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SvB #9: Unternehmen Shanjir II

©1990 by Shavana & Stayka


Was in Unternehmen Shanjir I geschah...

3763/01/41 - Alycia Blade feiert ihren 31. Geburtstag.

3763/01/43 - Blackfire und Infinity entführen den Raumer Miracle Time, um diese zur Lightning II umzubauen.

3763/01/44 - Coryn & Alan (alias Hawk of Dawn) basteln an der Silver Star herum.

3763/01/47 - Via Organet erfährt Blackfire, daß sich auf Esdraa II/Shanjir ein Stützpunkt der Organisation Xi befindet. Die O-Xi treibt illegalen Androiden-Handel dort, was natürlich vor allem Ryko auf die Palme bringt. Mit der alten Lightning düsen sie nach Shanjir, um der Sache auf die Spur zu kommen. Natürlich haben Stardust & Co. ebenfalls Wind von der Sache bekommen und düsen mit der Silver Star ebenfalls nach Shanjir.

(Funknetz, dessen Frequenz nach einem bestimmten Schlüssel permanent verändert wird; dient zur Kommunikation des organisierten Verbrechertums untereinander. Ein ähnliches Funknetz des freien Verbrechens ist das sogenannte Freenet.)

3763/01/48 - Beim Versuch einer Kontaktaufnahme mit Xi werden Karylla und Ryko erst einmal gefangengenommen, damit die O-Xi-Leute sie genauer überprüfen können.

3763/01/49 - Durch diverse Herumfragereien unangenehm aufgefallen, werden Stardust, Alan und Coryn ebenfalls eingedost. Natürlich steckt man sie zu Blackfire und Infinity... Da Jana & Co. einen Ausbruch machen, müssen Kary & Co. natürlich hinterher, auch wenn das ihren Plan unterminiert. Nach einer abenteuerlichen Flucht durch das Abwassersystem von Ekvajar landen sie im städtischen Klärwerk, von wo aus sie auf ihre Raumer zurückspringen.

3763/01/50 - Während Stardust keine Idee hat, wie sie an Xi kommen könnte, zieht Blackfire eine neue Show ab: sie erfindet Timewind, ein Syndikat, das den Handel mit Serie D-Drogen wieder aufleben lassen will.

3763/02/12 - Das Erscheinen von Timewind spricht sich herum, und die ISPC-Spezial-Einheit wird auf diese Organisation angesetzt, aber sie finden überhaupt nichts über sie heraus.

3763/02/19 - Das erste Auftauchen der 'geistig Verwirrten', die permanent von irgendwelchen 'extragalaktischen Besuchern' faseln. Man vermutet, sie sind durch fortwährenden Drogenkonsum derart geschädigt worden.

3763/02/34 - Eine Person/Organisation mit Namen Xeveri ersucht um eine Kontaktaufnahme mit Timewind. Blackfire findet, daß Xeveri verdächtig Xi-mäßig klingt.

3763/02/36 - Karylla tarnt sich als Saluna-Prospektor Hervé Selois und trifft sich mit dem Xeveri-Kontaktmann. Dummerweise entpuppt dieser sich als Captain Tanya Ricard, die Top-Polizistin der tarishaanischen Weltraumpolizei, was aber erst herauskommt, als Stardust herbeistürmt, um Timewind und Xeveri zu verhaften... Da sich Blackfire unter ihrem Saluna-Prospektor-Outfit noch in die Maske einer osikkanischen Weltraumpolizistin geschlüpft war, ist dieser Schlag einer der Peinlichsten überhaupt in der Geschichte der Gesetzeshüter...

3763/02/40 - Das Benefiz-Fest der ISPC findet auf Suune III/Tarishaan; Ashteera im Hauptquartier der ISPC statt. Dort macht Acy eine ihrer gefürchteten Szenen (weil sie die Musik nicht hören kann die dort gespielt wird), erhält Jana von Coryn eine gehörige Dosis dunnlornischen Silberweins, bekommt Joël Lasalle einen Wahnsinnsanfall (extragalaktische Besucher etc...), und außerdem taucht schließlich noch Blackfire auf, um ebenfalls mal ein Opfer dieser geistigen Umnachtung zu begutachten.

3763/02/41 - Blackfire bekommt über das Freenet die Botschaft, einmal in ihrem 'Briefkasten' auf Saluna MMMMMMDCCLI nachzusehen. Dorten wird sie - trotz Maskerade als Saluna-Prospektor - offenbar erkannt, betäubt und entführt.

- Stardust wird im ISPC-Hauptquartier betäubt und entführt.

3763/02/42 - Stardust und Blackfire stecken gemeinsam in einem Gefängnis der Organisation Xi aus Esdraa II/Shanjir. Sie selbst haben jedoch nicht den geringsten Schimmer, wo sie sich befinden. Die beiden versuchen zu fliehen, werden jedoch kurz darauf wieder einkassiert.

3763/02/44 - Nachdem er weder im Organet noch im Freenet irgendwelche Hinweise auf Karyllas Verschwinden findet, überlegt Ryko sich, daß er selbst etwas unternehmen muß.

3763/02/45 - Ryko erfährt über Organet, daß auf Esdraa II/Shanjir in Ekvajar ein illegaler Androidenmarkt stattfinden soll. Natürlich ist er empört, und da er bezüglich Karys Verschwinden immer noch keine Spur hat, beschließt er, mit Alan zusammen der Angelegenheit auf Shanjir auf die Schliche zu kommen.

Die beiden verkleiden sich und sehen nunmehr exakt wie Zwillinge aus... Ryko sucht den O-Xi-Kontaktmann Tulrisom Musritom auf, der Blackfire und ihn schon einmal gefangengenommen hatte... Musritom beschließt, Ryko zu überprüfen und will ihm am nächsten Tag eine Nachricht in einem Schließfach hinterlegen.

Da sie eine ganze Menge Zeit totzuschlagen haben, beschließen Alan und Ryko, sich erst einmal zu duellieren... Leider finden sie kein Exemplar der vereinbarten Duellwaffe und müssen ihren Händel somit ad acta legen. Aus Langeweile rauben die zwei erst einmal eine Bank und einen Juwelier aus, ehe Alan Ryko auf eine Tour durch die Bars mitschleppt. Dock Alpha sagt Ryko nicht so sonderlich zu, aber der Rote Lampion... Naja, auf jeden Fall lassen sich die beiden 'Herren' dort von einigen Ladies verwöhnen...

* * *

3763/02/46 GZ

Vier Tage hing sie nun schon mit Stardust in einer Zelle. Vier Tage! Blackfire sah ihre Mitgefangene aus zusammengekniffenen Augen an. Sie forderte eine Einzelzelle!

"Könntest du etwas leiser schnarchen? Ich will schlafen!" fauchte Karylla.

"Ich mache, was mir gefällt!" 'Unverschämtheit', dachte Jana, 'wie kommt sie dazu, zu behaupten, daß ich schnarche?' Dabei hatte sie ja nicht mal geschlafen...

Blackfire drehte sich auf der harten Pritsche um und knurrte etwas Unverständliches. Es war unbequem, ihr war kalt, und Ryko war auch nicht da. Kurzum: Es herrschten wahrlich unerträgliche Zustände, also warum sollte es Stardust in irgendeiner Weise besser gehen als ihr? Und wenn doch, dann würde sie schon dafür sorgen, daß nicht...

Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein paar vierschrötige Typen mit Lasergewehren kamen in die Zelle hineingestürmt. Karylla zählte vier in dem kleinen Raum und zwei mit gezückten Strahlern draußen im Flur.

'Tsy, großer Bahnhof', dachte sie. "Treten Sie ein in unsere bescheidene Hütte", sagte sie überaus liebenswürdig, was ihr einen tödlichen Blick und einen gehörigen Schubs von einem der Typen einbrachte.

"Raus hier! Der Boß will euch befragen!"

Das konnte ja heiter werden, schoß es Jana durch den Kopf. Obwohl, sie hatte eigentlich schon früher mit sowas gerechnet, denn es mußte ja irgendeinen Grund geben, aus dem sie einkassiert worden waren. Und die einzige realistische Erklärung war eben, daß die Typen Informationen wollten.

"Schön für ihn!" fauchte Karylla. Befragen? Was mochte er wissen wollen? Wie ihre TM-Aggregate funktionierten? Sie grinste bei dem Gedanken an ihren Gürtel. Wenn irgendein Unbefugter sich daran zu schaffen machte, um ihn zu öffnen, dann wurde ein Notsprungkommando aktiviert, und das Teil transmittierte etwa 50km entgegen der Schwerebeschleunigungsrichtung und vernichtete sich anschließend selbst. Sicher hatten die Freaks blöd geguckt... Oder wollten sie den Standort ihrer Basis Nightfall Station wissen? Hm, wenn es überhaupt nicht anders ginge, müßte sie sich eben in ihre Schutztrance versetzen, auch wenn sie dann innerhalb von fünf Tagen von Ryko gefunden werden müßte, da sie von selbst nicht mehr aufwachen würde. Hm. Aber noch war es nicht so weit...

Einer der Wachposten schob sie unsanft auf den Gang. Blackfire und Stardust wurden jeweils in einen Verhörraum gesteckt und eingehendst befragt... Da aber weder die sanfte, noch die härtere Tour irgendwelche Erfolge zeitigte (Karylla entschloß sich bei letzterer Methode, dezent in Ohnmacht zu fallen, und Jana wußte eh nichts vom internen Aufbau der Geräte, mit denen sie herumzuhantieren pflegte), mußte sich der Verantwortliche für ihre Entführung etwas ausdenken, um sie wieder loszuwerden.

Seine Aktion war schließlich nicht von seinen Vorgesetzten genehmigt, und wenn herauskam, daß er Stardust und Blackfire einkassiert hatte, dann würde ihm das ziemlichen Ärger einbringen... Immerhin würden Blackfires Partner Infinity und die ISPC nun alle Hebel in Bewegung setzen, um die beiden Frauen wiederzufinden. Die Entführung hätte ihm dann Pluspunkte eingebracht, wenn es ihm gelungen wäre, alle Informationen aus ihnen herauszuquetschen, derer er habhaft werden konnte. Aber so? Er überlegte fieberhaft. Wie würde er sie nun am besten wieder los?

Er setzte sich mit einigen Ratgebern zusammen, und diese schlugen ihm vor, die beiden in Forschungsanstalt für Umweltschutz in Ekvajar zu 'verlegen', wo doch in der Abteilung 12 auch Versuche an Menschen durchgeführt wurden...

* * *

Einige Stunden später war Alan doch neugierig, was sein 'Brüderchen' so machte und ließ sich zu ihm führen.

Ryko hörte, wie sich Schritte näherten. Das war bestimmt Alan... Hm. Er richtete sich eiligst wieder etwas her und war gerade wieder halbwegs dezent zurechtgemacht, als auch schon Alan hinter seiner Führerin eintrat. Betont unschuldig sah Ryko gen Decke.

"Hi Alan..."

"Hallo!" Er ließ sich auf der Lagerstadt nieder. "Amüsierst du dich gut?"

"Ähm... Naja..." Ryko grinste seinen 'großen Bruder' an. "Im Prinzip ja..."

"Dachte ich mir schon, da du nicht zu sehen warst. Das entspricht wohl eher deinem Geschmack?"

"Ja... Irgendwie schon." Er guckte leicht verlegen.

"Ich werde es bestimmt nicht weitererzählen", versprach Alan und nahm das Glas, welches ihm angeboten wurde.

"Versprochen?"

"Hm", machte er nachdenklich. "Traust du mir nicht?"

"Sicher ist sicher!" Ryko sah ihn tragisch an. "Immerhin habe ich vor, noch ein Weilchen mit Kary zusammenzubleiben, und du hast keine Ahnung, wie eifersüchtig sie ist..."

"Nun gut, ich verspreche, es Karylla gegenüber nicht zu erwähnen."

"Und Acy?" hakte Ryko nach. Er kannte Alans Methode zu gut...

"Naja, das auch."

"Gut. Abgesehen davon glaubt sie dir ohnehin nichts. Aber sicher ist eben sicher..."

"Ich denke schon, daß sie mir glauben würde..."

"Nein. Abgesehen davon hast du es versprochen."

"Ich halte auch mein Wort!" Plötzlich dachte Alan daran, daß Coryn sich immer noch nicht gemeldet hatte. Das war sehr merkwürdig.

"Was ist? Du guckst so komisch."

"Ich mußte gerade an etwas denken."

"Und an was?"

"War nicht so wichtig."

"Deinem Gesichtsausdruck nach schon."

"Wann sollten wir an dem Schließfach sein?" wich Alan aus.

"In drei Stunden. - Also, was ist dein Problem?"

"Seufz! - Ich warte auf eine Nachricht."

"Und was für eine?"

"Von Coryn", meinte Alan zögernd. Er hatte keine Lust, sich schon wieder zu streiten.

"Und? Was kann er dir schon Fürchterliches verkünden?"

"Nichts. Ich warte auf eine gute Nachricht, aber es dauert so lange..."

"Wenn es 'nichts' wäre, würdest du dich nicht so aufführen."

"Ich kann es nun mal nicht sagen!"

"Und warum nicht?"

"Es ist geheim."

"Oha! Bist du jetzt langsam doch schon so eng mit ISPC und Weltraumpolizei verbunden?"

"Ich arbeite schließlich für die ISPC!"

"Ich wußte nicht, daß die solche Geheimniskrämer sind."

"Normalerweise nicht - aber was die Spezialeinheit betrifft..."

"Habt ihr etwa etwas angestellt?"

"Nein. Wir haben die Starcave in den letzten Monaten kaum verlassen."

"Ts!"

"Was heißt hier 'tse'?"

"Darauf darfst du mir ja bestimmt auch nicht antworten." Ryko seufzte. Immer noch drei Stunden... Er machte sich immer mehr Sorgen um seine Partnerin. Hoffentlich war ihr nichts zugestoßen!

"Das kannst du im Vorhinein doch gar nicht wissen."

"Gut. - Was habt ihr denn die ganze Zeit in der Starcave getrieben?"

"Gebastelt."

"Oh, und was?"

"So ein bißchen an der Höhle selbst und dann an einem Schiff."

"Ah, du willst also etwas Neues anstelle der Fireflash?"

"Von 'gewollt' kann eine Rede sein. Die Fireflash mußte ja verschwinden."

"Unzweifelhaft... Und was hast du jetzt für ein Fahrzeug?"

"Ein größeres Modell."

"Aha. Marke Eigenbau?"

"Naja, so halbe halbe. Die ISPC hat das Schiff gekauft, und wir haben es etwas geändert."

"Die Methode kenne ich..."

"Ganz selber bauen dauert einfach zu lange, finde ich."

"Eben. Karylla und ich organisieren uns auch lieber ein fertiges Modell und bauen es nach unseren Erfordernissen um." Ryko seufzte. Kary!

"Du vermißt sie wohl sehr?"

"Ja."

Alan sah nur nachdenklich in die Ferne. Er machte sich Sorgen um Jana. Warum gab es bloß keine Nachricht?

"Aber du machst dir auch Gedanken um etwas", beobachtete Ryko.

"Hm", machte sein Gegenüber.

"Hm?"

"Das sollte 'ja' heißen."

"Und um was?"

"Das ist genau das, was geheim ist."

"Aber es klingt nicht so sehr nach etwas Geheimen als nach etwas anderem..."

Alan sah ihn verwirrt an.

"Nach was klingt es denn?" "Hm... Naja..." Ryko wäre vermutlich wieder dezent errötet,

wenn er dazu in der Lage gewesen wäre.

"Nun raus damit", meinte Alan ärgerlich. Er haßte diese Andeutungen.

"Naja, wenn du nicht der 'Sohn' deines 'Vaters' wärst, dann würde ich sagen, es scheint sich um irgendeine Herzensangelegenheit zu handeln."

Diesmal wäre Alan knallrot geworden, wenn es möglich gewesen wäre.

"Du hältst mich wohl für ziemlich gefühllos", meinte er zögernd.

"Es hat manchmal den Anschein, als ob deine Programmierung ausschließlich darauf ausgelegt ist, das Image von Firestar zu kopieren."

"Ist sie auch - aber nicht nur. Ich weiß einfach nicht weiter - es ist so verwirrend!"

"Was?"

"Eben diese Angelegenheiten."

"Ich meinte, welche Angelegenheiten?"

"Gefühle!"

"In welchem Zusammenhang?"

"Frauen!"

"Das ist allgemein. Ich habe den Eindruck, deine Verwirrung bezieht sich eher auf einen Spezialfall." Alan sah Ryko überrascht an. War das so deutlich zu sehen?

"Also?" hakte Ryko nach.

"Also was?"

"Welcher 'Spezialfall' ist es?" Alans Überraschung hatte mehr als alle Worte verraten.

"Das herauszufinden ist doch nun auch kein Problem mehr", seufzte Alan.

"Also Stardust."

Alan sagte nichts, sondern blickte Ryko nur an.

"Und wo liegt das Problem? Ich meine, es ist mir schon aufgefallen, daß ihr euch mit Hingabe angiftet - aber das muß doch einen Grund haben."

"Ich glaube, wir sind einfach zu verschieden."

"Hm. Ich könnte nicht behaupten, daß Karylla und ich uns ähnlich sind."

"Garantiert nicht. Aber ihr streitet euch auch nicht permanent."

"Naja..." Ryko verzog das Gesicht. Wenn er daran dachte, wie Karylla zu Anfang sogar andauernd handgreiflich geworden war... Und überhaupt...

"Stardust geht schon in die Luft, bevor ich irgendetwas gesagt habe. Ich verstehe es einfach nicht."

"Ich habe Kary immer ignoriert, wenn sie wütend wurde. Irgendwann hat sie es dann aufgegeben."

"Ignoriere mal jemanden, der mit allem wirft, was er in die Finger bekommt!"

"Kein Problem." Ryko grinste schief, und Alan sah ihn irritiert an.

"Ich habe wahrscheinlich nicht deine Ruhe."

"Das könnte das Problem sein. - Oder du hältst sie einfach so lange fest, bis sie sich abreagiert hat."

"Lieber nicht. Das ist mir zu gefährlich."

"Du bist doch stärker!" Ryko grinste Alan an. Er hatte festgestellt, daß es wirklich nur eine Frage der Ausdauer war.

"Natürlich. Aber ich habe keine Geduld!"

"Hm. Was kann man da machen?" Ryko überlegte. "Oder du mußt sie halt taktisch geschickt ...überreden." Zumindest bei Karylla half das immer.

"Was meinst du damit?"

Ryko setzte abermals ein breites Grinsen auf.

"Also wirklich! - Ich dachte, du hättest einige Erfahrung auf dem Gebiet."

"Aber nicht mit Damen, die mich am liebsten ins Jenseits befördern wollen!"

"Hm. Also, du solltest wirklich einmal versuchen, Stardust sich so lange austoben zu lassen, bis sie sich selbst blöd dabei vorkommt. Und dann kannst du problemlos weiterführende Strategien anwenden." Ryko dachte daran, wie Karylla anfangs des öfteren gedroht hatte, ihn wieder zu demontieren..."

"Und wenn sie mir einen Laser unter die Nase hält?"

"Du weißt, was ein Desintegrator-Brenner ist?"

"Natürlich. Warum?"

"Kary hatte anfängs relativ häufig vor, mich zu zerlegen..."

"Damit?!" Alan guckte ihn erstaunt an. Gut, Blackfire war ziemlich impulsiv - aber mit einem Desintegrator-Brenner...

"Mhm... Das war das erste Teil, das ihr in die Hände fiel..."

"Und wie hast du ihr das ausgeredet?"

"Gar nicht. Ich war schneller..."

"Tse", machte Hawk und versuchte sich, das entsprechende Szenario vorzustellen.

"Naja", fuhr Ryko fort, "irgendwann hat sie dann gemerkt, daß es keinen Zweck hat, mich auseinandernehmen zu wollen, und seither habe ich eigentlich wenig Probleme mit ihr."

"Seufz", machte Alan. Jana hatte sowas mit Sicherheit nicht bemerkt, also gingen sie sich einfach aus dem Weg - was wohl das beste war...

"Hm, vielleicht solltest du es doch einmal mit etwas mehr Geduld probieren."

"Und woher soll ich diese nehmen?"

"Vielleicht Training?" schlug Ryko vor.

"Und das soll was nützen?"

"Also, wenn du es dir fest vornimmst - warum nicht?"

"Wenn ich mir etwas fest vornehme, dann wird das eine Katastrophe."

"Und warum?"

"Keine Ahnung. Sobald ich irgendwas großartig plane, geht es immer schief."

"Zum Beispiel?"

"Hm. Hier in der FGS ist mir das noch nicht passiert."

(FGS - Freie Galaktische Sternenrepublik)

"Ts... Kary hat immer irgendeinen Plan..."

"Dann lieber keinen!"

"Wieso? Es hat eigentlich immer alles geklappt, was sie vorhatte." 'Bis auf diesen Einsatz', dachte Ryko düster.

"Naja, stimmt eigentlich schon..." Seufz, wo mochte Stardust bloß sein? Diese WArterei machte ihn ganz fertig. Er hatte Ryko schon viel zu viel erzählt. Langsam wurde er wohl gesprächiger, als gut für ihn war...

"Noch immer fast drei Stunden", stellte Ryko gestreßt fest.

"Genau." Alan fühlte sich einfach elend, vor allem, da er sich in gewisser Weise Schuld an Janas Verschwinden gab. Ihn hatte in letzter Zeit nichts außer dem neuen Schiff interessiert...

Die beiden Männer sahen sich an. Ryko überlegte, daß es eigentlich nicht nur Langeweile sein konnte, aufgrund derer Alan so seltsam reagierte. Eigentümlich. Aber was mochte sonst dahinter stecken?

Alan grübelte weiter. Er mußte irgendetwas unternehmen. Warum war das bloß alles so kompliziert? Seit er die FGS betreten hatte, war gar nichts mehr in Ordnung.

Ryko ließ sich auf die Kissen zurücksinken und betrachtete die Decke des Pavillons. Wenn seiner Gefährtin irgendetwas geschehen war, würden die Kidnapper keine Ruhe mehr haben, als bis er sie zur Strecke gebracht hätte!

Diese Warterei war einfach grauenhaft! Alan spielte mit seinem Glas herum, während er nochmals alles durchging, was er über die Entführung wußte. Viel war es wirklich nicht...

"Warum geht die Zeit einfach nicht um?" überlegte Ryko halblaut. "Ich habe mich früher häufig gefragt, woran es liegt, daß das Zeitgefühl von Menschen häufig stark subjektiv geprägt ist - allerdings hätte ich nicht gedacht, daß mir das auch einmal passieren könnte..."

"Mir sind so ein paar Stunden auch noch nie so lange vorgekommen."

"Hm." Ryko fragte sich, warum Alan sich eigentlich ebenso seltsam benahm, wie er meinte, daß er objektiv betrachtet wirkte. Vielleicht sollte er ja einmal darüber meditieren...

Irgendwie war es doch merkwürdig, fand Alan. Ryko verhielt sich komisch, er ebenso, und keiner wollte den anderen wissen lassen, warum eigentlich. Irgendwie hatte er den unbestimmten Verdacht, daß Ryko ihm etwas verschwieg.

"Zwei Stunden und zweiundachtzig Minuten", bemerkte Ryko gerade mit einem neuerlichen Seufzer.

"Es ist wirklich nicht nötig, mich darauf aufmerksam zu machen."

"Seufz!"

"Ich glaube, wir sollten einen Verein eröffnen."

"Hm?" machte Ryko verwirrt.

"Vergiß es einfach, ich rede Schwachsinn!"

"Hm."

"Seufz!"

"Und was unternehmen wir jetzt?" Ryko sah seinen 'großen Bruder' erwartungsvoll an. Dieser gab dessen Blick irritiert zurück, da er mit den Gedanken ganz woanders war. "Du hast doch sonst immer Ideen in der Richtung, dachte ich."

"Woher willst du das wissen?" fragte Alan.

"Naja, weil du älter bist, und überhaupt..."

"Vor allem überhaupt, scheint mir... Aber momentan fällt mir nichts Gescheites ein."

"Alan, du kannst mir nichts vormachen. Du hast ein Problem", sagte Ryko plötzlich. "Ich weiß nur nicht, was es ist."

"Ich versuche, dir etwas vorzumachen? Das hätte doch gar keinen Sinn!"

"Du verschuchstschon wieder, dich herauszureden."

Alan richtete den Blick auf den Boden, da er sich irgendwie ertappt fühlte.

"Nun?"

"Was nun?" fragte Alan ärgerlich.

"Was ist mit dir los?"

"Was soll mit mir los sein?"

"Vergiß es, Bruder! Ich lasse es nicht zu, daß du mir verbal entwischst."

"Ach? Du läßt es nicht zu?" Alan sah Ryko amüsiert an.

"Nein. Und ich kann ziemlich insistent sein, wie du wissen dürftest."

"Nervtötend, wilsst du wohl sagen!"

Ryko grinste. "Auch dieses, wenn es dir beliebt."

"Ich glaube, dem kann ich durchaus standhalten."

"Wie lange? - Gut. Also, was ist mit dir los?"

"Wie ich bereits erwähnte, nichts besonderes."

"Ich glaube dir nicht."

"Habe ich das verlangt?"

"Nein, das nicht. Aber was für ein Problem hast du nun?"

"Ich komme damit schon alleine zurecht."

"Es hört sich aber nicht so an. Also?"

"Nun gib endlich Ruhe, ich will nicht darüber sprechen."

"Ich will es aber trotzdem wissen."

"Ach, du willst?"

"Richtig. Nun?"

Alan warf einen gestreßten Blick an die Decke.

"Alan!" Ryko runzelte die Stirn. "Du hast mir immer noch nicht geantwortet."

"Richtig."

"Dann ändere das gefälligst."

"Nein!" Alan zog sich ein Kissen über den Kopf. Wenigstens waren die anwesenden 'Damen' vertraglich und gesetzlich verpflichtet, kein Wort von dem, was sie in ihren 'Etablissements' erfuhren, nach draußen dringen zu lassen... Ryko rupfte ihm das Kissen weg, woraufhin die Ladies dezent kicherten.

"Hey!" machte er mit einem betont treuherzigen Blick.

"Was?" fragte Alan genervt. Langsam war er es aber leid.

"Sprich dich aus!" Ryko warf ihm das eroberte Kissen an den Kopf, doch das konnte Alan nicht zulassen, was dazu führte, daß er gleich ein paar zurückschmiß. Im Nu war eine heftige Kissenschlacht im Gange, was die Damen dazu veranlaßte, sicherheitshalber die Flucht zu ergreifen.

"Was ist denn nun, Alan?" Ryko schlug ihm eine zusammengeknuddelte Decke um die Ohren.

"Nichts!" Alan zog ihm eine Schlummerrolle über.

"Ich glaube dir immer noch nicht!" Die zwei fuhren fort, die Einrichtung für ihre Klopperei zu mißbrauen.

"Ist doch nicht meine Schuld", meinte Alan, während er einem neuerlichen Kissen auswich.

"Doch! Du könntest erzählen, was Sache ist." Das nächste Kissen Rykos saß.

"Umpf! Warum sollte ich das? Würde das irgendetwas ändern, außer deine Neugier zu befriedigen."

"Naja, wir könnten die Zeit sicherlich sinnvoller totschlagen, wenn wir uns damit beschäftigten, als dösig herumzuhängen."

"Ich will mich aber nicht damit beschäftigen!"

"Und warum nicht?"

"Hm", machte Alan. Das wußte er eigentlich auch nicht. Er sprach nun einmal nicht gerne über seine Gedanken und Gefühle, geschweige denn, daß er sie irgendwie zeigte. In letzter Zeit hielt er einfach eine Art Maske aufrecht.

"Das ist kein Argument."

"Das weiß ich auch. Ich muß mir erst eins überlegen."

"Das heißt, du hast direkt keines. Warum erzählst du mir dann nicht, was Sache ist?"

"Laß mich doch zufrieden!" knurrte Alan, da er darauf natürlich keine Antwort wußte.

"Nein. Also?" Alan ignorierte Ryko einfach, da alle Mordmethoden, die ihm auf Anhieb einfielen, für Menschen gedacht waren und somit bei diesem keinen Erfolg hätten.

"Du hast immer noch nicht geantwortet." Alan strafte ihn weiter mit Nichtbeachtung.

"Huhu!" Ein Kissen kollidierte mit Alans Gesicht, doch auch davon ließ er sich nicht stören.

"Feigling!" Das konnte Alan nun gar nicht leiden, und er funkelte Ryko wütend an. Dieser setzte ein impertinentes Grinsen auf.

"Du funktionierst also doch noch."

"Was dachtest du denn?"

"Nun - warum beantwortest du meine Frage nicht?"

"Ich will sie ganz einfach nicht beantworten."

"Warum?"

"Warum wohl? Es geht dich überhaupt nichts an!"

"Und weshalb nicht?"

"Erzählst du mir alles?"

"Du fragst nicht."

"Ach? Ich erinnere mich an einige Fragen, die du auch nicht beantwortet hast."

"Dann bist du nicht nachdrücklich genug", meinte Ryko reichlich scheinheilig.

"So? Irgendwie scheint mir das nicht die Wahrheit zu sein."

"Doch", versicherte Ryko ihm.

"Und du bist der Meinung, daß du durch ausreichend 'Nachdruck' bei mir alles erreichst?"

"Ich bemühe mich. Also - was ist dein dunkles Geheimnis?"

Sowas habe ich definitiv nicht!"

"Aber ein Problem. Und ich wüßte gerne, welches."

"Das kann ich mir denken. Welches willst du denn wissen?" fragte Alan heimtückisch.

"Das, dessen Darlegung du so elegant auszuweichen versuchst."

"Ich versuche, jedweder 'Darlegung' auszuweichen!"

"Dann lege doch einfach alles dar."

Alan sah Ryko entsetzt an. "Das ist nicht dein Ernst!"

"Du willst es so."

"Ganz bestimmt nicht!"

"Nun, dann erzähle mir ganz einfach nur das, was dich die ganze Zeit so bedrückt."

"Hm", machte Alan nachdenklich. "Es ist dieser blöde Auftrag. Ich komme einfach nicht voran, und das macht mich nervös."

"Und um was geht es bei diesem Auftrag?"

"Es ist jemand entführt worden."

"Hm. Eine wichtige Persönlichkeit?"

"Geht so!" Das 'Für mich nicht!' hatte er gerade noch unterdrücken können. Ryko hob irritiert die Augenbrauen. 'Geht so?'

"Gibt es irgendeinen Hinweis auf die Kidnapper? Lösegeldforderung? Sonstige Erpressung?" Hm... Ob das auch etwas mit Karyllas Verschwinden zu tun haben könnte? Aber nein, das wäre viel zu weit hergeholt.

"Nein. Absolut nichts!"

"Hm." Von Kary hatte er auch einfach gar nichts gehört. "Wer ist denn das Opfer?"

"Ist das wichtig?"

"Vielleicht..."

"Wieso vielleicht?"

Ryko runzelte die Stirn. Aber er konnte Alan gegenüber doch nicht zugeben, daß seine Partnerin verschwunden war! Wie sähe das denn aus?

"Hat vielleicht die Organisation Xi ihre Finger im Spiel?" überlegte er laut.

"Wer weiß? Ich weiß es nicht."

"Hm..." Ryko dachte kurz nach. "Wer, sagtest du, war entführt worden?"

"Ich sagte überhaupt nichts!"

"Das ist ja das Problem. Also?"

"Es ist aber nicht mein Problem."

"Kommt drauf an, wie lange ich weiter fragen muß."

"Ich gewöhne mich langsam dran."

"Wer ist nun entführt worden?"

"Ein ISPC-Agent", antwortete Alan widerstrebend und bereute zum wiederholten Male, sich von Ryko abschleppen gelassen zu haben.

"Das ist doch schon öfters passiert", bemerkte Ryko verwundert. "Und was ist daran so besonderes, daß du solch ein Geheimnis darum zu machen gedenkst?"

"Mache ich Geheimnisse daraus? Ich habe nur die Nachrichtensperre beachtet."

