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Zwei Hauptstädte - zwei Kulturen



Porto



[Diese Stadt buhlt nicht um die Gunst der Gäste, ist nicht museal und nicht kokett, kennt keine Superlative. Welche Erholung!]

Von Matthias Zschokke


Dass die Stadt am Meer liegt, merkt man bei der Ankunft nicht. Verblüffend sind bloss die laue, weiche Luft, Anfang Februar, und die Grösse der Möwen, die zu Hunderten schreiend über den Dächern und um die kleinen, dunklen, weit oben sich wiegenden Palmkronen kreisen. Vereinzelt blühen Magnolien und baumhohe Kamelien vor Fassaden, von denen die Fliesen herunterfallen und der Putz abblättert. Rostige Wellblechhütten lehnen sich an finstere Häuser aus Granit, mit denen sie gemeinsam den steilen Hang hinunterrutschen Richtung Rio Douro. Der wälzt sich zähflüssig, karamelgelb nach rechts und verliert sich im Dunst. Manchmal dampft er, sodass man nichts sieht vom gegenüberliegenden Ufer mit den Portweinkellereien. Manchmal dampft die Stadt, dafür sieht man den Fluss. Und mitten in diesem sanften Gebrodel stehen oder gehen Menschen in Mänteln und denken nach.

Kultur? Lange her. Im Hotelaufzug steht auf einem Schildchen "4 Pessoas" (4 Personen), und ein Hauch von grosser vergangener Literatur weht durch. Ausserdem ist an der Rua Carmelitas die vielleicht märchenhafteste Buchhandlung der Welt zu entdecken, Lello, in jedem Reiseführer vermerkt und trotzdem eine Überraschung. Selbst eingefleischte Nichtleser werden hier nicht länger widerstehen können und der Sehnsucht nach dem Anderen verfallen.

Das königliche Theater S. Joao ist in den Dreissigerjahren eingeschlafen. Erst kurz vor der Jahrtausendwende hat man es wieder erweckt und neu eröffnet. Jetzt steht es da, ausgemalt in der Farbe von dumpfem Ochsenblut, verziert mit schwerem Gold, ungeheizt, mit Notbeleuchtung im Zuschauerraum. Man erwartet, wenn der Vorhang aufgeht, düstere Opern voller Rache und Menschenopfer, mit Vasco da Gama und Cabral als Helden im Fackellicht. Gezeigt wird jedoch zivilisiertes Schauspiel, das sich ohne weiteres an Aufführungen in Zürich oder London messen lassen kann.

Doch das Publikum? Die paar Einheimischen, die anwesend sind, schauen sich das Dargebotene versonnen an, in Mäntel gehüllt, regungslos. Wenn es zu Ende geht, erheben sie sich und applaudieren höflich, voller Respekt einer Kultur gegenüber, die ihrem Gedächtnis entschwunden ist. Nach zwei Minuten verlassen sie nachdenklich das Theater und treten draussen an den Abgrund. Eine U-Bahn wird gebaut. Jeder Platz in der Stadt ist ein riesiges Loch, an dessen Rändern die Einwohner auf wackeligen Stegen entlangbalancieren, einer hinter dem anderen. Viele bleiben stehen und schauen hinab, versunken in Gedanken.

Etwas ausserhalb, in einem schönen Park, wurde ein Museum für moderne Kunst gebaut. Einige Ecken darin sind auf beeindruckende Weise geglückt, andere ebenso beeindruckend missraten. Dieses Museu Serralves sucht man sonntags auf, da ist der Eintritt frei, um in Mänteln gemessen durch die Räume zu schreiten und sich anzuschauen, was die Wirtschafts- und Machtzentren Europas auf bildnerischem Gebiet hervorbringen und als Leihgabe zurzeit verschicken.

