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Zzrkiz Tod

Der flackernde Schein der Talglichter vertrieb die Dunkelheit weder aus dem Allerheiligsten des Tempels, noch aus dem Herzen des Hohepriesters. Einer Statue gleich, stand unbeweglich Zzrkiz, die Hände erhoben, in einer Geste der Hingabe und Vereehrung, doch seine Seele vermochte sich nicht zu erheben, zu der Herrin des Lebens. Zu schwer lastete der Schatten des Todes auf ihm, der Atem Yoroms wehte eiseskalt durch seine Gedanken. So ließ er die Hände sinken, in Mattigkeit und Grauen vor dem Kommenden.

Stimmengewirr drang an seine Ohren, das Klirren von Waffen und das Getrampel von genagelten Stiefeln auf dem steinernen Grund des Höhlentempels. Scharfe Kommandos zerrissen die Stille und den Frieden an diesem Ort der Einkehr. Die Besatzung des Tempels rüstete sich zum Kampfe, in dem sich ihr Schicksal erfüllen sollte. Seufzend, zögernd, so als hemmte eine schwere Last seine Schritte, trat er durch den Vorhang, der das Allerheiligste vom Rest des Tempels trennte.

Er straffte seine Gestalt unter Aufbietung seines Willens, als ihn die Wachen angesichtig wurden, die ihre schweren Lanzen zum Zeichen der Ehrerbietung vor ihm senkten. Er durfte kein Zeichen von Schwäche erkennen lassen, war doch schon die Anzahl der Feinde, die sich vor dem Tempel zum Sturme rüsteten, entmutigend genug. Er bedeutete den Wachen ihm zu folgen und schritt durch die Gänge, vorbei an den Kammern, welche die kargen Zellen der Priester und Novizen beherbergten, der großen Dom zu, in dem, glatt wie ein Spiegel, die dunklen Wasser des Höhlensees im Licht der Fackeln schimmerten.

Unruhiges Stimmengemurmel schlug ihm entgegen, als er aus dem Gang hinaustrat, auf die weite Fläche, die sanft zum See hin abfiel. In losen Gruppen standen die Kämpfer bei einander, Frauen und Männer, Sragon und Menschen. Trotz der Entschlossenheit, die in den Zügen sichtbar war, spürte Zzrkiz den Hauch der Angst, der sich wie übler Geruch durch den Felsendom zog. Zuerst viel sein Blick auf die vertrauten Gesichter der Tempelwächter und Novizen, allsamt Sragon, gefaßte Entschossenheit spiegelte sich in ihren Mienen. Zzrkiz nickte ihnen aufmunternd zu. Deutlich hoben sich die Söldner unter den teilweisen bleichen Gesichter der Menschen ab, in gelassener Kühle überprüften sie ihr Waffen und Ausrüstung.

Wieder wurde dem Hohepriester schmerzlich bewußt, wieviel Trennendes noch immer zwischen ihren beiden Rassen stand. Nur zu deutlich konnte er die Abneigung, vereinzelt sogar Mißtrauen, spüren, daß den Sragonoffizieren von manchen Menschen entgegen schlug. Bitter nötig hätten sie einen Kommandeur, aus den Reihen der Ihren, dem sie Vertrauen entgegenbringen könnten.

„Stückwerk.": durchzuckte es Zzrkiz als er seinen Blick schweifen ließ, über die Gesichter die sich ihm nun zuwandten. „Bloßes Stückwerk, zusammengehalten durch das dünne Band, der Begeisterung, die Periodes und Hel so geschickt zu wecken wußten. Gebe Mehdora, daß dieses Band nicht risse, im blutigen Wahn der Schlacht."

Zzrkiz trat mitten unter sie, nach Worten suchend, die ihnen Trost und Zuversicht spenden sollten, da gewahrte er auf der anderen Seite des Sees, das heftige Schwenken einer Fackel. Mit einer Handbewegung brachte er die Umstehenden zum Schweigen. Leise und durch den Wiederhall verzerrt drang die Stimme der Wache an sein Ohr: „General Nergal ist hier."

Leicht wurde dem Hohepriester ums Herz und Freude erhellte sein verfinstertes Gemüt, wider alle Vernunft. Schon hob das Gemurmel unter den Menschen an.

„Hel ist da."

