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Les Alphabètes


La Comédie, Genève. Jusqu'au 6 février.
Voilà un auteur alémanique qui adore la Suisse romande, parce qu'au moins, chez nous, le metteur en scène ne se permet pas de couper dans le texte pour éviter d'éventuelles longueurs! En Allemagne, où Matthias Zschokke est souvent joué et où il vit, si. Après La Nuit des Pirates, joué au Poche il y a quelques années, puis L'Ami riche, créé en français au Théâtre Kléber-Méleau, voici une pièce aux nombreux personnages, où les Alphabètes (ceux pour qui la culture des mots veut dire quelque chose) sont confrontés à une société qui leur échappe. Ebauches de conversations, partage des sentiments, désir de connaître sombrent dans un néant pathétique. Le personnage de la jeune écrivaine est la métaphore de ces échecs, qui ne parvient plus à parler et finit par se cantonner dans le silence. Devant une société où trop communiquer masque le vide de la pensée, Zschokke se sert de l'humour et de la poésie. Un auteur très primé en Allemagne, à découvrir donc, mis en scène par Martine Paschoud. V. B.
Fémina, Lausanne, Nr.4, 23.1.2ooo




Susanna im Bade


Matthias Zschokkes «Alphabeten» in Genf
Preise haben ihren Preis; davon wissen Schriftsteller sowie Schriftstellerinnen ein Liedchen zu singen, die im Rahmen öffentlicher Preisübergaben pflichtschuldige Dankesworte drechseln müssen, um Jury und Publikum zu befriedigen. Wehe, der oder die Ausgezeichnete entzieht sich diesem Akt der Demut, indem er oder sie, statt die Preisverleihenden zu preisen, vorrechnet, dass die Preissumme im besten Fall ein paar weitere Monate kargromantischer Poetenexistenz in dem ungeheizten und lichtlosen Kellerloch ermöglicht, wo sie auf altmodischen Schreibmaschinen und eingewickelt in Wolldecken ihrer Berufung nachkommt. Die Literatur und ihre Abhängigkeit von der zwar alphabetisierten, aber nicht unbedingt literarisch veranlagten Gesellschaft: Das berühmte Thema hat sich der mehrfach preisgekrönte und trotzdem nie in die Riege der Bestsellerautoren vorgerückte Matthias Zschokke in seinen «Alphabeten» vorgeknöpft, die, 1994 in Bern uraufgeführt und in Berlin sofort nachgespielt, jetzt von Martine Paschoud aus der zwischenzeitlichen Versenkung geholt und auf die Bühne der Genfer Comédie gestellt wurden.
Nach der fulminanten Eröffnungsszene, wo festlich gestimmte Damen und Herren erst ergeben den dissonanten Avantgardeklängen des obligaten Rahmenprogramms lauschen und dann, zusehends unruhiger auf den Plasticstühlen des Gemeindesaals herumrutschend, ihren Ohren immer weniger trauen, weil die so reizend aussehende junge Frau am Rednerpult (Mariama Sylla) aus der Rolle fällt und unverblümt sagt, was sie denkt, schickt Zschokke seine Susanne Serval auf eine Pilgerreise durch die moderne Welt. Die schriftstellernde Antiheldin, die ihren geistigen Vater silbenverdreht im Namen mitträgt, absolviert das Stationendrama wie einen Walserschen Spaziergang. Sie, die den halbgebildeten Kleinbürgern lieber eine kalte Dusche verpasst, als sich zu verleugnen, gerät nun vom Regen in die Traufe: Wer das Bad im Mainstream ausschliesst, endet als Susanna im Bade. Auf dem Jahrmarkt stellt die Dichterin, um ihr Inneres zu verstecken, ihr Äusseres zur Schau. Gegen Eintrittsgeld taucht sie ab ins kühle Nass, was die zu Voyeuren mutierten Alphabeten eindeutig mehr erquickt als sie selbst. Nur Herr Dr. Seet (Jacques Denis), ihr treuer Verehrer und Möchtegern-Mentor, will voller Entsetzen eingreifen, woran ihn der opportunistische - und umständehalber zum Budenbesitzer graduierte - Jüngling (Frank Semelet) hindert.
Dieser junge Schmarotzer, neben Seet und der plauderfreudigen Polizeikommissarin (Doris Ittig) der eigennützige Dritte im Bund der Serval-Fans, nimmt am Schluss einen Preis entgegen - auf dass das Stück seine Pointe habe. Oben, auf einer Passerelle, steht das offizielle Preiskomitee, das sich mittels Pelerinen vor dem Unwetter schützt (Ausstattung: Jean-Claude Maret); unten segnet Seet, der vor lauter Melancholie jegliche Nahrung verweigert hat, das Zeitliche, während die Kommissarin in gedankenverlorenem Selbstgespräch die mitgebrachte Patisserie futtert.
Ein zwingender Plot ist nicht Zschokkes Stärke; und so zieht sich sein Märchen aus heutigen Zeiten etwas in die Länge - obwohl Martine Paschouds Regie und ihre ausgesprochen sensible Schauspielertruppe mit viel Witz bei der Sache sind. Boshaftes wird liebenswürdig aufgefangen, Skurriles wirkt urplötzlich real, Verträumtes kippt in den Albtraum, Banales wird bissig, und die leicht naive Susanne bleibt standhaft bis zum bitteren Ende. Trotzdem: die - jedenfalls sehenswerte - Aufführung ist eine Spur zu hübsch, um wahr zu sein. Weder dem Autor noch der Regisseurin geht es um Wahrscheinlichkeit; die Wahrhaftigkeit aber, der sie sich verschreiben, droht sich in poetische Schnörkel zu verflüchtigen. So macht die Protagonistin, welche auszog, um Klartext zu reden, ihre enttäuschende Erfahrung ein letztes Mal: wenn die Umwelt sie auch mit dieser Inszenierung im Stich lässt.
Barbara Villiger Heilig
Neue Zürcher Zeitung, 21.1.2ooo




