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SvB #3: Das Vermächtnis

©1989 by Stayka


Gegenwart:

Eniatag, der 3760/01/02 GZ (Galakta-Zeit).

Alycia Cherylla Blade sah sich noch einmal prüfend im Spiegel an: eine wilde, lange mitternachtsfarbene Haarpracht und gleichfalls blauschwarze Augen - doch, sie war mit ihrem neuen Image als Karylla Noir zufrieden. Sie stieg in ihren schwarzen Einsatzcoverall und stellte ein wenig stirnrunzelnd fest, daß sie in diesem Outfit noch blasser wirkte als es für sie, die ja ein Kind des Planeten Enaryshavell war, normal wäre. Ob sie vielleicht auch noch ihre Hautfarbe ändern sollte? Aber nein, lieber nicht. Das würde bedeuten, daß sie vor jedem Auftritt als Karylla Noir - oder Blackfire, wie sie sich ansonsten zu nennen gedachte - außer der Perücke und den Kontaktlinsen noch stets eine ausgedehnte Sitzung mit Farbcrèmes und sonstigem Make-Up absolvieren müßte. Es würde ohnehin schon stressig genug werden, immer zwischen dem Alycia-Neon-Outfit und der Blackfire-Klamottage hin und herzuwechseln.

In dieser Hinsicht beneidete sie Cayvyn, der ja nur in ein Bad mit einer jeweils passenden Chemikalie steigen mußte, um jede Farbe anzunehmen, die er gerade haben wollte. Sie erinnerte sich belustigt an seine ersten Tests. Jee, Cayvyn in poppig Pink mit violetten Haaren hatte einfach nur albern ausgesehen! Sie war gespannt, was er sich für ein Tarn-Image für seine künftige Laufbahn ausdenken wurde. Naja, seine Idee mit den blauen Haaren hatte sie ihm hoffentlich endgültig ausgeredet...

"Spiegel aus!" Die Spiegelwand verlor die reflektierende Oberfläche und wurde zu einer normalen metallic-weißen Zimmerwand, die mit großen, metallisch türkisschimmernden, geometrischen Mustern verziert war.

"Holorama ein!" Eine gut 6m^2 große Fläche verwandelte sich nun in einen Monitor, der dreidimensionale Bilder wiedergeben konnte. Alycia-Karylla warf sich in ein undefinierbar geformtes, metallictürkisfarbenes Möbelstück, das sich sofort ihren Körperformen anpaßte. Auf dem Schwebetisch daneben befanden sich sowohl die Fernbedienung der Vielzweckwand (falls im Zimmer viel geredet wurde, konnte es sein, daß die Stimmerkennung Mist baute, und dann war es sinniger, von Akustik- auf die zwar mittlerweile antike, aber immer noch durchaus praktische Infrarot-Fernbedienung umzuschalten) als auch ein riesiger Becher Kaffee. Das Getränk war zwar mittlerweile kalt, aber Acy störte es nicht im geringsten.

'Hm, was gucke ich denn mal?' überlegte sie. In den bestimmt 50 Programmen des Tarishaan-TV liefen in der Regel eh nur Wiederholungen besonders erfolgreicher Holorama-Produktionen, und sie hatte keine Lust, die sechzigste Wiederholung von 'Die Invasoren aus Galaxis 7' zu sehen oder den 35. Re-Run der ach so beliebten Serie 'Das Weltraum-Hospital'... Es mußte doch auch noch etwas anderes geben... Sie schaltete gelangweilt durch die Programme. Hm. Mal in FGS-Aktuell reinschauen, was es Neues in der Sternenrepublik gab... Der Nachrichtensprecher - Denis Aradro - war perfekt gestylt wie immer und blickte unverbindlich in die Kamera.

"Die Verhandlungen des FGS-Rates über die Aufnahme der Freien Welt Ravin II/Ravenna wurden gestern abend von den Delegierten abgeschlossen. Die Freie Galaktische Sternenrepublik verfügt nunmehr über 15 Freie Welten, sowie die ihnen angeschlossenen Kolonialwelten. Die Regierungssprecherin von Ravenna, Cara Yina Stine-Arialt-Livara, hat den tiefempfundenen Dank der Bevölkerung Ravennas bekundet, nun auch unserer interstellaren Gemeinschaft angehören zu dürfen.

Die Planetenallianz Tamjira erhob erneut Einspruch gegen die Eingliederung Ravennas in die FGS, da sie die damit verbundene Stärkung der FGS-Wirtschaft als Bedrohung der Wirtschaft ihrer Mitgliedswelten ansieht. Vor allem der jetzt mögliche Einsatz der ravennischen Handels- und Transportflotte in der FGS übe einen nicht unbeträchtlichen Druck auf Tamjira und die Allianzwelten aus, da diese ursprünglich mit einem Beitritt Ravennas in ihren Weltenverbund spekuliert hatten.

Heute verstarb der ehemalige Regierungschef von Solse IV/Enaryshavell, Vergily Uella Shaiell, im Alter von 88 Jahren an einem Schlaganfall. Shaiell hatte im Jahre 3743 GZ dazu beigetragen, daß der Große Vertrag von Asskara..."

Alycia schaltete um. Alles wie gehabt... Die FGS florierte, Tamjira ärgerte sich darüber, wahrscheinlich würde die Demokratische Galaktische Konföderation weiterhin aufrüsten, kurz darauf wieder veraltete Systeme einmotten, nur um die Rüstungsindustrie weiter anzukurbeln (Die DGK hatte eine panische Angst vor irgendwelchen Übergriffen dubioser extragalaktischer Mächte. Daß seit 2000 Jahren (bzw. seit 270874 Jahren gemäß der Aufzeichnungen der Alten Seher von Hradhrun) überhaupt kein Anzeichen irgendeiner extragalaktischen Intelligenz zu verzeichnen war, konnte sie dabei nicht beruhigen.

"Nein, geh nicht!" hauchte eine goldlockige Holorama-Schönheit dem Helden (in einem goldenen Raumanzug) zu. Dieser sah die Lady heroisch an. 'Ayée, die Invasoren aus Galaxis 7!' erkannte Alycia genervt, als das goldfarbene Symbol der Serie eingeblendet wurde, um nunmehr der Werbung Platz zu machen.

Ein schnittiges blaues Aero-Shuttle fegte durch eine malerische Eislandschaft, und ein Sprecher zählte die Vorzüge des Geräts auf. Anschließend wurde das standardmäßige Firmenzeichen mit den beiden Schwingen rechts und links des Namens eingeblendet, und der Sprecher verkündete enthusiastisch:

"Courier Comet - Was für ein Gleiter!"

Acy seufzte und wählte Kanal 42 an. Langsam konnte sich Cayvyn doch in sein neues Outfit geworfen haben! Ts. Für einen Androiden war er ziemlich eitel.

Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie sich daran erinnerte, wie sie ihn damals zusammengebaut hatte...

* * *

Vergangenheit

Es war Telaratag, der 48. Zameri 3756GZ.

Alycia Blade sah sinnend auf den Tisch des Engineering-Labors, das sie sich nebst anderer Forschungsstätten in einer für Besucher nicht zugänglichen Sektion ihrer Orbitalvilla eingerichtet hatte.

(Villa Alycia - Eine als reiner Wohnkomplex gestaltete Raumstation, die in einem Synchronorbit in 39074 km Höhe den Planeten Suune III/Tarishaan umkreist.)

Seit nunmehr sieben Monaten arbeitete sie daran, den Traum ihres Vaters zu verwirklichen, einen denkenden und fühlenden künstlichen Menschen zu erschaffen.

Alleine die Hardware war ein größeres Problem gewesen. Die normalen Androiden waren bewußt einfach gehalten worden, um etwaige Verwechslungen mit 'richtigen' Menschen zu vermeiden. Ihre Körpertemperatur entsprach im Großen und Ganzen der Umgebungstemperatur, und ihr gesamtes Äußeres ließ keinen Zweifel daran, was sie darstellten.

Alycia hatte gut ein halbes Dutzend Standard-Androiden demontiert, um aus deren verwendbaren Einzelteilen, den Zusatzelementen, die ihr Vater entworfen hatte und diversen eigenen Erfindungen ein vollständig neuartiges Modell zu bauen.

Heute hatte sie die Arbeit endgültig abgeschlossen, und es fehlte nur noch die entsprechende Programmierung, um ihr Geschöpf zum Leben zu erwecken. Vorausgesetzt, sie hatte unterwegs keinen Fehler gemacht, ermahnte sie sich düster, denn sie hatte da so ihre Bedenken. Aber auch die Sache mit der Programmierung war noch ein Problem. Grundsätzlich verwandte sie die Firestar-Kristalle, aber sie war nicht ganz glücklich über deren Inhalte. So hatte sie bestimmt 50% der ursprünglichen Programmierung von Grund auf umgestalten müssen, um sie dem anzupassen, was sie für sinnvoll hielt.

Sie warf einen Blick auf die Überwachungsmonitore. Okay, es schien vielversprechend auszusehen. Sie begann also kurzerhand mit dem Datentransfer. Wenn sie länger wartete, würde das Ergebnis auch nicht anders ausfallen als jetzt...

Während der Androide programmiert wurde, musterte Alycia noch einmal kritisch das Design, das sie ihm verpaßt hatte. Er war exakt 1.95m groß - also beträchtlich größer als die Standard-Modelle - was aber im Hinblick auf seine Tarnung nur sinnig war. Schließlich sollte er den Leuten nicht sofort auf die Nase binden, daß er eine künstliche Lebensform war! Seine Haut- und Haarfarbe war Schneeweiß, denn Acy hatte beschlossen, daß er selbst über sein Outfit bestimmen sollte. Immerhin hatte sie ihn komplett modelliert, und sie fürchtete Schlimmes, wenn sie auch noch seine Farbgebung nach ihren Idealvorstellungen für ein männliches Wesen gestaltete...

Sie seufzte belustigt, als sie sein ebenmäßig geschnittenes Gesicht betrachtete. Er hatte seine Augen geschlossen, als wenn er schliefe, doch sie wußte, daß deren Farbe ein helles Grau war, wie von stürmischem Himmel, mit leichten Schatten von Blau und Violett.

Sie strich ihm sanft über die Wange. Die Komposition seines Hüllenmaterials war ein weiteres Problem gewesen, und es faszinierte sie immer wieder, wie angenehm es sich nun anfühlte. Seine Temperatur lag um ein paar Grade unter normaler menschlicher Körpertemperatur, war aber in Acys Augen einfach ideal. Im Prinzip fehlte ihr nur noch ein Name für ihn. Momentan tendierte sie zu einem Namen aus drei Komponenten, wie er auf ihrem Heimatplaneten üblich war. Vielleicht Ryko Jivhella Maiell? Aber andererseits... Sie müßte sich auch einen Background für ihn überlegen, und sie wollte ihm lieber eine Identität verpassen, bei der etwaige Schnitzer im Verhalten nicht so auffielen. Hm. Am besten, sie würde ihn selbst fragen, wenn er aktiviert war. Vorausgesetzt, alles verlief nach Plan... Sie betrachtete die sich rasch verändernden Statusanzeigen der diversen Monitore, bevor sie ihren Blick wieder auf den Androiden-Mann richtete. Sie hatte beschlossen, im nächsten Anlauf einen weiblichen Androiden zu basteln, der ja auch in den Plänen von Firestar schon vorgesehen war - aber im Augenblick galt ihre volle Aufmerksamkeit diesem Exemplar.

"Ayée, ich könnte mich glatt in dich verlieben", stellte Alycia leicht belustigt fest. Sie hätte ihn wirklich nicht so ...hübsch gestalten sollen!

Genau in diesem Augenblick war der Datentransfer abgeschlossen, und der Androiden-Mann schlug seine sturmwolkenfarbenen Augen auf.

"Ihr ehrt mich sehr, liebwerte Demoiselle!" bemerkte er mit einer faszinierenden, seidenweichen Stimme, und Alycia stellte halb amüsiert, halb stirnrunzelnd fest, daß sie tatsächlich drauf und dran war, ihr Herz an eine künstliche Lebensform zu verlieren. Es verwunderte sie, was Firestar offensichtlich alles in seinen Speicherkristallen vorgesehen hatte. Diese altertümliche Sprachform war ihr bereits aufgefallen, als sie die erste Revision der Programmierung betrieben hatte, aber sie hatte beschlossen, daran nichts zu ändern. Zumindest wußte sie nun einen passenden Namen für ihre Schöpfung. Er erinnerte sie ungemein an ihren Naysyny-Lehrer im Internat, und der war doch so ein komischer Adliger gewesen... Sie grübelte nach und wählte dann den erstbesten naravinischen Namen, der ihr einfiel.

"Willkommen im Leben, Sir Cayvyn", meinte sie grinsend und befreite ihn erst einmal von den diversen Meßinstrumenten und Datentransfer-Leitungen.

"Seid meines tiefempfundensten Dankes gewiß, Mylady", bemerkte 'Sir Cayvyn' und richtete sich auf, bevor er mit einem Ausdruck neugieriger Verwunderung die Funktionsfähigkeit seiner Extremitäten abcheckte.

"Ich heiße Alycia", sagte diese nur und half ihm auf die Beine. Sie suchte den Coverall und die diversen sonstigen Sachen hervor, die sie für ihn bereit gelegt hatte. "Bist du mit deinem Namen zufrieden, Cay?"

"Besteht irgendein Grund, aus dem dies nicht der Fall sein sollte, Mylady Alycia?"

"Nein", erwiderte sie und hob amüsiert die Augenbrauen. "Cayvyn, ich habe deine Haut- und Haarfarbe noch nicht festgelegt. Unter den Daten, die ich dir überspielt habe, sind auch die möglichen Farbkombinationen, die auf den verschiedenen Welten der FGS auftreten. Such dir bitte eine Coloration aus, die dir gefällt. Die entsprechenden Farbstoffe findest du im Chemo-Labor dort hinten!"

Sie drückte ihm die Kleidungsstücke in die Hand und beschloß, der Dinge zu harren, die da kommen würden. Eine halbe Stunde später erschien ein völlig veränderter Cayvyn im Engineering-Lab. Nun hatte er einen hellen, fast elfenbeinernen Teint, kupferrotgoldene Haare und trug den anthrazitfarbenen Coverall, den Alycia ihm gegeben hatte. Acy blieb beinahe der Atem weg.

Das durfte doch nicht war sein! Da wollte sie, daß er sich selbst eincolorierte, damit sie nicht so sehr in Versuchung kam, und was machte er? Erwischte exakt die Farbkombination, die sie vermeiden wollte...

Alycia blickte ihn eine ganze Weile wie gebannt an. Cay sah einfach umwerfend aus! Dabei stellte sie fest, daß er auch seine Augenfarbe geändert hatte. Anstelle des stürmischen Graus waren sie nun von einem leuchtenden Grün, in dem ein wenig Gold schimmerte. Seufz.

"Alycia, was ist der Grund für meine Erschaffung?" Diese Frage traf sie völlig unerwartet, und die junge Frau überlegte einen Moment.

"Hm. Naja, eigentlich fing es damit an, daß mein Vater vor Jahren ein Projekt begonnen hatte, mit dem er testen wollte, ob es möglich wäre, denkende und fühlende Androiden zu schaffen. Nach seinem Tod habe ich beschlossen, seine Forschungen zu vollenden. Der zweite Grund ist, daß ich auch in anderen Belangen in die Fußstapfen meines Vaters zu treten beabsichtige. Doch diese Sache ist für mich alleine nicht machbar, und ich brauche einen verläßlichen Partner, mit dem ich zusammenarbeiten kann. - Setz dich doch, Cay."

"Meinen ergebensten Dank, Mylady Alycia." Er vollführte eine stilvolle Verbeugung, bevor er sich auf dem Sitz niederließ, auf den Acy deutete. Diese grinste über alle vier Backen, bevor sie einen Scanner aus einem Regal holte und Cays Werte im vollaktivierten Zustand überprüfte. Alles bestens!

"Du bist absolut topfit, Cayvyn", bemerkte sie begeistert. "Nun, jetzt müssen wir ein paar wichtige Dinge abklären. Zuallererst eins: Ich möchte, daß du weißt, daß du dich mir nicht wegen irgendetwas verpflichtet fühlen mußt. Gut, ich habe dich gebaut, aber es wäre mir am liebsten, daß du diese Tatsache wenn möglich gänzlich vergißt... Punkt zwei: Unter den dir überspielten Daten waren auch ausreichende Informationen, die es dir ermöglichen sollten, moralische Wertungen und Entscheidungen zu treffen. Du bist also frei, zu tun und zu lassen, was du willst. Ist das soweit klar?"

"Ja, Alycia..." Cayvyn runzelte irritiert die Stirn. Die Anweisungen waren zwar eindeutig, wenngleich auch ihm deren Motivation unverständlich erschien. "Aber ich verstehe nicht ganz, warum du das so betonst..."

"Deiner Programmierung nach bist du ein Individuum, du hast eine Persönlichkeit. Und deshalb habe ich nicht das Recht, über dich zu bestimmen. Ich möchte, daß du alles, was du tust, aus freiem Willen tust. Ich werde dich auch nicht aufhalten, wenn du beschließt zu gehen, um dir die Welt anzusehen..."

"Alycia - soll das heißen, daß du mich loswerden willst?"

"Ayée, nein, bestimmt nicht!" rief Acy aus. Sie wirkte derart entsetzt, daß ein leicht amüsiertes Lächeln über Cayvyns Gesicht huschte. Alycia betrachtete dies fasziniert. Er lernte mehr als nur schnell! "Im Gegenteil... Ich wollte dich fragen, ob du bei mir bleiben und mir bei meinen künftigen Unternehmungen helfen willst."

Cayvyn erhob sich und verbeugte sich galant ein zweites Mal.

"Es wird mir eine Ehre sein, Mylady Alycia!"

"Cay, wieso hat dir Firestar bloß dieses Verhaltensmuster verpaßt?! - Ich jedenfalls bin diesbezüglich ausnahmsweise völlig unschuldig..."

"Gefällt es dir nicht? Ich habe noch eine größere Anzahl anderer Möglichkeiten zu Auswahl."

"Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint", versicherte ihm Acy rasch. "Ich finde, du kannst es dir gerne zu deiner Persona machen..." Um genau zu sein, fand sie ihn so sogar äußerst süß. "Jetzt zu etwas anderem. Ich muß dich schließlich irgendwie erklären. Wir sollten uns einen passenden Background ausdenken und so weiter." Während sie ihn so betrachtete, fand sie, daß er einen perfekten Naravino abgeben würde.

Cayvyn nahm wieder Platz und überlegte einen Moment.

"Mein Phänotyp entspricht im Großen und Ganzen dem der Bewohner folgender Planeten: Allirion IV/Naravina, sdayinisische Hochlandregionen; Solse IV/Enaryshavell, Landbevölkerung von Kancia; Tunris II/Sangira, einige Bergstämme und Hasgaal II/Dvaris, Tvarsia-Kontinent..."

"Hm-hm", machte Alycia stirnrunzelnd. "Die Enaryshavell-Landleute kannst du schon mal vergessen, die sind ganz einfache Gemüter. Irgendwie habe ich das Gefühl, das paßt so rein gar nicht zu dir... Die Sangira-Bergstämme halte ich auch nicht für sehr sinnvoll, da ihr Clan-Wesen überaus ausgeprägt ist und du niemals mit der Behauptung durchkämst, du gehörtest zu ihnen. Jee... Bleiben Dvaris und Naravina... Was weißt du über diese beiden Welten?" Sie beschloß, einmal auszutesten, wie er mit seinen abgespeicherten Daten umging.

"Dvaris ist eine hochstehende Technokratie, die vorwiegend durch den Export von Technologien und Luxusgütern zu großem Reichtum gekommen ist. Die Bevölkerung beträgt laut der letzten Erhebung im Jahre 3754 GZ 8.45 Milliarden Wesen..."

"Ay, Cayvyn, so hatte ich das nicht gemeint... Es war mir in diesem Zusammenhang nicht wichtig, statistische Informationen zu bekommen, ich dachte mehr an die soziologische Struktur der Bevölkerung, da dies ja im Hinblick auf unsere Erörterungen relevant war..."

Cayvyn dachte einen Moment nach.

"Das heißt, ich muß im Hinblick auf eine gestellte Frage auch den Kontext derselben berücksichtigen..." stellte er fasziniert fest. "Gut. Ich werde es fürderhin beherzigen."

Er bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln, das nach Alycias Meinung mindestens verboten werden müßte. "Die Dvarisianer gelten als rational und handeln in der Regel eher zweckbestimmt - utilitaristisch wäre wohl der korrekte Terminus dafür. Ihre Sozialstruktur basiert auf einem ausgeprägten Kommunenwesen, und sie sind in der Regel nur in Gruppen anzutreffen..." Cayvyn schüttelte den Kopf. "Damit scheidet dies auch aus. Gut, Allirion IV/Naravina: eine ausgeprägte Feudalstruktur; sämtliche Gebiete sind in Königreiche, Fürstentümer und was der Dinge mehr sind, unterteilt..."

"Mhm. Klingt doch sogar sehr sinnig für deine Persona als Sir Cayvyn", stellte Alycia fest. Sie fand eine angeblich naravinische Abstammung sowieso die bestmögliche Wahl für ihn. "Jetzt müssen wir nur noch ein Plätzchen in einer der Familienlinien für dich ausgraben. Am besten irgendeinen Sohn von irgendeiner Lady, der irgendwann entführt worden ist, oder so..."

Cayvyn sah sich um.

"Kann ich hier irgendwo auf die Zentrale Informations-Verwaltung von Naravina zugreifen?"

"Komm mit. In meinem Arbeitszimmer ist ein Viphon, mit dem du die ZIV von Tarishaan kontaktieren kannst. Vielleicht verfügt die ZIV-Tarishaan bereits über die Daten, ansonsten kannst du sie dir von der ZIV-Naravina anfordern lassen."

"Überaus umständlich. Ich würde mich lieber persönlich mit dem entsprechenden Computer unterhalten."

"Tja, leider mußt auch du dich unserer lieben Bürokratie beugen, und die besagt, daß du zunächst die ZIV des Systems, in dem du dich gerade befindest, kontaktieren mußt, und dann im Zweifelsfall erst weiter durchgeschaltet wirst. Das spart - nebenbei bemerkt - schließlich auch einiges an Interstellar-Funkzeit und damit Geld."

"Ich weise darauf hin, daß ich sicherlich schneller wäre, wenn ich sofort einen freien Datenkanal zu dem entsprechenden Computer bekäme..."

Alycia grinste ihn an.

"Das glaube ich dir sogar. Aber nicht jeder hat da", sie tippte ihm mit dem Zeigefinger an die Stirn, "einen Hochleistungscomp eingebaut... Und ich glaube nicht, daß es sinnvoll wäre, wenn du das allen auf die Nase bindest..."

"Aus welchem Grund hältst du das nicht für sinnvoll?" Cayvyn sah sie irritiert an.

"In der FGS werden nur Androiden zugelassen, die unter keinen Umständen mit Menschen verwechselt werden können. Das ist ein Gesetz, das bereits seit über vierhundert Jahren besteht, da zu dieser Zeit einige unschöne Dinge passierten. Mehrere Wissenschaftler hatten im Auftrag eines Verbrechersyndikats Menschen so perfekt nachgebaut, daß diese Androiden wichtige Schlüsselfiguren aus Politik und Wirtschaft ersetzen konnten, ohne daß dieses auffiel. Als endlich einige Leute dahinter kamen, war es beinahe zu spät, und die nachfolgende Säuberungsaktion führte zu beinahe bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen. Jeder mißtraute jedem und so weiter. Als sich die Unruhen Jahre darauf gelegt hatten, wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Fähigkeiten künstlicher Lebensformen stark restringierte."

"Das heißt also, daß du ganz bewußt gegen die herrschende Gesetzgebung verstoßen hast, um mich zu schaffen. Höchst interessant."

"Hm. Vielleicht habe ich das Gesetz für veraltet gehalten... Oder ich war einfach zu neugierig..."

Sie wollte in ihr Arbeitszimmer davonschweben, doch Cayvyn ergriff ihr Handgelenk.

"Warte..."

"Autsch! - Loslassen...!" rief Acy überrascht, und der Androiden-Mann tat, wie ihm geheißen.

"Was ist?" Er sah sie verwirrt an, als sie sich ihr Handgelenk rieb.

"Jeih, ich glaube, wir sollten mal deine Feinmotorik genauer justieren... Weißt du, ein Mensch ist nicht so widerstandsfähig wie ein Androide."

"Ich bitte um Vergebung, teure Lady Alycia", sagte Cayvyn geknickt.

"Hey, nimm's nicht so tragisch - ich bin doch noch in einem Stück..." Acy ergriff seine schlanke Hand, der man absolut nicht ansah, welche Kraft dahintersteckte. "So, jetzt kannst du mich mal als Versuchskaninchen verwenden. Leg einfach deine Hand auf meinen Arm. - Okay..." Cay folgte ihrer Aufforderung, aber diesmal ganz vorsichtig. "Siehst du... Das fühlt sich für mich... hm", sie überlegte einen Moment, dann lächelte sie ihn amüsiert an, "...äußerst angenehm an. - Jetzt verstärke mal den Druck - hups, etwas weniger! - Okay... So kannst du jemanden festhalten, ohne ihn zu verletzen. Also, viel fester solltest du besser nicht zupacken, du könntest einem schwachen, menschlichen Wesen auf die Art die Knochen brechen." Sie fuhr abwesend mit ihrer anderen Hand über seine. Er fühlte sich einfach ...interessant an. Cay betrachtete diese Aktivität Alycias fasziniert.

"Anbetracht der Tatsache, daß die von dir auf meine Hand ausgeübte Kraft ungefähr der entspricht, die du als 'angenehm' bezeichnetest, als ich sie bei dir applizierte, gehe ich davon aus, daß du mit deiner Tätigkeit eine ähnliche Empfindung bei mir zu bewirken suchst. Ist diese Annahme korrekt?"

"Hm?" Acy runzelte die Stirn. "Ähm, wenn du meinst, ob ich dir absichtlich ein paar Streicheleinheiten verpassen wollte, muß ich gestehen - du hast recht..." Sie lächelte ihn an. "Was mich dabei interessieren würde, ist folgendes: Empfindest du diese Berührung effektiv als angenehm, oder ist es lediglich ein Schluß, den du aufgrund der von deinen Tastsensoren übermittelten Daten und meiner Bemerkung dazu gezogen hast?" Cayvyn überlegte einen Moment.

"Sowohl als auch", stellte er dann selbst ein wenig überrascht fest.

"Wie habe ich das zu verstehen?"

"Es ist mir durchaus möglich, diese Empfindungen direkt als solche wahrzunehmen. Allerdings fehlen mir derzeit noch die entsprechenden Vergleichsdaten..." Er blickte sie erwartungsvoll an.

"Soso", machte Alycia belustigt. Das hieße wohl, sie sollte ihm dabei ...behilflich sein, die 'entsprechenden Vergleichsdaten' zu erbringen...

Sie musterte ihn noch einmal von oben bis unten, wobei sie befand, daß sie ihm im Prinzip mit dem größten Vergnügen dabei behilflich sein würde. Gedanklich schüttelte sie nur den Kopf über sich. 'Acy-Kind, was denkst du dir eigentlich? - Immerhin ist der Typ nicht nur nicht echt, sondern auch noch von dir zusammengebastelt worden! Er ist doch nur eine Art verbesserter Roboter-Typ!' ermahnte sie sich selbst. Doch andererseits... Für einen simplen Robot hatte er eine recht ausgeprägte Persönlichkeit. Hm. Wer es nicht wußte, könnte Cay durchaus für einen Menschen halten. Zugegeben, seine Körpertemperatur lag bei nur 31 Grad C, er verfügte über wahrhaft herkulische Kräfte, seine Eßbedürfnisse unterschieden sich etwas von denen 'normaler' Menschen, er benötigte keinen Schlaf und war in punkto allgemeine Ausdauer und Widerstandskraft schier unschlagbar - aber das brauchte man ja nicht allen auf die Nase zu binden...

"Hm, Cayvyn, ich glaube, wir sollten uns wirklich erst einmal über deinen persönlichen Background kümmern", wechselte Acy rasch das Thema. Ts, sich mit einem Androiden einlassen! Wo kämen wir denn da hin...?

"In Ordnung, Alycia." Er folgte ihr in ihr Arbeitszimmer und setzte sich vor das Viphon. Mit einem geradezu wahnwitzigen Tempo huschten seine Finger über die Tastatur.

(Das Viphon ist nicht alleine ein Kommunikationsmedium, sondern fungiert zusätzlich noch als Minicomputer, falls man zum Beispiel Daten von der ZIV oder sonstwoher anfordern und gegebenenfalls direkt verarbeiten will.)

Plötzlich leuchtete auf dem Monitor das Symbol der ZIV-Naravina auf, - der stilisierte Speicherkristall, der für die ZIV-Einrichtungen allgemein stand, unter einer silbernen Krone, dem Symbol der naravinischen Herrscherfamilien.

Alycia musterte Cayvyn stirnrunzelnd.

"Wie hast du denn das angestellt? Du hast die ZIV-Tarishaan ignoriert..."

Der Androiden-Mann lächelte belustigt und hob die Augenbrauen.

"Erwähnte ich nicht, daß ich diesen Umweg für überflüssig hielt? Ich habe eine Verbindung zur Universität von Ashteera hergestellt und mich von dort direkt über einen Prioritätskanal nach Allirion IV/Naravina durchstellen lassen. Keine Sorge, die Gebühr wird von der Universität bezahlt..."

(Ashteera ist die Hauptmetropole von Suune III/Tarishaan)

"Cayvyn, ich glaube, ich brauche dich nicht darauf hinzuweisen, daß das nicht ganz legal ist..."

"Korrekt. Es ist nach $ 2875 A, Absatz 3, ein Vergehen gegen das FGS-Kommunikationsgesetz und kann mit einem Bußgeld oder Entzug der Teilnehmerlizenz geahndet werden."

"Fein..." meinte Acy nicht gerade begeistert.

"Sei unbesorgt, Alycia. Nach meinen Begriffen ist das komplette Info-System reichlich veraltet. Firestar hatte bereits ein völlig neues Modell dafür entwickelt, doch der FGS-Rat sprach sich dagegen aus, es zu übernehmen. Dabei hatte Firestar ihnen eindrucksvoll demonstriert, wo die Schwächen des alten Systems lagen... Die Verwaltung blockierte das Projekt so lange, bis sich keiner mehr so recht daran erinnerte. Für mich ist dies von Vorteil, denn es bereitet mir keine Probleme, in das System einzubrechen, da ich auf sämtliche von Firestar entwickelten Strategien zurückgreifen kann."

"Soso..." Sie schüttelte ungläubig den Kopf. "Was habe ich mir da zusammengebaut..." meinte sie belustigt.

Cayvyn sah sie verständnislos an, etwas zu auffällig verständnislos, wie Alycia befand. Er wußte genau, was sie meinte! Ts. Sie setzte sich auf die Armlehne des Sessels, der ja eigentlich ihr Sessel war und versuchte, den rasch über den Schirm flimmernden Infos zu folgen. Nach etwa zehn Sekunden gab sie es auf. So schnell konnte doch kein Mensch lesen!

Plötzlich tippte Cay auf eine Sensortaste, und auf dem Monitor blieb eine Seite stehen.

"Da", kommentierte er den Inhalt. "Das ist es."

"Hm?" Acy überflog die Informationen. Es schien als ob eine Lady Aylanna, die Cousine der Hochkönigin Elyssabelle der östlichen Landgüter des Sdayinisischen Kontinents, ein indiskretes Techtelmechtel mit einem Sir Yngwayn, dem Ziehbruder des Herzogs Kinshayn der Ayryana-Ländereien gehabt habe, woraus ein Sohn namens Lanamir entsprang, der als Ziehbruder der Söhne des Hochlandkönigs Mirvin zu Zaylyann und Nidivar aufwuchs und vor einigen Jahren mit unbekanntem Ziel von Naravina verschwand. Es hieß, er wäre auf einen Ökotrip gegangen und wollte als Aussteiger sein Leben in den vollbiologischen Gemüsegärten von Umara II/Ingarion fristen.

Ein Gegencheck bei der ZIV-Ingarion hatte ergeben, daß Lanamir nach alter naravinischer Sitte zum Eintritt ins Erwachsenendasein seinen Namen geändert und eine ingarische Gemüsefarmerin geheiratet hatte, ohne jemals wieder ein Lebenszeichen an seine Familie auf Naravina zu schicken. Aylanna und Yngwayn hatten ihr Verhältnis kurz vor der Geburt ihres zweiten Kindes Dayenna doch noch legitimisiert, doch es war ihnen wohl zunächst peinlich, Lanamir anzuerkennen. Als sie es sich anders überlegten, war er längst über alle Berge, sprich auf Ingarion.

"Dieser Lanamir hat dieselbe Haar- und Augenfarbe, die ich mir ausgesucht habe, sieht mir ziemlich ähnlich, und meine Größe entspricht ohnehin der eines naravinischen Adligen", stellte Cayvyn fest. Und was meinen Namen betrifft - es ist eine alte, wenn auch wenig gebräuchliche naravinische Tradition, einen persönlichen Namen anzunehmen, wenn man sich als 'Erwachsener' mit allen Rechten und Pflichten eines solchen betrachtet. Ich werde demnächst einmal meiner ...Familie einen Besuch abstatten."

"Bist du verrückt? Was ist, wenn man dir die Geschichte nicht abnimmt?"

"Ich habe sämtliches verfügbare Material über Sir Lanamir kopiert. Sein 'beruflicher Werdegang' - er hat mehrere Grade in der Kunst antiker Waffenführung erlangt, vornehmlich im Energie-Degen-Fechten und im Bogenschießen, und ansonsten soll er sich sehr mit der Gärtnerei beschäftigt haben..."

Alycia betrachtete Cayvyn mit höchstem Amüsement; sie versuchte sich ihn gerade mit einem Gärtnerkittel und einem Strohhut vorzustellen. Schließlich konnte sich sich nicht mehr beherrschen und prustete vor Lachen. Cay, der liebevoll diverse Pflanzen umtopfte und sich angeregt mit diesen unterhielt, war einfach eine umwerfende Vorstellung.

"Was ist daran so komisch?" meinte er ein wenig schmollend. Acy winkte ab, sie war immer noch nicht imstande, etwas zu sagen. "Ich werde nach Allirion IV/Naravina fliegen", sagte Cayvyn bestimmt. "Wenn ich mir schon eine Pseudo-Identität schaffe, dann will ich diese auch korrekt anlegen, und das heißt, daß ich es nicht zu riskieren gedenke, irgendwann als Hochstapler entlarvt zu werden. Und das wiederum bedeutet, daß ich mich persönlich bei dieser Lady Aylanna und ihrem - hm - Gemahl Sir Yngwayn vorstellen werde. Wenn diese mich akzeptieren, kann ich ganz offiziell behaupten, daß ich der Sohn der Cousine 3. Grades des Onkels der Hochkönigin der östlichen Landgüter des Sdayinisischen Kontinents von Allirion IV/Naravina und des Ziehbruders des Herzogs der Ayryana-Ländereien bin."

