
| Politik 38/2002
5. Hamburger ZEIT-Matinee "Wenn Revolution gewünscht ist, sind wir auch mit dabei. Wir geben nichts vor, wir belehren nicht, sondern sagen nur: Das war's heute. Kein Krieg im Irak, sehr gut. Krieg im Irak, auch gut. Kanzler Schröder, Kanzler Stoiber - bitte, Ihre Wahl." - Harald Schmidt im Gespräch mit den ZEIT-Chefredakteuren von Josef Joffe & Michael Naumann (Gesprächsführung)
DIE ZEIT: Sie haben Ihr Bochumer Theatergast-spiel mit zwei Sätzen erklärt: "Das Ganze war ein einziger Egotrip. Bochum hat mir die Möglichkeit gegeben, zwanzig Jahre Trauma abzuarbeiten."
Harald Schmidt: Hätte das deutsche Theater mich so geliebt, wie ich das deutsche Theater geliebt habe, wäre ich dem deutschen Fernsehen erspart geblieben. Ich wollte nicht zum Fernse-hen, sondern auf die Titelseite von "Theater heu-te". Rückblickend aber muss ich sagen, dass ich beim Fernsehen besser aufgehoben bin, denn ich bin in erster Linie ein Selbstdarsteller. Ich weiß nicht, ob Sie als Chefredakteure der ZEIT so etwas nachvollziehen können. Dass man von diesem Denken getrieben ist: ich, ich, ich!
ZEIT: Dabei heißt es doch, ein Theaterschauspie-ler zeichnet sich dadurch aus, dass er immer ei-nen anderen spielt und nicht sich selbst.
Schmidt: Es gibt zwei Auffassungen von Schau-spielerei. Nur ganz wenige schaffen es, eine Fremdfigur zu spielen, aber - das ist dann die ganz große Kunst - immer noch als sie selber er-kenntlich zu bleiben. Andere, die auch sehr gut sind, biegen jede Rolle zu sich selber hin. Der großartige Ulrich Wildgruber war dafür ein Bei-spiel. Man ging ins Theater, weil man Wildgruber sehen wollte, als Hamlet, als Othello. Und es gibt den großen Rest, der sich so recht und schlecht durchschlägt. Ein Versteller bin ich jedenfalls keiner, das kann ich überhaupt nicht.
ZEIT: Auch nicht im wirklichen Leben?
Schmidt: Da kann ich es teilweise ganz gut, aber nur innerhalb einer schmalen Bandbreite.
ZEIT: Sie sagen, Sie betrachten die gesamte Welt unter theatralischen Gesichtspunkten.
Schmidt: Für mich ist alles Material.
ZEIT: Sie selbst auch?
Schmidt: Fast das Wichtigste. Das ist ja eine permanente Selbstausbeutung: Krankheiten, Kindergeschichten, gescheiterte Beziehungen, alles wird abends ausgebreitet. Es ist wirklich alles Material: Geburt, Tod, Beerdigung, Geburtstag. Es gibt auch keinen Grund, warum etwas nicht Material sein sollte. Die Leute verhalten sich selbst immer unter theatralischen Gesichtspunk-ten.
ZEIT: In Ihrer Show haben Sie uns mit Ihrer tägli-chen "Sonntagsfrage" monatelang das wunder-barste Politiktheater vorgespielt, bei dem die FDP zeitweise fast auf 30 Prozent gekommen ist. War das der Applaus für den Kanzlerdarsteller Westerwelle?
Schmidt: Unser Publikum hat wirklich abge-stimmt. Wir haben auch extra auf die Stimmzettel geschrieben: "Bitte nehmen Sie das ernst."
ZEIT: Wenn Sie das sagen, nehmen die Leute es erst ernst, dann denken sie darüber nach und nehmen es nicht mehr ernst, und schließlich sind sie ganz durcheinander - und wählen FDP.
Schmidt: Ich glaube, dass wir die Tendenz sehr präzise beschreiben. Vor den Ferien hatte die FDP 30, 25, 27 Prozent. Nach den Ferien ist der Trend eindeutig zu Gunsten der Regierungskoali-tion gekippt. Am letzten Freitag lag die FDP bei 12 Prozent.
