Site hosted by Angelfire.com: Build your free website today!


Die Hängematte







Ich schlafe, ich schlafe

(Matthias Zschokke zu Gustave Courbets Bild “Die Hängematte“, vorgetragen am 04.04.07 im Römerholz, Winterthur)

Fern grollte ein Donner. Doch der Himmel war wolkenlos. Die Sonne stand senkrecht über dem Häusermeer, die Luft bewegte sich nicht.

In der Hoffnung auf ein wenig Schatten suchte ein junger Kurator den nahegelegenen Wald auf. Kein Mensch war ausser ihm unterwegs; alle schienen hinter vorgezogenen Gardinen zu dösen und auf den kühleren Abend zu warten.

Den Namen Wald verdienten die paar Bäume im Grunde genommen nicht. Sie standen zu weit auseinander, und Unterholz gab es kaum. Ausserdem führten schnurgerade Wege kreuz und quer zwischen den Stämmen hindurch. Es sah eher aus wie in einem aufgegebenen Lustgarten einer ehemaligen Garnisonsstadt. Der Boden war staubig und gelb. Im Süden hätten sich hier längst die Zikaden ausgebreitet mit ihrem ohrenbetäubenden Sägen.

 

Ein paar Wochen zuvor war der Kurator in den Abruzzen gewesen, um dort das Schweisstuch der Veronika anzuschauen, von dem er in einem Zeitungsartikel gelesen hatte, es sei so zart, dass nicht einmal fotografisch ein Eindruck davon wiedergegeben werden könne.

Der Regionalzug, der ihn hingebracht hatte, fuhr in endlos weiten Schleifen durch Olivenhaine. Man konnte zuletzt nicht einmal mehr sagen, in welche Richtung es überhaupt ging. Alles flirrte und glitzerte. Manchmal blieb der Zug in dem gewaltigen Sirren richtiggehend stecken, auf freier Strecke, mit laufendem Motor. Dann fuhr er wieder ein Stück, dann hielt er wieder, einmal vor einem einsam stehenden Gebäude, einem Bahnhof wohl, mitten im Nirgendwo. Das Schild mit dem Ortsnamen fehlte, die schwarze Tafel mit den weiss, grün und rot gesteckten Ankunfts- und Abfahrtszeiten hing nicht an der Wand. Auch Signale gab es keine. Die Scheiben des vorgebauten Glashäuschens waren von innen weiss getüncht. Niemand wartete und stieg ein, niemand stieg aus.

Nach einer Weile öffnete sich die Tür des Glashäuschens. Ein Mann trat heraus, schaute den Zug an und rief ihm entgegen, er habe seinen Grossvater verloren. Nur diesen einen Satz. Danach blieb er stehen, zu Tode betrübt. Über den staubigen Wiesen und Büschen lag das tosende Gelispel Abertausender von Insekten. Lange Zeit geschah nichts weiter. Dann streckte eine Frau ihren Kopf aus dem vordersten Abteilfenster und rief mit dünner, hoher Stimme in die flirrende Stille „Non disperare“ und noch einmal „Non disperare“. Dann setzte sich der Zug wieder in Bewegung, der Unglückliche trat zurück in sein blindes Häuschen, und der Kopf der Frau verschwand im Abteil, nachdem sich ihre Haare im aufkommenden Fahrtwind senkrecht in die Höhe zu stellen begonnen hatten.

 

Auf der von der Stadt abgewandten Seite des Waldes war die Natur sich selbst überlassen. Hier wucherte Gestrüpp, es gab dornige Ranken, umgefallene Bäume, abgestorbene Strünke und sogar eine kleine Sänke mit stehendem Wasser drin. Woher es kam und ob es irgendwo hinfloss, wusste der Kurator nicht. „Mancher trägt Scheue, an die Quelle zu gehen“ fiel ihm ein, als er an der Böschung anlangte und auf das schmale, dunkel glänzende Band hinunterschaute.

 

Aus der Ferne hörte er Musik und das Rauschen einer stark befahrenen Strasse. Er rutschte die Böschung hinunter, machte einen grossen Schritt übers Wasser, kletterte auf der anderen Seite wieder hinauf, zwängte sich durch Brennesseln und eine Brombeerhecke ins Freie und gelangte auf eine weite, versteppte Wiese voller Menschen, über denen gleissend hell die Sonne hing.

