Dass die Stadt am Meer liegt, merkt man bei der Ankunft
nicht. Verblüffend sind bloss die laue, weiche Luft, Anfang
Februar, und die Grösse der Möwen, die zu Hunderten
schreiend über den Dächern und um die kleinen, dunklen,
weit oben sich wiegenden Palmkronen kreisen. Vereinzelt
blühen Magnolien und baumhohe Kamelien vor Fassaden,
von denen die Fliesen herunterfallen und der Putz abblättert.
Rostige Wellblechhütten lehnen sich an finstere Häuser aus
Granit, mit denen sie gemeinsam den steilen Hang
hinunterrutschen Richtung Rio Douro. Der wälzt sich
zähflüssig, karamelgelb nach rechts und verliert sich im
Dunst. Manchmal dampft er, sodass man nichts sieht vom
gegenüberliegenden Ufer mit den Portweinkellereien.
Manchmal dampft die Stadt, dafür sieht man den Fluss. Und
mitten in diesem sanften Gebrodel stehen oder gehen
Menschen in Mänteln und denken nach.
Kultur? Lange her. Im Hotelaufzug steht auf einem
Schildchen "4 Pessoas" (4 Personen), und ein Hauch von
grosser vergangener Literatur weht durch. Ausserdem ist an
der Rua Carmelitas die vielleicht märchenhafteste
Buchhandlung der Welt zu entdecken, Lello, in jedem
Reiseführer vermerkt und trotzdem eine Überraschung.
Selbst eingefleischte Nichtleser werden hier nicht länger
widerstehen können und der Sehnsucht nach dem Anderen
verfallen.
Das königliche Theater S. Joao ist in den Dreissigerjahren
eingeschlafen. Erst kurz vor der Jahrtausendwende hat man
es wieder erweckt und neu eröffnet. Jetzt steht es da,
ausgemalt in der Farbe von dumpfem Ochsenblut, verziert
mit schwerem Gold, ungeheizt, mit Notbeleuchtung im
Zuschauerraum. Man erwartet, wenn der Vorhang aufgeht,
düstere Opern voller Rache und Menschenopfer, mit Vasco
da Gama und Cabral als Helden im Fackellicht. Gezeigt wird
jedoch zivilisiertes Schauspiel, das sich ohne weiteres an
Aufführungen in Zürich oder London messen lassen kann.
Doch das Publikum? Die paar Einheimischen, die
anwesend sind, schauen sich das Dargebotene versonnen
an, in Mäntel gehüllt, regungslos. Wenn es zu Ende geht,
erheben sie sich und applaudieren höflich, voller Respekt
einer Kultur gegenüber, die ihrem Gedächtnis
entschwunden ist. Nach zwei Minuten verlassen sie
nachdenklich das Theater und treten draussen an den
Abgrund. Eine U-Bahn wird gebaut. Jeder Platz in der Stadt
ist ein riesiges Loch, an dessen Rändern die Einwohner auf
wackeligen Stegen entlangbalancieren, einer hinter dem
anderen. Viele bleiben stehen und schauen hinab,
versunken in Gedanken.
Etwas ausserhalb, in einem schönen Park, wurde ein
Museum für moderne Kunst gebaut. Einige Ecken darin sind
auf beeindruckende Weise geglückt, andere ebenso
beeindruckend missraten. Dieses Museu Serralves sucht
man sonntags auf, da ist der Eintritt frei, um in Mänteln
gemessen durch die Räume zu schreiten und sich
anzuschauen, was die Wirtschafts- und Machtzentren
Europas auf bildnerischem Gebiet hervorbringen und als
Leihgabe zurzeit verschicken.
Zwischen den Betrachtern wurde ich nachdenklich. Es kam
mir vor, als werde hier ein fernes Volk mit einer Auffassung
von Kultur beglückt, die es aus Überzeugung längst hinter
sich zurückgelassen hat, und mit der es sich nur noch aus
Höflichkeit abgibt. Es überlässt ihr gastfreundlich ein paar
Räume in der ruhigen Zuversicht, sie irgendwann auch
wieder einmal abziehen zu sehen, um an den Strand
zurückzukehren und weiter sinnieren zu können über Dinge,
die wesentlich sind. Die Kultur des Kaffeetrinkens zum
Beispiel: Was für ein Erlebnis, die unzähligen Tea-Rooms
und Konditoreien! Endlose, wenig charmant eingerichtete, in
die Tiefen der Häuser sich ziehende Schläuche, in denen
vorzügliche Backwaren gegessen und dazu fabelhafter
Kaffee in verschiedensten Varianten zu sich genommen wird
(meine Lieblinge: der Pingo und der Galao). Um nur eines
namentlich zu erwähnen: das "Imperio", wo der Kellner das
Bestellte auf grossen Tabletts herbeiträgt, die er vor einem
auf den kleinen Blechtisch stellt und als Tischplatte stehen
lässt. Da sitzt man, im Mantel, und bekommt unter anderem
einen Jugendtraum erfüllt: Fotzelschnitten; altes Brot,
aufgeweicht in Ei und Milch, schwimmend in Fett gebraten,
mit Zucker und Zimt bestreut, warm serviert.