Geschicktes Zschokke-Kreuzworträtsel


THEATER / Matthias Zschokke hat mit seinem in der Comédie de Genève aufgeführten tragikomischen Stück «Die Alphabeten» den Durchbruch in Genf geschafft. Regie führte die Doyenne der welschen Theaterregie, Martine Paschoud.
hpg. Jede erfahrene Theaterdirektorin, jeder gewiefte Dramaturg weiss von den Mühen ein Liedchen zu singen, einem langsam gewachsenen Publikumsstamm einen neuen Autor näherzubringen: So war es in Basel unter Statkus mit Heiner Müller, dessen postmoderne Untergangsfarcen die Basler heute um keinen Preis mehr missen möchten; so war es mit Volker Braun am Zürcher Neumarkt, wo Peter Schwaiger und seine Crew nicht locker liessen, bis der aus Sachsen stammende Diderot des 20. Jahrhunderts an der Limmat ebenso zuhause war wie zwischen Spree und Havel, seiner jetzigen Heimat.
Viel schneller ist es nun mit dem 1954 in Bern geborenen, heute ebenfalls in Berlin lebenden Matthias Zschokke gegangen, nachdem die Theaterdirektionen sich aus unerfindlichen Gründen in der Calvin-Stadt jahrelang hartnäckig weigerten, den anerkannten Dramatiker zu spielen. Nun ist er, Anne Bisang sei Dank, nach der erfolgreichen Premiere seines Stücks «Die Alphabeten» am letzten Dienstag sozusagen über Nacht Genfer geworden!
Mit einem Preis in Preussen fängt «Die Alphabeten» an, die Tragikomödie, die 1995 von Thomas Langhoff in Berlin uraufgeführt wurde. Herausragend in der französischen Erstaufführung in der Comédie de Genève ist Mariama Sylla als Susanne Serval, die dichtende und planschende Dichterkönigin, welche sich durch das «Dickicht der Städte» (Brecht) windet wie eine Schlange in einem Witz, den sie plötzlich nicht mehr erzählen kann, vom Verstummen bedroht: Schreibstau, heisst das im heutigen Feuilleton.
Bühnenmässig gewachsen ist ihr Jacques Denis als Dr. Daniel Seet, Professor in Sachen Nachwuchsförderung, ein gebrochener, irgendwo aber vital gebliebener, irgendwie Mitleid erregender Macho, der sich zu Jugend und Poesie hingezogen fühlt. Auch die Kommissarin (Doris Ittgig) zeigt dieses leicht perverse Faible für Geschriebenes, wenn sie nicht gerade im Berliner Untergrund zwischen Friedrichstrasse und Alexanderplatz blutrünstige Verbrechen aufklären muss. Als widerlicher Gegenpart der Junge Mann, eine Figur wie aus «Berlin Alexanderplatz», scheinbar Idealist, etwas schwächer verkörpert leider von Frank Semelet.
Überhaupt ist die «Miliööh»-Ebene, um mit dem Urberliner Heinrich Zille zu sprechen, inszenatorisch und darstellerisch nicht genügend abgesahnt worden: zu klinisch die ganze stinkende Brühe, wie wenn eine Abschlussklasse der Schauspielakademie russische Mafia spielt. Insgesamt fallen jene Szenen, die filmischen Sequenzcharakter tragen, ab gegenüber den dramaturgisch aufgegipfelten Mikro-Szenarien: In diesem Punkt scheint sich der Autor noch nicht immer ganz klar zu sein, für welches Medium er gerade schreibt.
Aber diese Schwierigkeiten hat die Doyenne der welschen Theaterregie, die nach einem Jahrzehnt Théâtre-de-Poche-Direktion wieder als Freie arbeitende Martine Paschoud, voll im Griff: Mit sicherer Hand führt sie das Dutzend Darsteller und Musiker, die kleine marginale Rollen als Aussenseiter der Berliner Gesellschaft mimen, durch das Labyrinth des geschickt konstruierten Zschokke-Kreuzworträtsels, wo ein einziges falsches Stich-Wort das ganze Alphabet durcheinanderpurzeln lassen würde. Auch hat Jean-Claude Maret die schrillen Berliner Innenräume mit einem solch perfekten Schick gestaltet, dass jeder In-Kneipier zwischen Kreuzberg und Friedrichshain vor Neid erblassen würde.
[hpg]
Der Bund, Bern, 2o.1.2ooo