"Aha. Wer ist es denn?" wollte Ryko wissen.

"Seufz!" machte Alan gestreßt. Langsam mußte Ryko doch von dem Spielchen genug haben!

"Wer?"

"Ich denke nicht daran!"

"Warum nicht? Soll ich alle ISPC-Agenten durchgehen - oder..." Ryko sah ihn entgeistert an. "Stardust?" Alan sagte dazu nichts. Ihm war schon klar gewesen, daß er sich durch seine hartnäckige Weigerung allein verraten würde. "Wie denn das?"

"Wie denn was?"

"Wie konnte es irgendjemandem gelingen, sie einzukassieren?" Er würde Stardust wahrscheinlich spätestens nach fünf Minuten achtkant wieder loswerden wollen...

"Das ist doch wirklich nicht schwer", bemerkte Alan verwirrt.

"Naja, ich meine auch eher, warum sie noch nicht wieder zurück ist..." Auf Alans nunmehr völlig irritierten Blick hin, sagte er: "Nenne mir irgendjemanden, der es länger als eine Viertelstunde mit ihr aushält!"

"Ich kenne eine Menge Leute, auf die das zutrifft."

"Oh." Ryko gehörte nicht dazu. Jedenfalls nicht freiwillig.

"Tse!"

"Hm. Hast du eine Ahnung, warum man sie entführt haben könnte?" Vielleicht gab es ja tatsächlich eine Verbindung zu Karys Verschwinden...

"Ich kann mir eigentlich nur vorstellen, daß die Organisation Xi damit zu tun hat", vermutete Alan.

"Damit dürftest du wohl nicht ganz unrecht haben", sagte Ryko. Sollte er ihm sagen, daß Karylla ebenfalls verschwunden war? Gedankenverloren fuhr Alan mit dem Finger das Muster eines Kissens nach. "Was unternehmt ihr?" erkundigte sich Ryko weiter.

"Wir warten."

"Toll..." Ryko verzog das Gesicht. Aber ihm blieb ja auch nichts anderes übrig, was seine Partnerin betraf.

"Was sollen wir denn sonst machen? Wir haben nicht die Spur eines Hinweises!"

"Ich weiß..."

"Es ist frustrierend. Ich hasse diese Warterei!"

"Ich kann es dir nachfühlen."

"Die kurze Zeit bis zu diesem Termin wirst du doch aushalten!"

"Hm?" Ryko guckte sein Gegenüber verwirrt an.

"Worauf wartest du denn sonst?"

"Verdammt, ich dachte, das könntest du dir mittlerweile denken..."

"Was kann ich mir denken?"

"Karylla ist auf mysteriöse Art und Weise verschwunden!" sagte Ryko verzweifelt. Jetzt war es heraus. Alan sah ihn überrascht an. Blackfire war auch verschwunden? Das war mehr als nur verdächtig. "Und ich habe ebenfalls nicht den geringsten Hinweis. Sie ging zu einem Briefkasten und war spurlos fort."

"Hm." Die Sache schien sehr gut geplant gewesen zu sein, dachte Alan. Sein Verdacht, daß wohl diese Organisation Xi dahinter steckte, schien begründet zu sein.

"Wir können allmählich in Richtung Schließfach aufbrechen", meinte Ryko plötzlich und erhob sich von der Liegestatt, die er immer noch okkupiert hielt.

"Wird aber auch Zeit!" Alan stand ebenfalls auf.

"Am besten machst du die Rücken deckung", bestimmte Ryko, "und ich sehe nach, was es Interessantes dort zu holen gibt."

"Na schön."

"Dafür darfst du das hier mit den Finanzen regeln..."

"Wenn's denn sein muß!"

"Du hast das Geld vorhin eingesteckt. Ich nur das..." Ryko deutete auf die Tasche, in der er das durchaus legal erstandene Collier für Karylla trug.

"Ich weiß, aber es gefällt mir gar nicht, es wieder hergeben zu müssen."

"Naja, wir kommen doch noch an einer Bank vorbei, wenn wir zum Raumhafen düsen..."

"Ich kann den Verlust verschmerzen, auch wenn ich diese Ausgabe leider nicht auf die ISPC-Spesenabrechnung schreiben kann..."

"Besser nicht." Ryko sah ihn amüsiert an.

"Die Rechnung würde mich den Job kosten. Mit Sicherheit..."

"Ts ts ts! - Na denn, komm schon, wir müssen langsam zum Raumhafen."

"Ich folge deinen Spuren."

Alan und Ryko machten sich auf den Weg zur nächsten Röhrenbahn, um erneut zum oberirdischen Teil von Ekvajar zu gelangen, wo sich a) der Raumhafen und b) die bewußten Schließfächer befanden.

Der Raumhafen lag ein ganzes Stück von der Stadt entfernt, und der Gleiterbus brauchte eine gute Viertelstunde bis zum Terminal. Die Männer stiegen aus, und Ryko sprang auf das nächste Transportband, das laut Beschilderung zur Gepäckaufbewahrung führte. Alan folgte ihm in einigem Abstand, gerade noch nahe genug, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

Kurz darauf traf Ryko bei den Schließfächern ein und suchte das angegebene heraus. Er steckte die Codekarte in den zugehörigen Schlitz und warf sich vorsichtshalber erst einmal in Deckung, was ihm einige sehr irritierte Blicke einbrachte. Es geschah allerdings rein gar nichts, außer der Tatsache, daß sich die Tür einen Spalt öffnete und das Symbol neben der Codekarte von besetzt auf frei umsprang.

Alan beobachtete Ryko aus der Ferne und schüttelte bei dessen Hechtsprung belustigt den Kopf. Er war sehr gespannt, was sich nun in dem Schließfach befand. Hoffentlich half es ihnen weiter!

Vorsichtig spähte Ryko in die Öffnung und runzelte die Stirn. Das Fach war leer - bis auf eine neuerliche Codekarte und eine daraufgekritzelte Adresse mit dem Vermerk 'sofort'. Mit seinem Fund trabte er zu Alan zurück.

"Und?" fragte dieser neugierig.

"Das war drin!" Ryko hielt ihm die Karte unter die Nase.

"Hm. Sowas hatte ich mir schon gedacht. Die Adresse einer weiteren Station, aber mit Sicherheit nicht die des Marktes."

"Seufz..."

"Ooooch", meinte Alan.

"Jetzt behaupte nicht, du machst dir keine Sorgen um Stardust!"

"Ich?" fragte Alan abwehrend.

"Ach", sagte Ryko belustigt. Auch wenn Alan dreimal sagte, es kümmere ihn nicht - er sah es ihm doch an der Nasenspitze an, was er dachte! Auch wenn er so frech grinste, wie jetzt. Ryko schnitt eine Grimasse. "Gehen wir!" Er deutete auf die Adresse.

"Okay. Ich wette, dort wartet ein Knilch, der uns dann wieder woanders hinschickt..."

"Was sonst?" Ryko gab erneut einen tragischen Seufzer von sich.

"Die Adresse scheint am anderen Ende der Stadt zu liegen", stellte Alan fest.

"Da ist der Gleiterbahnhof." Ryko deutete auf einen der Ausgänge des Raumhafens.

"Dann laß uns gehen."

"Bin schon unterwegs."

Sie stiegen in einen wartenden Gleiterbus und flogen in die Rue Dlijena, wie auf der Codekarte angegeben. Die Gegend, durch die der Bus schwebte, wurde zunehmend trostloser. Offenbar handelte es sich um die alten Industriegebiete Ekvajars, die inzwischen größtenteils stillgelegt waren, da sich die neue Technologie hauptsächlich auf den Meeresgrund konzentrierte.

"Das scheint es zu sein." Alan wies auf einen ziemlich heruntergekommenen 'Schuppen' hin.

"Hm. Gehen wir beide?"

"Wie du meinst. Ich kann ja wieder deinen Schatten spielen."

"Du kannst auch gerne gehen." Ryko machte eine einladende Geste in Richtung 'Hütte'.

"Nein, danke. Ich bleibe lieber im Hintergrund."

"Okay."

Ryko trabte von dannen, während Alan die Gegend beobachtete. Wenigstens konnte sie hier kaum jemand überraschen.

* * *

Ryko steckte seine Codekarte in das Schloß der Hütte. Sie paßte anstandslos, und er trat ein. Ein eher unscheinbarer Mann mit einem gezückten Laserblaster saß hinter einem Schreibtisch und musterte den Neuankömmling kritisch.

"Ich habe sie schon erwartet."

"Äh, hallo..." Ryko starrte ängstlich auf die gezückte Waffe.

"Sie möchten den Markt besuchen?"

"Äh, j-ja - eigentlich d-doch..." Er ließ seinen Blick keinen Millimeter von der flimmernden Mündung abweichen.

"Und warum?"

"Ja... Ich habe von einem Ku-kumpel gehört, die wären g-ganz gut zu gebrauchen... Vor allem d-die... Naja, Sie wissen schon..." Ryko erlaubte sich ein verlegenes Grinsen und guckte angestrengt zu seinen Stiefelspitzen herunter.

Der Mann grinste anzüglich zurück und senkte die Waffe. Von diesem Typen war bestimmt keine Gefahr zu erwarten, dachte er leicht verächtlich.

"Okay. Ich gebe Ihnen eine weitere Adresse." Er reichte Ryko eine Folie.

"Ich d-danke Ihnen..." Ryko guckte betont begeistert, auch wenn er diesen Freak am Liebsten windelweich geprügelt hätte. "Ich bin ja schon so gespannt auf die - na, Sie wissen schon..."

"Schon gut... Sie werden eine reichhaltige Auswahl finden."

"Fein!" Nach außen hin hocherfreut spazierte Ryko aus der Hütte hinaus. Alan fischte ihn vom Weg und zog ihn in eine düstere Gasse.

"Was war los?"

Ryko grinste humorlos.

"Oh, sie haben eine reichhaltige Auswahl von 'na, Sie wissen schon'..." Schlagartig verdüsterte sich sein Gesicht. "Ich erzähle dir lieber nicht, was ich mit diesen Typen anstellen möchte..."

"Ich glaube, das kann ich mir denken."

"Nun gut. Auf der Folie steht das Datum vom nächsten Ishnatag, also der 3763/02/49 GZ... - Das sind volle drei Tage!"

"Grauenhaft. Wie sollen wir die herumbringen?"

"Hm." Auch Ryko wirkte wenig begeistert. "Schlag was vor."

"Irgendwie habe ich das erwartet!"

"nun?"

"Nichts 'nun'. Laß mich doch erst einmal überlegen!"

"Gut." Solange Alan überlegte...

"Ich weiß genau, was du jetzt gedacht hast", meinte dieser. Ryko sah unschuldig nach oben und betrachtete die orangefarbenen Wolken im dunkelkupferroten Himmel.

"Tu nicht so unschuldig! Bei mir wirkt das nicht!"

"Also - was schlägst du vor?"

"Mir ist noch nichts eingefallen, was die drei Tage herumbringen würde."

"Hm."

"Es ist einfach schwieriger, für zwei zu denken."

"Ist es?"

"Aber ja! Du ahnst gar nicht, wieviel dadurch verworfen werden muß!"

"Was denn?" Ryko guckte Alan neugierig an.

"Das erfährst du am besten erst gar nicht, sonst bringt Blackfire mich doch noch um."

"Jetzt will ich es aber wissen! Und außerdem - was Kary nicht weiß..."

"Das kenne ich! Und dann erfährt sie es über Umwege doch, und ich stecke im Schlamassel."

"Aber wenn ich es doch wissen will? Außerdem hat sie explizit gesagt, daß ich meine Entscheidungen selbst zu fällen habe."

"Sie hat dabei aber bestimmt nicht an meine Lebensweise gedacht."

"Naja, denk dran, ich sollte ja eigentlich auch nach Firestars Ebenbild gebaut werden..."

"Solltest du, bist es aber nicht!"

"Naja, trotzdem. Bin ich dein Bruder oder nicht? Also!"

"Du bestehst ja darauf, mein kleiner Bruder zu sein..."

"Und?"

"Kleine Brüder haben dort nichts zu suchen."

"Püh! So klein bin ich nun auch wieder nicht!"

"Das behaupten sie alle."

"Hm? Wer?"

"Die kleinen Brüder!"

"Du bist gemein!" Ryko grinste. "Also?"

"Gut, ich bin gemein. Es kommt nämlich nicht in Frage."

"Warum nicht?"

"Darum nicht!"

"Alan!" Ryko sah ihn mit einem tragischen Dackelblick an. "Bitte!" Alan kicherte.

"Du müßtest doch langsam wissen, daß das bei mir nicht zieht!"

"Egal - also, was willst du mir nicht zeigen?"

"Das werde ich lieber für mich behalten!"

"Aber ich will es wissen! - Außerdem bin ich schon sieben Jahre voll in Funktion."

"Und ich bin dreimal so alt."

"Hallo Opi..."

Alan musterte ihn amüsiert.

"Wenn du mich so betitelst, bist du erst recht zu jung!"

"Oh, es gibt auch Opis, deren Enkel durchaus schon zu allen Schandtaten bereit sind..."

"Aha! Mit Opas und Enkeln habe ich aber keinerlei Erfahrung."

"Naja, man liest so einiges an Daten..."

"Daten sind aber Daten..."

"Eben, darum geht es ja. Also?"

"Du bist unverbesserlich, scheint mir. Ein Vorschlag zur Güte - wir gehen dahin, wohin du willst."

"Hm... Ziehen wir ein bißchen durch die Gegend?" Auch wenn er es niemals zugeben würde, irgendwie hatte Ryko die gestrigen ...Abenteuer durchaus informativ gefunden.

"Diese Angabe ist überaus präzise... Du gehst vor!"

"Püh!" Ryko zog eine Schnute, düste dann aber einfach in irgendeine Richtung. Alan trabte amüsiert hinterher. Er fand es ziemlich lustig, einen kleinen Bruder zu haben...

Ryko hatte nicht die geringste Ahnung, wo er hinwollte, also wanderte er immer geradeaus. Eine ganze Weile später entdeckte er ein silbriges Schild, das auf eine Bar hinzuweisen schien. ZU DEN ZWEI MONDEN stand darauf. Zielstrebig steuerte er hinein.

'Oh nein', dachte Alan. Das war doch nicht wahr! Ryko hatte sich das absolut unterste Niveau herausgesucht; dieser 'Schuppen' war der Treffpunkt für den Abschaum der Stadt. Aber sollte er ruhig seine eigenen Erfahrungen sammeln...

Ryko runzelte die Stirn und war froh, daß er nicht darauf angewiesen war, ständig zu atmen. Der Mief in dieser Kaschemme war einfach bestialisch, und so desaktivierte er auch noch kurzerhand seine Geruchssensoren. Es war ihm ein Rätsel, wie Menschen in dieser Umgebung überleben konnten, aber offensichtlich gelang es ihnen tatsächlich.

Er bahnte sich einen Weg durch die Menge, und Alan blieb dicht bei ihm. Hier sollte man besser niemandem den Rücken zuwenden...

Irgendwann stand stand Ryko vor einem mit mehrfachen Seilen begrenzten Quadrat, in dem sich zwei halbnackte Walküren in schlüpfriger Masse einen Ringkampf lieferten. Sie wurden von lautstarkem Gejohle der umstehenden Männer angefeuert. 'Faszinierend', dachte er und guckte sich das Szenario interessiert an. Er verstand nicht, was so aufregend daran war, daß sich zwei weibliche Wesen in diesem Kunstschlamm wälzten.

Alan fand es absolut ekelerregend. Dieser Mief und Dreck - grauenhaft. Absolut unwürdig für jemanden wie ihn. Er packte Ryko und schleifte diesen aus dem Lokal, bevor die Ladies sie auch noch mit dem Glibberzeugs bedeckten.

Vor der Tür hob Ryko die Augenbrauen.

"Ich sehe keinen Sinn darin, leichtbekleideten Frauen zuzusehen, die sich in künstlichem Schlamm herumsuhlen", bemerkte er. "Dennoch befindet sich ein beträchtliches Publikum dort. Warum?"

"Weil es sie erregt! Ich finde es widerlich."

"Hm. Sehr eigentümlich. - Und nun? Mach du lieber einen Vorschlag..."

"Nein", wehrte Alan ab. "Versuch's ruhig noch einmal." Ryko sah ihn geschockt an. Wer wußte, wo er dann schon wieder landen würde...

"Na gut", gab er nach, denn er hatte einige Häuser weiter ein Schild Blue Circle entdeckt. Er schlug also die entsprechende Richtung ein, und Alan folgte ihm seufzend. Er hatte es geahnt...

An der Tür wurden sie erst einmal sehr mißtrauisch beäugt und mit halbdurchsichtigen blauen Kutten ausgerüstet. Anschließend ging es durch bläuliche Rauchschwaden (eine starke, bewußtseinserweiternde Drogen für Menschen, stellte Ryko bei Analyse fest) in einen düsterblauen Saal, der von wenigen fluoreszierenden Platten in mattblaues Licht getaucht wurde.

Das war ja wohl das Allerletzte, dachte Alan. Und diese Spinner machten auch noch Geld damit, denn sie hatten einen ziemlich hohen Betrag bezahlen müssen, um hineinzukommen.

Auf dem Boden lagen ekstatische Leute herum, allesamt von der Droge berauscht. Ein Teil der Freaks hatte sich auch schon von den Kutten befreit und betätigten sich intensivst miteinander. Ryko war sehr irritiert, vor allem, da offenbar einige Leute, die an die Wände gefesselt waren, auch noch Spaß daran zu finden schienen, von anderen ausgepeitscht zu werden.

'Menschen!' dachte er indigniert.

"Reicht es jetzt?" fragte Alan ungeduldig.

"Ich finde es sehr suspekt", bemerkte Ryko kopfschüttelnd.

"Wie ich das finde, kann ich gar nicht ausdrücken!"

Ryko zuckte mit den Achseln und machte kehrt, woraufhin Alan erleichtert aufseufzte und das Gebäude im Eiltempo verließ. Vor der Tür blieb Ryko stehen.

"Und nun?"

"Du hast mich überzeugt", meinte Alan. "Du bist nicht in der Lage, selbst zu bestimmen..."

"Ich kenne mich mit sowas eben nicht aus. Ich meine, wenn Kary hier wäre..."

"Die kennt sich da aus?" fragte Alan irritiert.

"Nein - naja, hm, keine Ahnung... Auf jeden Fall würden wir etwas anderes unternehmen."

"Ich kann es mir denken. Aber sie ist nicht da - also folge mir unauffällig! Mir scheint, du bist wirklich so ein Unschuldslamm, wie du vorgibst zu sein."

"Hm", machte Ryko unbestimmt. "Naja, zumindest, was das 'durch die Gegend ziehen' betrifft..."

"Nicht nur da..." Alan sah ihn an, und Ryko runzelte leicht verwirrt die Stirn. "Auf jeden Fall bestimme ich jetzt, wohin wir gehen. Von diesen Spelunken habe ich für heute genug."

"Schön. Ich bin neugierig."

"So? Worauf?"

"Naja - was du jetzt vorschlägst."

"Seufz... Na gut, ich glaube, mir ist etwas eingefallen." Ryko warf ihm einen auffordernden Blick zu. "Gehen wir", sagte Alan und machte sich auf den Weg. Ryko trabte gespannt hinter ihm her. Sein Bruder steuerte auf ein Gleitband zu und ließ sich von diesem zu einem palastähnlichen Bauwerk transportieren. "So, das ist es!"

Die goldene Leuchtreklame wies das Gebäude als Planetarische Spielbank Ekvajar-Central aus.

"Ein Spielcasino", stellte Ryko erfreut fest.

"Stimmt. Wir sind etwas knapp bei Kasse, und ich habe vor, das zu ändern."

"Gut. Gehen wir hinein!" Ryko düste voran.

"Was hast du es auf einmal so eilig?" erkundigte sich Alan und folgte ihm.

"Ich liebe Casinos! - Vor allem die, in denen die Kunden über's Ohr gehauen werden..." Dann hatte er nämlich keine Probleme, die ohnehin bereits manipulierten Spiele zu seinen Gunst zu beeinflussen...

"Was hier bestimmt der Fall ist..."

"Eben!" Sie gingen zum Empfang, doch weiter ging es vorerst nicht.

"Es tut mir leid, Sie nicht einlassen zu dürfen, Messieurs, aber hier herrscht Umhangzwang!"

Das hatte Alan völlig vergessen, aber es war auch schon lange her, daß er das letzte Mal ein Casino besucht hatte.

"Nun, dann werden wir uns umkleiden und gleich wiederkommen", sagte er.

"Seufz", gab Ryko von sich. "Auf Shanjir war ich noch nie in einem Casino, aber eigentlich hätte ich es mir denken können. Auf Naravina geht der feine Herr nie ohne Umhang aus... Naja, ziehen wir uns also um."

"Okay."

Die beiden begaben sich also in die Lightning zurück. Ryko entschied sich für einen schlichten ockerfarbenen Overall mit tiefgoldenem Umhang und gleichfarbigen Stiefeln und Handschuhen, Alan hingegen bevorzugte Smaragdgrün mit gleichfalls goldenen Accessoires.

"Auf ein neues", meinte Ryko fröhlich, und sie suchten das Casino ein zweites Mal heim. Diesmal wurden sie anstandslos durchgelassen und landeten in einem völlig überfüllten Saal...

"Welches Spiel bevorzugst du?" wollte Alan wissen.

"Alle!" Ryko grinste ihn an.

"Tse. Habe ich irgendwie erwartet..."

"Wir können ja alphabetisch vorgehen. Dabei fällt mir zuerst ansikkanisches Roulette ein..."

"Eins meiner Lieblingsspiele", stellte Alan fest und steuerte auf den entsprechenden Tisch zu.

Ein etwa 1m hoher Glaskegel schwebte über einem zwölfeckigen Tisch. An jeder Seite befand sich ein treppenförmiges Zahlenfeld mit dreigeteilten Quadraten, wobei jedes Quadrat für eine Zahl von 1 bis 45 stand. Auf dem Boden des Kegels waren für die Spieler sichtbar drei konzentrische Zahlenkreise angebracht, die jeweils ebenfalls die Zahlen von 1 bis 45 in willkürlicher Reihenfolge trugen. Drei Laserstrahlen wanderten rasch über die Kreise und wurden mit einem Zufallsgenerator gestoppt, woraufhin die drei Gewinnzahlen erleuchtet waren.

(Die Gewinnschancen beim ansikkanischen Roulette unterteilen sich in einzelne Zahlen (d.h. eine, zwei oder drei Richtige), Reihen (also die Kombinationen 2/3, 4/5/6, 7/8/9/10, 11/12/13/14/15, 16/17/18/19/20/21, 22/23/24/25/26/27/28, 29/30/31/32/33/34/35/36 & 37/38/39/40/41/42/43/44/45), und Blöcke (also 1 bis 3, 1-6, 1-10, 1-15, 1-21 und 1-36), sowie Vielfachheit (d.h. es kommen drei einzelne Zahlen, ein Duo oder ein Triplett).)

Ryko trat an die Spielseite Nummer 4. Die Seiten neben ihm waren mit zwei Damen in mittlerem Alter besetzt. Alan blieb in seiner Nähe stehen und sah ihn an. Er konnte später immer noch spielen. Ryko schob seine Codekarte als 'Enshavar Iskadrion' in den Schlitz oberhalb des Zahlenfeldes. Der Spielcomputer prüfte den Kontostand und gab anschließend das Spielfeld frei. Ryko tippte in die Zahlenleiste unterhalb des Feldes den Betrag ein, den er zu setzen gedachte, erst einmal 25 Credits. Anschließend wählte er eine Zahlenkombination: 17-27-4. Kurz darauf war das Tastenfeld wieder gesperrt, und die Zahlen wurden in dem Kegel ausgespielt.

17, 27 und 4 erschienen.

Bei einer Quote von 1:91125 hieß das, daß Ryko einen Gewinn von 2 278 125 Credits einstrich. Er hob eine Augenbraue und drehte sich mit einem leichten Grinsen zu Alan um.

"Meinst du, das reicht? Du kannst ja auch gerne mal ein Spielchen wagen..."

"Hm", machte Alan. "Was denkst du - kommen wir damit drei Tage aus?"

"Was spielst du denn sonst noch gerne? - Ich spendiere dir auch den Einsatz..."

"Secret Agent", meinte Alan.

"Bitte sehr!" Ryko deutete auf das entsprechende Terminal.

Bei diesem Spiel gab es einen Standard- und einen Masterlevel. Im Standard-Level mußte in weniger als 50 Versuchen durch Kombination eine Sequenz aus 7 von 10 Symbolen erraten werden, wobei kein Symbol doppelt verwendet werden durfte. Nach jedem Schritt gab der Spielcomputer eine Information, wie viele Symbole und wie viele Stellen richtig erraten wurden.

(Symbol: blau, Symbol und Stelle: weiß. Die Gewinnchancen verteilen sich dabei wie folgt: Wer beim 50. Versuch richtig liegt, bekommt seinen Einsatz zurück, beim 49.-25. Versuch das 10-, 20-,..., 250fache des Einsatzes, beim 24.-10. Versuch das 300-, 350-,..., 1000fache des Einsatzes, beim 9.-1. Versuch das jeweils 2000-, 4000-, 8000-,..., 512000fache des Einsatzes.)

Im Master-Level kam erschwerend hinzu, daß die Symbole zusätzlich in den drei Farben gelb, rot und blau unterschieden wurden. Hier mußte man die Sequenz in weniger als 100 Versuchen herausfinden.

(Symbol: blau, Farbe: rot, Symbol und Stelle: grün, Symbol und Farbe: violett, Farbe und Stelle: orange, Symbol, Stelle und Farbe: weiß. Die Gewinnchancen verteilen sich wie folgt: 100-51: +10, 50-26: +100, 25-11: +1000, 1-10: jeweils verdoppelt, d.h. wer im ersten Versuch die Farben rät, erhält das 18432000fache seines Einsatzes zurück.)

Die beiden begaben sich zu einem Spielterminal, und Ryko reichte Alan seine Codekarte.

"Sei mein Gast..."

% Neuer Text ab S.16

"Ich danke dir!" Alan schob die Karte in den Schlitz für dem Master-Level und tippte auf dem Zahlenfeld den Einsatz ein: 100 Credits.

Sogleich zeigte ein Leuchtfeld die Startbereitschaft des Geräts an. Hawk tippte eine willkürliche Kombination ein und wartete auf die Antwort des Computers.

"Ich bin ja mal gespannt, wann ich es raus habe. Bei diesem Spiel kann man ja definitiv nicht schummeln."

Ryko sah ihn kopfschüttelnd an. Er hatte jedenfalls keine Probleme damit, vor allem, da der Bordcomputer der Lightning sämtliche in den Casinos gebräuchlichen Zufallsgeneratoren kannte - und er somit ebenfalls.

Alan war inzwischen bei Schritt 7. Wenn er schon spielte, dann richtig, sonst wäre es ja langweilig. Er schummelte eigentlich nur, wenn die Geräte manipuliert waren. Hier brachte er ja nur seine Fähigkeiten ins Spiel, und das war kein Betrug, jedenfalls nicht nach seiner Definition. Außerdem fielen sie schon genug auf, auch ohne daß er den Code im ersten Versuch knackte. Er löste den Durchgang mit Sequenz 11, was ihm bei seinem Einsatz immerhin 1 800 000 Credits einbrachte.

"Gratulation", meinte Ryko. "Sollen wir es gut sein lassen, oder machen wir noch ein Spiel?"

"Mit dieser Karte würde ich es nicht noch einmal versuchen."

"Was hältst du von einer Runde Würfeln? An dem Tisch da drüben scheinen sie Halvesa zu spielen, die dvarisianische Variante mit zwei zwölfseitigen Würfeln."

"Okay. Mir ist fast jedes Spiel recht."

"Ich finde Halvesa immer ausgesprochen entspannend."

Alan sah Ryko neugierig an.

"Entspannend?"

"Naja, es ist ein nettes kleines Geschicklichkeitsspiel, vor allem, wenn man die Flugbahnen von unkorrekt balancierten Würfeln berechnen darf..." Um genau zu sein, bereiteten Ryko vor hauptsächlich die dummen Gesichter der Bankhalter eine diebische Freude, wenn er trotz bestgetürkter Würfel stets gewann.

Alan hingegen fehlte irgendwie die Spannung bei diesem Spiel. Dennoch trat er mit Ryko an den zwölfeckigen Würfeltisch, obwohl er nicht beabsichtigte, sich zu beteiligen. Er sah Ryko lieber zu.

Dieser kam schließlich an die Reihe und sah den Bankhalter mit seinem besten Unschuldsblick an, als dieser ihm die Würfel in die Hand drückte. Hm, dieses Paar war tatsächlich in Ordnung, stellte Ryko fest und warf dreimal hintereinander einen Gewinn. Nun bemerkte er auf einmal, daß er ein neues Würfelpaar bekam; bei diesem war die Gewichtung anders. Aber wenn er den Wurf korrekt berechnete... Es folgten zwei neuerliche Gewinnwürfe, und der Bankhalter sah mittlerweile ziemlich geschockt auf den Spieltisch, ehe er erneut die Würfel gegen ein anderweitig 'korrigiertes' Paar austauschte. Ryko grinste innerlich und ermittelte die Parameter auch dieser Würfel. Drei weitere Gewinnwürfe...

Alan betrachtete unauffällig die Umgebung. Ihm war keineswegs entgangen, was der Bankhalter tat, geschweige denn, wie nervös dieser war. Ryko bemerkte unterdessen die vierte Würfelvariante, was ihn nicht an einem weiteren Volltreffer hinderte.

Aus einer Tür mit Aufschrift Privat trat ein älterer Herr nebst vier Leibwächtern. Alan stieß Ryko an.

"Da gefällt jemandem deine 'Glückssträhne' nicht", meinte er leise.

"Nicht?" Ryko guckte betont treuherzig und kassierte erst einmal seine Codekarte wieder ein, nur um diese durch die des neben ihm stehenden Herrn auszutauschen, der sie unvorsichtigerweise in eine Außentasche seiner Kombi gesteckt hatte. Alan grinste seinen Bruder an, allerdings ohne die vier Leibwächter aus den Augen zu lassen.

Ryko warf den nächsten Gewinn mit den nächsten Würfeln. Der Herr nebenan würde erfreut sein, wenn er demnächst einmal seinen Kontostand kontrollierte... Ryko hatte keine Lust, jetzt schon aufzuhören, wollte aber seine gewonnenen 6 Millionen Credits nicht gefährden, denn er würde kaum dazu kommen, seine Codekarte einzukassieren, wenn man ihn aus dem Casino warf.

Die vier Leibwächter hatten sich inzwischen hinter Ryko und Alan aufgebaut, und der ältere Herr sprach Ryko an.

"Ich würde jetzt aufhören", meinte er leise.

"Aber warum?" erkundigte sich Ryko unschuldig. "Ich habe doch gerade eine Glückssträhne..."

"Gehabt! Sie verlassen jetzt auf der Stelle das Casino!"

"Aber..." Ryko guckte ihn schmollend an, und einer der Wachen zeigte verborgen mit einem Laser auf ihn.

"Ich würde es Ihnen empfehlen!"

"Er will mich erschießen", rief Ryko erschreckt und sprang auf. Sämtliche Anwesenden drehten sich zu ihnen um.

"Aber nein, meinte der Herr freundlich. "Er will Sie doch nur beschützen. Es gibt viele Diebe hier..."

"Ach so! Dann kann ich ja wieder..." Ryko wandte sich erneut dem Spieltisch zu.

"Nein", meinte einer der Typen leise und faßte nach Rykos Arm.

"Und warum nicht?" erkundigte sich Ryko neugierig. Die übrigen Casino-Besucher lauschten dem Dialog interessiert.

"Sie haben das Limit überschritten, und zum Weiterspielen brauchen Sie die Erlaubnis des Eigners." Alan betrachtete das Ganze höchst amüsiert und schob sich näher zu Ryko. Wenn er ihn so schauspielern sah, fragte er sich, wieviel von seiner Naivität bezüglich gewisser Etablissements wohl auch nur Schauspielerei war... Obwohl, bei Ryko konnte man manchmal wirklich nicht wissen.

