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Karl Lagerfeld: Karl der Dünne – Dicksein hat er satt



Ein Formel-1-Grand-Prix ist ein Schneckenrennen dagegen. Wenn Karl Lagerfeld spricht, durchbricht er unablässig die Schallmauer. Amüsant, geistreich, selbstironisch, aber eben so rasend schnell, dass einem nach vier Stunden Interview-Lunch in seinem Pariser Stadtpalais die Trommelfelle vibrieren. Daran gewöhnt man sich sehr schnell – es macht ganz einfach Spaß, mit ihm zu plaudern. Karl Lagerfeld hat mit seinem Arzt ein Buch geschrieben. Titel: „Die 3D-Diät“ (Steidl Verlag). Einer seiner drei Diener serviert uns, was einer seiner drei Diätköche gezaubert hat. Gegrillte Hummerschwänze an gedünstetem Spinat und püriertem Brokkoli. Karl langt tüchtig zu und klärt mich auf: „Kein Gramm Fett. Nur morgens genehmige ich mir 25 Gramm Butter, damit die Haut nicht austrocknet. Und seit dem 1. November 2000 habe ich kein Milligramm Zucker gegessen.“ Dann nippt er an einer Tasse mit rabenschwarzem Espresso und vermengt den im Mund mit einem Schluck Diät-Pepsi: „Das ist mein bitterer Schokoladenersatz.“
Lagerfeld hat in 13 Monaten 42 Kilo abgenommen. Wie genau – darüber wird BUNTE in der nächsten Ausgabe exklusiv berichten. Nicht, dass es ihm früher, mit 102 Kilo auf Bauch, Hüften und Backen großzügig verteilt, schlecht ging. Doch irgendwann hatte er den Speck satt, mit dem er sich täglich im Spiegel auseinander setzen musste. Und er nahm so lange unter strenger Aufsicht seines Leibarztes Jean-Claude Houdret ab, bis er sich schließlich rundum perfekt fand. Eine Art Gesamtkunstwerk: „Ich fühle mich wie eine Antiquität, die in der Luft schwebt, eine alte Marionette, die man frisch aufgeputzt hat.“
Die antike Marionette Lagerfeld lacht, als er das sagt, aber noch putziger findet er Folgendes: „Zu Beginn der Diät musste ich schreckliche Frustrationen bekämpfen, sobald mir Schokolade, Sahnekuchen oder Kaiserschmarren in die gierigen Augen stachen.“

Sie haben dann genascht?

Pfui! Ich habe die leckeren Sachen nur ganz kurz in den Mund geschoben und sie dann – bäääh – wieder ausgespuckt. Das tötet jede Frustration.Der Diener legt nach. Lagerfeld betrachtet eingehend die Hummerschwänze und gibt eine Anekdote zum Besten aus jenen Tagen, als er 30 war und Kreativdirektor bei Chloé. Die Mutter besuchte ihn in seiner Pariser Wohnung. Als er abends vom Job heimkam, bemerkte sie spitz: „Schade, dass du dich nicht über den Hof gehen siehst, sonst hättest du gesehen, was für einen dicken Po du gekriegt hast.“

Waren Sie wirklich so fett, Karl?

Da ich begeisterter Bodybuilder war, hatte ich vielleicht gerade mal zwei Kilo Muskelmasse zugelegt und wog etwa 80 Kilo statt 78.
Aber die Mutter wollte ihren Karl ganz schmal?
Solange sie lebte, durfte ich kein Gramm zunehmen. Schon als Kind hatte sie mir Brot verboten. Als ich mal kurz mit dem Gedanken spielte, Zeichenlehrer zu werden, belehrte sie mich, dass ich das sofort vergessen könne. Dafür sei sie nicht neun Monate schwanger gewesen. Und als ein Lehrer mich Anfang der 50er-Jahre anwies, meinen Pagenkopf schneiden zu lassen, herrschte sie den an, ob er ein Nazi wäre. Probleme hatte meine Mutter allerdings mit meiner Haarfarbe, die dunkelrot wie Coca-Cola war. Sie bestand auf Färben, weil ich aussähe wie eine alte Kommode. Das hat sie dann aber doch gelassen, in der Pubertät wurde mein Haar dunkler.

War Ihre Mutter ein General?

Sie war wunderbar frech und so direkt, dass es manchmal wehtat, aber sie war immer geistreich.

Vielleicht war Ihre Mutter so hart, weil Sie ein verzogener Bengel waren?