Oder die Kultur des Miteinander-Umgehens: Fragt man
jemanden nach dem Weg, reagiert er nicht. Tippt man ihn
leicht an, wendet er sich einem verhangen zu, realisiert
einen und taucht unwillig aus seinen Gedanken auf.
Wiederholt man die Frage, erhellt sich sein Gesicht. Er
begreift, dass man ihn etwas fragt, worauf es eine Antwort
gibt. Er öffnet den Mund, und ein zauberischer Klang hebt an
- was für eine schmiegsame, federnde Sprache! Er erklärt,
malt aus, überlegt, erklärt andersherum, wäh
rend man ihn anstarrt, nichts versteht, sich aber am liebsten
hineinlegen möchte in seine Worte. Manchmal bedeutet er
einem zum Schluss, man möge ihm folgen, und führt einen
voller Scheu, einem zu nahe zu treten, an den gesuchten Ort.
Ob Mann, Frau, Kind oder Greis, der Ablauf war immer der
gleiche: Absenz, Auftauchen aus grüblerischen Tiefen, kurze
Verfinsterung, dann Licht und Musik. Keine einzige
unerfreuliche Begegnung, nicht eine.
Wer es leid ist, Wochenenden im ewigen New York, Venedig
oder Barcelona zu verbringen, wo er an vom Tourismus
lebenden, am Tourismus leidenden Kreaturen abprallt; wer
es leid ist, sich durch bombastischere Museen als die zu
Hause zu schleppen, monumentalere Paläste als die zu
Hause anzustarren - der atmet in Porto auf. Eine struppige,
nicht museale, nicht kokette, nicht morbide Stadt, die nicht
für sich einnehmen will und nicht um einen buhlt. Welche
Erholung!
Richtung Westen ziehen sich bessere Wohnquartiere bis
zum Stadtteil Foz. Im Bus dauert die Fahrt etwa zehn
Minuten, dem Fluss entlang. Und da liegt er dann: der
ungeheure Atlantik! Träge, mächtige Wellen kommen auf
einen zu gerollt, Männer in Mänteln stehen da mit
beschlagenen Brillen, schauen hinaus übers Wasser und
denken nach. Stehen einfach da und saugen die schwere,
laue Luft mit den Salztröpfchen in sich. Was für eine Lust,
von hier loszugehen, der Avenida de Montevideu entlang,
betäubt vom Getöse und bestäubt von der Gischt, auf der
einen Seite Wasser, auf der anderen Wohnhäuser, nichts
Besonderes, Blöcke, Lücken, dann und wann eine alte Villa,
im Sommer wahrscheinlich Strandcafés, im Winter ziemlich
entvölkert - zu gehen, bis die Beine schwer sind und der
Kopf dröhnt.
Wer etwas zu feiern hat, sollte es so einrichten, dass er im
"Dou Manoel" zu Mittag essen kann. Ein lohnender Luxus:
Vor den breiten Scheiben donnert der Atlantik, man sitzt drin,
warm, trocken, in Rosa, Silber und Gold. Wer es etwas
weniger teuer und vornehm haben möchte, findet, leicht
zurückversetzt, das "Cafeína", ein Restaurant, das ich am
liebsten dabei hätte, wo immer ich bin.
Die Empfehlungen sind ernst zu nehmen. Essen in Porto ist
nicht unbedingt ein Vergnügen. Es gibt viel Mittelmass, deftig
gekochte, grosse, einfallslose Portionen, Kabeljauklumpen,
Steakfladen, Kartoffelberge. Nur die Desserts machen fast
überall Spass, wenn man sie denn noch hinunter kriegt.