Die Wiese war am anderen Ende von einer sechsspurigen Umfahrungsstrasse begrenzt. Die Räder der vorbeifahrenden Autos wurden von der Böschung verdeckt, so dass es aussah, als glitten leuchtende Farbflecke über das staubige Gras hin und her. Zwischendurch blitzten Chromteile auf oder Windschutzscheiben und blendeten.

In der Mitte der Wiese stand ein aus Brettern zusammengenageltes Podest. Darauf sassen dunkel gekleidete Männer und spielten Kontrabass, Akkordeon, Gitarre und Klarinette. Ein bleicher Jüngling drängte sich zwischen sie, schwang eine Geige unters Kinn und begann drauflos zu fiedeln, als würde er gepeitscht, in irrwitzigem Tempo, ohne erkennbaren Rhythmus, ohne Melodie, halsbrecherisch geradezu. Die Männer um ihn herum brachen nacheinander ab und verliessen das Podest; die Zuhörer auf der Wiese begannen miteinander zu reden. Der Jüngling liess sich davon nicht beirren. Er spielte wie besessen weiter, musikalisch völlig abwegig, störrisch, weder zum Mitsingen noch zum Tanzen, nur zum Anstaunen. Ebenso plötzlich wie er losgelegt hatte, hörte er auch wieder auf, hob den Kopf, wartete, fixierte herausfordernd die murmelnde Menge, drehte sich um und ging davon.

Immer mehr Menschen tauchten auf, vorneweg südländisch aussehende Väter mit weit ausladenden Gesten und Gesichtern, die unter schwarzen, wie von der Kuh geschleckten Haaren glänzten, an den Füssen weisse Lackschuhe, die aus den Nähten zu platzen drohten, um Hals und Handgelenke schwere Goldketten, Ringe mit roten Steinen an den Fingern, ganze Sippen hinter sich her schleifend, halbnackte Kinder mit bronzefarbenen Gliedern und Frauen in sehr engen, betörend bunten Kleidern. Alle kamen sie vom nahegelegenen Rastplatz, wo sie offenbar ihre Autos abgestellt hatten. Sie schlenderten heran, als wären sie nur zufällig vorbeigefahren und hätten kurz mal angehalten. Der eine oder andere liess sich umarmen und die Hände küssen. Nach langem Bitten und Betteln bequemte er sich dann aufs Podest, das Publikum tobte, er packte ein Instrument aus, spielte ein Solo, vielleicht zwei, manche sangen auch und lösten damit wahre Begeisterungsstürme aus, worauf sie ungerührt hinten durch den Staub wieder davon schlenderten oder mit dem oder jenem zusammen noch ein Bier tranken an einer improvisierten Bude. Alles schleppte sich hin, jeder zierte sich, plauderte, wurde annonciert, trödelte, schlenkerte dann endlich doch eine Geige unters Kinn, fiedelte ein wenig herum, halblaut, oder summte etwas, ohne anzuzeigen, wohin die Melodie gehen sollte, und plötzlich war er mittendrin in einem Stück und riss alle mit sich fort.

 

Die Sonne begann zu sinken. Benommen von der Hitze und den vielen Menschen, vom Schweiss in der Luft, von der triefend nackten Haut der Frauen, die ihm nahe kamen, als trauten sie ihm nicht zu, es zu wagen sie anzufassen, verwirrt von ihrem vollen Haar, ihren dunklen Augen, ihren schwarz glitzernden Achselhöhlen, zwängte er sich durch die Brombeerhecke zurück in den Schatten. Er rutschte die Böschung hinunter, folgte dem Wasserlauf, suchte eine tiefere Stelle, um, ohne den Grund aufzuwühlen, mit den Händen schöpfen zu können und sich Gesicht und Nacken zu kühlen. Das Murmeln der Menge verlor sich; die Musik wurde leiser, das Sirren der Insekten lauter – und plötzlich stand er vor einer Lichtung mit einem flachen, kleinen Teich, über dem eine junge Frau in einer Hängematte baumelte.

Das Licht sackte schlagartig zusammen, die Bäume versanken im dämmrigen Schatten, die Erscheinung trat hervor wie von unzähligen, winzigen Scheinwerfern beleuchtet. Er starrte sie an und überlegte, ob das nun wohl ein Hitzschlag sei oder ein Delirium. Man weiss selbst ja nie, was einem widerfährt; nur die anderen können das feststellen; allein kann man sich seiner nie sicher sein.