"Und wo kann ich die Erlaubnis des Eigner bekommen?"

"Nicht hier!"

"Und wo dann?"

"Draußen!"

"Aha!" Ryko beschloß, weiterhin total naiv zu spielen, denn das war mit Sicherheit die ungefährlichste Methode. "Dann bringen Sie mich doch bitte zu ihm hin, damit ich gleich weitermachen kann. Ich habe doch so eine Glückssträhne..."

"Gut, folgen Sie mir!" Ryko erhob sich folgsam und trabte hinter dem Mann her. Alan tat es ihm gleich, denn er hatte nicht vor, sich von ihm trennen zu lassen. Vor der Tür wandte Ryko sich um.

"Und wo bekomme ich jetzt die Erlaubnis zum Weiterspielen?"

"Gar nicht!" meinte eine der Wachen mit maliziösem Grinsen und schubste Ryko in einen schmutzigen, düsteren Hinterhof hinaus.

"Hey, was schubsen Sie mich?" Ryko guckte den Typen empört an.

"Genug der Worte. Sie verschwinden jetzt einfach, und alles ist okay. Sonst..." Der Wachmann hatte schon lange keinen unliebsamen Gast mehr vermöbelt und freute sich auf diese kleine Abwechslung. Alan lehnte in der Tür und betrachtete die Szene amüsiert.

"Sonst was?" Ryko guckte, als könne er kein Wässerchen trüben und wich keinen Millimeter von der Stelle.

"Sonst helfen wir Ihrem Abgang etwas nach..."

"Meinen Sie?"

Als Antwort hieb der Typ Ryko die Faust in den Magen, und dieser grinste über alle vier Backen, als der Schläger gepeinigt aufjaulte und sich die verstauchten Knöchel hielt. Zur Antwort schickte Ryko den Kerl mit einem wohldosierten Handkantenschlag ins Land der Träume.

"So ein unverschämter Lümmel", beschwerte er sich. Daraufhin stürzten sich die restlichen drei Männer gemeinsam auf ihn, und der ältere Herr rief vorsorglich schon mal Verstärkung. Binnen weniger Sekunden träumten auch diese Typen selig, und Ryko schaute den Casino-Besitzer tadelnd an.

"Sie sind ein schlechter Verlierer, wissen Sie das? Außerdem sollten Sie ihren Gorillas ein wenig Benehmen beibringen. Mein Anzug ist zerknittert."

Der Mann starrte Ryko nur entsetzt an, aber da stürmten schon zehn weitere Gorillas aus der Tür, wobei sie Alan dezent beiseiteräumten. Dieser knurrte ärgerlich.

Ryko guckte die zusätzlichen Rausschmeißer kritisch an. Offenbar hatten sie entweder die Anweisung oder hielten es nicht für nötig, ihre Laser zu ziehen. Gut. Vermutlich wollten sie einen Skandal vermeiden und ihm 'nur' eine Lektion erteilen. Er schüttelte belustigt den Kopf und schlug präventiv schon einmal wieder zwei der Männer k.o. Alan sollte sich mal ein wenig mit dem Aufrappeln beeilen, dachte er.

Als dieser wieder stand, warf er sich nun ebenfalls auf die Wachmänner. Er hatte nicht vor, es auf sich beruhen zu lassen, daß man ihn über den Haufen gerannt hatte.

Nicht eine Minute später lagen vierzehn Leibwächter bewußtlos auf dem Hinterhof, und Ryko guckte den älteren Herrn, der in zunehmende Panik verfiel, stirnrunzelnd an.

"Das ist aber nicht die feine Art!"

Dem Mann zitterten die Knie, und er brachte kein Wort hervor. Alan staubte seine Klamotten erst einmal ab. Pfui, war das hier schmutzig!

Ryko hatte den Versuch, seine Kleidungsstücke zu reinigen, schon im Vorhinein als illusorisch abgehakt, aber aus einem schwer bestimmbaren Grund wirkte er ohnehin selbst in Fetzen noch ausgesprochen würdevoll. Er sah indigniert auf den Casino-Besitzer herab.

"Sie sind ein schlechter Verlierer, Monsieur!"

Der Mann sagte immer noch nichts, sondern preßte sich ängstlich an die Wand, wobei er auffällig in seinen Taschen herumwühlte. Alan vermutete, daß er noch ein paar Wachen herbeirufen wollte, aber er fand sich und Ryko eigentlich schon dreckig genug.

"Laß uns gehen, bevor noch mehr Typen hier auftauchen!"

"Ganz deiner Meinung, großer Bruder..." Alan sah ihn mit einem nachdenklichen Blick an.

"Was hältst du von einem Bad?" fragte er dann.

"Dieser Vorschlag findet meine absolute Zustimmung."

"Wir haben es tatsächlich nötig", meinte Alan amüsiert.

"Wir sollten uns wohl auch besser dieser Garnituren entledigen."

"Können wir tun. Was meinst du zu einem Besuch im Badehaus?"

"Ich folge dir!"

"Schön. Gehen wir dorthin. Geld dürften wir ja genug haben..."

Die zwei zogen los zu einem flachen, von Ziersäulen flankierten Gebäude. Als sie eintraten, kamen sie zunächst in eine Vorhalle, die aus einem Synthomaterial gefertigt war, das wie reinstes Perlmutt wirkte. Direkt an der Eingangstür mußten sie bereits einen beträchtlichen Betrag nur für den bloßen Eintritt löhnen. Weitere Dienstleistungen wurden laut Hausordnung separat berechnet.

"Was ist dir am liebsten?"

"Wie meinst du das?"

"Warm, kalt, sprudelig, welcher Duft, welche Farbe?"

"Also..." Ryko überlegte kurz. "Warm, klar, sprudelig, Khymella..." Letzteres war der Duft, den Karylla bevorzugte, und im Laufe der Zeit hatte er sich derart daran gewöhnt...

"Gut. Macht es dir etwas aus, wenn ich mitkomme?"

"Sollte es?" fragte Ryko achselzuckend zurück.

"Nein, aber man kann ja nie wissen..."

Ryko grinste ihn nur an.

"Nebenbei, gibt es hier eine Möglichkeit, seine Kleidung reinigen zu lassen?"

"Natürlich."

"Gut. Dann gedenke ich, diese wahrzunehmen." Ryko düste in die ihm zugewiesene Umkleidekabine und steckte erst einmal seine Codekarte und das Collier, das er für Karylla erworben hatte, in den zugehörigen Safe, ehe er seine Kleidungsstücke in den Reiniger warf. Alan tat es ihm gleich und stieg in einen der bereitgestellten Bademäntel.

Im Zugang zum Badesaal trafen sie sich wieder.

Der Saal war wundervoll. Die Wände bestanden aus türkisschillerndem Stein, und die Decke war kuppelförmig und durchsichtig. Mit nebelhaften Energiewänden waren einzelne Kammern voneinander abgetrennt, und sie steuerten auf die für sie vorbereitete zu.

"Eine exquisite Einrichtung", bemerkte Ryko anerkennend. Zu Zeit war etwa die Hälfte der Kabinen belegt, was man an den schemenhaften Bewegungen hinter den Wänden erkennen konnte.

"Exquisit ist das richtige Wort", stimmte Alan zu und betrachtete das türkisschimmernde Wasser, von dem ein äußerst angenehmer Geruch ausging. Ryko legte seinen Bademantel auf einem würfelförmigen Hocker aus rauchglasfarbenem Material ab und verschwand in den Fluten. Mmmh... Dieser Duft erinnerte ihn wieder so sehr an Karylla... Er seufzte.

Alan grinste und kletterte ebenfalls in das Becken.

"Das riecht gut", meinte er.

"Mhm", brummte Ryko und blickte in weite Fernen. Alan streckte sich behaglich in dem warmen Wasser aus. Er würde sich erst einmal gründlich einweichen, zudem liebte er es, so faul herumzuhängen. Er hatte über vieles nachzudenken.

Ryko meditierte darüber nach, wo seine Partnerin wohl stecken mochte. Er gäbe einiges darum, jetzt mit ihr zusammen in diesem Bade zu stecken...

"Woran denkst du?" wollte Alan wissen.

"Was fragst du?" Ryko sah sehnsüchtig in die Leere.

"Schon gut, ich frage nie wieder..." Alan schubste ein Seifenschiffchen an. Ryko versenkte sich kurzerhand im Wasser und legte sich auf den Boden. Hier war es schön ruhig und überhaupt...

Alan betrachtete ihn kopfschüttelnd und begann, sich die Haare zu waschen, da diese eine gehörige Ladung Dreck abbekommen hatten. Seufz. Er hätte das ja gern von jemand anderem - bevorzugt einer weiblichen Person - erledigen lassen, aber solange sich Ryko da unten im Wasser herumtrieb und nicht aufzutauchen gedachte... Abermals seufz!

Geraume Zeit später beschloß jener allerdings, daß er sich genug eingeweicht hatte und stieg wieder empor.

"Hast du irgendwo das Shampoo?"

Alan gab dem entsprechenden Schiffchen einen Stoß, damit es zu Ryko herüberschipperte.

"Danke."

Kurz darauf befand er sich wieder sauber. Alan hatte unterdessen damit begonnen, Schiffe zu versenken. Leider tauchten die Dinger immer wieder auf... Ryko kicherte, als er Alans betrübten Gesichtsausdruck beim Auftauchen des letzten Schiffchens betrachtete.

"Püh!" machte dieser, und Ryko schaufelte ihm eine Ladung Wasser ins Gesicht. "Buäh!"

"Huch, bist du wasserscheu?"

"Kommt drauf an."

"Worauf?"

"Wie die Situation ist."

"Aha. Und wie ist die Situation?"

"Jetzt?" wollte Alan wissen.

"Mhm", nickte Ryko.

"Momentan bin ich wasserscheu."

"Mitten im Bad?"

"Natürlich. Das ist doch kein Problem."

"Hm? Das verstehe ich nicht."

"Das 'wasserscheu' ist mehr darauf bezogen, daß ich es nicht mag, wenn du mir Wasser ins Gesicht spritzt!"

"Oh."

Alan lachte über Rykos Gesichtsausdruck. Jener lehnte sich auf den Rand des Beckens und paddelte mit den Beinen.

"Was unternehmen wir eigentlich nachher?"

"Hm. Ich weiß noch nicht." Alan reckte sich ausgiebig.

"Drei Tage sind eine lange Zeit", bemerkte Ryko. "Irgendwie sind wir bei allen Unternehmungen immer viel zu schnell..."

"Stimmt."

"Wir müßten einmal etwas finden, das mehr Zeit braucht."

"Hm", machte Alan nachdenklich. "Aber was?"

"Du wolltest etwas vorschlagen."

"Ich weiß!" Alan setzte sich auf den Beckenrand.

"Dann walte deines Amtes, Bruderherz!"

"Nicht so eilig! Es muß ja etwas Vernünftiges sein."

"Das ist allerdings wahr." Ryko betrachtete sich prüfend in der Spiegelfläche an der hinteren Wand der Kammer. Doch, der Dreck von dem kleinen Intermezzo im Casino-Hinterhof war nunmehr gänzlich beseitigt. Alan trat neben ihn und begutachtete ihre Spiegelbilder. Tse...

"Ich glaube, mir ist etwas eingefallen", meinte er dann.

"So? Und was?"

Alan grinste. "Rate doch mal!"

Ryko guckte etwas konsterniert. "Keine Ahnung..."

"Wo bleibt deine Phantasie?"

"Es gibt eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Möglichkeiten."

Alan lächelte nur und versuchte, erst einmal seine Frisur zu ordnen. Ryko nahm seinen Bademantel und wickelte sich darin ein. Natürlich sah er schon wieder perfekt gestylt aus, und Alan frsgte sich, wie er das immer wieder fertigbrachte. Seufzend gab er den Versuch auf, seine Haare in Façon zu bringen.

"Warum versuche ich es bloß immer wieder?" meinte er und zog ebenfalls seinen Bademantel über. "Sollen wir gehen?"

"Bitte!"

"Unsere Sachen dürften inzwischen auch sauber sein", bemerkte Alan und steuerte auf die Umkleidekabinen zu.

"Sehr gut."

Wenig später standen sie geschniegelt und gestriegelt im Vorraum der Badeanstalt. Die Summe, die nun von Rykos Codekarte abgebucht wurde, war wahrlich exorbitant.

"Ts", machte er.

"Ein wenig überteuert, nicht wahr", stimmte Alan ihm zu. "Aber dafür hat es auch Qualität.

"Mhm. - Und wohin wollten wir jetzt gehen?"

"Ich habe noch nichts gesagt!" Alan grinste Ryko an und machte sich auf den Weg. Letzterer zuckte mit den Achseln und wanderte hinterher.

* * *

Die beiden Männer hielten vor einem Tor. Links und rechts davon erstreckte sich eine hohe, silbrig schimmernde Wand. Alan betätigte den Summer, während Ryko interessiert die Mauer betrachtete. Er hatte nicht die geringste Idee, was dahinter stecken mochte.

Die Tür öffnete sich gerade weit genug, um sie durchzulassen. Sie standen nun in einem wundervollen Park, in den ein Kiesweg hineinführte. Ryko seufzte. Alan war immer so ungemein gesprächig! Na gut, dann düste er ihm eben einfach hinterher...

Sie wanderten den Pfad entlang.

"Wir sind gleich da", verkündete Alan.

"Wo?"

"Na, da, wo ich hin wollte! Ich weiß, die Antwort gefällt dir nicht, aber sonst wäre die Überraschung ja verdorben..."

"Seufz!"

Schließlich erreichten sie eine große Wiese, auf der jede Menge farbenfroher Zelte standen. Rykos linke Augenbraue schoß in die Höhe. Hieß das, Alan wollte campen?

Sein Bruder begab sich in das größte Zelt, dessen Innenausstattung überaus prächtig war. Teppiche bedeckten den Boden, und überall lagen Kissen herum, auf denen es sich diverse Personen bequem gemacht hatten. Ein Mann kam ihnen entgegen und verbeugte sich.

"Willkommen!" sagte er.

"Gruß Euch", entgegnete Ryko spontan.

"Gruß auch Euch!"

"Hallo", meinte Alan.

"Fühlt Euch wie zu Hause!" Der Mann machte eine Geste, die das ganze Zelt umfaßte.

"Danke", sagte Ryko mit einem Unterton der Verwunderung und ließ sich nieder. Alan drapierte sich auf einen anderen Kissenberg, als sich ein Mädchen mit einem Tablett voller Eßwaren neben Ryko kniete und ihm etwas anbot.

"Dank Euch!" Er nahm sich eine tiefviolette Frucht, und sie lachte ihn an. Auch Alan wurde inzwischen von einer jungen Frau bedient.

"Ich hoffe, daß dir dies zusagt", meinte Alan zu Ryko.

"Hm", machte dieser unbestimmt. "Abwarten... Auf jeden Fall ist die Verpflegung hier optimal..." Alan warf ihm einen amüsierten Blick zu. Da Ryko das Essen offensichtlich gefiel, kam eine weitere Lady mit einem anderen Tablett und bot ihm auch davon an.

"Ich danke..." Ryko lächelte sie an, auch wenn er sich etwas unbehaglich dabei vorkam, von allen Seiten umsorgt zu werden. Es widerstrebte seiner allgemeinen Haltung zutiefst, sich von diesen netten Mädchen derart bedienen zu lassen. Es ziemte sich nicht für einen wahren Gentleman, dachte er. Die Lady erwiderte sein Lächeln.

"Möchtet Ihr noch etwas?" fragte sie sanft.

"Hm... Wie wäre es mit etwas zu trinken?"

"Natürlich!" Das Mädchen wetzte los und kehrte mit einer großen Kanne und einem Becher zurück.

"Nehmen Sie nichts?" erkundigte sich Ryko irritiert. Das war nun absolut ungehörig, befand er. Wenn sie ihn schon so fürsorglich bewirtete, sollte sie wenigstens nicht zusehen müssen.

"Wenn Ihr es möchtet?"

"Aber sicher! Ich fände es überaus unhöflich, wenn ich hier allein tränke, während ihr mir dabei permanent zusehen müßtet."

Die junge Frau nahm sich ebenfalls einen Becher und prostete Ryko zu.

"Auf Euer Wohl", sagte sie.

"Auf das Eure!" Das Mädchen sah ihn über den Becherrand an. Alan ließ sich derweil mit diversen Leckereien füttern und beobachtete dabei Ryko. Wenigstens wirkte dieser diesmal nicht so verkrampft wie beim letzten Mal, auch wenn er etwas unsicher wirkte.

"Habt Ihr einen Namen, Mademoiselle", fragte Ryko sein Gegenüber.

"Isadora", entgegnete sie.

"Enshavar Iskadrion", zu Euren Diensten", stellte Ryko sich mit seiner shanjirischen Tarnidentität vor.

"Aber nein", wehrte Isadora ab. "Ich bin da, um Euch zu dienen!"

"So?" Rykos Unbehagen verstärkte sich. Hm, aber erst einmal verspeiste er eine weitere Frucht.

"Möchtet Ihr noch mehr Obst?"

"Gerne - aber nur, wenn Ihr auch etwas essen mögt." Die junge Frau sah Ryko verwirrt an.

"Wenn es Euch gefällt..."

"Aber sicherlich." Ryko legte den Kopf schief. Isadora hatte lange, goldene Haare und trug eine tiefblaue Tunika, die perfekt zu ihren Augen paßte. Sie nahm einige Beeren und aß diese folgsam.

Alan lag unterdessen in den Kissen und interessierte sich weitaus mehr für die ihn umhegende schwarzhaarige Lady als für das Essen. Ihm gefiel es hier ausnehmend gut...

Inzwischen servierte eine weitere Dame Ryko noch mehr Leckereien. Dieser betrachtete nachdenklich die diversen Tabletts. Das schien hier so eine Art Schlaraffenland zu sein, selbst für Androiden-Mägen, dachte er. Vermutlich wurden die Leute hier so lange abgefüttert, bis sie platzten... Aber was sollte es? Die Kapazität seines Nahrungskonverters war ziemlich groß, also schlug er auch beim nächsten Tablett ordentlich zu.

Die Ladies waren mehr als erfreut und schleppten immer mehr herbei. Selten hatte jemand soviel Interesse an ihren Leckereien gezeigt... Alan hatte inzwischen genug vom Essen, er betrachtete fasziniert die anderen Leute, bevorzugt natürlich Ryko. Plötzlich klatschte der Typ,

der sie empfangen hatte, in die Hände, und einige hübsche Frauen in äußerst gewagten Schleiergewändern kamen herbeigehuscht, um einen Tanz vorzuführen. Alan setzte sich interessiert auf.

Ryko guckte hektisch um sich. Jetzt hatten sich schon sieben Ladies mit vollbeladenen Tabletts um ihn geschart und sahen ihm erwartungsvoll beim Essen zu...

Alan bemerkte Rykos Unbehagen und grinste ihn an. Tse, warum konnte Ryko sich nicht einmal vollständig entspannen? Die Mädchen würden ihm doch kein Leid zufügen!

Eine Weile später war es endgültig um Rykos Fassungsvermögen geschehen. Aber wie sollte er das all den netten, fürsorglichen Damen klarmachen? Er sah Isadora entschuldigend an.

"Bitte faßt es nicht als Unhöflichkeit meinerseits auf - aber ich bin restlos gesättigt..." Er warf ihr einen tragischen Blick aus derzeit goldbraun gesprenkelten Augen zu.

"Es ist eine Ehre für uns, daß Ihr dem Essen derart zugesprochen habt", bemerkte Isadora und klatschte in die Hände. Sofort wurde das Geschirr weggeräumt. "Kann ich Euch noch etwas anbieten?"

"Zu Essen oder zu trinken nichts, danke", sagte Ryko, erleichtert darüber, daß sie es so gut aufgenommen hatten, daß er nichts mehr wollte. "Ich bin zum ersten Mal in diesem Etablissement", beschloß er dann wahrheitsgemäß zuzugeben. "Was wird denn hier von mir erwartet?"

"Nichts, was Ihr nicht wünscht", meinte Isadora überrascht. Ryko seufzte innerlich. Das war eine enorm ergiebige Antwort...

Alan bemühte sich verzweifelt, seine Belustigung nicht allzu offen zu zeigen. Ryko war einfach zu naïv! Aber der Lady schien das sehr zu gefallen...

"Fein." Ryko lächelte Isadora an und beschloß, zunächst einmal die Darbietung der Tänzerinnen zu bewundern. Diese wirbelten über den freien Platz in der Mitte des Zeltes, wobei sie immer wieder einige Schleier fallen ließen. Alan fragte sich, wann ihnen diese wohl ausgingen, doch bis jetzt schienen noch genügend da zu sein.

Ryko war ebenfalls fasziniert. Falls dieser der Tanz der 13 Schleier aus der dvarisianischen Mythologie sein sollte, mußte sich irgendjemand mit der Anzahl der Tücher verzählt haben, stellte er fest.

Alan war inzwischen bei 17 pro Lady angekommen. Wie viele würden noch kommen? Er war äußerst gespannt.

Es war überauss fesselnd, bemerkte Ryko. Entweder die Schleier waren so dünn, daß diese Massen wie eine erheblich geringere Anzahl wirkten, oder die Tänzerinnen hatten sich unterwegs irgendwo welche nachgeholt. Auf jeden Fall hätte er schwören mögen, daß sie schon zu Anfang so gut wie gar nicht bekleidet waren.

Ziemlich plötzlich war der Tanz zu Ende, und Ryko war noch immer nicht hinter das Geheimnis gekommen. Alan hatte 29 Schleier gezählt, die zu Boden geschwebt waren und dennoch waren die Ladies bekleidungsmäßig im selben Zustand wie zu Beginn ihrer Darbietung. Sehr mysteriös...

Ryko warf Alan einen belustigen Blick zu, da dieser den Tänzerinnen ebenso verwundert hinterherschaute wie er, als sie davonzogen. Aber es blieb ihnen keine Zeit zum Nachdenken, denn schon stürmte eine weitere Tanzgruppe ins Zelt. Diesmal waren es allerdings acht Männer, die einen rasanten Schwertertanz aufführten.

'Wie langweilig', dachte Alan. Ryko hingegen fand auch diese Darbietung nicht uninteressant. Er fragte sich, wie diese Menschen es schafften, ihre Bewegungen zu meisterhaft zu koordinieren, daß weder sie noch die Zuschauer zu schaden kamen. Immerhin waren es nur Menschen...

Anschließend erschien ein Zauberkünstler, der diverse Tricks vorführte. Alan hatte sich bereits in die Kissen gelegt und sah nur mehr mit halber Aufmerksamkeit zu. An dieser Stelle wurde auch Ryko des Zuschauens müde. Diese Tricks waren überaus banal! Er seufzte tragisch. Wo mochte Karylla bloß stecken?

Er ließ sich ebenfalls zurücksinken, und Isadora stopfte gleich hektisch Kissen um ihn herum, um es ihm bequem zu machen. Ryko sah sie erstaunt an, als die ersten Stapel um ihn herumgetürmt wurden.

"Ist es Euch nicht genehm?" fragte sie zaghaft.

"Doch, doch", versicherte er sogleich. "Vielen Dank... - ähm, ich bin es nur nicht gewohnt, derart eilfertig bedient zu werden. Er lächelte mit leicht gemischen Gefühlen.

"Nein?" Die junge Frau sah ihn verwirrt an.

"Nun..." Ryko meditierte darüber, wie er es erklären sollte. "Naja, ich finde, ein wahrer Gentleman sollte sich derart um eine Dame kümmern und nicht umgekehrt."

Wahres Entsetzen stand in Isadoras Augen.

"Aber ist doch eine große Ehre, einem so hübschen Herrn dienen zu dürfen! Warum sollte eine Frau sich etwas anderes wünschen?"

"Naja..." Ryko guckte sie hilflos an. "Ich meine, ich möchte Eure Ehre nicht antasten, aber da, wo ich herkomme, ist es ein Privileg für einen Herrn, solch einer hübschen Lady wie Euch aufzuwarten..."

Isadora blickte ihn verzweifelt an., da sie nicht ganz verstand, was er meinte - und sie wollte ihm doch so gerne gefallen...

"Isadora, nun guckt doch nicht so..." Jetzt war es an Ryko, sich höchst unbehaglich in seiner Haut zu fühlen. "Was kann ich für Euch tun, damit Ihr mich nicht derart trostlos anschaut?"

"Ihr wollt mich aufziehen, nicht wahr?" meinte sie kläglich. Das war die einzige Lösung, denn seine Worte konnten doch nicht wahr sein. Nein, niemals...

"Nein, bestimmt nicht!" Ryko maß sie mit einem tragischen Blick. "Mademoiselle, was kann ich nur tun, um Euch wieder aufzumuntern?"

"Ich bin nicht in der Lage, einen Mann zu erfreuen", schluchzte Isador. "Ich bin unwürdig für diese Aufgabe!"

Alan hatte sich inzwischen in den Kissen vergraben, damit niemand sein Lachen hörte. Ryko verstrickte sich mit jedem Wort mehr. Das Mädchen tat ihm leid.

Mittlerweile war Ryko vollends ratlos. Er nahm Isadora kurzerhand in die Arme, um ihr Trost zu spenden, da ihm sonst nichts besseres einfiel. Er fühlte sich entsetzlich hilflos in dieser Situation.

Isadora schniefte in seinen Armen weiter. Sie hatte Schande auf sich geladen, und morgen würde sie bestimmt wieder niedere Dienste tun müssen. Sie versuchte, sich aus Rykos Armen zu befreien, um ihn so von der Anwesenheit einer Unwürdigen zu erlösen.

"Laßt mich bitte gehen!"

Ryko sah sie ratlos an und strich ihr eine Haarsträhne aus dem tränenüberströmten Gesicht.

"Verzeiht mir, wenn ich etwas falsches gesagt oder getan habe - aber bitte, könnt Ihr mir wenigstens erklären, womit ich Euch gekränkt habe? - Bitte, Mademoiselle!" Er warf ihr einen flehentlichen Blick zu. Was hatte er nur getan, das sie so treffen konnte?

Das Mädchen schüttelte hektisch mit dem Kopf, traute sich aber nicht ihn anzusehen. Völlig unerwartet sprang sie auf und lief aus dem Zelt. Ryko überlegte einen Moment, dann spurtete er hinterher. Er wollte zumindest wissen, was er derart Entsetzliches an sich hatte, daß sie vor ihm davonrannte.

Alan sah amüsiert hinterher. Irgendwie schaffte Ryko es immer, bei den Damen der Schöpfung in Schwierigkeiten zu kommen. Dabei hätte er doch nur seine Meinung für sich behalten brauchen...

Isadora war in den Wald gestürmt und hatte sich auf einem Grasflecken auf den Boden geworfen, wo sie immer noch vor sich her schluchzte.

Ryko hielt am Rand der Lichtung an.

"Hey!" machte er zaghaft. "Mademoiselle!"

"Geht weg!" meinte Isadora schniefend und drehte ihm den Rücken zu.

"Was ist so furchtbar an mir, daß Ihr vor mir flieht?"

"Laßt mich allein!" Doch dann kam ihr zu Bewußtsein, was er gesagt hatte. "Ich bin geflohen?"

"Sicherlich! Ihr seid voller Panik vor mir weggelaufen. Was habe ich Euch angetan?"

"Ich bin nicht vor Euch weggelaufen."

"Warum dann?" Jetzt war Ryko vollends verwirrt.

"Ich bin gegangen, weil ich dem Haus Schande bereitet habe!"

"Verzeiht meine Unwissenheit - Warum?"

"Ich konnte Euch...nicht erfreuen! Also werde ich wohl...rausgeworfen werden...oder ich muß den Schaden, der durch meine...Unfähigkeit entstanden ist, abarbeiten.", meinte Isadora schluchzend und mit Unterbrechungen.

Ryko sah sie mit großen Augen an und trat zu ihr hin. Er wühlte eine monumentales Taschentuch aus seiner Hosentasche.

"Bitte, Mademoiselle trocknet erst einmal Eure Tränen. - Wer sagt, daß Ihr mich nicht erfreuen könntet?"

"Ihr!" Isadora nahm das Taschentuch und schneuzte sich. Ryko sah sie geschockt an.

"Ich? Wann?"

"Ihr habt mir Eure Dienste angeboten."

"Sicherlich. Es gehört sich nicht für einen Gentleman, eine so hübsche junge Dame derart auszunutzen, daß sie ihm alles nachräumt etc. Jemand wie Ihr hätte eine weitaus ziemlichere Behandlung verdient."

"Nein, genauso muß es sein. Wenn ein Herr einer Dame seine Dienste anbietet, dann heißt das, daß sie ihn nicht erfreuen kann und verschwinden soll!"

"Aber das meinte ich gar nicht..." Ryko guckte sie bestürzt an. "Verzeiht mir... Ich wollte in keiner Weise mit meinem Verhalten ein Mißfallen an Euch ausdrücken. Ich bitte Euch tausendfach um Vergebung, sollte ich mich derart mißverständlich benommen haben..."

Isadora sah ihn sehr zweifelnd an. Diese Entschuldigungen waren ihr unangenehm. Kein Herr sollte sich bei ihr entschuldigen...

"Wie kann ich es an Euch gut machen, daß Ihr meinetwegen solch eine Seelenqual durchleben mußtet?"

"Ich weiß nicht", sagte sie zaghaft.

"Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch zur Wiedergutmachung zum Essen einlade?" Ryko konnte zwar immer noch den Gedanken an so etwas kaum ertragen, aber wenn er damit Isadora wieder aufbauen könnte...

"Nein, das geht nicht!" wehrte sie ab.

"Warum nicht?"

"Es ist verboten."

"Von wem?"

"Vom Herrn des Gartens."

"Und wenn ich zu ihm ginge und ihn darum bitten würde, daß Ihr für den Rest des Abends freigestellt würdet?"

"Ich glaube nicht, daß ich gehen darf, nachdem ich mich so dumm benommen habe. Außerdem darf normalerweise ohnehin keiner der Angestellten das Areal verlassen."

"Warum denn das nicht?" fragte Ryko irritiert.

"So steht es in unserem Vertrag."

"Hm. Aber Ihr habt Euch doch nicht dumm benommen, es war nur ein Mißverständnis. Ich denke schon, daß es mir gelingt, dies zu klären." Im Zweifelsfall mit einer entsprechenden Geldsumme, denn er wollte nicht, daß Isadora wegen seiner Unkenntnis Nachteile entstehen konnten. "Würdet Ihr mir denn die Ehre erweisen, mit mir zu speisen?"

Isadora schüttelte den Kopf.

"Ihr tut es ja nur, weil Ihr Mitleid mit mir habt."

Ryko seufzte herzergreifend.

"Es hat nichts mit Mitleid zu tun. Ich finde nur, Ihr habt so eine unwürdige Behandlung wie hier nicht verdient."

"Was für eine unwürdige Behandlung? Es geht mir hier sehr gut!"

"Findet Ihr?" Ryko sah sie zweifelnd an. "Ständig Leute bedienen müssen..." Er breitete unschlüssig die Arme aus und ließ diese wieder sinken. "Ist dies denn Euer ganzer Lebensinhalt?"

"Natürlich nicht", empörte Isadora sich. "Wenn meine Zeit hier um ist, habe ich genug Geld, um das zu tun, was mir beliebt. Abgesehen davon haben schon oft Gäste Mädchen mitgenommen."

'Oh-oh', dachte Ryko. Das hatte er nun effektiv nicht im Sinn. "Hm, und was, meint Ihr, sollten wir nun unternehmen?"

In diesem Augenblick tauchte Alan zwischen den Bäumen auf. Er wollte doch lieber nachsehen, ob Ryko nicht schon wieder in der Klemme steckte.

"Alle Schwierigkeiten beseitigt?" fragte er.

"Von meiner Warte aus schon", erklärte Ryko. "Was kann ich also tun, damit Euch kein Schaden erwächst, Mademoiselle Isadora?" erkundigte er sich bei ihr.

"Ihr müßt nur sagen, daß ich Euch nicht mißfallen habe."