Grundsätzlich zu loben ist der lokale Vinho Verde, ein
leichter, weisser Wein, der entfernt an sauren Most erinnert.
Die rote Variante davon kam mir langweilig vor, aber
wahrscheinlich habe ich unglücklich gewählt - es gibt Leute,
die werden wütend, wenn man portugiesischen Rotwein
gering schätzt.
Wer weder ins eine noch ins andere gehen mag (in der
Innenstadt empfehle ich ausserdem das "D Tonho" und als
Luxusvariante das "Portucale"), sollte es mit einer der vielen
Spelunken versuchen (Churrasqueirras usw.), in denen es
zwei, drei Tagesgerichte für wenig Geld gibt, neben
flachgeklopften Hähnchen vom Holzkohlegrill und einem
Topf voll Olivenöl, in dem Sardinen fritiert werden.
Die Lokale sehen wenig Vertrauen erweckend aus, zumal
man meist nicht sieht, was und wer sich in deren Tiefe
verbirgt. Ist man aber erst einmal eingetreten, machen sie
Freude. Die einfachen Gerichte schmecken gut, Lombo zum
Beispiel (Rind - während anderswo die BSE-Hysterie
grassiert, hängen in Portos Metzgereien, herzerfrischend
unverkrampft, ganze halbe Ochsen im Schaufenster). Oder
Papas, ein braungrauer, heisser Brei, vielleicht Hafer,
vermischt mit gestampften, gestocktem Blut - es war nicht
herauszuschmecken aber angenehm zu essen -, oder
schon nur die mit Bratensaft vollgesaugten Kartoffelwürfel!
Dazu immer Vinho Verde, danach einen Kaffee, vielleicht
auch einen Porto. Sich über den Portwein auszulassen ist
allerdings eine Wissenschaft; am besten besucht man
einmal zur blauen Stunde das "Solar", eine
Portweinprobierstube in einem alten, wunderschön
gelegenen Herrenhaus mit Blick auf den Douro; oben drin
ist das rührende Museu Romantico zu besichtigen.
Ausserdem hat mich der Balhao begeistert, ein grosser,
alter, müder Markt mit Greisinnen, die, den Kopf schwer
aufgestützt, tagtäglich von Hand Grünkohl raffeln und ihn
verkaufen (aus dem ein schleimiges, eigenartig
schmeckendes Püree gekocht wird). Andere bieten lebende
Hühner an oder holen Kaninchen aus ihrem Käfig, um deren
Hoden zu zeigen, ich weiss nicht warum, aber es scheint
wichtig zu sein, sie packen die Kaninchen an den Ohren,
legen sie auf den Rücken, nehmen die Hoden zwischen die
Finger und drücken sie heraus. Nebenan wird Kaffee
getrunken, Garküchen zwängen sich zwischen die Stände,
und in der Spanferkelbraterei "Nelson dos Leitoes" kann
man an ein paar Tischchen vorzüglich essen. Ein irres,
trauriges Bazartreiben findet überdies am Sonntagvormittag
neben dem Bahnhof S. Bento statt, wo junge Hunde, Katzen,
Kanarienvögel etc. angeboten werden.
Zum Schlafen findet man von sehr preiswerten Pensionen
bis zum Nobelhotel "Infante de Sagres" alles. Im Winter
empfiehlt es sich, ein Haus mit Heizung zu wählen - viele
sind nicht beheizbar -, sonst kann es im Bett klamm werden.
Wer sich nicht davor scheut, seinen Tipp einer Tageszeitung
zu entnehmen, der greife auf der Stelle zum Telefon und
buche im "Porto Carlton Hotel" ein Zimmer zur Douro-Seite.
Er wird staunen. Eine günstige Alternative für wärmere Tage
ist das geräumige Zimmer 36 mit der dazugehörigen, noch
geräumigeren Terrasse im "Residencial Rex".
Rotterdam
[Architekturfans kommen hier auf die Rechnung. Sonst
herrscht vorwiegend Fernwehstimmung. Nicht nur am
Hafen.]
Bis 16. April ist in der Kunsthal eine Auswahl berühmter
Gemälde aus fünf Jahrhunderten zu sehen, Bilder, die ich
bislang nur von Kunstdrucken, Postkarten oder Kalendern
kannte. Sie gehören einem geheimnisumwitterten Dr.
Gustav Rau, dessen Sammlung - der Öffentlichkeit kaum
zugänglich - als eine der wertvollsten der Welt gilt und in
Embrach bei Zürich in einem Tresorraum gelagert wird.