Es war ein träges, schweres Mädchen, das da hing – oder doch eher eine junge Frau. Sie lag diagonal in der Matte und schlief. Ihre Glieder sahen aus, als seien sie aus Wachs gegossen oder aus altem Elfenbein gedrechselt. Die Farbe erinnerte an das Weiss von gebleichtem Holz.

Sie lag da wie auf einem Tablett serviert. Als hätte sie sich absichtlich so hingelegt, dass der Mann, von dem sie sich wohl finden lassen wollte, seine Beherrschung verlieren würde. Als sie die letzte Falte des Kleids nach ihren Vorstellungen drapiert hatte, war sie offensichtlich eingeschlafen, und ein rotes Blütenblatt fiel links neben sie.

 

Das Gewebe der Hängematte hatte auf ihrem schweren, kühlen, weichen Fleisch bestimmt längst ein kräftig geriffeltes Muster hinterlassen. Die entblössten Waden, die auf der von ihm abgewandten Seite über die Matte hinaushingen, sahen aus, als seien sie kurz in Gips getunkt worden. Die Füsse steckten in hautengen Hirschledersocken, die knapp über die Knöchel reichten. An der Innenseite waren sie mit einem roten Faden zugenäht. Oben klaffte die Naht auseinander, und man sah die Haut dazwischen hervorschimmern.

Von Kopf bis Fuss war sie auffällig blass. Nur unterhalb der geschlossenen Augen waren ihre Wangen leicht gerötet. Und in den Lippen hatte sich ein wenig Blut angesammelt und im rechten Ohrläppchen. Und die linke Hand, die oberhalb ihres Kopfs lag, war von einem hellen Rosa belebt und öffnete sich warm und sanft. Das Gewebe über ihrer nackten Brust war durchsichtig. Die Brüste darunter glichen zwei mit Puderzucker glasierten arabischen Nachspeisen aus Kamelmilch. Die rechte Warze wurde von einem Sonnenstrahl getroffen und sah aus wie eine Blumenknospe über dem Schnee. Unter ihrem Kinn wölbte sich ein kleiner Wulst hervor – der Kopf war ihr im Schlaf auf die Brust gesunken –, als hätte sie ein Doppelkinn, ganz zart und weich.

 

Vor ein paar Tagen hatte er im Kino einen Film gesehen, der von einem Angestellten in einem mittelgrossen Konzern handelte. In einer der ersten Szenen betrat eine Dame dessen Büro, die Frau des Chefs. Der Angestellte kannte sie kaum. Verlegen erhob er sich, ging auf sie zu, fragte, womit er dienen könne, und bot ihr einen Stuhl an. Sie war kreideweiss, zum Zerspringen verzweifelt, zum Zerspringen schön. Nachdem sie die Tür behutsam hinter sich ins Schloss gezogen hatte, schaute sie ihn an – er war sehr viel jünger als sie – und sagte: „Haben Sie Lust, mit mir zu schlafen? Sie können mit mir anstellen, was Sie wollen“. Dazu näherte sie sich ihm langsam, ganz vorsichtig, sie schwebte geradezu auf ihn zu, dunkel und leise sprechend, es war eher ein Hauchen und Flüstern, ohne ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen: „Ich werde Sie nicht verraten. Tun Sie, wozu Sie Lust haben; machen Sie mit mir, was Sie schon immer einmal mit einer Frau machen wollten; ich werde mich nicht beklagen“. Dazu kam sie ihm immer näher, hielt ihre Wange nah neben seine, er hörte das feine Schnalzen, wenn ihre Zunge sich vom Gaumen löste beim „t“ von „tun“ und „träumen“ – „tun Sie, wovon Sie träumen, was Ihnen unheimlich ist, wovor Sie immer zurückschrecken“. Zuletzt war es nur noch ein heiseres Keuchen. Sie berührte ihn beinahe mit ihren Lippen. Der warme Wind ihrer Wörter wehte über seine glühenden Ohren, der Flaum, der ihre Haut bedeckte, streifte seine weichen, jungen Bartstoppeln. Sie hob den Kopf langsam zur Decke und senkte ihn und streichelte auf diese Weise die heisse Luft über seinem Gesicht, sie schloss die Augen und pinselte mit ihren Wimpern über seine Schläfe.

