Ein Wiedersehen
(c) by Michail & Shavana
Die
Nacht war bereits ziemlich fortgeschritten, als Jean LeCartres den Wagen in die
schmale Straße lenkte, die zur Drachenburg hinaufführte. Eigentlich war er ja
auf dem Weg ins Ruhrgebiet gewesen, um ein paar Freunde zu besuchen, aber dann
hatte er den Wegweiser zum Drachenfels gesehen und sich kurzerhand entschlossen
einen Abstecher zu machen, um sich das Schloß anzusehen. Oder war es der
Gedanke an den Kuß, den Michail Vladescu ihm bei ihrem Abschied in Paris
gegeben hatte, der ihn seinen Weg ändern ließ?
Der
Franzose parkte den Porsche etwas vom Schloß entfernt, um das letzte Stück zu
Fuß zu gehen. Irgendwie war heute eine merkwürdige Nacht, es hatte eigentlich
schon in Frankfurt angefangen, wo er die neue Kollektion von Marie Dupont, einer
Modedesignerin und zudem eine gute Freundin, vorgeführt hatte. Die Show war ein
voller Erfolg gewesen, die Anwesenden hatten ihm zu Füßen gelegen und er hatte
sich wieder mal vor eindeutigen Angeboten kaum retten können. Aber ihm hatte
nicht der Sinn nach feiern gestanden, er hatte schnell das Weite gesucht,
unmittelbar nachdem die Modenschau beendet war. Der Lärm und die vielen Leute
waren ihm auf die Nerven gegangen.
Jean
lächelte, als er daran dachte, wie er Chris die Autoschlüssel für den neuen
Porsche aus der Tasche gezogen hatte, als dieser ihn kurz umarmte. Chris würde
fluchen, wenn er den Verlust seines neuen Wagens bemerkte, aber er schuldete ihm
eh noch einen kleinen Gefallen
. Zudem würde Chris den Wagen ja zurückbekommen,
wenn er ihn nicht mehr brauchte.
LeCartres
sah zum Himmel hinauf und betrachtete die Sterne. War es eine gute Idee gewesen,
hierher zu kommen? Was würde Michail wohl sagen, wenn er so plötzlich
auftauchte? Würde der Karpate sich überhaupt noch an ihn erinnern?
So,
wie er jetzt aussah, würden ihn nicht mal seine besten Freunde erkennen. Sein
langes schwarzes Haar war zu einer komplizierten Frisur gestylt worden, das
starke Make-up veränderte sein Aussehen total, und zudem trug er immer noch den
sandfarbenen Designeranzug von seinem letzten Auftritt auf dem Laufsteg. Nicht,
daß er so nicht auch atemberaubend aussah, aber es war einfach nicht sein Stil.
Schließlich
erreichte Jean den Zaun, der das Schloß umgab. Er atmete tief durch, und fragte
sich, ob Michail überhaupt zu Hause war. Schließlich wußte niemand von seinem
Kommen.
Jean
betrachtete das Gebäude mit den vielen Türmchen neugierig. Es würde
interessant sein, das Innere zu sehen. Ob es dort auch so kitschig war? Dieser
Stil paßte so überhaupt nicht zu Michael Vladescu, oder täuschte er sich so
sehr in dessen Geschmack?
Kurz
entschlossen sprang Jean über den Zaun, um sich das Ganze aus der Nähe
anzusehen. Er schlenderte über die Wiese und bewunderte den gepflegten Garten.
Plötzlich
horchte Jean auf, hinter ihm war etwas oder jemand. Ruhig ging er weiter, wobei
er aber aufmerksam lauschte. Nein, korrigierte er sich, das war nicht nur ein
Wesen. Ein langgezogenes Heulen durchschnitt die Nacht. 'Wölfe, wer hielt sich
Wölfe im Garten?' dachte Jean und sah sich suchend um.
In
diesem Augenblick brach das Rudel aus dem Wald. Instinktiv flüchtete sich Jean
auf den nächsten Baum und fauchte die Tiere wütend von einem der höheren Äste
an. Er haßte alles Hundeartige ebenso wie diese ihn. Allein der Anblick reichte
bei ihm schon aus, daß sich seine Nackenhaare sträubten.
Doch
schließlich beruhigte sich Jean wieder, und starrte mißmutig auf die Tiere
hinab, die um seine Zuflucht schlichen, wohl in der Hoffnung er würde den Halt
verlieren und ihr Nachtmahl werden.