"Das werde ich auch machen", bestätigte er erleichtert. "Nun gut, vielleicht sollten wir zum Zelt zurückkehren?" Unerwartet hob er Isadora auf die Arme und wollte sie abtransportieren, doch sie strampelte wild herum.

"Nein, nicht!"

"Du solltest damit lieber noch etwas warten", empfahl Alan. "Das Theater von gerade ist dort noch in zu guter Erinnerung. Laß dir lieber den See zeigen."

"Bitte, laßt uns dorthin gehen", flehte Isadora.

"Wie es Euch beliebt."

"Ich möchte herunter", sagte die junge Frau.

"Ich werde wieder zurückgehen", sagte Alan kopfschüttelnd. "Und sieh zu, daß du nicht wieder Schwierigkeiten bekommst", ermahnte er seinen 'kleinen Bruder'.

"Ich werde es versuchen", seufzte dieser und setzte das goldhaarige Mädchen ab.

"Versuchen reicht mir aber nicht!" Alan sah ihn streng an. "Ich werde dem Typ jetzt was erzählen, von wegen, daß ihr am See seid etc., also tut auch etwas in der Richtung. Ich lüge nämlich eigentlich ungern."

Ryko sah ihn irritiert an.

"Wenn du meinst?"

"Ich meine! Denn noch mal kann ich dich nicht decken. Es ist schon überhaupt nicht aufgefallen, daß ich gerade hinter Euch hergelaufen bin. Einmal geht das, aber noch einmal mache ich mich nicht lächerlich."

Ryko verstand nur Raumhaben und Fehlstarts und zuckte dann mit den Schultern.

"Okay..."

Alan kehrte zum Zelt zurück. Hoffentlich machte Ryko nicht wieder so einen Aufstand! Er hätte einfach zu Hause bleiben sollen, anstatt sich hier mit diesem ...Unschuldsengelchen herumzutreiben. Seufz...

* * *

Ryko begab sich unterdessen mit Isadora an das Ufer des Sees, der von einfach wundervoller, kriatallklarer Kupferfarbe war. Er war schrecklich gefrustet. Warum war er nur in dieses Schlamassel hineingeraten? Es war alles Alans Schuld! Und Karyllas... Wenn sie jetzt hier wäre, hätte er nie auf Alans Angebot gehört, mit diesem herumzuziehen. Er seufzte abgrundtief.

"Was betrübt Euch so sehr?" fragte Isadora. Wenn sie ihn einfach zum Reden bekam, bewegte sie sich auf ungefährlichem Fahrwasser.

"Hm..." Wieder einmal war Ryko froh, nicht rot werden zu können. Andererseits... Ihm kam auf einmal eine Idee. Wenn er Kary erwähnte, vielleicht kam er dann doch noch einmal ungeschoren davon, und es blieb bei einem harmlosen, höflichen Gespräch...

"Meine Partnerin ist irgendwo da draußen!" Ryko deutete gen Himmel, ehe er theatralisch gen Boden sah. "Und sie fehlt mir sehr..."

"Wie traurig", meinte Isadora. "Hat sie Euch verlassen?"

"Hm. Eigentlich nicht. Sie ist nur verschwunden..."

"Aha. Und warum?"

"Tja, wenn ich das wüßte, wäre ich ein gutes Stück weiter."

"Und was vermutet Ihr?"

"Daß sie entführt worden ist." Ryko sah in die obligatorischen weiten Fernen. Vielleicht erfuhr er ja hier irgendetwas? "Sie würde mich niemals verlassen."

"Erzählt mir von ihr!"

"Wenn Ihr möchtet?" Nun..." Ryko überlegte. Was könnte er sagen, ohne sich zu verraten? Er überlegte, dann beschloß er, in etwa bei der Geschichte zu bleiben, die Kary und er sich für solche Zwecke zurechtgelegt hatten. "Sie ist eine Wissenschaftlerin und Künstlerin..." Das war sogar 100prozentig richtig. Er verstummte und sah in Richtung Wasser.

"Wie interessant", meinte Isadora und zeigte auf eine Laube. "Laßt uns dorthin gehen."

"Gerne." Ryko folgte ihr in das hauptsächlich aus Gittern und Pflanzen bestehende Häuschen.

"Nehmt Platz und erzählt mir mehr von Euerer Gefährtin."

"Wie Ihr wünscht, Mademoiselle Isadora..." Ryko ließ sich auf einer Bank nieder und lächelte versuchsweise. "Was möchtet Ihr wissen?"

"Alles!" erwiderte Isadora und erwiderte sein Lächeln amüsiert.

"Oh. Und wo soll ich anfangen?" erkundigte sich Ryko etwas hilflos. Es gab kaum etwas, das er so wenig mochte, wie erfundene Geschichten zu erzählen.

"Am Anfang natürlich! Wie habt Ihr Euch kennengelernt?"

"Nun, Elmvinar", er beschloß, bei Karyllas shanjirischem Tarn-Namen zu bleiben, "meine Gefährtin machte Urlaub in meiner Heimatstadt, und wir sahen uns..." Ryko hielt inne, doch das war nahe genug an der Cayvyn&Alycia-Story. "Mich hielt nicht viel dort, und so bin ich einfach mitgegangen..."

"Das war aber eine schnelle Entscheidung!"

"Nun, sicherlich war es das - aber ich habe es bislang nicht eine Sekunde bereut." Was konnte er Isadora noch erzählen, ohne etwas zu sagen? Seufz. Was für eine verfahrene Situation... Er sollte am besten einfach das Thema wechseln. "Und was ist mit Euch?" begann er. "Wie seid Ihr hierher verschlagen worden?"

"Wir sprachen über Euch, und nicht über mich", machte sie ihn mit ihrem sanften Lächeln aufmerksam.

"Äh, wo waren wir stehengeblieben?"

"Bei Euerer Partnerin." Sie grinste ihn vielsagend an.

"Ah ja, Elmvinar..."

"Genau." Isadora schaute ihn erwartungsvoll an.

"Nun, Vinar ist so etwas wie eine Frau aus dem fliegenden Volk. Ihre Heimat ist der Weltraum, und das faszinierte mich ungemein. Könnt Ihr Euch vorstellen, daß sie fast niemals länger als eine Woche auf dem Boden eines Planeten verweilt?" 'Stimmt sogar', dachte Ryko, 'normalerweise war sie entweder in der Villa Alycia, auf der Lightning oder in Nightfall Station.

"Oh!" Isadora lauschte entzückt, wobei sie ihn hemmungslos anhimmelte.

"Wir sind viele Jahre gemeinsam durch die FGS gereist", schwärmte Ryko. "Nur letztlich mußte ich sie in einer dringenden Angelegenheit alleine lassen, und als ich zu ihr zurückkehren wollte, war Vinars Raumschiff fort..."

"Wie betrüblich!" Isadora schmachtete ihn weiterhin an.

"Man hat nicht einmal eine Ionenspur anmessen können..."

"Ich fühle mit Euch."

"Seufz... Wenn Ihr nur erahntet, welch schmerzlicher Verlust dies für mich tatsächlich ist! Ohne meine Gefährtin werden die leuchtenden Sternennebel trist und grau, und selbst die Gesänge der Feuerfälle von Shin-Jirellen verstummen angesichts solcher Gram..."

Isadora lächelte tapfer weiter, auch wenn es ihr schwerfiel. Dieses Gesäusel war schlimmer, als alles, was sie sich bisher in ihrer Laufbahn hatte anhören müssen. Die meisten Männer schimpften auf ihre Frauen. Was suchte dieser Typ eigentlich hier, wenn er doch nur seine Freundin wollte? Seufz, warum bekam sie immer diese Problemfälle?

Ryko hielt in seinem Monolog inne. Na, wirkte es endlich? Sie sollte doch mittlerweile spitz gekriegt haben, daß mit ihm hier nichts lief!

"Was bedrückt Euch, holde Isadora?" fragte er. "Und sagt nicht 'nichts', denn Eure Miene verrät Euch dennoch!"

Isadora fühlte sich ertappt und wurde prompt knallrot.

"Äh..." stammelte sie. "Ich dachte nur an etwas..."

"Bitte - sagt es mir", meinte Ryko. Hauptsache, er mußte nicht mehr reden...

"Nein, es war nicht wichtig", wich sie aus. "Bitte, fahrt fort mit Euerer Erzählung!" Sie mußte aufpassen, daß sie ihren Job korrekt ausführte, und das hieß vor allem geduldig zu hören, lieb lächeln und - naja, was sich eben ergab, sonst gab es keine Bonuspunkte, ermahnte Isadora sich.

"Oh, bitte - erzählt mir Euer Leid, auch wenn es Euch unwichtig erscheint", gab Ryko noch einen drauf. "Noch mehr Erinnerungen an meine verschollene Liebste brächen mir das Herz..."

"Es war wirklich unwichtig! Ich dachte nur an meine Arbeit. Wenn Ihr mir nichts mehr von ihr erzählen wollt, dann sprechen wir doch über etwas anderes!"

"Gerne", atmete Ryko auf. "Über was würdet Ihr denn gerne reden?"

"Über Euch natürlich!"

Ryko guckte sie leicht verdutzt an. Daran hatte er nun auch wieder nicht gedacht...

"Ähm... Und was?"

"Das ist mir egal. Irgendetwas."

"Hm. Fragt etwas, sonst weiß ich wieder nicht, wo ich anfangen sollen..." Außerdem hätte er dann eine Galgenfrist, um die zweckmäßigsten Informationen zu arrangieren.

"Ihr weicht mir aus", schmollte Isadora.

"Ich weiß lediglich nicht, was Euch von mir interessieren würde."

Daraufhin grinste sie ihn an.

"Im Prinzip alles.

Ryko seufzte. Irgendwie hatte er das geahnt...

"Auf Eure Gefahr!"

"Was für eine Gefahr?"

"Daß ich Euch zu Tode langweile."

"Ihr? - Nie!"

"Nun gut... Meine leiblichen Eltern sind nicht bekannt. Ich wurde direkt nach meiner Geburt von einer lieben Frau aufgenommen, die mich fortan alles lehrte, was ich wissen mußte..." Das war zwar eine sehr gedehnte Version der Wahrheit, aber nicht ganz unstimmig. Er brauchte lediglich nicht zu erwähnen, daß es sich bei seiner Mentorin ebenfalls um seine Gefährtin handelte, et voilà...

"Und was ist mit Eurem Bruder?" fragte Isadora neugierig. Wenn dieser Typ ein Findelkind war, dann erschien es ihr sehr eigentümlich, daß er mit einem echten Bruder unterwegs war...

"Ja, das war eine überaus seltsame Sache", meinte Ryko. Hier konnte er zur Gänze bei der Wahrheit bleiben, denn die würde Isadora ihm ohnehin nicht abnehmen... "Ich hatte angenommen, ich wäre gänzlich ohne Verwandte auf der Welt, da kam er mit seinem Raumer vorbei, um um Vinars Dienste zu bitten..." Na gut, das war auch etwas verdreht, aber es war Alan gewesen, der Karyl kontaktiert hatte. "Als er mir gegenüber stand, wußten wir, daß wir Brüder sind..."

"Wie überaus faszinierend", meinte Isadora. Sie glaubte ihm kein Wort davon, er wollte sich wohl nur interessant machen. Aber wie paßte das andererseits damit zusammen, daß er offenbar nicht daran interessiert war, sich irgendwie mit ihr zu beschäftigen? Der Typ war ihr einfach ein Rätsel.

"Nun, das ist alles, was es Wissenswertes über mich gibt. - Und was ist nun mit Euch?"

"Was wollt Ihr wissen?" fragte Isadora amüsiert.

"Alles", meinte Ryko grinsend.

"Genauso viel 'alles', wie Ihr mir mitgeteilt habt?"

"Es bleibt Euch überlassen, wieviel Ihr mir mitzuteilen gedenkt. Aber mich interessierte, wo Ihr geboren und aufgewachsen seid, was Euch hierher verschlagen hat - und was Ihr eigentlich hier macht."

"Ich bin in Ekvajar geboren und aufgewachsen. Dann habe ich eine Zeitlang als Kellnerin gearbeitet, aber dabei verdient man zuwenig. Also habe ich mich für ein Jahr hier verpflichtet. Danach habe ich dann genügend Geld, um zu machen, was mir gefällt."

"Und was würde Euch gefallen?"

"Herumreisen, ein Job, der mir Spaß macht - eben das, was alle möchten."

"Aha. - Und was möchtet Ihr jetzt?"

"Wie meint Ihr das?" erkundigte Isadora sich neugierig.

"Naja, was wollt Ihr? Wäre es Euch lieb, wenn ich Euch von meiner Anwesenheit befreite?" In Ryko war mittlerweile immer mehr der Wunsch aufgekommen, weit, weit fort zu sein. Wo hatte Alan ihn hier nur hingelotst?"

"Warum sollte ich das wollen?"

"Naja, was habt Ihr ansonsten vor?"

"Eigentlich nichts besonderes. Wenn Ihr wollt, daß ich gehe, dann werde ich eben einen anderen Gast unterhalten. Das ist mein Job."

"Wenn Euch daraus keine Nachteile erwachsen?"

"Nein, Nachteile nicht direkt. Ich bekomme nur keinen Bonus, aber das kann ich verschmerzen."

"Wärt Ihr mir deshalb böse? - Wißt Ihr, mein Bruder hat mich einfach hier hergeschleppt und mir weder gesagt, wie ich mich verhalten soll, noch, was mich erwartet..." Ryko sah sie melancholisch an.

"Ihr seid doch alt genug, um zu wissen, was Ihr wollt, und etwas anderes erwartet hier niemand."

"Das ist es ja. Ich weiß zur Zeit nicht, was ich will."

Isadora sah ihn verwirrt an. "Das ist wahrlich ein Problem.

"Wißt Ihr, ich finde Euch entzückend, aber ich kann mich doch nicht einer Dame widmen, wenn ich doch nur an meine Gefährtin denke. Er sah sie tragisch an.

"Das eine hat doch überhaupt nichts mit dem anderen zu tun! Ich möchte Euch unterhalten, nicht mehr und nicht weniger."

"Trotzdem. Ich bin nicht gut darin, unterhalten zu werden, wenn ich mich permanent um Vinar sorge." Außerdem hatte er keine Lust, aus Unwissen irgendeinen fürchterlichen Fauxpas zu begehen. Aber er hatte zur Zeit ohnehin das Gefühl, er war ganz zu Anfang in einen gewaltigen Fettnapf geplumpst, und alles, was er tat, war, hoffnungslos weiter darin herumzupaddeln, ohne Chance auf eine stilvolle Flucht...

"Ich fürchte, Ihr habt recht", meinte Isadora seufzend. "Ich bringe Euch wohl am besten zu Eurem Bruder." Vielleicht versteht der ja, was mit diesem Typen hier los ist, dachte sie genervt.

Hoffentlich war er jetzt endlich entlassen, dachte Ryko erleichtert. Er wollte hier weg, und zwar einmal so schnell wie möglich und zum zweiten so, daß niemand zu schaden kam.

"Folgt mir." Isadora machte sich auf den Rückweg zum Zelt, und Ryko trottete hinterher. Wo war der Fluchtweg?

Am Zelt angekommen, öffnete die junge Frau den Vorhang.

"So, da wären wir."

"Gut", atmete Ryko auf und trat hinein. Isadora seufzte tief und verschwand erst einmal in einem anderen Zelt. Sie brauchte dringend eine Pause...

* * *

"Alan?" fragte Ryko vorsichtig.

"Was?" Dieser sah sich irritiert um.

"Seufz..." machte Ryko nur in höchsten Grade leidend.

"Ich halte es bald nicht mehr aus! Du bist ja schlimmer als... Mir fällt momentan kein passender Vergleich ein. Was hast du schon wieder angestellt?"

"Sie hat mich die ganze Zeit über Kary ausgefragt", meinte Ryko kläglich. Alan warf ihm einen gequälten Blick zu. Das war ja furchtbar...

"Wir gehen", verkündete er entschlossen. Er würde mit Ryko nirgendwo mehr hingehen. Ganz bestimmt nicht! Der würde sowieso nur Schwierigkeiten bekommen, und er kam zu gar nichts, weil er immer auf ihn aufpassen mußte Jetzt war Schluß!

"Gut!" Ryko guckte, als wäre ihm ein mittlerer Asteroid vom Herzen gefallen.

"Seufz." Alan strebte eiligst dem Ausgang zu. Nur schnell fort, bevor er es bereute... Aber er war auch so schon sauer genug. Er verspürte den unwiderstehlichen Drang, irgendetwas zu Kleinholz zu verarbeiten, vornehmlich seinen 'kleinen Bruder'...

"Warum hast du mir nicht gesagt, was man hier tun und lassen soll?" fragte Ryko verstimmt. "Oder was einen hier erwartet..."

"Ich habe gedacht, du wüßtest es", entgegnete Alan ungehalten und stürmte durch das Tor auf die Straße, wo er abrupt stehen blieb.

"Nein! - Woher denn auch, bitte?"

Alan sah Ryko nur an. Er war ziemlich ärgerlich - aber auch verwirrt. Irgendwie war dieser ein absolutes Rätsel für ihn.

"Zudem gab es nirgendwo eine Hausordnung", bemerkte Ryko schmollend. Alan war nahe daran, ihn einmal gründlich durchzuschütteln, auch wenn das bedauerlicherweise nichts ändern würde.

"Es gibt doch für so etwas keine festgelegten Verhaltensregeln! Bestimmst du dein Verhalten etwa immer nach solchen Maßstäben?"

"Nein. Immerhin bin ich lernfähig. Aber was machst du, wenn du in eine für dich vollkommen unbekannte Umgebung kommst? Du mußt lernen. Und dabei ist es praktisch vorprogrammiert, daß du Fehler machst. Und wenn ich etwas Falsches tue, bist du genauso wütend wie wenn ich gar nichts unternehme. Du erwartet wohl von mir, daß ich mich in jeder Situation automatisch korrekt verhalte?" Nun war Ryko ebenfalls verärgert.

"Ist schon gut. Ich weiß, daß ich gleich aggressiv werde. Vielleicht liegt es daran, daß ich mich überall sofort zurechtfinde, und ich habe keine, Lust, ständig alles zu erklären. Wir beenden jetzt einfach das Ganze, und ich versuche, mich zu beherrschen."

"Wieso findest du dich überall sofort zurecht?" erkundigte sich Ryko neugierig.

"Keine Ahnung. Das konnte ich schon immer - aber es funktioniert nicht wirklich überall..."

"So? Wo denn nicht?"

"Das merke ich immer erst, wenn's soweit ist."

"Das verstehe ich nicht."

"Ich kann nicht im Voraus sagen, wo ich mich zurechtfinde."

"Hm. Also, ich merke es meist ziemlich früh", meinte Ryko mit schiefem Grinsen. "Zum Beispiel, wenn du mich irgendwohin schleifst, kann ich das mit 99prozentiger Sicherheit voraussagen..."

"Also gut, ich tue es nicht mehr."

"Darum geht es doch gar nicht! Es wäre nicht halb so tragisch, wenn du mich vorher kurz briefen würdest..."

"Das kann man doch nicht so generell sagen. Ich weiß doch nicht, was du willst."

"Sagen wir mal so - wenn du in etwa umschreibst, wozu die jeweilige Örtlichkeit explizit da ist, und was absolute 'No-no's sind..."

"Hm, gut", meinte Alan nachdenklich.

"Kary hat da so einiges bei meiner Programmierung abgeändert... Sei nur glücklich, daß du nicht zu über 50 Prozent von einer Frau programmiert worden bist, die im Laufe der Zeit noch dazu deine Lebensgefährtin geworden ist..."

Alan blickte ihn ziemlich merkwürdig an.

"Hm", meinte Ryko auf einmal. "Und was machen wir nun?"

"Ich sage überhaupt nichts mehr!"

"Seufz..." Ryko guckte tragisch ins Leere.

"Geht das schon wieder los", beklagte sich Alan.

"Naja... Sie fehlt mir eben... Normalerweise würden wir etwas unternehmen - etwas basteln oder einen kleinen Raubzug oder..."

"Das 'oder...' sagt alles!"

Ryko guckte Alan ertappt an. "Ähm..."

"In dieser Beziehung kann mich keiner täuschen", meinte dieser grinsend. "Also, was tun wir jetzt?"

"Woher soll ich das wissen? Ich bin sicher, das, was ich vorschlage, entspricht nicht deinem Geschmack."

"Und alles, was ich vorschlage, gefällt dir nicht!"

"Moment, ich habe nicht gesagt, daß es mir generell mißfällt. Nur, wenn ich keine Ahnung habe, was von mir erwartet wird, habe ich natürlich ein Problem, Gefallen an einer Situation zu finden.

"Hm", macht Alan nicht gerade überzeugt.

"Was würdest du denn sagen, wenn du irgendwo herumhängst und dich bei jedem Wort oder jeder Aktion fragen müßtest, ob du nicht vielleicht gerade einen unverzeihlichen Fauxpas begehst?"

"Es wäre mir ziemlich egal, glaube ich. Ich denke selten über meine Handlungen nach, was jedoch auch nicht die ideale Lösung ist."

"Aber wenn dann noch jemand dabei ist, der jeden deiner Schnitzer mit einem Wutausbruch ahndet?"

"Ich versuche ja, ruhig zu bleiben, doch es mißlingt mir jedesmal..."

"Na siehst du! Ein paar Takte Erklärung, und alles wäre halb so schlimm."

"Seufz!"

"Ist das etwa zuviel verlangt? Was kann ich dazu, wenn ich über einige Dinge einfach keine Informationen habe?"

"Okay, es ist nicht zuviel verlangt. Aber woher soll ich denn wissen, was du gerne in Erfahrung bringen möchtest?"

"Im Prinzip erst einmal alles..."

"Seufz", machte Alan abermals. "Wirklich alles?"

"Sicherlich. Meine Speicherkapazität ist lange noch nicht ausgelastet." Ryko sah sein Gegenüber erwartungsvoll an.

"Nun gut." Alan machte sich daran, die relevanten Daten zu übertragen.

"Man(n) dankt..." Ryko war höchst erbaut darüber, endlich einen Teil der Informationen bekommen zu haben, die Karylla ihm aus dem Fundus der Firestar-Kristalle immer vorenthalten hatte. Sie hatte damals behauptet, sie hätte leider ein oder zwei der Speicherkristalle versehentlich gelöscht, aber irgendwie konnte er das nie so recht glauben. Umso weniger, wo er nun die Daten vorliegen hatte...

"Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden."

"Allerdings! - Ich glaube, ich muß Karylla noch einmal eingehendst interviewen, was sie wohl noch gelöscht hat..." Er machte eine kurze Pause, ehe er verlegen grinste. "Hm. Ich glaube, ich sollte sie besser nicht diesbezüglich ausfragen..."

Alan grinste ebenfalls. "Ich würde auch davon abraten!"

Ryko guckte ihn schelmisch an. "Nun gut... - Und was unternehmen wir nun?"

"Hm, jetzt kannst du ja mal etwas vorschlagen!"

"Tja..." Ryko sah zum Himmel hinauf, der sich langsam düsterkupfern verfärbte. Am Horizont bildeten die Wolken ein Spektakel in herrlichen Orange- und Rot-Tönen. "Was hältst du vom Regenbogenpalast?"

"Gut."

"Dann gehen wir!" Ryko war begeistert. Jetzt wußte er, was auf ihn zukommen würde, also sollte er diesmal in der Lage sein, alle Fettnäpfchen elegant zu umschiffen und die Situation zu genießen.

Die beiden Männer begaben sich wieder via Expreßbahn in die Untersee-Region von Ekvajar. Der Regenbogenpalast war eine schillernde, schwimmende Kugel aus einem spiegelnden Material, über das in ständigem Leuchten alle Farben des Spektrums liefen. Alan fand den Anblick faszinierend.

Die Expreßbahn jagte wie ein Pfeil durch die Wassertunner und durchquerte eine energetische Schleuse. An der hiesigen Haltestelle stiegen sie aus. Direkt als alle interessierten Passagiere die Bahn verlassen hatten, wendete diese und verließ die schwimmende Vergnügungsstadt wieder, um die nächste Haltestelle, die Unterwasserplantagen, anzusteuern.

Ryko und Alan waren nicht die einzigen Besucher; mit ihnen waren bestimmt noch zwei Dutzend weiterer Personen männlichen und weiblichen Geschlechts ausgestiegen. Sie gingen durch die Eingangshalle, und irgendwie wirkte es, als hätte die Expreßbahn sich vertaucht, bzw. verflogen, denn es schien, als wären sie inmitten einer Flut von regenbogenfarbig beleuchteten Wolken gelandet.

Alan sah sich interessiert um. Es war ziemlich voll in der Halle, und hoffentlich herrschte nicht überall so ein Gedränge.

Eine Hosteß kam auf sie zu.

"Ich heiße Sie herzlich willkommen, Messieurs. Wissen Sie bereits, wohin Sie gehen wollen oder benötigen Sie fachkundigen Rat?"

"Ich möchte zu den blauen Wolken", meinte Alan.

"Genau", stimmte Ryko zu. Irgendwie sollten sie einmal eine längere Zeitspanne verbringen, denn es war immer noch der 46. Vibari, und irgendwie mußten sie doch die Zeit bis zum 02/49 herumbringen... Er trabte hinter Alan und der Hosteß her.

Durch einen Tunnel erreichten sie ihr Ziel. Vor ihnen tat sich ein Raum auf, in dem jede Menge blauer Wolken in 0g Schwerebeschleunigung herumschwebten. Alan sah sich neugierig um. Er hatte auf keinen Fall vor, diesen Ort vor morgen früh zu verlassen.

Ryko fand die Halle sehr interessant, vor allem, wo offenbar alle Wolken mit Privatsphären umgeben waren, die lediglich ein Bild der jeweiligen Wolke vorspiegelten. Er stieß sich kurzerhand vom Boden des Eingangstunnels ab und verschwand zwischen den Wolken.

(Ein von einem Solido-Energiefeld abgeschlossener Raum, der schall- und abhördicht ist. Auch öffentliche ZIV-Zellen werden mit einer Privatsphäre gesichert. Diese ist in der Regel zusätzlich undurchsichtig (häufig dunkelblau), aber es gibt ungezählte Varianten.)

Alan fand das überaus amüsant und schwebte nun ebenfalls durch den Raum. Kurz darauf wurde jeder der beiden von je einer fliegenden Lady in Silber und Metallicblau abgefangen.

"Hallo", machte die blaue Lady zu Alan, was dieser mit einem "Hi!" quittierte.

"Wollt Ihr mit mir zur nächsten Wolke schwebe, oder habt Ihr einen anderen 'Engel' in Aussicht?" erkundigte sie sich mit einem süßen Lächeln.

"Bis jetzt bin ich durchaus zufrieden!" Alan grinste sie an.

"Fein!" Die blauglitzernder Frau drehte einen eleganten Looping um ihn, wobei sie winzige Steuerdüsen zu Hilfe nahm, die sie an den Hand- und Fußgelenken trug. Das silberne Wesen hatte sich unterdessen auf Ryko gestürzt, und dieser wirkte tatsächlich einmal durchaus nicht abgeneigt.

'Sehr gut', dachte Alan. Vielleicht wurde aus seinem kleinen Bruder doch noch mal ein richtiger Mann... "Wo geht's lang?" erkundigte er sich bei seinem 'Engel'.

"Wolke 14!" Sie deutete nach links oben und ergriff seine Hand, da Alan ja nicht über Steuerdüsen verfügte. "Ich bin Catrisana", stellte sie sich vor.

"Sehr erfreut." Alan schwebte mit ihr zu der besagten Wolke, wo sie sich niederließen, was dadurch erleichtert wurde, daß diese offenbar eine minimale Schwerebeschleunigung aufwies. Sofort aktivierte sich eine von innen völlig unsichtbare Privatsphäre.

Hier konnte es ihm gefallen, befand Alan und betastete neugierig den Untergrund. Es sah aus wie eine Wolke, und es fühlte sich so an, aber trotzdem war es fest. Sehr eigenwillig... Außerdem war es faszinierend, daß es wirkte, als ob man sich gänzlich alleine inmitten des rostroten Himmels und der unzähligen blauen Wolken befand...

"Möchtet Ihr etwas zu Euch nehmen?" erkundigte sich Catrisana.

"Eine Kleinigkeit vielleicht", gab Alan zurück.

"Sagt, was Euch beliebt, und es wird gebracht!"

"Daarn-Trauben wären mir angenehm."

Catrisana sprach etwas in ihr Armband, und prompt erschien an einem Ende der Wolke eine Öffnung, und eine Traube von blauen, pflaumengroßen Füchten schwebte herbei. Von einem Traktorstrahl wurde sie zu Alan hinbugsiert.

"Ich danke", meinte Alan und fing die Beeren ein. Catrisana orderte sich eine Ladung Fruchtsaft, die in einem Cluster von etwa zehn feuerroten Saftkugeln herangeschwebt kam, jede davon durch ein Energiefeld an die anderen gefesselt und genau so groß, daß man sie bequem schlucken konnte.

Alan mampfte die Trauben. Sie gehörten durchaus zu seinen bevorzugten Früchten, und diese hier waren besonders schmackhaft.

"Und womit mag ich Euch sonst verwöhnen?" Catrisana lächelte ihm sanft zu.

"Vorerst bin ich mit den Daarn-Trauben vollauf zufrieden." Alan erwiderte ihr Lächeln.

"Wie Ihr es wünscht, Monsieur!" Catrisana sprach etwas in ihr Armband und sank auf einmal durch den Wolkenboden. Drei Minuten später tauchte sie in einem fließenden, zur Wolke passenden Gewand zurück und drapierte sich malerisch auf dem Untergrund zurecht. Höchst faszinierend, befand Alan. Diese 'Wolken' hatten offenbar ein Innenleben aus Versorgungs- und ähnlichen Einheiten. Doch, hier ließ es sich leben...

Catrisana betrachtete ihren Gast verstohlen, und dieser musterte sie nun ebenfalls, ehe er sich wieder dem Obst widmete. Die kupferhaarige Frau - ihre Farben entsprachen exakt denen des Himmels und der Wolken hier, stellte Alan amüsiert fest - schlug dezent die Augen nieder, als sie seinen Blick bemerkte.

Alan dachte gerade an Ryko. Ob der sich diesmal zurechtfinden würde? Naja, er hatte sich dieses Etablissement selbst herausgesucht...

Tatsächlich war auch dieser begeistert von dem hiesigen Umfeld. Ferner war diese Einrichtung dafür bekannt, daß jeder hier wahrlich das tun und lassen konnte, was er wollte. Nicht umsonst hieß diese Vergnügungsstadt Regenbogenpalast, nach einem alten dvarisianischen Märchen, in welchem einem dort alle Wünsche erfüllt wurden.

Alan hatte derweil die Trauben bewältigt und dachte über eine neue Beschäftigung nach. Diese Herumlungerei gefiel ihm überhaupt nicht. Wäre doch heute schon der 49.! Seufz...

"Was guckt Ihr so betrübt, Monsieur?" Gefällt es Euch hier nicht?" erkundigte sich Catrisana besorgt.

"Doch, natürlich! Es ist wundervoll hier", beteuerte Alan schnell.

"Was ist Euer Begehr für jetzt?"

"Hm. Ich habe noch keinerlei Entschluß gefaßt."

"Soll ich Euch weiterhin Gesellschaft leisten, oder wollt Ihr alleine sein, oder soll ich einen anderen 'Engel' rufen?"

"Eure Gesellschaft würde mich erfreuen."

"Ich danke Euch!" Catrisana warf Alan ein schmelzendes Lächeln zu, und er grinste zurück. Nun gut, Ryko würde ja wohl hoffentlich nicht mehr in Schwierigkeiten geraten - also hatte er Zeit, massenhaft Zeit...

Ryko hatte es sich unterdessen mit der Lady in Silber gemütlich gemacht. Diese hieß Tamritha, hatte dunkelsibern eingefärbte Haare und metallicschwarze Augen. Da Ryko momentan nicht die geringste Ambition verspürte, irgendetwas weiteres Eßbares zu unternehmen, hatte er beschlossen, die überschüssigen Energien durch physische Aktivitäten abzubauen.