"Jeih, bin ich froh, daß ich keine naravinische Adlige bin! Diese ganzen Titel könnte ich nie behalten..."

Sie lächelte ihn an. Himmel, das letzte Mal, daß sie so verschossen in einen Typen war... Ja, das war damals auf dem Internat in der vorletzten Klasse gewesen, als sie diesen schnuckeligen dvarisianischen Jungen Dvandar Inkra Tjadrus kennenlernte. Seufz, wenn der nicht so ein typischer Dvarisianer gewesen wäre, der dauernd mit den beiden anderen Typen aus seiner Kommune herumhing...!

Falls sie ihn ab und zu alleine erwischte, war er ja geradezu umwerfend, aber das war leider überaus selten gewesen. Sie hatten beide bemerkt, daß eine Weiterführung ihrer Liaison illusorisch war, auch wenn Alycia darüber absolut nicht begeistert war.

Und nun hatte es sie wieder erwischt... Ein Androide! Warum konnte sie sich kein männliches Wesen heraussuchen, das zu ihr paßte?

Acy musterte Cayvyn nachdenklich. Dieser legte die Stirn in Falten.

"Alycia, es gelingt mir nicht, die von dir verwandte Mimik mit dem Inhalt unseres Gespräches in Verbindung zu bringen."

"Meine derzeitigen Überlegungen bezogen sich auch nicht auf unsere zuletzt erörterten Themenpunkte..."

"Das finde ich überaus faszinierend", bemerkte Cayvyn. "Worauf bezogen sie sich dann?"

"Cayvyn, was für Informationen hast du bezüglich des Themas 'Verliebt sein' in deinen Speichern?"

"Hm. 'Verliebt sein'... 'Sich zu jemandem hingezogen fühlen', ein Zustand positiver Emotionen..." Er überlegte eine Weile; für einen Androiden ziemlich lange, wie Acy befand. "Ist es korrekt, daß deine Beschäftigung mit diesem Thema indirekt impliziert, daß du unter Umständen dieses Gefühl für mich hegst?"

Nun war es an Alycia, eine Runde zu meditieren. Was sollte sie ihm sagen? Wie würde Cay auf irgendeine Antwort von ihr reagieren? Nun, Firestars Projekt war faktisch darauf ausgelegt, abzutesten, inwieweit es möglich war, künstlichen Lebensformen Emotionen zu implantieren. Aber war das in Cayvyns Fall geglückt?

'Oh, Dunkle Mutter!' Acy hoffte, daß Cay in der Lage war, Gefühle zu empfinden. Sonst wäre das Ganze ja langweilig... Naja, sie sollte auf jeden Fall ehrlich ihm gegenüber sein.

"Korrekt, Cayvyn. Ich bin ganz furchtbar in dich verknallt!"

Cay runzelte die Stirn.

"Alycia, ist 'furchtbar' nicht ein negativer Begriff? Wie habe ich dann deine Aussage zu verstehen, daß du 'furchtbar in mich verknallt' seist?"

"In diesem Kontext ist 'furchtbar' als zusätzliche Betonung gemeint. So wie das Adverb 'sehr' oder 'überaus'..."

Cayvyn strahlte sie förmlich an. "Das heißt also, du magst mich als Person und nicht nur als dein ...Geschöpf?!"

"Muß ich dich noch einmal darauf hinweisen, daß du den Fact aus deinem Gedächtnis streichen solltest, daß ich dich gebastelt habe?"

"Nein. Trotzdem..." Er schien wieder seine Speicher zu durchsuchen, dann zog er sie vorsichtig zu sich herunter und gab ihr einen sanften Kuß auf die Lippen. "Danke. - Dafür, daß du mich konstruiert hast." Er setzte ein Lächeln auf, von dem er hoffte, daß es Acys von vorhin entsprach. "War das eine passende Entgegnung?" erkundigte er sich dann gespannt.

Alycia sah ihn sprachlos an.

"Naja, im Generellen nicht unbedingt... Sie grinste ihn an. "Du solltest davon absehen, einer dir nicht näher bekannten Person einen Kuß zu geben. Aber was mich betrifft... Hm, ich würde es jedenfalls nicht als 'unpassend' bezeichnen... - Was aber hauptsächlich damit zusammenhängt daß ich dich ausgesprochen sehr mag... Ich will dir nichts vormachen, wenn sich ein beliebiger anderer Typ soetwas herausgenommen hätte, hätte er von mir schwer eins auf die Nase bekommen!"

"Ah, heißt das, daß ich in dieser Hinsicht eine bevorzugte Stellung einnehme?"

"So könnte man es formulieren." Acy musterte ihn liebevoll und wuschelte in seinen kupferrotgoldenen Haaren herum. Seine Haarfarbe war wirklich faszinierend. Von Metallicrot über Gold bis Kupfer waren alle Schattierungen vorhanden.

"Alycia, hat es eine besondere Bewandnis, daß du meine Haare in Unordnung bringst?"

"Hm..." Sie wurde leicht rot. "Tja, das kann mehrere Bedeutungen haben... In deinem Fall heißt es, daß ich dich mag."

"Erwartest du jetzt, daß ich deine Haare auch in Unordnung bringe?" Er überlegte einen Moment. "Laut der mir verfügbaren Speicherdaten erscheint mir das aber nicht als die korrekte Prozedur."

Alycia konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, als Cay sie ratlos ansah.

"Stimmt. Das geht ohnehin hauptsächlich bei kürzeren Haaren... - Sag mal, was würdest du denn als 'korrekte Prozedur' betrachten?"

Cayvyn guckte immer noch ziemlich hilflos in die Runde. "Ich bin mir nicht schlüssig darüber. Immerhin kennen wir uns doch noch nicht allzulange, und die mir verfügbaren Daten besagen, daß einige der möglichen Reaktionen bei eher flüchtigen Bekanntschaften nicht passend sind. Ich habe die Eintragungen daraufhin untersucht, als du meintest, daß man zum Beispiel einer nicht näher bekannten Person nicht unbedingt einen Kuß geben sollte."

"Hm, Cay. Das ist - generell betrachtet - auch durchaus korrekt. Allerdings habe ich dich darauf hingewiesen, daß ich in dich verliebt bin, und damit kannst du eigentlich davon ausgehen, daß zumindest ich dich nicht als 'flüchtige Bekanntschaft' betrachte. Abgesehen davon kenne ich dich seit über sieben Monaten - solange habe ich nämlich an dir herumgebastelt." Sie musterte ihn sinnend. 'Und das Ergebnis schlägt meine kühnsten Erwartungen um Längen', dachte sie, immer noch leicht ungläubig ob der Entwicklung, die sich da abzuzeichnen begann. Plötzlich setzte Cayvyn ein ziemlich belustigtes Lächeln auf.

"Offensichtlich kennst du mich bereits geraume Zeit. Aber immerhin bist du zur Zeit dennoch für mich eine recht flüchtige Bekanntschaft, nicht wahr?"

Acy verschlug es beinahe die Sprache, dann kicherte sie los.

"Hey! Immerhin hast du mich geküßt, n'est-ce pas?"

"Korrekt." Cay verzog leicht amüsiert das Gesicht. "Dieser Einwand entbehrt nicht einer gewissen Logik. - Du bringst schon wieder meine Haare in Unordnung", stellte er dann vorwurfsvoll fest.

"Exakt. Und zwar mit voller Absicht!"

"Gefällt dir meine Frisur nicht?"

"Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Und mach mir nicht vor, daß du nicht weißt, was ich meine..." Sie sah ihn erwartungsvoll an und fuhr in ihrer Tätigkeit fort.

Cayvyn betrachtete Alycia nachdenklich. Diese Einladung war so offenkundig wie irgendetwas... Allerdings fragte er sich ernsthaft, ob es wirklich möglich war, daß sie ihm echte Gefühle entgegenbrachte. Als er die Daten der naravinischen Adelsfamilien abgefragt hatte, hatte er sich ebenfalls über Status und Rechte künstlicher Lebensformen in der FGS und den umliegenden Sternenreichen erkundigt. Die Ergebnisse waren nicht besonders erfreulich für eine frischaktivierte künstliche Lebensform wie ihn. Einmal war es gesetzlich vorgeschrieben, daß die Fähigkeiten von Androiden in der FGS stark beschränkt werden mußten. Ferner hatten sie den Status einer Sache, eines Gegenstands! Vielleicht stellte er für Alycia nur ein hochentwickeltes Spielzeug dar?

"Nun?" Acy hielt inne.

"Ich denke nicht daran, als dein Spielzeug zu fungieren", erklärte Cayvyn unerwartet. Alycia starrte ihn schockiert und auch ziemlich verletzt an.

"Wenn du es so siehst!" Sie sprang auf und rannte aus dem Raum. Cayvyn schaute ihr verständnislos nach.

Acy stürmte wütend in ihr Zimmer und warf sich auf ihr Bett.

"Holorama ein! Explosive Symphony, 'Crumbling Universe'!" rief sie, und das entsprechende Holorama wurde aktiviert. Viele Leute bezeichneten ES als 'unerträglichen Krach', aber Alycia fand das gerade gespielte Lied im Moment einfach nur passend.

'Nun gut, dann eben nicht!' dachte sie wütend. Wenn dieses Sammelsurium aus Kunststoffen und sonstigen Materialien meinte, daß er sich zu gut für sie vorkam - bitte! Sie würde ihm jedenfalls nicht hinterherrennen! "Lauter - plus 5!" Prompt erdröhnte 'Crumbling Universe' in reichlich ohrenbetäubender Lautstärke.

Cayvyn hingegen beschloß, diese Reaktion von Alycia als 'typisch menschlich-weibliche Verhaltensform' abzulegen, und sich später einmal über deren Beweggründe zu informieren.

* * *

Gegenwart

Eniatag, der 3760/01/02 GZ.

Gerade flimmerte der Vorspann von Musikszene Interstellar über den Holorama-Schirm. Ah! Explosive Symphony waren mit ihrem neusten Live-Holo dabei. Und Astreyea... Acy legte ihre Füße auf den Schwebetisch, den sie vor ihren Sessel dirigierte. Das erste vernünftige Programm heute! Sie beschloß, sich vorerst von den wilden Synthi-Sinfonien der World Wreckers bedröhnen zu lassen, während sie ihren Kaffee schlürfte und ziemlich laut und ziemlich falsch deren neusten Nummer Eins-Hit 'Thundering Worlds' mitgrölte. Sie war so intensiv damit beschäftigt, daß sie gar nicht mitbekam, wie Cayvyn das Zimmer betrat. Als dieser seine Gefährtin hörte, verzog er gestreßt das Gesicht. Die Musik war ja im Prinzip ganz gut - solange sie nicht von Acy untermalt wurde... Sie schaffte es meisterhaft, immer genau einen halben Ton neben der eigentlichen Melodie zu liegen, was - für sich betrachtet - eigentlich auch schon wieder eine Kunst war. Nur im Zusammenspiel mit dem Original war es nicht zu ertragen.

"Hallo Karylla!" sagte er, laut genug, um 'Thundering Worlds' zu übertönen. Alycia - jetzt ja Karylla Noir - drehte sich um und sah Cayvyn sprachlos an.

Sein für die 'Sir Cayvyn'-Rolle elfenbeinerner Teint hatte einem makellosen Schneeweiß Platz gemacht, und seine Haare glänzten in strahlendem Silber, wie auch sein Coverall. Aber am meisten war Acy von seiner neuen Augenfarbe fasziniert. Anstelle von goldgesprenkeltem Grün leuchteten sie nun in dem herrlichsten Blauviolett-Ton, den Alycia sich vorstellen konnte.

"Wow!" war alles, was sie herausbrachte. Nachdem sie ihn eine Weile bewundert hatte, runzelte sie jedoch die Stirn. "Cay, ich finde dein Outfit absolut grandios - nur, meinst du nicht, daß es etwas sehr auffällig ist? Es gibt keine Rasse - weder in der FGS, noch in der DGK, noch in der Planetenallianz Tamjira, noch sonstwo - die eine solche Haar- und Hautfarbe hat. Gut, die Bewohner von Naravina und Dvaris haben metallische Haarfarben, aber deren Varianz reicht nur von Gold bis Dunkelkupfer oder Metallicschwarz - Aber richtiges Silber?!"

"Lassen wir den Leuten doch den Spaß, darüber zu rätseln, wo ich herkomme." Er schaute sie belustigt an. "Ich komme eben aus den unendlichen Weiten des Universums..."

"Hallo Infinity!" meinte Alycia lachend.

"Weißt du was? Das gefällt mir! Ich beliebe, mich fürderhin Infinity nennen zu lassen! - Sag mal, wüßtest du noch einen richtigen Namen, unter dem ich auftreten könnte? Ich habe derart viele Möglichkeiten zur Auswahl, daß mir eine Entscheidung schwerfällt..."

"Hm." Alycia überlegte angestrengt, wobei sie ihren Blick einfach nicht von Cayvyn abwenden konnte. Wenn sie nicht schon länger unsterblich in ihn verschossen wäre, hätte sie sich spätestens jetzt hoffnungslos in ihn verknallt. Sie konnte sich noch gut an den Tag entsinnen, als sie ihn aktiviert hatte... Moment, dabei fiel ihr ein, daß er doch ursprünglich 'Ryko -irgendwas- Maiell' hatte heißen sollen... Bis jetzt war ihr allerdings lediglich 'Sir Cayvyn' passend erschienen - aber nun?

"Was hältst du von 'Ryko Maiell'?" Der Mittelteil fiel ihr partout nicht mehr ein.

"Einverstanden." Er verbeugte sich galant vor ihr. "Liebwerte Demoiselle Blackfire, darf ich mich Euch vorstellen? Ryko Maiell, genannt Infinity!"

Acy erhob sich und stellte sich auf die Sitzfläche des Sessels, von wo aus sie ihn an sich zog. Ha, so war sie ausnahmsweise mal ein Stückchen größer als er. Das war ausgleichende Gerechtigkeit! Ryko-Cayvyn sah sie belustigt an, hob sie mühelos von sölbigem Sitzmöbel herunter und stellte sie direkt vor sich auf dem Boden ab, bevor er sie küßte.

'Ts', dachte Alycia. Aber Cay war schon immer etwas eigen gewesen...

Wenn sie es recht bedachte, lag es auch sehr viel an seiner manchmal ziemlich unbeugsamen Eigenwilligkeit, daß sie sich so für ihn zu interessieren begann. Obwohl - ganz zu Anfang war er ihr häufig derart auf die Nerven gegangen, daß sie mehrfach kurz davor gestanden hatte, ihn wieder zu demontieren.

* * *

Vergangenheit

Es war Ishnatag, der 49. Zameri 3756 GZ.

Am nächsten Morgen stürmte Acy in ihre Küche und orderte sich zunächst einen Kaffee bei ihrem Nahrungsmittelsynthetisizer. Während sie noch genervt auf ihrem Morgentrunk wartete, trat Cayvyn ein. Als sie ihn erblickte, fluchte Acy gedanklich. Dieser Androide entsprach so hundertprozentig genau dem Bild, das sie sich von ihrem Traum-Mann gemacht hatte!

"Hallo", sagte sie unverbindlich bis kühl.

"Gruß Euch, Mademoiselle Alycia", erwiderte Cayvyn. Acy wünschte sich, er würde sie einfach in die Arme nehmen und küssen.

"Wann wolltest du nach Naravina fliegen?" erkundigte sie sich unbeteiligt.

"Wenn du nichts dagegen hast - heute."

"Du kannst meine Raumyacht nehmen. Die Dreamsong liegt im Hangar der Villa."

"Gut."

"Normalerweise sagt man in einer solchen Situation 'Danke'", bemerkte Alycia spitz. Cay zuckte elegant mit den Schultern und meinte:

"Danke."

Acy hätte ihn am liebsten erwürgt, besann sich dann aber doch eines besseren. Wie, bei allem Schriftrollen des Schicksalsmeisters, sollte man einen Androiden erwürgen?! Es war einfach frustrierend!

"Ich werde mitkommen, falls du nichts dagegen hast", meinte sie.

"Und wenn ich etwas dagegen hätte?" fragte Cayvyn interessiert.

"Dann flieg doch dahin, wo der Pfeffer wächst!"

"Suune III/Tarishaan oder Essara V/Aldrigis?"

"Graaa...!" machte Alycia genervt. Dieser ...Typ brachte sie noch um den Verstand!

"Hat diese Lautäußerung einen semantischen Nährwert?" erkundigte sich Cayvyn in einem Tonfall, der nicht genau erkennen ließ, ob seine Frage ernst gemeint war, oder ob er sie nur aufziehen wollte. Acy war es ohnehin egal. Sie entriß dem Nahrungssynthi endlich ihren Kaffee und stapfte zum Eßsalon nebenan. Der Androide war leicht irritiert und beschloß, sich einige der Nährstoffe zu ordern, die laut seiner Datenbank für ihn notwendig waren.

Als Cayvyn das Gebräu in Empfang nahm, changierte es abenteuerlich türkis und violett. Er betrachtete das Farbspiel interessiert. Keines der 'normalen' menschlichen Nahrungsmittel hatte ein nur annähernd vergleichbares Erscheinungsbild. Offensichtlich würde er sehr aufpassen müssen, wenn er in Gesellschaft seine Nährstoffe zu sich nehmen wollte. Sicherlich konnte er auch normale Speisen verwerten, aber diese lieferten bei weitem nicht die Stoffe in der Kombination, die er benötigte. Er würde demzufolge unmäßig viel 'normale' Nahrung zu sich nehmen müssen, um seinen Bedarf an speziellen Substanzen zu decken. Da zog er doch lieber diese Art von Cocktail vor... Er nahm seinen Becher und entschloß sich, Alycia Gesellschaft zu leisten, auch wenn diese zur Zeit keine sonderlich anregende Gesprächspartnerin war. Er würde sich einmal bei ihr erkundigen, wie diese faszinierenden menschlichen 'Launen' zustande kamen.

Acy sah auf, als sich Cayvyn zu ihr setzte. Ihr Blick traf sein ...Getränk, und sie kniff mißtrauisch die Augen zusammen.

"Was soll das darstellen?"

"Dies ist ein Gemisch unterschiedlicher chemischer Substanzen, die ich benötige, um mein reibungsloses Funktionieren zu gewährleisten."

"Das Zeug sieht ja gefährlich aus!"

"Mit dieser Bemerkung hast du nicht ganz unrecht. Dieser 'Cocktail' enthält einige Chemikalien, die für dich nicht gut verträglich sein dürften."

"Das glaube ich unbesehen..." Sie musterte fasziniert das verwirrende Farbspiel der Flüssigkeit, bevor sie sich lieber ihrem Kaffee zuwandte. Sie hätte beinahe vergessen, daß sie doch immer noch wütend auf Cayvyn war...

"Möchtest du denn nach Naravina mitkommen?" wollte dieser wissen und schaute sie aus seinen grandios goldgesprenkelten, grünen Augen an.

"Sicherlich!" Es war ungerecht, niederträchtig und außerdem überaus frustrierend, daß dieser ...Typ (ihr fiel keine sinnigere Bezeichnung ein) einfach so niedlich aussah! Wie sollte frau ihm ordentlich die Leviten lesen können, wenn er sie nur so unschuldig anzublicken brauchte, damit all ihr Ärger sich in Luft auflöste?

"Kommst du dann? Ich wollte eigentlich gleich losfliegen."

"Könntest du bitte noch einen Moment warten, bis ich meinen Kaffee ausgetrunken habe? Außerdem muß ich mich noch richtig anziehen... Ich glaube nicht, daß es sich geziemen würde, wenn ich auf Naravina in so einem schlabberigen Freizeitanzug herumrenne..."

Cayvyn überlegte einen Moment, wobei er sämtliche ihm darüber zugängliche Daten abcheckte.

"Korrekt", stellte er fest. "Weißt du über die dortige aktuelle Mode Bescheid?"

"Nein, aber ich bin sicher, daß du dich ohnehin nicht davon abhalten ließest, darüber in entsprechender Weise zu referieren", seufzte Alycia. Cay grinste sie nur an.

"Ich würde vorschlagen, du gewandest dich in eine möglichst pompöse Robe im Metallic-Look. Hm, laß sehen... Was hältst du von Metallicblau?"

"Ich und eine pompöse Robe?! Du beliebst zu scherzen! Kannst du dir vorstellen, wie ich in so einem Teil aussehe?"

Cayvyn betrachtete sie nachdenklich, wobei er intern einige Simulationen durchlaufen ließ.

"Ja", sagte er dann.

Acy sah ihn nur sehr gestreßt an.

"Okay. Ich bin in einer halben Stunde fertig. - Was gedenkst du denn anzuziehen?"

"Ich dachte an einen goldfarbenen Coverall."

"Mhm."

"War das eine eher zustimmende oder eher ablehnende Äußerung?"

"Hm."

"?"

"Ähm", meinte nun Alycia auf Cayvyns doch etwas irritierten Blick hin, "ich denke, wir sollten uns langsam fertigmachen..."

"Akzeptiert", erwiderte dieser, immer noch leicht verständnislos ob der letzten Zeilen der Unterhaltung. Acy fand, daß er absolut süß aussah, wenn er so verwirrt guckte.

70 Minuten später begaben sie sich - fertig gestylt - in Alycias Raumyacht Dreamsong. Acy hatte ihre neongelbe Mähne wüst auftoupiert und trug eine fließende, lange Robe aus schimmerndem blautürkis-metallicfarbenen Stoff, während Cay sich in einen goldfarbenen Coverall mit kurzem metallicgrünen Cape gehüllt hatte.

Cayvyn sah sich fasziniert im Inneren des schnittigen, kleinen Raumers um.

"Gehe ich recht in der Annahme, daß Rosarot deine Lieblingsfarbe ist?" Er deutete auf das ebenso colorierte Plüschinterieur. Acy verzog das Gesicht.

"Garantiert nicht! Um genau zu sein - ich hasse Rosa!"

"Das verstehe ich nicht. Warum hast du diese Farbe ausgewählt, wenn du sie nicht magst?"

"Alles eine Frage des Images..." erläuterte Alycia. Cayvyn blickte sie lange und äußerst verständnislos an.

"Liegt es an einem Mangel in meiner Programmierung, daß ich nicht in der Lage bin, deinen Gedankengängen zu folgen?" wollte er dann wissen.

"Nö. Ich glaube nicht." Sie grinste ihn an. "Aber ich kann dich beruhigen, es heißt ohnehin, daß die 'Herren der Schöpfung' in der Regel nicht in der Lage sind, die Damen derselben gänzlich zu verstehen..." Sie setzte sich in den Pilotensitz und warf das Antigrav-Triebwerk an, bevor sie die Schleuse evakuierte und das Außenschott des Hangars der Villa Alycia öffnete. Elegant schwebte die Raumyacht in den Weltenraum hinaus. Unter ihnen, etwa 39000 km 'tiefer' befand sich der Planet Tarishaan und schimmerte in sanft türkis, grün, rotbraun und weiß.

Cayvyn sah interessiert zu, wie sie die Raumyacht auf Kurs brachte und checkte seine internen Speicher durch. Doch, er wußte auch, wie man solch ein Gerät bediente. Er runzelte die Stirn, als er Acys Flugstil verfolgte. Gut, sie machte nichts falsch, aber er fand, daß man das Schiff effizienter fliegen konnte.

"Alycia, dürfte ich die Steuerung übernehmen?" erkundigte er sich schließlich. Sie warf ihm einen verwunderten Blick zu.

"Warum?"

"Ich möchte deine Fähigkeiten auf diesem Gebiet nicht kritisieren..."

"Aber?" ergänzte Acy und kniff die Augen zusammen.

"Deine Navigation läßt ein wenig die Präzision vermissen..."

"Ach?! Ich bin bis jetzt immer dort hingekommen, wo ich hinwollte!"

"Das bestreite ich nicht..."

"Gut für dich. Und jetzt..."

"...aber aufgrund der von mir erwähnten Tatsache mußtest du mehrfach den Kurs korr-"

"Na und?!"

"Wenn du mich fliegen ließest, wäre ich in der Lage, den Treibstoffverbrauch zu minimieren und dabei gleichzeitig-"

"Cayvyn! - Hast du jemals einen Weltraumspaziergang ohne Schutzanzug gemacht?"

"Nein. Obwohl ich anmerken möchte, daß ein kurzfristiger Aufenthalt im Vakuum für mich relativ ungefährlich-"

"CAYVYN!"

"Aus welchem Grund läßt du mich nicht ausreden?"

Acy sah ihn unendlich genervt und resignierend an, bevor sie den Pilotensitz räumte.

"Bitte!" Cay maß sie mit einem irritierten Blick.

"Wieso hast du deine Meinung so rasch geändert? Oder ist das auch wieder eine 'menschliche Laune'?"

"Grumpf..."

Cay nahm an der Steuerung Platz und korrigierte einige Eingaben Acys. Ohne sich umzudrehen, meinte er:

"Alycia, das ist mir bereits wiederholt aufgefallen - aus welchem Grund gibst du hin und wieder undefinierbare Lautäußerungen von dir, die nicht in meinem internen Wörterbuch verzeichnet sind?"

"!"

Acy warf ihm einen mehr als nur tödlichen Blick zu und beschloß gefrusteter Weise, sich etwas zu Essen zu ordern. Am liebsten etwas Süßes oder so... Wortlos ging sie in die 'Küche' der Dreamsong und bemühte sich, den Nahrungsmittelsynthetisizer zur Produktion eines Mousse au Chocolat zu überreden. Cayvyn blickte ihr verständnislos hinterher.



Etwa eine halbe Stunde später kehrte Alycia zurück. Triumphierend hielt sie eine Schale mit rosafarbener Schokopampe in der Hand. Es sah zwar nicht ganz so aus, schmeckte aber entschieden wie Mousse au Chocolat. Gar nicht so schlecht für ein Produkt eines Nahrungssynthis von MacGalax...

"Nun?" erkundigte sie sich kurzangebunden. "Um wieviel sind wir schneller da, wenn du fliegst?"

"Eine Stunde, 46 Minuten und 72 Sekunden."

"Toll..." machte sie ironisch, während sie aber im Geheimen bewundernd überlegte, wie er das wohl machte.

"Alycia, wenn du nichts dagegen hast, möchte ich mir die Dreamsong einmal in aller Ruhe ansehen, wenn wir wieder von Naravina zurückgekehrt sind. Das Raumschiff bringt lange nicht die Leistung, die ihm möglich wäre..."

"Ach, und du bist in der Lage, daran etwas zu ändern?"

"Selbstverständlich."

"Warum frage ich überhaupt..." seufzte Acy.

Cayvyn warf ihr erneut seinen 'Das verstehe ich nicht'-Blick zu.

"In der Tat", meinte er verwundert. "Warum fragst du, wenn du nicht weißt, weshalb du eigentlich fragst?"

"Das war rhetorisch gemeint!" Sie unterstrich ihre Antwort mit einer abrupten Geste. Jeih, jetzt hätte sie beinahe ihre Schokocrème-Schale auf den Boden katapultiert. Allerdings war Cayvyn schneller gewesen und hatte das Teil aufgefangen - sogar ohne etwas zu verkleckern! Seine Bewegung war so rasch abgelaufen, daß Acy es gar nicht richtig mitbekommen hatte.

"Voici, Mademoiselle", meinte er und drückte ihr das Teil wieder in die Hand.

"Hä...?! - Äh, danke... Wie hast du denn das geschafft?"

"Meine Reflexe sind besser als die eines Menschen", sagte er lakonisch.

"Du beliebst zu untertreiben..." Alycia war immer noch ziemlich fassungslos, als Cayvyn sich vorbeugte und kritisch die rosafarbene Schokocrème inspizierte.

"Pardon, Mademoiselle, ist diese Speise aus demselben Grund rosa wie das Interieur dieses Raumgefährts?"

"Jee - nein! Ich habe einen Nahrungsmittelsynthetisizer von MacGalax!"

Jedem Normalsterblichen würde das alles sagen. Die Synthis von MacGalax waren berüchtigt. Allerdings waren diese in der Regel die Platzsparendsten aller vergleichbaren Geräte und wurden deshalb in fast alle Raumschiffe eingebaut.

"Ist das ein Grund?"

"Ja!"

"Würde es dir etwas ausmachen, mir diesen Zusammenhang zu erläutern?"

"Egal, wie man es anstellt, die Teile produzieren immer etwas anderes, als man ihnen eingibt!"

"Faszinierend. Und warum hat da noch niemand Abhilfe geschaffen?"

"Du kannst es versuchen. Wenn du das schaffst, hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt... MacGalax hat schon Hundertschaften von Technikern darangesetzt, aber sämtlichst ohne Ergebnis. Böse Zungen behaupten, das muß mit dem Namen zusammenhängen..."

"Alycia, ich kann deinem letzten Gedankengang nicht ganz folgen."

"Vergiß es!"

"Du meinst, ich soll den Kommentar aus meinen Speichern löschen?"

"Nein! - Damit meine ich, daß eine Erläuterung die Pointe termininiert."

"Was für eine Pointe?"

"Genau die..."

"?"

"Vergiß es..." Acy grinste ihn an und warf einen Blick auf den Hauptmonitor. "Wie weit ist es noch bis Naravina?"

"12.55 Parsec."

"Mhm. Also - inklusive Landung etc. etwa 6 Stunden..."

"6 Stunden 13 Minuten 89 Sekunden."

"Seufz", machte Alycia nur und sah ihn leidend an. Jetzt könnte er sie doch zur Abwechslung mal tröstend in die Arme nehmen...! Cayvyn runzelte zunächst die Stirn ob dieser Äußerung, dachte einen Augenblick nach, dann erhellte sich seine Miene. Ihm war endlich eine Lösung für sein Problem eingefallen.

"Alycia..."

"Ja?" Sie blickte ihn schmachtend an. Würde er endlich etwas unternehmen?

"Könntest du mir bitte einmal sämtliche deiner undefinierten Lautäußerungen mit Erklärung auflisten?"

Graaa! Acy musterte ihn kritisch. Sie wollte ihn schnetzeln, in siedendem Öl frittieren und anschließend durch den Wolf drehen! Obwohl... Vermutlich würden die von ihr verwendeten Gerätschaften vor Cayvyn den Geist aufgeben...

"Hmpf!" machte sie, was ihr wieder einen irritierten Blick von Cay eintrug. Alycia fragte sich ernsthaft, was sie nun die nächsten sechs Stunden anfangen sollte. Normalerweise würde sie in ihre Kabine gehen und sich ein, zwei Holoramas reinziehen - aber irgendwie hatte sie den unguten Eindruck, daß Cayvyn das nicht zulassen würde. Er käme bestimmt alle fünf Minuten hereingeplatzt und wollte etwas wissen! Nicht daß sie etwas dagegen hätte, in seiner Gesellschaft zu sein - wenn er sich doch dabei nur etwas um sie kümmern würde! Es war schon tragisch.

"Sag mal, Cay, hast du schon eine Idee, wie die ganze Angelegenheit auf Naravina ablaufen soll?"

"Ja. Ich habe größere Mengen Literatur auf entsprechende Situationen hin untersucht. Ich werde zu Lady Aylanna und Sir Yngwayn gehen und ihnen verkünden, daß ihr verlorener Sohn zurückgekehrt ist. Fürderhin werde ich ihnen mitteilen, daß ich der vollbiologischen Gemüsezucht überdrüssig geworden sei und nunmehr mein weiteres Leben als Abenteurer zu fristen gedenke..."

"Aha." Cayvyn schaute sie besorgt an.

"Gefällt dir diese Story nicht? Hältst du sie für unglaubwürdig?"

"Hm. Im Prinzip vielleicht nicht unbedingt - aber Abenteurer...?"

"Das ist meines Erachtens die sinnvollste Entschuldigung dafür, daß ich nicht vorhabe, den Rest meiner Tage auf Naravina zu verbringen."

"Mhm. Wenn du meinst..." sagte Alycia zweifelnd. "Und was soll ich eigentlich auf Naravina machen?" Irgendwie hatte sie keine Idee, warum sie überhaupt mitgeflogen war. Vermutlich einfach aus Prinzip...

"Warum wolltest du mitfliegen, wenn du nicht weißt, was du dort anfangen sollst?" wollte Cayvyn interessiert wissen. Acy durchbohrte ihn mit einem ärgerlichen Blick.

"Die Dreamsong ist immer noch mein Raumschiff, und glaube nur nicht, daß ich das Teil einfach so an jeden dahergelaufenen Freak verleihe!" Puh, war ihr doch noch eine Begründung eingefallen! Sie würde diesem ...Typen doch nicht sagen, daß sie nur deshalb mitkam, weil sie ihn ausnehmend niedlich fand. Nicht nach dem, was er ihr gestern an den Kopf geworfen hatte...

"Hältst du mich etwa für einen 'dahergelaufenen Freak'?" Cay sah sie leicht verletzt an. Acy musterte ihn von oben bis unten.

"Hm. Wenn ich es recht betrachte... Nicht ganz."

"?"

"Freak - ja, hergelaufen - nein", meinte sie grinsend.

"?!"

"Vergiß es!" Sie seufzte herzerweichend. Was sollte man - äh, frau - nur mit ihm anfangen?! Er nervte sie. Er nervte sie kolossal! Vor allem, weil sie das untrügliche Gefühl hatte, daß er sich dümmer stellte als er war. Das machte er bestimmt nur, um sie zu ärgern! Am liebsten würde sie ihn... - aber Erwürgen war immer noch nicht drin. Vielleicht hätte sie ihn doch anders konstruieren sollen.

"Hast du etwas?" erkundigte sich Cayvyn, äußerst scheinheilig, wie Acy meinte.

"Nein!"

"Dies zu hören erfreut mich ungemein."

"!" Gleich war es soweit! Wo war ihr Werkzeug? Obwohl... Wenn sie ihn so ansah - nein, sie würde es wohl doch nicht übers Herz bringen. Seufz! Noch immer fast sechs Stunden bis Naravina... Wie sollte sie das nur überstehen?

"Cay, ich werde mich jetzt in meine Kabine zurückziehen. Du überwachst den Kurs!" Das war zwar tödlich langweilig, weil man eh nichts dabei zu tun hatte, aber wenigstens hätte sie so ihre Ruhe. Hoffentlich.

"Alycia, aus welchem Grund soll ich den Kurs überwachen? Dieser ist fest programmiert, und-"

Mist, er hatte es bemerkt...