Rufe wurden laut, Schwerter wurden gegen Schilde geschlagen und dann brauste der rhytmische Ruf „Hel, Hel, Hel!" wie das Donnern der Brandung über den See. Ein Lächeln stahl sich auf Zzrkiz Lippen. Jetzt hatten sie ihren Anführer! Jetzt war ihm nicht mehr bange, jetzt würden sich die Menschen schlagen, wie die Teufel. Doch die Freude den Freund an seiner Seite zu wissen, überwog bei Weitem diese Erwägungen.

Der Hohepriester schätzte diesen Mann, in dessen Brust, die Kälte der Dunkelheit, glühende Überzeugung und uneingestanden Liebe, sich so nah waren, daß sie in engster Umarmung ihre Kräfte maßen und um die Herrschaft rangen. Unermüdlich planend, organisierend und verhandelnd, trieb er den Aufstand voran und wurde von ihm getrieben. Seine, an Narretei grenzende, Unbekümmertheit, von Stadtwache und Inquisition gesucht, mit der er durch die Schänken der Stadt zog und seine aufrührerischen Reden hielt; sein ätzender Spott, den er kübelweise über seine Widersacher goß, die List seiner Winkelzüge und die völlige Mißachtung seiner persönlichen Sicherheit, hatten ihm sogar die widerwillige Achtung mancher Chira eingetragen. Nur zu oft verwarf seine impulsive Natur kühl erwogene Pläne, so wie in diesem Moment. Schwer hatte er sich überzeugen lassen, daß sein Platz jetzt nicht bei den Kämpfern wäre, sondern in der Stadt. Zuviel hing von seiner Person ab, als das er sich, ungeübt wie er im Waffenhandwerk war, sich den Gefahren des Kampfes aussetzen durfte. Trotzdem war er gekommen.

Lächelnd schritt Zzrkiz zu der Anlegestelle hinunter, gefolgt vom Haufen der Kämpfer, die noch immer ihrer Begeisterung stimmgewaltig Ausdruck verliehen. Schon hatte sich der Nachen in Bewegung gesetzt, an dessen Bug hochaufgerichtet sich die Gestalt Hels abzeichnete. Dahinter die finstere Gestalt Dagon Morh`s, die Hel noch um Haupteslänge überragte. Selbst Zzrkiz, dem die Abgründe der Finsternis nicht fremd waren, konnte sich des Schauers erwehren, der ihn in der Gegenwart dieser düsteren Erscheinung überfiel. Das Schweigen und etwas von der Kälte der Eisfelder der Unterwelt ging von ihm aus. Er kannte niemanden, außer Hel, der mit ihm Umgang pflegte und dabei kein Gefühl von Beklemmung und Bedrohung empfand.

Schnell näherte sich der Nachen und als Zzrkiz , das von der am Bug befestigten Fackel erhellte Gesicht Hels erkennen konnte, beschlich ihn ein nagendes Gefühl von Unheil. Maskenhaft starr, bar jeden Ausdrucks, die Linien von den Nasenflügeln zu den Mundwinkel tief eingegraben, starrten seine Augen gerade aus. Wie üblich trug er schwarze Kleidung, die seine Züge noch bleicher erschienen ließ. Ein Schwert hing an seiner rechten Seite, daß, wie Zzrkiz wohl wußte, nicht viel mehr als ein Zugeständnis an den Rang war, den Hel einnahm, denn im Gegenteil zu dem verborgenen Dolch, mit dem er ein Meister war, konnte man seine Schwertführung höchstens mangelhaft heißen.

Hel hob grüßend die Rechte und rang sich ein Lächeln ab, daß seine Augen nicht erreichte. Jubel beantwortete seine Geste, doch Hels Augen ruhten auf dem Antlitz Zzrkiz, von dessen Miene die Freude über das Wiedersehen langsam wich. Der Nachen schrammte an den Fels der Anlegestelle und erst jetzt konnte der Hohepriester sehen, daß sich Dagon Morh auf seine schwere Doppelaxt stützte, die er sonst auf den Rücken geschnallt trug. Ein seltsamer Ausdruck lag auf dem finsteren Gesicht, der Zzrkiz fast an Bedauern erinnerte. Die Kämpfer drängten sich heran, Hel schüttelte Hände und grüßte knapp, diejenigen, die ihm persönlich bekannt waren. Dann trat er zu Zzrikiz, der ihm die Hand entgegenhielt.