Aber
was nun? Er hatte nicht die geringste Lust, den Sonnenaufgang hier zu erleben.
Jean schmollte und betrachtete das Rudel unter dem Baum. "Ihr habt nicht
Lust, woanders abzuhängen?" fragte er. "Nein, natürlich nicht. Ihr
habt ja eine Pflicht zu erfüllen." Er versuchte es sich auf dem Ast
halbwegs bequem zu machen und grübelte über eine Lösung für dieses Dilemma.
Ob er um Hilfe rufen sollte?
Plötzlich
gellte ein scharfer Pfiff durch die Nacht. Die Wölfe zogen sich fast
augenblicklich in den Wald zurück und machten einem Mann Platz, der über den
Rasen geschlendert kam. Am Fuß des Baumes blieb er stehen und sah neugierig
hoch. Er mußte den Franzosen erkannt haben, denn er rümpfte die Nase, ähnlich
wie es Jean bei ihrer ersten Begegnung getan hatte.
Jean
ignorierte die Beleidigung, denn zum einen hatte er den anderen als Michails
Verwalter Jaq erkannt, und zum anderen würde er der ihn bestimmt den Wölfen
zum Fraß vorwerfen, wenn er jetzt eine dumme Bemerkung machte.
Ein
breites Grinsen erschien auf Jaqs Gesicht, und er bemerkte spöttisch:
"Kommen Sie nun herunter oder muß ich erst eine Dose Flipper
aufmachen?"
"Kommt
ganz darauf an, ob mich jemand beißen will", erwiderte Jean vorsichtig, er
traute keinem Hund, egal welcher Art. Und Werwölfe waren halt nur eine
besonders merkwürdige Sorte Hund.
"Dafür
bin ich nicht zuständig. Aber Sie können hier auch gerne auf den Sonnenaufgang
warten." Jaqs Grinsen wurde noch eine Spur breiter.
Jean
betrachtete Jaq zweifelnd, und beschloß, sich doch lieber diesem, als der
aufgehenden Sonne zu stellen. Mit einem geschmeidigen Satz sprang er zu Boden.
"Ist Michail zu Hause?" Im Augenblick hoffte er sehr darauf, daß dies
nicht der Fall sei, damit er dieser peinlichen Situation schnellstens den Rücken
kehren konnte.
"Er
ist im Schwimmbad", bejahte Jaq. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen den
Weg." Er ging voraus und Jean folgte ihn kommentarlos, wobei er weder den
Wald, in dem die Wölfe wieder verschwunden waren, noch Jaq aus den Augen ließ.
Ihr
Weg führte vom gepflasterten Hof durch die große Garage, in der Michails BMW,
ein Porsche und mehrere Motorräder parkten, über eine Treppe direkt in das
Schloß. Am ersten Absatz öffnete Jaq eine Tür und winkte Jean hindurch.
"Gegen Sie einfach geradeaus weiter, und dann links."
Jean
nickte ihm zu und ging den Gang hinunter. Er konnte das gechlorte Wasser und die
feuchte Wärme eines überdachten Schwimmbeckens riechen, doch als er die
unterirdische Halle betrat, blieb er überrascht stehen. Er hatte mit einem
modernen Ausbau gerechnet, doch dieser Saal schien direkt aus dem Felsen
geschlagen worden zu sein und war wie eine Meeresgrotte dekoriert. Das Wasser
des recht großen Beckens in der Mitte des Raumes warf wellenförmige
Lichtreflexe an Decke und Wände, versteckte Scheinwerfer tauchten alles in ein
grünblaues Leuchten, und an den nackten, nur grob behauenen Wänden waren
glitzernde Steine, Muscheln, Korallen, getrocknete Seesterne und Meeresgetier
aus Porzellan befestigt.
Der
Franzose war so fasziniert von dem Anblick, daß er nicht bemerkte, wie links
von ihm ein Vorhang zur Seite geschoben wurde und jemand aus der modernen
Duschkabine auf ihn zutrat. Erst der mißratene Versuch einer
Mund-zu-Mund-Beatmung oder war es ein Kuß? riß Jean aus seiner Verzückung,
und mit beiden Händen stieß er den Eindringling von sich.