Alan war unruhig. Irgendwie hatte er unbändige Lust, von hier zu verschwinden und irgendetwas auszurauben. Er hätte nicht soviel essen und nichts tun sollen... Allerdings vermutete er, daß Rykos komisches Gebräu, dieser 'Special-Cocktail' etwas damit zu tun hatte.

Catrisana saß unterdessen etwa einen halben Meter von ihm entfernt und lächelte ihn hingebungsvoll an. Sie tat jedoch nichts, um sich ihm zu nähern, da er lediglich den Wunsch geäußert hatte, sich ihrer Gesellschaft erfreuen zu wollen. Eigentlich schade, dachte sie, denn er gehörte zu dem Typ männlichem Wesen, das ihr auch nicht-beruflich durchaus gefallen könnte...

Es war frustrierend, überlegte Alan, kaum hatte er mal Zeit, da wurde er rappelig. Es schien, als fehlte ihm die normale Hektik seines Alltages. Und diese Catrisana lächelte ihm ohne Unterbrechung und sehr verheißungsvoll zu... Grummel. So ging es eindeutig nicht weiter! Wenn es ihm möglich wäre, würde er sich jetzt einfach betrinken...

Ryko hatte unterdessen einen Teil seiner 'überschüssigen Energien' abgebaut, auch wenn das dazu führte, daß man ihm schon die zweite Hosteß zuteilen mußte. Das einzige Problem, das ihn zur Zeit wahrlich plagte, war sein schlechtes Gewissen. Hoffentlich, hoffentlich erfuhr Karylla niemals von seinen Eskapaden hier auf Shanjir...

Alan starrte derweil immer noch Löcher in die Gegend. Er hatte belustigt feststellen müssen, daß sich Ryko diesmal anscheinend ausnehmend gut amüsierte. Nur er selbst hatte komischerweise ausgesprochen schlechte Laune...

"Ihr guckt so bedrückt, Monsieur", meinte Catrisana plötzlich.

"Wie bitte?" fragte Alan irritiert.

"Ihr seht so aus, als hättet Ihr Sorgen. Wollt Ihr mir erzählen, was Euch derart betrübt?"

"Nein. Aber vielen Dank für Eure Sorge."

"Gern geschehen." Catrisana zog sich auf ihren Teil der Wolke zurück und schluckte einen weiteren Safttropfen herunter, während ihr Gast weiter vor sich hin brütete und hingebungsvoll an der watteweichen Wolke herum knautschte.

Ryko überprüfte unterdessen den Stand seines Energiereservoirs. Es war immer noch überfüllt von dieser Freßorgie, und er beschloß folgerichtig, mit dem Abbau des Überschusses fortzufahren.

Alan hatte sich allmählich dazu durchgerungen, irgendetwas zu unternehmen. Er ließ endlich die Wolke in Ruhe und sah Catrisana an, die erneut die Augen niederschlug und dezent errötete. Das hatte sie lange geübt, denn viele Männer fanden dies höchst anregend.

Warum wurde sie denn nun rot, fragte sich Alan fasziniert. Diese Ladies hier hatten jede Menge Tricks auf Lager... Alan grinste sie an.

"Wünscht Ihr nun meine Dienste?" erkundigte sich Catrisana gekonnt scheu.

"Ja, vielleicht bringt mich das auf andere Gedanken."

"Und wie kann ich Euch erfreuen?"

"Das überlasse ich ganz Eurem Instinkt."

"Wie Ihr es wünscht!" Catrisana ließ ihren Teil der Wolke hinter sich und schwebte auf Alan zu, um sich an ihn zu kuscheln, wobei dieser versuchte, halbwegs ihrer wallenden Robe zu entkommen, bevor er sich hoffnungslos darin verhedderte. Die kupferhaarige Lady kicherte und strich ihr Gewand glatt.

Alan nahm sie in die Arme und betrachtete sie ausgiebig, und Catrisana schloß die Augen und schmiegte sich an ihn. Er strich ihr durch die lockige Mähne. Diese Farbe kam ihm irgendwie bekannt vor...

Catrisana befand, daß dieser wortkarge Typ effektiv zu ihren angenehmeren Gästen gehörte. Die meisten anderen hatten ausschließlich 'das Eine' im Sinn, und es war für sie stets ein rein finanzielles Happening. Dieser Mann hingegen schien jedoch auch um ihr Wohlergehen bemüht zu sein...

Wie zur Bestätigung küßte Alan sie sanft. Er fühlte sich schon bedeutend besser als zuvor. Catrisana beschloß, daß die Credits für den heutigen Tag ausgesprochen leicht verdientes Geld waren und erwiderte seine Zärtlichkeiten mit weitaus mehr Hingabe als es ihr Vertrag vorschrieb. Wenn sie doch nur des öfteren das Glück hätte, solcherart Kunden bedienen zu dürfen... Aber nein, die meisten Männer, die sie erwischte, waren entweder fett und/oder häßlich oder sonst höchst unerträglich. Naja, sonst würden sie kaum eine Abteilung wie die blauen Wolken im Regenbogenpalast aufsuchen...

Alan versuchte derweil, Catrisana aus dem komischen Gewand zu schälen, was seine volle Konzentration erforderte. Sie kicherte amüsierte, denn die 13 Schleier waren wohl etwas zu kompliziert für ihren Gast. Sein Overall hingegen stellte nur ein nebensächliches Hindernis dar. Alan hatte inzwischen bereits die ganze Umgebung mit Stoffteilen bestückt, die er von Catrisana entfernt hatte. Das war ja schlimmer als Geschenke auswickeln!

Nun schwebten die beiden herum, wie Gott, bzw. (in Alans Fall) Tyron Star sie erschaffen hatten. Dieses Herumschweben in 0g (offenbar war die künstliche Schwerebeschleunigung nun desaktiviert worden) war etwas neues. Alan hiel Catrisana fest, wer wußte schon, wohin sie sonst entschwinden mochte. In einer Wolkendelle erschien eine gut zwei Meter durchmessende Wasserkugel, die offenbar zum Baden gedacht war. Catrisana faßte Alan bei der Hand und zog ihn mit sich, um fußvoran bis zum Hals in die Wasserblase einzutauchen. Ihre Haare schwebten oberhalb der Wasseroberfläche herum, bemerkte Alan fasziniert.

Catrisana kicherte schon wieder, da sie feststellen mußte, daß Alan offenbar keinerlei Erfahrung mit solcherart Tätigkeit bei 0g hatte. Sie zog ihn zu sich und begann, ihn unter Wasser zu bearbeiten. Er sollte hier die Möglichkeit einiger Versuche auf diesem Gebiet bekommen... Alan war ein wenig ärgerlich über sich selbst, daß er mit diesen Verhältnissen so schwer zurande kam. Es brauchte glatt mehrere Versuche, bis er endlich hinter die Technik der Bewegung unter diesen Bedingungen kam.

Nach einiger Zeit beschloß sie, daß sie beide genug abgeschrubbt waren, und stieß sich vom Wolken-Boden ab, um mit Alan in eine Richtung zu schweben, wo wieder die Minimal-Schwerebeschleunigung herrschte, die ihnen ein vages Gefühl von oben und unten vermittelte. Sie sprach wieder in das Armband, daß sie die ganze Zeit hindurch nicht abgelegt hatte, und prompt erschien ein monumentales blaues Badetuch, in das sie Alan und sich einwickelte.

Langsam verflog Alans Frust über die Schwerelosigkeit. Eigentlich war es doch ganz lustig hier, wenn auch fürchterlich unpraktisch. Auf was für Ideen die Leute immer kamen... Aber er würde das Spielchen mit Freuden mitmachen...

Auf einem speziell dafür hergerichteten Teil der Wolke begaben sie sich weit später zu Ruhe. Hier herrschten vielleicht 0.4g, was ausreichte, um nicht davon zu schweben, aber eine höchst angenehme Ruhelage erlaubte. Catrisana musterte Alan anerkennend und kuschelte sich in seine Arme. Er lächelte sie an und strich sanft durch ihre Locken.

"Habt ihr noch weitere Wünsche?" erkundigte sie sich erwartungsvoll und hoffte, daß er sich ihr noch einmal widmen würde.

Alan sah sie bedeutungsvoll an und zog sie an sich, um sich ihr erneut intensivst zu widmen. Catrisana war begeistert. Eigentlich hatte sie ja vorgehabt, innerhalb der nächsten zwei Monate im Regenbogenpalast zu kündigen - aber wenn sie des öfteren solche Gäste bekäme...

Inzwischen war Alan durchaus guter Laune. Wenn er schon warten mußte, dann würde er die Zeit auf die angenehmste Art und Weise verbringen, die sich ihm anbot...

* * *

3763/02/49 GZ - Stardust und Blackfire werden in ihrem Gefängnis dezenter Psycho-Folter unterworfen...

* * *

3763/02/49 GZ

Geraume Zeit - nämlich etwa 50 Stunden - später waren Alan und Ryko um einiges an Credits ärmer, aber dafür hatten sie auch die Zeit bis zum 49. Vibari elegant herumgebracht.

Alan streckte sich genüßlich, während er in der Eingangstür auf Ryko wartete. Schließlich erschien dieser. Er trabte munter an und guckte wie die Unschuld schlechthin.

"Hi Alan! Was hältst du davon, wenn wir irgendwo irgendetwas essen gehen?"

Der schüttelte nur den Kopf.

"Anscheinend bist du alle überflüssige Energie losgeworden!"

"Ähm... Nicht nur die..." Ryko sah dezent gen Boden, während Alan über das ganze Gesicht grinste.

"Jetzt kannst du aber nicht behaupten, es hätte dir nicht gefallen!"

"Nun..." Ryko grinste zurück. "Ich habe es mir ja herausgesucht..."

"Stimmt. Wohin gehen wir denn essen?"

"Schlag du was vor!"

Alan schüttelte den Kopf.

"Diese Aufgabe habe ich dir übertragen."

"Sinhalonisch?"

"Momentan bin ich zufrieden, wenn es eßbar ist."

"Soso... - Also sinhalonisch."

"Gehen wir." Alan grinste Ryko an, und die beiden zogen los. Sie stürmten ein kleines sinhalonisches Restaurant und ließen sich an einem Tisch nieder. Alan studierte bereits interessiert die Speisekarte.

"Ich glaube, ich werde mich auf ein vierfaches Matlos-Steak stürzen", meinte Ryko.

"Nur ein vierfaches?"

"Als Vorspeise..."

"Ich dachte schon..."

"Und als Hauptspeise eine gebackene Riesentarantel", schwärmte Ryko.

"Wenigstens ist es eine Menge, auch wenn mir Spinne nicht so zusagt."

"Ich könnte auch zur Lightning springen und mir einen Special-Cocktail mixen."

"Buäh", machte Alan. Das Zeug mochte ja noch so nahrhaft sein, aber es schmeckte ihm einfach nicht.

"Was heißt hier 'buäh'?" fragte Ryko indigniert. Ihm war solch ein Cocktail jedenfalls lieber als alles andere.

"Es ist nunmal nicht meine Geschschmacksrichtung."

"Dabei ist es um einiges praktischer als diese ganze Menschennahrung... Aber was soll's? Ich fürchte, ich muß doch mit den vier Matlos-Steaks vorliebnehmen. - Oder ob die hier ein halbes Valeron haben?"

(Valeron - ein etwa zwei Meter hohes sinhalonisches Nutztier, Fleischlieferant.)

"Bestimmt. Aber sie werden wohl kaum erwarten, daß es einer allein essen will", meinte Alan amüsiert.

"Naja, da hast du einen Punkt. Aber ich muß doch meinen Energievorrat wieder komplettieren..."

"Oooch! So sehr hast du dich verausgabt?" Alan grinste zum wiederholten Mal, diesmal ausgesprochen anzüglich.

"Nun, direkt 'verausgabt' würde ich das nicht nennen. Solange meine Energiezufuhr weiterhin gewährleistet bleibt, sehe ich keinerlei Probleme."

"So?" fragte Alan.

"Es ist alles nur eine Frage der richtigen Energieversorgung", erklärte Ryko, was ihm einen überaus amüsierten Blick Alans einbrachte.

Endlich kam ein Servierobot angeschwebt, und Ryko bestellte fünf große Matlos-Steaks. Als Vorspeise. Sein Bruder nahm erst einmal eine Fleischplatte, dann würde er weitersehen.

Nach zwei Stunden intensivsten Schmausens fühlt sich die beiden frisch gestärkt.

"So, heute abend ist es dann endlich soweit", stellte Ryko fest.

"Und was machen wir bis dahin?"

"Hm, also, meine Energiespeicher sind wieder aufgeladen..."

"Und?"

"Naja..." Ryko guckte betont unschuldig, woraufhin Alan breit grinste. Die Datenübertragung hatte sich wohl doch gelohnt... "also, was schlägst du vor?"

"Ich?" Alan guckte entgeistert.

"Der letzte Vorschlag, der uns immerhin über 52 Stunden und 37 Minuten ...beschäftigte, war schließlich von mir..."

"Na und?"

"Jetzt bist du dran!"

"Ich will aber nicht."

"Sollen wir nochmal in den Regenbogenpalast gehen?"

Alan musterte Ryko amüsiert.

"Schon wieder?"

"Dann schlag du etwas vor."

"Hm. Wie wäre es mit der Oase?"

"Warum nicht? Gehen wir!"

Sie machten sich erneut auf den Weg. Die Oase war ein großer Glasbau, der irgendwie einem Treibhaus ähnlich sah. Aber auch dieses Bauwerk befand sich noch im unterseeischen Bereich von Ekvajar. Eigentlich war es seltsam, überlegte Ryko, daß man hier ein Schwimmbad unt dem Meer einrichten mußte... Nichtsdestotrotz betraten sie die Eingangshalle.

Überall standen Palmen herum, und der gesamte Boden war mit feinem weißen Sand bedeckt. Ryko steuerte den eigentlichen Eingang an und bezahlte vorab die Grundgebühr für Alan und sich.

Anschließend begaben sie sich zu den Kabinen, um sich umzukleiden. Natürlich wurde hier die Badebekleidung zur Verfügung gestellt. Ryko kam in einer ziemlich knappen, aber ideal zu seiner Haar- und Augenfarbe passenden dunkelgoldenen Badehose zurück, während Alan sich für schwarz entschieden hatte.

Die beiden Männer sahen sich interessiert um.

"Was hältst du von dem Wildwasserkanal?" erkundigte sich Ryko.

"Okay."

Ryko machte einen eleganten Satz und verschwand in den Fluten. Alan sprang hinterher, und sie kraxelten eine Treppe hinauf, um danach durch den Kanal hinunterzurutschen. Dieses wiederholten sie einige Male, obwohl Ryko ernshaft um den Sitz seiner Badehose besorgt war.

Schließlich meinte Alan, daß er genug hätte. Er legte sich auf einen der Liegestühle, die in den Ruheinseln standen und bestellte sich erst einmal einen der farbenfrohen Drinks, die es hier gab.

"Keine schlechte Idee", stimmte Ryko zu. Er ging zur Bar (unter künstlichen Palmen) und orderte sich einen goldgelben Drink mit Goldflitter, Shining Sun, oder wie dieser hieß. Alan schlürfte dagegen ein blau/violett-schillerndes Getränk und betrachtete interessiert die anwesenden Ladies.

Ziemlich unerwartet kehrte Ryko mit seinem Glas und einer goldhaarigen Schönheit in einem gewagten Silberbikini zurück, um es sich ebenfalls in einer Ruheinsel bequem zu machen.

Alan sah den beiden amüsiert hinterher. Anscheinend war Ryko nun auch durchaus zu frieden...

Dieser war durchaus guter Dinge, denn die Lady, die ihn überraschend an der Bar angesprochen hatte, war eine Hyperphysikerin aus Estriel, die vermeinte, in ihm eine Kapazität der TM-Technik erkannt zu haben.

Ryko grinste in sich hinein. Das war er zweifelsohne, wenn auch nicht Professor Eldrigar Lisheval von der Uni Ekvajar... Er fand diese Verwechslung höchst unterhaltsam, und wenn die Frau mit ihm über die neusten TM-Triebwerke und USVs diskutieren wollte - gerne...

(USV - Ultraraumschubverstärker - ursprünglich von Ryko entworfenes Gerät, um Geschwindigkeiten über den angeblich maximalen 10 pc/h zu erreichen. (Damit schafft die Lightning I z.B. 25 pc/h!) Mittlerweile hat auch die reguläre Triebwerkstechnik USVs im Einsatz, allerdings nur mit einer geringeren Verstärkungsrate (Maximalgeschwindigkeit zur Zeit (3763GZ): 15 pc/h.))

Alan nippte an seinem Drink und betrachtete weiter die anderen Besucher, da er beschlossen hatten, einfach hier herumzuhängen, bis es Zeit war zu gehen.

Ryko und seine Gesprächspartnerin waren derweil in ein hochtechnisches Gespräch vertieft, das vorbeiflanierenden Zufalls-Zuhörern den einen oder anderen sehr mißtrauischen Blick entlockte. Hatten die nichts anderes zu tun? Die einzige Schwierigkeit für Ryko bestand daran, nicht zuviel von dem zu verraten, was jenseits des aktuellen Stands der Technik lag. Es war fast wie mit Kary, fand er, auch wenn diese natürlich noch weitaus tiefergehende Kenntnisse der TM-Technologie hatte. Aber wo er gerade beim Thema war - wo mochte seine Partnerin nur stecken? Er stützte das Kinn auf den Händen auf und seufzte schwer.

Das goldhaarige Wesen guckte etwas irritiert ob Rykos Lautäußerung.

"Aber Professor Lisheval! Kommen Sie, amüsieren Sie sich!" Sie zog ihn in Richtung Wellenbad, und er war tatsächlich amüsiert - vor allem, weil sie ihn permanent mit 'Professor' titulierte...

Alan hatte sich auch einmal wieder für eine Runde Plantscherei entschieden und paddelte in einem Becken mit sprudelndem Wasser herum. Das kribbelte...

Mittlerweile waren Ryko und seine Begleiterin durch einen der unzähligen schmalen Kanäle ins nächste Becken geschwommen.

"Oh, hallo Bruderherz..."

"Hi!" Alan grinste Ryko wie üblich an, und dieser guckte wie so oft leicht ertappt. Das goldhaarige Wesen sah Ryko erwartungsvoll an.

"Oh, das ist mein Zwillingsbruder", stellte er diesen rasch vor. Wie nannte Alan sich hier wohl? Hm, egal. "Fgaris Lisheval", fügte er hinzu. "Und das ist..." Er sah die Lady irritiert an. Ts, er hatte sie noch gar nicht nach ihrem Namen gefragt.

"Dr.Lraya Ekvaris", half sie aus.

"Ah, ja - Lraya..."

"Sehr erfreut", meinte Alan und lächelte sie an.

"Sie ist eine Hyperphysikerin aus den Blade-Takril-Labors in Estriel", meinte Ryko begeistert.

"Wie interessant!" Alan sah sie zweifelnd an, bestimmt würde sie gleich einen Vortrag halten. Dabei sah sie sonst so niedlich aus...

"Nicht?" Ryko war im Gegensatz zu Alan von dem Faktum durchaus angetan.

"Ich habe Professor Lisheval eben von den neusten Experimenten in meiner Abteilung erzählt", begann sie tatsächlich. Alan sah Ryko erstaunt an. Professor? Das war ja etwas ganz neues... Aber nun fing sie tatsächlich mit dem Gerede an. Offenbar setzte sie voraus, daß der Bruder eines TM-Technologen sich ebenfalls damit beschäftigte...

Ryko lauschte gebannt, denn Lraya hatte in ihrer Abteilung einige Experimente durchgezogen, die er aus Zeitmangel bislang nur projektiert hatte. Nun gut, auf dem Weg brauchte er es also nicht mehr zu versuchen, dachte er bei ihrem Bericht über die letzten Fehlschläge.

Alan hatte unterdessen abgeschaltet. Was interessierten ihn diese dummen Experimente? Er war nunmal kein Wissenschaftler.

Offenbar war Alan nicht allzusehr begeistert, stellte Ryko belustigt fest, denn er ließ sich von einer Wasserströmung in das nächste Becken treiben. Dann widmete er sich eben weiter Lraya...

Irgendwie ging die Zeit heute gar nicht rum, fand Alan. Er hatte sich auf den Beckenrand gesetzt und blickte nachdenklich ins Wasser. Ihm war plötzlich bewußt geworden, daß er immer noch nichts von Coryn gehört hatte, und dementsprechend gab es immer noch keine Nachricht über den Verbleib von Stardust.

Etwa eine halbe Stunde später verabschiedete sich Lraya von Ryko.

"Die Pflicht ruft", meinte sie. Er blieb also alleine zurück und war zum ersten Mal ein wenig betrübt ob der Tatsache, daß er sich nicht einfach betrinken konnte wie ein Mensch. Dann würde die Zeit vielleicht nicht so quälend langsam vergehen und er brauchte sich nicht permanent Sorgen um Karylla zu machen.

Alan hockte immer noch am Beckenrand, als Ryko sich zu ihm gesellte.

"Hi Alan... Sollen wir die restlichen fünf Stunden damit verbringen, uns hier anzuöden?"

"Von mir aus können wir uns auch wo anders anöden."

"Komisch. Dasselbe wollte ich gerade vorschlagen. Wörtlich." Alan blickte sein Gegenüber zweifeln an. Er hatte irgendwie das Gefühl, daß Ryko ihn aufziehen wollte.

"Nur - wo?"

Alan zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht."

"Wie wäre es mit einem Bistro?"

"Du willst doch wohl nicht schon wieder essen?" fragte Alan gereizt.

"Doch - warum?"

"Wo läßt du das ganze Zeug nur?"

"In meinem Nahrungskonverter. Meine Energievorräte waren noch nicht wieder komplettiert."

"Bei mir muß das irgendwie anders sein..."

"Naja..." Ryko war zum wiederholten Mal froh, nicht können. Physisch waren sie im Prinzip baugleich...

"Was naja..."

"Ähm, dabei ist unsere Hardware doch identisch..."

"Das weiß ich, aber trotzdem scheint es mir, daß du entschieden mehr vertilgst als ich." Zumindest zur Zeit, stellte Alan irritiert fest. Komisch, sonst benötigte er doch ebenfalls relativ große Mengen an Nährstoffen... Er sollte vorsichtig sein, daß er nicht in den roten Bereich abglitt, sonst würde sein System einen automatischen Not-Shutdown durchführen und ihn abschalten, bevor aus Energiemangel seine Speicherinhalte gefährdet würden.

"Ich bin sicher, du versteckst deine Futtereien nur", meinte Ryko belustigt. "Abgesehen davon hängt der Energieverbrauch auch mit dem Level der physischen Aktivitäten zusammen."

"Dann mußt du es aber ziemlich bunt treiben..."

"Ähm... Kein Kommentar..."

"Aha", meinte Alan. "Du bist also doch nicht so brav, wie man mir weismachen wollte."

"'Man'? Wer?" erkundigte sich Ryko stirnrunzelnd.

"Was?" fragte Alan scheinheilig.

"Wer wollte dir weismachen, daß ich 'brav' bin?"

"Also, wenn du darauf bestehst... Es waren verschiedene Leute, die dich als 'zu brav' bezeichnet haben."

"Verschiedene? - Wer denn?"

"Nun, ich glaube, du kennst niemanden davon."

"Aha. Wie kommen die nur auf so etwas?"

"Du siehst so brav aus."

Ryko hob fasziniert eine Augenbraue. Er hatte üblicherweise silberne Haare, schneeweiße Haut und violette Augen - und das sah 'zu brav' aus?

"Ich?"

"Sicher. Abgesehen davon bist du ein Pantoffelheld."

Entgeistert ließ Ryko den Beckenrand los, was dazu führte, daß er kurz untertauchte. Wieder oben, schüttelte er seinen augenblicklich goldbraunen Schopf etwas aus und guckte Alan entsetzt an.

"Wie bitte?!"

"Du hast schon richtig gehört", grinste Alan. "Es gibt sogar Gerüchte... Ähm, die lassen wir lieber weg..."

"Hey! Raus mit der Sprache - jetzt will ich es wissen!"

"Das kann ich aber nicht sagen."

"Du hast damit angefangen, also rück schon raus damit!"

"Seufz... Na gut. Es wird behauptet, du wärst nur Dekoration, damit Blackfire besser wirkt. Außerdem erkennen sie dir jedwede Intelligenz ab, nach dem Motto 'Sie hat das Gehirn, er die Muskeln'... Willst du wirklich noch mehr hören?"

"Und wer erzählt sowas?" Ryko kniff die Augen zusammen. Diese Kommentare kränkten ihn mehr, als er vor sich selbst zugeben wollte.

"Ziemlich viele, würde ich sagen. Zwar nicht gerade die gehobenen Kreise, denn die fürchten sich zu sehr vor euch. Aber in den weniger vornehmen Gegenden hört man sowas umso öfter. Meines Erachtens ist da hauptsächlich der Neid rauszuhören, aber viele wollen es auch einfach glauben."

"Frechheit!" schmollte Ryko. "Ich halte mich eigentlich nicht für einen Pantoffelhelden..." sinnierte er, und Alan lachte.

"Niemand hält sich selbst dafür!"

"Jetzt sag nicht, du willst mir das auch unterstellen!"

"Das habe ich nicht gesagt."

"Es sah aber so aus." Ryko guckte melancholisch in die Ferne.

"Ach? - Was ist denn nun schon wieder?"

"Bin ich vielleicht schon ein Pantoffelheld, weil sie mir so fehlt, wenn sie nicht da ist?"

"Keine Ahnung. Ich habe keine genaue Definition für diesen Begriff."

"Seufz. Aber sie fehlt mir nun einmal. "Weißt du, daß es mir zum ersten Mal wirklich bewußt wird, wie sehr ich mich an Karyllas ständige Anwesenheit gewöhnt habe?"

Alan musterte ihn nachdenklich.

"Naja, wenn sie nicht weg war, konntest du sie schlecht vermissen."

"Auch wieder wahr. Aber es hat mir nichts ausgemacht, mich für eine Woche oder länger in irgendwelche Arbeiten zu vergraben und sie nicht zu sehen."

"Da hättest du sie schließlich jederzeit erreichen können, wenn dir danach gewesen wäre."

"Hm." Ryko guckte überaus gedankenversunken. "Stimmt auch wieder. - Ich hoffe nur, daß ihr nichts passiert ist..."

"Mhm", machte Alan zustimmend.

"Ansonsten garantiere ich den Typen, daß ich nicht eher ruhen werde, bis ich den letzten davon zur Strecke gebracht habe..." erklärte Ryko ganz ruhig. Alan musterte ihn. Die Entführer sollten Blackfire besser nichts getan haben, denn Ryko zum Feind zu haben, war gewiß keine angenehme Sache.

"Und was also nun?" Ryko paddelte mit den Füßen herum.

"Irgendwie habe ich auf diese Frage gewartet."

"Das Bistro?"

"Du bist nicht davon abzubringen? Nun gut..."

"Hast du denn einen besseren Vorschlag? Ein Steak-Haus?"

"Mir ist zur Zeit jedwedes Essen zuwider."

"Hm?" Ryko schaute Alan verwundert und auch ein wenig besorgt an. Das war doch nicht normal...

"Ich muß ja nichts essen. Laß uns gehen. Vielleicht überlege ich es mir ja noch."

Die Männer zogen sich wieder um und verließen die Oase.

"Ich habe mittlerweile den Entschluß gefaßt, tatsächlich das Bistro zu besuchen", erklärte Ryko. "Ich denke mit den dortigen Speisen kann ich die mir fehlenden Nährstoffe am besten ersetzen. Vorausgesetzt, ich finde noch einen Mineralienhändler, wo ich mir den einen oder anderen Halbedelstein organisieren kann..."

Alan verzog das Gesicht. Steine, so eine Geschmacklosigkeit!

"Hm. Aber vielleicht mache ich auch einfach einen Abstecher zur Lightning, um mir einen meiner Specials zu brauen..." Ryko war schwer in Versuchung, und Alan enthielt sich lieber eines Kommentars.

"Warte einen Moment hier!" Ryko suchte sich ein nahegelegenes Gebüsch, von wo aus er zum Schiff sprang. Kurz darauf kehrte er frisch gestärkt zurück.

"Gut, das Essengehen können wir streichen. Und nun?"

Alan seufzte tief. Hätte er doch bloß nichts gesagt!

"Also?" Infinity legte den Kopf schief.

"Sieh mich nicht so an! Ich kann das nicht ausstehen."

"Was habe ich getan?" fragte Ryko verwirrt.

"Dieser erwartungsvolle Blick", meinte Alan. "Ich hasse es! Warum soll immer ich mir etwas überlegen?"

"Na gut. Wie wäre es nochmal mit dem Regenbogenpalast?"

"Du willst mich wohl umbringen?"

"Wie das?"

Alan sah Ryko ziemlich komisch an und seufzte.

"Ts. Ich dachte, du wärst nicht so leicht umzubringen."

"Wenn es eine schafft, dann du! - Und zwar durch deine ewige Fragerei..."

Ryko hob die Augenbrauen. "Bin ich so schlimm?"

Alan sah Ryko irritiert an. War das nun ernst gemeint oder nicht? Sein Gegenüber setzte ein breites Grinsen auf, und Alan gab auf.

"Gehen wir in den botanischen Garten", schlug er vor.

"Wenn du meinst." Ryko war mehr als nur verwundert. So ein Vorschlag von Alan? Vielleicht hatte er ja doch noch einen guten Einfluß auf diesen.

Sie begaben sich zu den Anlagen, und Alan betrachtete fasziniert die Pflanzen, obwohl sie ihn eigentlich nicht interessierten. Ryko hingegen war fasziniert. Er hatte soeben eine mutierte Blattlaus-Gattung auf einem Pfeilblatt-Kaktus entdeckt, die in keiner botanischen Datenbank verzeichnet war, auf die er Zugriff hatte.

Da es Alan anscheinend nicht gelang, Ryko zu langweilen, plazierte er sich auf einer der Liegewiesen und beobachtete, wie Ryko im Schnelldurchgang durch den Pflanzenbestimmungspfad düste. Als er zu Alan zurückkehrte, hatte er zwei neie Abarten einer Fruchtfliege und einen Fast-Albino-Dreihornkäfer entdeckt.

Alan hatte sich langgelegt und beobachtete den Himmel. Es war immer noch Zeit... Ryko krabbelte unterdessen zu einem Blumenarrangement, wo sich ein bunter Schmetterling niedergelassen hatte. Enttäuschenderweise hatte er diese Gattung jedoch bereits abgespeichert.

Alan hatte keine Lust, die diversen Viecher zu betrachten. Sein Interesse an diesen war gering, und er schloß die Augen, um lieber an ansprechendere Dinge zu denken.

Ryko hatte derweil genug gesehen und war zu Alan zurückgekehrt. Er sah neugierig auf diesen herab.

"Du siehst so nachdenklich aus. Worüber meditierst du gerade?"

"Eigentlich über nichts besonderes", meinte Alan.

"Aha." Ryko ließ sich auf den Boden plumpsen, wobei er sicherlich einige Kolonien Kleinstlebewesen plättete. Alab träumte weiter vor sich hin.

"Noch vier Stunden", bemerkte Ryko.

"Hm", machte Alan nur.

"Was unternehmen wir eigentlich bei dieser Auktion?" überlegte Ryko halblaut. Er fragte sich, was dort überhaupt für Leute wären, die Interesse an Androidensklaven hatten. Wenn er die Verantwortlichen dafür in die Finger bekäme...

"Wie?" Alan sah Ryko fragend an.

"Hast du schon einen Plan, was wir unternehmen sollten?"

"Nein, bis jetzt noch nicht."

"Vielleicht sollten wir tatsächlich als Käufer auftreten..."

"Warum nicht", meinte Alan.

"Wie wäre es, wenn wir den ganzen Markt aufkauften? Gut, dann müßten wir unsere finanziellen Mittel noch etwas vermehren, aber das sollte ja keine größeren Schwierigkeiten aufwerfen..."