ZEIT: Sie haben selbst einmal gesagt: "Vielleicht deckt sich die momentane Welle, auf der die FDP schwimmt, mit dem, was wir ausstrahlen." Was strahlten Sie aus, was so gut zur FDP ge-passt hat? Und was strahlen Sie jetzt aus, was nicht mehr so richtig zur FDP passt?
Schmidt: Wir strahlen mehr aus denn je, aber die FDP hat abgebaut. Wir strahlen aus, es gibt keine verbindlichen Kriterien.
ZEIT: Im Leben oder in der Politik?
Schmidt: Im Leben - Politik ist für uns zu klein, es muss das Leben sein. Es gibt keine verbindli-chen Kriterien, es gibt kein Rechts, kein Links, es gibt eigentlich auch nur noch sehr schwer er-kennbar Gut und Böse. Wir beschäftigen uns ei-gentlich jeden Tag damit, die eigene Überinfor-miertheit und Orientierungslosigkeit auszustellen.
ZEIT: Dann ist Ihre Show praktisch eine Haber-mas-Sendung: "Die neue Unübersichtlichkeit"?
Schmidt: Nein, es war der Wunsch von SAT.1, dass es so wird. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre es auch ein bisschen mehr mit Ge-walt und Titten gewesen. SAT.1 aber wollte das im Habermas'schen Sinne haben, mit Rücksicht auf die Werbeindustrie. Dem habe ich mich ge-fügt.
ZEIT: Die FDP hat bei Ihnen zwar immer noch ein bisschen mehr als selbst bei Allensbach, ist aber erheblich zurückgegangen. Was ist da passiert?
Schmidt: Wir als Nation oder als Bevölkerung können doch nur Spaß haben, wenn die Sonne scheint. Jetzt aber kamen zwei böse Dinge: die böse Flut und die Angst vor einem Krieg, den es noch nicht gibt. Und jetzt müssen wir alle mal ernst werden, so geht es ja wirklich nicht weiter! Also mal räuspern und Krawatte strammziehen und Schluss mit lustig!
ZEIT: Dann müsste Stoiber 60 Prozent Zustim-mung haben. Der ist doch ernst.
Schmidt: Ja. Ohne mich anbiedern zu wollen: Der beste Artikel zu diesem Wahlkampf stand in der letzten ZEIT, von Ihrem Theaterkritiker Peter Kümmel über die Staatsschauspieler. Er bringt das auf den genialen Satz: Man sollte sich das, was Stoiber vorträgt, mal mit der Stimme von Schröder vorstellen. Das ist ganz banal. Schrö-der kommt über das Fernsehen einfach besser rüber. Inhalte spielen bei diesem Wahlkampf ü-berhaupt keine Rolle.
ZEIT: Es ist ein akustische Frage?
Schmidt: Das ist auch ein Geheimnis unseres verehrten Altkanzlers, der eine genial sitzende Stimme hatte. Das hat mir eine Logopädin ge-sagt, bei der ich mit Stimmproblemen in Behand-lung war. Wenn die Stimme so sitzt - das gilt zum Beispiel auch für einen Mann wie Elmar Gunsch -, ist der Inhalt nahezu bedeutungslos, weil Sie von dieser Stimme eingelullt und eingefangen werden.
ZEIT: Warum ist Schröder der bessere Kanzler-darsteller als Stoiber?
Schmidt: Er kommt kompakter rüber, zum Bei-spiel was die Gestik angeht. Schröder ist vom Körperbau her gedrungen. Und da steht nun beim Duell so ein kompakter Knubbel, der sich seit neuestem nicht mehr bewegt. Das ist vor der Kamera ein großer Trick. Er steht einfach da, guckt bedeutend und sagt dann, für den Fern-sehzuschauer sehr nachvollziehbar: "Erstens. Zweitens. Drittens." Und dann: "Kein - Krieg - ge-gen - den - Irak!" Darauf sagen alle: "Toll! Wir haben schon so viele Kriege sinnlos verloren, jetzt reicht's mal!" Dem gegenüber, nur von der Optik her, ist Stoiber schmal und ein bisschen zappelig, er hat die höhere Stimme und lässt sich dazu in die Falle locken, ein Thema wie das "Ar-beitsamt Freising" aufzumachen. Allein der Beg-riff Freising hat die ganze Sache so provinziell werden lassen, dass damit im Grunde die Dis-kussion gelaufen war.