"Schön
dich wiederzusehen, Jean", lächelte Michail, unbeeindruckt von LeCartres'
Abwehrreaktion. "Willkommen auf Schloß Drachenburg."
"Danke.
Schicke Ausstattung", kommentierte Jean und ließ seinen Blick über
Michails herrlichen Körper gleiten, der in einem kurzen, schwarzen Seidenmantel
steckte. Seine Erinnerung hatte ihn keineswegs getrogen, der Karpate war genauso
atemberaubend wie in seinen Träumen.
"Schön,
daß es Dir gefällt." Michail nahm das Handtuch, das um seinen Hals hing,
und rubbelte über sein nasses Haar. "Willst du den Rest auch noch
sehen?"
"Ja
",
antwortete Jean gedehnt, unsicher, ob sich ihr Gespräch nun auf das Schloß
oder den Schloßherrn bezog.
"Dann
komm." Michail leitete seinen Gast über einen Aufgang hinauf ins Schloß,
über mehrere Treppen und durch einige Gänge, bis sie in seinen Zimmern
ankamen. Vom Flur aus gelangten sie in einen kleinen Vorraum, in dem zwei Sessel
und ein Sofa um einen kleinen Couchtisch standen, und von dem zwei weitere Türen
abgingen.
"Mein
Ankleidezimmer", erklärte der Karpate auf die eine Tür zeigend. "Und
mein Schlafzimmer."
Er
öffnete die andere. Dahinter lag ein rechteckiger Raum, dessen Wände mit
dunklem Holz vertäfelt waren und das von einem großen Doppelbett dominiert
wurde. Außerdem gab es noch zwei Nachtschränkchen, einen Stuhl und eine Truhe,
sowie eine Tür, die laut Michail zu seinem Badezimmer führte. Und was Jean am
meisten gefiel, war das Fehlen der Fenster. Dieser Raum war absolut
sonnensicher.
"Sieht
gemütlich aus", befand der Franzose.
"Danke.
Ich trockne mir nur kurz die Haare. Wenn du solange warten würdest
"
"Mach
nur." Jeans Interesse galt momentan ganz der Einrichtung, und während
Michail im Bad verschwand, sah er sich neugierig um. Besonders faszinierte ihn
die alte Truhe. Er kniete sich vor dem antiken Stück nieder, um es ausgiebig zu
bewundern.
Als
sich eine Hand auf seine Schulter legte, wandte er sich erschrocken um. Er hatte
Michail gar nicht reinkommen gehört.
"Bewunderst
Du nur meine Einrichtung, oder muß ich schon das Silber zählen", fragte
Michail mit einem breiten Grinsen.
"Was
soll das denn heißen?" Jean setzte eine äußerst beleidigte Miene auf.
"Soll
ich Dir jetzt die Schönheiten meines Schlosses zeigen?"
"Hättest
Du was dagegen, wenn ich vorher mal kurz dein Bad benutze? Die ganze Schminke
juckt doch sehr, ich würde sie gerne loswerden." Jean fuhr sich mit dem
Handrücken durch das Gesicht.
"Sicherlich,
aber mach nicht zu lange, sonst komm ich dich holen."
"Ich
werde mich beeilen", erwiderte Jean und verschwand sogleich im Bad.
Michail
machte es sich in seinem Bett bequem, da er vermutete, daß Jean trotz seiner
Beteuerung ziemlich lange brauchen würde. Er verschränkte die Arme hinter dem
Kopf und überkreuzte die Füße. Seine Erinnerung brachte ihn zurück nach
Paris, wo er im Frühjahr dieses Jahres Jean kennengelernt hatte. Gemeinsam
hatte sie nach ein paar verschwundenen Vampiren gesucht, doch sie hatte nicht
nur die Vermißten, sondern auch Michails Bruder Radu wieder gefunden, den das
Schicksal der Draculas ebenfalls ereilt hatte auch wenn er nicht wie Michail
von Vlad zum Vampir gemacht worden war. Radu wohnte jetzt auch auf Schloß
Drachenburg und nach langen und anstrengenden Auseinandersetzungen hatte die
drei Brüder so etwas wie Frieden geschlossen.
Mit
einem Seufzen schob Michail die trüben Gedanken an die Familienprobleme zur
Seite. Er fragte sich, was Jean hergeführt hatte. In Paris hatte der Franzose
ihn einerseits regelrecht mit Blicken verschlungen, war aber immer wieder vor
einer Affäre zurückgeschreckt. Die einzige Zärtlichkeit, die sie ausgetauscht
hatten, war der Kuß gewesen, den Michail Jean zum Abschied gegeben hatte.