"Cayvyn, sei so lieb - tu's!"

"?" Er überlegte einen Moment, dann setzte er seine beste Schmollmiene auf. "Du willst mich also loswerden."

"Hm..." Naja, ganz so war es ja auch wieder nicht gemeint. Aber das würde sie ihm doch lieber nicht sagen. Außerdem war sie immer noch sauer, ermahnte sie sich. Also düste sie von hinnen und ließ einen schmollenden Androiden zurück.

* * *

Gegenwart

Eniatag, der 3760/01/02 GZ.

"So, Kary, was hast du jetzt vor?" wollte Ryko wissen. Unvermutet verdüsterte sich ihr Gesicht.

"Morgen werde ich das Versprechen einlösen, das ich mir vor sechzehn Jahren gegeben habe..."

"Vor sechzehn Jahren?! Das heißt, damals warst du gerade zwölf Jahre alt. - Naja, beinahe", fügte er hinzu, als er ihre hochgezogene Augenbraue sah.

"Richtig. Du kennst meinen Lebenslauf in groben Zügen - daß meine Mutter Marycia Enylla Khyshisall eine Illusionistin in den Varietés von Enaryshavell war, et cetera... Ferner sollte dir bekannt sein, daß ein Mann namens Chenary Tharulla Ondavall mich und meine Mutter fast acht Monate lang gefangenhielt, wobei er Marycia in seinen ...Harem steckte. Nachdem wir entkamen, exakt vor sechzehn Jahren, lieferte meine Mutter mich noch bei ihrer Schwester ab, bevor sie in den Alten Tempel der Dunklen Mutter der verlorenen Schriftrolle ging und den rituellen Selbstmord der Rhianna-Priesterinnen begang, da sie von einem Mann erniedrigt wurde... - Hast du jemals Daten über die Priesterkaste von Emrhiann gelesen?"

"Nein."

"Gut, ich glaube, dann muß ich dir ein paar Sachen erklären. Auf Enaryshavell gab es in der alten Zeit verschiedene PSI-Talente, die in mehreren Priesterkasten bewahrt wurden. Heutzutage sind sie fast ausgestorben. Meine Mutter war eine 'Voll-Tochter' der Rhianna-Kaste, das heißt, sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter gehörten dieser an. - Ich bin eine sogenannte 'Halb-Tochter'. - Marycia beherrschte damit auch das Talent der Rhianna-Priester, die sogenannte Teletransfer-Fähigkeit, die bedeutet, daß man Gegenstände in Sichtweite ohne Berührung zu einem anderen Ort in Sichtweite transferieren kann. Oder auch von einem Ort, den man sehr genau kennt..."

"Besitzt du diese Fähigkeit auch?"

"Ja, aber bei weitem nicht in dem Umfang wie zum Beispiel meine Mutter sie besaß... Und vor allem nur minimal ausgebildet. Eigentlich sollte ich - wie viele Mischlinge der Kaste - mit meinem 15. Lebensjahr die traditionelle Aufnahmeprüfung, den 'Test der Würdigkeit', nach dem man in die geheimen Rituale etc. der Kaste eingeweiht wird, in die Priesterschaft machen. Aber es hat sich ja anders ergeben... - Hm. Für ein paar Zaubertricks im Varieté reichte es voll und ganz aus, aber es strengt mich ziemlich an. Naja, weiter... Diese ganzen alten Priesterkasten haben einen extremen Ehrenkodex, dem sich auch meine Mutter beugte." Alycia schaute in weite Fernen, und in ihrem Blick konnte man die Fassungslosigkeit erkennen, die sie auch verspürt hatte, als Nanya Ylissa ihr erklärte, daß Marycia zur Dunklen Mutter heimging und nie wieder zurückkehren würde. Sie hatte zwar Gerüchte über den rituellen Selbstmord der Rhianna-Kaste gehört, es aber nicht glauben können, daß deren Angehörige sich in einem solchen Fall mit ihrem PSI-Talent das Herz aus dem Körper herausteletransferierten und sich so der Dunklen Mutter anheimgaben. "Und damals habe ich geschworen, daß Ondavall dafür bezahlen würde!" Sie sah Ryko mit flammenden Augen an.

"Scht", machte dieser und hielt sie einfach fest. Karylla schmiegte sich trostsuchend an ihn.

Zu jener Zeit war es auch gewesen, da sie Firestar zu ihrem Idol auserkoren hatte. Damals wußte sie noch nicht, daß er ihr Vater war. Sie bewunderte diesen unerschrockenen Vorkämpfer gegen Ungerechtigkeit und Korruption, der sich stets elegant über alle Konventionen und Gesetze hinwegsetzte.

* * *

Vergangenheit

Es war Ishnatag, der 29. Saperi 3746GZ, und gerade hatten die allgemeinen Schulferien auf dem Planeten Solse IV/Enaryshavell begonnen.

Alycia Cherylla Khyshisall befand sich in der zentralen Bibliothek von Zalecia, einer Großstadt auf Enaryshavell und fand die Idee, erst einmal wieder 5 Wochen nicht zur Schule zu müssen, überaus angenehm.

Das vierzehnjährige Mädchen stellte sich auf die Zehenspitzen, um an das oberste Regal zu kommen, wo die Kästchen mit den für sie interessanten Speicherkristallen standen. Endlich hatte sie den richtigen Behälter gefunden, dessen Etikett besagte, daß es sich um Die Wahren Geschichten über FIRESTAR handelte, den modernen Helden der Anfangsjahre des 38. Jahrhunderts in der Freien Galaktischen Sternenrepublik.

Alycia Cherylla war zutiefst beeindruckt von diesem Mann, der schon zu Lebzeiten eine Legende war und der sich stets für die Rechte der Schwachen und Unterdrückten eingesetzt hatte, auch wenn ihn das zu einem Verbrecher in den Augen des Gesetzes gemacht hatte.

Sie nahm den Speicherkristall an sich und steckte ihn in eines der Lesegeräte, die in abgeschlossenen Nischen untergebracht waren, damit sie ungestört entweder lesen oder auch eine Folienkopie ziehen konnte. Dann gab sie den Befehl ein, um einen Ausdruck zu erhalten. Sie hatte schon sämtliche anderen Werke über Firestar zu Hause stehen, und dieses war das Neuste.

Viele Geheimnisse rankten sich um Leben und Tod Tyron Stars, wie sein richtiger Name lautete. Wann er geboren war, wußte niemand, und als er im Jahre 3727GZ verschwand, waren sich alle Leute sicher, daß er nicht einfach gestorben sein konnte.

Das Mädchen wartete geduldig, bis ihr Ausdruck fertig war. 325 Seiten - Tante Ylissa würde ärgerlich werden, wenn sie schon wieder eine Solido-Kopie bezahlen durfte. Aber seit ihre Mutter sich vor fast drei Jahren das Leben nahm, weil ihr Chenary Tharulla Ondavall Gesicht und Ehre geraubt hatte, dachte Alycia nur noch daran, wie sie dieses Verbrechen rächen konnte. Wäre Firestar noch am Leben - sie wüßte genau, daß er ihr gegen Ondavall geholfen hätte. Aber auch so hatte sie sich geschworen, daß Ondavall seiner gerechten Strafe nicht entgehen würde.

Ein Blick auf die Uhr - Himmel, schon 9 Uhr 89! Dabei hatte sie ihrer Tante versprochen, pünktlich um Mittag zu Hause zu sein. Sie müßte sich beeilen, wenn sie in elf Minuten Ylissas Haus erreichen wollte.

Alycia Cherylla stellte den Kristall wieder in das Regal zurück und rannte aus der Bibliothek. Die Kosten für die Solido-Kopie würden automatisch von Nanya Ylissa Shintesalls Konto abgebucht werden. Schnell hoch zur nächsten Gleiterbus-Station - ah, Linie 44/386 kam gerade in die Wartezone eingeflogen! - und an der Station Rue Emerancia raus, dann das nächste Transportband Richtung Zalecia-Nordpark, vor der Kreuzung Anolla herunterspringen, Gleiterbus Linie 44/357 nehmen, und an der Station Rue Emavilla war sie dann praktisch zu Hause. Leider hatte die 44/357 wieder einmal über 25 Minuten Verspätung. Das würde Ärger geben.

Ihre Tante stand im Vorgarten und pflanzte ein paar neue Fearilla-Blumen ein, schlanke, fast zwei Meter hohe Gewächse mit tiefvioletten Kelchblüten.

"Alycia Cherylla!" wurde das Mädchen streng begrüßt. "Du bist eine Viertelstunde zu spät!"

"Guten Tag, Tante Ylissa. Es tut mir leid... Der Gleiterbus hatte Verspätung..."

"Komm mir nicht immer mit diesen billigen Entschuldigungen, Kind. Dann hättest du eben früher aus der Bibliothek gehen müssen."

"Es tut mir leid, Tante Ylissa..."

"Dafür hilfst du mir jetzt eben im Garten die Fearillas einsetzen. Ich habe noch ein paar Heilkräuter besorgt, die ich aussäen muß, und da wäre es mir lieb, wenn ich mich nicht auch noch um die Blumen kümmern muß."

"Ooch, Tantchen... Carmelicia Annila Eldevall wollte heute nachmittag vorbeikommen. Und wenn ich hier..."

"Keine Diskussionen, Alycia Cherylla. Wenn du dich beeilst, bist du fertig, bevor deine Freundin hier erscheint."

"Okay, Tante Ylissa..."

* * *

Sie hatte sich schon beinahe damit abgefunden, daß ihr weiteres Leben in absoluter Ödnis vonstatten gehen würde und sie niemals eine Chance bekäme, ihren Schwur einzulösen.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes...

* * *

Vergangenheit

Am 24. Vembari 3746GZ, also genau 5 Tage vor Ende der Großen Ferien, lag Alycia auf einer Schwebematte, die von einem Antigravpolster 50cm über dem Boden festgehalten wurde, im Schatten eines gewaltigen Kerassu-Baumes, der in einer Ecke des Gartens stand, als ihre Tante den Kopf aus dem Fenster steckte.

"Alycia Cherylla!"

"Ja, Tante Ylissa?"

"Kommst du bitte einmal her? Hier ist jemand, der dich sprechen möchte."

"Jemand, der mich sprechen will?" Alycia hüpfte von der Schwebematte. Sie hatte nur eine knallbunte Tunika an, und ihre taillenlangen, weißblonden Haare waren zu einem eigenwilligen ...Knoten aufgesteckt.

Barfuß und ungeachtet aller Bekleidungsnormen düste sie ins Haus.

"Hi! Da bin ich", verkündete sie fröhlich. Der Mann in dem feierlich schwarzen Anzug musterte sie indigniert.

"Du bist Alycia Cherylla Khyshisall?"

"Yep!" Ein paar riesiger, graublauer Augen strahlten dem Mann entgegen.

"Ich bin Norman Allyson, der Anwalt von Jeremy Blade..."

"Aha?" Alycia runzelte die Stirn. "Ich habe nichts getan", versicherte sie dann eiligst ihrer Tante.

"Nein, keine Sorge, Mademoiselle Alycia. Hat Ihre Mutter Ihnen von Ihrem Vater erzählt?"

"Hm. Nicht viel. Sie sagte nur, er wäre sehr nett und gutaussehend gewesen... Sie hat mir nicht einmal gesagt, wie er hieß." Alycia schob schmollend die Unterlippe vor.

"Auch wenn Sie ihn nicht kannten, Mademoiselle, obliegt mir die schmerzliche Pflicht, Sie von seinem Ableben in Kenntnis zu setzen."

"Was? Er ist tot?" Alycia sah Allyson traurig an. "Schade. Ich hätte ihn wirklich gerne einmal kennengelernt. Naja..." Sie wandte sich ab, um wieder in den Garten zu gehen.

"Mademoiselle Alycia! Warten Sie, wo wollen Sie hin?"

"Nach draußen. - Wieso? Ist noch etwas?"

"Aber Mademoiselle! Ihr Vater war sehr reich..."

"Aber jetzt ist er doch tot."

"Er hat Sie in seinem Testament bedacht."

"Und?"

Der Anwalt runzelte die Stirn. Diesem ...Wesen hatte Jeremy Blade immerhin 10% seines Vermögens und seine unschätzbare, weil in der ganzen FGS einmalige Orbitalvilla vermacht? Unbegreiflich!

"Mademoiselle Alycia, Ihr Vater hat Ihnen ein Vermögen hinterlassen!"

"Toll", meinte Acy nur. "Und wo liegt der Haken?" Sie sah den Mann mißtrauisch an.

"Es gibt keinen Haken!" Langsam wurde Norman Allyson doch etwas ungehalten. Dieses ...Balg war eine absolute Katastrophe! "Ihr Vater hat in seinem Testament bestimmt, daß Sie das Tyron Star Memorial Internat besuchen sollen, wo sie eine umfassende Ausbildung erhalten werden..."

"Und ich werde wohl gar nicht erst gefragt?!" Alycia sah ihn herausfordernd an. "Was ist, wenn ich das gar nicht will?"

"Mademoiselle Alycia..." Norman nahm seine letzten Reste Geduld & Anstand zusammen. Er hatte seine Instruktionen, und die mußte er ausführen, sonst würde er gewaltige Probleme bekommen.

"Alycia Cherylla!" sagte nun ihre Tante. "Du wirst tun, was der Mann dir sagt! - Denk dran, er meint es doch nur gut..."

"So...?" Acy überlegte einen Moment. "Na gut. Aber wenn es mir nicht gefällt, haue ich ab!"

Norman war erleichtert. Alycia würde also offenbar ohne Androhung von Gewalt mitkommen. Und um das Weitere würde sich die Internatsleiterin kümmern dürfen...



Es war Siskatag, der 41. Enuari 3747GZ, und Alycia feierte ihren 15. Geburtstag.

Am Morgen gegen 05:50 Uhr, nachdem sie wie üblich mit den anderen Internatszöglingen gefrühstückt hatte, rief Direktorin Kiyara Elldis sie zu sich. Stirnrunzelnd folgte Acy der Aufforderung. Sie war sich ausnahmsweise einmal keiner Schuld bewußt.

Im Büro der Internatsleiterin saß Norman Allyson, der Anwalt ihres Vaters. Er erhob sich höflich und machte eine knappe Verbeugung, ohne sich im mindesten anmerken zu lassen, wie sehr er ob Acys aktuellem Outfit geschockt war. Neongrün und neongelb changierende Zöpfchen, ein schneeweiß/neongelb geringeltes Minikleid mit einem bestimmt 15cm breiten, neongrünen Gürtel, sowie ebenso colorierte Strümpfe dazu... Er schluckte dezent.

(Acy hatte ein kleines Problem mit der Haarfarbe bekommen - nach einigen Malen des Durchkämmens ihrer wüsten Mähne waren aus vormals ordentlichen grünen Streifen extravagante Strähnchen geworden, die ihr ein wahrlich desaströses Coleur verliehen...)

"Ich wünsche Ihnen ein glückliches neues Lebensjahr, Mademoiselle Blade", begrüßte er sie.

"Vielen Dank, Monsieur Allyson", erwiderte Alycia freundlich und fragte sich gespannt, was der Anwalt wohl von ihr wollte.

Norman legte seinen Aktenkoffer auf dem Schreibtisch von Madame Elldis ab und tippte eine umfangreiche Codekombination in das Sensorfeld des Schlosses. Der Deckel sprang auf, und neben diversem Schreibfolien kam ein etwa 30cm x 25cm x 15cm großer, mattsilberner Kasten zum Vorschein, der einen Großteil der Aktentasche ausgefüllt hatte.

"Ihr Vater hat mich kurz vor seinem Tod darum gebeten, Ihnen das zu Ihrem nächsten Geburtstag zu überreichen. Die darin enthaltenen Materialien sind streng vertraulich. - Madame Elldis, würden Sie bitte die Freundlichkeit besitzen, Mademoiselle Blade einen Raum zuzuweisen, in dem sie sich dem Inhalt jener Kassette in aller Ruhe und ungestört widmen kann?"

"Aber - Monsieur Allyson! Das widerspricht allen Grundsätzen dieser Schule..." empörte sich die Direktorin.

"Meine Dame, ich glaube, ich muß Sie nicht darauf hinweisen, daß diese Schule vom Vater von Mademoiselle Blade gestiftet wurde..."

"Oh, äh, natürlich nicht!" machte Kiyara Elldis eingeschüchtert und beschloß, doch lieber klein beizugeben.

"Also?" Allyson sah die Direktorin gleichmütig an, während diese hurtig aufsprang, um Alycia und den Anwalt in eine entsprechende Räumlichkeit führte.

"Sie mögen sich entfernen", wies Allyson Kiyara Elldis an, nachdem er den geheimnisvollen Kasten auf den einzigen Tisch in dem Zimmer stellte. Bis auf diesen und einige Sessel war der Raum vollkommen leer, wenn man von den geschmackvollen (Acy war allerdings anderer Ansicht) Bildern an den Wänden absah.

"Aber... Ich kann Sie - einen fremden Mann! - doch nicht mit einer meiner Schülerinnen alleinlassen..." protestierte die Internatsleiterin schwach.

"Seien Sie unbesorgt, Madame, ich werde Mademoiselle Blade leglich das Password für die Cassette übergeben, und sie dann sich selbst überlassen. Haben Sie die Codekarte für das Türschloß?"

Widerstrebend übergab Madame Elldis ihm die Codekarte, bevor sie den Raum verließ. Allyson zückte ein kleines Gerät aus der Tasche und überprüfte den Raum sorgfältig. Gut. Keine etwaigen versteckten Mikrofone oder ähnliches. Er steckte den Scanner wieder ein.

"Mademoiselle Blade", wandte er sich nun an das Mädchen. "Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß der Inhalt dieser Cassette unter allen Umständen der höchsten Geheimhaltungsstufe untersteht. Sollte jemand versuchen, sie gewaltsam zu öffnen, würde der gesamte Inhalt unweigerlich zerstört. Das Password für das Schloß ist fIrES_tAr-Ts3746."

Er buchstabierte sorgfältig die korrekte Groß- und Kleinschreibung, bevor er Alycia die Schlüsselkarte für diesen Raum übergab und hinausging. Hinter ihm schloß Acy die Tür ab.

Dann betrachtete sie den mattsilbernen Kasten nachdenklich, bevor sie den Code, den ihr Norman Allyson genannt hatte, in das Sensorfeld eintippte.

Der Deckel klappte auf und entpuppte sich als Monitor, während im Unterteil ein kompaktes Lesegerät für die Dutzende von Speicherkristallen steckte, die sich säuberlich aufgereiht ebenfalls dort befanden.

Ein Kristall war als Nr.1 markiert, und Acy legte ihn sogleich in die Abtastöffnung.

Der Bildschirm wurde feuerrot, bevor ein goldstrahlender Stern in der Mitte der flammenfarbenen Fläche aufleuchtete. Alycia hielt den Atem an. Firestars Symbol! Was hatte das zu bedeuten?

Das flammende Zeichen erlosch und machte dem Konterfei eines scheinbar alterslosen Mannes Platz. Er hatte kupferfarbene Haare und ein markantes Gesicht, das von intensiven, eisblauen Augen beherrscht wurde. Im Hintergrund konnte Alycia ein extensives Arsenal an Computern und anderem technischen Gerät ausmachen.

"Ich grüße dich, meine Tochter", begann Firestar.

Acys Kinnlade klappte herunter, und sie machte ein nicht gerade intelligentes Gesicht.

Wie bitte? Okay, okay, Allyson hatte ihr vor nunmehr fast 7 Wochen eröffnet, daß sie ein Sprößling des letzthin verblichenen Jeremy Blade war, der vor geraumer Zeit ein Techtelmechtel mit ihrer Mutter gehabt hatte, dessen Resultat sie darstellte (an dieses Faktum hatte sie sich mittlerweile gewöhnt) - aber was, bitte, hieß denn nun das schon wieder? Irgendjemand mußte ihr versehentlich diese Kristalle gegeben haben, dessen war sie sich sicher.

Firestar fuhr ungerührt fort.

"Bitte erwarte von mir keine Entschuldigungen, daß ich mich nie bei dir gemeldet habe, aber das war bei meinem ohnehin überfüllten Terminkalender schlecht möglich." Sein Gesicht verzog sich zu einem ironischen Lächeln. "Nun mußtest du also bis zu meinem Tod warten, um mich kennenzulernen... Naja, tut mir leid. Vermutlich bist du jetzt etwas verwirrt, da Norman Allyson dir erzählt haben dürfte, daß Jeremy Blade dein Vater war..." Er setzte ein jungenhaftes Grinsen auf, und Alycia nickte unbewußt. "Ich verrate dir etwas, meine Tochter: beide Aussagen sind korrekt, und zwar aus dem einfachen Grund, daß Jeremy Blade und Tyron Star ein und dieselbe Person sind."

Acy tippte auf die PAUSE-Taste und ließ sich erst einmal in den nächstbesten Sessel fallen. Dieser Schuft! Von klein auf war sie bestimmt der größte Fan, den Firestar jemals gehabt hatte, und dann war er a) ihr Vater und b) hatte er sich nie bei ihr gemeldet! Das war doch wohl die niederträchtigste Gemeinheit schlechthin!

Sie schob schmollend die Unterlippe vor und ließ die Aufzeichnung weiterlaufen.

"Als du noch kleiner warst, bin ich einige Male nach Enaryshavell gekommen, um zu sehen, wie es dir und Marycia erging. Leider hatte ich nie die Muße, länger als zu einer kleinen Stippvisite zu bleiben. Deine Mutter und ich haben beschlossen, daß es besser für dich wäre, wenn du mich gar nicht als Vater kennenlernen würdest, denn wir befanden, daß ein Vater, der nur ein oder zweimal im Jahr zwei oder drei Tage da wäre, mehr schaden als nützen würde."

Firestar lächelte entschuldigend. "Jetzt habe ich mich doch noch ob meiner permanenten Abwesenheit rechtfertigt." Er zuckte mit den Achseln. "Naja, vielleicht war ich dir das doch schuldig. Jetzt wirst du sicherlich fragen wollen, warum ich nichts unternommen habe, als Chenary Ondavall dich und Marycia gefangengehalten hat... - Alycia, ich habe erst von dieser Sache erfahren, als es schon zu spät war. Und warum ich Ondavall nicht zur Rechenschaft gezogen habe...? Nun, wenn du meine Tochter bist, dann wirst du keine Ruhe haben, ehe du diese Angelegenheit nicht selbst bereinigt hast."

Firestars Blick kam mit einer derartigen Intensität über den Monitor, daß Acy glaubte, er würde ihr wahrhaftig lebendig gegenübersitzen. "Ich habe dich genaustens beobachtet, wenn ich auf deinem Heimatplaneten war, und ich fand, daß du einmal eine würdige Nachfolgerin für mich werden könntest. Falls du dich dafür entscheiden solltest - was ich, ehrlich gesagt, hoffe - habe ich dir in jenem Kästchen, das du gerade vor dir hast, eine solide Grundlage für alle künftigen Unternehmungen deinerseits hinterlassen. Die Speicherkristalle beinhalten meine kompletten Forschungsunterlagen auf den Gebieten der Computertechnologie, Transmit-Systeme, Synthomaterialien und noch einige Dinge mehr..." Er grinste breit. "Es gibt Leute, die behaupten, ich wäre überproduktiv..."

Firestar breitete die Arme aus. "Wie dem auch sei, ich habe angeordnet, daß du erst einmal eine vernünftige Ausbildung bekommst. Ich weiß, daß du ein Varieté-Kind bist und daher eine gewisse Abneigung gegen die Schule hegst, aber ich habe Percy Anderson, einen guten Freund von mir, bis auf weiteres zu deinem Vormund bestimmt, und er wird dafür Sorge tragen, daß du eine ordentliche Ausbildungsstätte besuchst. - Keine Diskussionen!"

Acy sah verdutzt auf den Monitor. Sie hatte für einen Moment beinahe vergessen, daß es sich nur um eine Aufzeichnung handelte. Offenbar hatte Firestar ihre Reaktionen exakt vorausgeahnt, sonst wäre sein Timing nicht so perfekt gewesen. Tsayée!

"Trotz deiner bislang eher unzureichenden wissenschaftlichen Ausbildung scheinst du von meinen Kindern dasjenige zu sein, das das meiste Technologie-Verständnis mitbringt. Deshalb habe ich beschlossen, dir meine Forschungsunterlagen zu vermachen. Der andere Teil meines wissenschaftlichen Erbes geht an eins deiner diversen Geschwister. - Schade, daß ich nicht mehr mit ansehen kann, was ihr aus meinem Vermächtnis macht! Es hätte mich doch interessiert, ob ihr beide euch tatsächlich so unterschiedlich entwickelt, wie ich es vermute..."

Firestar lächelte sinnend. Als er diese Aufzeichnung gemacht hatte, war er sich sicher gewesen, daß seine beiden Töchter, denen er jeweils eine Hälfte seiner technologischen Hinterlassenschaften vermacht hatte, sich in absehbarar Zeit als die härtesten Konkurrentinnen gegenüberstehen würden. Nardia, die jüngere der zwei, würde unzweifelhaft den Weg von Recht und Ordnung einschlagen. Sie würde bestimmt gut in die ISPC passen, befand Firestar. Während Alycia... Er dachte an den ungebärdigen Wildfang, der auf der Bühne akrobatische Kunststücke vollführt hatte und mit den gerade gelernten Illusionisten-Tricks hin und wieder Typen, die sie nicht mochte, die Brieftasche oder sonstige Wertgegenstände entwendet hatte. Acy würde sicherlich in seine, Firestars, Fußstapfen treten, und der Gerechtigkeit auf ihre Art&Weise zum Zuge verhelfen. Auch wenn das Gesetz dabei hin und wieder auf dar Strecke bleiben mochte...

Alycia zog eine Schnute. Firestars Vermächtnis schön und gut... Aber das hieß noch lange nicht, daß sie von diesem Internat begeistert sein mußte. Die meisten der Mädchen waren dumme Puten, und die Jungs wirkten auch nicht besser. Naja, die eine oder andere Ausnahme gab es, befand sie nach kurzer Überlegung. Sie nahm die Kiste mit Monitor, Abspielgerät und Kristallen vom Tisch, stellte das Teil auf ihren Schoß und legte nunmehr ihre Füße auf der Tischplatte ab. Ein Glück, daß die Internatsleiterin derzeit nicht dieses Zimmer betreten durfte...

Wenn Kiyara Elldis sie so erwischte, würde es höllischen Ärger geben. 'Eine vornehme junge Dame legt nicht ihre Füße auf den Tisch', hatte Elldis sie schon wiederholt heruntergeputzt. Nicht daß Alycia dies gestört hätte - nur die ganzen Strafarbeiten waren doch ziemlich nervtötend. Vor allem weil sie Übersetzungen aus dieser schon seit Urzeiten mausetoten Sprache Althochtarishana nicht ausstehen konnte...

Hm. Es wäre doch einmal ein interessantes Projekt, diesem alten Drachen diese alberne goldblonde Perücke vom Kopf zu klauen, überlegte Acy niederträchtig. Unterdessen lief die Aufzeichnung Firestars weiter.

"Meine Tochter, wenn du dich später entschließt, in meine Fußstapfen zu treten, möchte ich dich bitten, möglichst unabhängig von allen staatlichen Stellen und auch der ISPC zu arbeiten. Ich habe immer wieder erfahren müssen, daß man niemandem außer sich selbst trauen darf. Auch wenn du jemals meinen größten Traum verwirklichen solltest - die Konstruktion eines künstlichen Menschen (ich habe die Vorarbeiten bereits abgeschlossen) - möchte ich, daß du diese Sache alleine unternimmst. Wenn mir meine Krankheit etwas mehr Zeit gelassen hätte, wäre ich noch vor meinem Ableben fertig geworden. Leider gibt mir Doc Lyz nur noch ein oder zwei Wochen, und das ist doch ein wenig kurz. Naja, ich will auf meine letzten Tage nicht noch sentimental werden. Leb wohl, Alycia Cherylla."

Er hob eine Hand zu einem kurzen Gruß, bevor der Monitor wieder daß feuerrot/goldene Symbol zeigte.

Acy stellte den Kasten auf dem Boden ab und lehnte sich zurück. Das mußte sie erst einmal verdauen. Abwesend nahm sie einen ihrer ellenlangen, neongrün/gelben Zöpfe und kaute auf den Haarspitzen herum. Sie mußte nachdenken, ganz entschieden.

Oh verdammt! Firestar hatte ja so recht! Wie gerne würde sie so werden, wie er es war! Durch die FGS reisen, Abenteuer erleben, den Schwachen helfen, die Bösen bestrafen, und so weiter, und so fort... Leider hatte der Schicksalsmeister aber vor den Ruhm und Heroismus den Schweiß und die Arbeit gestellt... Sie seufzte, als sie die Speicherkristalle inspizierte. Solche ungeheuren Datenmengen, und das sollten alles Firestars Forschungsergebnisse sein? Er mußte ein echtes Genie gewesen sein! Alycia überlegte, was sie eigentlich in den letzten Jahren gelernt hatte. Nicht viel, wie sie feststellen mußte. Zugegeben, sie hatte eine klassische Balletausbildung genossen, Akrobatik-Training und konnte immerhin neben Starlingua (der allgemeinen FGS-Verkehrssprache) noch Tarishana und drei Enaryshavell-Dialekte sprechen (so lange sie diese nicht unbedingt schreiben mußte, hieß das) - aber sonst?

Hm. Es schien einiges an Arbeit auf sie zuzukommen, vor allem in Sachen Naturwissenschaften... Gut, sie konnte Hand anlegen, wenn beim Varieté etwas bei der Bühnentechnik nicht klappte, aber das war auch alles, was sie in dieser Hinsicht konnte. Seufz. Aber wenigstens machten die diversen Naturwissenschaften mehr Spaß als Geschichte oder Politik, und Acy hatte zudem das Glück, daß sie ihr äußerst leicht fielen.

Vielleicht war es doch ganz gut, daß die restlichen Internatszöglinge solche Blödhammel waren. So würde sie mehr Zeit haben, sich ums Lernen zu kümmern. Wenn sie bedachte, daß sie mit ihren Freundinnen auf der Schule, in die ihre Tante sie gesteckt hatte, in der Regel nur Unsinn angestellt und einen möglichst weiten Bogen um ernsthaftes Lernen gemacht hatte... Nun gut. Sie würde die Erwartungen, die Firestar in sie gesetzt hatte, nicht nur erfüllen, sondern übertreffen, jawohl! Warum denn auch nicht?

Alycia verstaute die Speicherkristalle wieder sicher in dem Kasten und schloß diesen sorgfältig ab. Sie würde die ersten fünf Kristalle kopieren und damit anfangen, deren Inhalte zu lernen. Die Originale würde sie besser Norman Allyson erneut zur Aufbewahrung übergeben, damit diesen auf keinen Fall etwas geschah. Vermutlich hatte Allyson zwar noch mindestens zwei weitere Sätze des Firestar-Vermächtnisses (sie schätzte Firestar zumindest so ein, daß er kein Risiko mit seinen Aufzeichnungen eingehen würde), aber sicher war nun einmal sicher. Als sie alles wieder beieinander hatte, stand sie auf und machte sich auf den Weg, um Allyson zu finden.

Dieser befand sich immer noch im Sprechzimmer der Direktorin.

"Nun, Mademoiselle Blade?" erkundigte er sich gleichmütig.

"Das Material war höchst ...interessant", stellte Alycia fest und betrachtete den Kasten nachdenklich. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, kopiere ich einen Teil der Kristalle und gebe Ihnen das hier zur weiteren Aufbewahrung zurück. Wie kann ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen?"

"Sie brauchen lediglich eine Nachricht in meiner Kanzlei zu hinterlassen. Ich werde Sie dann unverzüglich aufsuchen", entgegnete der Anwalt.

"Super! - Wenn Sie einen Moment warten würden..." Ohne auf Madame Elldis' empörte Miene zu achten, stürmte Acy aus dem Raum und in ihr Zimmer, wo sie ein paar Speicherkristalle hervorkramte und rasch die Firestar-Daten darauf übertrug.

Sorgfältig beschriftete sie die Teile mit "Althochtarishana-Aufbaukurs 1-5". An sowas würde sich bestimmt niemand vergreifen... Und da sie solcherart Speicherkristalle ohnehin nie freiwillig in ihrem Besitz hätte, war auch die Gefahr einer zufälligen Verwechslung ausgeschlossen. Anschließend übergab sie das Firestar-Material Norman Allyson, welcher das Abspielgerät und die Kristalle wieder sicher in seinem Aktenkoffer verstaute.

Kiyara Elldis schaute nur verständnislos von Allyson zu Acy und zurück, als sich der Anwalt auch schon erhob und sich von ihr verabschiedete.

Ohne irgendeine Andeutung zu machen, was sie da Geheimnisvolles erhalten hatte, winkte Alycia der Direktorin kurz zu und huschte lautlos aus dem Sprechzimmer. Ts, jetzt hatte sie doch glatt Mathe und Tarishana verpaßt. Sie meditierte kurz darüber, ob sie noch Planetologie blau machen sollte, entschied sich aber dagegen. Sie sollte ihr Fehlstundenkontingent lieber für AHT (Althochtarishana) und Geschi aufheben...

Außerdem war Monsieur deCelmar halbwegs zu ertragen, im Gegensatz zu Mme.Isildera oder M.Rudyardo...

* * *

Gegenwart

Eniatag, der 3760/01/02 GZ.

"Kary, hast du einen Plan?" Ryko hielt sie immer noch in den Armen. Sie runzelte die Stirn und dachte kurz nach, bevor sie langsam zu sprechen begann.

"Hm... Alle Nachforschungen, die ich zum Thema Chenary Tharulla Ondavall gemacht habe, ergaben, daß ihm überhaupt nichts etwas bedeutet - außer seinem Geld... Er ist ein wohlhabender Bankier, und ich weiß, daß er sein Privatvermögen in einer seiner Banken deponiert hat. Dazu gehören unter anderem eine umfangreiche Edelstein- und Schmuckkollektion, als auch Unmengen von Wertpapieren. Ich glaube, das Schlimmste, was ihm passieren könnte, wäre, wenn wir ihm das ganze Zeug klauen und danach zusätzlich der Versicherung zustecken, daß Ondavall auf einen Versicherungsbetrug aus war... Beweise dafür lassen sich sicherlich herstellen..."

"Das ist kein Problem", eröffnete Ryko. "Ich werde ein wenig Ondavalls Korrespondenzen mit seinen Vertrauensleuten fälschen. Ich garantiere dir, daß Ondavall selbst die Schriftstücke als seine identifizieren wird... Ich brauche lediglich einige Vorlagen - beliebige Schriftstücke, die er verfaßt hat. Aber das sollte ebenfalls eine lösbare Aufgabe sein."

