Site hosted by Angelfire.com: Build your free website today!

Logo des Super-Head-Honchos


Alexander der Große

[Inhaltsverzeichnis]

Alexander starb am 10. Juni 323 v. u. Z. in Babylon, jener Stadt, der er als Metropole seines asiatischen Reiches neuen Glanz zu verleihen gedachte. Eine tückische Krankheit hatte seinem nicht einmal dreiunddreißigjährigen Leben ein Ende gesetzt. In einem elf Jahre währenden Siegeszug hatte er sich Griechenland und die alten Kulturgebiete des Orients bis nach Ägypten im nordöstlichen Afrika und bis nach Mittelasien und Indien hinein unterworfen. Gewaltige politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen waren die Folge, die Zeit des Hellenismus brach an.

Diese Umwälzungen zu werten kann nicht unsere Aufgabe sein. Vielmehr soll noch einmal Bilanz gezogen werden, in welchem Umfange sich das geographische Weltbild der Griechen erweitert hatte, denn Alexanders Kriegszug kann nach einem Ausspruch des großen humanistischen Universalgelehrten Alexander von Humboldt "als eine wissenschaftliche Expedition betrachtet werden; ja, die erste, in der ein Eroberer sich mit Gelehrten aus allen Fächern des Wissens: mit Naturforschern, Landmessern, Geschichtsschreibern, Philosophen und Künstlern umgeben hatte". Gerade deswegen ging von seinen Unternehmungen eine so gewaltige Wirkung aus, daß es Jahrhunderte dauerte, bis man sich der ganzen Größe der geleisteten Arbeit bewußt geworden war. Seine Zeit fand noch nicht die Maßstäbe, um die Fülle der Einzelergebnisse zu einer Gesamtschau zu vereinigen. Doch für die griechische Wissenschaft lichtete sich nun manches Dunkel, das über den Ländern des Ostens gelegen hatte - ob für längere Zeit, mußte sich erst erweisen.

Zunächst vertiefte sich die Vorstellung von dem landschaftlichen Gefüge des Ostens. Wie wenig wußte man bis dahin doch etwa von den großen Gebirgen jenseits von Armenien! Das armenische Hochland, das Elbursgebirge (Alborz), der Hindukusch, sie alle galten als Teil des Kaukasus. Jetzt lernte man sie besser unterscheiden und bekam sogar eine, wenn auch noch undifferenzierte Vorstellung vom höchsten Gebirge der Erde, dem Himalaja. In Mittelasien lernte man das Flußgebiet des Amu Darja (Oxos) und des Syr-Darja (Jaxartes) kennen, im indischen Subkontinent das Flußgebiet des Indus. Freilich, hier lagen auch die Grenzen der Erkenntnis, hielt man doch den Syr-Darja für den Oberlauf des Don (Tanais), der angenommenen Grenze zwischen Europa und Asien. Astronomische Ortsbestimmungen durchzuführen und daraus abzuleiten, daß man sich wesentlich östlicher und südlicher befinde als der Don, war in jener Zeit noch nicht möglich. Immerhin gelang es aber schon wenig später dem griechischen Philosophen und Geographen Dikaiarchos, einen Breitenkreis durch den Taurus und den Himalaja festzulegen. Das Unvermögen, den Standort astronomisch zu bestimmen, führte auch dazu, auf Grund des Vorkommens von Krokodilen in beiden Strömen den Indus für den Oberlauf des Nils zu halten, bevor man an die Indusmündung gelangte.

Das Erdbild schob sich damit in der Vorstellung der griechischen Gelehrten jener Zeit in eigentümlicher Weise zusammen. So konnte man sich auch das Meer im Süden, das "Erythräische Meer" (den Indischen Ozean), als ein Binnenmeer vorstellen, an dessen Süd- und Ostufer Afrika und Indien ineinander übergingen. Wenn sich Alexander und seine Umgebung durch den handfesten Beweis der Gezeiten auch vom Gegenteil überzeugen lassen mußten, die Vorstellung vom Binnenmeer des Südens sollte immer wieder aufleben, bis in das Zeitalter der Großen Entdeckungen hinein, in dem erst eine portugiesische Flotte unter Vasco da Gama den Seeweg um Afrika nach Indien entdeckte (1497/98).

Vom sagenhaften Indien glaubte man nun bessere Vorstellungen zu haben. Aber als Alexander im Pandschab, dem Fünfstromland im nordwestlichen Vorderindien, den östlichsten Punkt seines Kriegszuges erreicht hatte, mußte er von noch ferneren Ländern hören. So wurde ihm gesagt, daß jenseits einer Steppe von zwölf Tagesmärschen (der Wüste Thar) wieder Menschen an einem großen Strom (dem Ganges) in Städten lebten. So hatte er doch nicht das Ende der Welt erreicht. Wo aber lag es? Im Osten war es vielleicht nicht mehr weit entfernt. Wo aber war es im Westen zu finden? Wenn es richtig war, daß der Okeanos die Oikumene, die bewohnte Welt, umspülte, dann mußte man auch jenes Ende finden, wenn man die Flottenfahrten nach Westen fortsetzte.