„Sei mir gegrüßt, Freund, es ist schön dich zu sehen." : sagte der Hohepriester leise.

Hel erwiderte den Händedruck fest:

„Ich freue mich, dich wohlauf zu sehen, Zzrkiz. Es gibt Neuigkeiten, laß uns reden."

Unterdessen begab sich Dagon zu einer Gruppe Söldnern, die ein wenig abseits in kühler Haltung beisammen standen. Aus dem Augenwinkel bemerkt der Hohepriester eine seltsame Veränderung in der Haltung der Söldner, als Dagon leise mit ihnen spricht, sie scheinen sich völlig zu entspannen.

Zzrkiz nickt Hel zu und ging gemessenen Schrittes voran. Vor einer einfachen Zellen hielt er an und hob den Vorhang zur Seite, um Hel einzulassen. Er deutete auf den einfachen Stuhl und nahm selbst auf der Liege Platz.

„Nun Hel, was gibt es so dringendes, daß du selbst kommst." : seine Augen forschten in seinem Gesicht.

„Nichts was dich in Freude versetzen wird, Zzrkiz."

„Das habe ich mir schon gedacht, aber erzähle."

Hel straffte sich, als ob ihm die aufrechte Haltung größere Sicherheit verliehe. Der Hohepriester sah ihm sein Unbehagen immer deutlicher an.

„Periodes....er wird nicht mehr zeitgerecht eintreffen und auch dein Volk wird zu spät kommen, um in den Kampf einzugreifen."

Zzrkiz nickt stumm.

„Ich habe noch ganze 14 Mann in der Stadt und draußen marschiert die halbe Stadtwache und die Inquisition auf."

Hel seufzt.

„Mit einem Wort, wir haben nicht die geringste Chance. Wir können sie eine Weile aufhalten, aber dann werden sie uns überrennen."

Voll Wut hieb sich Hel mit der geballten Faust auf den Oberschenkel.

„Bloß ein paar Tage mehr, ein paar lausige Tage!"

Zzrkiz erhob sich und trat zu Hel.

„Wir haben sie nicht, Hel. Die Göttin hat entschieden, so bleibt uns nur mehr, uns ihrer Gnade anzuempfehlen und zu sterben, wie wir gelebt und geschworen haben, aufrecht und ohne zu wanken."

Der Hohepriester legte Hel die Rechte auf die Schulter. Seine Miene wiederspiegelte die gelöste Gelassenheit, die ihn erfüllte. Jetzt in diesem Moment, als Zzrkiz die Nähe des Todes fühlte, fiel die Last seiner Jahre und seiner Verantwortung von ihm ab. Mühelos hob sich seine Seele empor, zu der Göttin und tauchte ein, in ihren strahlenden Glanz.

„Fürchte nichts, wir sind in Mehdoras Hand." :fast zärtlich sprach der Hohepriester die Worte und in seinen Augen glomm das milde Feuer der Göttin.

Langsam erhob sich Hel, mühsam den Wunsch unterdrückend, seinen Blick von den Augen Zzrkiz zu lösen. Leise und rauh war seine Stimme.

„Mein Freund, zu sinnlos wäre dieses Sterben. Es gibt einen Ausweg und ich bin ihn gegangen."

Des Hohepriesters Hand glitt von Hels Schulter und sank schlaf herab. Er vermochte seinen Ohren nicht zu trauen, als er Hels weitere Worte vernahm.

„Der Rat hat uns Frieden angeboten, zu unseren Bedingungen, Zzrkiz. Fast alle unsere Ziele konnte ich erreichen, in Verhandlungen. Wir brauchen diese Leben nicht zu opfern, ohne Aussicht auf Erfolg. Ich habe dieses Angebot angenommen."

Entgeistert starrte der Hohepriester Hel an und als er wieder Worte finden konnte, stieß er hervor:

„Und der Preis, Hel? Was hast du ihnen dafür gegeben? Was ist mit der Inquisition, mit dem Tempel?"

Immer lauter wurde Zzrkiz Stimme.

„Nichts ist verloren, nichts vergeben! Wir ziehen uns einfach zurück und schlagen die Schlacht zu einem besseren Zeitpunkt."