So hart war sie nun auch wieder nicht. Als Kind war ich selbstüberzeugt bis zum Umfallen. Ich hielt das für gesund. Doch meiner Mutter war das zu viel. Ständig kriegte ich Sachen wie „dummer Junge“ auf den Deckel.
Seit Karl der Dicke zu Karl dem Dünnen schrumpfte, schnellt Ihr Erfolg in ungeahnte Höhen. Caroline, Ihre PR-Dame, erzählte mir, Sie seien ein Popstar ...
Ja, unglaublich, oder? Gestern Abend bei der populären Fernsehshow, wo auch Lagerfeld Gallery gezeigt wurde. Plötzlich Standing- ovations! Oder ich laufe durch Paris. Auf einmal umlagern mich Autogrammjäger aus aller Welt. Es ist zum Heulen.

Zum Heulen schön?

Zum Heulen nett. Manchmal gehe ich durch die weniger glamourösen Pariser Vororte, wo die Leute aus Marokko, Algerien, Tunesien oder Schwarzafrika leben. Die lieben mich auch. Warum? Weil ich kein bürgerliches Idol bin. Ich gehöre weder zum Establishment noch zu einer politischen Sache. Ich gehöre zu nichts. Ich bin der Deutsche in Paris, der Ausländer, der ein großes Maul hat und im Fernsehen ganz bodenständige Sachen von sich gibt, die auch sie verstehen. Das scheint denen zu gefallen. Dazu gehört mein neuer Look, der einfach für die nicht zu fassen ist. Deswegen wollen mich viele oft berühren.
Und ihren Karl dann in die nächste Kaschemme zerren, auf ein Wasserpfeifchen und Couscous?
Also bitte, das wäre ja Anbiederei, wenn ich da mitginge.
Sie sind sehr reich, diese Leute sehr arm. Sie könnten in diesen Ecken überfallen werden.
Das würde dort nie passieren. Sie lieben ihren Karl. Sie sagen: „Ich möchte so werden wie du.“
Das wird nicht so einfach sein. Was antworten Sie?
Das kommt mit der Zeit. Dazu braucht man Geduld und Spucke.
Geduld und Spucke soll den armen Leuten helfen?
Geduld und Spucke hilft jedem. Ob es auf Dauer hilft, kann ich nicht sagen. Aber diese Leute lieben es, dass ich keinerlei Vorurteile habe. In Amerika wollen vor allem die Schwarzen mit mir fotografiert werden, manche küssen mir die Hand. Ich habe keine Berührungsängste, auch nicht vor Slums. Ich bin weder schüchtern noch aggressiv.
Haben Sie nie Ärger mit Menschen?
Mein größtes Problem sind Menschen, die ich ewig kenne. Mit der Jugend komme ich bestens klar, auch wenn ich sie warne, dass sie schneller aus diesen Jugendklubs fliegen, als ihnen lieb ist. Am schlimmsten sind die Mittelalterlichen, die klugscheißerisch den Älteren klar machen wollen, wie jung sie sind.

Haben Sie schon mal aus Liebe Kilos verloren?
Nie!

Ganz ehrlich?

Niemals. Denn wenn das nicht gleich klappt, dann kriegen Sie Depressionen und schmeißen sich auf Schokolade. Oberflächlichkeit kann endgültige Resultate bringen.
Kürzlich, bei der Münchner Präsentation Ihres Parfums, gab es ein wunderbares Beispiel für hautnah erlebte Oberflächlichkeit: Patrice Farameh, gerade frisch von Boris Becker getrennt, schmiegte und sonnte sich mindestens zehn Minuten in Ihrem Glanz. Im Schlepptau dutzende von Kameramännern und Fotografen.
Genau so war das. Sie hat das vielleicht genossen. Wir wissen ja, dass das Mädchen eine Eintagsfliege war. Solche Insekten haben nicht lange viel zu bieten, wie der Name schon sagt.

Kriegen Sie in Paris die Turbulenzen um Boris Becker mit?

Selbstverständlich. Er geht durch eine harte Lehre und war sich wohl zu selbstsicher, keine Fehler zu machen, keine falschen Freunde zu entlarven. Gefährlich für ihn war der frühe Ruhestand.

Darf er in Ihrem Palais unterschlüpfen, wenn er in Paris weilt?

Im Palais nicht, aber ich habe genug Gästewohnungen. Wir können uns auch gern über Steuerschulden unterhalten. Von mir wollte man 50 Millionen Euro, auf zehn Millionen haben wir uns dann geeinigt. Und jetzt zahle ich auch meine Steuer.

In der Modewelt tratscht man, dass Designergenie Hedi Slimane, der Sie auch einkleidet, der Grund sei für den neuen Karl.

Uns verbindet ein gewisser Sinn für männliche Eleganz. Vom Schnitt.

Das haben Sie großartig ausgedrückt.

Ich kenne ihn, weil er ein Schulfreund von einem meiner besten Freunde ist ...

Gern wüssten wir mehr ...
Unsere Vision von Ästhetik hat eine gewisse Affinität.
Das hört sich geheimnisvoll an. Sind Sie nun ein Paar?
Nein, das ist doch lächerlich. Allein die Idee! Der arme Junge ist gerontophil. So beschreibt man Leute, die alte Menschen mögen ...