Doch bleiben wir zunächst in Asien. Groß war dort die Zahl der Völker, mit denen das griechisch-makedonische, durch iranische Kontingente sich verstärkende Heer in feindlicher oder freundlicher Weise in Verbindung gekommen war: mit den seßhaften, ackerbautreibenden Bewohnern Mittelasiens, deren Wein die Soldaten besonders zu schätzen lernten und dem sie überreichlich zusprachen, mit den die Trockengebiete durchziehenden Nomaden, mit den Völkern des Pandschab und des unteren Induslandes, den gedrosischen Stämmen und vielen anderen mehr. Erstaunen weckten die fremdartigen Sitten, Gebräuche und Religionen. So wird von Alexanders Begegnung mit einem indischen Asketen berichtet, den die Griechen Kalanos nannten, der sich vor den Augen der Eroberer selbst auf einem Scheiterhaufen verbrannte. Sie hörten im nördlichen Pandschab von der eigenartigen Sitte der Witwenverbrennung, von der buddhistischen Lehre der Wiedergeburt und vielem anderen mehr. Sie lernten weiterhin die Handelsgüter des Iran, Mittelasiens und Indiens kennen und hörten erstmalig von den Erzeugnissen einer Insel, die wir unter dem Namen Ceylon kennen. Und die Seefahrer des Nearchos sahen als erste Griechen die seltsamen Mangrovewälder an den Küsten tropischer Meere.

Die eroberten Gebiete blieben unter griechischer Oberhoheit, im Indusgebiet zwar keine zehn Jahre, länger aber in Baktrien und in Mittelasien, wo griechische Heerführer und Soldaten geblieben waren und wohin sich griechische Händler noch lange Zeit wandten. Griechenland war zwar im Alexanderreich zum Nebenland degradiert, aber die griechische Sprache fand als Verkehrssprache und als Sprache der herrschenden Schichten eine weite Verbreitung; auch die griechische materielle und geistige Kultur sollte die neuerschlossenen Gebiete nachhaltig befruchten, wie auch umgekehrt die Kulturen des Ostens stark auf den Westen zurückstrahlten.

Vieles war also geschaffen, der Blick hatte sich geweitet, dem griechischen Handel waren riesige Gebiete geöffnet worden und der griechischen Kultur hatte sich ein großes Einflußgebiet erschlossen. Aber die Welt war in Bewegung, Erreichtes konnte unter den damaligen Bedingungen nicht von Dauer sein. Und doch, die ersten Schleier waren von fernen Welten gehoben, mochten an ihren Enden die Konturen auch wieder verschwimmen.

Sollte man fragen, was geworden wäre, wenn Alexander auch seine weiteren Pläne hätte verwirklichen können? Über sie ist viel gestritten worden, aber aus Ansätzen zu neuen Unternehmen und aus griechischen Überlieferungen können wir einige Schlüsse ziehen. Dabei müssen wir allerdings die Frage ausschließen, ob das Alexanderreich, selbst auf dem Höhepunkt seiner Macht, unter den gegebenen sozialökonomischen Bedingungen die Kraft besessen hätte, solch weitgespannte Pläne zu verwirklichen.

Zunächst die Tatsachen. Wie Arrian berichtet, plante Alexander gleich nach der Rückkehr des Nearchos, die Umsegelung der Küsten des Erythräischen Meeres fortzusetzen, und zwar zunächst von der Euphratmündung bis Ägypten. Wieder zeigte sich, daß frühere Fahrten vergessen waren und Alexander keine Vorstellungen von den Küsten Arabiens, geschweige denn von dessen Größe besaß.

Gewiß standen wirtschaftliche und machtpolitische Erwägungen im Vordergrund, denn eine direkte Seeverbindung vom neuen Machtzentrum des Reiches in Babylonien nach Ägypten konnte von unschätzbarem Wert sein, zumal dabei auch die Herkunftsgebiete der balsamischen Harze und der Gewürze erschlossen würden Vorexpeditionen tasteten die arabische Küste des Persischen Golfes ab. Wieder einmal wurden die Bahreininseln, damals Tylos genannt, von dem Schiffsführer Archias entdeckt. Ein anderer, Androsthenes, kam wahrscheinlich bis Abu Dhabi und berichtete über den Perlenhandel an der arabischen Golfküste. Ein dritter, Hieron, sollte Arabien umrunden, kehrte aber jenseits des Kaps Musandam wieder um, da ihn die Öde und Trostlosigkeit der Küste in Furcht versetzte. Zurückgekehrt berichtete er, daß Arabien fast die gleiche Größe habe wie Indien. Eine vierte Expedition schließlich kam bis an die Küste Südjemens, aber auch sie kehrte zurück, als ihr das Trinkwasser auszugehen drohte.