"Ay, du bist perfekt!" Karylla sah bewundernd zu ihm hoch. Sie war begeistert. Cayvyns - äh, Rykos - Möglichkeiten schienen schier unerschöpflich zu sein.

Ihre Gedanken schweiften wieder vier Jahre zurück... Damals hatte sie sich erst mit ihm zusammenraufen müssen - aber es hatte sich mehr als gelohnt, mußte sie im Nachhinein zugeben.

* * *

Vergangenheit

Es war Ishnatag, der 49. Zameri 3756GZ - Fünf Stunden und 29 Minuten später...

Acy kam in die Kommandozentrale der Dreamsong und fand Cayvyn exakt so vor, wie sie ihn verlassen hatte. Er saß am Leitstand des Raumers und betrachtete unbewegt die Kontrollen.

"Hi!"

"Seid mir begrüßt, Mylady Alycia", meinte er kühl.

"?" Was wollte er damit sagen? Es hatte etwas zu bedeuten, dessen war sie sich sicher. Könnte es sein, daß sie ihn wirklich verärgert hatte? Faszinierend.

"Na, wo sind wir?"

"In deiner Raumyacht", kam es kurzangebunden zurück. Offensichtlich war er verärgert. Aber das war noch lange kein Grund, sie so zu behandeln, fand Acy und kniff die Augen zusammen. Dann eben auf die harte Tour...

"Schiffsposition?"

"Welches Koordinatensystem?" kam es zurück.

"Galakta-Koordinaten!" So stur wie der war sie schon allemal.

"[x334 - y257 - z283] - t 3756.0 - [176 Grad - 555 Grad - v 45 km/sec] GK."

(Galakta-Koordinaten funktionieren folgendermaßen: Das erste Tripel gibt einen Ortsvektor in Bezug auf den Nullpunkt des Koordinatensystems an (dieser liegt bei der Sonne Suune), die Datumsangabe ist die Bezugszeit, und das zweite Tripel gibt den Richtungsvektor mit Geschwindigkeit an.)

Dies sagte Acy zwar rein gar nichts, aber das würde sie Cayvyn gegenüber niemals zugeben.

"Danke. - ETA?"

"13 Minuten 48 Sekunden bis Orbit Naravina, 47 Minuten 69 Sekunden bis Landung auf Sdayinisa-Laylynn-Spaceport."

"Mhm."

Die folgenden Minuten vergingen in eisigem Schweigen. Plötzlich ertönte eine Stimme über Funk.

"Raumüberwachung Allirion IV/Naravina-Orbit 27. Ich rufe das anfliegende Schiff auf Kurs [x378 - y189 - z889] - t 3756/03/49; 15:31 - [478 Grad - 833 Grad - v 9755 km/sec] GK. Bitte meldet Euch."

"Das sind wir", bemerkte Cayvyn, ohne einen Blick auf die Anzeigen zu werfen. Er tippte auf die Sensortasten, die die Funkanlage aktivierten. "Raumyacht FGS-PR 17 334/279 - 38/01 Dreamsong von Suune III/Tarishaan erbittet Landeerlaubnis für Sdayinisa-Laylynn-Spaceport."

Eine Zeitlang tat sich gar nichts. Alycia sah genervt gen Decke. Jetzt würden die Typen ihre Angaben überprüfen etc. bis sie zufrieden waren. Endlich meldete sich die RÜ Naravina-Orbit 27 wieder.

"Verstanden, Raumyacht FGS-PR 17 334/279 - 38/01 Dreamsong, Landeerlaubnis erteilt. Anflugkoordinaten folgen im Anschluß an die Übertragung. Guten Flug und Ende."

"Danke, RÜ Naravina-Orbit und Ende." Cayvyn wartete, bis die Anflugkoordinaten übertragen waren, dann unterbrach er die Verbindung.

* * *

Kurz darauf setzte die Dreamsong auf dem Landefeld auf. Cay orderte ein Fahrzeug, das sie vom Raumhafen zum Gut seiner erwählten 'Eltern' bringen sollte. Wenige Minuten später hielt eine Art 'Kutsche' vor der Sternenyacht. Alycia betrachtete das eigentümliche Gefährt fasziniert. Bislang hatte sie so etwas nur in Holoramas und den Schul-Computertapes gesehen! Die Robo-Droschke schwebte auf Antigravpolstern etwa 30cm über dem Boden und wurde von einer Art robotischem ...Drachen gezogen. Das Zugtier hatte einen goldenen Schuppenpanzer und spie tatsächlich sogar orangefarbenen Qualm aus, wobei es unruhig hin und hertänzelte.

"Damit sollen wir ...fahren - äh, fliegen - oder was?" meinte Acy irritiert.

"Es wäre sicherlich nicht angemessen, wenn wir zu Fuß erschienen."

"Hm-hm", brummelte Alycia. Zu Fuß wäre sie garantiert nicht mitgekommen! Dann schon lieber so ein Teil... "Also los", bestimmte sie und schwang sich aus der Raumyacht. Nachdem auch Cayvyn auf dem Landefeld stand, verriegelte sie die Dreamsong mit ihrem Codegeber und wandte sich anschließend dem eigentümlichen ...Gefährt zu.

"Und wie kommt man da rauf?" In der metallicgrünen Wandung der 'Kutsche' war keine Tür oder eine ähnliche Einstiegsmöglichkeit zu erkennen.

"Klettern", schlug Cayvyn niederträchtig vor. Acy warf ihm den mittlerweile obligatorischen tödlichen Blick zu.

"Gut. Du zuerst!" befahl sie. Cay beschloß, doch lieber die korrekte Prozedur anzuwenden. In erstklassigem Naysyny sagte er:

"Öffnet die Tür, edler Drache!"

Alycia, deren Naysyny ebenfalls nahezu perfekt war (Sir Parshayn, ihr Naysyny-Lehrer im Internat, war einfach zu niedlich gewesen, um ihn zu enttäuschen...), verschluckte sich beinahe vor unterdrücktem Kichern, aber die Kutsche leistete Cayvyns Aufforderung unverzüglich Folge, und dieser machte eine galante Geste, woraufhin Acy das Fahrzeug betrat. Cay folgte ihr und wies die Robo-Droschke an, sich auf den Weg zu dem südlichen Landgütern Ayryanas aufzumachen.

Das ungewöhnliche Gefährt erhob sich in die Lüfte. Acy betrachtete höchstgradig fasziniert, wie der Drache seine güldenen Schwingen ausbreitete und seinen Anhänger durch den grünen Himmel von Naravina zog. Man spürte keinerlei Fahrtwind, was darauf hindeutete, daß die scheinbar offene Kutsche von einem unsichtbaren Energiefeld überdacht war.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde Flug kam ein schneeweiß/kupferfarbenes Gebäude in Sicht, das in etwa wie eine Kreuzung aus Märchenschloß und Ritterburg aussah. Auf den Spitzen der kupfergedeckten Türme wehten weiße Fahnen, auf denen ein kupfer/violettes Wappen prangte. Rund um das prunkvolle Gebäude erstreckte sich ein sorgsam angelegter Park, in dem sich dunkelgrüne Wiesen mit leuchtend bunten Blumenbeeten und verspielten Springbrunnen abwechselten. Auch einen kleinen See mit kristallklarem smaragdfarbenen Wasser sahen Acy und Cayvyn, als die Robo-Droschke zur Landung auf dem etwas abgelegenen Gleiter-Parkplatz ansetzte.

"Das glaube ich einfach nicht", rief Alycia ungläubig aus. "Soviel Kitsch auf einen Haufen - das kann doch einfach nicht wahr sein..."

"Sind die menschlichen Sinne so unzuverlässig, daß es zu einer Glaubensfrage wird, was man von deren Daten zu halten hat?" Acy verdrehte die Augen.

"Ha ha!"

"Mylady, unser Gefährt ist gelandet - wenn Ihr mich nun begleiten wollt?" Er ging zur Tür und machte eine theatralische Geste. Acy murmelte etwas Unverständliches, bevor sie ihm zuckersüß zulächelte.

"Aber mit dem größten Vergnügen, mein Lieber!"

Sie stieg nach Cayvyn aus der Robo-Droschke und ergriff seinen überaus galant dargebotenen Arm.

"Es deucht mir sinnvoll, wenn ich die Aktion übernehmen würde", bemerkte Cayvyn hoheitsvoll. Acy hätte ihn am liebsten erdolcht.

"Aber natürlich, mein Teuerster!" Cay bedachte sie mit einem derart umwerfenden Lächeln, daß Alycia fürchtete, hier und auf der Stelle dahinzuschmelzen. Sie rang sich zu einer frostigen Miene durch und meinte:

"Gehen wir, Sir Cayvyn."

Sie schritten über den goldfarbenen Weg zu dem monumentalen Portal. Die späte Nachmittagssonne zauberte regenbogenfarbene Reflexe in die kristallenen Säulen zu beiden Seiten des Tors. Alycia wandte sich erschüttert ab. Cay schaute sie amüsiert an und faßte sie sanft an den Schultern.

"Kommt schon, Mylady Alycia. Ihr habt die Ehre, alsbald meinen 'Eltern' vorgestellt zu werden..."

Acy funkelte ihn halb belustigt, halb ärgerlich an. Sie war sich sicher, daß er die weiteren Implikationen seiner Äußerung sehr wohl kannte. Nebenbei, was fiel ihm überhaupt ein, sie so festzuhalten? Sie drehte sich elegant aus seinem Griff und deutete dezent auf den Eingang. Cay legte seine Hand auf die Sensorplatte. Natürlich war sein Abdruck nicht programmiert, was ihn aber nicht daran hinderte, das wahrlich mehr als triviale Erkennungsprogramm zum Öffnen der Tür zu bewegen. Wozu waren in seinen Händen auch die verschiedensten Sensoren und Codegeneratoren für solche und ähnliche Fälle untergebracht? Acy musterte ihn bewundernd. Sie wußte zwar, was sie ihm an Features eingebaut hatte, aber dies live in Aktion zu sehen, war etwas ganz anderes.

Cayvyn geleitete sie in die mehr als nur prunkvolle Empfangshalle.

"Ayée, und ich habe geglaubt, das ...Schloß sähe nur von außen kitschig aus", murmelte Alycia. Ein Butler näherte sich den beiden mit gemessenen Schritten. Er schien zwar etwas verwundert ob des Eindringens zweier Fremdlinge in die geheiligten Hallen des Burgschlosses zu Süd-Ayryana, ließ sich seine Irritation aber kaum anmerken.

"Wen darf ich Ihrer Hoheit Duchesse Aylanna melden?" Acy sah den Butler sehr mißtrauisch an, während Cayvyn keine Miene verzog. Hoheit?!

"Sir Lanamir-munima-Cayvyn, Sohn von Lady Aylanna und Sir Yngwayn, nebst meiner Gefährtin" - dies hatte einen neuerlichen mörderischen Blick von Acy zur Folge - "Lady Alycia Cherylla."

(Lanamir-munima-Cayvyn - Diese Bezeichnung besagt, daß der Betreffende einen neuen Namen angenommen hat. Übersetzt hieße es in etwa 'Sir Cayvyn, ehemals genannt Lanamir'.)

"Sir Lanam- äh, Cayvyn!" rief der Butler, nun doch ziemlich fassungslos. "Ihr weilt nicht mehr auf Ingarion?"

"Nein, wie Ihr seht - ich bin nunmehr zurückgekehrt..."

'Tolle Antwort', dachte Alycia. Den Butler schien das nicht im mindesten zu stören. Er verneigte sich vor der jungen Frau.

"Wenn Ihr es wahrlich geschafft habt, den Erben des Herzogtums von Süd-Ayryana zur Rückkehr zu bewegen, werden Euch Lady Aylanna und Sir Yngwayn zu großem Dank verpflichtet sein..."

Acy starrte zunächst den Butler, dann Cayvyn schockiert an. Das 'Wie bitte?!' schluckte sie noch gerade herunter. War Cay denn völlig übergeschnappt gewesen, sich einen solchen Background auszusuchen? Als sie ihn verstohlen beobachtete, guckte er betont unschuldig. Er hatte es nicht nur gewußt, es schien ihm auch noch Spaß zu machen.

"Jaymys!" erschallte plötzlich eine weibliche Stimme über die hausinterne Comanlage. Der Butler eilte sogleich zu einem Companeel, das in desaktiviertem Zustand durch nichts von einem normalen mit Reliefs und kristallenen Ornamenten geschmückten Spiegel zu unterscheiden war.

"Ihr wünscht, Eure Hoheit?"

"Der Hauscomputer hat gemeldet, daß wir Gäste haben. Wollt Ihr sie mir nicht allmählich vorstellen?"

"Oh, verzeiht, Eure Hoheit... Mir ward eine solch überraschende Neuigkeit zuteil..."

"Jaymys, Ihr enttäuscht mich. Keine Nachricht, und mag sie noch so weltbewegend sein, sollte imstande sein, Euch zu solch ärgerlichen Säumnissen zu verleiten. Geleitet die Gäste zu mir in den Salon!"

"Sehr wohl, Eure Hoheit." Jaymys bedeutete Cayvyn und Alycia, ihm zu folgen. Acy wußte nicht so recht, was sie von der ganzen Angelegenheit zu halten hatte und hakte sich bei Cayvyn ein, als dieser zielstrebig dem Butler folgte. Sie kamen an eine gut 4 Meter hohe Tür, die schwungvoll vor ihnen aufging. Jaymys postierte sich neben einem Türflügel und verkündete:

"Sir Lanamir-munima-Cayvyn, sowie seine Gefährtin Lady Alycia Cherylla."

Lady Aylanna sah milde erstaunt von der Holorama-Projektion ihres momentanen Lieblingsromans 'Romanze unter den Wassern' von der vor zwei Jahren wie ein Komet am Schriftstellerhimmel aufgestiegenen jungen Erfolgsautorin Nardia Blade auf.

"Ich grüße dich, mein Sohn. Geruhtest du doch noch, wieder nach Hause zurückzukehren. Was ist der Grund für deine Aufgabe der ...Bio-Gärtnerei auf Ingarion?" Sie hob erwartungsvoll eine Augenbraue, bevor sie mit einer Handbewegung die Holorama-Projektion abschaltete. Nun konnte Alycia sie etwas eingehender betrachten. Die Schriftflächen in der Luft hatten ihre Sicht doch etwas behindert.

Duchesse Aylanna der südlichen Landgüter von Ayryana und Prinzessin 6. Grades der östlichen Landgüter des Sdayinisischen Kontinents von Naravina war eine schlanke, hochgewachsene Frau etwa Mitte 40, wie Acy schätzte. Als Lady Aylanna sich erhob, um ihre Gäste zu begrüßen, stellte Alycia fest, daß die Herzogin sie bestimmt um einen halben Kopf überragte. Ts, typisch Naravina-Bewohner! Diese waren allesamt ausgesprochen lang, was zum Teil durch die um etwa 25% geringere Schwerebeschleunigung (im Vergleich zu Tarishaan!) an der Oberfläche des Planeten erklärt werden konnte. Duchesse Aylanna trug ihr strahlend goldenes Haar zu einer komplizierten Flechtfrisur aufgetürmt, und ihre offensichtliche Freizeitrobe war pompöser als die Gewänder, die auf Tarishaan auf einem Gala-Ball vorgeführt wurden. Alles in allem wirkte sie vom Kopf bis zu den Zehenspitzen wie der Prototyp fürstlicher Eleganz und Würde.

"Auch ich grüße Euch, meine Mutter." Cayvyn schien sich bis ins letzte Detail mit der naravinischen Etikette vertraut gemacht zu haben. Er verneigte sich stilvoll, was ihm einen etwas irritierten Blick von Acy eintrug. "In der Zeit, da ich auf Ingarion mein Leben der vollbiologischen Gärtnerei widmete, habe ich erkannt, daß dies doch nicht die Bestimmung des Erben dieses hochherrschaftlichen Hauses sein könnte. So beschloß ich, zunächst Euch meine Aufwartung zu machen und fürderhin mein Leben als Abenteurer zu fristen."

"Das deucht mir sehr aufmerksam, mein Sohn. Ich habe dir ja schon immer gesagt, daß du dich dereinst zu Tode langweilen würdest, wenn du unentwegt nur dem Gartenbau fröntest."

"Im Nachhinein betrachtet muß ich Euch recht geben, meine Mutter", erwiderte Cayvyn gekonnt zerknirscht. Er machte ein kurze Pause, dann sah er zunächst Alycia und dann Aylanna an. "Außerdem wollte ich Euch meine Gefährtin Alycia Cherylla Blade vorstellen..."

"Sehr angenehm, Mademoiselle", sagte die Herzogin. "Habe ich es Euch zu verdanken, daß mein Sohn sich diese Öko-Flausen aus dem Kopf geschlagen hat?"

'Wir sprechen uns noch, Cay', dachte Alycia ziemlich ungehalten. Sie setzte ein etwas schiefes Grinsen auf. "So könnte man es formulieren, Eure Hoheit..." Ihr behagte diese ganze Angelegenheit überhaupt nicht.

"Dann möchte ich Euch an dieser Stelle gar herzlich danken, meine Liebe", meinte Lady Aylanna huldvoll. "Wie lange gedenkt ihr zu bleiben, meine Kinder?"

Acy ließ eine steile Falte auf ihrer Stirn entstehen. 'Meine Kinder'?! Die Lady wollte sie wohl mit ihrem Möchtegern-Sohn verkuppeln, oder wie?

"Einige Tage, meine Mutter", entgegnete Cayvyn kurzerhand. 'Tsayée', dachte Acy ärgerlich. 'Was maßt der Kerl sich an, über meinen Kopf hinweg zu entscheiden?'

"Das freut mich, mein Sohn. Ich lasse euch ein Gemach herrichten."

Graaaa! Acy hatte es geahnt. Sie hätte gleich protestieren sollen, als Cay sie so einfach als 'seine Gefährtin' deklarierte. Aber jetzt war sie verraten und verkauft - vor allem, wenn sie sich vorstellte, daß sie die nächsten Tage so mit ihm zusammen verbringen mußte. Hm. Entweder, sie hätte ihn am Ende dieser Zeit demontiert - oder er wäre ihr Gefährte...

* * *

Jaymys führte sie in eine prunkvolle Zimmerflucht.

"Ihr mögt Euch ein wenig frisch machen und gegebenfalls die Garderobe wechseln. Um 16 Uhr gedenkt Duchesse Aylanna ihr Abendmahl zu sich zu nehmen, und Ihr seid geladen, dem beizuwohnen."

Gemessenen Schrittes verließ der Butler die Räumlichkeit und überließ Cayvyn und Alycia ihrem Schicksal.

Acy funkelte Cay wütend an und baute sich vor ihm auf, völlig ungeachtet der Tatsache, daß dieser sie um immerhin 20cm überragte. Leicht irritiert wich er zurück, offenbar war Alycia momentan zu allem fähig...

"Cayvyn, mein Herzchen, was hast du dir eigentlich dabei gedacht?" schnurrte Acy gefährlich leise. 'Ein Königreich für einen Strahlschneider!' dachte sie verärgert. 'Anders werde ich es nie schaffen, ihn zu zerlegen...'

"Wobei?" fragte er gekonnt unschuldig und stieß rückwärts gegen die Bettkante, woraufhin er eher indezent auf sölbiges plumpste.

"Arr, bei allem! Wie kannst du dich zum Erben eines Herzogtums machen? Was fällt dir ein, mich als deine Gefährtin auszugeben - und überhaupt!"

"Zu Punkt 1: Trivialerweise, wie du bemerkt haben dürftest, und zu Punkt 2: Du erwähntest doch anfangs, daß du für deine geplanten Unternehmungen einen Partner haben wolltest. Sind diese Begriffe 'Partner' und 'Gefährte' nicht synonym?"

Acy musterte ihn prüfend. Hm... Sie hatte den unbestimmten Verdacht, daß es kein Versehen von ihm gewesen war. Ganz bestimmt nicht! Schließlich wußte sie, daß in seinen Datenbanken ganz besonderer Wert auf die korrekte Darstellung solcher und ähnlicher Begriffe gelegt wurde, damit er solche Fauxpas vermeiden konnte! Hm. Vermeiden können sollte...

"Nein, mein Lieber, sie sind nicht synonym!"

"In der Tat?" Er sah sie aus seinen grüngolden schimmernden Augen an, und Alycia wurde es ganz anders.

"In der Tat." Sie wandte sich hocherhobenen Kopfes von ihm ab und suchte das Bad auf, um sich etwas frischzumachen, wie Jaymys vorgeschlagen hatte.

Allerdings erwischte sie zunächst eine falsche Tür, die geradewegs in einen gigantischen begehbaren Kleiderschrank führte. Dort hingen prunkvollen Roben aller Arten und Größen, wie Acy nach kurzer Inspektion feststellte. Offenbar waren diese für den Komfort der diversen Gäste hier gedacht. Hm. Warum nicht? Sie suchte sich ein hochgeschlossenes, metallisch schwarzes Kleid heraus, das über und über mit metallicblauen Stickereien bedeckt war und an beiden Seiten einen gewagten Schlitz bis fast zur Hüfte hin hatte.

Im zweiten Anlauf fand sie das Bad. Dieses war ebenso verschwenderisch gestaltet wie der Rest des Gebäudes, dunkelblaugrauer Marmor, schillernder Kristall und Silber wechselten sich in der Einrichtung ab. In der Marmordecke war ein kaum sichtbarer Holoprojektor eingelassen, bemerkte Alycia fasziniert. Als sie sich dem kleinen Swimmingpool (es sollte wohl eine Badewanne sein, aber Acy war sich da nicht ganz sicher) näherte, löste sie einen Kontakt aus, und eine einschmeichelnde Stimme fragte:

"Ihr wünscht zu Baden, edler Gast?"

"Ähm, ja", erwiderte Acy stirnrunzelnd und hoffte, daß es ein Computerprogramm war. Die Idee, sogar im Bad von sonstigen dienstbaren Geistern belagert zu werden, mißfiel ihr nämlich außerordentlich.

"Welche Wassertemperatur wäre Euch angenehm?"

"Hups... Bei welcher Temperatur bade ich immer?" überlegte Acy halblaut. "Wie wäre es mit 39 Grad C?"

"Ihr wünscht auf 39 Grad C angewärmtes Wasser? Es soll geschehen!" Aus versteckten Düsen sprudelte klares Wasser in das riesige Becken. "Mit welchen Badeölen darf ich den edlen Gast verwöhnen?"

"Ojee..." Acy überlegte angestrengt, bevor sie sich zu Khymella-Öl durchrang. Dies war das ätherische Öl eines auf Enaryshavell ansässigen Baumes und gehörte zu ihren Lieblingsduftnoten (man stelle sich eine Mischung aus Zimt, Vanille und Moschus vor, wobei Vanille leicht überwiegt).

"Es ist gerichtet!" ertönte die Stimme erneut. "Ich wünsche Euch ein erquickendes Bad, edler Gast!"

Alycia entledigte sich ihrer Textilien und tauchte in die Fluten. Hm. Irgendetwas fehlte ihr noch.

"Huhu?!" machte sie zaghaft, in der Hoffnung daß sich der unsichtbare dienstbare Geist noch einmal meldete.

"Habt Ihr noch ein Begehr, edler Gast?"

"Ja! Wie wäre es, wenn ich noch etwas Schaumbad oder so bekäme?! Aber mit viel Schaum!"

"Es soll geschehen!" Prompt sprudelte massenhaft schneeweißer, duftender Badeschaum in das ...Planschbecken. Alycia war begeistert. Nachdenklich spähte sie gen Tür. Eigentlich hätte sie nichts dagegen, wenn Cayvyn sich zu ihr gesellte...

"Cayvyn?" rief sie halblaut.

"Ja?" tönte es zurück.

"Kommst du bitte mal?"

Prompt steckte Cay seinen Kopf durch die Tür und hob amüsiert die Augenbrauen, als er Berge von Schaum erblickte und irgendwo mittendrin Alycia.

"Ihr wünscht, Mylady Alycia?" Die Antwort war eine gehörige Ladung Wasser und weiße Flöckchen, die ihn mittschiffs erwischte und von Kopf bis Fuß durchnäßte. Cayvyn sah Acy höchst irritiert an. "Was sollte denn das bedeuten?"

"Ein taktischer Erstschlag", meinte sie grinsend und sah ihn kokett an. "Jetzt hast du zwei Möglichkeiten. Zum Ersten einen taktischen Rückzug, von dem ich dir aber abrate, weil du sonst Ehre und Gesicht verlierst, und zum Zweiten einen Gegenschlag... Nun, was ist? Naß bist du eh - also komm schon! - Abgesehen davon bestehst du darauf, daß ich deine 'Gefährtin' bin..."

"Dieser Argumentation kann ich mich schwerlich entziehen", bemerkte Cayvyn und befreite sich von seinen triefenden Klamotten, bevor er ebenfalls in die Riesenbadewanne stieg. Alycia konnte ihren Blick einfach nicht von diesem perfekten männlichen Wesen abwenden. Seufz. Er sah aus wie eine enaryshanische Götterstatue in Marmor und Kupfer... Gelobt seien die vielen Kunststunden bei M. Nidhil und M. O'Connar.

"Und nun?" wollte Cay belustigt wissen.

"Du bist total unromantisch", beschwerte sich Alycia genervt. "Da gebe ich mir die größte Mühe, eine geeignete Gelegenheit zu schaffen, dich kunstvoll zu verführen, und alles, was du dazu zu sagen hast, ist 'Und nun?'!"

"Ts ts", machte Cay grinsend. "Was wäre, wenn ich nicht die Absicht hätte, mich verführen zu lassen?"

"Warum bist du dann überhaupt hergekommen?" erkundigte sich Acy schmollend. Cayvyn schenkte ihr ein hinreißendes Lächeln, bevor er sie mit einer blitzschnellen Bewegung aus dem Wasser fischte und überaus sanft in seine Arme zog. Alycia starrte ihn äußerst verblüfft an und beschloß, die Gunst der Situation zu nutzen, indem sie sich dezent an ihn schmiegte. Mh... Er fühlte sich sehr interessant an.

"In meiner Programmierung sind derzeit 87 verschiedene Methoden zur Annäherung an weibliche Wesen implementiert, und ich gedenke, mich zu Testzwecken einer derselben zu bedienen."

"Wie bitte? Zu Testzwecken?" In der nächsten Sekunde kassierte Cayvyn eine schallende Ohrfeige ein und sah Acy verdutzt an. "Laß mich sofort los!" fauchte sie ihn an. Leicht irritiert tat er, wie ihm geheißen.

"Moment, Alycia - ich verstehe nicht ganz", begann er. "Du hast mich hier hergerufen, um mich zu verführen und erwartest, daß ich dieses Spielchen mitmache. Aber wenn ich die Initiative ergreife, schlägst du mich. Warum?"

"Ich denke nicht daran, mich zu 'Testzwecken' mit dir einzulassen!"

"Aber es ist effektiv eine Tatsache, daß diese meiner Funktionen bislang ungetestet sind", machte Cayvyn sie verwundert aufmerksam.

Acy beschloß, dieses Thema vorerst ad acta zu legen und kletterte leicht gefrustet aus der Wanne. Prompt war sie in einen angenehm temperierten Luftstrom gehüllt, der sie im Nu trocknete. Anschließend warf sie sich in die metallicschwarze Robe, die sie in dem Kleiderschrank entdeckt hatte. Cayvyn sah ihr interessiert zu, bevor er seinerseits aus den Fluten stieg.

"Und was bitte soll ich jetzt anziehen? Mein Overall ist durch deine Herumspritzerei ruiniert", bemerkte er verweisend, während er sich ebenfalls von dem Luftstrom trocknen ließ.

Acy musterte ihn kichernd und ziemlich eingehend.

"Also, ich finde dich so eigentlich anziehend genug..." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuß auf die Nase. "Aber du solltest auch einmal in diesem Schrank nachsehen. Da ist bestimmt auch für dich etwas Passendes dabei."

Ein paar Minuten später steckte Cayvyn in einem tiefgrünen Coverall mit Metallic-Effekt - ein wenig zu Acys Bedauern.

"Cay..." Alycia trat zu ihm heran und strich ihm zärtlich über die Wange. "Das mit der Ohrfeige tut mir leid."

"Ich hoffe nur, das wird nicht zur Gewohnheit", bemerkte Cayvyn belustigt.

"Was? - Das?" Sie schlang ihm die Arme um die Mitte und kuschelte sich hingebungsvoll an ihn. Mh, er duftete nach dem Khymella-Öl! Nach kurzer Überlegung beschloß Cayvyn, daß diese Frage wohl keiner verbalen Erwiderung bedurfte. Er zuckte kurz mit den Achseln, bevor er befand, daß es wohl die sinnvollste Aktion wäre, wenn er nun seinerseits die Arme um sie legte. Fast zu seinem Erstaunen setzte es diesmal keine Ohrfeige.

"Sag mal Cay, meinst du immer noch, daß ich nur vorhabe, dich als 'Spielzeug' zu gebrauchen?" Alycia setzte eine leichte Schmollmiene auf. Diese Unterstellung hatte sie gar nicht nett gefunden.

"Hm. Naja..." Offenbar begann er langsam, auch die Lautäußerungen ohne exakten semantischen Nährwert zu begreifen, überlegte Acy belustigt.

"Nun?" Sie sah geradewegs in seine herrlichen Smaragdaugen mit Goldschimmereffekt. 'Wenn er wüßte, daß ein Blick von ihm ausreicht, und ich bin hin und weg...' dachte sie und schüttelte gedanklich über sich den Kopf. Besser, er wußte es nicht...

"Ich denke, wir könnten uns sicherlich arrangieren", bemerkte Cayvyn ausweichend. Er war sich im Prinzip immer noch nicht sicher über ihre Absichten. Andererseits wäre es ihm durchaus recht, einmal sämtliche seiner Funktionen eingehenderen Tests zu unterziehen. Allerdings beschloß er, dies Acy gegenüber nicht so zu formulieren. Eine Ohrfeige reichte ihm nämlich. Nicht, daß es ihm physische Schmerzen bereiten würde - aber immerhin verfügte er doch über eine durchaus empfindsame Psyche. Cay überlegte einen Moment, während er versuchte, seine momentanen Empfindungen zu analysieren. Es schien ihm, als würde er der augenblicklichen Situation auch durchaus andere positive Seiten abgewinnen als lediglich eine mögliche Option auf einen Test gewisser Funktionen. Aber dies bedurfte noch einer eingehenden Analyse. Zum Glück beschloß Acy, vorerst nicht weiter nachzuhaken, sondern genoß es, einfach von Cayvyn festgehalten zu werden.

"Alycia..."

"Mmmmh?"

"Es ist 15:50 Uhr - Ich würde es für ratsam erachten, wenn du deine Frisur ein wenig korrigiertest. In einer halben Stunde erwartet uns Lady Aylanna zum Dîner."

"Ich hatte recht. Du bist furchtbar unromantisch", stellte Acy seufzend fest. "Aber weißt du was - ich mag dich trotzdem..." Sie löste sich aus der Umarmung und besah sich das Desaster im Spiegel. Wahrlich. Ihre vormals wüst toupierte neongelbe Mähne war durch das Bad zunächst feucht geworden, ein wenig zusammengefallen und nach der windigen Trockenprozedur ausgesprochen wild zerstruppt.

'Am besten ich lege mir demnächst eine Kurzhaarfrisur zu und pappe mir nur noch eine jeweils passende Perücke über', überlegte sie sich. Das ständige Färben in diesen schrillen Neonfarben tat ihren Haaren auch nicht so sonderlich gut. Nach fast dreißig Minuten war es ihr endlich gelungen, die Haare durchzukämmen, aber Façon hatten sie nun überhaupt nicht mehr. Seufzend schlang sie ihre Mähne zu einem losen Knoten und steckte sie mit ein paar langen Haarnadeln im Nacken fest.

Endlich war sie soweit. Cayvyn bot ihr seinen Arm dar, und sie hakte sich lächelnd unter. Irgendwie gefiel ihr seine Courtoisie, auch wenn es sie andererseits beunruhigte, wie sehr er ihr Herz im Sturm erobert hatte. Es war wirklich frustrierend. Dabei hatte sie beschlossen, nach diesen Pleiten mit Dvandar Inkra Tjadrus und Revelly Jilla Elasavill auf weitere nähere Kontakte mit den Herren der Schöpfung fortan zu verzichten. Naja - obwohl.... Es hieß allerdings auch 'aller guten Dinge sind drei', nicht wahr?

Gemeinsam schritt sie mit Cayvyn die Treppe herunter. Irgendwie machte es Spaß, auf Naravina zu sein, es eröffnete einmal völlig neue Spielperspektiven.

Jaymys führte die beiden in den Speisesaal des Schlosses. Alles war in echtem, dunkelviolettschillernden Holz getäfelt und mit silbernen Einlegearbeiten verziert.

An den beiden gegenüberliegenden Seiten der Tafel (Entfernung ca. 35m, schätzte Acy belustigt.) saßen sich Lady Aylanna und ein kupferrothaariger Mann etwa Anfang fünfzig gegenüber. (Das Alter der Naraviner war nicht leicht zu schätzen, sie wirkten in der Regel mindestens 10-20 Jahre jünger als sie tatsächlich waren.) Alycia vermutete, daß es sich um Duc Yngwayn handelte. Ob es wohl in der Mitte eine Verstärkeranlage gab, falls einmal das ganze Teil besetzt war? Wenn nun der zweite Gast von der rechten Längsseite ein paar Worte mit dem Typen in der Mitte der gegenüberliegenden Stirnseite wechseln wollte - wie wurde das eigentlich geregelt?! Am besten man brächte zu solchen Gelegenheiten ein Megaphon mit.

"Sir Lanamir-munima-Cayvyn, nebst seiner Gefährtin Lady Alycia Cherylla", kündigte Jaymys an. Sir Yngwayn blickte gemessen interessiert auf. Cay neigte leicht den Kopf, während Acy sich an einem formvollendeten Hofknicks versuchte, obwohl sie sich ziemlich albern dabei vorkam.

"Ich heiße dich wieder zu Hause willkommen, mein Sohn", sagte der Duc.

"Ich danke Euch, mein Vater", erwiderte Cayvyn förmlich.

"Ihr seid die Gefährtin meines Sohnes?" erkundigte sich Yngwayn nach kurzer Begutachtung Alycias. Offenbar irritierten ihn die neongelben Haare ein wenig.

"Das bin ich, Euer Hoheit", erwiderte Acy mit gekonnt scheuem Augenaufschlag.

"Dann heiße ich auch dich willkommen, meine Tochter." Hm. Irgendwie hatte Acy den Eindruck, der Begriff 'Gefährtin' hatte auf Naravina noch eine etwas andere Bedeutung als im üblichen FGS-Sprachgebrauch. Sie musterte Cay mißtrauisch von der Seite.