Zwischen den Betrachtern wurde ich nachdenklich. Es kam mir vor, als werde hier ein fernes Volk mit einer Auffassung von Kultur beglückt, die es aus Überzeugung längst hinter sich zurückgelassen hat, und mit der es sich nur noch aus Höflichkeit abgibt. Es überlässt ihr gastfreundlich ein paar Räume in der ruhigen Zuversicht, sie irgendwann auch wieder einmal abziehen zu sehen, um an den Strand zurückzukehren und weiter sinnieren zu können über Dinge, die wesentlich sind. Die Kultur des Kaffeetrinkens zum Beispiel: Was für ein Erlebnis, die unzähligen Tea-Rooms und Konditoreien! Endlose, wenig charmant eingerichtete, in die Tiefen der Häuser sich ziehende Schläuche, in denen vorzügliche Backwaren gegessen und dazu fabelhafter Kaffee in verschiedensten Varianten zu sich genommen wird (meine Lieblinge: der Pingo und der Galao). Um nur eines namentlich zu erwähnen: das "Imperio", wo der Kellner das Bestellte auf grossen Tabletts herbeiträgt, die er vor einem auf den kleinen Blechtisch stellt und als Tischplatte stehen lässt. Da sitzt man, im Mantel, und bekommt unter anderem einen Jugendtraum erfüllt: Fotzelschnitten; altes Brot, aufgeweicht in Ei und Milch, schwimmend in Fett gebraten, mit Zucker und Zimt bestreut, warm serviert.

Oder die Kultur des Miteinander-Umgehens: Fragt man jemanden nach dem Weg, reagiert er nicht. Tippt man ihn leicht an, wendet er sich einem verhangen zu, realisiert einen und taucht unwillig aus seinen Gedanken auf. Wiederholt man die Frage, erhellt sich sein Gesicht. Er begreift, dass man ihn etwas fragt, worauf es eine Antwort gibt. Er öffnet den Mund, und ein zauberischer Klang hebt an - was für eine schmiegsame, federnde Sprache! Er erklärt, malt aus, überlegt, erklärt andersherum, wäh rend man ihn anstarrt, nichts versteht, sich aber am liebsten hineinlegen möchte in seine Worte. Manchmal bedeutet er einem zum Schluss, man möge ihm folgen, und führt einen voller Scheu, einem zu nahe zu treten, an den gesuchten Ort. Ob Mann, Frau, Kind oder Greis, der Ablauf war immer der gleiche: Absenz, Auftauchen aus grüblerischen Tiefen, kurze Verfinsterung, dann Licht und Musik. Keine einzige unerfreuliche Begegnung, nicht eine.

Wer es leid ist, Wochenenden im ewigen New York, Venedig oder Barcelona zu verbringen, wo er an vom Tourismus lebenden, am Tourismus leidenden Kreaturen abprallt; wer es leid ist, sich durch bombastischere Museen als die zu Hause zu schleppen, monumentalere Paläste als die zu Hause anzustarren - der atmet in Porto auf. Eine struppige, nicht museale, nicht kokette, nicht morbide Stadt, die nicht für sich einnehmen will und nicht um einen buhlt. Welche Erholung!

Richtung Westen ziehen sich bessere Wohnquartiere bis zum Stadtteil Foz. Im Bus dauert die Fahrt etwa zehn Minuten, dem Fluss entlang. Und da liegt er dann: der ungeheure Atlantik! Träge, mächtige Wellen kommen auf einen zu gerollt, Männer in Mänteln stehen da mit beschlagenen Brillen, schauen hinaus übers Wasser und denken nach. Stehen einfach da und saugen die schwere, laue Luft mit den Salztröpfchen in sich. Was für eine Lust, von hier loszugehen, der Avenida de Montevideu entlang, betäubt vom Getöse und bestäubt von der Gischt, auf der einen Seite Wasser, auf der anderen Wohnhäuser, nichts Besonderes, Blöcke, Lücken, dann und wann eine alte Villa, im Sommer wahrscheinlich Strandcafés, im Winter ziemlich entvölkert - zu gehen, bis die Beine schwer sind und der Kopf dröhnt.

Wer etwas zu feiern hat, sollte es so einrichten, dass er im "Dou Manoel" zu Mittag essen kann. Ein lohnender Luxus: Vor den breiten Scheiben donnert der Atlantik, man sitzt drin, warm, trocken, in Rosa, Silber und Gold. Wer es etwas weniger teuer und vornehm haben möchte, findet, leicht zurückversetzt, das "Cafeína", ein Restaurant, das ich am liebsten dabei hätte, wo immer ich bin.