Grundsätzlich einen Besuch wert ist das Museum Boijmans
Van Beuningen, ein überzeugender Bau, in dem
erstklassige Werke hängen. Im Sommer wird dort für
Interessierte eine Brueghel-, im Herbst eine
Hieronymus-Bosch-Ausstellung gezeigt.
Sonst? Viele Fotos, Dias, Videoinstallationen oder gar
nichts in Fabrikhallen, Tanztheater- und
Comedyankündigungen, lustige und traurige Einfälle, wie
sie zurzeit in unseren Kapitalen unter dem Sammelbegriff
Kunst überall zu haben sind.
Die Stadt? Wer in ihr nichts verloren hat, wird auch kaum
etwas finden. Sie ist im Zweiten Weltkrieg zerbombt worden
und hat sich danach auf das konzentriert, was übrig blieb:
das neue Bauen. Für Architekturstudenten vielleicht
aufregend, bietet sie dem müssig gehenden Besucher
höchstens dann und wann eine verblüffende Perspektive
(von der Erasmusbrücke etwa). Quartiere, die an Bauhaus
erinnern, gehen über in solche für Freunde des
Spannbetons. Dazwischen futuristische Türme aus
Aluminium und Glas. Die von ihnen erzeugten Fall- und
Steigwinde wirbeln Müll durch die Luft. Dort eine
Überbauung, die ihre Mieter als Geiseln nimmt, da eine, die
ihnen neue Lebensformen eröffnet.
Nach ein paar Stunden tun einem von den scharfen Kanten
die Augen weh. Man möchte sie schliessen und sich
ausruhen.
Direkt gegenüber vom Bahnhof steht der Millennium
Tower, ein silbriger Wolkenkratzer, der letzten November
fertig gestellt wurde. Darin untergebracht ist das Hotel
"Westin". Es wirbt mit seinen hochwertigen Betten. Zu Recht.
"The Heavenly Bed" ist ein überbreiter Liegetraum,
ausgestattet mit fabelhaften Matratzen, Leinen von höchster
Qualität, mehreren verschieden schweren Decken aus
besten Gänsedaunen - nur die Kissen sind leider gemeine
Schaumstoffwülste, die einen mitten in der Nacht verspannt
und verschwitzt aufwachen und den Fernseher einschalten
lassen. Da läuft ein Programm aus Dubai, Kamelrennen,
hypnotisierend. In jedem Hotel sollten Kamelrennen zu
sehen sein.
Am Morgen dann, beim Verlassen des Zimmers, kriegt man
beim Berühren der Türklinke einen aufmunternden
elektrischen Schlag verpasst und fühlt sich bis auf weiteres
hellwach. Das brandneue Hotel macht Spass und ist - wenn
man den Wochenendtarif bekommt - seinen Preis wert (die
regulären Preise sind zu hoch; Rotterdam kam mir
allgemein teuer vor).
Entladen geht man los - und geht und geht. Zum
Verzweifeln. Sicher, die Radwege, denen man folgt, sind
vorbildlich. Das Knattern der Ampeln bei Grün und das
warnende Bimmeln, wenn ein Tram sich nähert, bewahren
einen beim Überqueren der Strassen mustergültig vor dem
frühen Verkehrstod - nur wozu?
Wenn das Spazieren zum puren Trott wird, wenn man links
oder rechts gehen kann, sich hier reinsetzen oder dort -
alles egal, alles ähnlich schmuddelig, aufgegeben, unter
normalnull -, dann begreift man, warum die Holländer
jahrhundertelang die Weltmeere unsicher gemacht haben:
Sie hielten es zu Hause nicht aus, gepeinigt vom Fernweh.
Nur gerade die West Kruiskade bietet etwas Abwechslung,
eine exotische Einkaufsstrasse mit chinesischen
Supermärkten, javanischen Schlächtereien, afrikanischen
Obst- und Gemüsehändlern, polnischen Bäckern, der
vortrefflichen orientalischen Konditorei "Marrakesch", einer
Freibank, in der drei Kilo Fleisch sechs Gulden kosten,
Ramschläden, Stoffen - und das Überraschendste: Man ist
von lauter Farbigen umgeben. Ein einziges, wildes, buntes
Gewusel, wie man es in andern Städten Europas kaum
kennt.