Darüber sollte sie sich bei Gelegenheit einmal ernsthaft mit ihm unterhalten.

Das Dîner verlief ereignislos und ziemlich steif. Alycia kam sich irgendwie leicht deplaciert vor. Allerdings erfuhr sie zu ihrem Erstaunen, daß Duchesse Aylanna offenbar eine auf Naravina nicht ganz unbekannte Wissenschaftsautorin zum Thema Ökobiologie und Agrikultur war. Offensichtlich kam Lanamirs Neigung nicht von ungefähr, wenngleich er auch wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen war.

Hm. Acy musterte die Lady prüfend. Nein, vom äußeren Schein hätte sie ihr sowas garantiert nicht zugetraut. Duc Yngwayn hingegen kümmerte sich eher um die Angelegenheiten seiner Ländereien, weshalb er tagsüber meist außer Haus war. Alycia überlegte, wie wohl die Gesellschaftsstruktur von Naravina genau funktionierte. Vielleicht hätte sie doch nicht so oft Soziologie blau machen sollen...

Als sie nach dem 5. Gang der Abendmahlzeit beim Dessert angelangt waren, wandte sich Sir Yngwayn an seinen 'Sohn'.

"Falls es dich interessiert, magst du mich morgen früh auf der Inspektionstour durch die Planquadrate Delta17 bis Epsilon4 begleiten, Cayvyn", meinte er. "In Delta25 ist ein Defekt der automatischen Bewässerungsanlage für die Getreidefelder aufgetreten, und der zuständige SysOp bat mich, den entstandenen Schaden einmal persönlich in Augenschein zu nehmen, damit ich später die versicherungstechnischen Probleme mit meinen Anwälten erörtern kann. - Deine Gefährtin ist ebenfalls herzlichst eingeladen, uns zu begleiten."

"Es ist mir eine Ehre, mein Vater", erwiderte Cayvyn folgsam und warf Alycia einen fragenden Blick zu. "Kommt Ihr ebenfalls mit, meine Liebe?"

"Aber gerne, Mylord", erwiderte Acy, wie es die Etikette verlangten. Tsy, Cayvyn als 'ihr Lord' - pah!

"Das freut mich, meine Kinder." Duc Yngwayn erhob sich. "Ich werde mich nun zurückziehen, Mylady Aylanna", sagte er, an seine Gemahlin gewandt, bevor er das Wort wieder an Cayvyn und Alycia richtete. "Wenn ihr morgen früh um 7 Uhr zum Frühstück erschient, könnten wir zu adäquater Zeit aufbrechen. - Ich wünsche Euch eine Gute Nacht."

"Ihr braucht nicht auf mich zu warten, Mylord", warf Aylanna ein. "Ich gedenke erst später aufzustehen, um anschließend einige Nachforschungen über die ZIV in die Wege zu leiten."

"Sehr wohl, meine Liebe." Yngwayn ging gemessenen Schrittes davon, und auch der Rest der Versammlung löste sich langsam auf.



Alycia hakte sich bei Cayvyn ein, und sie zogen sich ebenfalls diskret zurück. Verstohlen blickte sie zu ihrem 'Gefährten' hinauf. Ts, sie schüttelte insgeheim über sich den Kopf - wie konnte frau sich so rettungslos in einen Typen verknallen? Noch dazu, wo sie ihn auch noch selbst zusammengebastelt hatte... Sie hatte ein Gefühl im Bauch wie damals bei ihrem ersten Abenteuer dieser Art.

Auch Cayvyn betrachtete Acy nachdenklich. Vielleicht sah sie ihn ja faktisch als männliches Wesen und eigenständige Persönlichkeit?! Obwohl er einige ihrer Reaktionen wirklich nicht verstand... Zuerst gab sie ihm eine Ohrfeige wegen irgendwelcher Annäherungsversuche seinerseits, dann machte sie Annäherungsversuche, um sich für ihre Handgreiflichkeit zu entschuldigen. Nein, das war ihm doch sehr suspekt... Auf jeden Fall gedachte er nicht, ihr die Initiative zu überlassen. Wenn sie etwas von ihm wollte, mußte sie ihm auch einen gewissen Handlungsspielraum zugestehen. Außerdem ging es hier ums Prinzip - schließlich war er ja eine eigenständige Persönlichkeit!

Gemeinsam betraten sie das ihnen zugewiesene Gemach. Acy sah Cayvyn erwartungsvoll an und beschloß, erst einmal ihre Haare von den Haarnadeln zu befreien, ansonsten könnten diese sich unter Umständen höchst unangenehm bemerkbar machen... Sie schüttelte ihre wallende Neon-Mähne aus und warf Cayvyn einen höchst koketten Blick zu, doch bevor sie etwas sagen oder tun konnte, fand sie sich auf seinen Armen wieder.

"Hups!" machte sie erstaunt und musterte ihn bewundernd. Es schien ihm nicht die geringste Mühe zu bereiten, sie so hochzuwuchten. Sie legte ihm die Arme um den Hals und ihren Kopf an seine Schulter, bevor sie halb amüsiert die Stirn runzelte. Welche seiner einprogrammierten 'Methoden zur Annäherung an weibliche Wesen' mochte das wohl sein?! Hm... Er sollte es wagen, diese 'Methoden' an irgendwelchen anderen Ladies auszuprobieren! Jee... Acy war mittlerweile ziemlich irritiert über sich. Sollte sie etwa eifersüchtig sein...? Ts! Das nahm ja immer bedenklichere Formen an.

Cayvyn war unterdessen ziemlich zufrieden mit sich selbst. Offenbar hatte er diesmal die richtige Strategie angewandt. Oder waren es vielleicht vorher Fehlfunktionen bei Alycia gewesen?! Er legte sie vorsichtig auf dem Bett ab. Acy lächelte ihn belustigt an und zog ihn kurzerhand zu sich herunter. Ay, er war etwas schwerer als man es bei seiner schlanken Statur vermuten sollte, aber nicht soviel, daß es allzu ungewöhnlich wäre. Cay sah Alycia etwas irritiert an. Das paßte eigentlich nicht ganz in sein schon zurechtgelegtes Konzept, aber zum Glück war er ja anpassungsfähig.

Er richtete sich wieder halb auf und strich sanft über ihre Wange. Für einen Menschen hatte sie ein ziemlich ebenmäßiges Gesicht, stellte er fest. Acy hielt seine Hand fest.

"Sag mal, Cayvyn, warum küßt du mich nicht endlich?"

"Damit du mir wieder eine Ohrfeige gibst?" fragte er und sah sie belustigt an.

"Ich glaube, das wirst du mir noch bis in alle Ewigkeit vorhalten", seufzte Alycia. "Jee - ich hab dich lieb, Cay...!"

"Wirklich?" Ein strahlendes Lächeln erhellte Cayvyns Gesicht. Es schien, als hätte er ihr doch unrecht getan. Spielerisch fuhr er mit den Fingern die Konturen ihres Körpers entlang. Seine automatischen Reaktionen verwirrten ihn ein wenig. Offenbar gab es in seiner Programmierung einige Bereiche, die nicht seiner direkten Kontrolle unterstanden. So zum Beispiel konnte er es sich nicht erklären, warum ihm so viel daran lag, in dieser Situation den physischen Kontakt noch weiter zu forcieren. Aber diese Überlegung war im Moment ohnehin eher akademisch, da Alycia ihn überaus energisch umklammert hielt. Er hob amüsiert die Augenbrauen. So würden sie es nie schaffen, aus ihren Klamotten herauszukommen...!

Dabei war er doch höchst neugierig, inwieweit der weitere Ablauf der Dinge bei ihm programmtechnisch festgelegt oder frei steuerbar war! Überhaupt fand er die ganze Situation höchst interessant. Er packte diese Denkprozesse zunächstmal in eine andere Ebene seines Bewußtseins; dort konnte er sich ihnen immer noch widmen, während er beschloß, sich vordergründig erst einmal mit Alycia zu beschäftigen. Wozu war man(n) denn multi-tasking-fähig? Er fragte sich, welcherart die Gedankengänge wohl waren, die Acy im Augenblick beschäftigten.

Zumindest aktuell schien sie sich intensivst mit dem Problem zu befassen, wie sie ihn aus dem engen Coverall befreien konnte, ohne ihn allzusehr dabei loszulassen. In der Tat, ein komplizierteres Unterfangen, befand Cayvyn fasziniert, als er dabei zusah. Er war wirklich gespannt, ob sie die Aktion erfolgreich abschließen würde.

"Hmpf", machte Acy leicht genervt. "Du könntest auch ein bißchen mithelfen!"

"Es würde die Angelegenheit sichtlich erleichtern, wenn du mich kurzfristig loslassen würdest. Ich versichere dir, daß ich auf einen Fluchtversuch verzichten werde", bemerkte Cay trocken.

Alycia warf ihm einen vernichtenden Blick zu, bevor sie seinem Vorschlag Folge leistete. Sie traute ihm nicht so recht. Bislang hatte er sich ja nicht allzu kooperativ erwiesen... Aber immerhin gab ihr das Gelegenheit, erst einmal diese dusseligen Pumps loszuwerden. Ehe sie sich es versah, hatte sich Cayvyn seiner Klamottage entledigt.

"Hey, eigentlich wollte ich dich doch auspacken", meinte Acy schmollend, als sie ihren Blick dezent über sein Exterieur schweifen ließ.

"Aus welchem Grund?" Cayvyn schaute sie ein wenig verständnislos an.

"Naja, es ist doch viel ...erotischer!"

"?!" Cays Miene zeigte deutlich seine Verwirrung. "Soll ich mich jetzt wieder anziehen, damit du mich erst ausziehen kannst?" Er begann sogleich, seine Sachen wieder zusammenzusuchen, doch Alycia hielt ihn noch gerade eben zurück.

"Ist schon gut... - Laß es sein!"

"?!?!" Sein perplexer Blick sprach Bände. Offensichtlich wußte sie auch nicht, was sie wollte.

"Cay... Tu mir bitte einen Gefallen: Vergiß es!"

"Nein." Er setzte sich schmollend auf die Bettkante. "Ich will, daß du es mir erklärst."

"Hm..." Alycia gab ein unendlich leidenden Seufzer von sich und stützte sich auf einem Ellenbogen auf. Mit der anderen Hand strich sie zärtlich über seinen Rücken. "Das ist eine etwas komplexere Angelegenheit... Ich denke, du wirst es im Laufe der Zeit selbst verstehen." Hoffentlich, dachte sie bei sich. Ob Androiden immer so reagierten, oder ob das eine Cayvyn-spezifische Manie war?

"Meinst du?" Cay warf ihr einen leicht melancholischen Blick aus diesen unglaublich grüngoldenen Augen zu, bevor er sich in die Kissen sinken ließ. Acy hegte die Befürchtung, daß sie hier und jetzt dahinschmelzen würde, wenn er sie noch einmal so anguckte. Sie legte ihren Kopf an seine Brust. Irgendwie war es faszinierend. Sie wußte, daß er ein künstliches Lebewesen war, doch sein 'Herzschlag' wirkte so echt, daß sie immer mehr Gefahr zu laufen drohte, dies zu vergessen. Nur seine etwas kühlere Haut brachte es ihr wieder zu Bewußtsein. Aber andererseits fand sie dieses Faktum auch überaus anregend.

Cayvyn musterte Alycia stirnrunzelnd, als er durch ihre neongelben Haare fuhr. So ganz war ihm ihre Ausführung nicht klar - aber andererseits könnte er sie doch im Experiment überprüfen; immerhin war sie noch in dieses extravagante Kleid gewandet. Er hob sie vorsichtig von sich herunter, was ihm einen verwunderten Blick ihrerseits eintrug, bevor er sich daranmachte, den Verschlußmechanismus jener Robe zu erkunden.

"Hm?" machte Acy und sah Cayvyn erwartungsvoll an.

"Dieser Öffnungsmechanismus scheint sich mir zu entziehen", stellte Cay fest und hob eine Augenbraue. "Gibt es für diesen Verschlußtypus eine Bedienungsanleitung?"

Alycia konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Schön, Cay bemühte sich wirklich, auch auf ihre etwas versteckteren Anregungen zu reagieren, aber irgendwie hatte er ein ungeheures Talent, die ganze Situation ins Komische abgleiten zu lassen.

"Versuch's mal mit den versteckten Häkchen an der Innenseite", empfahl sie ihm. "Diese Methode ist zwar alt, hat sich aber immer wieder als eine der praktischsten erwiesen, ein solches Kleid zusammenzuhalten..."

"Ah, in der Tat." Cay pellte sie endlich aus der Gewandung und den sonstigen Einzelteilen, diewelche kurzerhand in die nächste Ecke flogen. Als die Aktion abgeschlossen war, musterte Cayvyn Acy nachdenklich.

"Alycia...?"

"Mh?" Acy schloß die Augen und schmiegte sich an ihren 'Gefährten'.

"Könntest du mir bitte plausibel machen, worin die Erotik begründet liegt, die darin bestehen soll, den jeweiligen Partner von seinen Kleidungsstücken zu befreien?"

Alycia öffnete die Augen wieder und betrachtete Cay äußerst genervt. Dieser setzte seine treuherzigste Miene auf und unterzog Acys Rücken einer ausgiebigen sensorischen Überprüfung mittels beider Hände. Er fand die völlig neuartigen Eindrücke, die er auf diese Weise gewann, mehr als nur interessant. Leider ergab sich dadurch der Nachteil einer gewissen Reizüberflutung. Hm. Er würde diese ganzen Empfindungen zu gegebener Zeit einmal genauestens analysieren. Zur Zeit hatte er genug damit zu kämpfen, sowohl seine automatischen als auch seine bewußt gesteuerten Reaktionen zu koordinieren und noch dazu die Hintergründe verschiedener Aktionen Alycias zu untersuchen. Er überlegte einen Moment, weil er versuchte, die gerade von Acy geäußerten Laute ohne genau festgelegte semantische Bedeutung zu interpretieren. Aufgrund der Tatsache, daß sie sich ziemlich hingebungsvoll an ihn kuschelte, ging er davon aus, daß sie damit ihr Wohlbefinden kundtun wollte. Aber sie hatte seine Frage noch nicht beantwortet.

"Lisha - warum ist es erotisch, seinen Partner beziehungsweise seine Partnerin zu entkleiden?"

"Cayvyn - würde es dir etwas ausmachen, die Fragen auf später zu verschieben und stattdessen hier weiterzumachen?" Sie beschloß, lieber keine Antwort von ihm abzuwarten, sondern gab ihm direkt einen sanften Kuß auf die Lippen. Dieser Mann machte sie noch wahnsinnig! Sie richtete sich wieder auf und betrachtete ihn eingehend, während sie ihn zärtlich streichelte. Jetzt würde sie ja sehen, wie menschlich sie ihn gestaltet hatte. Sie beschloß, ihm so lange so viele Aufmerksamkeiten zu widmen, bis ihm von sich aus die Lust auf dumme Fragen verging...

Mit wachsendem Erstaunen bemerkte Cayvyn, daß seine rein physischen Reaktionen zunehmend seiner Kontrolle entglitten. Zugegeben, es wäre ihm ein Leichtes, einen Override zu aktivieren und sämtliche nicht rationalen Empfindungen einfach abzukoppeln, aber zu seiner Irritation stellte er fest, daß ihm dieser Gedanke ganz und gar nicht behagte. Er schaute zu Alycia hoch, die mit einem erwartungsvollen Lächeln neben ihm kniete und ihn mit jeder Berührung in tiefere Verwirrung stürzte, vor allem weil er feststellte, daß er tatsächlich in der Lage war, so etwas wie ...Verlangen(?) zu fühlen. Er war sich nicht sicher, ob er diese Empfindung korrekt einordnete, aber er wußte, was er jetzt zu unternehmen hatte. Vorsichtig zog er Acy zu sich herunter und erwiderte ihre Zärtlichkeiten.

(So, jetzt reicht es aber - der Rest ist privat!)

* * *

Als Alycia am nächsten Morgen erwachte, hatte sie zuerst ein wenig Mühe, sich zu orientieren. Einmal lag sie in einem ihr ziemlich unbekannten Bett - und zum zweiten war sie nicht alleine. Doch dann erinnerte sie sich an die letzten Stunden und kam nicht umhin, Cayvyn zum wiederholten Male äußerst bewundernd zu mustern. Androide zu sein hatte so gewisse Vorteile, befand Acy. Ts, das war doch glatt das erste Mal, daß sie total k.o. in den Armen eines männlichen Wesens eingeschlafen war!

"Huhu, Cay...!" Sie knabberte verspielt an seinem Ohrläppchen. Außerdem war er der erste Mann, der nicht protestierte, daß sein Arm einschlief, wenn sie sich so halb auf ihn hindrapierte. Sie strahlte ihn verliebt an.

"Ist mein Ohr schmackhaft?" erkundigte sich Cayvyn irritiert. Acy schüttelte kichernd den Kopf.

"Du bist süß!"

"In der Tat?" Er runzelte verwirrt die Stirn. "Meines Erachtens ist es relativ unwahrscheinlich, daß meine Körperoberfläche deinen Geschmacksknospen als 'süß' erscheint. Die entsprechenden Rezeptoren..."

"'Süß' im übertragenen Sinne, mein Schatz..." Sie bedachte ihn mit einem höchst vielversprechenden Blick und küßte ihn hingebungsvoll. Cay hielt sie engumschlungen, bevor er fast ein wenig bedauernd eine Augenbraue hob.

"Es tut mir leid, dir mitteilen zu müssen, daß wir uns langsam bereitmachen sollten, mit Duc Yngwayn das Frühstück einzunehmen."

"Mh... Ich wüßte, was ich jetzt lieber täte..." Sie fuhr mit ihrem Fuß an Cayvyns Unterschenkel entlang. Bedauerlicherweise ließ er es diesmal nicht zu, daß seine nicht rationalen Reaktionen die Oberhand gewannen, und er löste sich sanft aus ihrer Umarmung. Acy sah ihn leicht schmollend an, bevor sie ebenfalls aufstand, um zunächst einmal im Bad zu verschwinden.

Als sie kurz darauf zurückkehrte, hatte Cay ihr eine metallicrote Kombination herausgesucht, die aus einer praktischen Tunika und bequemen Hose bestand. Alycia lächelte ihn liebevoll an. Er war wirklich süß. Während Cayvyn sich ebenfalls frischmachte, zog sie die von ihm ausgewählten Sachen an. Er hatte exakt ihre Größe erwischt. Ts ts... Sie flocht ihre Haare ein; diese Frisur war entschieden praktischer als ihre Löwenmähne, wenn sie etwas unternehmen wollte.

Anschließend begleiteten sie Duc Yngwayn auf seiner Tour durch seine Ländereien.

Alycia erschien Naravina wie ein Rausch in Grüntönen. Ob Wasser, Wiesen oder Himmel - alles hatte einen mehr oder minder strahlenden Smaragd-Farbton. Einen starken Kontrast dazu lieferte jedoch die prächtige, blütenreiche Flora, die in strahlenden Rot-, Gelb- und Blautönen leuchtete. Auch die Naraviner, die Acy erblickte, waren in eine verschwenderische Farbenpracht gehüllt. Hier würde es sich lohnen, einmal mit kompletter Maler-Ausrüstung herzukommen und einiges an Bildern zu produzieren, überlegte sie.

Doch, wenn sie es sich recht überlegte, fand sie die Idee von ein paar Urlaubstagen auf dem Planeten gar nicht so übel. Und wenn sie nach Tarishaan zurückkehrte, würde sie eben allen erzählen, daß sie Sir Cayvyn auf Naravina kennen- und liebengelernt hätte. Dann käme es auch zu keinen dummen Spekulationen über sein plötzliches Auftauchen.

* * *

Gegenwart

Eniatag, der 3760/01/02 GZ.

"Ryko, wir sollten uns einen Schlachtplan überlegen", schlug Blackfire vor. "Was hältst du von folgendem: Zuerst inspizieren wir das Bankgebäude, dann sehen wir zu, wo wir schriftliches Material von Ondavall herbekommen, stellen die 'Beweise' für einen angeblichen Versicherungsbetrug zusammen, deponieren diese an geschickter Stelle und rauben anschließend die Bank aus..."

Ryko hob die Augenbrauen.

"In der Theorie klingt es perfekt, aber ich bezweifle, daß es so einfach ist. Aber gut - das Bankgebäude zu inspizieren, ist auf keinen Fall ein Fehler." Er musterte seine Partnerin kritisch. "Ich würde jedoch vorschlagen, daß wir nicht in dieser Aufmachung auftreten sollten. Zumindest nicht, was das Auskundschaften der Lage betrifft."

"Okay. Mh... Ich liebe es, mich zu verkleiden!" Karylla überlegte, was sie als Outfit wählen sollte. Aus diesem Grund hatte sie auch beschlossen, in ihrem Einsatzraumer Lightning einen umfangreichen Kostümfundus anzulegen. Jee - das war jetzt auch schon wieder zwei Jahre her, seit sie mit Cayvyn, Shentay und Myriella das Schiff hergerichtet hatte...

* * *

Vergangenheit

Es war Tenmatag, der 4. Enuari 3757GZ.

Es war geschafft! Überglücklich fiel Alycia ihrem nunmehrigen Lebensgefährten Cayvyn um den Hals.

Auf den beiden Labortischen des Engineering-Labs der Villa Alycia lagen zwei weitere Androiden, eine Frau und ein Mann, die bis auf die Farbgebung wie exakte Doubles von Acy und Cay aussahen.

Bei diesen hatte Alycia beschlossen, ihnen direkt ein fertiges Outfit zu verpassen, inclusive Background. Nun hieß die Androidin Myriella, hatte metallicschwarze Haare, türkisfarbene Augen und war - ebenso wie Shentay - angeblich von nicht-adliger naravinischer Herkunft, wobei letzterer allerdings strahlend goldene Haare und leuchtend blaue Augen sein eigen nannte.

Bei Shentay hatten Acy und Cayvyn eine noch weiter abgewandelte Version der Firestar-Kristalle zur Programmierung benutzt, während sie bei Myriella in dieser Hinsicht überhaupt nicht auf vorhandene Programm-Informationen zurückgreifen konnte. Gut, Firestar hatte auch eine Androidin geplant, war aber bei dieser nicht viel über die Hardware hinausgekommen.

"Cay, was macht der Datentransfer?"

"In achtzehn Sekunden abgeschlossen."

"Super!" Cayvyn trat zu Alycia herüber und schloß sie in die Arme.

"So ist also auch meine 'Geburt' vonstatten gegangen..." bemerkte er.

"Exakt. - Ts, dabei fällt mir ein, daß du ja noch nicht einmal ein Jahr alt bist..." Sie grinste ihn an. "Weißt du, daß du ein ganz schön frühreifes Früchtchen bist?"

"Du hast es mich schon mehrfach wissen lassen", stellte Cayvyn belustigt fest. "Übrigens, Shentay und Myriella dürften seit 11 Sekunden aktiv sein."

"Korrekt", kam es von der Androidin. "Bin ich Shentay oder Myriella?"

"Letzteres", sagte Acy. "Der Name 'Shentay' ist für deinen Kollegen gedacht... Nebenbei - willkommen an Bord...!"

"Befinden wir uns auf einem Raumschiff?" erkundigte sich Shentay.

"Nein - das war nur so ein Spruch", meinte Alycia und runzelte die Stirn. Wenn die zwei jetzt dasselbe Spielchen durchzögen wie Cayvyn anfangs... "Ähm, Cay, würdest du dich bitte um eine erste Einweisung der beiden kümmern? - Ich danke dir, mein Schatz. Ich bin nämlich müde..." Sie gab ihm einen zärtlichen Kuß und machte sich dezent aus dem Staub.

* * *

Als Alycia am nächsten Tag das Engineering-Lab betrat, fand sie dort ein wahrhaft exorbitantes Chaos vor. Cayvyn und die beiden Androiden - 'Ts, du scheinst langsam zu vergessen, daß Cay doch ebenfalls ein Androide ist', schoß es Acy durch den Kopf - hatten sich gleichmäßig mit allerlei Materialien über den Raum verteilt.

"Was ist denn hier los?" wollte Alycia wissen. Sie machte eine Geste, die das gesamte Labor umfaßte. Cayvyn erhob sich von seinem Arbeitsplatz und schenkte ihr sein unwiderstehliches Lächeln.

"Einen wunderschönen guten Morgen, Mylady Alycia!" Er machte zwei Schritte und zog sie in seine Arme. "Ich hoffe, Ihr habt wohl geruht, mein Herz...?"

Acy schmiegte sich an ihn und kicherte unterdrückt. "Sicherlich, Mylord, obwohl ich Eure Nähe und Eure Zärtlichkeiten missen mußte", gab sie in lupenreinem Naysyny zurück.

Shentay und Myriella verfolgten diesen kurzen Dialog eher verständnislos.

"Was gibt das hier?" fragte Alycia noch einmal nach.

"Du wolltest doch ein Raumschiff umbauen, sobald wir Shentay und Myriella fertiggestellt hätten. Ich habe ihnen unsere Planung nahegelegt, und sie sind voll und ganz einverstanden."

"Klingt gut. - Danke, Shen und Myri! - Und das hier wird?" erkundigte sie sich zum dritten Mal mit einem mißtrauischen Blick auf das Chaos im Labor.

"Nun... Ähm... Ich hielt es für angebracht, meine neuste Entwicklung erst einmal an einer ungefährlichen Stelle zu testen. Was du hier siehst, sind die Einzelteile des Haupttriebwerks der Dreamsong..."

"Cayvyn - heißt das etwa, du hast meine Dreamsong demontiert, um diesen meines Erachtens völlig verrückten, weil unbrauchbaren Ultraraumschubverstärker einzubauen?" Cayvyn gab ihren wütenden Blick verletzt zurück.

"Der USV ist nicht unbrauchbar! Ich muß lediglich die genaue Kalibrierung hinbekommen..."

"Aber nicht mit der Dreamsong als Versuchskaninchen! Warum hast du nicht dieses alte Möhrchen Silver Arrow genommen - ich habe sie doch noch im Delta-Hangar stehen, weil ich es nicht übers Herz brachte, sie zu verschrotten."

"Ähm..." Cay sah seine Gefährtin leicht schuldbewußt an und war dankbar ob der Tatsache, daß er nicht schamhaft erröten konnte. "Was ich vergaß, dir zu erzählen..."

"Was?" fragte Alycia ahnungsvoll. Cayvyn blickte gen Decke, während er zum Zwecke der Ablenkung sanft über Acys Rücken strich.

"Ich wollte dir schon letzte Woche mitteilen, daß die Silver Arrow ein bedauerliches Geschick ereilte..."

"Cayvyn!" Alycia starrte ihn empört an. "Ich habe nicht gedacht, daß du das arme Schiffchen - immerhin ein Erbstück von meinem Vater - derart brutal zugrunderichten würdest! Ich wette, sie ist einem deiner USV-Experimente zum Opfer gefallen."

"Mh... Indirekt..." Cayvyn wand sich förmlich.

"Inwiefern?!"

"Ich mußte doch letzte Woche mit ihr zur alljährlichen TKD-Untersuchung. Dummerweise habe ich den USV nicht vorher ausgebaut - und da beschlossen die Typen dort, den Raumer wegen unerlaubtem Tuning zu konfiszieren..."

(TKD - Technischer Kontroll-Dienst, so etwas wie der TÜV auf Sol III/Terra.)

"Cay, hat dir schon mal irgendjemand gesagt, daß du absolut unmöglich bist?"

"Du. Des öfteren", erwiderte er mit einem halb schuldbewußten, halb entschuldigenden Grinsen. Acy stellte wie schon so oft fest, daß sie ihm einfach nicht böse sein konnte, wenn er sie derart anschaute und seufzte gestreßt.

"Aber es hat anscheinend funktioniert...?"

"Sicherlich. Durch den USV ist uns eine Höchstgeschwindigkeit von gut 10 pc/h möglich - was eine hundertprozentige Steigerung gegenüber den üblichen 5 pc/h bedeutet."

"Na gut. Aber dann werden wir uns ein anderes Schiff suchen, das wir komplett umgestalten! Immerhin ist die Dreamsong ein Raumer von Comtesse Chambleau - und diese Produkte sind Unikate, das heißt, es würde auffallen..."

"Keine Sorge - für unseren ersten Coup können wir die Dreamsong nehmen. Ich habe endlich die Konstruktionsunterlagen für den Tarnschild so weit komplettiert, daß wir ihn in die Dreamsong einbauen können."

"Cay, dein Tempo ist mir wieder einmal unheimlich! Ich kann mich entsinnen, daß ich vorgestern noch den Entwurf in die Ecke geknallt habe, weil ich keine Lösung sah, wie meine Erweiterung des Firestar-Modells ordentlich miniaturisiert werden konnte..."

"Das war ein trivialeres Problem, nachdem es dir gelungen war, die Umlenkung der Ultraraumsensor-Strahlung zu bewerkstelligen."

"Hm-hm. Cayvyn, was meinst du, wann hast du die Dreamsong fertig?"

"Du bist einverstanden?"

"Mh, jaaa... - Mögt Ihr mir zum Frühstück Gesellschaft leisten, mein Liebster?" meinte Acy wieder in formellem Naysyny.

"Es ist mir eine Ehre, Mylady Alycia", erwiderte Cay belustigt. "Was die Dreamsong betrifft - sie ist voraussichtlich in drei Tagen umgerüstet und einsatzbereit."

"Super!" Sie strahlte Cayvyn an, bevor sie sich an Shentay und Myriella wandte. "Was ist mit euch? Kommt ihr auch mit?"

"Wenn dies dein Wunsch ist", sagte Shentay.

"Sicherlich", meinte Acy mit hochgezogenen Augenbrauen. "Schließlich möchte ich euch kennenlernen, nachdem ich euch gemeinsam mit Cayvyn zusammengebaut habe..."

Die vier zogen in Richtung Küche bzw. Eßsalon ab, wo Cayvyn drei Portionen seines Special-Cocktails, sowie eine Kanne Kaffee für Alycia orderte. Mit dem Tablett bewaffnet düste Cay in den Nebenraum, wo er bereits von den drei anderen erwartet wurde. Acy nahm den Kaffee in Empfang und bedankte sich mit einem liebevollen Kuß bei ihrem Lebensgefährten.

"Alycia..."

"Ja, Myriella?"

"Cayvyn hat uns einiges über die Situation in der FGS erzählt und auch, was du beabsichtigst..."

"Ja?" Acy sah die Androidin fragend an.

"Waren seine Ausführungen bezüglich des offiziellen Status von Androiden vollständig und korrekt?"

"Ich denke schon. Cay hat bislang noch keine Erläuterung von sich gegeben, die nicht ausführlich und/oder korrekt gewesen wäre..." Sie sah ihn amüsiert an. Cayvyn guckte wieder einmal, als könne er kein Wässerchen trüben.

"Dann würde es mich interessieren, warum deine Einstellung offenbar gänzlich von der der sonstigen FGS-Bewohner abweicht."

"Keine Ahnung..." Acy zuckte mit den Achseln. Das wußte sie wirklich nicht - aber sie hatte schon immer ziemlich extravagante Positionen vertreten. "Wieso fragst du?"

"Anbetracht der offensichtlich üblichen Einstellung des Großteils der FGS-Bewohner verwunderte mich das Faktum, daß du anscheinend eine relativ enge Beziehung zu Cayvyn hast."

"So könnte man es auch formulieren", meinte Acy und warf ihrem Lebensgefährten einen zärtlichen Blick zu. Dieser ergriff ihre Hand und deutete einen formvollendeten Handkuß an, was Alycia mit einem belustigten Kichern quittierte. Cayvyn war einfach süß, befand sie.

"Was für eine Rolle hast du uns in deinem Spiel explizit zugedacht?" erkundigte sich Shentay.

"Wenn ihr einverstanden seid, könnt ihr mir beim Aufbau einer Einsatzbasis, sowie eines Raumschiffs behilflich sein. Auf jeden Fall habt ihr hier erst einmal eine Bleibe, und wenn ihr irgendwann einmal auf eigenen Beinen stehen wollt, steht es euch frei zu gehen, wo immer ihr hingehen wollt. Bis dahin habt ihr hier eine Tarnidentität als Butler beziehungsweise Dienstmädchen auf der Villa Alycia."

"Das klingt akzeptabel", meinte Shentay, und Myriella nickte zustimmend.

"Okay, also fangen wir an", beschloß Acy und stellte ihre Kaffeetasse beiseite. "Wir müssen die Dreamsong fertigmachen, damit wir uns für später ein anderes Raumschiff organisieren können."

* * *

Es war Telaratag, der 3757/01/08 GZ, und die Dreamsong schwebte im Schutz ihres neuen Tarnschilds aus dem Alpha-Hangar der Villa Alycia.

Shentay und Myriella waren zurückgeblieben und hatten sich als Sir Cayvyn und Alycia Blade zurechtgemacht, während Cay und Acy sich sicherheitshalber anderweitig getarnt hatten. Cayvyn hatte die Haare schwarz eingefärbt, passend zu einem gleichfarbigen Overall, und Alycia hatte sich zum Partnerlook mit ihm entschieden.

"Laut der Auslieferungsliste von Comtesse Chambleau läuft der Raumer Flashlight heute vom Stapel. Er soll danach unmittelbar von Tarishaan nach Ansikka überführt werden. Die Flashlight ist ein sehr schönes Schiff, und es dürfte uns relativ wenig Aufwand kosten, sie für unsere Bedürfnisse umzubauen", meinte Alycia mehr zu sich selbst.

"Wir müssen nur zusehen, daß wir die Flashlight unbeschädigt abfangen und zur Landung auf Serajs IV/Kemtall zwingen. Kemtall ist zwar ziemlich unwirtlich, aber man kann dort zur Not ein paar Wochen überleben", bemerkte Cayvyn. "Und wenn wir die Überführungscrew dort ausgesetzt haben, können wir immer noch die Weltraumpolizei verständigen, daß sie die Typen auf Kemtall abholen sollen."

"Hm-hm", machte Acy nachdenklich. "Meinst du, die Kapazität des Traktorstrahlers reicht aus, um die Flashlight einzufangen?"

"Ich denke schon. Zu dumm, daß wir das TM-System noch nicht so weit einsatzfähig haben, um einfach an Bord zu springen. Hm. Im Zweifelsfall müssen wir uns halt an das Schiff ankoppeln und es nach alter Piraten-Manier entern."

"Im Ultraraum?!" meinte Alycia entsetzt.

"Natürlich nicht! Die Dreamsong ist durch den USV schnell genug, um die Flashlight einzuholen. Wenn wir den Traktorstrahler einsetzen, wird automatisch das Ultrafeld gestört, und wir werden mitsamt dem anderen Schiff in den Normalraum zurückfallen."