ZEIT: Hat Stoiber in diesem Moment die Wahl verloren?
Schmidt: Er hat da entscheidend unsicher ge-wirkt. Und plötzlich kam es dann: Ja, wenn die Flut kommt, ist er vielleicht doch nicht so gut. Und: Der Schröder macht doch eigentlich alles richtig.
ZEIT: Würden Sie Schröder auch den Preis des "Nachwuchsschauspielers des Jahres", den Sie bekommen haben, verleihen?
Schmidt: Nein, Schröder ist schon ein Profi. Mit "Nachwuchsspieler" hat das nichts zu tun.
ZEIT: Dann ist er besser als Sie?
Schmidt: Selbstverständlich. Der große Unter-schied ist, dass Schröder auf der internationalen Bühne spielt. Die Erfahrung, die er dadurch hat, merkt man ihm auch an. Stoiber muss darauf hinweisen, dass er mit Kofi Annan und mit Chirac telefoniert.
ZEIT: Trotzdem bleibt die Frage: Was unterschei-det einen guten Kanzlerdarsteller von einem gu-ten Kanzler?
Schmidt: Ein guter Kanzlerdarsteller ist viel wichtiger als ein guter Kanzler. Das sieht man ja jetzt. Die Leute wollen im Grunde sagen: "Eigent-lich kommt der Gerd in den Gummistiefeln geiler rüber. Das war toll. Und jetzt auch noch kein Krieg!" Und wenn man dann sagt: Welcher Krieg eigentlich?, heißt es: "Wir nehmen nicht teil! Mit uns ist das nicht zu machen!" Das Spannende für mich wird sein, sollte die Regierung bestätigt werden: Was passiert, wenn doch angegriffen wird? Wie kommt man da raus?
Aber da vertraue ich auf Ludwig Stiegler. Das finde ich toll, dass uns der Kanzler den noch ge-schenkt hat. Man dachte, die SPD ist voll auf Vordermann, Rudi weg, auch Struck weg. Und dann kommt Stiegler, der sinnlos für Randale sorgt, und zwar nicht einmal auf Landesbühnen-niveau.
ZEIT: Sie scheinen auch den Wähler in erster Li-nie als Theaterpublikum zu sehen: Der Wähler möchte buchstäblich betrogen werden, er möchte unterhalten werden, für ihn ist Timing ganz wich-tig. Ist das Publikum wirklich nur noch entertain-mentsüchtig?
Schmidt: Nach einer Umfrage wählen 20 Pro-zent der Wähler in der Wahlkabine etwas ande-res, als sie glauben, weil sie mit dem Wahlmodus nicht zurechtkommen. 20 Prozent haben wirklich nicht verstanden, wie das mit Erst- und Zweit-stimme ist. Und 30 oder 40 Prozent wählen rein emotional und sagen zwar "Schröder", wissen aber zum Beispiel nicht, wie CDU und CSU zu-sammenhängen.
ZEIT: Man kann auch aus dem Bauch heraus richtig reagieren.
Schmidt: Ja. Vielleicht ist es ja richtig zu sagen: Wir nehmen nicht am Irak-Krieg teil, und bei der Flut machte Schröder einen tollen Eindruck - den wollen wir weiter haben, und alles, was uns bis zum Sommer interessiert hat, interessiert uns nicht mehr.
ZEIT: Nachdem Gysi in der vergangenen Woche bei Ihnen war, sind in dieser letzten Wahlkampf-woche Fischer und Westerwelle in Ihre Show eingeladen. Wie beurteilen Sie diese beiden un-ter theatralischen Gesichtspunkten?