Dieses vorsichtige Vorgehen erinnert an die Versuche der Portugiesen im 15. Jahrhundert u. Z., sich an der nordwestafrikanischen Küste Stück um Stück vorzutasten, wobei sich kein Kapitän allzu weit von dem Endpunkt seines Vorgängers zu entfernen wagte. Bei den Unternehmen der Flottenführer Alexanders mutet diese Vorsicht um so merkwürdiger an, als sie, besonders in Hadramaut und Südjemen, mit Araberstämmen in Berührung kamen, die durch den Gewürzhandel reich geworden waren. Diesen waren die Seewege des Südens gewiß nicht unbekannt. Oder haben sie alles getan, die Fremden von einem weiteren Vordringen abzuhalten? Daß die Berührungen nicht gerade freundlicher Natur gewesen sind, zeigt wohl am besten die Tatsache, daß es der letzten Expedition gelang, einige der mit Argusaugen gehüteten Weihrauchbäume zu rauben. Erinnert das nicht an die Tat des englischen Botanikers Henry Wickham, der im Jahre 1876 Samen des kautschukliefernden Heveabaumes aus Brasilien schmuggelte, um das brasilianische Monopol auf dem Kautschukmarkt zu brechen?

Indessen hatte Alexander eine große Flotte bei Babylon bereitgestellt, um den Hauptschlag zu führen. Der Tod jedoch bereitete seinen weiteren Plänen ein jähes Ende. Es ist viel gerätselt worden, ob das Geschwader noch ausgelaufen ist und wohin es sich gewandt haben könnte. Wir können den Nachrichten aus jener Zeit nur soviel entnehmen: Alexander plante nicht nur, bis zum Golf von Sues im Roten Meer vorzustoßen, das nach seinen Vorstellungen nur ein Nebenarm des Erythräischen Ozeans sein konnte. Vielmehr sollte sich eine Umsegelung Libyens (Afrikas) anschließen, von dessen Größe er jedoch keine Vorstellung besaß. Die einstige phönikische Umsegelung des schwarzen Erdteils war ihm unbekannt geblieben. So phantastisch dieser Plan für jene Zeit anmutet, so stand er doch nicht isoliert und ohne Zusammenhang für sich. Vielmehr sollte die Umrundung Afrikas bis zu den Säulen des Herakles, der Straße von Gibraltar, in der gleichen Zeit erfolgen, in der eine kombinierte Land-und-See-Expedition längs der afrikanischen Mittelmeerküste die karthagische Vorherrschaft im Westen brechen sollte. Nach dem Osten wollte Alexander somit auch den Westen seinem Reiche einverleiben, wobei er sicher auch an das westliche Europa dachte, von dem er nur recht vage Vorstellungen besaß. Daß etwa zur gleichen Zeit eine der berühmtesten griechischen Expeditionen des Altertums, die des Pytheas, die atlantischen Gewässer bis zur Nordsee erkundet hatte, war ihm unbekannt geblieben. Vielleicht plante Alexander, entsprechend seinen Erfahrungen im Südmeer, auch Europa durch eine kombinierte Land-und-See-Expedition zu erkunden und zu erobern, wenn sich eine solche Absicht auch quellenmäßig nicht belegen läßt. Eine Umfahrung Europas mußte ihm um so eher als durchführbar vorschweben, als er eine Rückkehr über das Kaspische Meer für möglich hielt. War doch nach seiner Meinung das Kaspische Meer eine Bucht des nördlichen Ozeans, die ähnlich nach Süden vorsprang wie der Persische Golf vom Südmeer nach Norden.

Mit diesen Plänen eilte Alexander weit seiner Zeit voraus. Es war ein Traum von einer Welt, die sich erst fast 2000 Jahre später in allen ihren Umrissen und Zusammenhängen offenbaren sollte, unter ganz anderen sozialökonomischen Bedingungen, zu einer Zeit, die für solche Erkenntnisse reif geworden war und die entsprechenden materiellen und geistigen Voraussetzungen geschaffen hatte. Aber auch dieser Traum gehört zu dem Bild, das sich die Alexanderzeit von der Erde machte. Es war ein Bild, das in wenigen Jahren seine Fläche um vieles vergrößert hatte, mehr als es je zuvor in einem Kulturbereich der Fall gewesen ist, ein Bild aber auch, das trotz aller Hoffnungen jener Zeit nur einen Bruchteil der Erde umfaßte und selbst im bekannten Bereich noch manche Mängel, Fehler und Irrtümer aufwies, die um so größer wurden, je mehr man sich dem vermeintlichen Ende der Erde näherte.

[Quelle: Walter Krämer - Geheimnis der Ferne]

[Inhaltsverzeichnis]