"Ich wollte schon immer eine Raumpiratin sein", seufzte Acy amüsiert. "Wie sollen wir denn die Crew überwältigen? Hm... Wie wäre es mit Betäubungsgas?"

"An etwas in der Richtung dachte ich", stimmte Cayvyn ihr zu. Er war in seinem Element. Fast ein Jahr hatte er darauf warten müssen, seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet unter Beweis stellen zu können. Immerhin war er gemäß der Firestar-Kristalle programmiert worden, und dieser war der genialste Weltraumgangster in der gesamten FGS-Geschichte gewesen.

Wie hatte es ihn frustriert, als Acy damals auf Naravina darauf bestand, daß er die ganzen geklauten Sachen diskret wieder zurückbeförderte... Dabei war er selbst höchst begeistert über seine Geschicklichkeit gewesen, sowohl Aylannas Collier, als auch deren Armband und die Tiara verschwinden zu lassen, als jene sie während eines abendlichen Dîners so offen zur Schau stellte... Aber nein, Alycia meinte, so etwas gehörte sich nicht für den 'Erben' eines naravinischen Herzogtums. Das war der Augenblick, da er es zum ersten Mal bedauerte, diese Identität angenommen zu haben.

Unsichtbar jagte die Dreamsong dem Treffpunkt mit der Flashlight entgegen.

"In siebzehn Minuten erreichen wir Abfang-Entfernung", bemerkte Alycia und war heilfroh, daß Cayvyn am Kurscomputer saß und gegebenenfalls unverzüglich eingreifen würde. Für einen Menschen wäre solch ein Rendezvouz-Manöver im Ultraraum schlichtweg unmöglich gewesen.

"Aye, verstanden", bestätigte Cay und blickte unverwandt auf den Monitor, der die Sensordaten in einer Geschwindigkeit anzeigte, die Acy beinahe Kopfschmerzen verursachte.

Einige Minuten vergingen in angespanntem Schweigen, bis ein vage deltaförmiger Reflex auf dem Ultrasensor erschien und immer klarere Formen annahm.

"Flashlight voraus", bemerkte Cayvyn. "Ich leite die Vektorangleichung ein."

Wenig darauf stimmten sowohl Geschwindigkeit, als auch Richtung der beiden Raumer bis auf wenige, vernachlässigbare Dezimalstellen überein.

"Ich empfange einen Funkspruch der Flashlight. Sie wollen wissen, was unser Manöver soll..." Acy grinste ihren Partner an. "Der Chef der Überführungscrew droht uns mit einer Anzeige wegen Unterschreiten des Sicherheitsabstands..."

"Sage ihnen einen schönen Gruß, und laß sie wissen, daß wir beabsichtigen, ihr Schiffchen zu entführen", meinte Cayvyn mit einem unternehmenslustigen Glitzern in seinen derzeit wieder sturmwolkengrauen Augen.

"Habe ich. Aber die Typen meinen, verarschen können sie sich selbst..." Alycia kicherte in sich hinein.

"Nun gut. Ich aktiviere den Traktorstrahl", sagte Cay ein wenig niederträchtig. Urplötzlich durchschoß Acy ein Gefühl der ...Unwirklichkeit, das aber sofort wieder verging, und statt der sanften Regenbogenschleier des Ultraraums waren nun wieder die üblichen Sterne auf nachtschwarzem Samt auf dem Hauptbildschirm zu sehen. "Wiedereintritt in den Normalraum vollzogen, Traktorstrahl hält."

"Schaffen wir es, die Flashlight nach Kemtall zu schleppen?"

Cayvyn runzelte die Stirn.

"Nicht bevor die Weltraumpolizei hier eintrifft. Sie kompensieren über einen Sensor-Computer-Steuerungsverbund jede Flugbewegung der Dreamsong. Zwar mit einer geringfügigen Verzögerung, aber es wird uns nicht gelingen, sie abzuschleppen, ohne unser Schiff völlig zu überlasten..."

"Ich habe verstanden..." Acy stand auf und wühlte zwei Raumanzüge aus dem Schrank neben dem Gang zur Hauptschleuse. "Wieviel Zeit haben wir bis zum Eintreffen der Weltraumpolizei?"

"Deren nächste Einsatzbasis liegt auf Kenlusha VII/Enkarion - falls sie sofort starten, wenn sie den Automatik-Notruf gehört haben, sollten sie in drei Stunden hier sein. Wir müssen die Besatzung überwältigen, die Flashlight verstecken und dann deren Crew mit der getarnten Dreamsong auf Kemtall absetzen."

"Klingt hektisch. Dann wollen wir lieber keine Zeit verlieren", befand Acy, während sie den Sauerstoffvorrat des Raumanzuges noch einmal checkte. Natürlich waren die Atemluftpatronen und CO2-Filter vorschriftsmäßig erst zu Beginn ihres Fluges gecheckt worden, aber im Weltraum war Vorsicht besser als tot...

Cayvyn benötigte den Anzug eigentlich nicht, da er durchaus begrenzte Zeit ohne Atemluft auskommen konnte, stieg aber dennoch in das Teil. Er mußte ja nicht direkt alle seiner Fähigkeiten preisgeben - und schon gar nicht bei seinem ersten Auftritt. Es würde ohnehin genug Gerede geben, wenn es sich herumsprach, daß ein Raumschiff im Ultraflug abgefangen und gekapert worden war... Er schaltete die Dreamsong auf Autopilot und folgte Acy in die Hauptschleuse, wo er den Desintegrator-Brenner in Empfang nahm, der normalerweise dazu diente, im Falle eines Absturzes o.ä. verbogene Metallteile zu zerschneiden. Aber zum Öffnen einer nicht im Bauplan vorgesehenen Einstiegsluke ließ er sich auch verwenden.

Cay desintegrierte kurzerhand die Verriegelung einer Notschleuse und schweißte die Luke anschließend hinter sich wieder zu, damit die Schiffsatmosphäre nicht entwich, wenn er das Innenschott öffnete. Nun blieb ihnen wirklich nichts anderes übrig, als den Raumer einzunehmen, wenn sie ihn wieder verlassen wollten.

"Cay, du leitest das Betäubungsgas in die zentrale Luftverteileranlage, und ich kümmere mich um die Leute in der Zentrale. Es dürften eigentlich nur zwei Piloten sein, es sei denn die Firma hat ihre normale Prozedur für Überführungsflüge umgestellt."

"Wie du meinst..." Cayvyn machte sich sogleich auf den Weg, während Acy, die die Pläne der Flashlight aus dem Computer von Comtesse Chambleau entwendet hatte, einen Wartungsschacht ausnutzte, um zu einer Ventilationsluke am Fuß der Raumüberwachungskonsole zu kriechen.

Pfui Teufel, war das schmutzig da unten - und sowas bei einem funkelnagelneuen Schiff! Alycia spähte vorsichtig in die Zentrale.

Die zwei Piloten standen mit dem Rücken zu ihr, und einer hatte einen Mikroblaster auf das Zentraleschott gerichtet, bereit, alles umzunieten, was von dort aus in den Leitstand einzudringen gedachte. Der zweite Mann war unbewaffnet und sah hektisch vom Schott zum Hauptmonitor, auf dem ein Übersichtsplan der Flashlight abgebildet war und zurück. Zum Glück waren dort nur die offiziellen Gänge angezeigt, stellte Acy erleichtert fest. Die Kraucherei durch den Dreck hatte sich also doch gelohnt - obwohl der Raumanzug sie ziemlich dabei behindert hatte.

Lautlos klappte sie das Ventilationsgitter beiseite und zog sich aus der Öffnung auf den Boden der Kommandozentrale. Geräuschlos schlich sie sich hinter den bewaffneten Mann und tippte ihm auf die Schulter.

Völlig geschockt wirbelte dieser herum und krachte in einen fürchterlichen Schwinger von Acy, woraufhin er erledigt zu Boden ging - aber auch Alycia fühlte sich etwas mitgenommen, ihre Hand war mindestens verstaucht. Während sie noch ihre malträtierten Knöchel rieb und fürchterliche Flüche ausstieß, erholte sich der zweite Gegner von der Überraschung und beschloß, sich nun zur Abwechslung mal auf den Angreifer zu stürzen. Ergo machte jetzt Acy ebenfalls mit dem Boden Bekanntschaft und fand es gar nicht gut, daß der zweite Mann sich kurzerhand auf sie setzte und somit zur Bewegungsunfähigkeit verdammte. Mit zwei Handgriffen hatte er ihren Raumhelm entfernt und war offenbar ziemlich erstaunt, ein weibliches Wesen dorten zu erblicken. Auf jeden Fall gaffte er sie verdattert an, und Alycia fürchtete schon, daß er sich den Kiefer dabei ausrenkte. Endlich zischte das Betäubungsgas in die Kommandozentrale. Kurz bevor Acy das Bewußtsein verlor, fand sie, daß ihre Kampftaktik unbedingt einer Verbesserung bedurfte.

* * *

"Lisha!" Alycia erwachte mit einem fürchterlichen Brummschädel, und auch ihre linke Hand schmerzte gräßlich. Außerdem war ihr schlecht - und überhaupt... Sie weigerte sich, ihre Augen zu öffnen. Was war eigentlich los gewesen? Sie runzelte die Stirn, was das Hämmern und Pochen just hinter dieser um noch einige Grade verstärkte.

"Alycia!" Nein... Sie war nicht da, sie war weit, weit weg!

Patsch, patsch - etwas schlug zunächst gegen ihre rechte, dann gegen ihre linke Wange. Patsch! Plötzlich saß Acy kerzengrade und schlug blindlings zurück. Treffer, dachte sie befriedigt.

"Was soll das?" empörte sich Cayvyn.

"Du hast mich geschlagen", jammerte Acy. "Ich habe Kopfschmerzen und Handschmerzen, und außerdem bin ich tot!" Sie sank wieder in die Kissen zurück.

"Laut Medscanner sind deine Lebensfunktionen klar und deutlich wahrnehmbar", machte Cayvyn sie irritiert aufmerksam.

"Cayvyn, ich brauche dringend etwas gegen meine Kopfschmerzen! Und fürderhin hätte ich nichts dagegen, von dir getröstet zu werden..." Sie rieb sich die Schläfen. "Wie lange war ich eigentlich k.o.?"

"Sieben Stunden."

"Oh... Heißt das, du hast das Unternehmen alleine durchgezogen?"

"Du warst ja leicht indisponiert", stichelte Cayvyn, was ihm einen mörderischen Blick von Alycia eintrug.

"Wo ist die Flashlight?"

"Ich habe sie auf dem Mond von Serajs XIX in einer Felsspalte versteckt. Sobald sich die Aufregung ob des dreisten Überfalls etwas gelegt hat, werde ich sie von dort abholen. Zudem habe ich die beiden Piloten mit einem Peilsender auf Kemtall abgesetzt, so daß sie fast unmittelbar wieder eingesammelt werden konnten - und nun hat die Weltraumpolizei vor wenigen Minuten eine Fahndungsmeldung veröffentlicht... Da heißt es, daß eine 'schwarze Raumpiratin' zugeschlagen hat... Es ist auch ein recht nettes Phantombild von dir über den Äther gegangen. Offensichtlich hast du einen ziemlichen Eindruck auf den einen Typen gemacht..." Breit grinsend spielte Cay die Aufzeichnung der Fahndungsmeldung ab, und ein wahrhaft ätherisches Konterfei erschien unter dem 'GESUCHT!'-Schriftzug. Wallende, tiefschwarze Haare, ebenso kolorierte Augen und ein völlig ebenmäßiger, heller Teint...

"Hups, soll ich das sein?" japste Acy fassungslos.

"So entstehen Legenden..." deklamierte Cayvyn süffisant.

"Aber ich habe doch gar keine schwarzen Augen! Meines Erachtens sind sie ganz normal blaugrau!"

"Die menschliche Beobachtungsgabe ist nicht sehr präzise, wie du wissen solltest", stellte Cayvyn fest. Mittlerweile hatte Alycia ihre Kopfschmerzen ganz vergessen, sie schob nur noch Kohldampf. Außerdem mußte sie mal dringend verschwinden...

* * *

Es war Temitag, der 3757/03/07 GZ.

Cayvyn und Shentay hatten ein provisorisches Tarnschild-Aggregat zusammengebastelt, das sie behelfsmäßig in die Flashlight einbauten, um diese ins Suune-System zurückzubefördern. Mittlerweile hatte die Weltraumpolizei es aufgegeben, im Serajs-System nach Flashlight oder den Raumpiraten zu suchen; jene hatten sich offenbar gekonnt in Hochvakuum aufgelöst.

Bereits wenige Stunden später kehrten die beiden Männer zurück. Als die Flashlight ungetarnt im Beta-Hangar stand, betrachtete Alycia ihr neues Schiff begeistert. Der Raumer war etwa 50 Meter lang und bestach durch eine elegante, klare Linienführung, sowie einen strahlend silbernen Schutzanstrich, auf dem in verschnörkelten, dunkelgoldenen Lettern der Name Flashlight aufgebracht war.

"Ich denke, als erstes werde ich dieser Schönheit einen neuen Namen geben", beschloß Acy. "Was hältst du von Silver Lightning, Cay?"

"Das klingt mir so nach Silver Arrow - und das halte ich nicht unbedingt für ein gutes Omen, wenn man bedenkt, wie dieser Raumer sein Leben aushauchte..." Alycia sah Cayvyn amüsiert an. Ein Androide, der von Omen sprach?!

"Hm. Naja... Silver Star?" schlug sie vor.

"Wie wäre es mit Black Lightning?" meinte Cayvyn belustigt. "Das wäre doch ein passender Name für das Schiff der 'Schwarzen Raumpiratin'..."

"Haha!" machte diese und schnitt eine Grimasse. "Wie wäre es mit einem Kompromiß - nur Lightning?!"

"Okay." Cayvyn öffnete die Hauptschleuse über die Fernsteuerung. "Zunächst einmal sollten wir die bei der Kaperung beschädigte Notschleuse reparieren. Dann werde ich mich darum kümmern, den Ultraraumschubverstärker an das Haupttriebwerk anzuschließen. Shen, Myri, würdet ihr bitte den Tarnschildprojektor fest einbauen? Dieses Provisorium im Maschinenraum gefällt mir überhaupt nicht." Acy betrachtete ihren Lebensgefährten mit hochgezogenen Augenbrauen.

"Und was, Mylord, habt Ihr mir zugedacht?"

"Mir scheint, ich kenne deinen Terminkalender besser als du selbst - denk dran, daß du zur Aufsichtsratsversammlung der Blade Enterprises mußt!" Acy zog eine Schnute.

"Ich hasse diese albernen Aufsichtsratsversammlungen...! - Aber du hast recht, mein Schatz, ich muß wohl oder übel da hin..."

"Wenn du wieder zurückkommst, werden wir bereits einen Teil der Umbauten in die Wege geleitet haben. Schließlich hat auch noch deine liebe Freundin Calris Geburtstag, falls du es nicht schon wieder vergessen hast..."

"Bei der Verlorenen Schriftrolle der Dunklen Mutter - sicher habe ich das vergessen... Hm... Ich hoffe, es steht hier noch eins meiner Machwerke herum, das ich ihr schenken könnte..."

Für ihr Image als exzentrische Milliardärserbin hatte Alycia sich ein spleeniges Hobby überlegt, und zwar das Malen exorbitanter abstrakter 'Kunstwerke'. Zu ihrer totalen Überraschung gingen die Teile weg wie warme Semmeln - und das, obwohl sie bestenfalls zwischen Hauptmahlzeit und Dessert entstanden.

Immer, wenn sich Alycia langweilte, griff sie zu Farben und Leinwand und klatschte kurzerhand ein paar Kleckse auf den Untergrund. Dies, zusammen mit einem möglichst esoterischen Titel, wurde von allen Kunstkritikern bis zum Umfallen hochgelobt. Acy fand das Ganze ausgesprochen witzig und fuhr munter fort, Leinwände mit Farbe zu verschandeln. Außerdem hatte sie so immer Geburtstagsgeschenke auf Lager...

"Mh, Cay, und ich kann dich absolut nicht dazu bringen, mich zu begleiten? Diese Parties bei Calris sind immer so entsetzlich öde!" Sie schmiegte sich verführerisch an ihn und wuschelte in seinem kupferrotgoldenen Schopf herum.

"Keine Chance", bemerkte Cayvyn grinsend. "Sie ist immerhin deine Freundin!"

"Naja, etwas anderes würde ich dir auch nicht geraten haben", sagte Alycia und schlang die Arme um Cayvyns Mitte. "Okay, ich weiß noch nicht, wann ich wiederkomme - unter Umständen bleibe ich über Nacht in Calris' Domizil."

"In Ordnung. Bis dann!" Cay verabschiedete sich mit einem ausdauernden Kuß von ihr, bevor er sich wieder der Lightning zuwandte.

Nach lediglich drei Monaten war es ihnen dann gelungen, den Raumer nach ihren Bedürfnissen umzubauen, und am 49. Meyari 3757GZ starteten Cayvyn und Alycia zu einem ausgiebigen Testflug, der sie bis in den Bereich der Planetenallianz Tamjira brachte.

Und nun galt es, eine geeignete Basis für ihr geplantes Vorhaben zu finden. Am besten wäre wohl ein Asteroid im Trümmerring zwischen den Planeten Suune VII/Kolshaan und Suune VIII/Temirisa.



Gegenwart

Eniatag, der 3760/01/02 GZ.

Blackfire überprüfte noch einmal den Sitz ihrer weißblonden, hüftlangen Perücke. Gut... Auch das knallrote lange Kleid und die schwarzen Stiefel saßen perfekt. Cayvyn trug einen grauen Coverall und hatte hellrotblondes Haar. So wären sie sicherlich nicht wiederzuerkennen, befand Karylla.

Sie holte ein Kästchen Rohdiamanten hervor, die sie im Zuge der Erschließung des Asteroiden, der nun ihre Basis Nightfall Station beherbergte, gefunden hatte, und steckte das kleine Behältnis in ihre Handtasche.

"Ich bin soweit, Cay - äh, Ryko!" sagte sie und reichte ihm ihren Arm. Ryko lächelte ihr zu und hakte sie unter.

"Ich habe unsere TM-Gürtel synchronisiert. Bei gelb-gelb-grün materialisieren wir in einer abgelegenen Seitenstraße", erläuterte Infinity.

"Dann los!"

Sie verstofflichten sich in einer verlassenen Gasse der Stadt Ilso auf Solse IV/Enaryshavell. Zielstrebig schlug Ryko eine Richtung ein. Nach einigen Minuten erreichten sie eine belebtere Fußgängerzone, die von mehreren Transportbändern gesäumt wurde. Acy runzelte die Stirn. Sie hatte gar nicht daran gedacht, daß Ilso eine der größten Städte Enaryshavells war... Inmitten der ganzen verschwenderisch gekleideten Enaryshaner wirkte sie reichlich hinterwäldlerisch. Nun gut, dann kam sie eben aus einem Dorf in Kancia, dem mehr landwirtschaftlich genutzten Kontinent des Planeten, dessen Bevölkerung es als unsittlich ansah, sich dem luxuriösen, automatisierten Leben der Metropolen des Kontinents Tamincia hinzugeben... Alycia war ja prinzipiell ein Stadtkind gewesen, aber ihre Jugend im Varieté hatte dazu geführt, daß sie hauptsächlich unter Artisten aufgewachsen war - und diese waren ja bekanntlich auch nicht das Maß aller Dinge.

"Wie weit ist es noch?" erkundigte sie sich bei Ryko.

"Steig auf das Transportband, dann sind wir in fünf Minuten da", erwiderte er. Mit einem Hüpfer stand sie auf dem langsamsten der drei Bänder, und ihr Partner kam mit einem großen Schritt hinterher. Ein Antigrav-Stützfeld fing sie sicher ein, so daß sie sich nicht einmal darum bemühen mußten, ihr Gleichgewicht zu halten.

"Da vorne ist es!" Ryko deutete auf ein schimmerndes Gebäude aus Glas und Metalloplast, dessen Peripherie von einem dezenten Holoschriftzug umlaufen wurde: Planetenbank Enaryshavell-Ilso.

"Jawohl..." Karylla kniff die Augen zusammen, als sie mit Ryko das Transportband verließ. Endlich war der Zeitpunkt gekommen, da sie mit Chenary Tharulla Ondavall abrechnen konnte!

* * *

Vergangenheit

Es war Tenmatag, der 34. Zameri 3743GZ.

Marycia Enylla Khyshisall stand vor dem zimmerhohen Spiegel in der Suite ihres Hotels in Ilso. Sie streifte das juwelenbestickte Kostüm über, das sie bei jedem ihrer Auftritte trug, bevor sie ihren schweren Schmuck in das wallende, schneeweiße Haar flocht und die übrigen Stücke um Hals und Arme legte.

"Lisha, wo steckst du?" Wie von Zauberhand stand ein elfjähriges Mädchen vor ihr. Ihre Haare hatten nicht das reine Weiß der Rhianna-Kaste von Emrhiann, und auch die Augen des Mädchens waren eher von einem hellen Blaugrau denn von dem leuchtend blauen Farbton derer von Emrhiann. Marycia lächelte. Nichtsdestotrotz war Alycia Cherylla ihre Tochter, auch wenn sie offenbar mehr nach ihrem Vater schlug.

"Hier, Marsha! Was gibt's?"

"Bist du immer noch nicht fertig? Denk dran, wir müssen in zwei Stunden bei Monsieur Ondavall auftreten. Er wollte eine Sondervorstellung - zum Geburtstag seines jüngsten Sohnes, wie er mir sagte..."

"Ja, ich weiß..." Acy starrte auf den Sessel, auf dem ihr glitzernder Gürtel lag und streckte eine Hand aus. Unvermittelt hielt sie den Gürtel in derselben. Marycia nickte anerkennend.

"Du wirst immer besser, Lisha! In vier Jahren kannst du den Test der Würdigkeit ablegen, dann werden dich die Rhianna-Priester richtig im Gebrauch deiner Gabe schulen."

"Muß das sein?! Ich habe aber keine Lust, zu diesen Priestertypen zu gehen!"

"Warte erst einmal ab, Kleines", sagte Marycia lachend. "Wo hast du die Umhänge schon wieder hingelegt?"

"Mh... Ich glaube, die hängen da drüben über dem Sessel!"

"Gut. Also, Lisha, heute führen wir das kleine Programm vor, das heißt, wir sind nach einer Stunde fertig. Wenn ich Monsieur Ondavall recht verstanden habe, sind wir noch geladen, an seinem Dîner teilzunehmen, und anschließend geht es retour. Dann müssen wir schon wieder unsere Sachen packen, weil ich Kolshatag in Kervall vorsprechen muß."

"Kervall?! Aber das ist doch in Kancia, wo es fast nur Grünzeug gibt... Ich wußte gar nicht, daß man da überhaupt auftreten kann..."

"Auch Kancia verfügt über ausgedehnte Städte, Lisha. Zugegeben, die Leute dort ziehen ein naturverbundeneres Leben vor, doch das hat nicht viel zu sagen."

"Mhm..."

* * *

Später am Abend, als Marycia und Alycia ihre Vorstellung beendet hatten, wurden sie in einen kostbar ausgestatteten Raum geführt. Marycia betrachtete die kunstvoll gestalteten Statuetten in den Vitrinen und war fast versucht, das eine oder andere Exemplar dezent mitgehen zu lassen, als Chenary Ondavall hereintrat.

Dieser war ein kleiner, untersetzter Mann in mittleren Jahren, dessen früh ergrautes Haar einen ziemlich wüsten Kranz um einen kahlen Fleck mitten auf dem Schädel bildete. Acy musterte ihn stirnrunzelnd. Irgendetwas an dem Blick aus diesen grünbraunen Augen gefiel ihr ganz und gar nicht.

"Ich war entzückt!" rief er enthusiastisch aus. "Wahrlich, meine Liebe, und neben Ihrem überwältigenden Talent sind Sie auch noch solch eine Augenweide - Marycia..." Die Angesprochene verengte ziemlich irritiert die Augen zu schmalen Schlitzen. Was erlaubte sich dieser Kerl?! Die Tür öffnete sich, und eine ältere Bedienstete winkte Alycia zu sich.

"Mädchen, möchtest du noch ein paar Süßigkeiten?"

Alycia warf einen Blick zu ihrer Mutter herüber. Diese zuckte mit den Achseln.

"Geh nur, Lisha. Ich habe ohnehin noch ein paar geschäftliche Dinge mit Monsieur Ondavall zu besprechen." Als Acy verschwunden war, machte Ondavall noch einen Schritt auf Marycia zu.

"Nur ein paar geschäftliche Dinge...?" fragte er mit einem höchst beunruhigenden Unterton.

"Was erlauben Sie sich?" sagte Marycia eisig.

"Marycia Enylla Khyshisall - Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich solch ein bezauberndes Geschöpf wie Sie wieder gehen lasse..."

"Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Denken Sie daran, ich bin eine Rhianna, und ich könnte Sie mit einem Gedanken in Stücke reißen!"

"Das würde ich Ihnen nicht raten, meine Liebe... Ich habe Anweisung gegeben, daß Ihrer Tochter ein höchst unangenehmes Geschick zuteil wird, wenn mir irgendetwas zustößt... - Und ebenso weiß Ihr Töchterchen, daß Sie jegliches Fehlverhalten ihrerseits ausbaden dürfen. Sie sehen, Marycia, Sie gehören mir!"

"Sie sind das bösartigste Individuum, das..."

"Aber, aber, meine Liebe... Es wird Ihnen hier äußerst gut gehen. Ich werde es Ihnen an nichts fehlen lassen, und wenn Sie immer brav sind, liegt ein Leben voller Luxus und Annehmlichkeiten vor Ihnen..." Er setzte ein niederträchtiges Lächeln auf, und Marycia funkelte ihn in ohnmächtiger Wut an.

"Lieber sterbe ich, als in solch einem Gefängnis dahinzuvegetieren!"

"Das sollten Sie sich gut überlegen. Denn dann wird auch Ihre Tochter sterben - und es wird kein angenehmer Tod für das Mädchen werden..."

Ondavall taxierte Marycia noch einmal abschätzend bevor er sich abwandte und den Raum verließ. Die Tür war noch nicht einmal verschlossen, stellte diese erbittert fest, als sie das Sensorfeld berührte. Eine junge Frau im Kleid eines Dienstmädchens trat zu ihr.

"Madame Khyshisall, der gnädige Herr hat uns mitgeteilt, daß Sie zu bleiben wünschen?" Sie strahlte die Illusionistin an, und Marycia entschied, daß sie offenbar keine Ahnung von Ondavalls Erpressung hatte. "Bitte kommen Sie mit, ich werde Ihnen Ihre Gemächer zeigen! Einer der Hausdiener ist bereits unterwegs, Ihre Habseligkeiten aus dem Hotel abzuholen."

"Danke..." sagte Marycia abwesend. Sie hatte die Situation noch gar nicht so richtig realisiert. Gefangen?! 'Oh, Dunkle Mutter der Verlorenen Schriftrolle, was hast du mir angetan?'

Sie wurde in eine prächtig ausgestattete Suite geführt, und das Dienstmädchen meinte:

"Wenn Sie etwas wollen, dann können Sie nach mir klingeln, Madame."

"Ja ja - danke..." entgegnete ihr jene leise, und die Frau machte einen Knicks und zog sich zurück.

'Das, was ich will, können Sie mir ohnehin nicht bringen', dachte Marycia und ließ sich auf das Bett fallen. Irgendwie mußte sie wieder hier herauskommen - aber ohne Lisha dabei in Gefahr zu bringen!

* * *

Gegenwart

Eniatag, der 3760/01/02 GZ.

Gemeinsam betraten Blackfire und Infinity die Planetenbank Enaryshavell-Ilso. Das Interieur des Gebäudes war, ebenso wie das Äußere, im Stil des späten 37. Jahrhunderts gehalten.

Aufwendige Designer-Innenarchitektur mit halbdurchsichtigen Metalloplastmöbeln wurde von sorgfältig getrimmten sinhalonischen Dschungelpflanzen ergänzt und von der Decke her in sanft orangegetöntes Licht getaucht. Der Türrahmen am Eingang schimmerte in schwach bläulichem Licht, das Standard-Abtastfeld auf Waffen und ähnliche Gegenstände. Als Ryko unbeanstandet passierte, atmete Karylla auf. Seine 'Isolierung' war also tatsächlich gut genug, und auch seinen Miniscanner hatte der Abtaster übersehen. Gut.

Die beiden schlenderten zum Informationsschalter, der von einem jungen Enaryshaner besetzt war.

"Sie wünschen, bitte?" erkundigte er sich geschäftsmäßig. Karylla kramte in ihrer Handtasche herum und zog das Kästchen mit den Steinen hervor.

"Mein Freund ist Prospektor im Saluna-System", sie warf Ryko einen strahlenden Blick zu, "und er hat mir einige seiner schönsten Rohdiamanten geschenkt. Nun halte ich es aber nicht für sinnvoll, diese bei mir zu Hause zu deponieren. Eine Freundin empfahl mir diese Bank, weil sie meinte, hier wären die Steine am besten aufgehoben..."

"Sie wollen also ein Tresorfach mieten?"

"Ja, genau das!"

"Dann warten Sie bitte einen Moment, ich werde einen Kollegen verständigen, der mit Ihnen die Modalitäten abklärt."

Wenige Minuten darauf erschien ein anderer Angestellter. Alleine daraus war zu ersehen, daß dieses Institut hochangesehen war, denn nur größere Firmen u.ä. konnten es sich leisten, Menschen für solcherart Tätigkeiten einzustellen. Normalerweise wurde sogar der Publikumsverkehr von einfachen Dienstleistungsandroiden abgewickelt.

Karylla und Ryko folgten dem Mann zu einer Privatsphäre. (Dies ist ein von einem Solido-Energiefeld abgeschlossener Raum, der schall- und abhördicht ist.)

"Bitte, setzen Sie sich doch. Ich bin Ginery Lerulla Elaioll..." Blackfire und Infinity leisteten der Aufforderung Folge.

"Ich bin Amelycia Unnila Saritoll."

"Hilyko Varella Eskevall", nannte Ryko den erstbesten enaryshanischen Namen, den sein Zufallsgenerator produzierte.

"Sehr erfreut, Madame et Monsieur... Ihr Anliegen war das Mieten eines Tresorfaches?"

"Richtig!" Karylla nahm das Kästchen, das sie immer noch in der Hand hielt und öffnete es, wobei sie die diversen Rohdiamanten auf dem Schreibtisch ausleerte. Elaioll wurde blaß, das war ihm in seiner Karriere auch noch nicht vorgekommen. Hastig bemühte er sich, die Steine von seinen Papieren herunter und in das Kästchen zurückzubefördern. "Dafür", fügte Blackfire noch erläuternd hinzu, und sah ihn mit einem möglichst naiven Gesichtsausdruck an.

'Hoffentlich habe ich das glaubhaft hingekriegt', dachte sie, innerlich kichernd. Auch Ryko hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Seine Partnerin schaffte es immer wieder, die internen Barrikaden zu unterlaufen, die sein Emotio-Zentrum von seinem voll-rationalen Computergehirn abschotten können sollten.

"Nun", begann er in allerbestem Saluna-Platt, bevor er offenbar mühsam nach Starlingua wechselte, welche er immer noch mit dem Slang der salunischen Prospektoren spickte. "Die Steinchn solltn hier gut aufgehobn sein, meinte mein Ameli-Schatz, nicht? Aber - und das müssn Se mer nicht übelnehmen, nicht - wenn'ch mer erstmal Ihrn Raum mit dem Tresorfächern ansehn will. Das wird doch wohl möglich sein, nicht?"

"Aber sicher! Schließlich müssen Sie sich auch selbst davon überzeugen können, daß Ihre Wertgegenstände korrekt und sicher verwahrt werden. Allerdings ist es dabei stets unabdingbar, daß ein Angestellter dieses Instituts Sie zu den Tresorfächern begleitet."

"Das wird schon in Ordnung gehen", meinte Karylla und nickte heftig. Ryko war einfach gut! Daß sie sich nicht vor Lachen ausgeschüttet hatte, war nur eisernster Konzentration auf ihr Vorhaben zu verdanken gewesen. Ginery Elaioll erhob sich, nachdem er sichergestellt hatte, daß alle Steine wieder sicher in Karyllas Behältnis verschwunden waren.

"Wenn Sie mir nun bitte folgen würden?" meinte er, nachdem er ein paar Worte mit jemandem am Viphon gewechselt hatte. Da er die Privatsphäre aktiviert hatte, war es selbst Ryko unmöglich, etwas zu hören. Blackfire und Infinity trotteten hinter dem Angestellten her, der sie zu einem altmodischen Kabinenlift führte. Karylla runzelte die Stirn. So dumm war das mit dem Kabinenlift gar nicht, überlegte sie. Im Falle eines Überfalls brauchte das Teil lediglich blockiert werden, und niemand kam an die unteren Etagen mit den eigentlichen Wertsachen heran. Hm. Diese Bank auszunehmen, mochte sich als komplizierter erweisen, als sie zunächst gedacht hatte. Mal sehen, was Ryko mit dem Miniscanner herausgefunden hatte.

Sie erreichten eine monumentale Panzertür, die bestimmt einer von diesen antiken, im Geschichtsunterricht ab und zu erwähnten, Nuklearbomben standhalten würde. Dahinter zweigten mehrere, ebenfalls von solchen Schotts geschützte Gänge ab. Elaioll zückte eine Codekarte, eine weitere Schlüsselkarte und führte eine komplizierte Prozedur an dem Türschloß durch, die über eine Sensorüberprüfung seiner Fingerabdrücke bis zur Eingabe eines Passwords ging. Ryko und Karylla wechselten einen amüsierten Blick. Ondavall war offenbar ein echter Sicherheitsfanatiker. Geraume Zeit später standen sie in einem ausgedehnten Tresorraum, in dem sich Tresorfach an Tresorfach reihte.

Ginery Elaioll steuerte zielstrebig auf eine der Türen zu und entnahm einem Schlitz zwei Codekarten.

"Ich denke, Sie wollen beide Zugriff auf den Safe haben?"

"Klaro", bestätigte Ryko.

"Gut. Dann fangen wir mit der Dame an. Geben Sie ihren Namen zweimal in das Tastenfeld ein. Gut. - Jetzt wählen Sie ein Password aus; das müssen Sie ebenfalls zweimal eintippen. Fertig? Gut. Dann legen Sie Ihre Hand - die rechte bitte! - auf das Sensorfeld. So, nun müssen Sie noch einmal Ihren Namen und das Password eingeben... Jetzt warten Sie kurz!" Der Mann steckte die Codekarte in einen anderen Schlitz neben der Tastatur. "So, und wenn Sie an das Fach wollen, müssen sie zunächst Namen und Password eingeben, woraufhin Sie die Codekarte in das Lesegerät eingeben können. Wenn diese Prozedur ordnungsgemäß abgelaufen ist, wird über den Sensor das Türschloß freigegeben. Ist das soweit klar?"