Das Blut staute sich in seinem Kopf, sein Penis war schmerzhaft angespannt und hart wie grünes Holz, die Augen brannten, er wagte nicht zu blinzeln und nicht zu atmen. Sie fragte: „Brauchen Sie eine polizeiliche Erlaubnis? Brauchen Sie eine Heiratsurkunde, um mich in die Arme zu nehmen? Bin ich Ihnen nicht schön genug“?

Ein paar Szenen später schoss sie sich ins Herz.

 

Langsam hob er den rechten Fuss und machte einen Schritt auf die Schlafende zu. Wasser drang in seinen Schuh. Er starrte den zarten Unterrock an, der ihre Waden freigab. Er suchte im Teich nach der Spiegelung, um ihre Kniekehlen sehen zu können. Er starrte die mit Stoff überzogenen Knöpfe des Kleids an – es wurde vorne von einer Knopfleiste zusammengehalten –, die bis knapp oberhalb des Nabels offen standen. Den Leinenstoff hatte sie auseinandergeklappt wie die Blütenblätter einer Gardenie, damit ihre Adern nirgends davon eingeschnürt wurden, weder unter den Armen, noch im Nacken, noch über der Brust. Sie quoll dem Betrachter geradezu entgegen. Bevor sie eingeschlafen war, schien sie Posen der Verführung ausprobiert zu haben. Dann wurde sie wohl müde, ihre Muskeln lösten sich, ihr Mund öffnete sich einen Spalt weit, und es war keine Pose mehr, es war die reine Hingabe.

Er beugte sich über sie – und erstarrte: In dieser Stellung kann ein Mensch gar nicht schlafen! Würde sie schlafen, wäre ihr rechter Arm längst von der Matte gerutscht und ins Wasser gefallen. Davon wäre sie aufgeschreckt. Sie spielt bloss Schlafen; sie hält die Luft an; sie kichert tief in sich drin; sie macht sich lustig über mich.

Er berührte sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger vorsichtig unter dem Kinn. Das zarte Fleisch gab nach, sein Finger glitt in die feine, dunkle Falte zwischen den Wülsten, es fühlte sich feucht an und heiss. Sie liess sich nichts anmerken. Sie spielte weiter Schlafen, ein Kind, das nicht zugeben will, dass es ertappt worden ist. Nichts rührte sich; der Schatten ihrer Wimpern blieb völlig ruhig oberhalb des Jochbeins liegen.

Er legte seine Hand auf ihre rechte Brust, die aufgeheizt war von der Sonne. Die Hand bebte. Gleich würde das kindische Kind hell auflachen, aufspringen und ihm entwischen. Er dachte an die dunkle Dame im Büro und daran, was sie wohl meinte, was Männer mit Frauen anstellen wollen, was man mit einem Frauenkörper, einem schlafenden, weichen, warmen, rosigen, gelösten wohl alles machen könnte. Das Mädchen lag einfach da und spielte Schlafen in einer Hängematte, der kühle Hintern schwer, ein grosser Pfirsich, mitten im Naherholungsgebiet, die Brüste fest, die Lippen voll, das war kein Spiel, so darf man nicht daliegen, so zutraulich, mit durchsichtigem Gewebe über der Brust, allein in einem schattigen Wald, als liege man mitten im saftigen, süssen Klee oder im Schilf, da war kein Klee, da war kein Schilf, da war nur dieses dunkelgrüne, müdende Saugen, der schwüle Schatten, der Duft vom Waldboden, der die Sinne vernebelt.

 

Er legte seine glühende Wange in die geöffnete linke Hand der Schlafenden. Ihre Fingerkuppen kitzelten ihn, als seien sie zurückgezuckt. Er drängte sich an sie. Seine Schuhe waren vollgelaufen und schmatzten. Er schob seine Hand unter ihren Rücken, der feucht war. Er drehte sie zu sich. Die Schnüre der Hängematte knarrten über den Ästen.