"Bestimmt nicht. - Aber was fangen wir dann mit denen an?"

"Freilassen, natürlich!"

"Ich glaube, da haben gewisse Leute etwas dagegen. Außerdem wären sie dann Freiwild!"

"Hm. Stimmt auch wieder. Es gibt ja nicht nur Kopfgeldjäger für Menschen..." Ryko guckte sehr nachdenklich.

"Also?"

"Wir müssen auf jeden Fall mit den Typen ins Geschäft kommen und uns als potentielle Stammkunden verkaufen..."

"Das überlasse ich dir."

"Warum immer mir? Du bist doch der ältere von uns beiden..."

"Stimmt zwar, aber du hast den Kontakt mit diesem Typen geknüpft."

"Hm. Aber du siehst genauso aus wie ich."

"Nicht ganz."

"Die zwei Zentimeter sieht doch keiner!"

"Püh!"

"Was erstehen wir denn mal?"

"Was gibt's denn?"

"So ziemlich alle für alle Anforderungen und jeden Geschmack."

"Wirklich?" Alan sah Ryko irritiert an.

"So ist es." Er nickte bedeutungsvoll. "Was meinst du, warum ich die Verantwortlichen in die Hände kriegen will! Stell dir vor, diese 'Sklaven' müssen alles tun, was von ihnen verlangt wird, und ihre Motivationssperre verhindert jede eigene Aktion oder Gegenwehr!"

Alan schüttelte sich. "Das ist ja grauenhaft!"

"Verstehst du jetzt, warum du mitkommen solltest?"

"Mhm."

"Vielleicht sollten wir unsere Geldreserve noch etwas aufstocken."

"Was schlägst du vor?"

"Bankraub? Spielkasino?"

"Ins zu gehen Casino wäre wohl etwas zu auffällig..."

"Nachdem wir aus dem letzten rausgeworfen wurden", grinste Ryko zurück.

"Eben. Also eine Bank."

"Gut. Du suchst eine aus."

"Wie wäre es mit der BfG?"

"Gebongt!"

"Dann laß uns gehen." Alan erhob sich vom Rasen, und Ryko folgte ihm. Innerhalb weniger Minuten erreichten sie die Bank. Wie gehen wir vor?" wollte Alan wissen.

"Du bist Firestar."

"...gewesen."

"Trotzdem. Also!"

"Immer ich", maulte Alan. "Nun gut." Er ging um das Gebäude herum.

Ryko war zwischendurch kurz zur Lightning gesprungen und hatte eine große Tasche mit seinem Werkzeug mitgebracht. Er wühlte seinen Allzweck-Dietrich hervor.

(Allzweck-Dietrich - Ein sehr nützliches Gerät, mit dem Infinity so gut wie alle Codeschlösser knacken kann. Es sieht aus wie ein etwa 15cm langer, 1cm durchmessender Amethyst-Stab mit fünfeckigem Querschnitt, der an seinen Seiten farbigen Markierungen aufweist. Es ist ein komplexer Scanner, der über einen Funkkanal direkt mit dem Bordcomputer der Lightning verbunden ist und mit Hilfe eines Senders die entschlüsselten Codes simulieren kann.)

"Ich glaube, hier kommen wir hinein", stellte Alan fest und deutete auf eine Tür.

"Aye, aye..." Ryko machte sich an dem Schloß zu schaffen, und die Tür glitt sogleich auf. Es war eine Hintertür, die in ein Treppenhaus führte und nicht sonderlich gut gesichert war. Alan schob sich in den Flur.

"Hier entlang!" Er öffnete eine weitere Tür, die in einen Lagerraum führte. Ryko wanderte zur gegenüberliegenden Wand und legte ein Ohr an dieselbe.

"Klingt ruhig", kommentierte er dann.

"Wir müssen nur da hindurch."

"Kein Problem." Ryko aktivierte den Desintegrator-Brenner und begann, sich durch die Mauer zu fräsen.

"Schön." Alan setzte sich auf eine Kiste und wartete, daß Ryko fertig wurde. Kurz darauf war das Loch groß genug zum Durchklettern.

"Bist du soweit?" fragte Alan.

"So sieht es aus." Ryko stellte den Desintegrator-Brenner ab "Gehen wir." Alan erhob sich und folgte ihm. Alles schien verlassen. "In etwas zwei Minuten dürfte jemand hier auftauchen", bemerkte Ryko beiläufig. So lange war in der Regel die Zeitspanne zwischen Auslösen des Alarms und Eintreffen der Polizei, also steuerte er schnurstracks auf den Tresor zu. Alan trottete hinterher und betrachtete den Geldschrank.

"Du oder ich?" fragte Infinity.

"Ist doch egal!"

Ryko seufzte und machte sich ans Werk, wobei ihm Alan sehr interessiert zusah.

"Bitte sehr!" Die Tür stand offen. "Äh, hast du zufällig eine Tüte oder so etwas mitgenommen? Ich habe nur meine Werkzeugtasche hier..."

"Mal nachsehen." Alan durchsuchte seine Taschen. "Aha!" Er förderte einen Beutel zutage.

"Gut. Ich hatte schon befürchtet, meine Hosentaschen müßten wieder einmal dranglauben..."

"Laß uns das Geld einpacken, bevor die Polizisten eintreffen."

Ryko nickte und schaufelte ihm die höchstwertigen Credits in die Tüte.

"Und jetzt sollten wir am besten verschwinden..." meinte Alan.

"Schon unterwegs." Die beiden packten ihre Sachen zusammen und machten sich eilig auf und davon. Auf der Lightning zählten sie das Geld.

"Das macht nochmal 11 Millionen", stellte Ryko fest.

"Hm. Ob das reicht?"

"Da gäbe es noch die Tarishaan-Bank..."

"Na, dann los!" meinte Alan eifrig. Sie sprangen wieder nach Ekvajar zurück und machten sich auf den Weg zur besagten Bank, wo Alan sich sogleich nach einer Einstiegsmöglichkeit umsah.

"So, jetzt bist du dran", bestimmte Ryko. Er glaubte seinem Bruder kein Wort, daß dieser sein Firestar-sein zur Gänze aufgegeben hatte. Das würde ihm auf Dauer doch viel zu langweilig werden!

Diesmal kamen sie mit Hilfe einer Transportrutsche in das Gebäude. Alan plumpste in einen Berg Verpackungsmaterial, und Ryko fiel natürlich auf ihn.

"Humpf! Würdest du eventuell von mir weichen?"

"Selbstverständlich." Ryko sprang mit einem eleganten Satz auf die Beine und verbeugte sich steif. "Wolltet Ihr mir Annäherungsversuche unterstellen?"

"Natürlich nicht, stell dich nicht so an!" Alan erhob sich und suchte nach einem Weg zum Tresor.

"Dein Glück." Ryko wanderte ihm nach.

"Wieso 'mein Glück'?" fragte Alan uns musterte ihn.

"Mir deuchte fast, Ihr wäret auf einen neuerlichen Händel ausgewesen..."

"Jetzt? Ich bin doch nicht verrückt!"

""Wer weiß..." Ryko inspizierte den Raum. "Schon wieder durch die Wand?"

"Nein, ich glaube, diesmal kommen wir ohne Abbrucharbeiten hinein."

"Seufz, und warum schleppe ich dann den Desintegrator-Brenner mit mir herum?"

"Weiß ich doch nicht", meinte Alan grinsend und öffnete die Tür, die in den Tresorraum führte.

"Grummel..."

"So, jetzt nur noch diese Türe", sagte Alan und machte sich an dem Safe zu schaffen, während Ryko Beobachter spielte. Schließlich zog er die Panzertür auf. "Hast du diesmal eine Tüte dabei?"

"Deine alte", erwiderte Ryko grinsend. Die Credits waren ja auf einem Labortisch der Lightning verstreut.

"Gut. Tüten wir ein." Alan stopfte die Credits in den Beutel, der von Ryko aufgehalten wurde. Anschließend ging es denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie sprangen ein weiteres Mal zum Schiff.

"Nur noch eine Stunde", bemerkte Ryko.

"Meinst du, das Geld reicht?"

"Moment... 11 von der BfG, 5 1/2 noch auf der Creditkarte und jetzt die 14 1/2... - Doch, ich denke schon."

"Im Zweifelsfall können wir auch noch meine Karte nehmen."

"Ich hätte notfalls auch noch eine..." Ryko dachte an sein nicht unbeträchtliches Vermögen als Erbe des Herzogtums von Süd-Ayryana, denn als solcher bekam er eine wahrlich nicht unbeträchtliche Apanage, und außerdem hatte das Adelskonzil von Naravina seit geraumer Zeit eine Art 'Gehalt' für alle Naraviner eingeführt, die durch ihr Auftreten für den Planeten warben, und das war auch noch ein nettes Sümmchen...

"Ich denke, damit kommen wir aus." Alan grinste Ryko an. "Sollen wir uns schon langsam auf den Weg machen? Aber da bleibt noch die Frage, ob wir beide gehen sollen, oder nur einer von uns..." Er hatte keine Lust, wieder Wache zu schieben oder ähnliches. Wenn schon, dann wollte er richtig dabei sein.

"Ich werde gehen", entschied Ryko.

"Gut. Und was soll ich tun?"

"Du machst die Rückendeckung."

Die Begeisterung stand Alan förmlich ins Gesicht geschrieben. Rückendeckung spielen, das war eine Zumutung!

"Na gut. Aber dann muß ich mich umziehen."

"Tu das." Während Alan sein Make-Up wechselte, nutzte Ryko die Zeit, um die neusten Infos in Organet und Freenet abzurufen. Als Alan zurückkehrte, hatte er metallicschwarzes Haar und ultramarinblaue Augen.

"Bist du soweit?" Ryko desaktivierte das Viphon. "Laut Organet hat diese Organisation Xi die Hände im Androidenhandel, obwohl die Freenet-News eher eine neue Gruppierung dafür verantwortlich machen will..."

"Ich bin fertig", sagte Alan.

"Die TM-Geräte sind programmiert. Wir kommen in einem Wäldchen in der Nähe des 'Marktplatzes' aus."

"Gut, ich folge dir", bemerkte der 'Ex-Firestar' grinsend. Ryko tippte auf den Sensor des TM-Gürtels, und Alan düste hinterher. "Aua!" protestierte er jedoch sogleich, da sie genau in einem Dorngebüsch ausgekommen waren. "Mußte das sein?" maulte er.

"Stell dich nicht so an." Ryko verzog gestreßt das Gesicht. "Du willst doch wohl nicht behaupten, daß du bis jetzt nur im freien Feld materialisiert bist..."

"Aber auch nicht in Dornenbüschen. Wir ruinieren uns bestimmt die Klamotten."

"Hm." Vorsichtig befreite sich Ryko aus dem Pflanzengewirr. "Negativ. Es geht."

"Seufz!" Alan wand sich ebenfalls aus dem Gestrüpp.

"Keine Klagen! Wir müssen langsam den Markt finden."

"Hetz mich nicht so!" Alan befreite sich von einem besonders anhänglichen Ast.

"Naja... Da geht's lang." Ryko deutete nach rechts.

"Ich folge deinen Spuren..."

"Seufz", kam es nun von Ryko.

"Wieso 'seufz'?"

"Aus verschiedenerlei Gründen."

"Die wären?"

"Einmal, daß ich immer alles machen darf - vom Ausdenken bis Tun - und zum zweiten..." Er machte eine Pause, ehe er noch tragischer seufzte. "Kary ist immer noch verschollen..."

Alan warf Ryko einen verzweifelten Blick zu, trottete dann aber einfach hinter diesem her. Wenn die ganze Sache doch schon vorüber wäre...

"Hm." Ryko spähte durch die Büsche (es waren welche mit niedlichen orangenen Blüten), die den Wald säumten. "Da hinten soll es sein." Er deutete auf einen vereinzelt stehenden Gebäudekomplex.

"Na dann voran!"

"Immer ich..." Ryko leistete der Aufforderung dennoch Folge.

"'Immer ich'?" wiederholte Alan. "Du wolltest es so!"

"Seufz!"

"Tse", machte Alan.

"Wir sollten uns trennen."

"Wie du meinst." Alan blieb stehen, während Ryko weiter in Richtung Haus wanderte. Sein Bruder näherte sich dem Gebäude auf einem anderen Weg.

Am Eingang fragte eine ausgesucht hübsche, aber ziemlich dümmlich wirkende Lady das Codewort ab, welches Ryko vor drei Tagen übermittelt worden war. Anstandslos durfte er passieren.

Im Inneren des Gebäudes herrschte eine angenehme Club-Atmosphäre vor. Auch Alan kam problemlos hinein, da Ryko ihm das Codewort genannt hatte. Er betrat ebenfalls den Vorraum. Dort waren vielleicht zwei Dutzend Interessenten beiderlei Geschlechts vertreten, die allesamt überaus elegant und teuer gekleidet waren und gespannt auf die Vorführung der Modelle warteten. Aus den Gesprächen der Umstehenden erfuhr Ryko, daß es sich heute um elf Hochleistungsandroiden und als Höhepunkt um vier menschliche Diener handelte.

(Diener - durch Hypnose und Ähnliches gefügig gemachte Menschen; ein absolutes Vergehen gegen alle Gesetze.)

Alan sah sich unauffällig um. Es war ihm lieber, wenn er über die Örtlichkeiten genauestens Bescheid wußte. Gerade wurden Hors D'Oevres von einigen knapp bekleideten Diener/inne/n gereicht.

Alan warte gespannt auf die Vorführung, wobei er sich möglichst von allen anderen Gästen fernhielt, da er keine Lust hatte, sich in ein Gespräch einzulassen.

Endlich kam ein hübscher junger Mann und winkte den Anwesenden zu, ihm zu folgen. Die etwa zwei Dutzend Personen - einige davon mit Vollkörper-Holos zur Tarnung - strömten in den angrenzenden Raum, Ryko inmitten unter ihnen. Alan mischte sich ebenfalls unter die Leute, verschwand dann aber gleich wieder im Hintergrund, was in diesem Raum einfacher war, da er nur schwach beleuchtet wurde. Eine Art Bühne befand sich an einer Seite, und auf diese war ein helles Spotlight gerichtet.

Nun trat eine ältere Dame auf das Podium und wurde von dem Lichtkegel erfaßt.

"Ich wünsche Ihnen einen Guten Abend, meine verehrten Damen und Herren. Wie üblich will ich mich und Sie nicht mit langen Vorreden langweilen. Daher stelle ich Ihnen sogleich unser erstes Model vor: Kenmelar, ein vielseitig programmierter Allround-Androide!"

Wie von Geisterhand stand plötzlich ein kupferhaariges männliches Wesen neben ihr im Rampenlicht. Kenmelar war nur in eine Art Badehose gehüllt und schaute erwartungsvoll in die Runde, wie es seine Programmierung vorschrieb.

Alan war ausgesprochen wütend Das war... Ihm fiel kein passendes Wort dafür ein. Auf jeden Fall würde er dafür sorgen, daß das so schnell wie möglich aufhörte!

Ryko ging es ähnlich. Es war entwürdigend! 'Viehhandel!' war das erste, was ihm dazu einfiel. Und er mußte tatenlos zusehen...

Die Gebote setzten zunächst zögernd ein, aber dann ging Kenmelar für 9 Millionen Credits an eine recht guterhaltene Mittsechzigerin. Als nächstes wurde ein Androidenmädchen mit langen, goldenen Locken und goldbraunen Augen vorgeführt, das lediglich in einen äußerst knappen Tanga gewandet war. Alan mußte sich schwer zusammennehmen, um die Auktion gelassen betrachten zu können. Es war abscheulich! Wenn er sich vorstellte, wie es wäre, wenn er dort oben stünde... Entsetzlich!

Die Androidin wurde für nur 8 Millionen Credits an einen schmierig wirkenden älteren Mann verscherbelt. Nun kam eine weitere Lady (mit kurzen, dunkelmetallicblauen Haaren und gleichfarbigen Augen) zur Versteigerung. Ryko war empört und gleichzeitig froh darüber, daß ihm eine solche Bestimmung erspart geblieben war. Im Prinzip war er seinem Schicksal dankbar, daß er von Karylla zusammengebastelt worden war. Wäre er bei einen dieser Verbrecher entstanden - es wäre nicht auszudenken!

Alan war inzwischen so wütend, daß er die armen Opfer am liebsten befreit hätte. Ja, wenn er auch nur die geringste Chance sehen würde, daß es gelingen könnte... Aber zur Zeit sah es nicht besonders gut aus.

Als das nächste bedauernswerte Androidenmädchen angeboten wurde (sie war eine kupfermähnige Schönheit mit smaragdfarbenen Augen und einem ebenso colorierten Mini-Bikini), steigerte Ryko kurzerhand mit. Selbst wenn er nur eine befreien konnte, war das besser als nichts!

Die Auktion ging weiter. Alan wünschte mittlerweile, er hätte niemals von diesem 'Markt' erfahren, denn so tatenlos dabeizusein, war einfach grausam...

Irgendwann hatte Ryko den Zuschlag, wovon er selbst mehr als nur irritiert war. Also war er nun der glückliche Besitzer Ivrashars, wie der Name der niedlichen Kupferhaarigen lautete. Alan betrachtete die Situation mit nicht weniger gemischten Gefühlen. Aber wenigstens würden sie nun wenigstens eine Androidin vor diesem Schicksal bewahren...

Ivrashar ging unterwürfig zu Ryko hinüber.

"Was wünscht Ihr, daß ich tun soll, Meister?" fragte sie strikt nach Programm. Ryko starrte sie entsetzt an, bemühte sich dann aber, seine Reaktionen so weit wie möglich vor den Blicken der anderen zu verstecken.

"Nichts, Ivrashar", meinte er. "Äh, doch, nenne mich bitte nicht 'Meister'!" Hoffentlich kamen sie hinter die Drahtzieher dieses Grauens!

"Wie Ihr es wünscht, mein Gebieter." Sie ließ sich ergeben zu Rykos Füßen nieder. Alan fand Ivrashars Verhalten ekelhaft, schließlich war es nicht ihr freier Wille. Er mochte sich nicht vorstellen, was hinter ihrer Motivationssperre in ihr vorging.

Ryko beglückwünschte sich unterdessen dazu, daß er für bestimmte Situationen voll auf Programm umschalten konnte, sonst hätte er nicht für seine Aktionen garantieren können. So machte er jedoch mühelos gute Miene zum bösen Spiel, während die Versteigerung weiter andauerte.

Alan war froh, daß es im hinteren Teil des Raumes ziemlich dunkel war. Es war so schwer, sich zusammenzunehmen, auch wenn er sich bemühte, eine ausdruckslose Miene beizubehalten.

Schließlich kam der 'interessante', weil noch illegalere Teil der Veranstaltung: die vier menschlichen 'Dienen' standen zum Gebot. Hier fing die Auktionatorin bei 15 Millionen Credits als Minimum an.

Die Typen wußten, wie man an Geld kam, dachte Alan. Er fand Sklaverei aller Art grauenhaft, und als er mithörte, wie sich zwei 'Kunden' vor ihm über der raschen 'Verschleiß' bei menschlichen Dienstboten unterhielten, war er erst recht schockiert.

Ryko wünschte sich bereits seit geraumer Zeit weit, weit fort. Diese ...Verirrungen waren mehr als nur pervers! Er beschloß jedoch, zumindest noch so lange auszuharren, bis der nächste Termin genannt wurde. Dann könnte er vielleicht einfach der Polizei einen Tip geben... Dummerweise würden die hier bestimmt nur irgendwelche Strohmänner erwischen... Ob es etwas brächte, wenn er sich an diese Auktionatorin hängte?

Bedauerlicherweise hatte er jedoch zur Zeit Ivrashar am Hals, und bis er die nicht von ihrer Motivationssperre befreit hatte...

Endlich hatte die Qual ein Ende, und die Auktionatorin verkündete den nächsten Termin in einer Halbwoche - mit brandneuer, heißer Ware, wie sie versicherte. Ryko glaubte ihr jedes Wort. Er guckte flehend zu Alan herüber.

Kannst du versuchen, ihr zu folgen? fragte er über Funk. Ich habe ein anderes Problem...

Alan lachte. EM>Das sehe ich! - Ich werde mein Bestes tun.

Danke, kam Rykos akustisch unhörbarer Stoßseufzer. Warum immer er? Alan machte sich unverzüglich daran, der Lady zu folgen, während Ryko mit seiner Errungenschaft davonzog. Ivrashar schlang natürlich sofort einen Arm um seine Mitte, da es ihr Programm vorsah, jedweden männlichen Käufer auf alle erdenkliche Art zu verwöhnen. Als Ryko sie sanft aber bestimmt von sich schob, guckte sie erstaunt.

"Nein, Ivra, das bist nicht du", erklärte Ryko bestimmt. Die Androidin sah ihn schmachtend an. "Ich glaube, du weißt selbst am besten, was mit dir los ist, immerhin wirst du von deinem Programm und der Motivationssperre gezwungen, auf diese Art zu handeln." Ryko seufzte, als Ivrashar sich verführerisch an ihn schmiegte. "Ich glaube, es liegt einige Arbeit vor uns... Komm bitte mit, Ivrashar."

Unterdessen verfolgte Alan die Auktionatorin bis zu einem exklusiven Vorort von Ekvajar, wo sie in einem Appartementhaus verschwand. Nachdem er ihre Appartementnummer und ihren Namen in Erfahrung gebracht hatte, machte er sich wieder auf den Rückweg.

* * *

Ryko war kurz zur Lightning gesprungen, hatte einen TM-Gürtel für Ivrashar geholt und war mit dieser zurück auf das Schiff gesprungen, wo er sie ins Bordlabor führte. Dort angekommen, aktivierte zunächst die Engineering-Konfiguration.

Die Androidin starrte Ryko an wie ein göttliches Wesen, und dieser schaute verstört zu Boden. Was sollte er nur tun? Am besten, er scannte erst einmal Ivras Programmierung.

Als er sie auf dem Labortisch abgelegt hatte, hatte sie natürlich nichts besseres zu tun, als ihn in eindeutiger Manier zu sich herunterzuziehen. Nur mit Anstrengung gelang es Ryko, sich wieder zu befreien.

Inzwischen war auch Alan wieder auf die Lightning transmittiert. Er suchte und fand seinen Bruder im Bordlabor, wo er amüsiert dessen Kampf mit der Androidin betrachtete. Er blieb grinsend in der Türe stehen.

"So hilf mir doch, Alan!" rief Ryko panisch, als er Alan erspähte.

"Wieso?" fragte dieser scheinheilig.

"Sie hat unlautere Absichten!"

Alan lachte. "Tse - und das gefällt dir nicht?"

"Sie ist darauf programmiert worden und hat gar keine andere Wahl!"

"Stimmt auch wieder. Du willst dir das ansehen?"

"Richtig - wenn sie mich nicht hier auf der Stelle vernascht... Laß das, Ivra!" Ryko schlug ihr leicht auf die Finger und verschloß die Front seines Coveralls wieder. "Ich will - äh, muß - diese Motivationssperre desaktivieren, damit sie endlich frei entscheiden kann!"

"Und warum tust du es nicht?"

"Willst du es versuchen?" Ryko pflückte ihre Hände erneut vom Verschluß seines Coveralls ab.

"Sie gehört dir, nicht mir!"

"Seufz..." Ivrashar startete schon wieder eine Attacke, um Ryko zu einigen bestimmten Aktivitäten zu überreden. Alan grinste und betrat schließlich das Labor, um sich das Androidenmädchen einmal aus der Nähe anzusehen. Ryko war derweil die Eingebung gekommen.

"Ivrashar, du bleibst jetzt ruhig liegen!" befahl er.

"Wie Ihr es wünscht, mein Gebieter." Sie tat wie ihr geheißen.

Die Lady war in der Tat ganz süß, befand Alan und lehnte sich an die Wand, um Ryko und Ivrashar zu betrachten.

Nachdem er sie kurzfristig desaktiviert hatte, war Ryko endlich in der Lage, den Scanlauf zu fahren, der ihm die Infos über die Motivationssperre ermitteln sollte. Es war nur noch notwendig, die erhaltenen Daten zu analysieren.

"Sollte doch machbar sein", kommentierte Ryko nach einem Blick auf die Auswertung, und Alan nickte.

"Es scheint nicht allzu kompliziert zu sein."

"Also an die Arbeit!" Hoffentlich stellte Ivrashar danach die Annäherungsversuche ein, dachte Ryko.

Etwa 50 Minuten später waren sie soweit.

"Es müßte eigentlich geklappt haben", bemerkte Alan.

"Okay." Ryko aktivierte Ivrashar wieder, und sie schlug die Augen auf.

"Endlich bin ich diese verdammte MS los", seufzte sie. "Danke!" Da Alan und Ryko jeweils rechts und links neben dem Labortisch standen, war nur ein kurzer Griff nötig, und Ivrashar zog beide zu sich herunter, um erst Ryko und dann Alan hingebungsvoll zu küssen.

Alan sah die Frau entsetzt an und wich erst einmal zurück.

"Ähm", machte Ryko peinlich berührt. "Ivra, ich glaube, ich sollte sich darauf hinweisen, daß ich bereits fest gebunden bin..."

"Ich gehe mich umziehen", verkündete Alan und flüchtete.

Die Androidin seufzte und blickte ihm hinterher, ehe sie sich wieder zu Ryko wandte. Sie maß ihn mit einem abschätzenden Blick.

"Das mit dir ist bedauerlich. - Aber was ist mit ihm?" Sie deutete auf das Schott, hinter dem Alan verschwunden war.

"Keine Ahnung. Frag ihn am besten selber."

"Das werde ich tun..."

Alan hatte sich sicherheitshalber im Bad eingesperrt, denn dort - so hoffte er - hatte wenigstens seine Ruhe. Die Verkleidung war momentan wohl nicht mehr notwendig, also entledigte er sich dieser erst einmal und machte sich wieder als Hawk of Dawn zurecht (sehr helle Haut, metallicschwarze Haare und gelbliche Raubvogelaugen).

Ryko überlegte kurz, wie er Ivrashar beschäftigen konnte, damit er sich ebenfalls von seinem Make-Up befreien konnte.

"Ivra, da hinten ist unser Nahrungsmittelsynthetisizer - wenn du also Hunger hast... Ich muß mich nur rasch umziehen." Er verschwand in seinem Quartier.

Die Androidin zuckte mit den Schultern und beschloß, daß es tatsächlich sinnig wäre, sich erst einmal zu stärken.

Alan hatte sich nun endlich entschlossen, das Bad doch wieder zu verlassen, schließlich konnte er nicht ewig dort bleiben. Er begab sich in den Leitstand der Lightning, wo er zu seinem Unglück Ivrashar alleine antraf, da diese nach ihrer Mahlzeit ebenfalls dorthin gewandert war.

"...und was ist mit dir?" fragte sie erwartungsvoll und trat einen Schritt auf ihn zu.

"Was soll mit mir sein?" fragte Alan verdutzt.

"Du gefällst mir. Wollen wir nicht ...Freunde werden?"

Er sah sie mißtrauisch an. "Wie kommst du darauf?"

"Du gefällst mir eben. - Wieso... gefalle ich dir nicht?" Sie sah ihn aus tieftraurigen Smaragdaugen an.

"Doch", gab Alan knapp zu.

"Nun?" Ivrashar schmachtete ihn an. "Ich bin dir ja soooo dankbar, daß du mich befreit hast..."

"Das war ganz bestimmt nicht meine Idee."

"Nein?" Ivrashar sah ihn verletzt an.

"Nein! Ich war nur die Leibwache."

"Oh! Aber der andere hat ja gesagt, er wäre schon gebunden... Und wenn ich nur mit dem Leibwächter vorlieb nehmen muß - So soll es sein..."

"Und wenn ich auch schon 'gebunden' wäre?"

"Das wäree ja furchtbar! - Sind Sie es denn?"

"Kommt drauf an."

"Meinen Sie, dies wäre so, wenn Sie mir Ihre Gunst schenkten?"

"Nein, das meine ich nicht. Entschuldigen Sie, ich habe noch zu tun." Alan ging zur Tür. Er wollte hier weg! Ivrashar sah hinter ihm her und schniefte tragisch, doch er gedachte nichts zu hören und machte sich auf die Suche nach Ryko.

Dieser war ebenfalls mit seiner Entmaskier-Aktion fertig und hielt sich unauffällig in seinem Quartier versteckt. Alan ließ auf seinem Weg äußerste Vorsicht walten, da er ihr bestimmt nicht zu begegnen wünschte. Vor Rykos Tür blieb er stehen und betätigte den Summer.

"Wer da?" erklang es mißtrauisch aus der Gegensprechanlage.

"Wer schon?" fragte Alan ärgerlich zurück.

"Okay..." Die Tür glitt auf und gab den Blick auf einen höchst funktionell eingerichteten Raum frei. Alles war in Silber, Weiß und Violett gehalten (ebenso wie Ryko, jetzt wieder in seinem Infinity-Outfit), und es schien hier kein bißchen unnötigen Krimskram zu geben. An der linken Wand befand sich ein monumentaler Schrank, in dem Ryko noch weitere Maskeraden und Ausrüstungsgegenstände aufbewahrte. Die Wand direkt neben der Tür wurde von einer Art Vitrinenschrank bedeckt, in dem unzählige Speicherkristalle lagerten, und an der rechten Seite stand ein ziemlich großer Tisch, auf dem einige Werkzeuge und eine säuberlich zerlegte Steuereinheit eines Ultraraumschubverstärkers lagen, sowie zwei Schwebesessel. Ansonsten gab es nur noch ein im Augenblick an die Wand geklapptes Bett in dem Zimmer, daß nur gebraucht wurde, falls Karylla sich einmal in sein Quartier begab und neben diesem eine Tür zum Bad.

Alan betrat die Kabine, sah sich aber vorsichtshalber noch einmal im Flur um.

"Tür zu", sagte Ryko, und das Schott tat eben dieses. "Was sollen wir nur mit ihr machen?" fragte er ratlos. "Ja ja, ich weiß, daß es eine verdammt blöde Idee war..."

"Aber sie mir dann auf den Hals hetzen!" empörte sich Alan.

"Ich mußte mich noch umziehen, und du warst schon fertig."

"Das ist kein Grund!"

"War es so schlimm?"

Alan warf seinem Bruder einen wütenden Blick zu.

"Aber was machen wir nun mit ihr?"

"Das ist dein Problem. Sie gehört dir."

"Seufz... Hm." Ryko überlegte einen Moment. "Hast du denn überhaupt keinen Vorschlag?"

"Nein. Ich bin nicht in der Lage, darüber nachzudenken."

"Warum das nicht?"

"Weil alles, was mir zum Thema Ivrashar einfällt, nicht in Frage kommt. "

"Was wäre das denn zum Beispiel? Ich bin für jede Lösung dankbar."

"Ich würde sie am liebsten irgendwo aussetzen."

"Hm. Aber das ist es doch!" Ryko war die Idee gekommen.

"Wie?"

"Wir kaufen ihr eine Wohnung, organisieren Papiere etc. - und dann sind wir sie los!"

"Daran kann ich nicht glauben."

"Wo soll denn der Haken liegen?"

"Weiß nicht, aber ich habe ein ungutes Gefühl."

"Wir sollten einfach aus ihren Speicher löschen, daß sie weiß, daß sie eine Androidin ist und daß wir sie freigekauft haben. Wenn wir sie einfach mit einem komplett neuen Background und falschen Erinnerungen versehen - wo liegt dann das Problem?"

"Hm. Solche Manipulationen gefallen mir nicht. Aber es ist deine Entscheidung."

"Ich weiß, daß es nicht die feine Art ist... Hm. Wir könnten Ihr auch lediglich eingeben, daß sie von einem Unbekannten freigekauft wurde und ihr so die Möglichkeit geben, selbst eine neue Existenz aufzubauen."

"Ich halte mich da ganz raus", meinte Alan, obwohl er einsah, daß Ryko recht hatte.

"Du bist keine große Hilfe", beschwerte sich dieser.

"Habe ich das je von mir behauptet?"