Schmidt: Westerwelle hat es schwer, weil er das verleugnen muss, worauf er im letzten halben Jahr total gesetzt hat: "Guidomobil", Spaß, Leis-tung kann Spaß machen, alles kann Spaß ma-chen, Möllemann haben wir auch wieder im Griff, und für den, der es gern ein bisschen seriöser hat, kommt Wolfgang Gerhardt. Das hatte alles funktioniert. Jetzt will man plötzlich von ihm wis-sen: "Welche Koalition wird kommen? Und was sagen Sie eigentlich zum Thema Irak?" Dagegen könnte Fischer fast in der Form seines Lebens sein. Er macht das ja auch mit seiner bekannten Miene: "I'm deeply concerned. Und dann habe ich mit Milosevic gesprochen. Eine halbe Stun-de." Dann eine Pause, ganz wichtig. "Das Ge-spräch fand auf Englisch statt." - Und schon sa-gen alle: wow!
ZEIT: Sie haben sich in einem Interview als Kon-servativer geoutet. Und am Beginn der Schrö-derschen Amtsperiode haben Sie gesagt, von dem werde nicht mehr viel kommen. Ist also Stoiber Ihr Mann?
Schmidt: Nein. Schröder auch nicht, um der Frage zuvorzukommen.
ZEIT: Werden Sie die Grünen wählen?
Schmidt: Das muss ich offen lassen. Ich habe zwei Dinge gelernt: Man kann keine Late-night-Show machen, ohne den Leuten auf die Füße zu steigen. Und man darf sich nie politisch festle-gen. Für mich ist etwas anderes entscheidend: Was gut ist für Deutschland muss nicht gut sein für meine Show. Da unterscheide ich mich von VW. Insofern sage ich, ich wähle rein unter Show-Gesichtspunkten. Das heißt, ich brauche High Life in Berlin, ich brauche eine Koalition, die von Anfang an unter schwierigsten Bedingungen wurschtelt, bis sie endgültig zum Scheitern verur-teilt ist. Und ich brauche Optionen, wenn diese Koalition gescheitert ist, die noch chaotischer sind als das, was gewinnt.
ZEIT: Eine anständige Apokalypse ist gut für die Quote?
Schmidt: Da wir uns als Kunst sehen, war das immer so. Zu Zeiten der größten Katastrophen entstanden die besten Werke.
ZEIT: Sie entlarven sich damit als ein sehr kon-servativer Satiriker, der sich höhnisch lachend über den Untergang der Welt lustig macht. Ist das Ihr innerster Kern, weil Sie im Hintergrund das Bild einer besseren Welt haben?
Schmidt: Ja, schon deshalb, weil ich katholisch bin und das hier sozusagen als Durchgangsstati-on empfinde.
ZEIT: Das Leben als Durchgangsstation, ist das nicht komisch?
Schmidt: Das ist doch sehr tröstlich.
ZEIT: Sie wissen nicht, wie der Bahnhof aussieht, an dem Sie aussteigen.
Schmidt: Das ist ja zumindest spannend. Aber soll es denn das hier gewesen sein?
Lesen Sie einmal die Äußerungen von 90-jährigen Nobelpreisträgern. Da kommt immer ei-ne ganz, ganz schlichte Einstellung dem Leben gegenüber zum Tragen: "Weiß ich nicht. Habe ich nie gelesen. Wollte ich nie kennen lernen. Hat mich nie interessiert."
ZEIT: Sie haben mit Ihrer Sendung Kultstatus er-reicht. Was heißt das?
Schmidt: Wenig Zuschauer.
Kult ist sehr gefährlich. Zum einen wird heute sehr, sehr viel sehr schnell zum Kult erklärt. Wenn etwas nicht richtig läuft, aber irgendwo ein paar Leute interessiert, sagt man: "Das ist Kult." Mir ist es deswegen gar nicht so recht, wenn das auf uns angewandt wird. Kult als Begriff wird mitt-lerweile inflationär gebraucht.
ZEIT: Sie haben jeden Abend wie viele Zuschau-er?
Schmidt: Ungefähr eine Million.
ZEIT: So viel wie wir ZEIT-Leser.
Schmidt: Ich weiß.
ZEIT: Sind wir auch Kult?
Schmidt: Das glaube ich schon. Nachdem sie die ZEIT als Schüler in der Oberstufe gerne un-term Arm getragen haben, haben viele sie aus einer gewissen sentimentalen Treue heraus noch immer abonniert.