Die Empfehlungen sind ernst zu nehmen. Essen in Porto ist nicht unbedingt ein Vergnügen. Es gibt viel Mittelmass, deftig gekochte, grosse, einfallslose Portionen, Kabeljauklumpen, Steakfladen, Kartoffelberge. Nur die Desserts machen fast überall Spass, wenn man sie denn noch hinunter kriegt. Grundsätzlich zu loben ist der lokale Vinho Verde, ein leichter, weisser Wein, der entfernt an sauren Most erinnert. Die rote Variante davon kam mir langweilig vor, aber wahrscheinlich habe ich unglücklich gewählt - es gibt Leute, die werden wütend, wenn man portugiesischen Rotwein gering schätzt.

Wer weder ins eine noch ins andere gehen mag (in der Innenstadt empfehle ich ausserdem das "D Tonho" und als Luxusvariante das "Portucale"), sollte es mit einer der vielen Spelunken versuchen (Churrasqueirras usw.), in denen es zwei, drei Tagesgerichte für wenig Geld gibt, neben flachgeklopften Hähnchen vom Holzkohlegrill und einem Topf voll Olivenöl, in dem Sardinen fritiert werden.

Die Lokale sehen wenig Vertrauen erweckend aus, zumal man meist nicht sieht, was und wer sich in deren Tiefe verbirgt. Ist man aber erst einmal eingetreten, machen sie Freude. Die einfachen Gerichte schmecken gut, Lombo zum Beispiel (Rind - während anderswo die BSE-Hysterie grassiert, hängen in Portos Metzgereien, herzerfrischend unverkrampft, ganze halbe Ochsen im Schaufenster). Oder Papas, ein braungrauer, heisser Brei, vielleicht Hafer, vermischt mit gestampften, gestocktem Blut - es war nicht herauszuschmecken aber angenehm zu essen -, oder schon nur die mit Bratensaft vollgesaugten Kartoffelwürfel! Dazu immer Vinho Verde, danach einen Kaffee, vielleicht auch einen Porto. Sich über den Portwein auszulassen ist allerdings eine Wissenschaft; am besten besucht man einmal zur blauen Stunde das "Solar", eine Portweinprobierstube in einem alten, wunderschön gelegenen Herrenhaus mit Blick auf den Douro; oben drin ist das rührende Museu Romantico zu besichtigen.

Ausserdem hat mich der Balhao begeistert, ein grosser, alter, müder Markt mit Greisinnen, die, den Kopf schwer aufgestützt, tagtäglich von Hand Grünkohl raffeln und ihn verkaufen (aus dem ein schleimiges, eigenartig schmeckendes Püree gekocht wird). Andere bieten lebende Hühner an oder holen Kaninchen aus ihrem Käfig, um deren Hoden zu zeigen, ich weiss nicht warum, aber es scheint wichtig zu sein, sie packen die Kaninchen an den Ohren, legen sie auf den Rücken, nehmen die Hoden zwischen die Finger und drücken sie heraus. Nebenan wird Kaffee getrunken, Garküchen zwängen sich zwischen die Stände, und in der Spanferkelbraterei "Nelson dos Leitoes" kann man an ein paar Tischchen vorzüglich essen. Ein irres, trauriges Bazartreiben findet überdies am Sonntagvormittag neben dem Bahnhof S. Bento statt, wo junge Hunde, Katzen, Kanarienvögel etc. angeboten werden.

Zum Schlafen findet man von sehr preiswerten Pensionen bis zum Nobelhotel "Infante de Sagres" alles. Im Winter empfiehlt es sich, ein Haus mit Heizung zu wählen - viele sind nicht beheizbar -, sonst kann es im Bett klamm werden. Wer sich nicht davor scheut, seinen Tipp einer Tageszeitung zu entnehmen, der greife auf der Stelle zum Telefon und buche im "Porto Carlton Hotel" ein Zimmer zur Douro-Seite. Er wird staunen. Eine günstige Alternative für wärmere Tage ist das geräumige Zimmer 36 mit der dazugehörigen, noch geräumigeren Terrasse im "Residencial Rex".


Rotterdam



[Architekturfans kommen hier auf die Rechnung. Sonst herrscht vorwiegend Fernwehstimmung. Nicht nur am Hafen.]