"Entschuldigen Sie, Monsieur - äh, wie war noch Ihr Name?"

"Ginery Elaioll", half ihr der Bankangestellte aus.

"Ja, Monsieur Elaioll - könnten Sir mir das bitte noch einmal erklären? Es ist mir leider etwas zu schnell gegangen..." Elaioll sah sie leicht gestreßt an, wiederholte seine Vortrag aber pflichtschuldig noch einmal.

"Ich danke Ihnen... So, lassen Sie es mich nun probieren!" Karylla steuerte auf das Fach zu und hantierte daran herum. Nach etwa einer Minute stand sie immer noch vor der fest verschlossenen Safetür. "Es funktioniert nicht", beschwerte sie sich. Elaioll eilte zu ihr hin und besah sich die Bescherung, während Ryko unauffällig den Raum untersuchte.

"Lassen Sie mich einmal sehen! - So, geben Sie einmal Ihren Namen und Ihr Password ein... - Da haben wir es! Sie haben sich beim Password vertippt!"

"Nein, das kann gar nicht sein. Ich tippe es genau so, wie ich es zuerst eingegeben hatte."

"Aber Madame... Sie sehen doch genau, daß Ihre Eingabe als inkorrektes Password abgelehnt wird!"

"Oh... Oder sollte ich mich am Anfang vertippt haben?" Karylla sah den Mann betont hilflos an.

"Moment, ich bringe das in Ordnung..." Elaioll - mittlerweile schon reichlich enerviert - löschte Karyllas Eintragung aus der Password-Datei. "So, jetzt können Sie ein neues Password eingeben..."

"In Ordnung. - Aber nicht Hingucken!" Der Bankangestellte gab einen tragischen Seufzer von sich.

"Madame, es ist mir völlig gleichgültig, was Sie da eingeben..."

"Scht! Sehen Sie, was Sie angerichtet haben. Ich habe mich schon wieder vertippt..."

Nach bestimmt einer Viertelstunde war sie endlich fertig - und Ginery Elaioll ebenfalls, aber eher mit den Nerven... Karylla war überaus stolz auf ihre Verzögerungstaktik. Wenn es hier irgendwelche Schwachstellen geben sollte, hatte Ryko sie nunmehr bestimmt entdeckt.

Unmittelbar darauf war auch ihr Partner versorgt, und die Rohdiamanten lagen im Tresorfach. Als die zwei abgezogen waren, atmete Elaioll erleichtert auf und beschloß, sich zunächst einmal eine ausgiebige Kaffeepause zu gönnen.

* * *

Blackfire und Infinity schlenderten aus dem Gebäude und nahmen Kurs auf den nahegelegen Stadtpark von Ilso. Sie ließen sich auf einer Parkbank nieder, und Ryko legte einen Arm um die Schultern seiner Partnerin.

"Nun, mein Schatz, was hast du herausgefunden?" wollte Karylla von ihm wissen.

"Ein 'normaler' Einbruch wäre viel zu aufwendig. Bis wir alle Wertsachen eingesammelt hätten, wäre soviel Zeit vergangen, daß die Weltraumpolizei noch diverse Jobs zwischendurch erledigen müßte, um uns nicht zu erwischen... Also, auf Anhieb sehe ich keine Chance."

"Hm..." Karylla spähte zu dem Bankgebäude herüber. "Ich habe da eine ganz verrückte Idee..."

"Was sonst?!" Ryko starrte in den fliederfarbenen Himmel von Enaryshavell. Nur ein paar Schleierwolken zauberten ätherische Muster hinein.

"Wenn wir schon nicht die Bank ausrauben können - ja, warum sollten wir dann nicht einfach die ganze Bank rauben?"

"Karylla, habe ich deine Äußerung richtig verstanden - du willst das ganze Gebäude mitgehen lassen?!"

"Warum nicht?!" fragte sie treuherzig zurück.

"Du bist verrückt! Wie willst du das denn anstellen?"

"Naja, wozu hat die Lightning einen leistungsfähigen Traktorstrahler?!"

"Leider wird dieser nicht ausreichen, das Bankgebäude von seinem Fundament zu lösen."

"Naja, so vielleicht nicht - aber wenn wir das Fundament untergraben und Treibsätze an strategisch sinnvollen Positionen anbringen..."

"Ach, du willst ganz einfach zur Bank gehen und anfangen, das Grundstück mit Tunnels zu unterminieren?!"

"Wir könnten uns zunächst einmal die Kanalisation ansehen und von dort aus anfangen, weitere Tunnels zu graben."

Ryko sah seine Partnerin nachdenklich an.

"Weißt du was, Kary?! Das könnte sogar funktionieren..."

"Natürlich weiß ich das! Also komm, mein Schatz - sehen wir uns die Angelegenheit vor Ort an." Sie blickte sich suchend um, um die nächste Wartungsöffnung des Kanalisationssystems ausfindig zu machen.

"Karylla, denk dran, wir benötigen auch noch dieses 'Beweismaterial' gegen Ondavall. Was hältst du davon, wenn ich mich darum kümmere, während du die Lage unter dem Bankgebäude sondierst?"

"Hm..." machte Blackfire stirnrunzelnd. Wenn es etwas gab, was sie abgrundtief verabscheute, dann war das - außer Spinnen u.ä. - ekliger Gestank. Es wäre ihr eindeutig lieber gewesen, wenn Ryko sich erboten hätte, diesen Job da unten zu übernehmen. "Na gut. Aber ich werde mir zunächst einmal die Bauunterlagen des Gebäudes verschaffen, damit ich genauer abschätzen kann, wo die einzelnen Treibsätze angebracht werden müssen."

"In Ordnung. Nebenbei, hat Chenary Ondavall irgendwelche Familie?"

"Irgendwelche ist gut... Er gehört zur Kaste der Erhsammi von Fah-Ilso... Du weißt doch, daß auf Enaryshavell sehr viel Wert auf Abstammung gelegt wird - und die Erhsammi gehören einer der Ur-Religionen an, in der noch Erhsa, die Vielmutter und Ammy, der Vielvater verehrt werden. Die Erhsammi haben als eins ihrer obersten Prinzipien das 'Mehren aller Dinge' in ihre Kastengesetze einbeschrieben. Dazu gehört unteren anderem der Besitz, ebenso wie Ehegatten, Nachkommen etc. Das ist auch der Grund dafür, daß die Erhsammi-Kaste schon längere Zeit verpönt ist. Sie gehen ihren Leitsätzen auch nur noch im Verborgenen nach. Naja, um auf deine Frage zurückzukommen - Ondavall betreibt eine Art 'Harem' , zu dem aber auch noch weitere männliche Personen - Ehegatten einiger der Frauen - gehören. Alles in allem sind Erhsammi-Familienangelegenheiten für Außenstehende so gut wie undurchschaubar..."

"Ich stelle fest, daß ich unbedingt noch einige Daten über Enaryshavell sammeln muß", bemerkte Ryko fasziniert. "Wie viele dieser Kasten gibt es denn hier?"

"Mehrere tausend. Aber ich glaube, die sind bei weitem nicht alle katalogisiert. Die bekanntesten sind die Arishanna, die etwa 60 Prozent aller Enaryshaner ausmachen. Diese sind der Religion des Schicksalsmeisters verbunden und haben sonst eigentlich wenige Maximen außer dem kategorischen Imperativ, also vereinfacht gesagt, die Regel, daß man sich allen Wesen gegenüber so verhalten soll, wie man möchte, daß diese sich einem selbst gegenüber verhalten."

"Klingt höchst vernünftig", meinte Ryko.

"Leider halten sich die wenigsten daran", seufzte Karylla und legte ihren Kopf an Rykos Schulter.

"Ich dachte, diese Grundsätze der 'Kasten' wären verbindlich, wenn man einer derselben angehört...?"

"Da die Kastenzugehörigkeit durch die Geburt festgelegt ist, sind die meisten Mitglieder gar nicht unbedingt aus Überzeugung zugehörig. Ich bin ja auch nur Rhianna, weil meine Mutter eine Rhianna-Priesterin war. Sicherlich gibt es immer wieder Leute, die diese Prinzipien über alles andere stellen - aber die sind recht selten. Obwohl, die Rhianna-Kaste ist ohnehin ein ziemlicher Ausnahmefall. Da sie - neben vielleicht zehn oder elf anderen - zu den wenigen Kasten gehört, in denen noch die PSI-Fähigkeiten der alten Zeit erhalten geblieben sind, ist sie eine 'geschlossene' Kaste, das heißt, die Priester behalten es sich vor, Bewerber anzunehmen oder abzulehnen. Voll-Kinder der PSI-Kasten haben auf jeden Fall die jeweiligen Talente, während aber Halb- und neveshell-Kinder erst einen 'Test der Würdigkeit' ablegen müssen, um zu zeigen, daß sie von ihrem Kasten-Elternteil die Gabe geerbt haben. Ich habe zwar den offiziellen Test nie abgelegt, aber meine Mutter hat mich schon relativ früh getestet und begonnen, mich teilweise auszubilden, daß der Test für mich mehr Formsache gewesen wäre."

"Höchst interessant. Kary, wird diese Kastenzugehörigkeit eigentlich durch äußere Merkmale kenntlich gemacht?"

"Das ist von Kaste zu Kaste verschieden. Die meisten reinblütigen Rhianna haben schneeweißes Haar und leuchtendblaue Augen. Die Kershi erkennt man an einem kunstvoll verzierten Dolch, den sie rechts am Gürtel tragen, Mharenni schmücken sich mit blau-gold-bestickten Stirnbändern - es gibt noch so viele Dinge... Die Arishanna wiederum haben kein besonderes Merkmal, ebensowenig Ishalli oder Shivenna... Aber ich glaube, das sagt dir momentan nicht allzuviel."

"Korrekt. Ich werde den entsprechenden Datenkomplex zu gegebener Zeit genauestens examinieren. Ach - gibt es ein Erkennungsymbol dieser Erhsammi?"

"Hm..." Karylla dachte kurz nach. "Ich bin mir nicht ganz sicher - über die ist so wenig bekannt... Aber ich entsinne mich, daß meine Mutter eine Tätowierung erwähnte, die Ondavall an der Innenseite seines linken Unterarms trug - einen roten Lhairann-Vogel, der durch einen Bogen grüner Shatram-Ranken flog. Der Lhairann ist das uralte Symbol Ammys, während die Ranken für Erhsa stehen, so würde ich es zumindest annehmen. - Ähm, Ryko, diesmal hast du was Verrücktes vor, das habe ich im Gespür!" Sie richtete sich wieder auf und erforschte Rykos Gesichtsausdruck. Jee, was ein Pokerface betraf, war er wirklich unschlagbar! "Sag bloß, du willst dich bei Ondavall einschmuggeln?"

"Wir benötigen schriftliche Unterlagen von ihm, um die 'Beweise' zu fälschen", erinnerte er sie. "Ich werde einmal Nachforschungen anstellen, um exakte Infos über die Erhsammi-Kaste zu erlangen. Dann wurde ich versuchen, mir einen Zugang zu Ondavalls Haushalt zu verschaffen..."

"Ryko! Untersteh dich, auch nur den Gedanken zu verfolgen, dich kurzfristig Ondavalls Familienclan anzuschließen!" Karylla funkelte ihren Partner höchst ungehalten an.

"Warum nicht?"

"Ähm - nun... Da herrschen ziemlich zügellose Sitten", begann Blackfire zögernd. "Ich könnte die Vorstellung nicht ertragen, daß du und eine andere Frau... - Verdammt, Ryko, ich liebe dich!"

"Sch, Kary..." Ryko lächelte sie an und gab ihr einen zärtlichen Kuß. "Du kannst sicher sein, daß ich nichts tue, was dich verletzen würde."

"Hm... Naja..." Karylla musterte ihn eher zweifelnd. Vielleicht nicht absichtlich - aber er hatte sich ja schon so einige Sachen geleistet...

Sie beschloß aufzustehen und räkelte sich erst einmal.

"Aah... Ich glaube, wir sollten uns langsam einmal aufmachen..." Insgeheim stellte sie sich vor, was wohl ihre Halbschwester dazu sagen würde, daß sie hier in aller Ruhe einen größeren Coup plante.

Nardia war doch immer so schrecklich auf ihren Ruf bedacht und was 'die Leute' sagten... Sie fand es ja schon schrecklich genug, daß sie, Acy, so 'furchtbar exzentrisch' war... Ob Nardia es jemals merken würde, daß sie und Blackfire bzw. Infinity und Cayvyn ein und dieselben Personen waren?!

Karylla dachte belustigt daran, wie sie damals ihrer Schwester Cayvyn vorgestellt hatte...

* * *

Vergangenheit

Es war Ensitag, der 3756/04/05 GZ.

Alycia beschloß, mit ihrer 'neusten Errungenschaft' von Naravina nach Tarishaan zurückzukehren. Sie sandte einen Funkspruch gen Blade Manor, das monumentale Gebäude, in dem Nardia Ashni Blade residierte, wo sie ihre Halbschwester vermutete.

"Nardia?" Sie starrte gebannt auf den Monitor.

"Humpf!" ertönte es. Kein Bild erschien.

"Hm?" Acy beugte sich ein Stückchen vor und klebte förmlich mit der Nase am Schirm. "Ich sehe dich nicht. Ist dein Sender defekt?"

"Nein."

"Oh. Ich wollte fragen, ob ich gleich mal bei dir vorbeikommen könnte. Weißt du, ich habe eine aufregende Neuigkeit..."

"Jetzt?" ertönte es entsetzt.

"Warum nicht?"

"Es ist 3 Uhr morgens!"

"Oh. Als ich von Naravina startete, war dort Vormittag..."

"Grummel... Nun gut. Jetzt bin ich eh wach!"

"Fein! Ich lande in einer halben Stunde bei dir!"

Sie unterbrach die Verbindung und leitete - nach dem obligatorischen Fight mit der Raumüberwachung und Luftraumkontrolle - die Landung ein.

* * *

Schwungvoll stürmte Alycia die Freitreppe zum Eingangsportal von Blade Manor empor. Cayvyn mußte sich beeilen, ihr zu folgen. Es war wirklich noch stockdunkel, aber zum Glück wurde das Areal Blade Manors hell erleuchtet.

Mit einer Berührung der Sensorplatte glitt die Tür auf. In der Empfangshalle stand Anthony herum, der ebenfalls gerade von irgendeiner Unternehmung zurückgekehrt war.

"Hi Tony! Solltest du nicht längst im Bett sein?" begrüßte Alycia ihren Halbbruder, der unschuldig gen Decke schaute, bevor er einen raschen Abflug machte. Nardia wollte er doch lieber nicht um diese Zeit und in diesem Aufzug über den Weg laufen. (Er trug einen ...extravaganten Glitzeranzug und seine Frisur war - nun ja, gestylt...)

Nardia schwebte ziemlich verschlafen die Treppe herunter.

"Tolles Nachthemd", stellte Acy fest. Es war ein weißes Spitzenteil und sah nachgerade verwegen aus. Cayvyn hob fasziniert eine Augenbraue. Es erschien ihm sehr rätselhaft, wie dieses Kleidungsstück hielt.

"Seid mir begrüßt, Lady Nardia!" meinte er amüsiert.

"Müßte ich Euch kennen?" erkundigte sich diese stirnrunzelnd.

"Nein!" rief Acy. "Deshalb wollte ich ja bei dir vorbeikommen... - Nad, darf ich dir Sir Cayvyn vorstellen? Er ist mein" - Jee... Acy beschloß, sowohl Cay als auch Nardia zu schocken. Das geschah ihm nur recht. Er hatte es ja so gewollt... "Hm... Lebensgefährte!" Cayvyn sah Alycia höchst fasziniert an.

"Ach?!" Nardia musterte diesen eher desinteressiert.

"Wieso 'ach?!'?" Acy war ein wenig irritiert. "Sir Cayvyn ist meine große Liebe!"

"Nur so... - Sehr erfreut, Sie kennenzulernen", bemerkte Nardia und gähnte diskret.

"Ganz meinerseits, Lady Nardia", verkündete Cayvyn und machte eine stilvolle Verbeugung.

"Also, irgendwie bist du heute nicht sehr gesprächig", stellte Alycia verwundert fest und betrachtete ihre Schwester nachdenklich. War sie vielleicht krank?

"Grummel, grummel", ertönte es aus Richtung Treppe.

"Ach, du bist müde! - Okay, dann komme ich in 3 Stunden noch mal vorbei - du hast doch Zeit, oder?"

"Da kannst du doch gleich hierbleiben!"

"Gute Idee! Wenn ich mit dem Schiff jetzt zur Villa und wieder zurückflöge, hätte ich eh kaum Zeit, um mich umzuziehen et cetera... Welche Bleibe weisest du mir zu?"

"Das violette Zimmer!"

"Na gut. Auch wenn es sich mit meiner Haarfarbe beißt..."

Acy schwebte davon, und Cayvyn trottete hintendrein. Völlig geschafft wankte Nardia wieder in Richtung ihres Schlafgemachs zurück.

* * *

Am nächsten Morgen wurde lautstark zum Frühstück gegongt. Alycia wäre beinahe aus dem Bett geflogen.

'Arme Nardia, kein Wunder, daß sie immer so gestreßt ist', dachte sie.

Etwa 50 Minuten später begaben Acy und Cayvyn sich nach unten. Alycia konnte diese Speisehalle immer noch nicht ausstehen. Der Saal maß gute 20 x 10 Meter, und die Tafel paßte sich diesen Ausdehnungen perfekt an. Sie war zwar nicht ganz so gewaltig wie die im Burgschloß zu Süd-Ayryana, aber es hatten dorten trotzdem bestimmt hundert Leute Platz, und so wirkte der gewaltige Tisch bei den nur vier Gedecken etwas unterfordert. Wenigstens mußte hier nicht jeder an einer Seite Platz nehmen, dachte Acy erleichtert.

Nardia saß bereits an ihrem Stammplatz und wartete. Anthony schlief noch - woran das bloß lag?

"Moin, Nad!" Nun war es an Alycia, eher unausgeschlafen zu sein, denn solch unmotivierte paar Minütchen Schlaf zwischendurch konnten einen müder machen als alles andere, dachte sie verstimmt. Sie musterte Cayvyn stirnrunzelnd. Tsayée! Vielleicht hätte sie doch lieber ganz wach bleiben sollen... Nardia grinste sie an.

"Morgen!"

"Ebenfalls einen Guten Morgen, Lady Nardia", wünschte Cayvyn dieser frisch, munter und ausgesprochen gutgelaunt.

'Graa', dachte Acy. Es war frustrierend. Androiden waren einfach durch nichts kleinzukriegen! Naja, aber andererseits hatte das auch so seine Vorteile... Nachdem die Begrüßungsrunde zur allseitigen Befriedigung abgeschlossen war, nahmen auch Acy und Cay Platz. Gähnende Leere auf der Tafel - außer den schon erwähnten vier Gedecken, versteht sich.

"Wo bekomme ich hier einen Kaffee?" fragte Alycia leidend und spähte sehnsüchtig in ihre leere Tasse. "Am besten ein bis zwei Kannen..."

"Bestellen!"

"Bei wem?"

Nardia drückte ihrer Schwester eine Menükarte in die Hand. Nebst einer opulenten Auswahl gab es zu jedem Punkt ein Sensorfeld, mit dessen Betätigung man die jeweilige Bestellung aufgeben konnte. Acy drückte sicherheitshalber gleich dreimal auf den Punkt Kaffee.

Nach zwei Minuten erschien ein Dienstmädchen und schob eine Schwebetablett mit immerhin drei großen Kannen Kaffee vor sich her.

"Oh", kommentierte Alycia diese Entdeckung. Aber wenigstens würde sie nicht verdursten.

Die folgenden Minuten vergingen in schweigender Vernichtung diverser Nahrungsmittel, vornehmlich eben jenes Kaffees.

"Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, mich zu besuchen?" wollte Nardia nun wissen.

Im Prinzip war Alycia hauptsächlich neugierig gewesen, ob es irgendjemandem auffiele, daß Cayvyn kein menschliches Wesen war. Obwohl... Vielleicht hätte sie sich da ein geeigneteres Testobjekt aussuchen sollen als ihre Schwester, die ja eh an fast gar nichts Interesse zeigte und auch so wohl nicht die beste Beobachterin war. Ts. Naja. Auf jeden Fall fiel es dann wohl nicht ganz so sehr auf, wenn sich Cayvyn vielleicht doch mal etwas seltsam benahm - obwohl er die Angelegenheit auf Naravina eigentlich mit Bravour hinter sich gebracht hatte.

"Nun... Weißt du... Ach, ich hatte ja gar keine Ahnung, daß sich mein Leben so einschneidend verändern würde, als ich diesen kleinen Abstecher nach Naravina machte... Seufz!" Alycia warf Cay einen glutvollen Blick zu. "Aber als ich ihn dorten entdeckte..." Sie gab einen noch tragischeren Seufzer von sich.

"Wie interessant!"

"Nicht? Hach, es war Liebe auf den ersten Blick!" 'Naja, obwohl ich ihn immer noch manchmal erdolchen könnte', dachte Acy eher grimmig. Cay hatte Probleme, eine feierliche Miene beizubehalten, und Nad sah verdächtig so aus, als würde sie sich gleich erschüttert abwenden.

Plötzlich wurde die Tür zum Eßsaal schwungvoll aufgerissen und Tony stürmte herein.

"Hi! Gibt's noch was zu essen für mich? - Hey Acy, ist das dein Neuer?" Er musterte Cayvyn äußerst interessiert. Heute morgen hatte er ja keine Zeit mehr dafür gefunden. Der Typ war eindeutig ein Naravino, so dekadent wie seine Klamotten wirkten. Seine Kleidung war erbarmungslos metallicgrün und golden von Kopf bis Fuß. Tse.

"Tony!" sagte Alycia vorwurfsvoll. "Was heißt hier 'mein Neuer'?! - Sir Cayvyn ist wahrlich meine große Liebe!"

"Oh nein! Ich kann es nicht mit ansehen", bemerkte Anthony geknickt. "Wie altmodisch!" Dabei war er doch immer der festen Überzeugung gewesen, daß Acy sich nicht mit solchen, längst überholten Konzepten wie etwa 'großer Liebe' oder so abgab. Die Ärmste - was für ein Rückschritt!

"Seufz", machte Alycia nur, und Cayvyn mußte das Grinsen nunmehr gewaltsam unterdrücken. Tony ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen und fiel über die einzig verbliebene Kaffeekanne her, bevor er eine gewaltige Schüssel Müsli orderte. Als angehender Jet-Setter und Playboy mußte man in Form bleiben.

"Nadi, duuu...!" begann er zögernd.

"Hm...?" entgegnete diese ihm ahnungsvoll.

"Kriege ich zum Geburtstag einen TMW-Rallye-Gleiter? Ich war auch immer ganz brav..."

"Laß dich überraschen."

"Aber wenigstens einen Blade Dragon...!"

"Vielleicht!"

"Na gut. Und was ist mit meinem monatlichen Taschengeld? Denk dran, ich werde in vier Wochen siebzehn! Wie soll ich mit lumpigen 5000 Credits pro Monat auskommen?"

"Sparen, mein Lieber", kam es von Acy, die immer noch etwas ungehalten wirkte, da sie von Tony als 'altmodisch' bezeichnet worden war.

"Wozu?"

"Damit du dir selbst mal etwas leisten kannst und nicht immer weitere Taschengelderhöhungen einfordern mußt..." Acy setzte ein niederträchtiges Grinsen auf. "Stell dir vor, du müßtest arbeiten..."

Das Entsetzen in Tonys Blick war unbeschreiblich.

"A-arbeiten...?!" Dieses Konzept war ihm noch mehr zu wider als eine etwaige 'große Liebe'... "Acy, was ist nur in dich gefahren - daran ist bestimmt nur dieser Kerl schuld!"

Ein dezentes Glucksen ertönte aus Cayvyns Richtung. Er war froh, daß er sich hier nicht übermäßig äußern mußte - das würde er wahrscheinlich nicht überleben.

Tony hatte seine Müsli-Schüssel geleert und sprang auf. Pah! Arbeiten! Er entschloß sich, dieser Gesellschaft erst einmal den Rücken zu kehren.

"Mir scheint, der allgemeine Aufbruch hat begonnen", stellte Alycia fest. "Ich denke, Sir Cayvyn und ich werden uns auch alsbaldig zurückziehen. Ich muß noch zu Calris fliegen und ihr die umwerfende Neuigkeit verkünden..." Acy stand auf. und Cay folgte ihrem Beispiel.

"Lady Nardia, ich möchte mich an dieser Stelle überaus herzlich für Eure edle Gastfreundschaft bedanken", sagte er salbungsvoll. Acy war sich sicher, daß er das ironisch meinte. Ts ts.

"Tschüs!" war Nardias einziger Kommentar. Sie war froh, wenn die beiden wieder weg waren. Vielleicht gelang es ihr dann einmal, richtig auszuschlafen...

Acy schnappte sich Cayvyns Arm und düste mit ihm Richtung Landefeld, wo die Dreamsong stand.

* * *

Gegenwart

Eniatag, der 3760/01/02 GZ.

"Gut, machen wir uns auf den Weg", meinte Ryko zustimmend. Karylla nickte nur und verschwand in Richtung Stadtbauamt von Ilso. Wenn es irgendwo Unterlagen des Bankgebäudes gab, dann dort.

Ryko hingegen suchte zunächst ein öffentliches ZIV-Terminal auf. Er mußte noch genauere Daten über diese 'Erhsammi-Kaste' einholen. Sicherlich waren die diesbezüglichen Informationen nicht frei zugänglich, aber er hätte es auch ausgesprochen langweilig gefunden, wenn man es ihm so leicht gemacht hätte. Wozu war er denn sonst mit Firestars Wissen über alle möglichen Einbruchstechniken (und sogar noch mehr, denn man bildete sich schließlich weiter...) ausgerüstet.

Das Terminal befand sich in einer Art gläsernen Zelle, und ein Berührungssensor gab den Eingang frei. Kaum daß Ryko in dem kleinen Raum verschwunden war, aktivierte sich automatisch eine Privatsphäre, die hier zusätzlich zum Schall auch noch die Sicht abschirmte. Von außen sah die ZIV-Zelle nun undurchsichtig dunkelblau aus. Ryko aktivierte das Terminal, indem er eine Kreditkarte in den dafür vorgesehenen Schlitz steckte, und das Symbol der ZIV-Enaryshavell - ein stilisierter Speicherkristall auf einer angedeuteten antiken Schriftrolle - erschien auf dem Monitor. Wenige Sekunden darauf ertönte eine sanfte Stimme.

"ZIV-Enaryshavell ist bereit. Wünschen Sie Hilfe?"

"Nein", erwiderte Ryko und warf einen höchst unschuldigen Blick auf die Sensortastatur. Bei den ZIV-Einrichtungen waren Anfragen sowohl akustisch möglich, als auch über andere Medien; so verfügten die öffentlichen ZIV-Stellen zusätzlich über Schreib-/Lesegeräte für Info-Kristalle und Solido-Printer, falls schriftliche Ausgaben erwünscht waren. "Ich brauche eine Verbindung zum Kommunikationscomputer der Universität von Tamsaioll."

(Tamsaioll ist die Hauptmetropole von Solse IV/Enaryshavell)

"Verbindung steht." Gleichzeitig erstrahlte das Wappen der Uni auf dem Schirm, gefolgt von einem Prompt, der Ryko bedeutete, daß er sich hier und sofort einloggen müßte, um weiterzukommen. Nun gut, dann machte er erst einmal auf Gast... Und von da würde er weitersehen. Jetzt kam der Zentralrechner der Universität an die Reihe, den man über den Kommrechner ansprechen konnte. Also loggte sich Ryko nun dort ein und besah sich die Angelegenheit.

Jedes System hatte seine Lücken, die ironischerweise sogar durchaus bekannt waren, was aber nicht bedeutete, daß irgendjemand sich die Mühe machte, sie zu beseitigen. Und falls doch - es gab immer noch genug Dilettanten, die wieder neue Einbruchsmöglichkeiten schufen... Ryko probierte ein paar Strategien aus, und siehe da, bei Nummer 4 klappte es bereits, und er hatte nun auch die Möglichkeit, auf die vor öffentlichem Zugriff geschützten Daten zuzugreifen.

Nach einiger Suche fand er in einer Datenbank der Soziohistoriker, was er suchte: Einen sehr umfangreichen Abriß über die Entwicklung einiger in der heutigen Zeit verpönten bis verbotenen Kasten. Ryko runzelte die Stirn. Die Erhsammi schienen in dieser Gruppe noch zu den harmloseren zu gehören... Allerdings mußte man dabei zugute halten, daß die hier abgelegte enaryshanische Kastengeschichte bis zu 2900 Jahre zurückreichte, und damals mochte es noch angegangen sein, wenn Mitglieder einer verfeindeten Kaste am Spieß gebraten und als Hauptgang auf einem Festmahl gereicht wurden oder wenn die eine oder andere Kaste auszog, um das Umfeld mit allen Mitteln (bevorzugt Mord und Folter) nach ihren Glaubenssätzen zu missionieren.

Heutzutage sah das ja ganz anders aus. Da beschränkten sich einige wenige kleinere Kasten aufgrund ihrer Überzeugung, daß sie doch eigentlich etwas besseres als der Rest der Welt waren, auf Bestechung, Sabotage u.ä., um an Einfluß zu gewinnen. Das Gros der enaryshanischen Bevölkerung kümmerte sich jedoch nicht um solche Fragen der Philosophie oder des Glaubens. Man war zufrieden, wenn man sein Auskommen hatte und niemand einen dabei störte, während man sein von der Gesellschaft vorgezeichnetes Leben lebte und keine Abweichung von der Norm sein friedvolles Dasein in Unordnung brachte.

Ryko schüttelte nur den Kopf. Zum Glück war er kein Enaryshaner; das hätte er entschieden zu langweilig gefunden. Er las die Daten durch und verließ den Uni-Computer wieder, bevor er sich auch von der ZIV verabschiedete. Nun würde er sich ohne Schwierigkeiten als Mitglied der Erhsammi ausgeben können. Er müßte sich nur die bereits von Karylla erwähnte Tätowierung aufmalen und einige Details der geheimen Gestensprache beachten, die zugegebenermaßen für einen Nicht-Kastenangehörigen so gut wie nicht erlernbar war. Aber für einen Androiden war das natürlich kein Problem...

Zum Glück waren die Erhsammi - wenn auch nicht sehr beliebt - eine der größeren der kleinen Kasten, was bedeutete, daß sich die einzelnen Mitglieder untereinander nicht alle kennen konnten. Also sprang Ryko erst einmal hinauf zur Lightning, um sich mit der erforderlichen Malerei zu versehen, bevor er in der Nähe von Chenary Tharulla Ondavalls Besitz materialisierte.

* * *

Karylla saß im Warteraum des Vorzimmers des städtischen Stadtbauamtes. Sie war zwischendurch noch einmal kurz auf der Lightning gewesen, hatte ihre Sachen gewechselt (nun wirkte sie eindeutig wie eine etwas höhergestellte Beamtin) und sich zusätzlich ein paar sinnige Papiere gefälscht.

"Bitte, Madame Darishell, Sie können durchgehen. Monsieur Khumevall erwartet Sie bereits."

"Danke", sagte Blackfire hoheitsvoll und rauschte in das Büro des städtischen Bauamtsleiters. Dieser blickte von einem Monitor hoch. Karylla erhaschte gerade noch einen Blick auf die Schlußsequenz von 'Dämonenlabyrinth', einem besonders in Büros beliebten Computerspiel. Offensichtlich war Khumevall ein Profi in der Geisterjagd, denn er hatte beinahe die Höchstpunktzahl erreicht.

"Ah, guten Tag, Madame...?" Khumevall suchte nach dem Memocordereintrag, der ihm den Namen seines Gegenübers verraten sollte, doch Karylla war schneller.

"Henya Elissa Darishell, Sub-Koordinatorin des Bezirksbaugewerbeamts von Nord-Tamincia, zuständig für dem Großraum Fah-Ilso..."

"Ilyko Mharulla Khumevall. Angenehm, Madame Darishell. Was kann ich für Sie tun?"

"Bei unserer letzten Überprüfungen der Baugenehmigungen ist uns aufgefallen, daß uns offenbar ein schwerwiegender Fehler unterlaufen ist, als wir dem Bauunternehmen Shentesoll&Co. einige Großprojekte genehmigten. Der entsprechende Beamte ist derzeit vom Dienst suspendiert..."

"Worum geht es?"

"Diese Firma hat bei einigen Projekten schwer gepfuscht, und es steht zu befürchten, daß einige ihrer Bauten aus Sicherheitsgründen abgerissen werden müssen. Ich bin beauftragt worden, die Baupläne und Unterlagen über folgende von Shentesoll&Co. errichtete Gebäude einzuholen, um sie einer eingehenden Überprüfung durch die zuständigen Stellen zugänglich zu machen: die Stadtverwaltung Ilso-Süd-4, die Planetenbank Enaryshavell-Ilso, die Stadtteil-Bibliothek Ilso-West, das Einkaufszentrum Themisall und das Schwimmbad Ilso-Süd. Diese Gebäude sind einem breiten Publikum zugänglich, und es ist daher vordringlich, diese zu überprüfen. Stellen Sie sich vor, dort passiert etwas, Menschen werden verletzt oder gar getötet, und es heißt, die Behörden sind dafür verantwortlich, weil sie nicht aufgepaßt haben..."

Khumevall nickte hektisch. Da diese Gebäude unter seiner Aufsicht entstanden waren, würde es auch auf ihn zurückfallen... Vor seinem geistigen Auge sah er sich schon versetzt in ein Amt im Hinterland von Kancia, wo er landwirtschaftliche Quoten überwachen durfte...

"Sicherlich, Madame Darishell. Warten Sie einen kleinen Moment..." Er verließ das Spielprogramm und forderte die von Karylla genannten Baupläne an. Kurz darauf drückte er ihr einen Speicherkristall in die Hand.

"Ich danke Ihnen, Monsieur Khumevall. Ich werde Ihre freundliche und unbürokratische Mitarbeit an geeigneter Stelle lobend erwähnen. Auf Wiedersehen."

Frohen Mutes schritt Blackfire aus dem Büro. In einem verlassenen Gang des Bauamtes aktivierte sie ihren TM-Gürtel und transmittierte zur Lightning zurück, um erst einmal den Bauplan der Bank zu analysieren.