Der Hohepriester packte Hel bei den Schultern und schüttelte ihn mit immer heftiger.

„Was war der Preis, Hel?"

Jetzt schrie Zzrkiz und seine Augen brannten vor Zorn, in seinem faltigen Antlitz. Hel hielt dem Blick stand.

„Die Räumung des Tempels und die offizielle Auflösung unserer Truppen."

Der Hohepriester keuchte auf, als hätte ihn ein schwerer Schlag getroffen und stieß Hel von sich, der nur mit Mühe auf den Beinen blieb. Die unbändige Wut seiner Rasse stieg in Zzrkiz hoch, flammende Schleier wallten vor seinen Augen, als er den einfachen Tisch packte und nach Hel schleuderte.

„Du dreckiger Verräter! Du hast uns verkauft! „: brüllte Zzrkiz.

Mit einer flinken Bewegung wich Hel dem Tisch aus, der an der steinernen Wand in Trümmer ging.

„Du....du .....Mensch!": spie er Hel entgegen, unfähig im Sturm seines Zornes weitere Worte zu finden, packte er ein Tischbein aus den Holztrümmern und hieb damit auf Hel ein. Im letzten Augenblick gelang es ihm auszuweichen und er sprang zurück, in den Gang, dabei den Vorhang mit sich reißend.


„Zzrkiz! So höre mich an! Dein Volk ....."
Wieder wich Hel einem, mit aller Kraft geführten; Hieb aus und taumelte dabei rückwärts den Gang entlang, in Richtung der Seekaverne. Unartikulierte Laute kamen über die Lippen des Hohepriesters, in dessen verzerrten Zügen nur mehr unmenschliche Wut zum Ausdruck kam. Hel entging nur um Haaresbreite einem mörderischen Schlag, unter dessen Gewalt das Tischbein an den Felsen zersplitterte. Zzrkiz schleuderte den Rest nach Hels Kopf, glitt dabei aus und fiel auf die Knie. Hel gelang es nicht mehr dem Wurfgeschoß gänzlich auszuweichen, es streifte sein Gesicht und hinterließ blutige Spuren. Die Wucht riß ihn halb herum und nach einigen getaumelten Schritten fiel er rücklings aus dem Gang in die sich öffnende Seehöhle. Der Aufprall raubte ihm den Atem, instinktiv rollte er sich noch zur Seite. Doch da stürzte schon Zzrkiz aus dem Gang und entriß einem der Tempelwächter den schweren Speer.

Erstarrt, mit weit aufgerissenen Augen, starrten die Kämpfer auf den Hohepriester, der wie ein Rachegott sich auf Hel stürzte. Nur Dagon Morh reagierte. Mit unglaublicher Geschwindigkeit schnellte er los, riß im Laufen die schwere Doppelaxt hoch. Hel sah nur mehr Zzrkiz Arm und den Speer, die sich unendlich langsam zu bewegen schienen, die im Fackellicht aufleuchtende Speerspitze, die wie der Zahn einer gewaltigen Viper auf sein Herz gerichtet war.

Das Axtblatt zeichnete einen silbrig-aufleuchtenden Halbkreis in das Dämmerlicht, Dagon lachte, als der Rückhandschlag mit grausamer Wucht die Axt unter Zzrkiz Brustbein tief in seinen Körper trieb. Blut spritze, als der Stahl mit einem grausigen Geräusch Knochen, Muskeln, Adern und Organe zerfetzte. So gewaltig war der Hieb, daß es Zzrkiz einen Moment auf die Zehenspitzen riß. Mit einer spielerisch anmutenden Bewegung, die die unmenschliche Kraft nicht ahnen ließ, mit der Dagon Morh die Axt führte, riß er die Klinge zurück, ein feiner Sprühregen Blutes spritze von dem Axtblatt auf die Umstehenden.

Der Speer entfiel Zzrkiz Hand und wie ein gefällter Baum schlug er rücklings hin. Blutiger Schaum quoll aus seinem weit aufgerissen Mund, der die Schreie des Schmerzes zu einem dumpfen Gurgeln erstickte. Dann brach Chaos los.