ZEIT: Sie sind jetzt mehrfacher Millionär und ha-ben auch unendlich viele Preise bekommen, die bei Ihnen zu Hause wahrscheinlich in einer Vitri-ne stehen.
Schmidt: Nein, auf einem offenen Regal - ich möchte sie ab und zu anfassen.
ZEIT: Ihre Karriere begann, wie man lesen kann, in Nürtingen als Schulclown. Haben Sie sich über Lehrer lustig gemacht?
Schmidt: Über alles, über Lehrer, über Schüler. Man steht auf dem Pausenhof und guckt, wer kommt, wer hat einen neuen Parka, wer war beim Frisör, welcher Lehrer hat ein neues Auto. Und dann wird alles kommentiert.
ZEIT: Haben Sie ein Schultrauma? Sie führen in Ihrer Sendung seit einiger Zeit ein "Klassen-buch". Wollen Sie sich damit an den Lehrern rä-chen?
Schmidt: Nein. Wir haben einfach festgestellt, dass ein Großteil unserer Zuschauer Schülerin-nen und Schüler sind. Für die ist das ein Identifi-kationsfaktor; da wird etwas, was sie aus der Schule kennen, in einem quasi seriösen Umfeld praktiziert.
ZEIT: Damit ziehen Sie die junge Generation an? Wir suchen bei der ZEIT ja auch nach irgendwel-chen Tricks, um die jungen Leute für uns zu inte-ressieren.
Schmidt: Ist die ZEIT nicht ein einziges Klas-senbuch?
ZEIT: Jedenfalls haben Sie Ihre Zeit in Nürtingen offenkundig fruchtbringend als früher Komödiant verbracht. Zieht es Sie manchmal innerlich zu-rück, raus aus diesem Rampenlicht eines Man-nes, der sich in der Öffentlichkeit nicht mehr be-wegen kann, ohne sofort um ein Autogramm ge-beten zu werden? Können Sie nach Nürtingen gehen und niemand sagt: "Darf ich bitte mal Ihre Hand schütteln"?
Schmidt: Das gehört mit dazu. Manchmal habe ich schon diese Vorstellung, wie das wäre, wenn ich wieder sozusagen ein ganz normales Leben führen könnte. Aber das sind so kleine sentimen-tale Anflüge. Ich habe ja auch alles daran ge-setzt, dass es so wird wie heute.
ZEIT: Diese Prominenz, dieser Ruhm, dieser Kultstatus, das können Sie nicht geplant haben.
Schmidt: Ich wollte schon dahin. Ich kann mich noch erinnern, als ich mit 15 oder 17 zum ersten Mal in London war und am Piccadilly Circus ein großes Filmplakat sah: "Clint Eastwood: High Plains Drifter". Da dachte ich, eines Tages sollte da mal mein Plakat hängen.
Ich leide also nicht unter dem, was heute ist, sondern ich habe wirklich alles daran gesetzt, dahin zu kommen. Wie es im Endeffekt wird, konnte ich mir natürlich nicht ausmalen. Aber für mich ist das in Ordnung.
ZEIT: Sie machen offenkundig wahnsinnig viel Werbung. Geniert Sie das manchmal oder sagen Sie: "Solange die Kohle kommt, nehme ich sie mit"?
Schmidt: Das geniert mich überhaupt nicht. Zum einen ist eine Werbung immer abgelaufen, wenn die Nächste kommt, es sind nie zwei Sachen gleichzeitig.
ZEIT: Wie bei Beckenbauer.
Schmidt: Der sehr viel parallel macht, ja.
Zum Zweiten habe ich immer darauf geachtet, dass es Firmen mit einem sehr großen Stellen-wert sind und keine kleinen Popelfirmen.
ZEIT: Noch einmal zurück zu Ihrer Show. Sie ha-ben gesagt, bei "Christiansen" sei das Produkt - was wir heute auf neudeutsch Unique Selling Proposition nennen - "die ungestörte Selbstdar-stellung der demokratischen Spitzenkräfte", bei Maischberger "die Sonnenseite des investigati-ven Journalismus". Was ist Ihre USP?