* * *

Ryko marschierte schnurstracks auf Ondavalls Heimstatt zu. Er wußte zwar genau, was er wollte (nämlich diverses handschriftliches Material von Ondavall), aber er hatte noch keine Ahnung, wie er es anstellen sollte, daran zu kommen. Hm. Im Zweifelsfall würde es auch ausreichen, wenn er an das persönliche Siegel des Bankiers herankäme oder an dessen Fingerabdrücke...

Zumindest letzteres sollte innerhalb der Wohnung Ondavalls ein kleineres Problem werden. Wer rechnete schon damit, daß jemand unterwegs sein könnte, um Fingerabdrücke zu klauen?!

Aber zunächst einmal sollte er dezent seine Persönlichkeit wechseln, beschloß Ryko. Nun war er Emary Varulla Helivall aus einem Randbezirk von Fah-Ilso, nuschelte dessen Enaryshana-Dialekt und bewegte sich wie ein Abkömmling der Erhsammi-Kaste. Der Unterschied in der Körpersprache war so minimal, daß ein normaler Enaryshaner gar nichts Auffälliges bemerken würde, doch für jemanden, der jahrelang darauf achten mußte, waren die Signale nicht zu übersehen.

Infinity trat an die Tür und betätigte den Summer. Kurz darauf ertönte eine unpersönliche Stimme.

"Was wünschen Sie, Monsieur...?"

"Mein Name ist Emary Varulla Helivall, und ich möchte..." Ja, was wollte er überhaupt?! Ryko überlegte annähernd in Nullzeit. "Ich möchte ihm eine wichtige Nachricht übermitteln!" Das war immer gut, befand er.

"So? Und was für eine Nachricht soll das sein?"

"Das darf ich nicht mit Subalternen besprechen", erwiderte Ryko selbstbewußt. Ihm war endlich eine Idee gekommen.

* * *

Karylla hatte sich unterdessen in einem Kostümverleih den Arbeitscoverall eines Tiefbauingenieurs zugelegt, mit passendem Helm und sonstigen Accessoires. Den Übersichtsplan der Kanalisation von Ilso hatte sie einfach bei der ZIV-Enaryshavell anfordern können, und nun machte sie sich kurzerhand auf den Weg, um den der Planetenbank nächstgelegenen Kanalisationseinstieg zu suchen.

Endlich hatte sie das entsprechende Objekt entdeckt. Unter den etwas irritierten Blicken diverser Passanten verschwand sie in dem mitten in der Fußgängerzone gelegenen Loch, wobei sie den Deckel wieder diskret hinter sich zuzog.

Schon in den oberen Regionen des engen Schachts rümpfte Blackfire angeekelt die Nase, aber als sie in der horizontalen Röhre stand, war es beinahe gänzlich um sie geschehen. Pfui Teufel, stank das hier erbärmlich! Sie war kurz davor, sich zu übergeben. Dennoch marschierte sie mit Todesverachtung den Weg entlang, den sie sich in der Übersichtskarte eingezeichnet hatte. Zum Glück spendete der Helmscheinwerfer nur gerade genug Licht, daß sie ein, zwei Meter Sicht hatte, denn bei dem Gedanken, was hinter, über und neben ihr vielleicht an Spinnen und sonstigen Insekten herumkrauchte, war Blackfire schon wieder einer Panik nahe. Dann besser nichts sehen und nichts wissen...

"Ich hätte lieber meinen Raumanzug anziehen sollen", überlegte sie und schüttelte sich, als ihr eine neuerliche Gestankwolke in die Nase stieg. Irgendwo plätscherte etwas; es hörte sich an, als ob kleine Tiere durch die eklige Brühe huschten.

"Hups, wo bin ich überhaupt?!" fragte Karylla sich stirnrunzelnd. Sie suchte nach einer Wandmarkierung und bemerkte mit Grausen ein paar glitschige ...Monster, die über den schmierigen Untergrund krabbelten. "Abzweigung Ilso-Süd Altstadt 5, 39m Ost..." las sie ab. "Igitt, noch 147 Meter bis zur Position der Planetenbank... Nein, das überlebe ich nicht!"

Angewidert balancierte sie auf dem schmalen Gehsteig entlang, während links von ihr die schwarze, blubbernde Brühe vorbeirauschte. Sie wagte nicht, sich vorzustellen, wie es ihr ergehen würde, wenn sie plötzlich ausglitt und in diesem Fluß des bestialischen Gestanks verschwand. Vermutlich würde sie in Ohnmacht fallen und elendiglich darin ertrinken, um anschließend von diversen Ratten und Würmern aufgefressen zu werden... Endlich war sie an der berechneten Position und blickte nach rechts.

"Sehen Sie, Sie sehen nichts", murmelte sie und starrte an die Wand des Abwasserkanals. Genau hier neben dieser Röhre sollte sich die südliche Grundmauer der Bank befinden. Das hieß, sie müßte von hier aus einen Tunnel graben, um von dort zunächst unter die Bank zu gelangen, wo sie dann an strategisch sinnvollen Positionen die Treibsätze anbringen könnte, die das Gebäude mitsamt seinem Fundament aus dem Boden lösen sollten. Hm. Vielleicht hatte sie ja Glück, und die Grundmauern reichten nicht ganz so tief...

Karylla beschloß, es darauf ankommen zu lassen, schnallte den Desintegrator-Brenner vom Rücken und setzte ein leichte Sauerstoffmaske auf, die leider nichts dazu beitrug, den Gestank wegzufiltern. Sie konnte sich Dutzende von angenehmeren Tätigkeiten vorstellen, als in dieser Abwasserpampe herumzustehen und Löcher in Wände zu bohren, überlegte sie voller Selbstmitleid. Ryko war jetzt irgendwo da oben im Trockenen, in sauberer, vielleicht nach Blumen duftender Luft - und sie?! Grumpfend jagte sie einen Desintegratorstrahl mittlerer Kapazität in die Wandung und sah zu, wie der Stein sich in Wölkchen schimmernder Gase auflöste. Nach 25cm hielt sie kurz inne. Jetzt hatte sie die Verschalung des Abwassersystems hinter sich gebracht. Von der Bank war allerdings noch nichts zu sehen. Aber laut Plan fing das Gemäuer ohnehin erst in 85cm an. Endlich hatte sie die angegebene Entfernung zurückgelegt. Tatsächlich, dort war ein neues Mauerwerk! Jetzt mußte sie lediglich sehen, wie tief dieses noch nach unten reichte. Sie vergrößerte das gebohrte Loch, damit sie halbwegs hineinkriechen konnte und begann, nun das Erdreich nach unten hin aufzulösen. Nur 35cm mußte sie in die Tiefe gehen, dann hatte sie das Ende des Fundaments der Bank erreicht.

"Hm-hm", machte Blackfire befriedigt. Es schien doch nicht ganz so schlimm zu werden. Nun mußte sie lediglich ein paar Gänge hier unten hineinfräsen, dort die Treibladungen placieren, und das weitere würde sich ergeben...

* * *

Infinity hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah unbewegt in die Überwachungskamera. Endlich hatte sich der unsichtbare Sprecher zu einer Entscheidung durchgerungen.

"Gut, dann treten Sie ein. Ich werde Monsieur Ondavall von Ihrer Anwesenheit in Kenntnis setzen."

Ein Butler-Androide führte Ryko in eine Art prunkvoll ausgestattetes Wartezimmer. Und er wartete... Nach etwa einer Dreiviertelstunde bequemte sich Chenary Tharulla Ondavall, bei ihm vorbei zu sehen. Zwischendurch hatte Ryko das Interieur des Raums einer eingehenden Untersuchung unterzogen, wobei er beschloß, eine besonders hübsche kleine Statuette aus einer der Vitrinen zu entfernen. Die Alarmanlage hatte sich nämlich bei der ersten flüchtigen Untersuchung als nicht-trivial erwiesen, und das reizte ihn doch ungemein. Leider gab es hier insgesamt viel zu viele Fingerabdrücke, als daß er die von Ondavall hätte herausfinden können.

Gerade als das Figürchen in Rykos Mantel verschwunden war, betrat der Bankier den Raum.

"Was für eine Nachricht wollten Sie mir überbringen?"

"Monsieur Ondavall, ich habe eine Information für Sie, die eine Aktion gegen Sie betrifft, und ich dachte, Sie wären bestimmt interessiert daran, mir diese abzukaufen."

"Wollen Sie mir drohen?"

"Aber nein, Monsieur Ondavall - im Gegenteil! Ich versuche, Sie vor Schaden zu bewahren. Und Sie können es mir doch nicht übelnehmen, wenn ich daraus für mich ebenfalls einen geringen Profit ziehe. Wissen Sie, das Unternehmen, von dem ich gehört habe, könnte Sie in den Ruin treiben..."

"Reden Sie schon, Mann!"

"Zuerst meine Konditionen: Insgesamt 50000 Credits, 20000 im Voraus und noch einmal 30000, wenn Sie die Übeltäter arrestiert und somit festgestellt haben, daß ich die Wahrheit gesagt habe."

"Sie unverschämter..."

"Monsieur Ondavall, dürfte ich Sie daran erinnern, daß Sie einen Jahresumsatz haben, der in die Millionen Credits geht... Was sind da für Sie 50000 Credits? Ich bitte Sie! Und für mich ist das viel Geld..."

"Hm..." Man sah es Ondavall an, wie es in ihm arbeitete.

"Monsieur Ondavall, ist es vermessen, wenn ich Sie um eine kleine Erfrischung bitte?" Ryko sah den Bankier mit einem scheuen Lächeln an. Er hoffte, daß sein Gegenüber ebenfalls etwas zu trinken nahm. Dann brauchte er lediglich das entsprechende Glas zu entwenden - et voilà! "Ich bin bereits mehrere Stunden unterwegs und mich dürstet ungemein..."

Vielleicht fände er auch eine Möglichkeit, Ondavalls Siegelring zu kopieren. Der Bankier trug ihn am Mittelfinger der rechten Hand, und Ryko überlegte schon, wie er das Teil inklusive der persönlichen Codesequenz duplizieren konnte. Plötzlich hatte er die Erleuchtung. Ein wenig war er ungehalten darüber, daß es so lange gedauert hatte, bis er aus den gegebenen Umständen einen funktionierenden Plan entwickeln konnte. Am besten sollte er zu gegebener Zeit seine Assoziationsprogramme eingehend durchchecken lassen...

Unterdessen hatte Chenary Ondavall eine Karaffe Jimar geordert, ein erfrischendes Fruchtgetränk mit schwach berauschender Wirkung. Er reichte Ryko ein Glas der sprudelnden, rotorangefarbenen Flüssigkeit, bevor er sich ein anderes nahm. Infinity war begeistert.

"Danke. Nun, Monsieur Ondavall, was sagen Sie zu meinem Vorschlag?"

"In Ordnung. Erzählen Sie, Monsieur!"

"Moment - nicht so rasch... Ich möchte, daß wir unsere Vereinbarung vertraglich festhalten, damit ich Ihnen nicht meine Informationen preisgebe und keine Gegenleistung dafür erhalte..."

"Sie vertrauen mir nicht?" Ondavall sah Ryko gekränkt an, doch dieser gab den Blick mit einem Lächeln zurück.

"Sagen wir - ich gehöre ebenfalls der Erhsammi-Kaste an, mein Herr."

"Ich sehe... Nun, dann begleiten Sie mich in mein Arbeitszimmer, wo ich ein entsprechendes Schriftstück aufsetzen kann."

"Mit dem größten Vergnügen." Unauffällig ließ Ryko Ondavalls Trinkbecher, den dieser gerade abgestellt hatte, in seinem Mantel verschwinden, bevor er dem Bankier folgte.

Wenig später hatte Ryko 20000 Credits, einen persönlich von Ondavall unterschriebenen und gesiegelten Vertrag und diesen von einem angeblich in zwei Tagen geplanten Überfall auf die Planetenbank Enaryshavell-Ilso unterrichtet. Mit seiner Beute verabschiedete er sich und kehrte zur Lightning zurück, um die Unterlagen zu fälschen, die Chenary Tharulla Ondavall ruinieren sollten. Was mochte Karylla gerade tun?

* * *

Blackfire fluchte lästerlich. Angeblich hieß es doch, daß man sich an jeden Gestank - und sei er noch so furchtbar - im Laufe der Zeit gewöhnen konnte. Warum funktionierte das bei ihr bloß nicht?

Sie hatte gerade die siebte Treibladung an der berechneten Stelle installiert, und ihr war so schlecht von dem ganzen Mief, daß sie am liebsten sofort zur Lightning zurückgekehrt wäre und sich dort erst einmal ein paar Stunden erholt hätte.

Aber was sollte es? Dann hätte sie noch einmal hier herunter gemußt, und sie war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde, sich ein zweites Mal dazu zu überreden. Also, noch drei Ladungen, und sie hätte es überstanden...

Endlich war es geschafft. Sie kroch zu ihrem Ausgangspunkt an der Fußgängerzone zurück und kletterte hinauf. Als sie aus dem Loch stieg, schloß Karylla geblendet die Augen. Verdfluxt, war das hell hier... Unter den erneut verwunderten Blicken des derzeitigen Publikums kraxelte sie aus der Öffnung und machte sich davon, nachdem sie den Deckel wieder ordnungsgemäß arretiert hatte.

In einer unbeobachteten Ecke transmittierte sie zur Lightning zurück. Sie hatte dies nicht von dem Standort unter der Bank tun wollen, denn man konnte sich nie sicher sein, ob nicht gerade irgendwo die Transmit-Sprünge mitprotokolliert wurden, und ein Impuls, der von einem Ort unter einer Bank ausging, würde sicherlich Verdacht erregen.

* * *

"Hallo Kary!" wurde sie von Ryko begrüßt. Er musterte sie kritisch. "Ich empfehle dir einen sofortigen und längeren Aufenthalt unter der Dusche."

"Ha ha! Du hast es ja nicht nötig gehabt, die Dreckarbeit zu machen! Aber ich, als bedauernswerte Angehörige des 'schwachen Geschlechts', mußte mich mit Tiefbauarbeiten herumplagen..."

"Hast du es geschafft?"

"Sicherlich!"

"Warum regst du dich dann auf?"

"Graaaa!" Karylla stampfte mit dem Fuß auf. "Sieh doch nur, wie ich aussehe! Und dann dieser Gestank!"

"Im anderen Fall wäre mein Exterieur verschmutzt worden", konstatierte Ryko. "Du solltest dich jetzt reinigen."

Blackfire warf ihrem Partner einen tödlichen Blick zu und trollte sich ins Bad. Gut zwei Stunden später kehrte sie zurück, in einen knallbunten, schlabberigen Freizeitanzug gehüllt, und die Haare nachlässig zu einem Pferdeschwanz gebändigt. Ryko erwartete sie bereits, doch sie war immer noch verärgert und würdigte ihn keines Blickes, bis er sie kurzerhand in die Arme nahm und ihr einen Kuß auf die Nasenspitze gab.

"Laß mich!" fauchte Karylla ihn an.

"Sch, Kary..." meinte Ryko und strich ihr zärtlich über die Wange. "Jetzt komm erst mal mit. Ich habe uns etwas zu Essen gemacht."

Karylla runzelte die Stirn, beschloß dann aber, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Ihr Magen knurrte bereits bedrohlich. Als sie den Eßsalon der Lightning betrat, konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ryko wußte genau, wie er sie immer wieder herumkriegen konnte...

Der Tisch war kunstvoll dekoriert, und er hatte sogar ein paar Kerzen organisiert, die eine schummrige Helligkeit verströmten.

(Kerzen - Energiezellenbetriebene, stabförmige Lampen, deren oberes Viertel mäßig helles Licht ausstrahlt. Sie haben die altertümlichen Wachskerzen ersetzt.)

"Ihr mögt Platz nehmen, meine Liebste", sagte er huldvoll und schob ihr den Stuhl zurecht.

"Habt Dank, Mylord", erwiderte Karylla amüsiert und setzte sich. Ryko spielte den vollendeten Gentleman und tischte ihr allerlei Köstlichkeiten auf. Sie schüttelte nur den Kopf. Manchmal war er einfach süß. "Was hast du bei Ondavall erreicht, mein Schatz?"

"Ich habe sowohl einen Satz Fingerabdrücke, als auch sein Siegel und seine Unterschrift organisiert."

"Super! Du bist echt gut! - Würdest du mir bitte noch ein Glas Wein eingießen? Wir sollten uns ohnehin erst morgen wieder an die Arbeit machen... Was hast du Ondavall denn erzählt?" Ryko tat, wie ihm geheißen, dann setzte er ein niederträchtiges Grinsen auf.

"Oh, ich habe ihn lediglich gewarnt, daß jemand vorhat, die Planetenbank Enaryshavell-Ilso auszurauben... Er wird seine Wachen vervierfachen, hat er mir erzählt."

"Ich hoffe doch, nicht vor morgen abend..."

"Keine Sorge, ich sagte ihm, die Gangster wollten in zwei Tagen zuschlagen, wenn die großen Geschäfte am Tenmatag die Gewinne der ersten Halbwoche auf die Bank gebracht hätten."

"Perfekt."

"Außerdem habe ich ein kleines Souvenir für dich mitgebracht", meinte Ryko und holte ein hübsch verpacktes Kästchen hervor. Neugierig wickelte Karylla es aus und entdeckte die Statuette. Als ob sie sich die Hände daran verbrannt hätte, ließ sie die Figur fallen und begann zu weinen. Ryko sah seine Partnerin völlig perplex an.

"Kary? Was ist?"

Karylla wischte sich über die Augen und versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in ihren Hals zu befinden schien.

"Die Statuette hatte meiner Mutter auch so sehr gefallen, und Ondavall schenkte sie ihr, als er sie in seinen Harem steckte..." Sie sah in weite Fernen. Vor genau 16 Jahren hatte sich Marycia der Dunklen Mutter anheimgegeben - am 3. Enuari 3744 GZ... Und dafür sollte Chenary Ondavall nun endlich bezahlen! "Ich will ihn tot sehen", knirschte Blackfire mit zusammengebissenen Zähnen. "Tot!"

Sie hob die Figur auf und stellte sie auf den etwa hüfthohen kleinen Schrank unter dem Nahrungssynthetisizer, bevor sie zu Ryko trat und die Arme um ihn legte. "Ryko, hast du die 'Beweisstücke' gegen Ondavall fertig?"

"Ja. Warum fragst du?"

"Ich möchte heute nacht nicht alleine schlafen. Leistest du mir Gesellschaft, mein Schatz?"

"Gerne, Kary. Ich räume nur eben die Sachen hier weg."

"Warte, ich helfe dir."

* * *

Gegenwart

Keltag, der 3760/01/03 GZ.

Blackfire sah gespannt auf die Uhr. 19:11 Uhr GZ, bzw. 14:94 Uhr EGZ4.

( EGZ4 - Enaryshanische Galakta-Zeit, Zeitzone 4. Dazu ist anzumerken, daß auf Enaryshavell die standardmäßige Einteilung eines Tages in 20 Stunden etc. übernommen wurde. Durch die etwas andere Rotationsperiode des Planeten ist allerdings eine enaryshanische GZ-Stunde um 22 Prozent länger aqls die Standard-GZ-Stunde. Ebenso werden die anderen Zeiteinheiten angepaßt. Es ist müßig zu erwähnen, daß es infolge der unterschiedlichen Zeitrechnungen häufig zu gravierenden Mißverständnissen kam, bis man sich angewöhnte, immer die jeweilige Zeitrechnung explizit anzugeben.)

"So, in sechs Minuten macht die Bank zu", verkündete Karylla.

"Die Lightning steht in Position", sagte Ryko. "Ich habe den Tarnschild aktiviert. Wenn nicht gerade jemand einen Satz Ultraraumsensoren auf uns richtet, können wir hier bis auf weiteres verbleiben... Hm, ich sollte den Tarnschild langsam soweit verbessern, daß wir auch nicht via Ultrasensoren angepeilt werden können..."

"Naja, wir müssen ohnehin nur so lange bleiben, bis niemand mehr in der Bank ist und das Gebäude abhebt", meinte Karylla und starrte gebannt auf den Hauptbildschirm. "Wo schleppen wir das Teil eigentlich hin?"

"Was hältst du von Solse I/Senjavell? Der innerste Planet steht zur Zeit in Opposition, und Solse III und V, wo einige Stützpunkte der Weltraumpolizei situiert sind, befinden sich augenblicklich in Konjunktion mit Enaryshavell. Bis die kapiert haben, was läuft, haben wir die Planetenbank längst auf der sonnenabgewandten Seite von Senjavell abgestellt und in aller Ruhe ausgeräumt. Wir werden zwar die Sonne in relativ geringem Abstand passieren, aber ich habe unser Schirmfeld so umgestellt, daß wir auch unser Anhängsel vor der Strahlung schützen können. Ich glaube nicht, daß die Polizeigleiter uns auf direktem Kurs folgen, dafür sind ihre Außenhüllen nicht gemacht..."

"Gut."

Blackfire und Infinity warteten geschlagene zwei Stunden EGZ, bis die Sensoren kein lebendiges Wesen mehr im Bankgebäude anzeigten, dann aktivierte Karylla den Auslöser für die Treibsätze, während Ryko im selben Augenblick den Traktorstrahl ansetzte. Einen Sekundenbruchteil leuchteten die Warnsignale auf und zeigten eine Überlastung der Traktorgeneratoren an; sie erloschen jedoch sofort, als sich die Bank langsam aber sicher aus dem Boden hob.

"Wir haben sie!" rief Blackfire begeistert. Tatsächlich blieb das Gebäude auch noch sicher im Zugstrahl, als Ryko die Lightning vorsichtig beschleunigte und Kurs auf Solse nahm. Langsam zog er die Bank näher an das Schiff, damit er den Schutzschirm auch um sie herum noch schließen konnte.

Karylla sah auf die Raumüberwachungsmonitore.

"Keine Verfolger", meinte sie frohlockend. "Ich vermute, die glauben, daß sich jemand einen Streich mit ihren Ortungsanlagen erlaubt hat, als sie sahen, wie sich die Planetenbank auf und davon machte..."

"Ist doch höchst vorteilhaft für uns. Abgesehen davon, die Lightning hat trotz der Last noch immer eine höhere Beschleunigung als der beste Polizei-Raumgleiter; wir sind also in jedem Fall schneller als die..."

Etwa fünf Stunden später (ironischerweise dauerte dieses kurze Stück Flug innerhalb des Systems länger als normalerweise die ganze Strecke von Tarishaan nach Enaryshavell im Ultraraum) hatte die Lightning Senjavell erreicht. Mit ziemlich hoher Geschwindigkeit näherte sich der Raumer der zernarbten Oberfläche des atmosphärelosen Planeten, der sein Zentralgestirn in gebundener Rotation umkreiste. Kurz vor dem Boden hielt Ryko die Lightning an. Karylla hatte bereits ihren Raumanzug angelegt und das erforderliche Werkzeug zusammengesucht. Als Ryko zustimmend nickte, verließ sie das Schiff. Ihr Partner folgte dichtauf, wobei er diesmal auf einen Raumanzug verzichtete, der nur seine Bewegungsfreiheit behindert hätte.

Sicherlich wußte Karylla, daß Ryko problemlos ohne Schutz im Vakuum agieren konnte, aber dies war das erste Mal, daß sie ihn so in Aktion sah. Es machte ihr auch zum ersten Mal wirklich bewußt, daß er mit einem Menschen eigentlich nur die äußere Form gemeinsam hatte - naja, abgesehen davon, daß er jegliche menschliche Funktion perfekt simulieren konnte...

Gemeinsam betraten sie das Bankgebäude.

"Gut, dann wollen wir mal in den Tresorraum gehen", meinte Ryko. Er sendete direkt Funkwellen an ihren Empfänger und machte sich daher gar nicht die Mühe, passende Lippenbewegungen auszuführen.

"Okay", stimmte Kary zu. Natürlich war Ryko auch in der Lage, Funkwellen zu hören... Auf einmal fühlte sie sich ihm gegenüber hoffnungslos primitiv und unterlegen. Was bewog ihn eigentlich, bei ihr zu bleiben? Sie beschloß allerdings, diese Gedankengänge vorerst ad acta zu legen, denn jetzt gab es Wichtigeres zu tun.

Systematisch knackten Blackfire und Infinity jedes einzelne Tresorfach und räumten dessen Inhalt in eine voluminöse Tasche. Zwei Stunden und 70 Minuten später waren sie fertig und flogen mit der Lightning nach Enaryshavell zurück.

Diesmal gewandeten sie sich in ihre Einsatzcoveralls, Karylla ganz in Schwarz mit schwarzen Haaren und Ryko komplett in Silber. Die Lightning umkreiste den Planeten in einer Parkbahn, und Blackfire & Infinity transmittierten nach Ilso, wobei sie aus Ortungsschutzgründen darauf achteten, in der Nähe der großen Transmit-Station zu materialisieren, über die normalerweise Eiltransporte abgewickelt wurden. Via Gleitbahn begaben sie sich zu dem Ort, wo früher einmal die Planetenbank Enaryshavell-Ilso gestanden hatte.

Nun war der Platz von Dutzenden von Weltraum- und enaryshanischen Polizisten abgesperrt, die ratlos das gewaltige Loch umstanden. Die Detonation der Treibladungen hatte offenbar auch die Kanalisation in Mitleidenschaft gezogen, und so war die Grube etwa knietief mit gräßlich stinkendem Morast bedeckt.

Blackfire konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, als sie sah, wie die Gesetzeshüter sich mit angeekelten Gesichtern mit der Spurensicherung beschäftigten. Sogar drei Spezialagenten der ISPC waren am Tatort erschienen und umstanden das klaffende Loch.

(ISPC - Interstellar Society of Protection and Crime-fighting, Gesellschaft zur Verbrechensbekämpfung, die immer dann in Erscheinung tritt, wenn die lokalen planetarischen Polizeitruppen der FGS hilflos sind.)

Gerade schüttelte eine junge Frau mit wallender, weißer Mähne angewidert den Kopf und trat den Rückzug zu ihrem samtig schwarzen CASS-Gleiter an. Auch die beiden anderen ISPC-Agenten trollten sich.

(CASS = Computerized Aero-Shuttle System)

Endlich hatte Blackfire den ihr am nächsten stehenden Weltraumpolizisten erreicht. Es war ein junger Osikkaner mit gelblichem Teint und blauschwarzen Haaren.

"Entschuldigung, Monsieur", machte Karylla ihn auf sich aufmerksam. "Wir sind Touristen und gerade angekommen - was ist denn hier passiert?"

"Tja, Madame, auch wenn es verrückt klingt - hier hat jemand eine Bank geraubt..."

"Eine Bank ausgeraubt, meinen Sie wohl?!" meinte Blackfire mit betont ungläubigem Gesicht, obwohl sie am liebsten vor Lachen explodiert wäre.

"Nein, nein, eine Bank geraubt", versicherte ihr der Polizist gestreßt.

"Aber wie ist denn das möglich?"

"Tja, das wissen wir auch noch nicht. Sie sehen ja, die Spurensicherung ist noch an der Arbeit."

"Ja, aber, wo sind denn die Räuber mit der Bank hin?" wollte Blackfire todernst wissen. Es kostete sie ungeheure Anstrengung, die Fassung zu bewahren.

"Die Raumüberwachung hat den Flug der Diebe bis zur Sonne aufgezeichnet."

"Ja, meinen Sie, daß die da eine Basis haben könnten?" erkundigte sich Karylla mit weitaufgerissenen Augen.

"Sehen Sie, Madame, wir wissen zur Zeit auch noch nichts genaues", wehrte der Polizeibeamte genervt ab.

"Och, das ist aber schade...!" Blackfire und Infinity nahmen Kurs auf eine andere Traube Schaulustiger. Einige Reporter waren ebenfalls dort und suchten nach Augenzeugen. Karylla hatte eine Idee, aber dazu sollte sie besser wie eine Enaryshanerin aussehen. Schnell verschwand sie in einem Hauseingang und entledigte sich ihrer schwarzen Perücke, die sie Ryko in die Hand drückte. Er sollte sie in einer seiner voluminösen Hosentaschen unterbringen. Auch die schwarzen Kontaktlinsen verschwanden in ihrem Behälter. Sie fuhr kurz mit den Fingern durch ihre halblangen, weißblonden Haare, bevor sie in Richtung auf einen der Reporter wanderte. Schweigend hörte sie einige Minuten dem Interview zu, dann stieß sie die neben ihr stehende Frau an und flüsterte:

"Wissen Sie, was ich glaube? Daß Ondavall diese Show selbst inszeniert hat..."

Ihre Nachbarin drehte sich zu ihr um.

"Aber warum denn?"

"Er hatte Spielschulden mit Geld aus seiner Bank beglichen - Ich weiß das von einer Freundin, deren Mann häufig mit Ondavall in der Spielbank war... Er ist Erhsammi! Und nun wollte er die Beweise gegen sich aus dem Weg räumen..."

Die Frau sah Karylla mit offenen Mund an, bevor sie ihrerseits ihre Nachbarin anstieß. In Windeseile machte das Gerücht die Runde, und Ondavalls 'Untat' wurde von Minute zu Minute furchtbarer und verwerflicher.

Als es die Reporter erreichte, war aus dem Gerücht bereits eine feststehende Tatsache geworden. Blackfire hingegen hatte sich schon zum nächsten größeren Pulk von Schaulustigen begeben. Im Nu ging die Sage, daß Ondavall selbst für alles hier verantwortlich war, und die Polizisten stellten auch in dieser Hinsicht Nachforschungen an, wobei sie auf Rykos gutgefälschte Beweise stießen.

Noch am selben Tag wurde Ondavall festgenommen. Zunächst war der Bankier noch zuversichtlich, doch als man ihm die von Ryko organisierten Beweise vorlegte, regte er sich so sehr auf, daß er einen Herzanfall erlitt. Auch sofort eingeleitete Wiederbelebungsmaßnahmen blieben erfolglos.

* * *

Gegenwart

Tenmatag, der 3760/01/04 GZ.

Während Karylla noch schlief, hörte Ryko die aktuellen Nachrichten ab. In FGS-Aktuell der überregionalen interplanetaren Nachrichtensendung, kam die Kunde von dem tolldreisten Bankraub - und dazu der Kommentar, daß der Hauptverdächtige - Chenary Tharulla Ondavall - einem Herzanfall erlegen sei. Ryko ging in ihr gemeinsames Quartier und weckte seine Partnerin mit einem zärtlichen Kuß.

"Mh?" machte sie verschlafen. Ryko setzte sich auf die Bettkante und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Karylla blinzelte und schlug die Augen auf. "Hallo, Ryko!"

"Einen wunderschönen guten Morgen, mein Schatz!"

"Moin", brummelte Karylla. Sie hatte noch keinen Kaffee bekommen und war dementsprechend mißgelaunt.

"Ich habe mir gerade die Nachrichten angesehen..."

"Grumpf. Erwartest du von mir, daß ich um diese Uhrzeit schon mitdenke?!"

"Es ist 08:14 Uhr, Kary, also hab dich nicht so!"

"Ich habe aber noch keinen Kaffee gekriegt!" Sie sah ihren Partner mitleidheischend an.

"Wenn du dich bequemst aufzustehen, könnte ich mich vielleicht dazu durchringen, das Frühstück zu machen."

"Na gut..."

Etwa eine Stunde später saß Karylla - immer noch nicht ganz momentan - am liebevoll gedeckten Kaffeetisch und spähte erwartungsvoll in ihre monumentale Tasse. Ryko konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er ihr das dampfende Getränk einschenkte. Nach der zweiten Tasse war Karylla soweit, daß man sie gefahrlos ansprechen konnte.

"So", meinte sie gedehnt und reckte ihre müden Glieder. "Was wolltest du mir vorhin sagen?"

"Einmal ist unser Coup in aller Munde, und zum zweiten hast du dein Ziel erreicht - Ondavall ist an einem Herzanfall gestorben."

"Was? Dieser Hund! Ich hätte ihm einen langsamen, qualvollen Tod gegönnt, nach dem, was er meiner Mutter angetan hat..."

"Hey, Kary, nun mach mal halblang - hin ist hin, oder?"

"Naja, eigentlich hast du recht. Aber irgendwie, finde ich, ist er viel zu leicht davongekommen..." Ryko zuckte mit dem Schultern.

"Was machen wir jetzt eigentlich mit unserer Beute?" wechselte er das Thema.

"Hm. Ich würde sagen - zurückgeben, denn nach deinen 'Beweisen' wird die Versicherung keinen MilliCredit bezahlen. Und ich hatte ja nicht vor, daß irgendwelche Leute dabei zu Schaden kommen, die all ihre Ersparnisse auf der Planetenbank deponiert haben. Sagen wir mal so, wir brechen in den zuständigen Computer ein und gucken nach, wer eh zuviel Geld hat. Deren Zeugs werden wir einfach anders verteilen - und dem Rest der Leute geben wir den Kram halt wieder zurück - samt einer kleinen Entschädigung, versteht sich... Mit besten Grüßen von Blackfire!" Sie grinste ihren Partner an. "Nun, was meinst du?"

"Akzeptiert. Machen wir es so."

"Düdeldü..." Blackfire lehnte sich zurück und studierte die mattsilbrige Beschichtung der Decke des Eßsalons.

"Was hast du, Kary?" Ryko betrachtete seine Gefährtin mißtrauisch.

"Och, ich meditiere darüber, was wir als nächstes unternehmen könnten..."

"Ich empfehle, daß wir uns als nächstes auf den Rückflug nach Tarishaan machen. Für Übermorgen ist die Jahresbeginn-Hauptversammlung des Aufsichtsrats von Blade Enterprises angesetzt, und ich denke, du solltest dort partizipieren. Außerdem haben Shentay und Myriella heute 'Geburtstag'."

"Himmel, das habe ich ja ganz vergessen! Meinst du, die beiden wären begeistert, wenn ich ihnen je eins meiner phantastischen Kunstwerke schenken würde?! Ich glaube, es liegen noch drei oder vier auf der Villa herum..."

Ryko kicherte unterdrückt, während Karylla sich schon einmal aufmachte, wieder ihre wallende Neon-Perücke und entsprechende Kleidung aus dem Kostümfundus zu graben, um sich zu gegebener Zeit erneut in Acy Blade zurückverwandeln zu können. Aber zunächst mußten sie einmal ihre Beute zurückgeben.

Als dies einige Stunden später erledigt war, machten sie sich auf den Rückflug ins Suune-System, um dort wieder ihre angestammten Rollen als Sir Cayvyn und Alycia Cherylla Blade zu übernehmen - und auch, um sich den nächsten Coup von Blackfire und Infinity zu überlegen...

- BYE -

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Last modified: 13.04.2002

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