Die Tempelwächter, die ihren Hohepriester fallen sahen, gefällt von der Hand eines Menschen schwangen ihre Speere, Klingen sprangen in die Fäuste der bedrohten Menschen. Inmitten der aufeinander Einhauenden kam Hel taumelnd auf die Beine, sein Gewand blutbefleckt, von den oberflächlichen Wunden in seinem Gesicht. Sein Schrei, der durch die Höhle über den See gellte, hatte kaum mehr menschliches an sich.

Wie betäubt sanken die Arme der Kämpfenden herab und alle Augen richteten sich auf Hel, der mit taumelnden Schritten auf Zzrkiz zu wankte. Neben ihm ließ er sich auf die Knie fallen. Die Hand Yoroms lag bereits auf ihm, als sich Hel über ihn beugte. Mit äußerster Anstrengung, die blutige Speichelspuren in Hels Gesicht zeichnete, preßte er noch ein Wort hervor, bevor seine Augen brachen und sein Kopf zur Seite fiel. „Verräter."

Dagon Morh und eine Gruppe Söldner nutzten die Gunst des Augenblickes und entwaffneten die noch lebenden Tempelwachen. Hel schloß die Augen des Hohepriesters mit einer sanften Berührung, dann kam er mit steifen, hölzernen Bewegungen auf die Beine. Sein Gesicht, steinern unbeweglich, befleckt von Zzrkiz und seinem eigenen Blut, ließ selbst abgebrühte Kämpfer erschauern. Nur Dagon trat ungerührt an Hel heran. „Deine Befehle?"

Einen Augenblick sah es so aus, als wollte sich Hel mit bloßen Fäusten auf Dagon stürzen, bevor sein Wille wieder die Oberhand gewann. Heiser und ohne Ausdruck war seine Stimme: „Versorgt die Verwundeten, auch die Sragon. Alle Offiziere zu mir."

Dagon nickte und gab mit lauter Stimme die Befehle weiter, die wieder Bewegung in die Kämpfer brachte. Der Kampfesrausch war gewichen, fast scheu streiften sich die Blicke derer, die noch vor ein paar Herzschlägen erbittert aufeinander eingeschlagen hatten, Waffen wurden weggesteckt, Hände die eben noch Wunden schlugen, richteten Verwundete auf, verbanden Verletzungen und erleichterten die letzten Augenblicke Sterbender. Eine unwirklich Stimmung lag über der düsteren Szenerie, fast so als wären die Beteiligten Teil eines absurden Theaters. Einige Unterführer versammelten sich um Hel, darunter auch Sragon, deren Blicke unstets und nervös flackerten.

Hel begann damit, die Vereinbarungen mit dem Rat zu erläutern: „Kameraden, ich habe diese Verhandlungen nur deshalb geführt, weil unsere Verstärkungen nicht mehr rechtzeitig eingetroffen wären. Ich brauche euch nicht im Einzelnen zu sagen, was das für uns bedeutet. Mut heißt auch, aus der Wirklichkeit die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich weiß, daß jeder von uns in den Tod gegangen wäre, für die Freiheit unserer Heimat. Doch in diesem Augenblick wäre dieses Opfer ohne jeden Sinn. Es hätte nur die Position der Verräter und Lakaien der Allianz gestärkt. Wenn es auch so scheint, als wären wir geschlagen, wir sind es nicht! Wir sind wie das Wasser, daß die Dämme, die gegen uns aufgerichtet werden, unterspült und schließlich hinwegfegen wird. Laßen wir sie in ihrem törichten Glauben, sie hätten uns durch ein paar Zugeständnisse unsere Würde und Freiheitsliebe abgekauft. So lange noch ein Tropfen Blut in meinen Adern fließt, werde ich kämpfen. Es lebe die Freiheit!"

Hels Stimme war im Verlauf der Ansprache immer ausdrucksstärker geworden, er spürte wie die Stimmung der Zuhörer wieder umschlug, von dumpfer Niedergeschlagenheit, in die gewohnte Entschlossenheit. Die Kämpfer hatten verstanden, daß nicht der Krieg, sondern nur eine Schlacht verloren war.

„Ihr alle seit frei zu gehen, niemand wird euch verfolgen, weder die Stadtwache noch die Inquisition. Kameraden, seit wie die Fische im trüben Wasser und haltet euch bereit, denn unsere Stunde wird kommen."

„Und ihr Hel, was ist mit euch?"