Ihr Liebesleben ist so mysteriös, dass man meinen könnte, Sie seien Ihr eigener Boyfriend.

Was soll an meinem Liebesleben geheimnisvoll sein? Ich habe die Altersgrenze erreicht, ab der mein Liebesleben kein Unterhaltungsthema mehr sein sollte. Ich bin diesbezüglich der Welt so sehr abhanden gekommen, dass ich aus solchen Nebensächlichkeiten keine persönliche Affäre mehr mache. Das ist der Witz an der Geschichte.

Wenn Sie in Ihren Erinnerungen kramen: Wie war Ihre erste Liebe?

Mich daran zu erinnern, das klänge ein wenig nach Heimatroman. Mich heute in eine längst verblichene Zeit zu versetzen – das gehört einfach nicht zu meinem Repertoire.

Und keine Liebesbriefe, abgelegt in einer gefütterten
Tiffany-Schachtel?

Vor Liebesgedichten habe ich mich stets gehütet. Da muss man doch sehr aufpassen, dass so etwas nicht in indiskrete Hände gelangt.

Hatten Sie viele große Lieben?

Vielleicht eine. Aber wenn die auf dem Friedhof liegt, ist es aus.

Viele Menschen, die dieser Schlag trifft, suchen danach eine neue große Liebe.

Das sehe ich anders. Eine große Liebe lässt sich nicht wiederholen. Das muss man wissen. Darum spreche ich auch nicht mehr über meine große Liebe, dieses Kapitel ist abgeschlossen. Begraben sozusagen. Es ist von mir akzeptiert worden. Man kriegt etwas anderes dafür. Und in dieser Beziehung bin ich verwöhnt.

So rank, schlank und geschmeidig, dass Sie jederzeit für Ihre eigene Damenmode über den Laufsteg schweben könnten.

Schweben gefällt mir. Tatsächlich habe ich das Gefühl, die Erdanziehungskraft außer Stande gesetzt zu haben. Natürlich habe ich keine Transvestiten-Tendenz, könnte aber locker in meine eigenen Modelle schlüpfen. Schließlich trage ich Jackengröße 46, das haben normal die 15-Jährigen. Hosen in Größe 46 gehen an Jungs, die fester sind als ich, da brauche ich nämlich nur 44, die kleinste Größe, die es gibt.

Kriegen die Kinder von Prinzessin Caroline auch abgelegte Sachen von Ihnen?

Die Sachen sind ja nicht abgelegt, sondern neu. Da mir von einem 46er-Anzug nur die Jacke passt, wird die Hose genauso verschenkt wie die Jacke vom 44er-Anzug.

Ernst August von Hannover wird weder Jacke noch Hose passen. Schenken Sie ihm Ihre Wunderdiät?

Ernst August ist doch schlank.

Na ja ...

Also den kann man schon für schlank halten. So zwischen 25 und 30 war er mal ein bisschen runder. Nur müssen Männer über 40, die trinken, aufpassen, dass ihnen die Pfunde nicht in die Taille rutschen. Ernst August hat ja glücklicherweise die tollste Frau gefunden, die es gibt.

Hätte Prinzessin Caroline Ihnen auch gefährlich werden können?

Ich bin jenseits von Gut und Böse. Mir ist in meinem Leben nichts gefährlich geworden.

Die Großen der Welt lieben es, von Karl Lagerfeld zu Tisch gebeten zu werden. Wie sieht die perfekte Mischung bei Ihren legendären Diners aus? Was haben sich beispielsweise Mick Jagger und Caroline zu sagen?

Auf meinem Anwesen in Biarritz mixe ich Politiker, linke wie rechte, mit Kulturgrößen, Managern, Filmstars und Freunden aus dem Adel. Verbrannte Marbella-People mit Schlauchboot-Lippen haben wir nicht. Die Gespräche sind selbstverständlich kultiviert. Das rhetorische Niveau des Gastgebers sollte keinen der Geladenen überfordern. Aber auch Klatsch hat Platz an der Tafel. Denn manchmal ist der Geist etwas geschwächt durch die Last, die der Körper der Gäste durchstehen musste bei all den Aktivitäten in meinem riesigen Schwimmbad, im Meer oder auf dem Tennisplatz. Ich selbst treibe kaum Sport, das ist mir zu langweilig.

Ihr Freund Mick Jagger hat in etwa Ihre Figur, ganz ohne Diät.