Hatte der etwa aus dem Frosch einen Prinzen gemacht? Der Vergleich ließ den
Karpaten grinsen.
Ihm
fiel ein, daß er nach Radus Auftauchen seine Bemühungen um Jean eingestellt
hatte, da er sich vorrangig um seinen Bruder hatte kümmern wollen, doch jetzt
konnte er da weitermachen, wo er stehengeblieben war
"Michail?"
unterbrach ihn Jeans Ruf. "Würde es dir etwas ausmachen, mir ein Handtuch
zu besorgen? Hier ist keines mehr."
"Warte,
ich komme." Der Karpate stand auf, holte aus einem Schrank ein Badetuch und
ging ins Badezimmer. Unter der Dusche stand Jean in seiner ganzen Schönheit,
wie ihn die Verwandlung geschaffen hatte, und streckte ihm die Hand entgegen.
Ohne
die Miene zu verziehen entfaltete Michail das Badetuch und hielt es für seinen
Gast bereit, der aus der Duschkabine hüpfte und sich von dem Karpaten
einwickeln ließ.
Während
Michail ihm den Rücken trocken rubbelte, fragte Jean: "Könntest du mir
vielleicht ein paar Klamotten zu leihen? Meine Sachen sind ziemlich schmutzig,
und meine Reisetasche liegt noch im Wagen."
"Wagen?
Du hast ein Auto?"
"Ich
habe mir den Porsche von Chris geliehen."
"Ah,
geliehen." Michail lachte leise. "Seit wann kannst du eigentlich Auto
fahren?"
"Ich
habe es diesen Sommer gelernt. Wurde ja auch Zeit, ich kann mich doch nicht
dauernd herum kutschieren lassen."
"Well,
I like taking a ride with you", wechselte Michail ins Englische, damit das
Wortspiel klappte, und LeCartres flüchtete vorwärts aus der Reichweite seiner
Hände.
"Wenn
du mir endlich was zum Anziehen gibst, könnten wir mit der Schloßbesichtigung
anfangen", meinte Jean.
In
Sekunden war Michail an seinem Kleiderschrank, zog ein paar Klamotten heraus und
war zurück im Bad, ehe Jean auch nur angefangen hatte, sich weiter
abzutrocknen. Lässig lehnte sich der Karpate an den Türrahmen und fragte beiläufig:
"Warum bist du eigentlich hergekommen?"
"Ich
war auf dem Weg ins Ruhrgebiet, da habe ich das Autobahnschild gesehen und
kurzerhand einen Abstecher gemacht."
"Ahm."
Michail beobachtete interessiert, wie Jean seine schlanke, geschmeidige Gestalt
drehte und wendete, um sich endlich fertig abzutrocknen.
"Ist
irgendwas?"
"Du
gefällst mir besser ohne die ganze Farbe."
"Natürlich",
erwiderte Jean grinsend. "Ich bin schließlich perfekt, da ist jedes
Make-up überflüssig."
"Na
ja", zweifelte Michail.
"Du
willst mich ja bloß ärgern. Weil ich hübscher bin als du." Jean warf ihm
einen übermütigen Blick zu, und der Karpate schüttelte den Kopf. Im Gegensatz
zu dem Franzosen hatte er sein gutes Aussehen, seine mädchenhafte Schönheit
gehaßt, und auch wenn er die unwiderstehliche Attraktivität eines Vampirs
nicht verzichten wollte, so wäre er über ein herberes männlicheres!
Gesicht nicht traurig gewesen.
"Hier."
Ohne auf Jeans Flirten einzugehen, warf ihm Michail die Kleidungsstücke zu.
"Zieh dich an."
Der
Franzose zog die Sachen über, und der Karpate führte ihn durch sein Schloß.
Nachdem sie ein paar Gänge entlang getrottet waren, erreichten sie einen langen
Flur, den Michail als die "Galerie" vorstellte, in der tatsächlich
eine Menge Bilder hingen. Es waren durchgängig Portraits und zwar von ein
und der selben Person. Jean gab einen Laut des Entzücken von sich und versank
in Betrachtung der Bilder.