Schmidt: Die uneingeschränkte Zusammenfas-sung des Tagesgeschehens.
ZEIT: Das macht die BILD-Zeitung auch.
Schmidt: Aber wir sind schon am Abend vorher draußen. Ich habe oft großen Spaß, wenn ich am nächsten Morgen die Tageszeitung lese und se-he, dass da die Sachen sind, die wir am Abend vorher schon gemacht haben. Wir liegen thema-tisch sehr oft kongruent mit den Tageszeitungen.
ZEIT: Und Ihre Show kriegt man umsonst, die Tageszeitung muss man bezahlen - da kann man den Tod der Tageszeitungen voraussehen.
Schmidt: Das glaube ich nicht - eher den Tod der Wochenzeitungen.
ZEIT: Ein weniger erfolgreicher Moderator als Sie sagt, Schmidt sei ein "amoralischer Unterhalter, der den Standpunkt der Standpunktlosigkeit hu-morfähig macht", das heißt "den Mehrwert der Moral, der guten Absicht, auch der politischen Korrektheit diskreditiert." Wissen Sie, wer das gesagt hat?
Schmidt: Roger Willemsen.
ZEIT: Sie lesen sehr sorgfältig alles über sich nach?
Schmidt: Ja, alles, das kann noch so klein sein.
Das kann man so formulieren. Aber so den-ken wir natürlich nicht. Für uns ist die Vorstel-lung: Die Leute haben vielleicht die "Tagesthe-men" gesehen, der Tag ist zu Ende, die meisten haben wieder enormen Druck im Beruf und im Privatleben gekriegt und kein Ventil, irgendwo was rauslassen zu können. Und stellvertretend dafür kommen wir und ziehen eigentlich über al-les her - als Ventilmöglichkeit, um vor dem Schla-fengehen zu sagen: "So schlimm kann es eigent-lich doch nicht gewesen sein."
ZEIT: Sie stützen mit Ihrer Show den Status quo?
Schmidt: Nein, wir begleiten auch Veränderun-gen. Wenn Revolution gewünscht ist, sind wir auch mit dabei. Wir geben nichts vor, wir beleh-ren nicht, sondern sagen nur: Das war's heute. Kein Krieg im Irak, sehr gut. Krieg im Irak, auch gut. Kanzler Schröder, Kanzler Stoiber - bitte, Ih-re Wahl.
ZEIT: Das nennt Willemsen amoralisch.
Schmidt: Das ist auch so. Ich wüsste aber auch, ehrlich gesagt, gar nicht, welche Stellung ich im Fall Irak beziehen soll. In dem, was ich in den letzten vierzehn Tagen dazu an Leitartikeln gele-sen habe, findet man für alles gute Begründun-gen, für einen Krieg und gegen einen Krieg. Nun kann ich sagen, wahrscheinlich ist Saddam ein Böser. Es gibt aber bestimmt zehn andere Dikta-toren, die genauso böse sind, aber nicht ange-griffen werden. Warum?
ZEIT: Weil sie keine Atomwaffen haben.
Schmidt: Oder weil sie kein Öl haben. Und damit ist man sehr schnell bei den üblichen Versatzstü-cken. An der Stelle bin ich froh, kein Politiker zu sein, denn einfach ist das mit Sicherheit nicht.
ZEIT: Sie sind zwar amoralisch, aber nicht unmo-ralisch.
Schmidt: Das ist ein großer Unterschied.
ZEIT: Worin liegt der?
Schmidt: Wenn Sie unmoralisch sind, sagen Sie: "Ich kann einen erschießen, wenn er mir den Parkplatz wegnimmt!" Wenn Sie amoralisch sind, sagen Sie: "Wir haben uns darauf geeinigt, dass der, der den Parkplatz wegnimmt, nicht erschos-sen wird. Ich kann aber auf Grund der schweren Jugend, der abgebrochenen Lehre, des schla-genden Vaters und der trinkenden Mutter unter Umständen in unserem Rechtssystem eine Er-klärung finden, die es dem doch Schießenden hilft, wieder in unsere Gesellschaft eingegliedert zu werden."
