Folgen der Jugendkrimis "Pelle und der Prof", die verfilmt wurden und als Comics in Tageszeitungen gedruckt wurden, dazu ReisebŸcher, Romane, Kolumnen fŸr eine Wochenzeitung, ErzŠhlungen und vieles mehr. Aber erst die vier BŠnde der Elling-Reihe stellten alles Vorherige in den Schatten und trugen den Namen des šffentlichkeitsscheuen Autors bis Hollywood: Petter N¾ss' Verfilmung von "Ausblick auf das Paradies" erfuhr 2002 als bester fremdsprachiger Film eine Nominierung fŸr den Oscar. Die Elling-Adaptionen, die Ambj¿rnsens Landsmann Axel Hellstenius fŸr die BŸhne realisierte, beflŸgelten den anhaltenden Kult. Ob am Landestheater Marburg oder am Teatro Galileo in Madrid: Elling begeistert bis heute auf vielen europŠischen BŸhnen.  Gut mšglich, dass der neue Roman und die gedankliche Flucht auf die Insel eine Reaktion auf den Medienrummel um die Figur Elling war. Im vergangenen Jahr hat der Exilnorweger den Spie§ der Ehrungen umgedreht: Gemeinsam mit der Regionalzeitung "¯stlands-Posten" hat Ambj¿rnsen einen Literaturfšrderpreis fŸr Jugendliche ausgelobt. Damit will der Autor, der schon immer ein gro§es Herz fŸr die Jugend hatte, den Nachwuchs fšrdern und andere ins Rampenlicht rŸcken.

Ingvar Ambj¿rnsen: "Den Oridongo hinauf". Roman.  Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Edition Nautilus, Hamburg 2012. 252 S., geb., 19,90 Euro.

 

(Erschienen in: ãFrankfurter Allgemeine ZeitungÒ, 8. Oktober 2012)


 © 2012 Reinhard Helling

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