"Wie
du vielleicht siehst, sind es fast alle Frühwerke, da nicht alle Künstler
Porträtmaler waren", erklärte Michail, während er statt der Bilder den
Franzosen betrachtete. "Einige habe ich einfach in Auftrag geben können,
bei anderen mußte ich tricksen."
"Und
wie hast du das gemacht?" fragte Jean, mehr aus einem Reflex heraus, als
aus echtem Interesse.
Der
Karpate trat nahe hinter ihn und flüsterte ihm ins Ohr: "Wenn ich etwas
will, dann kann ich sehr charmant sein. Und so unwiderstehlich, wie ich sein
kann, kriege ich, wen immer ich will."
"Hm",
machte Jean, woran Michail erkannte, daß er ihm gar nicht zugehört hatte,
sondern viel zu sehr von den Bildern in Beschlag genommen hatte. 'Toll, jetzt
mache ich mir schon selber Konkurrenz', dachte er spöttisch. Langsam streckte
er die Hände aus und legte sie vorsichtig um Jeans Hüften. Sein Griff war so
leicht, daß der andere ihn in seiner Unaufmerksamkeit gar nicht spürte.
Erst,
als er einen leichten Druck ausübte und LeCartres die Galerie hinunter drängte,
bemerkte Jean die Hände auf seinem Körper, doch diesmal schüttelte er sie
nicht ab, da er sich nicht bedroht fühlte. Er war viel zu sehr darauf fixiert möglichst
alle Kunstwerke dieses Schlosses zu bewundern.
"So,
und jetzt zeige ich dir den schönsten Raum in diesem Haus", erklärte
Michail, während er vor einer Tür stehenblieb. Aus seiner Tasche zog er einen
Schlüssel, schloß auf, zog die Tür auf und schaltete das Licht ein. "Das
Bernsteinzimmer."
Jean
erstarrte.
Michail
wußte, daß sein Gast in seine typische Verzückung verfallen war und sich das
in den nächsten Stunden auch nicht ändern würde. Er schlang sacht die Arme um
Jeans Taille, legte das Kinn auf seiner Schulter ab und ließ seinen Blick
ebenfalls durch den Raum gleiten. So ganz konnte er sich dem Zauber des Zimmers
auch nicht entziehen, und seine Schönheit erinnerte ihn an den Glanz
vergangener Zeiten. Und auch an die düsteren Zeiten.
"Michail?"
riß ihn Jaqs Stimme aus seinen Erinnerungen, und der Karpate zog sich von Jean
zurück.
"Was
gibt's?"
"Ich
muß mit dir reden." Er nickte zu dem entrückten Vampir hin. "Es geht
um deinen jungen Freund hier."
Michail
winkte den Werwolf ein Stück den Gang hinunter. "Was ist mit ihm?"
Kurz
umriß Jaq, wie er Jean auf dem Baum entdeckt hatte, und der Karpate runzelte
die Stirn. "Seltsam. Ich kenne keinen einzigen Vampir, der sich von den Wölfen
einen Baum hochjagen läßt. Leute, die sie nicht leiden können, treiben sie
doch sonst immer zum Schloß hoch."
"Genau
deshalb habe ich es dir erzählt. Und noch etwas solltest du wissen: Jean
er
riecht nicht gut."
Daß
Jaq damit nicht Jeans Deo meinte, war Michail klar. "Er ist ein Vampir. Was
erwartest du?"
"Auf
keinen Fall diese Angst. Sie ist mir schon beim ersten Mal aufgefallen. Und
ehrlich gesagt, daran habe ich ihn auch wiedererkannt. So, wie er ausgesehen
hat, hätte ihn sein eigenes Rudel nicht erkannt. Nun", Jaq sah den Schloßherrn
fest an, "wenn es dir mit ihm nicht ernst ist, solltest du ihn
wegschicken."
"Hm",
machte Michail nachdenklich.
Jaq
zog scharf die Luft ein. "Es ist dir ernst! Sei bloß vorsichtig, unterschätz
Jeans Fähigkeiten nicht."
"Das
werde ich nicht tun", versicherte ihm Michail. "Aber immerhin ist er
hergekommen. Und ich denke", er warf einen Blick zum Bernsteinzimmer,
"er wird heute hier übertagen. Holst du bitte seine Sachen aus dem
Wagen."
"Welchen
Wagen? Ich dachte, er sei zu Fuß gekommen."