Bis 16. April ist in der Kunsthal eine Auswahl berühmter Gemälde aus fünf Jahrhunderten zu sehen, Bilder, die ich bislang nur von Kunstdrucken, Postkarten oder Kalendern kannte. Sie gehören einem geheimnisumwitterten Dr. Gustav Rau, dessen Sammlung - der Öffentlichkeit kaum zugänglich - als eine der wertvollsten der Welt gilt und in Embrach bei Zürich in einem Tresorraum gelagert wird. Grundsätzlich einen Besuch wert ist das Museum Boijmans Van Beuningen, ein überzeugender Bau, in dem erstklassige Werke hängen. Im Sommer wird dort für Interessierte eine Brueghel-, im Herbst eine Hieronymus-Bosch-Ausstellung gezeigt.

Sonst? Viele Fotos, Dias, Videoinstallationen oder gar nichts in Fabrikhallen, Tanztheater- und Comedyankündigungen, lustige und traurige Einfälle, wie sie zurzeit in unseren Kapitalen unter dem Sammelbegriff Kunst überall zu haben sind.

Die Stadt? Wer in ihr nichts verloren hat, wird auch kaum etwas finden. Sie ist im Zweiten Weltkrieg zerbombt worden und hat sich danach auf das konzentriert, was übrig blieb: das neue Bauen. Für Architekturstudenten vielleicht aufregend, bietet sie dem müssig gehenden Besucher höchstens dann und wann eine verblüffende Perspektive (von der Erasmusbrücke etwa). Quartiere, die an Bauhaus erinnern, gehen über in solche für Freunde des Spannbetons. Dazwischen futuristische Türme aus Aluminium und Glas. Die von ihnen erzeugten Fall- und Steigwinde wirbeln Müll durch die Luft. Dort eine Überbauung, die ihre Mieter als Geiseln nimmt, da eine, die ihnen neue Lebensformen eröffnet. Nach ein paar Stunden tun einem von den scharfen Kanten die Augen weh. Man möchte sie schliessen und sich ausruhen.

Direkt gegenüber vom Bahnhof steht der Millennium Tower, ein silbriger Wolkenkratzer, der letzten November fertig gestellt wurde. Darin untergebracht ist das Hotel "Westin". Es wirbt mit seinen hochwertigen Betten. Zu Recht. "The Heavenly Bed" ist ein überbreiter Liegetraum, ausgestattet mit fabelhaften Matratzen, Leinen von höchster Qualität, mehreren verschieden schweren Decken aus besten Gänsedaunen - nur die Kissen sind leider gemeine Schaumstoffwülste, die einen mitten in der Nacht verspannt und verschwitzt aufwachen und den Fernseher einschalten lassen. Da läuft ein Programm aus Dubai, Kamelrennen, hypnotisierend. In jedem Hotel sollten Kamelrennen zu sehen sein.

Am Morgen dann, beim Verlassen des Zimmers, kriegt man beim Berühren der Türklinke einen aufmunternden elektrischen Schlag verpasst und fühlt sich bis auf weiteres hellwach. Das brandneue Hotel macht Spass und ist - wenn man den Wochenendtarif bekommt - seinen Preis wert (die regulären Preise sind zu hoch; Rotterdam kam mir allgemein teuer vor).

Entladen geht man los - und geht und geht. Zum Verzweifeln. Sicher, die Radwege, denen man folgt, sind vorbildlich. Das Knattern der Ampeln bei Grün und das warnende Bimmeln, wenn ein Tram sich nähert, bewahren einen beim Überqueren der Strassen mustergültig vor dem frühen Verkehrstod - nur wozu?

Wenn das Spazieren zum puren Trott wird, wenn man links oder rechts gehen kann, sich hier reinsetzen oder dort - alles egal, alles ähnlich schmuddelig, aufgegeben, unter normalnull -, dann begreift man, warum die Holländer jahrhundertelang die Weltmeere unsicher gemacht haben: Sie hielten es zu Hause nicht aus, gepeinigt vom Fernweh.

Nur gerade die West Kruiskade bietet etwas Abwechslung, eine exotische Einkaufsstrasse mit chinesischen Supermärkten, javanischen Schlächtereien, afrikanischen Obst- und Gemüsehändlern, polnischen Bäckern, der vortrefflichen orientalischen Konditorei "Marrakesch", einer Freibank, in der drei Kilo Fleisch sechs Gulden kosten, Ramschläden, Stoffen - und das Überraschendste: Man ist von lauter Farbigen umgeben. Ein einziges, wildes, buntes Gewusel, wie man es in andern Städten Europas kaum kennt.