Sonst? Wer sich für den grössten Hafen der Welt
interessiert, kann darin zermürbende Rundfahrten im Boot
machen oder ihn sich von oben anschauen, vom Euromast
aus: So weit das Auge reicht Hafenbecken, Kais,
Trockendocks, Kräne, Gleisanlagen, Containerstapel. Oder
man fährt im Vorortszug nach Hoek van Holland (Fährhafen
nach England) und geht dort der Maas entlang bis zur
Mündung, wo sich Europa in die Nordsee entleert.
Da steht ein Pavillon mit ein paar Informationen und - als
Prunkstück - einem Computer, aus dem zu erfahren ist,
welche Schiffe gerade ein- und auslaufen - während vor der
Nase die Riesen hin- und herfahren und sich auf der
gegenüberliegenden Uferseite rauchende Raffinerien und
Werften bis an den Horizont ziehen. Eine einzige
ökologische Katastrophe. Zwar sei die Gülle, die ins Meer
läuft, inzwischen nicht mehr ganz so giftig, heisst es.
Trotzdem muss der Schlick, der regelmässig aus der
Fahrrinne gebaggert wird, als Sondermüll entsorgt werden.
Das Ganze ist von trostloser Grossartigkeit.
Aufatmen kann man im kleinen Karree um den Veerhaven,
wo es auch schöne Cafés und Esslokale gibt ("Loos", "La
stanza" und besonders das "Parkzicht"). Von da mit dem
Schiffstaxi überzusetzen zum Hotel-Restaurant "New York",
ist sogar eine Attraktion. Schon im Boot wird man von einer
sonderbaren Stimmung gepackt, etwas zwischen Wehmut
und Abschied. Das "New York" ist im ehemaligen
Verwaltungsgebäude der Holland-Amerika-Linie
untergebracht, mitten in der Maas, auf einer Insel. Hier
drängte sich zusammen, wer im Zweiten Weltkrieg von
Europa nach Amerika floh.
Bei der Ankunft, spätestens beim Eintritt in das
heruntergekommene Gebäude, packt einen eine Art
Reisefieber und die unbestimmte Angst, man habe den
Pass vergessen oder bekomme kein Ticket mehr oder . . .
Obwohl alles andere als eine Geheimtipp, ist dies zweifellos
ein magischer Ort. Und die schönste Nacht, die man in
Rotterdam verbringen kann, ist ohne Frage eine im hiesigen
"directors room" mit seiner spektakulären Aussicht und dem
Ambiente eines Hollywoodstudiobossbüros der
Dreissigerjahre.
Eine der günstigsten und gleichzeitig attraktivsten Adressen
ist das "Maritime Hotel/Zeemanshuis" gegenüber. Hier
steigen die Seeleute ab. Die Zimmer sind spartanisch
eingerichtet, bieten dafür aber einen tollen Blick aufs
Wasser. Und neben Matrosen aus Panama, Celebes,
Sumatra oder Borneo zu frühstücken, ist fast so etwas wie
ein Abenteuer. Ebenso wie die indonesische Reistafel, ein
Festmahl mit über vierzig verschiedenen Schälchen,
Spiesschen und Plättchen, das man in Holland unbedingt
einmal gegessen haben muss, wie jeder versichert. In
Reiseführern und an den Hotelréceptionen wird einem als
beste Adresse dafür das "Radèn Mas" empfohlen.
Dummerweise habe ich den Rat befolgt. Das Restaurant
ist ausgestattet wie ein Edelpuff aus dem Kino der
Siebzigerjahre. Halbseidene Schieber aus aller Welt tätigen
hier ihre Geschäftsabschlüsse, flankiert von gemieteten
Begleiterinnen. Die Kellner bedienen mit dem schleimigen
Charme von aus deutschen Schlagern entwichenen
Hawaii-Insulanern. Das Essen ist überteuert und schlecht.
Mit schweren Blähungen wälzte ich mich hinterher in
meinem Heavenly Bed und schaute Kamelrennen.
Das gleiche Essen bekommt man sehr viel günstiger und
besser in den surinamischen Imbissbuden an der
Witte-de-Withstraat ("Cong") oder im Restaurant "Dewi Sri",
hier sogar mit Sicht auf die Maas, wo das Pfannkuchenschiff
vorüberfährt. Wer davon Appetit bekommt, kann mit dem Zug
ins nahe gelegene Seebad Scheveningen fahren und dort -
mit Blick auf den grauen Sand am grauen Meer - so einen
Pfannkuchen bestellen und versuchen, froh zu sein.