In art-Studio

Zwei Männer unterhalten sich in einem Raum, der mit militanten Plakaten und Schwulengruppen-Postern vollgehängt ist. Der eine heißt Pete, er ist Künstler und arbeitet im Gefängnis-Atelier. Er ist zutiefst unzufrieden mit seinem Leben im allgemeinen und mit seinem schwulen Leben im besonderen.

Er sagt zu seinem Freund: "Unsere Gesellschaft ist einfach noch nicht soweit, daß jeder so existieren kann, wie es seinem Wesen entspricht, wie auch immer das geartet ist... Stattdessen herrscht immer noch die absurde Meinung, daß wir uns umpolen sollen. Warum können sie es nicht einfach akzeptieren und uns so leben lassen, wie wir sind..."

"So ein Dreck, Pete," hält sein Freund dagegen, „beklag dich nicht über dein Leben – mit dir würde jeder gerne tauschen! Du lebst viel besser als die anderen im Knast: Du arbeitest eine halbe Stunde am Tag an diesen unnützen Propaganda-Postern, und den Rest der Zeit tätowierst du Gefangene. Du verdienst mehr als die Wachen, und keiner kommandiert dich herum."

Solche lebenspraktischen Gespräche sind für den Künstler kaum zu ertragen; normalerweise zieht er sich dann auf intellektuell befriedigendere, abstrakte Themen zurück.

Diesmal aber fängt Pete, seinem Freund zuliebe, einen wohlgeübten, aber leidenschaftlichen Monolog an: "Daß es mir hier gutgeht, liegt daran, daß ich mein Talent verkaufe. Ich prostituiere meine gottgegebene Begabung für Kleingeld. Ich bin geboren, um etwas für die Nachwelt zu schaffen; was ich jetzt mache, erweckt weder Bewunderung noch Neid. Ich verewige mich auf den Schädeln von Kriminellen, ich tätowiere ,Hallo Friseur‘, und wenn sie das nächste Mal im Knast rasiert werden, richten sie dem Friseur dort meinen Gruß aus...

Ich bin geboren, um eine Generation zu beeinflussen, vielleicht sogar ein bahnbrechendes und geniales Werk fernen Zeiten zu hinterlassen! Und was hinterlasse ich, außer Nachrichten an den Friseur? Tattoos von Seilen auf den Hälsen der Gefangenen, Handschellen auf ihren Handgelenken, Ketten auf ihren Knöcheln!

"Ich könnte Kathedralen mit Bildern von Ikonen und Heiligen ausfüllen, aber ich tätowiere Kirchen auf die haarigen Rücken meiner Mitinsassen. Ihr einziger Annspruch: so viele Türme, wie sie Jahre gesessen haben. Nein! So geht es nicht weiter!"

Pete erhebt sich von seinem Stuhl, mit erzürntem und frustriertem Gesichtsausdruck. "Es muß etwas geschehen, irgendwie muß ich da rauskommen... Ich ertrage das nicht länger..."

In solchen Zeiten der Verzweiflung vergißt Pete für gewöhnlich, daß er im Gefängnis sitzt, weil er berühmte Kunstwerke kopiert und als Originale verkauft hat. Er hält sich für das Opfer eines unmenschlichen Systems; ein Gefangener wegen seiner Überzeugungen, nicht wegen seiner Fälschungen.

"So ein Dreck, Pete, du weißt doch, daß du mit Talent allein nicht weit kommst," spottet sein Freund. "Ohne Persönlichkeit bist du nur ein fauler Philosoph, ein alternder Homosexueller, ein ohnmächtiger Anarchist! Lichtenberg hat gesagt, daß ein Werk wie deines ein Spiegel ist; wenn ein Esel hineinschaut, kann er nicht erwarten, daß ein Apostel herausschaut! Du mußt zugeben, Pete, daß du ein Esel bist." Schüchtern lächelnd setzt er hinzu: "Um ehrlich zu sein, bist du so ein lieber Esel, daß ich gar nicht will, daß du ein Apostel wirst!"

Das holt Petes Gedanken zurück auf die Erde. Er steht vor seinem Freund, schaut ihn eine Weile an und überlegt, ob Lichtenberg ein Philosoph oder ein Sträfling war. Er würde gerne fragen, aber er möchte nicht zeigen, daß er es nicht weiß. Er fährt fort: "Gestern habe ich diesen jungen Kerl aus Block N7 tätowiert; der ist einer von uns. Er wollte ein Paar Augen auf seinen Arschbacken."

"Aha? Wieso das denn? Für was genau steht so ein Tattoo? Ich kapier’s nicht ganz!" Sein Freund sieht etwas verwirrt aus.

Pete stimmt zu: "Ich hab’s auch nicht kapiert, also hab ich ihm vorgeschlagen, ein Paar Heizer zu nehmen, einen auf jeder Arschbacke, mit Schaufeln in der Hand."

"Heizer?" fragt sein Freund und schaut noch verwirrter drein.

"Nichts besonderes, wenn er stillsteht, aber wenn er läuft, fangen die Heizer an, die Schaufeln zu schwingen, als würden sie ihm Kohle in den Hintern schaufeln. Das ist ein echter Durchbruch in der Kunst der Tätowierung: Bewegte Tattoos! Ich sehe da große Entwicklungsmöglichkeiten!"

"Ich verstehe es immer noch nicht," sagt sein Freund, "ist da eine versteckte Bedeutung dahinter oder was?"

"Ich weiß nicht, ob das von großem Interesse ist oder ob da irgendein tieferer Sinn drinsteckt, aber ich fühle mich wie ein Heizer, der die kostbaren Diamanten seines Talents seinem eigenen Schicksal in den Arsch schippt..." Pete ist mit seinen Gedanken längst wieder in intellektuellen Fernen.





Zurück zur   Echos der gefangenen Stimmen -Home-Page