"Dann
muß er außerhalb des Zaunes parken. Warte." Michail ging zum
Bernsteinzimmer zurück und schaltete die Beleuchtung aus. Dunkelheit breitete
sich aus, und Jean erwachte aus seiner Trance.
"Was
ist?" fragte er verwirrt und sah sich suchend um.
"Wo
hast du deinen Wagen geparkt?" erkundigte sich Michail.
"Auf
dem großen Parkplatz ein Stück weiter unten, ich wußte nicht, ob man bis hier
hochfahren kann. Warum?"
"Du
möchtest doch sicher gerne deine Sachen hier haben."
"Sicher.
Es ist ein silberner Porsche, hier sind die Schlüssel." Jean reichte
Michail die Autoschlüssel, die dieser an Jaq weitergab.
"Er
kann mich nicht leiden", erklärte Jean nachdenklich, als Jaq außer
Sichtweite war.
"Wie
kommst du denn darauf?"
"Er
beobachtet mich so mißtrauisch. Aber Werwölfe können mich eigentlich nie
ausstehen." Jean setzte ein strahlendes Lächeln auf. "Das Zimmer war
ja echt toll. Hast du noch mehr, was es sich zu bewundern lohnt?"
"Natürlich",
meinte Michail. "Obwohl du mit dem Bernsteinzimmer schon das Prunkstück
des Schlosses gesehen hast." Er zog die Tür zu dem erwähnten Raum zu und
schloß sie ab. "Was hältst du davon, hier zu übertagen?"
"Wenn
es dich nicht stört, ich bin ja doch etwas überraschend aufgetaucht."
"Es
stört mich nicht, du bist hier als Gast willkommen."
"Fein,
dann bleibe ich natürlich. Hier gibt es bestimmt noch viel zu entdecken",
erklärte Jean eifrig.
"Du
solltest deine Entdeckungsreise auf morgen verschieben, es wird Tag."
"Leider.
Wo kann ich mich denn zur Ruhe betten?"
"Ich
zeige dir dein Zimmer."
"Gut,
ich muß zugeben, ich bin ziemlich müde."
Michail
führte Jean zu einem der Gästezimmer und verabschiedete sich dann bis zum nächsten
Abend.
Jean
erwachte noch vor Sonnenuntergang. In der fremden Umgebung hatte er nicht
besonders gut geschlafen. Schnell schüttelte er die Erinnerung an seine Träume
ab und zog sich an. Am Abend vorher hatte Jaq ihm noch seine Reisetasche
gebracht, so daß er jetzt wieder seine eigene Kleidung zur Verfügung hatte. Er
wählte eine schwarze Lederhose und ein einfaches T-Shirt, band seine lange Mähne
zu einem losen Zopf zusammen und machte sich dann an die Erkundung des
Schlosses.
Voller
Erstaunen bewunderte er die zahlreichen Kunstwerke, verlor sich für ein paar
Minuten in der Betrachtung des einen, um dann weiter zum nächsten zu wandern.
Er wäre wohl bis zum nächsten Morgen im Schloß herumgewandert, wenn Michail
sich nicht auf die Suche nach ihm gemacht hätte.
Er
fand Jean im Bernsteinzimmer. Die verschlossene Tür hatte den Franzosen nicht
lange aufgehalten; es waren nicht mal Spuren des gewaltsamen Öffnen zu sehen.
"Einfach
wunderschön", wisperte Jean.
Michail
fragte sich, ob dieser ihn gehört hatte oder nur zu sich selbst sprach.
"Es hat wohl keinen Zweck, dir zu erklären, warum manche Türen
verschlossen sind."
"Das
konnte ich noch nie begreifen", erklärte Jean grinsend und wandte sich um.
"Warum
bist du eigentlich schon so früh auf?" wollte Michail wissen. "Hast
du was vor?"
"Vielleicht
"
Jean betrachtete Michail nachdenklich. "Ich habe mich noch nicht
entschieden." Nach den Alpträumen, die seinen Schlaf gestört hatten, war
er sich überhaupt nicht mehr sicher, ob sein Besuch auf dem Schloß eine gute
Idee gewesen war. Unter Vladescus interessiertem Blick wurde er unruhig.
"Was machen wir jetzt?"
"Was
möchtest du denn tun?"
Er
schaute nervös von Michail zur Tür und wieder zurück. Es störte ihn, daß
sich der Karpate zwischen ihm und dem Ausgang befand.