ZEIT: Was Sie gerade gesagt haben, ist nicht amoralisch, sondern einfach politisch korrekt, wenn auch in absurder Weise. Es fehlt nur noch der Zwang, die Einschusslöcher so zu verde-cken, dass der Wagen wieder in Ordnung ist. Der Fahrer kann ruhig vergessen werden.
Schmidt: Das wäre dann zynisch.
Ich stelle übrigens fest, dass viele Aussagen, gerade zum Thema Irak, so eingeleitet werden: "Das mag jetzt zynisch klingen, aber ich muss mal sagen". Was lernen wir daraus?
ZEIT: Dass das Amoralische sich ins Zynische überhöht.
Schmidt: Dass ohne Zynismus das Ganze nicht am Laufen zu halten ist.
ZEIT: Sie wollen Bundesbeauftrager für Kultur und Medien werden.
Schmidt: Das war so: Gysi hat gesagt, wenn er für die PDS die absolute Mehrheit gewinnt, kann er auch Bundeskanzler werden, obwohl er kein Mandat hat, und dann bietet er mir diesen Job an.
ZEIT: Darauf haben Sie Ja gesagt.
Schmidt: Ich war sehr leichtsinnig.
ZEIT: Und Sie haben gesagt, Sie würden nicht alles anders, aber vieles besser machen. Was würden Sie besser machen?
Schmidt: Als Kulturminister? Das ist ganz schwierig. Kultur ist Ländersache. Was soll ein Kulturminister machen? Aber es ist eine Binsen-weisheit: Nirgends geht es dem Theatern und den Konzerten so gut wie in CDU-regierten Län-dern. Man muss nur nach München oder Stutt-gart gucken, das sagen alle. In unseren sozial-demokratischen Heimaten wird zwar noch ein bisschen Wahrsagerpantomime auf dem Stadt-teilfest gefördert, bei den großen Häusern aber wird der Hahn dicht gemacht.
ZEIT: Warum sind Sie zu Ihren Gästen ganz ü-bertrieben freundlich?
Schmidt: Ich bin nicht übertrieben freundlich. Wenn ein Gast kommt, finde ich schon mal gut, dass er sich auf den Weg macht - es kommen ja auch Gäste, die es nicht mehr nötig hätten, zu uns zu kommen.
ZEIT: Sie sind sehr sanft geworden?
Schmidt: Ich glaube einfach, der Fernsehzu-schauer möchte nach 23 Uhr nicht mehr ange-schrien werden. Wenn wir um 18 Uhr aufzeich-nen, ist alles fröhlich: "Hallo! Lustig!" Um 23.15 Uhr aber, wenn unsere Sendung läuft, hat der Zuschauer wahrscheinlich schon die Zähne ge-putzt, den Schlafanzug angezogen und in den "Tagesthemen" die schwere Keule gekriegt. Dann müssen Sie den Ton eher schon ein biss-chen aufs Schlafengehen ausrichten.
ZEIT: Wie geht die Wahl aus?
Schmidt: Ich glaube, dass Rot-Grün gewinnt. Aber es kann in dieser letzten Woche auch noch Unglaubliches passieren. Es könnte zum Beispiel sein, dass unter lieber transatlantischer Freund überraschend etwas unternimmt.
ZEIT: Dann gewinnt Rot-Grün!
Schmidt: Es könnte auch sein, was wir nicht hof-fen wollen, dass es zu einem Terroranschlag kommt.
ZEIT: Wer gewinnt dann?
Schmidt: Dann gewinnt Schröder, denn die Leu-te wollen dann nicht in der Mitte der Furt die Pferde wechseln.
ZEIT: Was kann Stoiber noch retten?
Schmidt: Vielleicht eine Verhaftung im Umfeld der "kleinen Morgenrunde". Wenn Struck zum Beispiel eine Spielhölle betreibt.
Aber im Ernst: Der Souverän, das Volk wird entscheiden. Und dem beuge ich mich natürlich - wer bin ich denn, dass ich dieses großartige Volk maßregele dafür, was es in freier, geheimer und intelligenter Wahl entscheidet?
Textdokumentation: Josef Hrycyk
AM 15. SEPTEMBER 2002 IN DEN HAMBURGER KAMMERSPIELEN
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