Allgemeine ohne Vergleichende Literaturwissenschaft ist leer,
Vergleichende ohne Allgemeine Literaturwissenschaft ist blind.
(Variation über ein Kantisches Motiv)
Die Komparatistik ist in Deutschland etwa gleichzeitig mit der Germanistik
entstanden, doch als eigenständiges Fach hat sie sich an den deutschen
Universitäten - ganz im Gegensatz zu den USA, Großbritannien oder Frankreich
- bis in die jüngste Zeit kaum zu etablieren vermocht. Daß dies zunehmend
als Mangel empfunden wurde, läßt die Neuausschreibung einer ganzen Anzahl
von Komparatistik-Professuren in den letzten zehn Jahren erkennen. Vor allem
durfte die 1988 erfolgte Gründung eines selbständigen "Instituts für
Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik)" an
der Ludwig-Maximilians-Universität München als hoffnungsvolles Signal für
einen Neubeginn verstanden werden. Entschieden bekräftigt wurde dies 1994
durch die Einrichtung einer zweiten Professur an diesem Institut.
Traditionell ist die deutsche Komparatistik (nicht zuletzt auf Grund der üblichen
Fremdsprachenkenntnis) auf die Romanistik und Anglistik orientiert; und durch
den internationalen Siegeszug der französisch-amerikanisch inspirierten
Dekonstruction in der Literaturtheorie hat diese Orientierung eher noch eine
Verstärkung erfahren. Außerdem gibt es seit jeher auch Querverbindungen zur
Klassischen Philologie (samt ihren mediävistischen Ausläufern); ja in ihrer
Konstitutionsphase zeigte die Komparatistik auch produktives Interesse an
slavischen und orientalischen Literaturen (so W. Grimm für die serbische, A.
W. Schlegel und W. von Humboldt für die Sanskrit-Poesie) - eine
Horizonterweiterung, die heute mehr denn je erneuert werden sollte. So gehören
in unserem Jahrhundert slavistisch orientierte Komparatisten wie Jakobson, Žirmunskij
und Bachtin nicht weniger als die romanistischen Komparatisten Auerbach, E. R.
Curtius und Spitzer zu den maßstabsetzenden Vertretern unseres Fachs; daneben
sollte aber auch der Beitrag der Germanistik - von Gundolf, Kommerell und Rehm,
ja im weiteren Sinn auch Lukács und Benjamin, bis zu Szondi und darüber
hinaus - zur Komparatistik des zwanzigsten Jahrhunderts nicht vergessen
werden: eine (wie auch immer brüchige) Tradition, die es zu rekonstruieren
gilt.
Die Arbeitsgebiete der Komparatistik verteilen sich, wie schon ihr Doppelname
"Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft" anzeigt, auf
zwei sich vielfältig überlappende Aufgabenfelder:
1. Die Allgemeine Literaturwissenschaft
Unter Aufnahme der Grundlagendiskussion in den verschiedenen Philologien, aber
auch in nichtphilologischen Disziplinen (wie der Allgemeinen Linguistik,
Philosophie, exegetischen Theologie und Soziologie) beschäftigt sich die
Allgemeine Literaturwissenschaft unter systematischen wie historischen
Gesichtspunkten vor allem mit folgenden Gebieten:
(a) Wissenschaftstheoretische Grundlagen der
Literaturwissenschaft: Hermeneutik und Sprachtheorie, Ästhetik und Semiotik,
Gesellschafts- und Geschichtstheorie, Interdisziplinaritätsforschung;
(b) Allgemeine Literaturtheorie: Texttheorie, Poetik und
Rhetorik, Metrik und Stilistik, Gattungstheorie (bes. Erzähl- und
Dramentheorie, aber auch Theorie einzelner Textsorten: Satire, Aphorismus
etc.);
(c) Theorien der Produktion, Distribution und Rezeption von
Literatur, Medientheorie;
(d) Übersetzungstheorie;
(e) Diskussion und Integration internationaler Neuansätze
zur Literaturtheorie und Methodologie.
2. Die Vergleichende Literaturwissenschaft
Als historische und regionale Konkretisierung von Fragestellungen der
Allgemeinen Literaturwissenschaft und als interdisziplinäre Brücke zwischen
den verschiedenen Philologien sowie anderen Disziplinen (wie Geschichte,
Ethnologie und Soziologie, aber auch Kunst- und Musikwissenschaft) beschäftigt
sich die Vergleichende Literaturwissenschaft unter typologischen wie unter
genetischen Gesichtspunkten vor allem mit folgenden Fragestellungen:
(a) Vergleichende Analyse einzelner Werke, Werkgruppen und
Genres in verschiedenen Literaturen;
(b) Untersuchungen zu Konstanz und Wandel literarischer
Stoffe und Motive sowie der Stile, Darstellungsformen und poetologischen
Konzeptionen in verschiedenen Literaturen;
(c) Probleme der die Einzelliteraturen übergreifenden
Literaturgeschichtsschreibung und Periodisierung;
(d) Untersuchungen zum Verhältnis der Literatur zur
Philosophie und dem übrigen ideologische Milieu einer Epoche, zur Musik und
Bildenden Kunst, sowie zu anderen Medien;
(e) Analysen von Übersetzungen und anderen interkulturellen
Rezeptionsformen literarischer Texte.
wath tholl
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der machen
(aus: Ernst Jandl "16 jahr")