Hel wendet sich dem Sprecher zu, einem seiner besten Unterführer. „Mit dem Rat bin ich im Reinen, ich werde sogar meinen Ratssitz wieder einnehmen, doch der Rat kann der Inquisition nicht befehlen. Nur aus diesem Grund mußte ich zustimmen, den Tempel zu räumen, so schwer dies auch fiel. Ich werde noch immer von der Inquisition gesucht." Hel unterband das aufbrandende Stimmengewirr mit einer energischen Handbewegung. „Kameraden, es werden sich Wege finden. Ich habe nicht die Absicht mich von den Bluthunden rösten zu lassen."

Leises Gelächter erklang bei diesen Worten. Hel, der nur unter Aufbietung aller seiner Willenskräfte vermochte, den äußeren Schein zu wahren, wandte sich an die Sragon.

„Waffenbrüder, niemand bedauert den Tod meines Freundes und Bruders Zzrkiz mehr als ich. Niemals hätte ich zugelassen, daß er in die Hände der Inquisition gefallen wäre. Alles war vorbereitet, ihn und euch in Sicherheit zu bringen. Er hat mir keine Gelegenheit gelassen, mit ihm zu sprechen. Umso mehr wünsche ich mir, daß ihr mir nun zuhört."

Hel richtet seinen Blick fest einen Augenblick auf jeden Sragonoffizier.

„In Zukunft wird euer Volk in allen Gesetzen Estichas den Menschen gleichgestellt sein, Esticha kennt keinen Unterschied mehr zwischen unseren beiden Völkern. Auch ihr seit frei zu gehen wohin ihr wollt, doch ich bitte euch, geht zu eurem Volk und bringt ihm die Botschaft und erzählt, daß wir Schulter an Schulter gestanden haben. Nehmt Zzrkiz mit euch und bestattet ihn, so wie er es gewünscht hätte. Wir halten solange die bekannten Zugänge besetzt, bis ihr mit Zzrkiz entkommen seit. Mehdora beschütze euch."

Die Sragon wechselten Blicke, dann nickten sie in stummen Einverständnis und einer der ihren trat vor.

„Wir dich kennen, Hel, du kein Feind von Sragon, du nicht schuld an Tod von Zzrkiz, Wille von Göttern. Wir gehen, Sragonvolk sprechen von Gesetz machen gleich Sragon und dein Volk und davon das Hel machen Band zwischen dein und mein Volk. Wenn du rufen, wir kommen, du Waffenbruder."

Dann grüßte der Sragon und wandte sich ab. Ein Befehl in Srahgistha ertönte und die überlebenden Tempelwachen, luden sich ihre schwerer verletzten Kameraden auf und setzten sich in Bewegung. Einer nach dem Anderen verschwanden sie in dem Gang, der ins Innere des Tempels führte. Ehrfürchtig näherten sich die Offiziere dem toten Zzrkiz. Sie verharrten einen langen Augenblick stumm um den Leichnam, dann nahmen sie ihn auf und trugen ihn feierlich-gemessenen Schrittes mit sich.

Mit dem Verschwinden der Sragon löste sich die Spannung, die noch immer in der Luft lag, allmählich auf. Schon waren leise Scherzworte zu hören als Dagon zu Hel trat und ihm ein befeuchtetes Tuch reichte. Hel säuberte notdürftig sein Gesicht. Dagon trat näher zu ihm.

„Es war notwendig, Hel."

Hel nickte nur stumm und warf das besudelte Tuch auf den Boden.

„Wähle ein paar Mann aus, die uns begleiten, Dagon. Ich werde Callan Eichbart den Tempel übergeben, wie vereinbart. Sag den Kämpfern sie sollen sich ruhig verhalten, beim Abzug und sich nicht reizen lassen. Es ist schon genug Blut sinnlos vergossen worden, an diesem Tag."

Dagon nickte und kümmerte sich um das Aufgetragene. Als später der Nachen über den glatten Spiegel des Höhlensees glitt und sein Kielwasser die Oberfläche für kurze Zeit kräuselte, stand Hel wie schon zuvor, hochaufgerichtet am Bug des Kahnes, das Gesicht von seinen Männern abgewandt. Niemand sah die Tränen, die über seine Wangen rollten und seinen Bart netzten.





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