Was ist das überhaupt für ein Material? Dieses durchschimmernde Gewebe über den Brüsten. Muschelseide? Byssus? Das Wort hatte er im Zusammenhang mit dem Schweisstuch der Veronika kennen gelernt. Alexandrinischer Byssus, ein Gewebe aus zartesten Fäden einer Leinenpflanze, die vor Tausenden von Jahren im Delta von Ägypten wuchs, leicht wie ein Hauch, heiss begehrt, mit Purpur aufgewogen, wegen seiner Zartheit auch linea nebula genannt. Es habe geleuchtet wie Spinnweben im Paradies, oder flüssiger Alabaster, oder eine Hostie aus Milch. Man habe damit die Häupter hoher Verstorbener umhüllt, weil die Züge derselben dann noch hindurchschimmerten. Und sehr reiche Damen hätten es als Kopftuch oder leichtes Obergewand getragen. Doch die Sitte habe das bald verboten. Man habe es nur noch zusammen mit einem Untergewand tragen dürfen. Im fünfzehnten Jahrhundert sei es dann ganz verschwunden.

Auch über die Schwierigkeit es abzubilden stand da etwas geschrieben. Maler hätten unzählige Pinsel ausprobiert, bevor sie auch nur eine Idee von der Feinheit der Textur hätten wiedergeben können. Sie seien schier verzweifelt, hätten Jäger angefleht um Wimpern von frisch erlegten Rehen, in der Hoffnung, dass die möglicherweise die Anforderungen erfüllen würden, Wimpern von Rehkitzen möglichst, die sie auf ein feines, silbernes Stäbchen binden wollten, um damit den Byssus-Schleier über einer nackten weiblichen Brust malen zu können. Rehkitzwimpern, hofften sie, hätten einerseits genug Volumen, um die nötige Menge Ölfarbe für eine ganze Fadenlinie aufnehmen zu können, und würden auf der anderen Seite bestimmt in die ersehnte feine Spitze auslaufen, die für den Zweck unerlässlich war, wobei sie – frisch erjagt – gewiss auch biegsam wären wie junges Gras.

 

Er schob das Gespinst beiseite. Sie schlief. Die prallen Brüste schwollen ihm entgegen, marmorweiss. Er riss das Kleid auseinander. Die restlichen Knöpfe sprangen ab. Das kühle, grünliche Fleisch quoll hervor. Die Hirschledersocken platzten auf und glitten ins Wasser.

 

Wie schwer es mir fällt einzusehen, dass ich nicht immer und in jedem Fall der gute und schöne Mensch gewesen bin, der seiner Sache sicher war und ist.

 

Dann kam der Abend.

Er sass da und wartete darauf, dass sie doch noch erwachte.

Die aprikosenfarbenen Socken und die fünf elfenbeinernen Knöpfe am Grund des Teichs, aber auch ihr rötlich helles Haar wurden grau und lösten sich auf in der Dämmerung.

Er sass ganz still im fahler werdenden Licht.

Das Moos unter seinen nackten Schenkeln war triefend nass und kitzelte ihn.

Er sah den Abend kommen, wie er war, ganz still.

Und er sah, wie sie dalag, ohne Blut, ganz still. Und auch die Erde war ganz still, und das Wasser war es auch.

Dann das trockene Flattern von Raben, die sich im Wipfel über seinem Kopf zur Nacht niederliessen, und eine grosse Libelle, die lautlos in der Luft stehen blieb, dicht über ihrem eigenen Spiegelbild im Teich.

Und plötzlich, mit der hereinbrechenden Dunkelheit, eine schwere, volle Wolke frisch gemähten Grases.

 

Nachts rauschen Städte lauter als am Tag. Im Wald mischte sich das Rauschen mit dem der Blätter in den Baumkronen.

Am Rand des Teichs stand ein Rosenbusch. Sein Duft umfing ihn wie im Hochsommer das warme Wasser des nahegelegenen Baggersees. Er liess sich auf der Böschung nach hinten sinken, dem weissen Mädchen gegenüber, streckte seine bleichen Glieder aus, schlief ein und träumte, dass sich sein Geist im Denken wohl fühle wie eine Forelle in einem Bergbach, dass er springe, mit seiner Schwanzflosse das Wasser peitsche und so die klarsten, hellsten Wahrheiten ans glitzernde Tageslicht befördere und die Welt damit in Erstaunen versetze.

Dann wachte er auf. Es war zwei Uhr morgens, der Mond schien und spiegelte sich im schwarzen Teich.