DIE WELT DES COLONELS

“Wie konnte das passieren? Wie hat dieser Schweinehund sie geschwängert?“, fragt der Colonel zornig, als er die Reihe der weiblichen Wachen und Gefangenen abschreitet. Dies ist sein Gefängnis. Seine Welt. Er ist der einzige Mann unter tausend Frauen. Sie gehören alle ihm. Wie die Hirschkühe dem Leithirsch – und die Witterung eines anderen Hirsches in seinem Revier macht ihn zornig und gefährlich.

Die Frauen nennen ihn Papa. Vom Trinken hat er ein rotes Gesicht. Morgens, mit laufender Nase und brennenden Augen, leidet er wie ein Hund. Nachmittags ist er etwas angetrunken und fühlt sich besser. Am besten ist es abends, dann ist er wohlgelaunt und schaut drein wie ein zufriedener Sultan.

Aber jetzt ist es Morgen, und Papa hat gerade erfahren, daß eine seiner Gefangenen schwanger ist. Alle warten, was jetzt passiert. Papa ist aufgeregt. Man hat ihm Unrecht getan. Aus Ärger wird Zorn, und dennoch ist das Schlimmste das ungelöste Geheimnis: Wer ist der Hund? Und noch dazu muß er diesen Angriff auf seinen Verstand ertragen, während er einen verdammten Kater hat; es fühlt sich an, als schleudere Zeus Blitze auf sein Hirn.

“Wo ist sie?“, donnert er, während er an den Frauen vorbeiläuft und jeder Wächterin ins Gesicht schaut.

“Sie ist in der Krankenabteilung, beim Arzt“, antwortet eine ältere Frau.

Papa weiß, daß er, wenn er seinen Schmerz lindern will, einen Schuldigen finden muß. Er stellt im Geiste eine Liste auf. Wer...? Der Arzt ist zu alt, das weiß er.

“Du bist für ihren Block verantwortlich“, schreit Papa die ältere Wächterin an. „Du hast für Ordnung zu suchen. Du mußt dich um die Mädchen kümmern! Sie konnte direkt unter deiner Nase schwanger werden – hier!? Nennst du das ‚für Ordnung sorgen‘? In meinem Gefängnis kann eine Frau nur vom Heiligen Geist schwanger werden. Kriegen wir hier einen zweiten Jesus?“, brüllt er. Da dämmert ihm etwas. Die Missionare fallen ihm ein, die einmal pro Woche vorbeikommen, die beiden gutaussehenden Geistlichen. Papa hat ihnen tief in die Augen geschaut, um in ihren Seelen zu lesen. Nein, das sind rechtschaffene Leute, die würden sowas nicht tun.

Papa schaut auf den Bericht und liest den Namen der schwangeren Frau. Er kennt sie nicht. Sie ist eine gewöhnliche Gefangene, und Papa kennt nur die Besonderen, die Bediensteten und die Vertrauenswürdigen. Der Rest ist eine graue Masse, alle mit demselben Gesicht.

“Bringt sie sofort auf den Paradeplatz!“, ruft er. „Ich will in ihre schamlosen Augen sehen.

Papa stürmt schneller durch das Gefängnis, als es jemals jemand gesehen hat. Als er durch die Zellenblöcke zum Paradeplatz eilt, beschimpft er die Gefangenen. „Ihr seid Abschaum. Ihr seid zur Umerziehung hergeschickt worden. Wo ist euer Anstand? Eure Würde?“ Er ruft laut und unterstreicht jedes Wort durch einen Schlag auf seinen Bauch. Die Frauen wenden sich ab, nicht vor Scham, sondern vor Lachen. Papas Jahre des Trinkens und der Völlerei haben ihm einen Bauch beschert, groß wie eine Wassermelone, die Frauen machen sich ständig darüber lustig. Er sieht selbst schwanger aus.

“Was grinst du so?“, brüllt er eine der Frauen an. „Verstehst du? Sie hat einen Liebhaber hier.“ Die Vorstellung eines Liebhabers, hier, in seiner Welt, bereitet ihm körperliche Schmerzen. Würde man ihm tausendmal Hörner aufsetzen?

“Jemand hier weiß die Wahrheit, und ich werde sie herausfinden!“, droht er. „Und ihr versucht, es vor mir zu verstecken. Ihr seid Abschaum, der niedrigste Abschaum! Wer ist dieser Bastard? Sagt es mir. Wer es mir sagt, bekommt einen Tag frei.“

Noch während er spricht, weiß er, daß es sinnlos ist. Keine wird es ihm verraten. Er ist die einzige ehrliche Seele hier, umgeben von Betrügerinnen, Lügnerinnen und Kriminellen.

“Vielleicht ist es der LKW-Fahrer, der das Essen zur Küche bringt“, ruft eine Frau, die auf einen freien Tag hofft.

Papa bleibt stehen und denkt über den Fahrer nach. An der Theorie muß er kauen. Aber das macht ihn nur wütender. Das ist schlimmer als ein Verbrechen, das ist Verrat an seiner Welt...! In diesem Moment sieht er die Wachen zum Paradeplatz eilen, eine schmale junge Blonde zwischen ihnen.

Er denkt bei sich: „Sie wird mir sagen, wer sie geschwängert hat, oder sie wird hier die Hölle auf Erden haben.“

Papa geht auf sie zu. Sie ist schön. Keine Angst in ihrem Gesicht. Kein Trotz. Dann sieht er, wie sich ihre Mundwinkel zu einem kaum merklichen Lächeln heben. Er nähert sein Gesicht dem ihren und starrt ihr direkt in die Augen. Sie steht ruhig und still wie eine Steinsäule. Da taucht in seinem Geist ein Bild auf hinter einem Vorhang aus Zeit und zuviel Wodka. Er sieht ihren nackten Körper, ihr Lächeln, und er fühlt sie dicht bei sich.

“Alle abtreten!“ ruft er den Wachen zu. „Ich erledige das selbst. Na los!“

Die Versammlung auf dem Paradeplatz zerstreut sich auf sein Kommando hin. In seinem Herzen wächst eine unbeschreibliche Freude. Er fühlt sich leicht, unbeschwert und glücklich. Er verspürt eine unglaubliche Erleichterung. Jedes Teilchen im Universum ist an seinem Platz. Alles und jedes ist, wie es sein soll.

Er schaut sie an, und weitere Erinnerungen erwachen. Das Gewicht, das sein Herz bedrückt hat, verschwindet, und er atmet tief. Das Bild in seinem Geiste vervollständigt sich, und er nimmt es ganz auf.

“Wie geht es dir?“, fragt Papa das Mädchen in einem Ton, der sonst guten Freunden vorbehalten ist.

“Mir... uns geht es gut“, lächelt sie.

Er würde sie gern anfassen, aber es sehen zu viele zu.

“Ich werde tun, was ich kann“, sagt er, das Gesicht streng.

“Ich verstehe“, sagt sie mit einem winzigen Lächeln.

“Geh in die Küche. Du sollst Milch bekommen, Weißbrot und Butter. Geh jetzt“, sagt er. Sie wendet sich zu dem Tor in der grauen Mauer.

“Ich höre heute früher mit dem Bier auf und fange gleich mit Wodka an“, murmelt Papa. „Diese Mädchen... Eines Tages kriege ich noch einen Herzinfarkt.“

Elegant stolziert er zum Ausgang. Dies ist sein Gefängnis. Seine Welt. Er hat tausend Frauen, und es gibt keinen anderen Mann neben ihm. Kein Herrscher konnte sich je so sicher fühlen wie Papa, der sich den Bauch klopft, ein absoluter Herrscher seines Reiches.





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