"Ich hatte zumindest gehofft, von dir als meinem 'großen Bruder' wenigstens ein kleines bißchen Unterstützung zu erhalten."

"Ich kann dir aber nicht helfen - zumindest dabei nicht. Ich komme ja nicht mal mit meinen eigenen Problemen zurecht."

"Du hast Probleme?" Ryko starrte ihn entgeistert an.

"Nein, wie kommst du darauf?" sagte Alan ironisch.

"Meinst du, weil Stardust verschwunden ist?"

"Nicht nur."

"Oh." Ryko runzelte die nun wieder schneeweiße Stirn. "Ich weiß nicht, ich hätte nie gedacht, daß du irgendwelche Probleme haben könntest."

"Warum nicht?" fragte Alan.

"Hm... Du wirkst einfach nicht wie jemand, der Probleme haben könnte... Dein ganzes Auftreten vermittelt diesen Eindruck." Die Tatsache, daß er in Alan wirklich einen großen Bruder sah, erwähnte er lieber nicht. So jemand hatte eben einfach keine Probleme.

"Ach, ich wirke nicht so... Gerade du müßtest doch wissen, daß es leicht ist, sich zu verstellen."

"Sicherlich - aber trotzdem... Du latschst nicht permanent in irgendwelche Fettnäpfchen, weil dir offenbar ein guter Teil der Programmierung fehlt, und außerdem bist du dreizehn Jaahre älter als ich."

"Ach? Ich 'latsche' vielleicht nicht so oft in Fettnäpfchen, aber trotzdem mache ich viel falsch. Ich bin zwar älter, aber ich habe garantiert weniger Erfahrung als du, was das Leben unter Menschen betrifft. Ich hatte die ganze Zeit eigentlich nur Auftritte, und ich war nie lange genug an einem Ort, um mir um irgendwelche Sachen Gedanken zu machen."

"Hm?" Ryko sah ihn mit großen Augen an. "So habe ich das noch gar nicht betrachtet", meinte er nachdenklich.

"Ich schon. Ich habe Angst, irgendwelche Entscheidungen zu treffen, weil ich die Konsequenzen nicht übersehen kann."

"In welchem Zusammenhang?"

"Im allgemeinen. Ich drücke mich eben."

"Das ist aber auch nicht die ideale Lösung." Ryko dachte nach. "Ich glaube, ich handele, auch wenn ich das Ergebnis nicht unmittelbar absehen kann. Vermutlich ist das der Grund dafür, daß ich ständig soviel Mist baue..." Siehe Ivrashar, dachte er säuerlich.

"So schlimm ist es doch auch nicht", meinte Alan und grinste Ryko an.

"Seufz..." Ryko sah in Richtung Tür. "Naja..."

"Bis auf eine Ausnahme." Alan dachte mit Grausen an diese Person.

"Ich werde sie am besten sofort umprogrammieren. Was hältst du von einem Appartement in Lakria für sie und einem Job als Empfangsdame?"

"Hauptsache nicht in unserer näheren Umgebung. Aber wie willst du sie dazu bringen?"

"Wie erwähnt. Wir kaufen das Appartement, arrangieren das mit dem Job - der Computer der Arbeitsvermittlung sollte doch irgendwie zu überreden sein - löschen den gefährlichen Part von Ivrashars Erinnerungen und setzen sie dort ab."

"Die Frage ist, wie willst du sie umprogrammieren?"

"Kein Problem. Ich habe die entsprechende Ausrüstung im Engineering-Labor."

"Und wie bekommen wir sie dahin? Nach unserem Verhalten dürfte sie zumindest mißtrauisch sein."

"Kein Problem. Wir gehen jetzt ins Labor und basteln einfach etwas. Sie wird kommen."

"Unzweifelhaft."

"Na denn..." Ryko ging zur Tür und lugte hindurch. "Wir haben freie Bahn!"

"Seufz!"

Die beiden Männer stahlen sich in Richtung Bordlabor. Sowas auf seinem eigenen Schiff, dachte Ryko tragisch. Naja, er würde den 'feindlichen Eindringling' baldigst entfernt haben...

* * *

Im Bordlabor sah sich Alan nach etwas um, mit dem er sich beschäftigen konnte. Er wußte schon, warum er nie jemanden auf sein Schiff mitgenommen hatte, Stardust mal ausgenommen. Aber das war ein Notfall gewesen. Das Labor wirkte eigentümlich leer.

"Hm, was machen wir denn mal?" überlegte Ryko laut.

"Es wird sich schon etwas finden lassen." Alan blickte sich suchend um.

"Ich meine das Fachgebiet! Chemie? Physik? Engineering?"

"Hm. Such dir was aus!"

"Gut. Konfiguration Engineering", sagte Ryko, und die Laboreinrichtung setzte sich auf einmal in Bewegung, und es kam die komplette Ausstattung eines Engineering-Labors zum Vorschein. Alan betrachtete den Vorgang fasziniert.

"Nun denn... Was also?"

"Seufz", machte Alan und dachte darüber nach.

Ryko ging in Gedanken alle offenen Projekte aus dem Engineering-Bereich durch. Der Mental-Scanner war noch eine bloße Idee Karyllas, die Möglichkeit, einen mecon-Sender/Empfänger zu konstruieren, war noch nicht einmal richtig durchdacht...

"Ich arbeite momentan an einer neuen TM-Einheit", sagte Alan schließlich.

"Das wäre doch schon etwas. Die Sachen, an die ich denke, sind leider gerade mal im ersten Planungsstadium - ob nun Mental-Scanner oder mecon-Technologie... Das einzige, was ich an wirklich bastelwürdigen Sachen hier habe, sind Opto- und Mikroflektor, die dringendst der Miniaturisierung bedürfen..."

Dazu habe ich auch keine Idee. Die Energiezellen haben nun einmal ihre Größe."

"Hm. Und was ist mit deiner TM-Einheit?"

"Die bedarf einer verbesserten Projektoreinheit. Ich hatte noch keine Zeit dazu."

"Na gut. Was willst du erreichen?"

"Ich brauche ein Feld, das ein Schiff perfekt umspannt."

"Das ist doch eigentlich ein triviales Problem der linearen Optimierung", stellte Ryko fest.

"Natürlich. Aber fällt dir was besseres ein?"

"Hm. Aber für den Krempel brauchen wir nicht im Labor herumzuhängen. Das rechne ich dir sogar ohne Bordcomputerunterstützung aus."

"Ach? Das kann ich durchaus alleine. Aber wer wollte denn ins Labor?"

"Ivrashar, wie ich hoffe. Und dann ab mit ihr ins Land der Träume..."

"Ich fühle mich wie ein Wurm an der Angel."

"Naja, solange wir damit den Fisch fangen..."

"Seufz!"

Ryko setzte sich an eine Werkbank und begann, die Justierung der Schneidelaser zu überprüfen, und Alan spielte ebenso gelangweilt mit diversen Werkzeugen herum.

Schließlich klopfte es zaghaft am Schott. Ryko hob eine Augenbraue. Es klopfte? Auch Alan blickte irritiert zur Tür.

"Ja, bitte?" meinte Infinity.

"Darf ich hereinkommen?" erklang es beinahe kläglich. Alan seufzte tief und beschäftigte sich weiter mit dem Werkzeug.

"Ja, kommen Sie nur, Ivra." Ryko machte rasch ein paar Schritte, um in eine günstige Abfangüposition zu gelangen, und Alan sah fatalistisch auf.

Die Androidin stürmte ins Labor. Ihr erster Blick fiel auf Alan, und sie wollte gerade zu ihm gehen, als Ryko sie von hinten festhielt. Da Ivrashar nicht damit gerechnet hatte, war es ihm möglich, seinen Griff so zu arrettieren, daß auch ihre Androidenkräfte nichts mehr nutzten.

"Okay, Alan, den Schalter!"

Alan stand auf und betätigte ihren aus-Schalter, der sich hinter einer Wartungsklappe zwischen den Schulterblättern befand. Ivrashar verharrte bewegungslos, und Ryko bugsierte sie auf die Liege, die er vom Bordcomputer herbeibefahl.

"Okay, Alan, könntest du dich um die Bleibe und den Job für sie kümmern? Ich werde die Programmierung etwas abändern, damit sie sich nicht immer sofort auf jedes männliche Wesen stürtzt, das sie erblickt."

"In Ordnung." Er begab sich an das Computerterminal im Labor, dann zögerte er. Ryko?"

"Ja?"

"Wie soll ich da reinkommen?"

"Oh. Bordcomputer, laß Alan bitte dran, Code 3!" Code 3 waren begrenzte Zugriffsrechte, denn Ryko hatte keine Lust, dauernd darüber zu wachen, daß Alan auch wirklich nur das tat, was er tun sollte.

"Vielen Dank", meinte Alan und machte sich an die Arbeit. Auch Ryko war nicht untätig. Eine Viertelstunde später hatte er Ivrashar entsprechenden präpariert.

"So, ich hab's", verkündete Alan.

"Ich bin ebenfalls so weit. - Dann wollen wir mal. Ryko holte ein paar einfache Kleidungsstücke für Ivrashar und streifte sie ihr über, dann schnallte er ihr einen zusätzlichen TM-Gürtel um. "Wohin?"

"Lakria", antwortete Alan und programmierte die Koordinaten.

Wenige Minuten darauf waren sie Ivrashar los und wieder auf der Lightning.

* * *

3763/02/50 GZ - Einer der Wächter macht sich einen Spaß daraud, Stardust und Blackfire zu quälen, alleine aufgrund der Tatsache, daß es sich um eben die beiden handelt. Er erzählt diverse Schauermärchen, was die in der Abteilung 12 mit ihnen vorhaben...

* * *

3763/02/50 GZ

Es war bereits weit über Mitternacht, und Ryko steuert auf den Nahrungsmittelsynthetisizer zu, wo er sich einen - diesmal regenbogenfarben schillerenden - Special Cocktail orderte.

"Darauf mußt ich erst einmal einen trinken", war sein Kommentar. Alan grinste.

"Prost."

"Danke... - Seufz, warum passiert immer nur mir so etwas?"

"Was?" fragte Alan scheinheilig.

"Alles..." Seltsame ...Etablissements und naoch seltsamere Ladies..."

Alan grinste ihn an.

"Du hast es doch gut überstanden."

"Aber wie..."

"Es war durchaus akzeptabel, wie du dich verhalten hast. Und bleibende Schäden hast du auch nicht behalten."

"Hm-hm", machte Ryko zweifelnd.

"Auf was bezieht sich das?"

"Ich bin sicher, Karylla wird anderer Meinung sein."

"Muß sie es denn wissen?"

"Am besten auf gar keinen Fall. Nur - sie wird es wissen..."

"Hm?"

"Naja, einmal hat sie mich gebaut, zum zweiten programmiert, und zum dritten sind wir seit mittlerweile sieben Jahren zusammen."

"Und?"

"Sie kennt mich einfach zu genau!"

"Bist du denn anders als vorher?"

"Tja... Ich selbst kann das nicht so gut beurteilen, fürchte ich. Aber da meine Programmierung extrem lernfähig ist, gehe ich davon aus, daß ich inzwischen eine ziemliche Menge neuer Reaktionen dazugelernt habe, die vorher nicht implementiert waren. Und das wird sie merken."

"Hm." Alan sah ihn zweifelnd an. "Wenn ich das geahnt hätte... Ich hätte dich nicht überall hinschleppen sollen, und der Datentransfer..."

"...ist nicht mehr rückgängig zu machen", sagte Ryko mit einem schiefen Grinsen.

"Dummerweise wird sie sofort wissen, von wem du das hast."

"Das steht zu befürchten."

"Ich werde ihr möglichst nicht begegnen!"

"Das ist mir sowieso lieber, wie du wissen dürftest..."

"Seufz. Wie lange willst du mir das noch vorhalten?"

"Naja... Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme."

"Aber völlig unnötig!"

"Dein Wort darauf?"

Alan zögerte.

"Nun gut", meinte er dann. "Ich gebe dir mein Wort."

"Danke." Zum ersten Mal war Ryko halbwegs beruhigt, was Alans 'Beziehung' zu Karylla betraf.

"Ist die Sache jetzt damit erledigt?"

"Bis auf weiteres - ja."

"Seufz!" machte Alan erleichtert. Ryko hob die Augenbrauen und sah Alan unschuldig an. "Womit habe ich das verdient?" fragte dieser gestreßt.

"Tyron hat dich auf Firestar programmiert."

"Leider!"

"Wieso das? Also, ich hätte mir das äußerst amüsant vorgestellt..."

"Ich würde liebend gerne tauschen!"

"Tauschen? Hm." Ryko überlegte. "Nein, ich glaube, das wollte ich nicht."

"Siehst du."

"Stimmt. Da hast du einen Punkt. - Nebenbei, ich hoffe, die Tatsache, daß du gerne mit mir tauschen wolltest, bezog sich nicht auf Karylla!"

"Nein. Die möchte ich nicht mal geschenkt!"

"So?" Ryko kniff die Augen zusammen und betrachtete Alan mißtrauisch.

"Seufz, du verstehst in der Beziehung wohl überhaupt keinen Spaß."

"Naja... Tut mir leid, aber - ach, es ist einfach seltsam..."

Alan sah ihn erwartungsvoll an.

"Ich verstehe es selbst nicht", seufzte Ryko dann.

"Naja..." meinte Alan enttäuscht. Er hätte einen tiefsinnigeren Kommentar erwartet. "Was machen wir jetzt?"

"Wir sind immer noch so gut wie keinen Schritt weiter", stellte Ryko fest.

"Stimmt auffallend."

"Was haben wir bislang?" überlegte Ryko. "1. Den Ort der kriminellen Tat, 2. ein Konto, auf das das Geld gebucht wird und 3. den Inhaber desselben. Tragisch ist nur, daß es sich bei diesem angeblich um eine wohltätige Stiftung handelt..."

"Wahrlich nicht viel."

"Wir sollten wohl zunächst der Stiftung auf das Konto fühlen."

"Eine andere Chance sehe ich auch nicht", stimmte Alan zu.

"Nun gut. Wie fangen wir es an?"

"Am besten begeben wir uns direkt dorthin."

"Ich folge dir unauffällig", sagte Ryko grinsend.

"Das kommt mir bekannt vor..."

"Das ist die Revanche!"

"Püh! Aber als was sollen wir uns diesmal ausgeben?"

"Edle Spender, die das Objekt erst einmal in Augenschein nehmen wollen."

"Gut. Verwandeln wir uns erst einmal in solche!"

Die beiden verschwanden und kleideten sich um. Ryko kam ganz in metallicgrün mit goldenen Haaren hervor. Alan verzog bei Rykos Anblick das Gesicht. Goldene Haare! Er war diesmal ganz in metallicblau gewandet.

Sie transmittierten nach Skuntreja, der shanjirischen Hauptstadt, wo die bewußte Organisation situiert war.

* * *

Zielsicher betrat Alan das Büro der Stiftung zur Förderung genkranker Kinder. Eine freundlich lächelnde Empfangsdame fragte sie nach ihrem Anliegen.

"Wir würden uns gerne darüber informieren, welche Ziele Sie genau verfolgen", erklärte Alan.

"Und weshalb interessiert Sie das, Monsieur?" erkundigte sich die Empfangsdame höflich. "Wir beabsichtigen, Ihrer Stiftung eine gewisse Summe zukommen zu lassen,

und wir möchten natürlich wissen, ob das Geld gut angelegt wird."

"Selbstverständlich. Warten Sie bitte einen Moment, ich denke, daß der hiesige Vorsitzende oder sein Stellvertreter zur Zeit nicht so sehr beschäftigt sind... Er wird Sie sicherlich gerne empfangen."

Alan lächelte sie an. Endlich mal ein Lichtblick, dachte er. Er hatte schon befürchtet, sie würden mit einem weiteren Termin abgespeist werden... Die Empfangsdame sprach leise in ein Mikrophon an ihrem Tisch.

"Sie haben Glück", strahlte sie anschließend. "Monsieur Leroux ist gerade abkömmlich! Folgen Sie der blauen Bodenmarkierung zu seinem Büro." Die Frau tippte auf einen Sensor ihres Pultes, und ein tiefblauer Streifen leuchtete im Boden auf.

Alan und Ryko folgten dem Wegweiser, während leise Musik im Hintergrund dudelte. Irgendwann erreichten sie ein Büro, und die Tür öffnete sich, kaum daß sie den Erfassungsbereich erreichten. Monsieur Leroux erwartete sie bereits.

"Guten Tag, Messieurs. Ich wurde unterrichtet, daß Sie eventuell beabsichtigten, die Stiftung zu unterstützen?"

"Stimmt", erwiderte Alan. "Aber wir wollten uns vorher noch ein wenig über Ihre Arbeit informieren."

"Das ist natürlich verständlich. Also - was möchten Sie gerne wissen?"

"Wie Sie das Geld der Spenden verwenden..."

"Ich habe für solche Fragen ein kleines Demo vorliegen..." Leroux tippte auf einen Sensor, und sogleich erschien ein Holorama im Raum, das den vielfältigen Einsatz der Gelder der Stiftung darstellte. Alan betrachtete es aufmerksam.

"Sehr interessant."

"Allein im letzten Monat haben wir über 140 Heime, Rehab-Zentren und Schulen unterstützt", fügte Leroux hinzu.

"Das erscheint mir überaus überzeugend", bemerkte Alan, und Ryko nickte zustimmend.

"Das freut mich zu hören. - Ähm, wieviel würden Sie denn gerne anlegen?"

"Wir dachten an zwei Millionen. Eine Verwandte von mir ist durch ein genetisch bedingtes Leiden betroffen, und da sie in einem der von Ihnen unterstützen Heime lebt..." Alan erzählte lang und breit vom Schicksal dieser Verwandten...

Monsieur Leroux hörte höflich und aufmerksam zu; schließlich wollte er solch einen großzügigen Spender nicht verärgern. Dennoch war er mehr als erleichtert, als Alans Redefluß verebbte.

"Ich bin sicher, daß Sie sehr viel Gutes mit Ihrem Geld ermöglichen", erklärte Alain Leroux salbungsvoll, und Alan lächelte erfreut. Hauptsache, sie kamen an die gewünschten Informationen...

"Könnten Sie mir bitte ein Prospekt mitgeben, wo alles noch einmal genau erläutert ist?" mischte sich zum ersten Mal Ryko ein. "Ich denke, daß meine Schwägerin unter Umständen auch für eine kleine Spende gewonnen werden könnte, wenn ihr nur die Beispiele Ihrer Arbeit vorgeführt werden könnten..."

"Aber selbstverständlich!" Der Stiftungsvorsitzende wühlte einen Info-Kristall hervor. "Dann danken wir Ihnen für dieses informative Gesprächen. Seien Sie

versichert, daß wir wieder von uns hören lassen."

"Auf jeden Fall", stimmte Ryko zu, als die beiden das Büro verließen.

* * *

Auf der Lightning ließ sich Alan in einen Sessel fallen. Also, bis jetzt hatte das Ganze noch rein gar nichts gebracht...

Ryko transportierte den Info-Kristall triumphierend zu einem Lese-Gerät, ehe er eine kleine elektronische Unterhaltung mit dem Bordcomputer führte.

"Was machst du?" fragte Alan.

"Ich finde heraus, wer das Geld aus den Androiden-Verkäufen wirklich bekommt!"

"Aha."

"Da!" Ryko deutete auf zwei Monitore, über die je eine Zahlenkolonne huschte.

"Hm." Alan stand auf, um sich das genauer anzusehen.

"Links sind alle Überweisungen, die von der Stiftung in den letzten zwei Wochen abgingen. Zusätzlich hat der Lightning-Bordcomputer die Log-Infos des Bank-Computers kopiert, und so siehst du rechts die Institutionen bzw. Personen, die tatsächlich Geld erhalten haben."

"Eine ziemliche Differenz."

"Zumindest, was den Betrag an Credits betrifft. Somit haben wir fünf Kandidaten, die eine nähere Untersuchung verdienen."

Alan nickte. "Wo fangen wir an?"

"In diesem Fall bei 'F' wie Fkorisan, würde ich sagen."

"Und wie gehen wir diesmal vor."

"Sie ist eine Modeschöpferin... - Brauchtest du nicht eine neue Herbstgarderobe?"

"Ich?" fragte Alan erstaunt.

"Ist doch egal, wer. Hauptsache, wir haben ein Anliegen."

"Trotzdem", maulte Alan.

"Du wolltest doch schon immer einmal nach der allerneusten exclusiven Top-Mode gekleidet sein, oder?" Alan sah Ryko entsetzt an.

"Weißt du überhaupt, was hier momentan modern ist?"

"Natürlich! Für den Herrn Blazer in dunklen bzw. Metallicfarben zu den ebenso colorierten aktuellen Hosenröcken..."

"Grauenhaft!"

"Du solltest es zumindest einmal probieren. Ich als Naravino kann mir so etwas natürlich nicht erlauben, schließlich muß ich zu allen offiziellen Anlässen die Tracht und Farbe meiner Ländereien tragen..."

"Freiwillig würde ich es nicht tun. Ich mache mich nur ungern lächerlich! Hosenröcke..."

"...sind hier zur Zeit topmodisch und ganz und gar nicht lächerlich!"

"Ich werde mich aber so fühlen."

"Tragt es mit Fassung, Monsieur", meinte Ryko mit dezentem Naysyny-Akzent.

"Ich werde es versuchen."

"Dann gehen wir."

Die beiden Männer machten sich auf den Weg zum Modesalon. Alan fand allein die Idee immer noch grauenvoll, aber mangels besserer Vorschläge hielt er lieber den Mund.

Kurz darauf standen sie vor einem Gebäude aus Glas und violettem Kunststoff. Über einer monumentalen Glastür schimmerte ein Holo mit dem Schriftzug Fkorisan. Ryko machte eine einladende Handbewegung.

"Nach Ihnen, Monsieur!"

Alan murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und betrat das Haus. Sie kamen in einen weitläufigen Raum, in dem nur Herrengarderobe ausgestellt war - natürlich alles Einzelstücke. Alan fand die Kleidung bestenfalls für einen Maskenball geeignet. Unschlüssig sah er sich um. Eine beflissene Verkäuferin stürzte sich sogleich auf die aktuellen Opfer.

"Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Messieurs! Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?"

Alan musterte die Frau geringschätzig. Eigentlich wollte er ja nur so schnell wie möglich weg von hier, aber der Sache zu Liebe harrte er mit Todesverachtung aus. Sein Bruder warf ihm einen mahnenden Blick zu, und als er nicht reagierte, setzte dieser ein gewinnendes Lächeln auf.

"Mein Freund beabsichtigt, sich komplett neu einzukleiden", eröffnete er ansonsten völlig ernst, wohl wissend, daß Alan ihn in diesem Augenblick wohl am liebsten lynchen würde. Endlich riß Alan seinen Blick von einem besonders grauenvollen Kleidungsstück los und wandte sich der Verkäuferin zu.

"Ja, wären Sie so freundlich, mir einiges zu zeigen?"

"Aber gerne, Monsieur!" Sie musterte Alan eingehend und kam dann mit einem bodenlangen Hosenrock in tiefgrün mit dezenten bronzefarbenen Stickereien zurück.

"Das ist zur Zeit die Mode - und ich muß sagen, auch die augenblicklichen Modefarben dürften Ihnen ausgezeichnet stehen..." Sie drückte Alan das Teil in die Hand, nur um dazu ein schwarzes Hemd mit passenden bronzefarbenen Applikationen zu organisieren. "Probieren Sie doch einmal dieses Ensemble!"

Alan mußte sich schwer zusammennehmen, um das Geschäft nicht fluchtartig zu verlassen. Er nahm der Frau das Hemd aus der Hand und begab sich in eine Umkleidekabine.

Als er zurückkam, wurde er von zwei Augenpaaren kritisch gemustert.

"Das steht Ihnen einfach fabelhaft", erklärte die Verkäuferin enthusiastisch. Ryko nickte zustimmend und fand, daß Alan sich nicht so anstellen sollte. Das führte doch erst dazu, daß die meisten ungewöhnlichen Sachen an ihm höchst albern wirkten. Er sollte das alles einfach mit mehr Würde tragen, und außerdem sah diese Kombination gar nicht einmal schlecht aus. Die Tracht der Kämpfer von Nidivar auf Naravina sah in etwa genauso aus!

Mittlerweile hatte Alan sich etwas abgeregt, vor allem, da das Ergebnis der ersten Anprobe gar nicht so furchtbar war, wie er erwartet hatte. Aber es entsprach trotzdem nicht seiner Vorstellung von akzeptabler Kleidung.

"Nun?" fragte die Verkäuferin erwartungsvoll.

"Sehr schön", log Alan. "Das nehme ich. Was haben Sie sonst noch?"

"Oh, wir haben die komplette Fkorisan-Collection hier... Wie wäre es mit etwas für die wärmeren Tage?" Sie stürmte von hinnen und kehrte mit einer hauchdünnen goldenen, eleganten Tunika zurück. Alan nahm das Gerät entgegen und zog sich abermals um. Tuniken konnte er seit diesem Abenteuer in dem Elyx-Tempel nun überhaupt nicht mehr ausstehen. Aber er würde sich auf gar keinen Fall irgendetwas anmerken lassen.

"Wunderbar!" begeisterte sich die Verkäuferin, als er die Umkleidekabine verlassen hatte und drückte ihm auch noch eine tiefgrüne Pluderhose und einen etwa zehn Zentimeter breiten Gürtel in die Hand. "Dies können Sie dann an kühleren Tagen dazu tragen."

'Nun gut', dachte Alan und stieg nun zusätzlich in die Pluderhose. Das gefiel ihm schon besser. Als er die Kleidungsstücke vorführte, nickte Ryko zustimmend. Das konnte man problemlos tragen, überlegte er. Die Farben waren sogar die von Ost-Sdayinisa, dem Heimatland seiner 'Mutter' in der Sir Cayvyn-Identität. Vielleicht könnte er Alan ja fragen...

Schon wieder war die Verkäuferin bereit. Diesmal hielt sie einen halblangen Hosenrock in Schwarz in der Hand, dazu ein grünes Hemd, wobei beides wieder mit bronzefarbenen Stickereien geschmückt war. Erneut verschwand Alan in der Kabine. Dieser Hosenrock sah ja nun gar nicht aus, dachte er. Nein, das Ding würde er sich bestimmt nicht andrehen lassen.

Die Verkäuferin umkreiste ihn wie ein Geier die Beute.

"Ihnen steht aber auch alles!" rief sie begeistert und unterzog ihn einer neuerlichen, ziemlich intensiven Musterung.

"Das entspricht aber nicht ganz meinen Vorstellungen", bemerkte Alan. "Bringen Sie mir lieber etwas anderes.

"Oh!" Die Frau guckte tragisch, organisierte jedoch einen schwarzen Overall, der über und über mit wilden goldenen, bronzenen und ockerfarbenen Stickereien bedeckt war.

'Naja, wenigstens war es ein Overall', dachte Alan, als er sich damit im Spiegel betrachtete. Nur diese Stickereien mußten wohl von einem Irren erstellt worden sein...

"Einfach phantastisch!" Die Verkäuferin drückte ihm eine Weste aus silbernem Fell in die Hand. "Das gehört dazu. Sehen Sie, das gibt der Création erst den richtigen animalischen Touch..."

Ryko betrachtete das Ganze und verbannte seinen Kicheranfall in eine ganz weit hinten liegende Programmschublade, während er ab und zu zustimmend nickte.

'Animalischer Touch?' Alan hätte es anders bezeichnet. Außerdem sah er damit aus wie ein Fellpompon.

"Ausgezeichnet, einfach ausgezeichnet", lobte die Verkäuferin das Bild in den höchsten Tönen. "Sie sollten natürlich noch passende silberne Fellstiefel dazu tragen..."

Alan mußte sich bemühen, der Lady nicht den Mund zu stopfen. Nun, im Zweifelsfall würde er das Zeug Nardias Hund als Schmusedecke vererben oder in die nächste Kleidersammlung geben...

Die Verkäuferin kam mit einem bronzenen Hosenanzug an, dessen Beinkleider einen wahrhaft monumentalen Schlag aufwiesen. Dazu war auch dieses Gerät in Gold und Silber bestickt.

Grummel! Alan hatte langsam genug. Er fragte sich, was diese Kauforgie eigentlich bezwecken sollte. Dieser Anzug war einfach scheußlich... Ryko sah sich weiter um.

"Ist das wirklich die komplette Collection von Madame Fkorisan? Ich dachte, ich hätte letztlich auf einer Modenschau noch einige weitere überaus revolutionäre Entwürfe gesehen..."

Alan warf Ryko einen ärgerlichen Blick zu. Die Klamotten hier waren ihm eigentlich schon 'revolutionär' genug.

"Meines Erachtens war das hier aber alles, was Madame Fkorisan vorführen ließ", machte die Verkäuferin ihn aufmerksam.

"Nun, mich hatte vor allem dieser Overall so beeindruckt, der nur aus selbstleuchtenden Ringen zu bestehen schien..." schwärmte Ryko, und Alan warf ihm einen irritierten Blick zu. Was hatte dieser vor?

"Das tut mir leid..." begann die Frau.

"Oh... Sagen Sie, ist Madame Fkorisan zufällig im Hause?"

Nun war es Alan klar, was Ryko wollte. Sonst wäre ihr Besuch hier ja sinnlos gewesen. Aber das hieß noch lange nicht, daß er so etwas merkwürdiges anzog wie selbstleuchtende Ringe!

"Madame Fkorisan? Ja, sie ist im Hause, aber ich weiß nicht, ob ich..."

"Oh, natürlich können Sie sie holen! Wir sind doch höchst interessiert daran, weitere Werke ihrer allseits berühmten Collection zu erwerben..."

Alan nickte nur zustimmend. Aber noch mehr von diesen Scheußlichkeiten erwerben? Seufz!

"Hm..." Die Verkäuferin kämpfte sichtlich mit sich. "Nun gut, warten Sie einen Moment." Sie ging zu einem Viphon-Anschluß und sprach leise mit einem 'Visio-Nicht-Aktiv'-Signal. "Sie haben Glück", strahlte sie schließlich. "Madame Fkorisan wird gleich herunterkommen." Sie holte ein neuerliches Pluder-Ensemble in Grün und Schwarz hervor. "Wenn Sie das noch ausprobieren wollen?"

Innerlich seufzend machte sich Alan daran, abermals die Klamottage zu wechseln. Er kam sich schon eine Kleiderpuppe vor.

Drei Anproben später flanierte Impora Fkorisan, eine Mittdreißigerin mit strahlend metallicpink gefärbter Flecht-Hochfrisur, gehüllt in eine gewagte bronzefarbene Robe aus ihrer eigenen Collection, in den Salon. Die Verkäuferin neigte den Kopf.

"Madame Fkorisan", begrüßte sie ihre Chefin.

"Guten Morgen, Madame!" Alan lächelte sie an.

"Guten Morgen, Messieurs." Impora Fkorisans Stimme hätte einer Sängerin gehören können, stellte Ryko fest. Er fand diese Haarfarbe mehr als nur faszinierend. "Sie wollten mich sprechen?"

"Äh ja", machte Ryko. "Ich hatte letzthin auf einer Modenschau von Ihnen einen überaus extravaganten Overall entdeckt, der nur aus selbstleuchtenden Ringen bestand..."

"Ach, Sie meinen Die Ringe von Curu'san... Das tut mir leid, aber jenes Stück ist bereits verkauft."

(Eigentlich handelt es sich bei den Ringen von Curu'san um das ausgedehnte Ringsystem von Esdraa VII/Curu'san. Eine sehr extravagante Textilie bekam ebenfalls diesen Namen; sie besteht aus selbstleuchtenden Ringen, die einen zusammenhängenden Stoff ergeben.)

Alan war erleichtert. Wenigstens das blieb ihm erspart...

"Haben Sie dann nicht wenigstens noch ein vergleichbares Modell? Oder könnten Sie eines kréieren?"

Alan fand das überhaupt nicht witzig. Er warf Ryko einen tödlichen Blick zu.