Sein exzessives Leben hat ihm vermutlich jede Diät erspart. Mick hat Dinge gemacht, die ich nie gemacht habe, weder Drogen noch Alkohol, auch keine Zigaretten. Mick ist ein Überlebender, die Spuren seines wilden Lebens trägt er zu Recht stolz im Gesicht. Marianne Faithfull, mit der ich auch gut befreundet bin, hat das nicht so toll hingekriegt. Sie ist dennoch eine faszinierende Persönlichkeit. Und Elton John ist wirklich sehr lieb und reizend.

Er könnte Ihre Diät gebrauchen.

Elton braucht das nicht. Er ist auch glücklich, wenn er viel shoppen und bunten Schmuck tragen kann.

Sie sehen sich selbstironisch als spindeldürre Marionette, Giorgio Armani lässt sich als kraftstrotzender Muskelprotz ablichten, genau wie John Galliano. Sie alle sind grandiose PR-Raketen in eigener Sache.

Wenn Sie das so sehen. Was mir bei Armani Leid tut: Der hat wahrscheinlich ein Problem mit der Welt, weil er nicht groß ist. Klein zu sein ist nämlich fies für einen Mann. Ich bin 1,80, Mittelgröße. Und Galliano ist recht klein. Neulich haben wir ihn gesehen, da war er auch noch runder geworden, denn ab 40 werden Muskeln vom Fett bedroht.

Sie sahen mit 20 aus wie ein Gigolo.

Genau. Und ich kannte auch all die Gigolos. Viele Leute dachten, ich wäre auch einer.

Waren Sie denn keiner?

Genau. Ich brauchte diesen Job gar nicht zu machen. Ich kriegte ja Geld von zu Hause. Und seit ich 17 war, hab ich selbst verdient. Meinen ersten Bentley hatte ich mit 21, den hat mir mein Vater geschenkt.

Und dann lernten Sie Andy Warhol kennen, der 1969 einen Film mit Ihnen machte.

Warhol war nicht wirklich wild, aber seine Freunde. Warhols Genialität war, dass er gegen nichts und niemanden Vorurteile hatte.

Karl, wie war das, als Sie heute morgen auf der Waage standen?

Ich verachte Waagen, weil sich wiegen zu einer Besessenheit führen kann. Das letzte Mal gewogen habe ich mich Anfang August. Da habe ich in Biarritz acht Tage mit acht Umzugsleuten meine neue Bibliothek und das neue Fotostudio eingerichtet. Ich spürte, wie ich drastisch abnahm. Die Waage zeigte mir 58,5 Kilo, das war eindeutig drei Pfund zu wenig.

Sie ließen sich auf den Schock vermutlich eine Schokolade mit Schlagsahne und dazu eine Torte servieren.

Ach was, ich war ein paar Tage später wieder megafit, gestählt durch meine vibrierende Muskelmaschine. Ich bin steinhart. Ich bin wie der Tisch, an dem wir sitzen ...

Karl Lagerfeld bemerkt, dass ich leicht grinse. Er fordert mich auf, ihn zu testen. Ich fasse ihm an Oberarme und Schultern. Donnerwetter. Alles hart, nicht gerade wie ein Tisch, aber ganz schön hart. Er klärt mich auf: „Ich hatte diesen Speckmantel, den man sich vorstellen muss wie einen Anorak aus wärmendem Fett. Den habe ich wieder ausgezogen. Jetzt fühle ich mich wie Ötzi, der Mann aus dem Eis.“ Karl Lagerfeld schiebt ein Foto über den Tisch. Rechts er, links Claude Pompidou, die Witwe von Georges Pompidou, Frankreichs verstorbenem Staatspräsidenten. Sie hat an den Rand geschrieben: Lieber Karl, die Schicksten sind wir.“
Lagerfeld ist ein Megastar, Liebling der französischen Massen, aber auch von Bernadette Chirac, der Frau vom amtierenden Staatspräsidenten Jacques Chirac. Alle hätten ihn am liebsten für sich vereinnahmt: Charles le Grand. Aber der will nicht. Er erzählt folgende Anekdote und lacht sich dabei halb tot:„Manchmal ist das zum Heulen. Kürzlich stoppte ein Zöllner meinen Chauffeur. Ich schlief im Bett meines Reisewagens. Der Fahrer musste mich wecken. Der Zöllner erkannte mich und fragte nach meinen Papieren. Ich hielt ihm meinen deutschen Pass hin. Verwundert rieb sich der Mann die Augen: ,Wieso ein deutscher Pass, Monsieur? Sie gehören doch uns.‘ Ich antwortete, dass er sehr reizend sei, aber dass ich weder den Franzosen gehöre noch den Deutschen, sondern allein mir.“
Der Mann, der nur sich selbst gehört, muss wieder zurück in sein Studio. Was er als Dünner einem Dicken mit auf den Weg geben möchte, frage ich ihn. Karl mustert meine 90 Kilo. Seine Antwort ist dünn: „Abnehmen!“


"Die Bunte", Nr. 40/2002