"Was
hast du?" Michail war Jeans plötzliche Anspannung nicht entgangen war.
"Nichts."
"Das
glaube ich dir nicht." Der Karpate machte einen Schritt auf Jean zu, der
sofort zurückwich. "Jaq sagt, du hättest dich vor den Wölfen gefürchtet."
"Das
ist nicht wahr." Diese Behauptung traf Jeans Ego gewaltig. Er schmollte
beleidigt.
"Beweise
es."
"Wie
denn?" fragte Jean mißtrauisch.
Michail
überlegte nur kurz: "Du streichelst einen." Das angewiderte Gesicht
von Jean brachte ihn zum Lachen. "Was hast du nur gegen die armen
Tiere?"
"Ich
kann sie nicht leiden."
"Nicht
leiden können und Angst vor ihnen zu haben sind zweierlei. Ich bestehe auf dem
Beweis. Gehen wir in den Park." Michail winkte Jean voranzugehen, damit er
das Zimmer wieder verschließen konnte.
"Muß
das wirklich sein?" meinte Jean unbehaglich, als sie im Flur standen. Er wäre
den Wölfen lieber aus dem Weg gegangen.
"Es
sei denn, du bietest mir was ähnlich spannendes an."
Jean
kaute auf der Unterlippe herum und grübelte. "Mir fällt nichts ein."
"Streng
dich an." Michail legte den Arm um seine Taille, um ihn weiter den Gang
hinunter zu drängen.
"Tue
ich das nicht?" Jean gab sich auf einmal sehr anschmiegsam, obwohl ihn
seine Angst vor dem Karpaten schier zu überwältigen drohte.
Erstaunt
bemerkte Michail, wie sich Jeans Verhalten veränderte: Anstatt ihm wie üblich
auszuweichen, kuschelte sich der Franzose regelrecht an seine Seite.
"Versuchst du mich etwa von meinem Vorhaben abzubringen?", fragte der
Karpate.
"Natürlich.
Lieber bin ich nett zu dir, als zu diesen Viechern."
"Vielen
Dank, daß du mich den Wölfen vorziehst", bemerkte Michail ironisch.
"So
ist das nicht gemeint", erklärte Jean. Er hielt den Blick gesenkt und
vermied es Michail anzusehen. "Ich mag dich, aber du machst mir
Angst."
Als
habe er sich verbrannt, ließ Michail ihn los. Jeans Geständnis traf ihn wie
ein Schlag, und auf einmal fühlte er sich außerordentlich schäbig. Er hatte
das ganze für ein harmloses Geplänkel gehalten, Jeans Ängstlichkeit gegenüber
den Wölfen ausgenutzt, und jetzt
Herrschaftszeiten, der Junge würde mit ihm
schlafen, nur um nicht mit dem Rudel konfrontiert zu werden. Und gerade er,
Michail, war der letzte, der das von ihm verlangen sollte.
Er
trat einen Schritt zurück. "Okay, vergiß die Wölfe. Ich denke, wir müssen
reden. Gehen wir in die Halle runter." Er führte den überraschten Jean in
die Eingangshalle, wo eine kleine Sitzgruppe zum gemütlichen Plausch einlud,
und winkte ihm, Platz zu nehmen.
"Hör
zu, Jean", begann er eindringlich, "du bist hier Gast und damit stehst
du unter dem Schutz des Gastrechts. Du mußt nichts tun, was du nicht willst.
Niemand auch ich nicht wird dich zu etwas zwingen." Er machte eine
kleine Pause, und als er merkte, daß Jean nicht so ganz überzeugt war, fuhr er
fort: "Wenn du etwas nicht tun willst: Ein einfaches Nein reicht aus."
Er stutzte, dachte an das Szenario von eben und präzisierte: "Ich meine:
Ein klares Nein. Okay?"
Jean
nickte zögernd, und Michail seufzte innerlich. Na, das konnte ja noch heiter
werden. Jaq hatte recht: Am besten er schickte Jean wieder weg. Zumindest für
heute. Mit der Zeit, von der sie beide ja reichlich hatten, verlor der Franzose
hoffentlich seine unnötige Angst. Und wenn nicht, mußte er selbst Michail
grinste halt lernen, daß er nicht jeden haben konnte.
Back to the Vampires' Den
|