"Nun", überlegte Madame Fkorisan, " das kommt darauf an, wieviel sie dafür anzulegen bereit sind. Meine diesjährige Collection war eigentlich bereits abgeschlossen..."

"Geld ist kein Thema", versicherte Ryko ihr. Alan hielt sich lieber aus dem Gespräch heraus. Es war Rykos Idee gewesen, hierhin zu gehen, also sollte der ruhig etwas tun. Er war ja eh nur mitgenommen worden, um Kleidungsstücke anzuprobieren...

"Nun gut. Dann kommen Sie doch rasch mit in mein Atelier!"

Ryko war begeistert. Mit soviel Glück hatte er eigentlich gar nicht gerechnet. Sie folgten Impora Fkorisan zu einem Lift, der sie zu deren Studio brachte.

Was würde ihn wohl dort erwarten, dachte Alan mißtrauisch.

Die Designerin setzte sich an ihren Computer und aktivierte das entsprechende Programm.

"Sie wollten also einen Overall aus diesem Die Ringe von Curu'san-Stoff?" Ryko nickte, und die Frau wählte das entsprechende Menü an und gab den Code für die gewünschte Textilie ein. Sie musterte Ryko kritisch (etwas dünn und zu lang für ihren Geschmack). "Soll es für Sie sein?"

"Nein, für meinen Freund hier."

'Seufz', dachte Alan. Er wollte keinen Overall aus diesem Zeug...

Impora nahm einen Scansensor und tastete Alans Exterieur ab. Das Modell auf dem Schirm veränderte sich in entsprechender Weise, bis sie eine 3D-Simulation von Alan auf dem Monitor hatte. Ts, dachte sie. Der war genauso ein Typ wie der andere. Lang und schlaksig... Etwas Body-Building könnte den zweien sicherlich nicht schaden. Mit weitausholenden Strichen malte sie einen extravaganten Overall auf das Touch-Panel, der zusätzlich eigentümlich wirkte, da der 'Stoff' mehr aus lumineszierenden Ringen denn aus etwas anderem bestand.

"Nun?" wollte sie wissen und rückte etwas zur Seite, damit die beiden Männer den Entwurf im Computer begutachten konnten.

"Faszinierend", war Alans Kommentar angesichts der Monstrosität auf dem Bildschirm.

"Gut", sagte Madame Fkorisan. "Dann gebe ich den Auftrag an die Werkstatt." Sie drückte auf eine Sensortaste. "Sie können es dann in zwei Stunden abholen.

"Sehr schön." Er würde das Teil bestimmt sich abholen, dachte Alan. Ryko hatte unterdessen genauestens verfolgt, mit welchem Code die Modeschöpferin sich eingeloggt hatte. Nun käme er ohne Probleme und größeren Aufwand an ihren Rechner heran...

"Wir danken Ihnen für Ihre Mühe", erklärte Alan salbungsvoll und verabschiedete sich. Ryko und er verließen das Atelier und betraten erneut den Verkaufssalon. Dort zog er sich erst einmal um. Endlich war er dieses Zeug los... Die Rechnung war astronomisch, und dabei war noch nicht einmal der krönende Abschluß, dieser Curu'san-Overall mit eingerechnet. Dieses wurde gleich darauf separat berechnet. Alan fand es schrecklich, für solch einen Schund so viel Geld opfern zu müssen. Die Verkäuferin lud ihm die diversen Schachteln und Pakete auf den Arm, bevor sie den Laden verließen.

Eine Biegung weiter guckte Ryko Alan scheinheilig an.

"Ich weiß gar nicht, was du hast. Die Haute Couture stand dir doch ausgezeichnet zu Gesicht..."

"So?" fragte Alan.

"Oh ja!"

"Wenn es dir so gut gefällt", meinte Alan grinsend, "dann schenke ich dir das Zeug..." Er lud Ryko die Pakete auf. Dieser machte erst kein sehr intelligentes Gesicht, ehe er überlegte.

Das wäre doch eine willkommene Aufstockung für den Kostümfundus auf der Lightning. Damit konnte dieser nun sogar mit ein paar echten Fkorisans aufwarten...

"Danke", meinte er fröhlich, und Alan war erleichtert, daß er das Zeug auf so einfache Weise losgeworden war. Nur um das schöne Geld tat es ihm immer noch leid.

Ryko verschwand in einem Hauseingang, einmal um seine neuen Errungenschaften auf der Lightning abzuladen, und zum zweiten, um sich rasch umzuziehen.

Er kehrte in dem grün/goldenen Tunika/Pluderhosen-Ensemble zurück. Alan grinste bei seinem Anblick.

"Was nun?" wollte er anschließend wissen.

"Nun warten wir, daß Madame Fkorisan eventuell ihr Haus verläßt, damit wir an ihren Computer herankommen. Notfalls müssen wir nachhelfen."

"Gut."

Und sie warteten...

* * *

Als sich zwei Stunden später immer noch nichts getan hatte, sah Ryko Alan an.

"Okay. Du lockst sie aus ihrer Wohnung!"

"Ich?" fragte Alan entsetzt. Er wollte mit der Lady nichts zu tun haben.

"Ja, du! Ich habe keine Lust, alles alleine zu machen."

"Hm", machte Alan nachdenklich. "Und wie?"

"Laß dir was einfallen!"

"Seufz! Wenn du darauf bestehst..." Alan suchte im entsprechenden File seines Gedächtnisspeichers nach einer geeigneten Methode.

Irgendetwas stimmte da nicht, bemerkte er verwirrt. Wieso dauerte es so lange, bis er die gewünschten Daten fand? Er sollte unbedingt so bald wie möglich zur Starcave zurück und dort einen kompletten Systemcheck vornehmen.

Ryko meditierte derweil darüber nach, ob er mit oder ohne Optoflektor losziehen sollte. Er entschied sich für 'mit', denn dann könnte er notfalls dezent 'verschwinden'.

(Optoflektor-Schild - Ein Anti-Sichtschild, der allerdings keine Ortungssysteme abwehren kann. Die tragbare Version (so eine Art Tornister, ziemlich unhandlich) hat ein Energiezellenpack, das etwa 10 Minuten durchhält.)

Alan hatte endlich die Informationen, die er gesucht hatte. Er marschierte zu einer Viphonzelle und rief Madame Fkorisan an. Er schwärmte derart von ihren Entwürfen, daß es ihm gelang, die Lady zu einem Essen mit ihm zu überreden. In zehn Minuten würde er sie abholen. Er verließ die Viphonzelle und ging die drei Schritte zu Ryko hinüber.

"Wann und wie lange?" wollte dieser wissen.

"In zehn Minuten und so lange du brauchst."

"Ich werde mich beeilen", versicherte Ryko.

"Hoffentlich!"

* * *

Aus einem Hauseingang beobachtete Infinity, wie Impora Fkorisan das Gebäude verließ. Sofort schlich er sich im Schutz des Optoflektors hinein. Nur zwanzig Minuten später hatte er alles, was er wissen wollte, in einen Speicherkristall übertragen. Er fragte sich, was Alan gerade trieb. Ob er ihn noch etwas zappeln lassen sollte?

Alan war hocherfreut, vor allem, da die Lady ihm den Overall mitgebracht hatte und nun darauf drängte, daß er ihn einmal anzog. Zum Glück gelang es ihm, sie davon abzubringen, indem er vorgab, diese Création für einen großen Anlaß aufbewahren zu wollen. Nun saß er mit der Modeschöpferin in einem exklusiven Restaurant und hörte sich ihre Pläne für die kommende Modesaison an. Seufz, hoffentlich war Ryko bald fertig...

Dieser brachte erst einmal in aller Ruhe seine Ausrüstung zur Lightning zurück und zog sich einen extravagant metallisch regenbogenfarbenen Overall über, ehe er sich aufmachte, Alan zu suchen. Dieser hatte gesagt, er wollte in ein sinhalonisches Restaurant gehen, und davon gab es glücklicherweise nur zwei in diesem Stadteil. Endlich hatte er ihn gefunden.

Alan war ausgesprochen erleichtert, als er seinen Bruder sah. Langsam ging ihm das Gespräch über die nächste Fkorisan-Collection kolossal auf die Schaltkreise.

"Mahlzeit", meinte Ryko. "Darf ich mich zu Ihnen setzen?"

Er sah Madame Fkorisan fragend an, und diese nickte zustimmend, wobei sie fasziniert Rykos Overall begutachtete. So etwas wie diese Kombi wäre doch auch etwas für die nächste Saison, überlegte sie.

"Aber bitte", meinte sie, und Ryko nahm Platz. Alan sah ihn fragend an.

"Ich habe meine Besorgungen erledigt", verkündete Ryko. "Habt ihr schon gegessen?"

"Nein", erwiderte Alan. "Wir wollten auch gerade bestellen.

"Fein." Ryko scannte die Speisekarte, bevor sein Blick an der Grillplatte für zwei Personen hängenblieb. Doch, das wäre etwas, dachte er. Alan entschied sich für ein Matlos-Steak, während Madame Fkorisan einen Gemüseteller bestellte.

Die drei spachtelten munter vor sich hin, und Ryko fragte sich, ob Alan ihm den extraordinären Overall auch noch vererben würde. Das wäre doch mal etwas für das nächste Kostümfest, und dann würde er ausnahmsweise einmal Alycia überstrahlen. - Falls er sie wiederfand, erinnerte er sich düster. Seufz.

Nach einiger Zeit erklärte Impora Fkorisan, daß sie nun zurück in ihr Geschäft müßte. Sie verabschiedete sich von den beiden und nahm ein Gleitertaxi, um zu ihrem Atelier zurückzukehren. Alan seufzte erleichtert.

"Ich habe die Daten bereits in den Lightning-Bordcomputer übertragen", erklärte Ryko und nahm noch einen Bissen von den kläglichen Überresten des Gemüses auf seinem Teller. "Die Analyse ergab eigentlich nur einen einzigen wirklichen Hinweis, und zwar auf den Chef des Androiden-Marktes. Da scheinen ständig beträchtliche Summen hin und her transferiert zu werden. Offenbar wäscht Impora Fkorisan das Geld rein, das von jenem Monsieur Kanuro Tsentelai zu ihr als 'Investitionsmittel' transferiert wird und ihm in Form von Dividenden und Gewinnausschüttungen zurückfließt..."

"Mhm", machte Alan. "Sehr viel bringt uns das aber auch nicht weiter. Übrigens, ich habe hier noch was für dich!" Er überreichte Ryko die Schachtel mit dem Overall.

"Danke", sagte Ryko erfreut.

"Gern geschehen."

"Naja... Also, was uns die Sache bringt, sind schon einmal zwei Dinge, und zwar die Beweise für die illegalen Aktivitäten von Madame Fkorisan und Monsieur Tsentelai. Wir sollten versuchen, uns nun bei unserem nächsten Kandidaten umzusehen."

"Und wen hast du da im Sinn?"

"Ich wollte doch alphabetisch vorgehen. Dann steht als nächstes Dr. Zkaris Twartes auf dem Plan."

"Hauptsache, kein Modeschöpfer mehr!"

"Nein. Aber ein Psychiater..."

Alan sah Ryko forschend an. Er hatte das Gefühl, dieser führte etwas im Schilde - ob es die Rache für die diversen 'Vergnügungetablissements' war?

"Gehen wir also!"

"Wohin?" fragte Alan mißtrauisch.

"Zum Psychiater. Wir müssen dich doch von deinem Leiden kurieren!"

"Von welchem Leiden?" erkundigte sich Alan vorsichtig.

"Nun, du bildest dir ein, Firestar zu sein, und das belastet die Umwelt und deine Familie doch sehr..."

"Hmpf!" machte Alan und sah seinen Bruder strafend an. "Mit mir kannst du sowas ja machen..."

"Hast du einen besseren Vorschlag?"

"Allerdings! Du gehst da hin!"

"Und warum?"

"Warum nicht?"

"Du mußt schon begründen, warum ich der Behandlung bedarf."

"Mir wird schon was einfallen."

"Aber so lange dir nichts einfällt, bist du der Kandidat."

"Kommt nicht in Frage. Ich gehe nicht zu so einem Seelenklempner."

"Ich denke, dir könnte ein Besuch dort aber nicht schaden", konterte Ryko.

"Ach, und warum das?"

"Ich sehe bei dir einen Haufen psychischen Mülls, der unbedingt weggeräumt werden sollte", erklärte Ryko. "Mentale Zwänge und Neurosen... Tja, du bist ein schwerer Fall!"

"Püh!" Alan war eindeutig beleidigt.

"Na siehst du! Auch deine Stabilität gegenüber belastenden äußeren psychischen Einflüssen ist nicht die beste."

Firestar gab keine Antwort. Er war immer noch sauer.

"Nun komm schon!"

Er überhörte Ryko einfach, denn er dachte ja gar nicht daran, irgendetwas zu tun. Infinity zahlte kurzerhand die Rechnung, ehe er in Richtung Ausgang deutete.

"Monsieur, Ihr als mein Patient habt gefälligst die ärztlichen Anweisungen zu befolgen. Und wenn ich der Ansicht bin, daß Euer Fall eines echten Spezialisten bedarf, so habt Ihr Euch zu fügen", sagte er laut genug, daß es alle Personen im Restaurant mitbekamen. Zudem funkte er eine Anweisung zum Lightning-Bordcomputer hoch. Alan ignorierte Ryko weiterhin, und dieser verschwand kurz auf der Toilette, von wo er zum Schiff sprang, das Paket mit dem Overall ablegte und das abholte, was der Computer ihm ausdrucken sollte.

'Was war denn nun wieder los?' dachte Alan, als Ryko in den Gastraum zurückkehrte.

"So, nun kommen Sir, Monsieur Pakxon."

Alan schüttelte den Kopf.

"Ich kann auch Hilfskräfte aus der städtischen Psychiatrie anfordern, wenn Sie die Zusammenarbeit derart verweigern", drohte Ryko und überlegte, daß der Auftritt dann um so authentischer wirken würde. Alan sah ihn herausfordernd an, und Ryko ging zum nächsten Viphon, wo er den entsprechenden Code abrief.

'Na gut... Wenn ich schon verrückt spielen soll, dann richtig', dachte Alan und wartete erst einmal ab. Kurz darauf stürmten zwei zartgrün gekleidete Sanitäter das Lokal.

"Ich bin Dr. Tkirisah", stellte sich Ryko knapp vor. "Da vorne sitzt der Patient. Geben Sie acht, er reagiert äußerst reluktant."

Alan betrachtete die Sanis mißtrauisch, aber er konnte sie ja schlecht zusammenschlagen. Die beiden Männer packten ihn in eine Zwangsjacke und stopften ihn in den Krankengleiter. Ryko sprach beruhigend auf ihn ein, während Alan ihm die ganze Zeit über merkwürdige Blicke zuwarf. Es war ja doch nicht so schlimm dachte er, denn momentan amüsierte er sich ganz gut.

Schließlich hielt der Gleiter vor der städtischen Psychiatrie, deren Oberarzt Dr. Twartes war. Ryko ließ Alan direkt zu dessen Büro führen.

Da es sich offenbar um einen Notfall handelte, bat Dr. Twartes Ryko und Alan sofort zu sich herein. Infinity gab ihm eine Visitenkarte, die ihn als Dr. Elkijan Tkirisah auswies, einen tatsächlich existierenden Psychiater des Nachbarkontinents, den ihm der Computer der Lightning herausgesucht hatte.

"Sehr angenehm, Dr. Tkirisah", sagte Dr. Twartes. "Und was ist nun Ihr Problem mit diesem Patienten?"

"Oh", begann Ryko bedächtig. "Er leidet unter schwerer Schizophrenie, und ich hatte eigentlich angenommen, ich hätte ihn nach siebenjähriger Behandlung stabilisiert. Allerdings hatte er nun vor einer Woche einen fürchterlichen Rückfall, und er entkam mir nach Skuntreja. Sie müssen wissen, er hält sich selbst für Firestar..."

"Ich halte mich nicht für Firestar - ich bin Firestar!" rief Alan erbost.

"Sehen Sie, Dr. Twartes? Es ist ein sehr schwerer Fall. Aber offenbar verfügt er dennoch über einen sehr wachen Verstand, denn es gelang ihm, mich so sehr zu täuschen, daß ich fast an eine Heilung glaubte... Aber dann floh er aus der offenen Psychiatrie von Muntrija, und ich habe ihn erst wieder hier in Skuntreja aufspüren können..."

"Icin bin nicht verrückt! Das ist alles ein Komplott meiner Feinde!" warf Alan ein.

"Sehen Sie! Sagen Sie, Dr. Twartes, hatten sie schon einmal solch einen Fall? Ich muß ehrlich gestehen, daß ich mehr auf Neurosen reicher Damen spezialisiert bin..."

Inzwischen versuchte Alan, sich aus der Zwangsjacke zu befreien. Das wäre für ihn eigentlich kein Problem gewesen, aber er wollte den Leuten schließlich eine gute Show bieten, und so zerrte er erst einmal dramatisch daran herum.

"Ich denke, ich sollte ihn erst einmal zur Beobachtung in die Gummizelle stecken", überlegte Dr. Twartes.

(Man war zwar kurzfristig dazu übergegangen, Prallfelder zu benutzen, aber es hatte sich herausgestellt, daß viele Patienten auf diese Energiefelder sehr negativ reagierten, also war man erneut zu mechanischen Polstern übergegangen. Gleiches galt für die Zwangsjacken; Fesselfelder konnten sich nicht durchsetzen, da die ohnehin gestörten Personen die unsichtbaren Felder häufig mit Geistern etc. assoziierten und dann erst wirklich ausrasteten. Es mußte allerdings erst einige Todesfälle durch Herzinfarktre u.ä. geben, ehe man wieder zu den altertümlichen Mitteln zurückging.)

'Jetzt', dachte Alan und befreite sich von der Zwangsjacke. Sofort stürzten sich wieder die beiden Sanis auf ihn, wobei gleich einer mit einer Hochdruckspritze mit einem starken Beruhigungsmittel zur Hand war. Alan sackte zusammen. Alles andere wäre wohl etwas zu auffällig gewesen...

Die Sanitäter beförderten ihr Opfer in die bewußte Gummizelle, wobei sie ziemlich ob seines Gewichts bei dieser schlanken Statur überrascht waren. Dr. Twartes und Ryko folgten ihnen auf dem Fuße.

"Er ist übrigens sehr resistent gegen Betäubungen", machte Ryko den Arzt aufmerksam.

Alan fand es überaus faszinierend, so durch die Gegend geschleppt zu werden, und es amüsierte ihn ungemein, daß die Typen ganz schön ins Schwitzen kamen. Die Gummizelle bestand rundherum aus komischen Noppen, und der einzige Einrichtungsgegenstand war eine vollgepolsterte Liege, die am Boden befestigt war. Aber was nun? Alan hatte keineswegs vor, lägere Zeit hier zu verbringen.

"Dr. Twartes, Sie werden feststellen, daß der Patient sich ruhig verhält, so lange er alleine ist. Offenbar benötigt er stets ein gewisses Publikum, um seinem Wahn frönen zu können..."

"Wir weden sehen", meinte Dr. Twartes. "Kommen Sie doch bitte so lange mit in mein Büro und erzählen Sie mir noch etwas über ihren Patienten."

In der Zelle langweilte sich Alan. Wenn er nur wüßte, was er machen sollte... Dieser Raum hier gefiel ihm ganz und gar nicht, also beschloß er, sich einen Fluchtplan zurecht zu legen.

Unterdessen setzte sich Ryko zu Dr. Twartes, der eifrig Notizen in seinen Computer sprach. Infinity hob eine Augenbraue. Wahrscheinlich arbeitete das Gerät mit einer Stimmuster-Erkennung. Er mußte nur warten, bis Twartes das Büro verließ, dann konnte er es ausprobieren.

Derweil hatte Alan aus Langweile damit begonnen, einige Berechnungen anzustellen. Wenn Ryko nicht bald etwas von sich hören ließ, würde er die Zelle verlassen. Die gleichmäßige Noppenmusterung der Wände, der Decke und des Fußbodens machte ihn nervös.

Ryko beschloß, es einfach auf eine höchst niederträchtige Art und Weise zu versuchen, Twartes fortzulocken. Er meinte, sie könnten doch vielleicht eine Kanne Tee trinken, während sie sich über den Patienten unterhielten, ein Vorschlag, dem Twartes durchaus angetan zustimmte. Nach der dritten Tasse überkam den Psychiater ein dringendes Bedürfnis, und da er sich nicht ausgeloggt hatte, zapfte Ryko während dessen Abwesenheit kurzerhand alle relevanten Informationen ab.

Alan hatte nun endgültig genug von den Noppen, er wollte hier raus - egal, ob Ryko fertig war oder nicht! Kurzentschlossen machte sich Alan daran, die Tür zu öffnen. Elektronische Schlösser mochten vielleicht Irre abhalten, aber ihn bestimmt nicht. Sachte schob er die Tür auf. Leider wurde die Zelle aus Sicherheitsgründen von Kameras überwacht, also löste sein Verschwinden sofort den Alarm aus.

Dr. Twartes stürmte in sein Büro, wobei er hektisch versuchte, seine Hose zu arretieren.

"Was ist denn los?" erkundigte sich Ryko neugierig.

"Ihr Patient ist geflüchtet", sagte der Psychiater anklagend nach einem Blick auf die Anzeigetafel.

"Ich sagte doch, daß er gefährlich ist", entgegnete Ryko mit hochgezogenen Augenbrauen.

Unterdessen war Alan auf der Suche nach seinem kleinen Bruder, der sich offenbar immer noch in diesem Büro befand. Die paar Sanitäter unterwegs störten Alan kaum, und so stürmte er schließlich das Zimmer.

"Ryko?" fragte er.

"Seufz", machte dieser, ehe er sich grinsend an Zkaris Twartes wandte. "Ich glaube, ich muß meine Diagnose revidieren. Er ist nicht verrückt. - Gehen wir, Alan!"

Die beiden Männer düsten davon und ließen einen mehr als nur irritierten Psychiater zurück.

"Diese Gummizelle war zu langweilig. Ich hoffe, du warst soweit..."

"Keine Sorge", versicherte ihm Ryko. Als sie um die nächste Biegung verschwunden waren, transmittierten sie zur Lightning zurück und machten sich kurz darauf auf den Weg zum Koch eines 5-Kometen-Restaurants.

Abgesehen davon, daß sie sich erst einmal quer durch die Küche desselben futterten, organisierte Ryko auch hier die Beweise für illegale Aktivitäten.

* * *

3763/03/01 GZ - Eine Ärztin schleppt Stardust und Blackfire zu eingehenden Untersuchungen, weil sie 'gesunde Testpersonen' braucht...

* * *

3763/03/01 GZ

Ryko und Alan machten sich erst am nächsten Morgen weiter auf die Suche, da der vierte Kandidat auf der Liste ein höherer Polizeibeamter war, den sie am besten während der offiziellen Dienststunden der gesuchten Informationen beraubten. Auch dies geschah ohne Probleme.

Nachmittags gegen 11:00 Uhr war Nr. 5 an der Reihe. Ryko sah seinen Bruder mit einem eigentümlichen Gesichtsausdruck an.

"Sag mal, hast du zufällig schlechte Zähne?"

"Wohl kaum", antwortete Alan irritiert.

"Ich auch nicht", seufzte Ryko.

"Warum willst du das denn wissen?"

"Nr. 5 ist Dr.med.dent. Elkrana Zefgeris."

"Seufz, da ist guter Rat teuer."

"Du solltest dich einfach mal untersuchen lassen, dann kümmere ich mich um ihren Compi."

"Immer ich!"

"Du bist eben das geborene Opfer."

"Bin ich nicht!"

"Ach?" Ryko dachte daran, wie Karylla ihm die Episode mit Firestar gebeichtet hatte.

"Nein!" fauchte Alan.

"Ts, ich habe anderes gehört..." meinte Infinity belustigt.

"Was?!" Alan funkelte ihn an.

"Daß du so ein schönes leichtes Opfer abgegeben hast", kam es süffisant zurück.

"Das hast du von Blackfire!"

"Allerdings."

"Und trotzdem gehe ich nicht zum Zahnarzt!"

"Doch."

"Nein."

"Aber sicher gehst du dort hin!"

"Nein!"

"Doch!" Ryko packte Alan kurzerhand und zog ihn in Richtung Dr. Zefgeris. Alan sträubte sich heftig, und Ryko versuchte, ihn sich über die Schulter zu werfen, was nur dazu führte, daß sie beide wieder auf dem Boden lagen.

"Du wirst mitkommen, sonst rufe ich sie her!" Ryko war bereits wieder auf den Beinen.

"Wen?" Auch Alan rappelte sich wieder auf.

"Dr.med.dent. Zefgeris."

"Kommt gar nicht in Frage!"

"Also gehen wir hin!" Mit einer Überraschungsattacke schob er Alan in den nächsten Gleiterbus in Richtung Zahnarzt.

"Ich gehe nicht da rein!"

"Doch!"

"Ganz bestimmt nicht!"

"Aber sicher doch..." Als sie an der Haltestelle vor der Ärztin ankamen, weigerte sich Alan immer noch, und da Ryko ihn so nicht herausbekam, zog er kurzerhand die Notbremse des Gefährts. Das führte dazu, daß sie gnadenlos hinausgeworfen wurden...

"Aber das heißt nicht, daß ich da hingehe!" fluchte Alan, weil sie auch noch einen Strafzettel bekommen hatten.

"Doch! Schließlich brauchen wir auch noch die Infos von ihr!" Ryko deutete zu der Praxis und gab Alan einen wohldosierten Schubs, der ihn vor die Tür beförderte.

"Ich habe keinen Termin!"

"Ich habe aber schon einen Krankenschein für dich gefälscht."

"Ich gehe nicht!"

"Doch!" Ryko öffnete die Tür und schob Alan ins Wartezimmer.

"Nein!" Alan wehrte sich verzweifelt.

Auf einmal kam eine hübsche Zahnarzthelferin herein, die wohl das Getöse gehört hatte. Sie erblickte Alan und lächelte ihn strahlend an.

"Sie brauchen doch keine Angst zu haben, Monsieur!"

Alan sah sie indigniert an.

"Habe ich doch gar nicht!"

"Und warum machen Sie dann so einen Aufstand? - Sehen Sie sich doch nur ihren Begleiter an, der trägt das alles mit Fassung", sagte sie vorwurfsvoll.

"Er soll ja auch nicht zum Doktor", erklärte Alan und funkelte Ryko wütend an. Das würde noch ein Nachspiel haben... Letzterer wandte sich vertrauensvoll an die Zahnarzthelferin.

"Mein Bruder ist etwas schwierig, weil er noch nie in seinem Leben beim Zahnarzt war."

"Du aber auch nicht!" fauchte Alan.

"Deshalb bin ich doch auch hier", konterte Ryko. Was man nicht alles tun mußte, dachte er seufzend.

"Ach?" fragte Alan neugierig.

"Wenn es denn sein muß!" verkündete Ryko heroisch. "Aber du bist ein paar Jahre älter als ich, also länger überfällig."

Alan murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, und die Zahnarzthelferin guckte sehr merkwürdig.

"Nehmen Sie sich erstmal meinen Bruder vor", empfahl Ryko. "Hier ist sein Krankenschein." Er drückte der Frau eine Codekarte in die Hand, und Alan nahm sich vor, Ryko mindestens zur Rechenschaft zu ziehen. Anbetracht der wartenden Patienten aber, die sie neugierig musterten, verschob er das doch lieber auf später.

"Sie müssen noch einen Moment warten", sagte die Arzthelferin. "Setzen Sie sich doch so lange..."

"Ich stehe lieber!" erklärte Alan.

"Dann bleiben Sie eben stehen." Sie zuckte mit den Achseln. "Mademoiselle Elesnaja, wenn Sie bitte mitkommen würden? Behandlungsraum 2, dort hindurch..."

Alan lehnte sich an die Wand und versuchte, alle neugierigen Blicke der übrigen Patienten zu ignorieren. Ryko lächelte dezent.

Etwa 50 Minuten später kam die Zahnarzthelferin wieder herein und rief Monsieur Pakxon aus. Ryko nutzte die Gelegenheit, sie danach zu fragen, wo man denn hier in der Praxis zur Toilette gehen könnte, und er wurde auf die hinterste Tür in dem Gang verwiesen, auf den man aus dem Wartezimmer kam.

Alan wurde in Behandlungszimmer 1 gesetzt und beäugte die diversen Gerätschaften sehr mißtrauisch. Hier gefiel es ihm ganz bestimmt nicht...

Als Ryko von der Toilette zurückkehrte, war der Gang leer, und er ergriff die Chance, sich zu den Büroräumen zu stehlen. Offenbar waren die Helferinnen zur Zeit mit dem Quälen diverser Patienten beschäftigt... Er fand einen PC, auf dem ein Verwaltungsprogramm lief und suchte sich von dort durch die relevanten Daten.

Alan wartete derweil auf die Zahnärztin. Wenn er schon mal hier war... Die Zahnarzthelferin hatte Dr. Zefgeris natürlich brühwarm erzählt, daß der nächste Patient bis jetzt noch nie bei einem Dentisten gewesen war, und die Ärztin beschloß, es ganz langsam angehen zu lassen.

"Was fehlt uns denn?" erkundigte sie sich mit einem beruhigenden Lächeln.

"Mir fehlt nichts!"

"Nun, das werden wir gleich sehen... Machen Sie doch bitte einmal den Mund auf..."

Alan gehorchte.

"Hm... Mhm..." Dr. Zefgeris bemerkte mit wachsendem Erstaunen, daß Alans Gebiß nicht nur bar jeder Karies und/oder Parodontose war, sondern auch sonst völlig perfekt wie aus dem Lehrbuch. Höchst faszinierend!

Langsam fand er es ausgesprochen nervig, die ganze Zeit den Mund derart aufsperren zu müssen.

Elkrana Zefgeris war derweil versucht, einige Photos davon für das Dentistenblatt zu schießen, als ideales Beispiel dafür, was ordnungsgemäße Zahnpflege bewirken sollte.

'War es denn immer noch nicht genug?' Alan wurde ungeduldig.

"Äh ja, Sie können den Mund wieder zu machen... Ich muß Ihnen wirklich zu dem perfekten Zustand Ihrer Zähne gratulieren..."

"Ich habe ja gesagt, daß ich nicht zum Zahnarzt muß."

"Nun, vorsorgen ist immer besser als heilen."

"In meiner Familie war noch nie jemand beim Zahnarzt!"

"Oh..." Elkrana sah ihn fasziniert an und fragte sich, was das wohl für eine Familie sein mochte...

"Darf ich jetzt gehen?"

"Ähm, sicherlich..."

Alan erhob sich, um schnellstens zu verschwinden. Wo bloß Ryko steckte?

Dieser huschte nun ebenfalls ins Wartezimmer zurück. Ob Alan schon wieder zurück war? Ah, da steckte er!

"Na, wie war es?"

Alan grinste ihn an.

"Nun?" hakte Ryko nach.

"Das wirst du schon selbst herausfinden müssen!"

"Hm?"

"Gehen wir?"

"Ja", erwiderte Ryko verwirrt. Manchmal waren die Gedankengänge Alans rätselhaft...

Sie verließen erst einmal die Praxis und transmittierten an einem verlassenen Platz zur Lightning.

"Okay, wir haben alle Infos, derer wir habhaft werden konnten." Ryko legte eine Handvoll Speicherkristalle auf den Tisch. "Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wo ihr gemeinsamer Nenner liegt; vermutlich führt uns das zum Chef dieser Androidenhändler."

"Na, dann laß mal sehen!"

Ryko las die Kristalle nacheinander in den Hauptcomputer der Lightning ein. Nachdem die letzten Daten darin verschwunden waren, kam die Auswertung, und Infinity lehnte sich in seinem Sessel zurück.

"Einmal haben wir also den Chef des Androiden-Marktes - aber zum zweiten noch einen Kmarun Ratsker."

"Sehen wir uns den an", schlug Alan vor. "Es ist gerade mal 14:00 Uhr, also sollten wir das heute noch schaffen."

"Das hatte ich vor."

- TO BE CONTINUED -

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Last modified: 13.04.2002

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