Sonst? Wer sich für den grössten Hafen der Welt interessiert, kann darin zermürbende Rundfahrten im Boot machen oder ihn sich von oben anschauen, vom Euromast aus: So weit das Auge reicht Hafenbecken, Kais, Trockendocks, Kräne, Gleisanlagen, Containerstapel. Oder man fährt im Vorortszug nach Hoek van Holland (Fährhafen nach England) und geht dort der Maas entlang bis zur Mündung, wo sich Europa in die Nordsee entleert.

Da steht ein Pavillon mit ein paar Informationen und - als Prunkstück - einem Computer, aus dem zu erfahren ist, welche Schiffe gerade ein- und auslaufen - während vor der Nase die Riesen hin- und herfahren und sich auf der gegenüberliegenden Uferseite rauchende Raffinerien und Werften bis an den Horizont ziehen. Eine einzige ökologische Katastrophe. Zwar sei die Gülle, die ins Meer läuft, inzwischen nicht mehr ganz so giftig, heisst es. Trotzdem muss der Schlick, der regelmässig aus der Fahrrinne gebaggert wird, als Sondermüll entsorgt werden. Das Ganze ist von trostloser Grossartigkeit.

Aufatmen kann man im kleinen Karree um den Veerhaven, wo es auch schöne Cafés und Esslokale gibt ("Loos", "La stanza" und besonders das "Parkzicht"). Von da mit dem Schiffstaxi überzusetzen zum Hotel-Restaurant "New York", ist sogar eine Attraktion. Schon im Boot wird man von einer sonderbaren Stimmung gepackt, etwas zwischen Wehmut und Abschied. Das "New York" ist im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Holland-Amerika-Linie untergebracht, mitten in der Maas, auf einer Insel. Hier drängte sich zusammen, wer im Zweiten Weltkrieg von Europa nach Amerika floh.

Bei der Ankunft, spätestens beim Eintritt in das heruntergekommene Gebäude, packt einen eine Art Reisefieber und die unbestimmte Angst, man habe den Pass vergessen oder bekomme kein Ticket mehr oder . . . Obwohl alles andere als eine Geheimtipp, ist dies zweifellos ein magischer Ort. Und die schönste Nacht, die man in Rotterdam verbringen kann, ist ohne Frage eine im hiesigen "directors room" mit seiner spektakulären Aussicht und dem Ambiente eines Hollywoodstudiobossbüros der Dreissigerjahre.

Eine der günstigsten und gleichzeitig attraktivsten Adressen ist das "Maritime Hotel/Zeemanshuis" gegenüber. Hier steigen die Seeleute ab. Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet, bieten dafür aber einen tollen Blick aufs Wasser. Und neben Matrosen aus Panama, Celebes, Sumatra oder Borneo zu frühstücken, ist fast so etwas wie ein Abenteuer. Ebenso wie die indonesische Reistafel, ein Festmahl mit über vierzig verschiedenen Schälchen, Spiesschen und Plättchen, das man in Holland unbedingt einmal gegessen haben muss, wie jeder versichert. In Reiseführern und an den Hotelréceptionen wird einem als beste Adresse dafür das "Radèn Mas" empfohlen.

Dummerweise habe ich den Rat befolgt. Das Restaurant ist ausgestattet wie ein Edelpuff aus dem Kino der Siebzigerjahre. Halbseidene Schieber aus aller Welt tätigen hier ihre Geschäftsabschlüsse, flankiert von gemieteten Begleiterinnen. Die Kellner bedienen mit dem schleimigen Charme von aus deutschen Schlagern entwichenen Hawaii-Insulanern. Das Essen ist überteuert und schlecht. Mit schweren Blähungen wälzte ich mich hinterher in meinem Heavenly Bed und schaute Kamelrennen.

Das gleiche Essen bekommt man sehr viel günstiger und besser in den surinamischen Imbissbuden an der Witte-de-Withstraat ("Cong") oder im Restaurant "Dewi Sri", hier sogar mit Sicht auf die Maas, wo das Pfannkuchenschiff vorüberfährt. Wer davon Appetit bekommt, kann mit dem Zug ins nahe gelegene Seebad Scheveningen fahren und dort - mit Blick auf den grauen Sand am grauen Meer - so einen Pfannkuchen bestellen und versuchen, froh zu sein.



"Tages-Anzeiger", Zürich, 24.3.2001