Harald Schmidt bei Beckmann
"Der Tod sitzt im Darm!"
Von Reinhard Mohr
Selten gibt es im deutschen Fernsehen die Möglichkeit, einen populären Moderator live dabei zu beobachten, wie er an die Grenzen seiner Fähigkeiten stößt. Am Montagabend um 23.30 Uhr war es so weit: Reinhold Beckmann im Gespräch mit Harald Schmidt - ein echtes Waterloo der Fernsehunterhaltung, pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum der Flimmerkiste.
Wer zu dieser späten Stunde gar vom Bett aus das 60-Minuten-Gespräch mit der Lichtgestalt der deutschen Spaßkultur verfolgte, der hatte schon nach einer Viertelstunde schwer mit zufallenden Augenlidern zu kämpfen. Der routinierte Kuscheltalker mit dem tiefenpsychologischen Warmduscherblick war zu keiner Zeit auf der intellektuellen Höhe seines Gegenübers, obwohl dies zumindest gestern Abend keine übermenschliche
Herausforderung gewesen wäre.
Irgendwie lag da ein Missverständnis vor: Harald Schmidt, der längst zu einer Ikone der populären Gesellschaftssatire geworden ist, fast schon ein Guru der ironischen Selbstaufklärung der Deutschen, ist eben nicht Dieter Bohlen, Boris Becker oder Konstantin Wecker, denen man ständig irgendwelche Privatissimi, dümmliche Frivolitäten und pseudophilosophische Lebensweisheiten aus der Nase ziehen kann. Harald Schmidt hält seine Privatsphäre bedeckt. Am ehesten noch mag er sich als mediales Gesamtkunstwerk sehen, das immer wieder neue Aspekte freigibt, sich immer wieder neu erfindet.
Deshalb war die einzige Sensation bei "Beckmann", dass Harald Schmidt die "Mayr-Kur" entdeckt hat, nur noch trockene Brötchen in sich hinein mümmelt und dazu Melissentee aufgießt. Auch der Alkoholgenuss Marke Bordeaux im Hause Schmidt ist dezimiert, und so wiegt der Nighttalker eigenen, inoffiziellen Angaben zufolge bei 1,94 Meter Körpergröße nur noch 76 Kilo. Dafür geht er auch schon um 21.30 Uhr ins Bett und liest noch ein paar trockene Zeilen in der lehrreichen Schlaffibel.
Wird er also, das war die einzige Frage der ermatteten Zuschauer vor der Glotze, demnächst auch ohnmächtig von der Bühne kippen wie jüngst die untergewichtige Esther Schweins, die sich jetzt auf den Malediven erholt? Wird Harald, der Körnerfresserhasser, jetzt zum Guru einer neuen Gesundheitsbewegung unter dem Kampfmotto: "Der Tod sitzt im Darm"? Dass er diesen Satz wirklich gesagt hat, und zwar ganz unironisch, mag man am nächsten Morgen gar nicht mehr glauben. Dreht der bekennende Hypochonder Schmidt, immer schon ein Liebhaber der regelmäßigen Darmspiegelung, jetzt völlig durch? Ist er krank? Quält ihn Manuel Andrack zu sehr? Hat er die Schnauze voll? Oder repräsentiert er nur wieder mal den allerneuesten Zeitgeist à la Müntefering: Weniger polnische Gans, mehr trockene Brötchen?
Fragen über Fragen, doch Beckmann stellte nur solche: "Was ist das Phänomen Rudi Völler?" oder "Wie gut klatschst und tratschst Du selber?" oder "Hast Du beim Tod von Queen Mum getrauert?" oder auch: "Hat Dieter Bohlen den Buchhandel gerettet?" Höhepunkt des unfassbar dämlichen Fragemarathons, der zu einer "persönlichen Jahreschronik" gehören sollte: "Vermisst Du Claudia Roth?"
Man wollte es einfach nicht glauben. Doch der Medienprofi Schmidt spielte selbst auf die peinlichste Beckmann-Vorlage noch einen passablen Doppelpass mit sich selber. Wie sprühend vor Witz, Kommentarlust und Geistesgegenwart Harald Schmidt auch jenseits seiner Show sein kann, haben die Fernsehzuschauer in den letzten Jahren oft genug sehen können. Doch dazu bedarf es des intellektuellen Interesses und einer Lust an der Auseinandersetzung. Und es braucht Geist und Humor, was Reinhold Beckmann nicht zeigte. Kichern vor der Kamera ist zu wenig.
Wenn es eine Strafe für das komplette Versagen von TV-Moderatoren gäbe, wir würden sie verhängen: Vier Wochen Mayr-Diät für Beckmann! Anschließend wieder Dieter Bohlen, Boris Becker und Blümchen. Was Harald Schmidt betrifft, besteht Hoffnung. Vielleicht war das alles ja nur eine fiese, abgefeimte Inszenierung, um jeder Art von Vermögenssteuer zu entgehen. Von wegen trockene Brötchen!
"Beckmann"
(Montag, ARD, 23.25 Uhr)
Eigentlich sollte man Harald Schmidt nicht in eine Talkshow einladen. Jedenfalls nicht, wenn man Reinhold Beckmann heißt. Beckmann zu Gast bei Schmidt, das geht, anders herum wird es ein Reinfall. Denn natürlich glaubt Beckmann, wie so viele andere, es sei egal, wozu man Schmidt befragt, es würde schon ein interessanter Abend. Schmidt gilt ja als universell kompetent.
Doch Schmidt passt nicht zum "Beckmann"-Format. Weil er nichts über sich preisgibt, was man nicht schon wüsste, wenn man nur regelmäßig seine Sendung schaut, und Beckmann sich dementsprechend darauf beschränkte, genau das abzufragen, kam am Ende eine Art Kurzzusammenfassung von Schmidts Sendungen der vergangenen 14 Monate heraus: Die "Harald Schmidt Show" für "Beckmann"-Zuschauer im Schnelldurchlauf. Von Schmidts Hypochondrie ("Der Darm könnte Organ des Jahres werden") zur FDP bis zur Flutkatastrophe wurde so ziemlich alles abgefragt, was in Schmidts Sendungen eine Rolle spielte.
Nach Frauen, Männern und Berufen des Jahres fragte Beckmann, machte eigene Vorschläge und wurde ein ums andere mal von Schmidt enttäuscht. Doris Schröder-Köpf? "Sie ist die Ehefrau des amtierenden Bundeskanzlers. Damit ist ihre Rolle vollständig beschrieben." Aber den Insolvenzverwalter als Beruf des Jahres, den "nimmst du an?" - "Na, ich weiß nicht. Eher so was wie Controller oder Unternehmensberater." Deutlich wurde dabei eigentlich nur, dass dem Graubrot der Spätabendunterhaltung stets das Naheliegende einfällt, während Schmidt gerne eine Wendung mehr hinzufügt.
Dass man trotzdem etwas mehr darüber erfahren konnte, wie Harald Schmidt funktioniert, ist eher Dieter Bohlen zu verdanken. Er verstehe nicht, warum Bohlen die Biografie geschrieben habe. "Jetzt ist alles gesagt, was soll da noch kommen. Ich hätte das jahrelang weiter nebulös gehalten", sagte Schmidt.
Sich selbst wird Schmidt zum Glück auch weiter nebulös halten. Denn wer will, der kann selbst seine Abschiedsworte noch als ironischen Kommentar zum Abend verstehen: "Vielen Dank für die Einladung. Frohe Weihnachten." "HEIKO DILK
taz Nr. 6933 vom 18.12.2002